© 2017 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 24/17 Vereinbarkeit der Einführung einer Baulandsteuer (Grundsteuer C) mit Unionsrecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 2 Vereinbarkeit der Einführung einer Baulandsteuer (Grundsteuer C) mit Unionsrecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 24/17 Abschluss der Arbeit: 19. Mai 2017 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 1.1. Baulandsteuer 4 1.2. Maßstäblichkeit des Unionsrechts 5 2. Grundfreiheiten 6 2.1. Vorbemerkung 6 2.2. Vereinbarkeit mit der Kapitalverkehrsfreiheit 6 2.2.1. Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit 6 2.2.2. Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit 7 2.2.2.1. Allgemeine Maßstäbe 7 2.2.2.2. Folgerungen für den Bereich der direkten Steuern 8 2.2.2.3. Zusammenfassung 9 2.2.3. Rechtfertigung der Beschränkung 9 2.2.3.1. Geschriebener Rechtfertigungsgrund: Art. 65 Abs. 1 lit. a AEUV 9 2.2.3.2. Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe 10 2.2.3.3. Verhältnismäßigkeit 11 2.2.3.3.1. Geeignetheit 11 2.2.3.4. Erforderlichkeit und Angemessenheit 12 2.3. Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit 13 2.3.1. Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit 13 2.3.2. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit 14 2.3.3. Rechtfertigung 15 2.3.3.1. Rechtfertigungsgründe 15 2.3.3.2. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 16 2.4. Zusammenfassung 16 3. Unionsgrundrechte 16 4. Vereinbarkeit mit dem Beihilfenrecht 18 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung setzt sich mit der Frage auseinander, ob die Einführung einer Baulandsteuer mit dem Unionsrecht vereinbar ist. 1.1. Baulandsteuer Der Begriff der Baulandsteuer bezeichnet eine spezielle Form der Grundsteuer auf unbebaute, baureife1 Grundstücke. Die folgenden Ausführungen zur Unionsrechtskonformität einer Baulandsteuer beziehen sich auf die Ausgestaltung einer Steuer, die derjenigen entspricht, die in Deutschland im Jahre 1960 durch Regelungen in § 172 BBauG2 und §§ 12a bis 12c, 21 Abs. 3 GrStG3 a.F. eingeführt und im Jahre 1964 durch Gesetz rückwirkend ab dem 1.1.1963 wieder aufgehoben wurde.4 Eine Erhebung der Baulandsteuer erfolgt somit nur für die Jahre 1961 und 1962.5 Die Einführung der Baulandsteuer wurde als Mittel zur Ordnung des Baulandmarktes angesehen und verfolgte damit nicht primär fiskalische Ziele.6 Die Baulandsteuer diente dem Zweck, eine Vermehrung des Baulandangebots durch eine baldige bauliche Nutzung derjenigen Grundstücke herbeizuführen, die nach den rechtlichen Voraussetzungen und den tatsächlichen Gegebenheiten sofort bebaut werden könnten. Durch eine progressiv gestaffelte Erhöhung der Grundsteuer sollte der Neigung nichtbauwilliger Grundstückseigentümer, den baureifen Boden in der Hoffnung auf spätere Preissteigerungen vom Markt zurückzuhalten, entgegengewirkt und damit eine künstliche Verknappung des Angebots beseitigt werden.7 Ungeachtet ihrer primär ordnungspolitischen Funktion kann die Baulandsteuer als eine Steuer auf den Vermögensbestand im Sinne einer Sollertragsteuer qualifiziert werden, die als Realsteuer den aus dem realen Grundbesitz als Vermögensgegenstand fließenden Ertrag ohne Ansehung der individuellen Leistungsfähigkeit des Eigentümers besteuert.8 Steuersubjekt war die Person, der 1 Zum Begriff vgl. § 73 Bewertungsgesetz (BewG) vom 16.10.1934 in der Fassung der Bekanntmachung vom 1.2.1991 (BGBl. I S. 230), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 4.11.2016 (BGBl. I S. 2464). 2 Bundesbaugesetz (BBauG) vom 23.6.1960 (BGBl. I S. 341). 3 Grundsteuergesetz in der Fassung vom 10.8.1951 (BGBl. I S.519), geändert durch § 172 BBauG vom 23.6.1960 (BGBl. I S. 380 f.). 4 Gesetz zur Änderung grundsteuerlicher Vorschriften vom 10.6.1964 (BGBl. I S. 347). 5 Zur Verfassungskonformität der Baulandsteuer vgl. BFH, Urteil vom 19.4.1968, Az. 111 R 78/67 (BStBl. II 1968 S. 620); BVerwG, Urteil vom 16.4.1969, Az. VII C 59.67; zu den Gründen und der weiteren Diskussionen vgl. Troll/Eisele, Grundsteuergesetz, 11. Auflage 2014, § 15 Rn. 4. 6 BT-Drs. 3/1794, S. 126 f.; BT-Drs. 3/1794, S. 31; BT-Drs. 4/2142. 7 BT-Drs. 3/1794zu, S. 31. 8 Zur Rechtfertigung der Grundsteuer vgl. Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Auflage 2015, § 16 Rn. 2 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 5 das Steuerobjekt nach den Kriterien des wirtschaftlichen Eigentums zuzurechnen war. Steuerobjekt der Baulandsteuer war der im Gemeindegebiet belegene Besitz baureifer Grundstücke, d.h. Grundstücke, die in einem Bebauungsplan als Bauland festgesetzt und in ortsüblicher Weise für eine Bebauung ausreichend erschlossen waren (§ 12a Abs. 1 GrStG a.F.). Die Baulandsteuer sollte gebietsmäßig auf Gebiete mit einer stärkeren Wohnsiedlungstätigkeit beschränkt sein. Ausgenommen von der Steuer waren unter bestimmten Voraussetzungen baureife Grundstücke, die im Rahmen eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs bewirtschaftet wurden (§ 12a Abs. 6 GrStG a.F.). Die Baulandsteuer wurde in der Weise erhoben, dass die für die Berechnung der Grundsteuer maßgebende Steuermesszahl,9 die für unbebaute Grundstücke nach § 33 Ziff. 2 GrStDV10 im allgemeinen 5 vom Tausend beträgt, für baureife Grundstücke eine progressiv gestaffelte Erhöhung erfährt. Gemäß § 12a Abs. 2 GrStG a.F. betrug die erhöhte Steuermesszahl ab dem 1.1.1961 für unbebaute baureife Grundstücke 20 vom Tausend und sollte sich nach Ablauf von zwei Kalenderjahren , für die eine Steuermesszahl von 20 vom Tausend gegolten hat, auf 25 vom Tausend und nach Ablauf von weiteren zwei Kalenderjahren auf 30 vom Tausend erhöhen. Außerdem konnten die Gemeinden für die Baulandsteuer zusätzlich einen besonderen, von den übrigen Hebesätzen 11 abweichenden Hebesatz (Grundsteuer C) festsetzen (§ 12a Abs. 3 GrStG a.F.). Wurde auf einem baureifen Grundstück ein (Wohn-)Gebäude errichtet, sollte die entrichtete Baulandsteuer in dem Umfang zurückerstattet werden, in dem sie über die normale Grundsteuer für unbebaute Grundstücke hinausgegangen ist (§ 12a Abs. 5 GrStG a.F.).12 1.2. Anwendbarkeit des Unionsrechts Die Einführung einer Baulandsteuer als spezielle Grundsteuer betrifft die Ausgestaltung einer direkten Steuer. Direkte Steuern fallen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Machen die Mitgliedstaaten von ihrer Regelungszuständigkeit Gebrauch, so müssen sie ihre Zuständigkeiten unter Wahrung des Unionsrechts ausüben und dabei insbesondere die Grundfreiheiten, die allgemeinen und besonderen Diskriminierungsverbote sowie die Gewährleistungen der Charta der Grundrechte der EU (GRCh) beachten.13 Dementsprechend stellt sich die Frage, ob die Einführung einer Baulandsteuer, die in ihrer Ausgestaltung der im Jahre 1960 eingeführten entspricht, mit den europäischen Grundfreiheiten 9 Zum Begriff vgl. Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Auflage 2015, § 16 Rn. 23 ff. 10 Grundsteuerdurchführungsverordnung (GrStDV) vom 1.7.1937 (RGBl I S. 733). 11 Zum Hebesatzrecht der Gemeinden vgl. Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Auflage 2015, § 16 Rn. 28 f. 12 Vgl. BT-Drs. 3/1794, S. 32. 13 St. Rspr., vgl. EuGH, Rs. C-279/93 (Schumacker), Rn. 21, 26; EuGH, Rs. C-80/94 (Wielockx), Rn. 16; EuGH, Rs. C-250/95 (Futura Participations und Singer), Rn. 19; EuGH, Rs. C-324/00 (Lankhorst-Hohorst), Rn. 26; EuGH, Rs. C-446/03 (Marks&Spencer), Rn. 29; EuGH, Rs. C-319/02 (Manninen), Rn. 19; EuGH, Rs. C-104/06 (Kommission /Schweden), Rn. 12; EuGH, Rs. C-293/06 (Deutsche Shell), Rn. 30 ff.; EuGH, Rs. C-337/08 (X Holding), Rn. 18 f.; EuGH, Rs C-282/12 (Itelcar), Rn. 26. Vgl. auch Hufeld, Steuerstaat als Staatsform in Europa, in: Depenheuer u.a. (Hrsg.), Staat im Wort: Festschrift für Josef Isensee, 2007, S. 857 (862); Lenaerts, Die Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften auf dem Gebiet der direkten Besteuerung , EuR 2009, S. 728 (729). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 6 (hierzu 2.), mit den Unionsgrundrechten (hierzu 3.) sowie mit dem europäischen Wettbewerbsrecht (hierzu 3.) vereinbar ist. 2. Grundfreiheiten 2.1. Vorbemerkung Die europäischen Grundfreiheiten sind maßstäblich für eine diskriminierungs- und beschränkungsfreie Ausgestaltung der nationalen Steuersysteme. Mit Blick auf die unterschiedlichen Gewährleistungsgehalte der Grundfreiheiten stellt sich die Frage nach ihrer konkreten Anwendbarkeit in Konkurrenz zueinander. Vorliegend kommen dabei insbesondere die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) und die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) in Betracht. Die Kapitalverkehrsfreiheit ist dabei grundsätzlich subsidiär anwendbar im Verhältnis zur Niederlassungsfreiheit . Für die Abgrenzung der beiden Grundfreiheiten ist der Gegenstand der nationalen Regelung entscheidend.14 Erfasst die fragliche nationale Regelung bereits abstrakt nicht nur solche Vorgänge , die der Niederlassungsfreiheit unterfallen, so ist stets auch die Niederlassungsfreiheit anwendbar .15 Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend die Vereinbarkeit der oben dargestellten Baulandsteuer mit der Kapitalverkehrsfreiheit und der Niederlassungsfreiheit dargestellt. 2.2. Vereinbarkeit mit der Kapitalverkehrsfreiheit 2.2.1. Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit Die in Art. 63 Abs. 1 AEUV normierte Kapitalverkehrsfreiheit verbietet alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Staaten. Unter dem Begriff „Kapital“ werden allgemein alle Vermögenswerte verstanden.16 So beschreibt der EuGH den Kapitalverkehr als „Transfer von Vermögenswerten“17 und greift in ständiger Rechtsprechung zur näheren Konkretisierung des Begriffs auf Anhang I der Kapitalverkehrsrichtlinie 88/36118 zurück.19 Nach dieser enumerativen, aber nicht abschließenden Aufzählung fallen unter den Begriff des Kapitalverkehrs allgemein grenzüberschreitende Übertragungen 14 Vgl. EuGH, Rs. C-374/04 (Test Claimants), Rn. 37 f.; EuGH, Rs. C-196/04 (Cadburry Schweppes), Rn. 31 ff. sowie Jacobs/Endres/Spengel, in: Jacobs (Hrsg.), Int. Unternehmensbesteuerung, 8. Auflage 2016, S. 205 ff. 15 Vgl. EuGH, Rs. C-415/05 (ELISA), Rn. 57 ff.; EuGH, Rs. C-35/11 (Test Claimants II), Rn. 90 ff.; EuGH, Rs. C-282/12 (Itelcar), Rn. 16 ff. 16 Von Wilmowsky, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundfreiheiten und Grundrechte, 2009, § 12 IV 1, Rn. 2. 17 EuGH, verb. Rs. C-358/93 und 416/93 (Aldo Bordessa u.a.), Rn. 13. 18 Richtlinie 88/361 des Rates vom 24 Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages, ABl. L 178, S. 5 ff., online abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=OJ:L:1988:178:0005:0018:DE:PDF. 19 EuGH, Rs. C-222/97 (Trummer), Rn. 21; EuGH, Rs. C-468/98 (Kommission/Schweden), Rn. 5. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 7 von Geld- oder Sachkapital, die primär zu Anlagezwecken erfolgen.20 Hierzu zählen auch Immobilieninvestitionen bzw. die Ausübung des Rechts, im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates Immobilien zu erwerben, zu nutzen und darüber zu verfügen.21 Die Einführung einer Baulandsteuer würde aufgrund der vorgesehenen Besteuerung des Besitzes eines baureifen Grundstückes den Erwerb und Besitz einer solchen Immobilie betreffen. Entsprechend der Normenklatur im Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG, wonach die Investition einer Immobilie von Gebietsfremden im Inland zu den dem Kapitalverkehr unterfallenden Geschäften zählt, fällt auch der Immobilienerwerb in den sachlichen Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit .22 Somit fällt auch eine Baulandsteuer in den sachlichen Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit. Die Grundfreiheiten gelangen nur zur Anwendung, wenn ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt. Ein grenzüberschreitender Bezug ist hergestellt, wenn sich die in dem Mitgliedstaat angestrebten Regelungen im Hinblick auf den Marktzutritt oder Marktaustritt eines Grundfreiheitsberechtigten in mehr als nur einem Mitgliedstaat auswirken. Ein solcher Bezug besteht somit dann, wenn Kapitalgeber, Kapitalnehmer und Kapitalgut nicht im gleichen Staat ansässig bzw. belegen sind.23 2.2.2. Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit 2.2.2.1. Allgemeine Maßstäbe Art. 63 Abs. 1 AEUV verbietet alle Beschränkungen des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und gegenüber dritten Ländern. Unter Beschränkung wird jede nationale Maßnahme verstanden, die geeignet ist, von der Wahrnehmung der Freiheit abzuschrecken oder grenzüberschreitenden Kapitalverkehr weniger attraktiv zu machen.24 Der Begriff der Beschränkung in Art. 63 Abs. 1 AEUV umfasst sowohl diskriminierende nationale Regelungen als auch solche Maßnahmen, die unterschiedslos für grenzüberschreitende und innerstaatliche Transaktionen gelten.25 20 Bröhmer, in: Callies/Ruffert, AEUV/EUV, 5.Auflage 2016, Art. 63 AEUV, Rn. 10. 21 EuGH, verb. Rs. C-515/99 u.a. (Reisch), Rn. 29; EuGH, Rs. C-370/05 (Festersen), Rn. 22 f. 22 Vgl. Punkt II des Anhangs I zur Richtlinie 88/361/EWG sowie EuGH, Rs. C-423/98 (Albore), Rn. 14; EuGH, Rs. C-567/07 (Sint Servatius), Rn. 20. 23 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-515/99 u.a. (Reisch), Rn. 29; EuGH, Rs. C-567/07 (Sint Servatius), Rn. 20; zum persönlichen Anwendungsbereich vgl. Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 52. Ergänzungslieferung 2014, Art. 63 AEUV, Rn. 109 ff. 24 St. Rspr. des EuGH, vgl. Rs. C-439/97 (Sandoz), Rn. 19; Rs. C-484/93 (Svensson); Rn. 10; Rs. C-222/97 (Trummer), Rn. 26 f.; Rs. C-483/99 (Kommission/Frankreich), Rn. 41; Rs. C-463/00 (Kommission/Spanien), Rn. 61; EuGH, Rs. C-265/04 (Bouanich), Rn. 34; EuGH, Rs. C-112/05 (Kommission/Deutschland), Rn. 52 ff. 25 Vgl. EuGH, Rs. C-463/00 (Kommission/Spanien), Rn. 61; EuGH, Rs. C-171/08 (Kommission/Portugal), Rn. 68. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 8 Es sind somit alle nationalen Regelungen unzulässig, die In- und Auslandssachverhalte prima facie zwar gleich behandeln, aber grenzüberschreitende Betätigungen gegenüber den rein innerstaatlichen faktisch erschweren.26 Dementsprechend zählen zu den nach Art. 63 Abs. 1 AEUV verbotenen Beschränkungen des Kapitalverkehrs solche Maßnahmen, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat und die dort Ansässigen von Investitionen in einem anderen Staat abzuhalten.27 Hierunter fallen sowohl Maßnahmen, die geeignet sind, den Erwerb von in anderen Mitgliedstaaten belegenen Immobilien zu verhindern oder zu beschränken als auch Maßnahmen, die davon abhalten können, solche Immobilien zu behalten.28 2.2.2.2. Folgerungen für den Bereich der direkten Steuern Im Bereich der direkten Steuern liegt eine die Ausübung der Grundfreiheiten beschränkende Ungleichbehandlung insbesondere dann vor, wenn unterschiedliche Vorschriften auf gleiche Situationen angewandt werden oder wenn dieselbe Vorschrift in unterschiedlichen Situationen angewandt wird.29 Eine steuerliche Ungleichbehandlung liegt demnach nicht vor, wenn die unterschiedliche Behandlung unter Berücksichtigung des verfolgten Ziels an objektiv nicht miteinander vergleichbaren Situationen anknüpft.30 Vor diesem Hintergrund setzt ein Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit voraus, dass ein Gebietsfremder, der sich hinsichtlich der Steuerpflicht objektiv in derselben Situation wie der in diesem Staat Ansässige befindet, unterschiedlich behandelt wird.31 Gebietsfremde und Gebietsansässige befinden sich im Hinblick auf die direkte Besteuerung regelmäßig nicht in der gleichen Situation, da das Einkommen, das ein Gebietsfremder im Hoheitsgebiet eines Staates erzielt, meist nur einen Teil seiner Gesamteinkünfte darstellt. Entsprechend § 1 Abs. 1 EStG ist dieses Globaleinkommen regelmäßig an dem Ort des gewöhnlichen Aufenthalts der betroffenen Person unbeschränkt einkommenssteuerpflichtig.32 Demgegenüber würde die Erhebung der oben beschriebenen Baulandsteuer jedoch gerade nicht auf die individuelle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen, sondern als Sollertragsteuer auf den Vermögensbestand abstellen . In diesem Fall wäre das Steuersubstrat das gleiche, ohne dass es zu einer Differenzierung 26 Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, 2009, Rn. 835. 27 EuGH, Rs. C-370/05 (Festersen), Rn. 24; EuGH, Rs. C-35/08 (Busley und Fernandez), Rn. 20 m.w.N. 28 EuGH, Rs. C-513/03 (van Hilten), Rn. 44; EuGH, Rs. C-377/07 (STEKO), Rn. 24; EuGH, Rs. C-35/08 (Busley und Fernandez), Rn. 20; EuGH, Rs. C-559/13 (Grünewald), Rn. 19. 29 EuGH, Rs. C-319/02 (Manninen), Rn. 28 f.; EuGH Rs. C-265/04 (Bouanich), Rn. 32 ff. 30 Vgl. in diesem Sinne die Entscheidungen des EuGH in den Rs. C-279/93 (Schumacker), Rn. 31 ff.; Rs. C-431/01 (Mertens), Rn. 32 ff.; Rs. C-152/03 (Ritter-Coulais), Rn. 19; Rs. C-347/04 (Rewe Zentralfinanz), Rn. 42 ff.; Rs. C-345/04 (Centro Equestre da Lezíria Grande Lda), Rn. 22 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-250/95 (Futura Participations und Singer), Rn. 21 f. und EuGH, Rs. C-446/03 (Marks&Spencer), Rn. 39; Rs. C-152/05 (Kommission /Deutschland), Rn. 18; Rs. C-318/07 (Persche), Rn. 24 ff.; Rs. C-337/08 (X Holding), Rn. 22; Rs. C-25/10 (Missionswerk ), Rn. 29; Rs. C-18/11 (Philips Electronics UK), Rn. 17. 31 Vgl. hierzu EuGH, Rs. C-279/93 (Schumacker), Rn. 36; EuGH, Rs. C-80/94 (Wielockx), Rn. 20. 32 Vgl. hierzu EuGH, Rs. C-279/93 (Schumacker), Rn. 31 ff.; EuGH, Rs C-234/01 (Gerritse), Rn. 43. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 9 nach der Ansässigkeit käme.33 Dementsprechend wäre ein Gebietsfremder bei Immobilieninvestitionen in Deutschland im Sinne des Art. 63 Abs. 1 AEUV in gleichen Maßen von einer Baulandsteuer betroffen, so dass hieraus keine Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Art. 63 Abs. 1 AEUV resultiert. Für dieses Ergebnis spricht zudem, dass die Grundfreiheiten mit dem Ziel der Errichtung eines Binnenmarktes (Art. 26 AEUV) eine beschränkungsfreie grenzüberschreitende Tätigkeit der Grundfreiheitsberechtigten und die Beseitigung von Marktzutritts- oder Marktaustrittshindernissen intendieren. Dementsprechend garantieren die Grundfreiheiten den diskriminierungs- und beschränkungsfreien Zugang zu den nationalen Märkten. Sofern der nationale Gesetzgeber innerhalb des nationalen Marktes eine Regelung trifft, so betrifft dies nicht die Frage des Marktzugangs oder des Marktaustritts an sich, sondern vielmehr die Möglichkeiten und Bedingungen auf diesem Markt. 2.2.2.3. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich damit feststellen, dass die Einführung und Erhebung der oben beschriebenen Baulandsteuer grundsätzlich – vorbehaltlich ihrer konkreten Ausgestaltung – keine unionsrechtswidrige Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit darstellt. 2.2.3. Rechtfertigung der Beschränkung Nähme man entgegen der hier vertretenen Auffassung an, dass die Einführung einer Baulandsteuer eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit im Sinne von Art. 63 Abs. 1 S. 1 AEUV bewirkt,34 so könnte sie gleichwohl gerechtfertigt sein. Nationale Maßnahmen, die den freien Kapitalverkehr beschränken, können aus den in Art. 65 AEUV normierten Gründen oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses unter der Voraussetzung gerechtfertigt sein, dass sie dazu geeignet sind, die Erreichung des angestrebten Ziels zu gewährleisten und dass sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.35 2.2.3.1. Geschriebener Rechtfertigungsgrund: Art. 65 Abs. 1 lit. a AEUV In diesem Zusammenhang kommt zunächst der geschriebene Rechtfertigungsgrund des Art. 65 Abs. 1 lit. a AEUV in Betracht. Danach ist es den Mitgliedstaaten gestattet, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln. Der Anwendungsbereich dieser Norm wurde 33 EuGH, Rs. C-80/94 (Wielockx), Rn. 20. Wegen der insoweit nur hypothetischen Fragestellung muss vorliegend eine Betrachtung der konkreten Auswirkungen des jeweils einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommens und der darin gewählten Anrechungs- oder Freistellungsmethode außer Betracht bleiben. 34 Beispielsweise mit der Begründung, dass eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit bereits dann vorliegt, wenn durch eine unterschiedslos geltende nationale Regelung das Interesse am Erwerb für ausländische Investoren verringert wird. Für dementsprechende gesellschaftsrechtliche Regelungen vgl. EuGH, Rs. C-112/05 (Kommission /Deutschland), Rn. 54. 35 EuGH, Rs. C-112/05 (Kommision/Deutschland), Rn. 72 f.; EuGH, Rs. C-104/06 (Kommission/Schweden), Rn. 25. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 10 durch eine zum Vertrag von Maastricht aufgenommene Erklärung Nr. 7 zu Art. 73d des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) (später Art. 58 EGV, jetzt Art. 65 AEUV) erheblich eingeschränkt. Danach gilt das in Art. 65 Abs. 1 lit. a AEUV statuierte Recht der Mitgliedstaaten , „die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, nur für die einschlägigen Vorschriften (…), die Ende 1993 bestehen“ (sog. Stillhalteerklärung).36 Seit der Beitrittsakte 2003 ist diese Stillhalteklausel auch im Primärrecht verankert.37 Neue Regelungen im Kapitalund Zahlungsverkehr der Mitgliedstaaten, die nach Wohnort oder Anlageort differenzieren, können damit nicht auf Art. 65 Abs. 1 lit. a AEUV gestützt und gerechtfertigt werden.38 2.2.3.2. Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe Richterrechtlich hat der EuGH seit seiner Cassis de Dijon-Entscheidung39 ungeschriebene Rechtfertigungsgründe entwickelt, die „zwingenden Erfordernisse des Allgemeinwohls/-interesses“.40 Es handelt sich hierbei um einen nicht abgeschlossenen Kanon.41 Eine Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses kommt grundsätzlich nur bei Maßnahmen in Betracht, die für alle im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats tätigen Personen oder Unternehmen gelten.42 Zu diesen gehören jedoch nicht rein wirtschaftliche Ziele.43 Es ist aber zulässig, wenn einer nationalen Regelung durch wirtschaftliche Ziele Überlegungen vorgegeben werden, mit denen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird.44 Die Einführung einer Baulandsteuer würde alle insoweit Steuerpflichtigen unterschiedslos treffen , so dass eine Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeinwohls grundsätz- 36 ABl. 1992 Nr. C 191/99. 37 Anhang IV der Akte über die Bedingungen des Beitritts von Tschechien, Estland, Zypern, Lettland, Litauen, Ungarn, Malta, Polen, Slowenien und der Slowakei, ABl. 2003 L 236/33 (797). 38 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 2010, Rdnr. 1002; Glasner, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2009, Art. 58 EGV, Rn. 2. 39 EuGH, Rs. 120/78 (Rewe Zentral), Rn. 8. 40 Zur Herleitung solcher zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses durch den EuGH vgl. von Wilmowsky, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2009, § 12 IV 1, Rn. 12. 41 Zu den spezifischen Rechtfertigungsgründen im Bereich des Steuerrechts vgl. Kokott/Ost, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, EuZW 2011, S. 496 (500 ff.); Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Auflage 2015, § 4 Rn. 93 ff. 42 EuGH, Rs. C-302/97 (Konle), Rn. 40 f.; Rs. C-503/99 (Kommission/Belgien), Rn. 45. EuGH, Rs. C-464/02 (Kommission /Dänemark), Rn. 34 f.; EuGH, Rs. C-318/05 (Kommission/Deutschland), Rn. 114 f. 43 EuGH, Rs. C-35/98 (Verkooijen), Rn.48. 44 EuGH, verb. Rs. C-105/12, C-106/12, C-107/12 (Essent u.a.), Rn. 52. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 11 lich in Betracht käme. Bei einer Ausgestaltung und Begründung der Baulandsteuer, die dem ordnungspolitischen Regelungszweck der früheren Steuer entspricht,45 könnte sich das rechtfertigungsfähige Allgemeininteresse u.a. aus dem Ziel der Beseitigung einer besonderen Wohnungsknappheit ergeben. Diesbezüglich hat der EuGH anerkannt, dass zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die den freien Kapitalverkehr beschränken dürfen, grundsätzlich nationale Regelungen zählen, die der Bekämpfung des Drucks auf dem Grundstücksmarkt oder der Erhaltung einer beständigen Bevölkerung in ländlichen Gebieten als Raumordnungsziel dienen.46 Dahingehende Erwägungen können durch bestimmte Besonderheiten, die die Lage auf dem innerstaatlichen Markt kennzeichnen wie beispielsweise ein struktureller Mangel an Wohnraum und eine besonders hohe Bevölkerungsdichte, an Bedeutung gewinnen.47 Dementsprechend ließe sich eine Baulandsteuer – in Abhängigkeit von ihrer tatsächlichen Ausgestaltung – grundsätzlich auf ein rechtfertigungsfähiges Allgemeininteresse stützen. 2.2.3.3. Verhältnismäßigkeit Die Ausgestaltung der Baulandsteuer muss mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sein. Das setzt voraus, dass die beschränkende Maßnahme geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Zieles erforderlich ist.48 Zudem muss die Maßnahme im Hinblick auf die Verfolgung des legitimen Zweckes angemessen sein.49 2.2.3.3.1. Geeignetheit Zunächst müsste die Regelung geeignet sein, das projektierte Ziel zu erreichen. Das ist der Fall, wenn sie für das Erreichen der zwingenden Gründe des Allgemeinwohlinteresses tatsächlich förderlich ist.50 Der EuGH legt hinsichtlich der Geeignetheit einer Maßnahme regelmäßig keine hohen Anforderungen an, sondern verweist auf den Einschätzungs- und Prognosespielraum der 45 Siehe hierzu oben 1.1. 46 EuGH, Rs. C-302/97 (Konle), Rn. 40; EuGH, verb. Rs. C-515/99 u.a. (Reisch), Rn. 29; EuGH, Rs. C-483/99 (Kommission /Frankreich), Rn. 45; EuGH, Rs. C-503/99 (Kommission/Belgien), Rn. 45; EuGH, Rs. C-152/05 (Kommission /Deutschland), Rn. 26 f.; EuGH, Rs. C-370/05 (Festersen), Rn. 22 f.; EuGH, Rs. C-567/07 (Sint Servatius), Rn. 29 ff. 47 EuGH, Rs. C-567/07 (Sint Servatius), Rn. 30. 48 EuGH, verb. Rs. C-163/94 u.a. (Sanz de Lera), Rn.23; EuGH, Rs. C-503/99 (Kommission/Belgien), Rn. 45. 49 EuGH, Rs. C-205/99 (Analir u.a.), Rn. 35; EuGH, Rs. C-567/07 (Sint Servatius), Rn. 33. 50 Pache, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2010, § 10 Rn. 57. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 12 Mitgliedstaaten bei der Bewertung der Eignung.51 Verlangt wird allerdings, dass die nationale Regelung das Ziel in kohärenter52 und systematischer Weise verfolgt.53 Aufgrund der Besteuerung von unbebauten, baureifen Grundstücken wird den Besitzern und Erwerbern solcher Grundstücke ein Anreiz gegeben, diese zu bebauen. Das kann dazu führen, dass verstärkt in den Bau von Wohngebäuden investiert wird und so die Wohnraumbeschaffung gefördert und der Druck von den Grundstückmärkten gemindert wird. Es ist jedenfalls nicht offensichtlich , dass die Baulandsteuer zur Erreichung der verfolgten Ziele ungeeignet ist. Die Baulandsteuer ist daher zur Erreichung der von ihr verfolgten Ziele geeignet. In der Rechtssache C-35/08 (Busley und Fernandez) stellte der EuGH für § 7 Abs. 5 EStG a.F., welcher die degressive Abschreibungsmöglichkeit von der Belegenheit der Immobilie im Inland abhängig machte, fest, dass die Norm nicht geeignet war, ihr sozialpolitisches Ziel zu fördern. Vergleichbar mit dem (unterstellten) Regelungsziel einer Baulandsteuer intendierte § 7 Abs. 5 EStG a.F., „einen Anreiz zum Bau von Mietwohnungen zu schaffen, um den Bedarf der deutschen Bevölkerung an solchen Wohnungen zu decken“54. Die im Rahmen der Entscheidung C-35/08 (Busley und Fernandez) getroffenen Feststellungen können auch bei der Einführung einer Baulandsteuer Berücksichtigung finden: „Selbst wenn das genannte Ziel eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich, dass eine derartige nationale Maßnahme, die klar danach unterscheidet, ob die Mietwohnungen im Inland belegen sind oder nicht, geeignet wäre, seine Erreichung zu gewährleisten. Anstatt nämlich Orte festzulegen, an denen der Mangel an Mietwohnungen besonders ausgeprägt wäre, lässt § 7 Abs. 5 S. 1 Nr. 3a EStG a.F. … den in Deutschland von Region zu Region unterschiedlichen Bedarf unberücksichtigt. Zudem kann für alle Kategorien von Mietwohnungen – von der einfachsten bis zur luxuriösesten – eine degressive Abschreibung in Anspruch genommen werden. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass private Investoren, die sich in erster Linie von finanziellen Erwägungen leiten lassen, das angeblich sozialpolitische Ziel dieser Bestimmung erfüllen.“55 2.2.3.4. Erforderlichkeit und Angemessenheit Bejahte man die Geeignetheit der Einführung einer Baulandsteuer, so müsste sie erforderlich dafür sein, den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck zu erreichen. Dieses Kriterium wäre dann nicht 51 EuGH, Rs. C-293/93 (Houtwipper), Rn. 22; EuGH, Rs. C-394/97 (Sami Heinonen), Rn. 43; EuGH, Rs. C-208/05 (ITC), Rn. 39. 52 Dieser Begriff ist abzugrenzen von der Kohärenz des Steuersystems als Rechtfertigungsgrund, vgl. Kokott/Ost, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, EuZW 2011, S. 496 (500 ff.). 53 EuGH, verb. Rs. C-338/04 u.a. (Placanica u.a.), Rn. 53 ff.; vgl. Sedlaczek/Züger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 65 AEUV, Rn. 47. 54 EuGH, Rs. C-35/08 (Busley und Fernandez), Rn. 31. 55 EuGH, Rs. C-35/08 (Busley und Fernandez), Rn. 32. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 13 gegeben, wenn der Zweck mit genauso wirksamen milderen Mitteln erfüllt werden könnte.56 Zudem müsste die Maßnahme auch in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen .57 Dabei ist eine Abwägung zwischen der von der Beeinträchtigung ausgehenden Intensität und der Bedeutung des verfolgten Zieles vorzunehmen.58 Für den Zweck, das Angebot von (Miet-)Wohnungen insbesondere auf angespannten Wohnungsmärkten in Ballungsgebieten zu verstärken und in diesen Gebieten eine verbesserte Versorgung mit (Miet-)Wohnungen zu erreichen, ist ein milderes Mittel ohne weitgehende staatliche Interventionen schwer denkbar. Eine konkrete Prüfung der Erforderlichkeit und der Angemessenheit der in der Fragestellung dieser Ausarbeitung angedeuteten Regelung setzt eine genaue Analyse ihrer konkreten Ausgestaltung voraus, die an dieser Stelle mangels konkretisierter Regelung nicht vorgenommen werden kann. 2.3. Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit 2.3.1. Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit Die Niederlassungsfreiheit schützt die freie Niederlassung von Unionsbürgern und gilt sowohl für natürliche Personen als auch für juristische Personen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründet wurden und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben (Art. 54 Abs. 1 AEUV). Der sachliche Schutzbereich erfasst Beschränkungen der freien Niederlassung im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und bezieht sich dabei sowohl auf die Hauptniederlassung (vgl. Art. 49 Abs. 1 S. 1 AEUV) als auch auf die Nebenniederlassungen (vgl. Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV). Unter Niederlassung wird die dauerhafte Ausübung einer wirtschaftlichen, selbständigen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung und einer dauerhafte Präsenz in einem anderen Mitgliedsstaat verstanden.59 Die Baulandsteuer knüpft an den Besitz eines baureifen Grundstückes an, der auch zur Ausübung einer wirtschaftlichen, selbständigen Tätigkeit erfolgen kann. Um in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit zu fallen, muss der Besitz eines unbebauten Grundstückes dem Erfordernis der dauerhaften Präsenz zur Ausübung einer wirtschaftlichen, selbständigen Tätigkeit entsprechen . Dies ist beispielsweise der Fall bei einer aktiven Verwaltung des Besitzes.60 Vor diesem Hintergrund kann der Anwendungsbereich im Hinblick auf die Einführung und Erhebung einer Baulandsteuer dann eröffnet sein, wenn im Rahmen eines grenzüberschreitenden 56 EuGH, verb. Rs. C-163/94, C-165/94 und C-250/94 (Sanz de Lera u.a.), Rn.23; EuGH, Rs. C-205/99 (Analir u.a.), Rn.35. 57 EuGH, Rs. C-205/99 (Analir u.a.), Rn.35; EuGH, Rs. C-567/07 (Sint Servatius), Rn. 33. 58 Vgl. Kingreen, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), AEUV/EUV, 5.Auflage 2016, Art. 34-36 AEUV, Rn. 98. 59 Vgl. EuGH, Rs. C-386/04 (Stauffer), Rn. 17 ff.; EuGH, Rs. C-451/05 (ELISA), Rn. 55. 60 Vgl. EuGH, Rs. C-386/04 (Stauffer), Rn. 17 ff.; EuGH, Rs. C-451/05 (ELISA), Rn. 64 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 14 Sachverhalts ein baureifes, unbebautes Grundstück im Rahmen der Ausübung einer selbständigen , wirtschaftlichen Tätigkeit erworben oder besessen wird oder dieses Grundstück durch eigene selbständige, wirtschaftliche Tätigkeit verwaltet wird. 2.3.2. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit Die Niederlassungsfreiheit umfasst ein Diskriminierungs- und ein Beschränkungsverbot.61 Dabei ist insbesondere auf den Vergleich der steuerlichen Belastung rein innerstaatlicher Vorgänge mit vergleichbaren grenzüberschreitenden Vorgängen abzustellen. Der Besitz eines baureifen Grundstückes als Belastungsgrund einer Baulandsteuer ist ein Merkmal , durch das Inländer wie auch Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten in gleicher Weise berührt werden. Vor diesem Hintergrund erscheint die Annahme einer unmittelbaren oder verdeckten Diskriminierung62 insoweit fernliegend, da die oben dargestellte Baulandsteuer an den Besitz eines baureifen Grundstücks und nicht an die Staatsangehörigkeit bzw. den Sitz einer Gesellschaft anknüpft. Die Einführung und Erhebung einer Baulandsteuer könnte gegen das Beschränkungsverbot verstoßen .63 Dies wäre der Fall, wenn sie zwar ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit Anwendung findet, jedoch die Ausübung der Niederlassungsfreiheit verbietet, behindert oder weniger attraktiv macht. Dabei genügt es bereits, dass die Regelung geeignet ist, die Ausübung einer Grundfreiheit weniger attraktiv zu machen.64 Hieraus folgt für den Tätigkeitsstaat, dass Angehörige anderer Mitgliedstaaten bei ihrer Niederlassung nicht benachteiligt werden dürfen. Dem Wohnsitzstaat bzw. Sitzstaat untersagt das Beschränkungsverbot Regelungen, welche die freie Niederlassung seiner Staatsangehörigen bzw. nach seinem Recht gegründeter Gesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat behindern oder vergleichbare Investitionen im Inland und Ausland ungleich behandeln.65 Die Baulandsteuer 61 Zu den Voraussetzungen vgl. im Überblick Korte, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5.Auflage 2016, Art. 49, Rn. 46 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 43. EL 2011, Art. 49 AEUV, Rn. 74 ff. 62 Zu den Maßstäben vgl. Kokott/Ost, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, EuZW 2011, S. 496 (497); Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Auflage 2015, § 4 Rn. 86 ff. 63 Zum Beschränkungsverbot der Niederlassungsfreiheit im Bereich direkter Steuern vgl. EuGH, Rs. C-81/87 (Daily Mail), Rn. 20 ff.; EuGH, Rs. C-9/02 (de Lasteyrie du Saillant), Rn. 39 ff.; EuGH, Rs. C-231/05 (Oy AA), Rn. 29 ff.; zur begrifflichen Unschärfe der Abgrenzung des Diskriminierungs- und des Beschränkungsverbots im Bereich der direkten Steuern durch den EuGH vgl. Kokott/Ost, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, EuZW 2011, S. 496 (498). 64 EuGH, Rs. 19/92 (Kraus), Rn.32; EuGH, Rs. 55/94 (Gebhard), Rn. 37; EuGH, Rs. C-42/07 (Bwin International), Rn. 51; EuGH, Rs. C-89/09 (Kommission/Frankreich), Rn. 44. 65 EuGH, Rs. C-81/87 (Daily Mail), Rn. 20 ff.; EuGH, Rs. C-9/02 (de Lasteyrie du Saillant), Rn. 39 ff.; EuGH, Rs. C-471/04 (Keller Holding), Rn. 29 ff.; EuGH, Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Rn. 35 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 15 knüpft an den Besitz eines unbeweglichen Gegenstandes an und wird von einem Teil des Vermögens des Besitzers erhoben.66 Aufgrund dieser unterschiedslos wirkenden Besteuerungsvoraussetzungen erfährt eine natürliche oder juristische Person aus einem anderen Mitgliedstaat, die ihre Niederlassungsfreiheit im Inland ausüben möchte, keinen Nachteil im Vergleich zu inländischen Wirtschaftsteilnehmern. Auch werden ausländische Investoren weder in Abhängigkeit des Sitzes ihrer Tochtergesellschaften noch in Abhängigkeit der Belegenheit ihrer Betriebsstätten unterschiedlich belastet. Vorbehaltlich einer Prüfung des konkreten Einzelfalls – beispielsweise im Hinblick auf die steuerlichen Auswirkungen der Verlagerung des Verwaltungssitzes, der steuerlichen Abzugsfähigkeit oder Aspekte der Doppelbesteuerung – folgt allein aus dem Umstand, dass die Ausübung der Grundfreiheit mit steuerlichen Belastungen verbunden ist, keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit bzw. kein Eingriff in ihren Gewährleistungsgehalt. Die Grundfreiheiten verlangen nicht, dass die Verlagerung einer Tätigkeit in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der Besteuerung neutral ist.67 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Einführung und Erhebung der oben beschriebenen Baulandsteuer grundsätzlich – vorbehaltlich ihrer konkreten Ausgestaltung – keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt. 2.3.3. Rechtfertigung Nähme man entgegen der hier vertretenen Auffassung an, dass die Einführung einer Baulandsteuer eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 49 Abs. 1 S. 1 AEUV bewirkt,68 so könnte sie gleichwohl gerechtfertigt sein. 2.3.3.1. Rechtfertigungsgründe Zunächst könnte eine Rechtfertigung gem. Art. 52 Abs. 1 AEUV in Betracht kommen. Hierbei erscheint jedoch bereits fernliegend, die Einführung der oben beschriebenen Baulandsteuer und deren Erhebung angesichts ihrer unterschiedslosen Anknüpfung an den Besitz unbebauter baureifer Grundstücke als „Sonderregelung für Ausländer“ zu qualifizieren. Mit Blick auf den intendierten Regelungszweck der Baulandsteuer, d.h. die Ordnung des Baulandmarktes zur Beseitigung einer künstlichen Verknappung des Angebotes an baureifen Grundstücken, erscheinen auch die in Art. 52 Abs. 1 AEUV genannten Rechtfertigungsgründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit vorliegend nicht einschlägig.69 66 Vgl. EuGH, Rs. C-451/05 (ELISA), Rn. 35 ff. 67 Vgl. EuGH, Rs. C-293/06 (Deutsche Shell), Rn. 43. 68 Beispielsweise mit der Begründung, dass eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit bereits dann vorliegt, wenn durch eine unterschiedslos geltende nationale Regelung das Interesse am Erwerb für ausländische Investoren verringert wird. Für dementsprechende gesellschaftsrechtliche Regelungen vgl. EuGH, Rs. C-112/05 (Kommission /Deutschland), Rn. 54. 69 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 43. EL 2011, Art. 52 AEUV, Rn. 20 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 16 Im Rahmen der Niederlassungsfreiheit kommen auch die in Bezug auf andere Grundfreiheiten anerkannten zwingenden Gründe des Allgemeininteresses als ungeschriebene Rechtfertigungsgründe in Betracht,70 sofern sie nicht auf rein wirtschaftlichen Erwägungen beruhen.71 Wie bereits oben im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit dargestellt, kann das Ziel der Bekämpfung des Drucks auf dem Grundstücksmarkt und die Sicherstellung eines ausreichenden Angebotes an Wohnraum einen rechtfertigenden, zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen und insoweit eine Beschränkung gerechtfertigt werden.72 2.3.3.2. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Schließlich müsste die Rechtfertigung einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit verhältnismäßig sein. Ausgehend von der oben beschriebenen Zielsetzung und Ausgestaltung der Baulandsteuer kann auf die Ausführungen zur Kapitalverkehrsfreiheit verwiesen werden. 2.4. Zusammenfassung Es sprechen überwiegende Gründe dafür, dass die Einführung einer Baulandsteuer keine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit oder der Niederlassungsfreiheit bewirkt. Bejaht man entgegen der hier vertretenen Auffassung eine Beschränkung, könnte diese grundsätzlich durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden. Ergänzend ist anzumerken, dass die hier vertretene Auffassung unter dem Vorbehalt der tatsächlichen Ausgestaltung einer Baulandsteuer steht. Eine abweichende Bewertung könnte sich bspw. dann ergeben, wenn die Baulandsteuer für im Inland ansässige Steuerpflichtige erstattet werden kann und dieser steuerliche Vorteil nicht gleichermaßen auf EU-ausländische Personen, die im Inland der Baulandsteuer unterliegen, Anwendung fände. 3. Unionsgrundrechte Fraglich ist, ob die Baulandsteuer auch an den Maßstäben der in der GRCh normierten Unionsgrundrechte , insbesondere am Eigentumsgrundrecht (Art. 17 GRCh) gemessen werden muss. Handeln die Mitgliedstaaten allein im Rahmen ihrer nationalen Kompetenzen, finden die Unionsgrundrechte keine Anwendung. Die Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte setzt voraus, dass die Baulandsteuer in den Anwendungsbereich der GRCh fällt. Gem. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh gilt die Charta für die Mitgliedstaaten „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“. Im Rahmen der Auslegung von Art. 51 GRCh hat der EuGH 70 EuGH, Rs. C-55/94 (Gebhard), Rn. 37; EuGH, Rs. C-442/02 (CaixaBank France), Rn. 17; EuGH, Rs. C-400/08 (Kommission/Spanien), Rn. 74. 71 Vgl. EuGH, Rs. C-96/08 (Ciba), Rn. 48; EuGH, Rs. C-400/08 (Kommission/Spanien), Rn. 98. 72 EuGH, Rs. C-370/05 (Festersen), Rn. 27 f.; EuGH, Rs. C-567/07 (Sint Servatius), Rn. 27 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 17 festgestellt, dass eine nationale Rechtsvorschrift dann anhand der Maßstäbe der GRCh zu beurteilen ist, wenn sie in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt.73 Dies bedeutet jedoch nicht, dass insoweit ein abstrakter Bezug zwischen dem nationalen Recht und dem Unionsrecht ausreicht, damit der Anwendungsbereich der GRCh eröffnet ist.74 Der Begriff der „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne von Art. 51 GRCh verlangt einen hinreichenden Zusammenhang mit dem Unionsrecht von einem gewissen Grad, der darüber hinausgeht, dass die fraglichen Sachbereiche benachbart sind oder der eine von ihnen mittelbare Auswirkungen auf den anderen haben kann.75 Um festzustellen, ob eine nationale Regelung die Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 GRCh betrifft, ist u. a. zu prüfen, ob mit ihr eine Durchführung einer Bestimmung des Unionsrechts bezweckt wird,76 welchen Charakter diese Regelung hat und ob mit ihr nicht andere als die unter das Unionsrecht fallenden Ziele verfolgt werden, selbst wenn sie das Unionsrecht mittelbar beeinflussen kann, sowie ferner, ob es eine Regelung des Unionsrechts gibt, die für diesen Bereich spezifisch ist oder ihn beeinflussen kann.77 Vor diesem Hintergrund ist zunächst festzustellen, dass die Einführung und Erhebung einer Baulandsteuer nicht in Durchführung des primären oder sekundären Unionsrechts erfolgt. Vielmehr läge hierin ein Handeln eines Mitgliedstaates im Rahmen seiner eigenen, unionsrechtlich nicht determinierten Zuständigkeiten. Auch die Pflicht zur Beachtung des Unionsrechts im Rahmen der nationalen Steuergesetzgebung78 ist als mittelbarer Zusammenhang für sich genommen nicht ausreichend, um die Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte zu begründen. Eine „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh könnte jedoch insoweit vorliegen, dass die Unionsgrundrechte auch bei Beschränkungen der Grundfreiheiten durch die Mitgliedstaaten zur Anwendung kommen.79 Wenn sich ein Mitgliedstaat auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses beruft, um eine Regelung zu rechtfertigen, die geeignet ist, die Ausübung einer Grundfreiheit zu behindern, so ist diese im Unionsrecht vorgesehene Rechtfertigung im Licht der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts und insbesondere der nunmehr 73 EuGH, Rs. C-617/10 (Åkerberg Fransson), Rn. 19 ff.; EuGH, Rs. C-390/12 (Pfleger), Rn. 33 ff.; zur Diskussion vgl. im Überblick Wollenschläger, in: Hatje/Müller-Graff (Hrsg.), EnzEuR Band 1, 2014, § 8, Rn. 16 ff. 74 Vgl. BVerfGE 133, 277 (316); 140, 316 (336 ff., 352 ff.) sowie die Präzisierung in EuGH, Rs. C-206/13 (Siragusa), Rn. 24 ff.; zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. im Überblick Haltern, Europarecht, Band II, 3. Auflage 2017, Rn. 1607 ff. 75 EuGH, Rs. C-206/13 (Siragusa), Rn. 24; EuGH, Rs. C-218/15 (Paoletti u.a.), Rn. 14. 76 Vgl. EuGH, Rs. C-682/15 (Berlioz Investment Fund), Rn. 32 ff. 77 EuGH, Rs. C-198/13 (Hernández u.a.), Rn. 32 ff; EuGH, Rs. C-206/13 (Siragusa), Rn. 25 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-309/96 (Annibaldi), Rn. 21 ff.; EuGH, Rs. C-40/11 (Iida), Rn. 79; EuGH, Rs. C-87/12 (Ymeraga u. a.), Rn. 41. 78 Siehe oben 1.2. 79 EuGH, Rs. C-368/95 (Familiapress), Rn. 24 f.; EuGH, Rs. C-71/02 (Karner), Rn. 48 ff.; EuGH, Rs. C-390/12 (Pfleger ), Rn. 35 f.; EuGH, Rs. C-235/14 (Safe Interenvíos), Rn. 103; vgl. hierzu Wollenschläger, in: Hatje/Müller-Graff (Hrsg.), EnzEuR Band 1, 2014, § 8, Rn. 25 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/17 Seite 18 durch die Charta garantierten Grundrechte auszulegen.80 Entsprechend der vorliegend vertretenen Auffassung, wonach die Einführung und Erhebung einer Baulandsteuer keine Beeinträchtigung der einschlägigen Grundfreiheiten bewirkt, wäre insoweit auch der Anwendungsbereich der GRCh nicht eröffnet. 4. Vereinbarkeit mit dem Beihilfenrecht Abschließend ist anzumerken, dass die Einführung einer Baulandsteuer mit dem unionsrechtlichen Beihilfenverbot (Art. 107 AEUV) vereinbar sein muss. Danach ist zu berücksichtigen, dass eine Baulandsteuer nicht als steuerliche Verschonungssubvention ausgestaltet wird. Ausgehend von der beihilferechtlichen Rechtsprechung des EuGH darf eine mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbare Baulandsteuer als staatliche und staatlich finanzierte Maßnahme nicht bestimmten Unternehmen einen selektiven Vorteil in Gestalt einer steuerlichen Entlastung verschaffen , den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen und eine wettbewerbsverfälschende Wirkung haben. - Fachbereich Europa - 80 EuGH, Rs. C-390/12 (Pfleger), Rn. 35.