© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 24/16 Rechtliche Spielräume für die Verlängerung der Umsetzungs- und Übergangsfristen bei der Umsetzung der Tabakproduktrichtlinie (EU) 2014/40 Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/16 Seite 2 Rechtliche Spielräume für die Verlängerung der Umsetzungs- und Übergangsfristen bei der Umsetzung der Tabakproduktrichtlinie (EU) 2014/40 Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 24/16 Abschluss der Arbeit: 24. Februar 2016 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Hintergrund 4 3. Antwort 5 3.1. Mitgliedsstaalicher Umsetzungsspielraum 5 3.2. Argument einer zu kurz bemessenen Fristbestimmung 5 3.3. Ergänzung: Eventuelle Rechtswidrigkeit oder Nichtigkeit einer Richtlinie 6 4. Zusammenfassung 7 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/16 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung geht der Frage nach, ob bei der Umsetzung der sog. Tabakproduktrichtlinie1 (im Folgenden auch: RL 2014/40) Spielräume für die Verlängerung des Umsetzungsdatums und des in der Richtlinie vorgesehenen Zeitraums für Übergangsbestimmungen bestehen. 2. Hintergrund Die am 3. April 2014 beschlossene Tabakproduktrichtlinie hat die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Melde- und Kennzeichnungspflichten im Zusammenhang mit Tabakerzeugnissen und für Verkaufsverbote einzelner Tabakerzeugnisse zum Ziel, vgl. Art. 1 RL 2014/40. Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 RL 2014/40 muss die Richtlinie bis zum 20. Mai 2016 in nationales Recht umgesetzt werden. Die Maßnahmen sind nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 2 RL 2014/40 auf nationaler Ebene ab dem 20. Mai 2016 anzuwenden. Für Tabakerzeugnisse, die der Tabakproduktrichtlinie nicht genügen und die vor dem 20. Mai 2016 hergestellt oder in den Verkehr gebracht und entsprechend der Richtlinie (EG) 2001/372 gekennzeichnet wurden, dürfen die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen gemäß Art. 30 lit. a. RL 2014/40 bis zum 20. Mai 2017 zulassen. Gleiches gilt für das Inverkehrbringen von vor dem 20. November 2016 in den Verkehr gebrachten oder hergestellten elektronischen Zigaretten und Nachfüllbehältern (lit. b.) sowie von vor dem 20. Mai 2016 in den Verkehr gebrachten oder hergestellten pflanzlichen Raucherzeugnissen (lit. c.). 1 Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG, ABl.EU 2014 Nr. L 127/1, letzte konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02014L0040- 20150106&qid=1456324493955&from=DE (letztmaliger Abruf am 26.02.16). 2 Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen, ABl.EU 2001 Nr. L 194/26, letzte konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02001L0037- 20120328&qid=1456404313630&from=DE (letztmaliger Abruf am 26.02.16). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/16 Seite 5 3. Antwort Eine Richtlinie bedarf zu ihrer Anwendung grundsätzlich der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten .3 Nach Art. 288 Abs. 3 AEUV ist eine Richtlinie für die Mitgliedstaaten nämlich nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels bzw. Ergebnisses4 verbindlich, überlässt den Mitgliedstaaten aber die Wahl der Form und Mittel. 3.1. Mitgliedstaalicher Umsetzungsspielraum Aufgrund der Umsetzungsnotwendigkeit von Richtlinien kommt den Mitgliedsstaaten – ungeachtet ihrer Wahlfreiheit hinsichtlich Umsetzungsform und -mittel – oftmals ein inhaltsbezogener Umsetzungsspielraum zu. Dieser reicht allerdings nur soweit, wie die normativen Vorgaben der einzelnen Richtlinienbestimmungen das zulassen.5 Wie oben ausgeführt, legt die Tabakproduktrichtlinie in Art. 29 Abs. 1 bzw. Art. 30 sowohl das Umsetzungs- und Anwendungsdatum fest als auch die zulässige Dauer von Übergangsregelungen für bestimmte Tabakerzeugnisse, die den geltenden Richtlinienvorgaben nicht genügen. Abweichungen von diesen Vorgaben sieht die Tabakproduktrichtlinie nicht vor, so dass den Mitgliedstaaten für eine Verlängerung dieser Fristen kein Spielraum zukommt. 3.2. Argument einer zu kurz bemessenen Fristbestimmung Eine eventuelle Abweichung von den Fristvorgaben der Tabakproduktrichtlinie kann nicht mit einem Verweis auf eine zu kurz bemessene Umsetzungsfrist begründet werden. Nach Ansicht des EuGH kann eine zu späte Umsetzung durch die Mitgliedstaaten nicht mit dem Argument gerechtfertigt werden, dass die Umsetzungsfrist zu kurz war.6 Ist ein Mitgliedstaat der Ansicht, dass eine 3 Die Ausnahme besteht im Fall der hier nicht weiter relevanten sog. unmittelbaren Anwendbarkeit oder auch Wirkung von Richtlinien, die der EuGH in seiner Rechtsprechung entwickelt hat. Danach kann sich der Einzelne unter bestimmten Bedingungen ausnahmsweise auch unmittelbar auf die (nicht oder falsch umgesetzte) Richtlinie berufen. Hierbei handelt es sich letztlich um ein Sanktionsinstrument gegenüber Mitgliedstaaten, die Richtlinien nicht fristgerecht oder falsch umsetzen. Siehe dazu Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 9. Aufl. 2014, Rn. 389 ff. 4 So die allgemeine Auffassung im Schrifttum mit Verweis auf die englische und französische Sprachfassung, in der der Begriff des Ergebnisses anstelle der Bezeichnung „Ziel“ verwendet wird (engl. „binding, as to the result to be achieved“; frz. „destinataire quant au résultat à atteindre“), vgl. König, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 3. Aufl. 2015, § 2, Rn. 46; Frenz, Handbuch Europarecht, Band 5 – Wirkungen und Rechtsschutz, 2010 (im Folgenden: Frenz, Handbuch EuR 5), Rn. 907; Geismann, in: von der Groben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015 (im Folgenden: von der Groben/Schwarze/Hatje), Art. 288 AEUV, Rn. 41. 5 Vgl. kritisch zu der Entwicklung des zunehmenden Regelungsumfangs der Richtlinien: Generalanwalt Jacobs, Schlussantrag zu C-316/93 (Vaneetveld), Ziff. 28. 6 EuGH, Urteil vom 26.02.1976 – C-52/75 (Kommission/Italien), Rn. 11/13. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/16 Seite 6 Umsetzungsfrist zu kurz bemessen ist, so muss er auf eine (nachträgliche) Fristverlängerung im Wege der Rechtssetzung auf EU-Ebene hinwirken.7 Nach dem Grundgedanken dieses Urteils sind auf EU-Ebene abschließend getroffene Entscheidungen zur Umsetzungsfrist und zu Übergangsbestimmungen von den Mitgliedstaaten und ihren Parlamenten hinzunehmen, soweit die Richtlinie selbst keine Abweichungsoptionen vorsieht. 3.3. Ergänzung: Eventuelle Rechtswidrigkeit oder Nichtigkeit einer Richtlinie Der Ergänzung halber soll noch auf zwei Konstellationen hingewiesen werden, für deren Einschlägigkeit zwar keine Anhaltspunkte vorliegen, die aber oft im Zusammenhang mit dem Problem verspäteter Richtlinienumsetzung erörtert werden. Bei der ersten Konstellation geht es um das Argument der Rechtswidrigkeit einer Richtlinie. Ein solcher Einwand kann eine verspätete Umsetzung ebenfalls nicht rechtfertigen. Das ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass bis zur Nichtigerklärung eines EU-Rechtsaktes eine Vermutung für seine Gültigkeit besteht.8 Solange diese Vermutung nicht durch die Nichtigerklärung nach Art. 263, 264 AEUV widerlegt wurde, müssen Rechtsanwender der EU den Rechtsakt anwenden und dürfen ihn nicht von sich aus unangewendet lassen.9 Werden zum anderen Rechtsmittel wie die Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV gegen eine Richtlinie eingelegt, so entfalten sie zudem keine aufschiebende Wirkung. Eine solche kann nur durch (selten erfolgreiche) Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nach Art. 278 f. AEUV erreicht werden. Außerhalb dessen gilt folglich, dass selbst bei (nachträglich bestätigter) Rechtswidrigkeit einer Richtlinie eine Pflicht besteht, sie in nationales Recht fristgerecht umzusetzen.10 Anders verhält es sich bei der zweiten Konstellation, der Nichtigkeit einer Richtlinie. Nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH11 kann die daraus folgende Nichtexistenz als Rechtfertigung der Nichtumsetzung einer Richtlinie zwar geltend gemacht werden. Eine Nichtigkeit kann jedoch nur bei solchen Rechtsakten angenommen werden, „die mit besonders schweren und offensichtlichen Fehlern behaftet sind“.12 Wie eingangs ausgeführt, bestehen hierfür mit Blick auf die Tabakproduktrichtlinie keine Anhaltspunkte. 7 EuGH, Urteil vom 01.03.1983 – C-301/81 (Kommission/Belgien), Rn. 11. 8 EuGH, Urteil vom 15.06.1994 – C-137/92 P (BASF u. a./Kommission), Rn. 48. 9 Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 263 AEUV, Rn. 3 mit Bezug auf das genannte Urteil C-137/92 P. 10 Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 258 AEUV, Rn. 74. So auch an späterer Stelle Nettesheim, Art. 288 AEUV Rn. 115 mwN. 11 Etwa in EuGH, Urteil vom 26.02.1987 – C-15/85 (D'Abruzzo/Kommission), Urteil vom 30.06.1988 - C-226/87 (Kommission/Griechenland), Urteil vom 27.10.1992 - C-74/91 (Kommission/Deutschland). 12 EuGH, Urteil vom 26.02.1987 – C-15/85 (D'Abruzzo/Kommission), Rn. 10. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 24/16 Seite 7 4. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Deutsche Bundestag bei der Umsetzung der Tabakproduktrichtlinie in nationales Recht weder von der vorgegebenen Umsetzungsfrist noch der Frist hinsichtlich der Übergangsregelung für Altfälle abweichen darf. Den Mitgliedstaaten steht vorliegend kein Spielraum für eine Verlängerung dieser Richtlinienvorgaben zu. – Fachbereich Europa –