© 2017 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 23/17 Rentensprüche von Wanderarbeitnehmern und mitgliedstaatliche Kürzungsvorschriften Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 2 Rentenansprüche von Wanderarbeitnehmern und mitgliedstaatliche Kürzungsvorschriften Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 23/17 Abschluss der Arbeit: 17.05.2017 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Fragestellung 4 2. Unionsrechtliche Regelungen für den Bereich der sozialen (Alters-)Absicherung bei grenzüberschreitender Erwerbstätigkeit 5 2.1. Primärrecht 5 2.1.1. Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV 5 2.1.2. Rechtssetzungskompetenz nach Art. 48 AEUV 6 2.2. Sekundärrecht 6 3. Die Koordinierung von Rentenleistungen nach der Verordnung 1408/71 8 3.1. Vorgaben bezüglich des Anspruchserwerbs 9 3.2. Vorgaben bezüglich der Anspruchsberechnung 9 3.2.1. Im Fall notwendiger Berücksichtigung fremdenrechtlicher Versicherungs- oder Wohnzeiten: pro-rata-temporis-Verfahren nach Art. 46 Abs. 2 VO 1408/71 10 3.2.2. Ohne Notwendigkeit einer Berücksichtigung fremdrechtlicher Versicherungs- oder Wohnzeiten: Vergleichsberechnung nach Art. 46 Abs. 1 VO 1408/71 10 3.3. Verzinsung nachzuzahlender Leistungen 11 4. Unionsrechtliche Vorgaben für die Anwendung mitgliedstaatlicher Antikumulierungsvorschriften 11 4.1. Allgemeine Vorgaben für mitgliedstaatliche Antikumulierungsvorschriften nach Art. 46a Abs. 3 VO 1408/71 13 4.2. Leistungen gleicher und Leistungen nicht gleicher Art: Art. 46a Abs. 1 und 2 VO 1408/71 14 4.3. Vorgaben für mitgliedstaatliche Antikumulierungsvorschriften beim Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art: Art. 46b VO 1408/71 15 4.3.1. Auf Grundlage von Art. 46 Abs. 2 VO 1408/71 berechnete Leistungen 15 4.3.2. Auf Grundlage von Art. 46 Abs. 1 Buchst. a) Ziff. i) VO 1408/71 berechnete Leistungen 15 4.4. Vorgaben für mitgliedstaatliche Antikumulierungsvorschriften beim Zusammentreffen von Leistungen nicht gleicher Art: Art. 46c VO 1408/71 16 4.5. Primärrechtliche Grenzen 17 4.6. Zusammenfassung 18 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 4 1. Einleitung und Fragestellung Die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV1) gewährt Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten das Recht, in jeweils anderen Mitgliedstaten einer (abhängigen) Erwerbstätigkeit nachzugehen . Dies ermöglicht die Entstehung sog. europäischer Erwerbsbiographien – man spricht insoweit auch von Wanderarbeitnehmern – und damit einhergehend auch das Zusammentreffen verschiedenstaatlicher Sozialleistungen bei Alter und Tod (Rente) nach Beendigung der Erwerbstätigkeit .2 Der Fachbereich wird in diesem Zusammenhang um Beantwortung der Frage ersucht, welche Vorgaben bzw. Grenzen das Unionsrecht für die Anwendung mitgliedstaatlicher Vorschriften enthält, nach denen im Falle des Zusammentreffens verschiedenstaatlicher Rentenleistungen Kürzungen vorzunehmen sind (sog. Antikumulierungsvorschriften, Anrechnungsregeln oder Doppelleistungsbestimmungen). Hintergrund dieser Frage ist ein konkreter Fall, mit dem sich eine deutsche Staatsangehörige an den Auftraggeber gewandt hat. Sie und ihr infolge einer Berufskrankheit 1981 verstorbener Ehemann sind sowohl in Belgien als auch in Deutschland erwerbstätig gewesen. Aus diesem Grund bezieht die deutsche Staatsangehörige offenbar mehrere Rentenleistungen sowohl aus Belgien als auch aus Deutschland: neben einer belgischen Hinterbliebenenrente wegen Berufskrankheit ihres Mannes und einer deutschen sog. Witwenrente erhält sie Altersrente nach belgischem sowie nach deutschem Recht aufgrund der eigenen Erwerbstätigkeit. Hierbei soll es infolge der Anwendung belgischer Vorschriften zu Leistungskürzungen gekommen sein, über die auch vor belgischen Gerichten gestritten wurde bzw. zum Teil noch gestritten wird. Daneben geht es auch um die Frage, inwieweit nachzuzahlende Leistungen, die ursprünglich falsch berechnet wurden, nach Unionsrecht zu verzinsen sind. Zur Beantwortung der Auftragsfrage wird im Folgenden zunächst kurz das primäre und sekundäre Unionsrecht dargestellt, welches Regelungen für den Bereich der sozialen (Alters-)Absicherung bei grenzüberschreitender Erwerbstätigkeit enthält (2.). Anschließend ist auf das System der Koordinierung von Rentenleistungen nach dem für diesen Fall einschlägigen Sekundärrecht einzugehen (3.). Auf dieser Grundlage werden schließlich die unionsrechtlichen Vorgaben für die Anwendung mitgliedstaatlicher Antikumulierungsvorschriften betrachtet (4.). Die Ausführungen zu allen drei Punkten erfolgen grundsätzlich unabhängig von dem konkreten Einzelfall, welcher der Auftragsfrage zugrunde liegt, und sind abstrakter Natur. Soweit möglich und sinnvoll, wird auf den Fall jedoch an geeigneter Stelle Bezug genommen. 1 Abkürzung für „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“, letzte konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:C:2016:202:FULL&from=DE (letztmaliger Abruf unter 17.05.17). 2 Gleiches gilt für die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV, die das Recht auf Ausübung einer selbständigen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat beinhaltet. Im Vergleich mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit spielt diese Grundfreiheit im rechtspraktischen Kontext des koordinierenden EU-Sozialrechts jedoch eine eher untergeordnete Rolle und soll daher im Folgenden außer Betracht bleiben. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 5 2. Unionsrechtliche Regelungen für den Bereich der sozialen (Alters-)Absicherung bei grenzüberschreitender Erwerbstätigkeit 2.1. Primärrecht Unionsrechtliche Vorgaben für den Bereich der sozialen (Alters-)Absicherung bei grenzüberschreitender Erwerbstätigkeit ergeben sich zum einen aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Art. 45 AEUV selbst (2.1.1.) und zum anderen aus der Rechtssetzungskompetenz in Art. 47 AEUV, die den Erlass von Sekundärrecht zu dieser Materie ermöglicht (2.1.2.). 2.1.1. Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV Dem Wortlaut der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV lassen sich zwar keine direkten Hinweise auf soziale (Begleit-)Rechte entnehmen (vgl. insbesondere die Aufzählung in Absatz 3). Die sich für diesen Bereich ergebenden Vorgaben folgen aber aus dem Gewährleistungsgehalt dieser Grundfreiheit. Denn sie verbietet den Mitgliedstaaten – vorbehaltlich einer Rechtfertigung – in ihrem Anwendungsbereich, der im Wesentlichen über den weit zu verstehenden Begriff des Arbeitnehmers bestimmt wird,3 (offene und versteckte) Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit (vgl. Art. 45 Abs. 2 AEUV) sowie alle sonstigen Maßnahmen, die die Ausübung dieser Grundfreiheit behindern oder weniger attraktiv machen.4 Sind mitgliedstaatliche Vorschriften des Sozialrechts, wie etwa Antikumulierungsvorschriften, auch auf EU-ausländische Rentenleistungen anwendbar, können sie somit grundsätzlich am Maßstab der Arbeitnehmerfreizügigkeit überprüft werden. Soweit jedoch – wie in diesem Fall – inhaltlich einschlägige Vorschriften des Sekundärrechts bestehen , sind diese aus Unionssicht vorrangig anzuwenden und Vorgaben für das nationale Recht zunächst daraus abzuleiten bzw. ist das Recht der Mitgliedstaaten zuerst am Maßstab des Sekundärrechts zu messen. Erfüllen nationale Vorschriften diese Vorgaben bzw. sind mit dem Sekundärrecht vereinbar, so schließt das eine (anschließende) Anwendung der primärrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeit als Prüfungsmaßstab für das betreffende nationale Recht jedoch nicht per se aus. Dies gilt insbesondere im hier einschlägigen Bereich der sozialen Absicherung.5 3 Siehe allgemein zu dieser Grundfreiheit, Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 10. Auflage 2016, Rn. 911 ff. 4 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 16.05.2013, Rs. C-589/10 (Janina Wencel/ZUS), Rn. 69 ff. Siehe zur dogmatischen, dreiteiligen Struktur der Grundfreiheiten Haratsch/Koenig/Pechstein (Fn. 3), Rn. 829 ff. 5 Ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. etwa EuGH, Urt. v. 16.05.2013, Rs. C-589/10 (Janina Wencel/ZUS), Rn. 64, mit weiteren Urteilsnachweisen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 6 2.1.2. Rechtssetzungskompetenz nach Art. 48 AEUV Rechtsgrundlage für den Erlass von Sekundärrecht im Bereich der sozialen Absicherung ist Art. 48 AEUV. Dieser Vertragsartikel adressiert das Problem der sozialen Sicherheit für Wanderarbeitnehmer ausdrücklich. Er fand sich bereits im Gründungsvertrag zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) aus dem Jahr 1957.6 In seiner derzeitigen – im Kern unveränderten – Fassung im AEUV können das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen beschließen. Zu diesem Zweck führen sie insbesondere ein System ein, das zu- und abwandernden Arbeitnehmern und Selbstständigen7 sowie deren anspruchsberechtigten Angehörigen u. a. Folgendes sichert: die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen [Art. 48 Buchst. a) AEUV]. Bereits die Formulierung des Rechtssetzungsauftrags macht deutlich, dass es sich hierbei nicht – wie bei der allgemeinen Rechtssetzungskompetenz für die Herstellung des Binnenmarkts in Art. 114 AEUV – um eine Harmonisierungskompetenz handelt, mit der die mitgliedstaatlichen Vorschriften inhaltlich angeglichen werden. Art. 48 AEUV ermöglicht vielmehr lediglich die Koordinierung der (autonomen) mitgliedstaatlichen Vorschriften auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit ,8 so dass u. a. die in dieser Vorschrift ausdrücklich angesprochene Zusammenrechnung von Versicherungszeiten gewährleistet wird.9 2.2. Sekundärrecht Von der heute in Art. 48 AEUV geregelten Rechtssetzungsermächtigung hat man früh Gebrauch gemacht. Die Verordnung Nr. 3 über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer wurde bereits im Jahr 1958 erlassen.10 Dieser Rechtsakt wurde erst im Jahre 1971 durch die Verordnung Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren 6 Vgl. Art. 51 EWGV. Der EWG-Vertrag ist online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:11957E/TXT&from=DE (letztmaliger Abruf am 17.05.17). 7 Die ausdrückliche Erweiterung dieser Rechtssetzungskompetenz auf Selbständige erfolgte erst durch den Vertrag von Lissabon, vgl. hierzu Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 57. EL, 2015, Art. 48 AEUV, Rn. 1. 8 Eine (eingeschränkte) inhaltliche Angleichung der mitgliedstaatlichen Vorschriften über die soziale Sicherheit und den sozialen Schutz der Arbeitnehmer ist mittlerweile auf Grundlage von Art. 153 Abs. 1 Buchst. c), Abs. 2 Buchst. b) AEUV möglich. Allerdings unterliegt eine darauf gestützte (eingeschränkte) Harmonisierung u. a. einem Einstimmigkeitsvorbehalt, vgl. Art. 153 Abs. 2 UAbs. 3 AEUV. 9 Siehe dazu Eichenhofer, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 48 AEUV, Rn. 2 ff. 10 Verordnung Nr. 3 des Rates, ABl.EU 1958 Nr. 30/561 (ursprüngliche Fassung online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31958R0003&qid=1457343427609&from=DE – letztmaliger Abruf am 17.05.17). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 7 Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (im Folgenden: VO 1408/71),11 ersetzt . Die Verordnung 1408/71 wurde schließlich durch die derzeit geltende Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (im Folgenden: VO 883/2004) abgelöst.12 Dieser Rechtsakt wurde zwar 2004 erlassen, seine Anwendung war jedoch an den Erlass von Durchführungsvorschriften geknüpft. Er wurde daher erst mit Inkrafttreten der einschlägigen Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/200913 zum 1. Mai 2010 anwendbar.14 Bis dahin galt die Verordnung 1408/71 weiter. Da der der Auftragsfrage zugrunde liegende Fall in den Anwendungszeitraum der letztgenannten Verordnung fällt, sollen das System der Koordinierung von Rentenleistungen sowie die unionsrechtlichen Vorgaben für die Anwendung mitgliedstaatlicher Antikumulierungsvorschriften in den nachfolgenden Gliederungspunkten 3. und 4. auf Grundlage der VO 1408/71 sowie ggf. der dazu erlassenen Durchführungsverordnung Nr. 574/7215 (im Folgenden: DVO 574/72) betrachtet werden.16 Bevor darauf näher eingegangen wird, ist jedoch noch das Regelungsanliegen aller drei genannten Verordnungen zu beschreiben, die auf die heute in Art. 48 AEUV enthaltene Rechtssetzungskompetenz gestützt sind. Wie oben ausgeführt, zielen diese Rechtsakte im Rahmen des Rechtssetzungsauftrags des Art. 48 Abs. 1 AEUV nicht auf eine inhaltliche Angleichung oder gar Verein- 11 Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971, ABl.EG 1971 Nr. L 149/2, letzte konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONS- LEG:1971R1408:20080707:DE:PDF (letztmaliger Abruf am 17.05.17). 12 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004, ABl.EU 2004 Nr. L 166/1 (letzte konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONS- LEG:2004R0883:20130701:DE:PDF – letztmaliger Abruf am 17.05.17). 13 Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl.EU 2009 Nr. L 284/1 (letzte konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02009R0987-20140101&qid=1457011116360&from=DE – letztmaliger Abruf am 17.05.17). Siehe zur Entstehungsgeschichte Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, 6. Aufl. 2013, Einf., Rn. 38. 14 Vgl. Art. 91 Abs. 2 VO 883/2004 (Fn. 12). 15 Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ABl.EG 1972 Nr. L 74/1, letzte konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:01972R0574- 20090302&qid=1494585182897&from=DE (letztmaliger Abruf am 17.05.17). 16 Der Ergänzung halber sei darauf hingewiesen, dass die in diesem Bereich durch die VO 883/2004 eingeführten Änderungen zum großen Teil als nur redaktioneller Natur beurteilt werden, so etwa Schuler, in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 6. Aufl. 2013 (im Folgenden: Fuchs 2013), Vorbemerkungen zu Kapitel 5 der VO 883/2004, Rn. 1. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 8 heitlichung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit, sondern allein auf deren Koordinierung .17 Dieses Anliegen erreichen die Verordnungen mit verschiedenen rechtlichen Mechanismen . Ausgangspunkt ist dabei die Bestimmung des jeweils anwendbaren mitgliedstaatlichen (Sozial -) Rechts (vgl. Art. 13 ff. VO 1408/71). Hierdurch sollen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zum einen die gleichzeitige Anwendung von Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten und die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten vermieden werden; zum anderen soll verhindert werden, dass Personen der Schutz im Bereich der sozialen Sicherheit vorenthalten wird, weil gar keine Rechtsvorschriften auf sie anwendbar sind.18 In dem Bereich der hier relevanten Absicherung wegen Alters ist nach Erreichen der jeweiligen Altersgrenze hingegen zwangsläufig eine parallele Anwendung von Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten notwendig. Ist ein Arbeitnehmer in mehreren Mitgliedstaaten erwerbstätig gewesen , so stehen ihm in der Regel Rentenansprüche aus mehreren Mitgliedstaaten zu, die oftmals zeitgleich zu berechnen und zu gewähren sind (vgl. Art. 44 Abs. 1 u. 2, Art. 46 VO 1408/71). In diesem Fall kommt der in Art. 48 Buchst. a) AEUV vorgegebene Zusammenrechnung der Versicherungszeiten als Koordinierungsmaßnahme entscheidende Bedeutung zu (dazu sogleich). Weitere Koordinierungsinstrumente der Verordnungen sind das sog. Exportprinzip19, wonach die Leistungsgewährung nicht dadurch beeinträchtigt werden darf, dass die anspruchsberechtigte Person in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnt (vgl. allgemein Art. 10 VO 1408/71 und Art. 48 Buchst. b) AEUV) sowie das auf den Anwendungsbereich der Verordnung bezogene Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (vgl. Art. 3 VO 1408/71). Insgesamt verfolgen die Koordinierungsverordnungen des Art. 48 AEUV in Bezug auf alle von ihnen erfassten Leistungen der sozialen Sicherheit (vgl. insoweit Art. 4 VO 1408/71) das Ziel, die Nachteile, die sich aus der Wahrnehmung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für die soziale Absicherung ergeben, zu beseitigen.20 3. Die Koordinierung von Rentenleistungen nach der Verordnung 1408/71 Die Koordinierung von sozialen Leistungen bei Alter und Tod (Renten) ist in Kapitel 3 der Verordnung 1408/17 geregelt, und zwar in den Art. 44 bis 51a. 17 EuGH, Urt. v. 19.09.2013, Rs. C-140/12 (Brey), Rn. 43. Allgemein zu dem im EU-Recht nicht näher definierten Begriff der Koordinierung, insbesondere in Abgrenzung zur sog. Harmonisierung, vgl. etwa Schulte, in: Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, 5. Aufl. 2012, § 33, Rn. 31; Schreiber, in: Schreiber/Wunder/Dern, VO (EG) Nr. 883/2004, 2012, Einleitung, Rn. 2. 18 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.09.2013, Rs. C-140/12 (Brey), Rn. 40, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 19 Siehe dazu Langer, in: Fuchs (Fn. 16), Art. 48 AEUV, Rn. 20. 20 Vgl. Schuler, in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl. 2005 (im Folgenden: Fuchs 2005), Vorbemerkungen zu Kapitel 3 der VO 1408/71, Rn. 3. Sie auch in Bezug auf die Zusammenschau der Bestimmungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie Niederlassungsfreiheit, EuGH, Urt. v. 19.03.2002, verb. Rs. C-393/99 und C-394/99 (Hervein u. a.), Rn. 44 ff., insb. Rn. 47. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 9 Ausweislich von Art. 44 Abs. 1 VO 1408/71 gilt dieses Kapitel sowohl für Leistungsansprüche von Arbeitnehmern als auch für Leistungsansprüche ihrer Hinterbliebenen, sofern diese in beiden Fällen nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten bestehen. In der letztgenannten Anforderung kommt zum Ausdruck, dass die VO 1408/71 keine Anwendung findet auf Sachverhalte, in denen (ggf. auch unterschiedliche) Leistungsansprüche nach den Vorschriften nur eines Mitgliedstaates bestehen.21 Für den dem Gutachtenauftrag zugrunde liegenden Fall würde das bedeuten, dass eventuelle Kürzungen der beiden nach belgischen Rechts gewährten Leistungen (Hinterbliebenenrente und eigene Altersrente) im Verhältnis zueinander durch den belgischen Träger ebenso wenig der VO 1408/71 unterliegen wie mögliche Kürzungen nach deutschen Vorschriften im Verhältnis der deutschen Witwen- und der selbst erworbenen deutschen Altersrente. Im Folgenden sollen lediglich die Grundzüge der Koordinierung nach den Art. 44 ff. VO 1408/71 beschrieben werden. Diese beruhen im Wesentlichen auf der in Art. 48 Buchst. a) AEUV vorgegebenen Zusammenrechnung von Versicherungszeiten, soweit es dieser für den Anspruchserwerb (3.1.) und die Anspruchsberechnung (3.2.) bedarf. Dabei ist zu beachten, dass es durch diesen Koordinierungsansatz im Ergebnis nicht zu einer „europäischen Gesamtrente“ kommt, sondern es bei Teilrenten der betroffenen Mitgliedstaaten bleibt, diese insoweit nach ihren Vorschriften weiterhin die Leistungs- und Einstandspflicht für die betreffenden Leistungen tragen.22 Abschließend ist kurz auf Fragen der Verzinsung bei nachzuzahlenden Leistungen einzugehen (3.3.). 3.1. Vorgaben bezüglich des Anspruchserwerbs Vorgaben zum Anspruchserwerb finden sich in Art. 45 VO 1408/71. In Absatz 1 dieser Vorschrift findet sich die Grundregel. Sie besagt, dass bei der Frage nach der Entstehung, der Aufrechterhaltung oder des Wiederauflebens eines Leistungsanspruchs, der von dem Zurücklegen von Versicherungs - oder Wohnzeiten abhängig ist, die in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegte Versicherungs - und Wohnzeiten zu berücksichtigen sind. Die weiteren Absätze des Art. 45 VO 1408/71 enthalten Modifizierungen dieser Grundregel, sofern der Leistungsanspruch eines Mitgliedstaates über die Abhängigkeit von Versicherungs- oder Wohnzeiten hinaus noch an weitere Bedingungen (Versicherungszeiten in einem bestimmten Beruf bzw. einem Sondersystem hierfür etc.) geknüpft ist. 3.2. Vorgaben bezüglich der Anspruchsberechnung Art. 46 VO 1408/71 enthält die grundlegenden Vorgaben zur Berechnung der Leistungsansprüche durch die betroffenen verschiedenstaatlichen Leistungsträger.23 Dabei sind zwei Berechnungskonstellationen und -ansätze zu unterscheiden:24 nach der einen bedarf es der Berücksichtigung 21 Vgl. Schuler, in: Fuchs 2005 (Fn. 20), Art. 44 VO 1408/71, Rn. 5. 22 Vgl. Schuler, in: Fuchs 2005 (Fn. 20), Vorbemerkungen zu Kapitel 3 der VO 1408/71, Rn. 4. 23 Weitere Vorgaben ergänzender Natur für besondere Konstellationen (überschneidende Zeiten etc.) finden sich in Art. 47 VO 1408/71. 24 Siehe im Einzelnen Schuler, in: Fuchs 2005 (Fn. 20), Art. 46 VO 1408/71, Rn. 1 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 10 von in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten (Art. 46 Abs. 2 VO 1408/71 – 3.2.1.), nach der anderen bedarf es der Berücksichtigung von in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten nicht, weil ein Leistungsbetrag bereits allein nach den Vorschriften des betreffenden Mitgliedstaates geschuldet wird (Art. 46 Abs. 1 VO 1408/71 – 3.2.2.) 3.2.1. Im Fall notwendiger Berücksichtigung fremdenrechtlicher Versicherungs- oder Wohnzeiten : pro-rata-temporis-Verfahren nach Art. 46 Abs. 2 VO 1408/71 Der erste Fall setzt die in Art. 48 Buchst. a) AEUV enthaltene, unionsrechtliche Vorgabe der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten für die Anspruchsberechnung nach einem zweistufigen , sog. pro-rata-temporis-Verfahren um: Auf der ersten Stufe wird der sog. theoretische Betrag berechnet [Art. 48 Abs. 2 Buchst. a) VO 1408/71]. Dieser ergibt sich daraus, dass der berechnende Mitgliedstaat alle und damit auch die in anderen Mitgliedstaaten erbrachten Versicherungs- oder Wohnzeiten so behandelt, als wären sie nach seinen Vorschriften zurückgelegt worden. Anknüpfend an den theoretischen Betrag wird auf der zweiten Stufe der effektive, von dem berechnenden Mitgliedstaat geschuldete Betrag berechnet (Art. 48 Abs. 2 Buchst. b VO 1408/71). Hierfür werden die Versicherungs- oder Wohnzeiten des berechnenden Mitgliedstaats in Verhältnis gesetzt mit den gesamten, nach den Rechtsvorschriften aller beteiligten Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten und der theoretische Betrag in diesem Verhältnis herabgesetzt. Das Ergebnis ist die durch den berechnenden Mitgliedstaat geschuldete Teilrente. Hierdurch wird erreicht, dass die Leistungslast nach dem Verhältnis der Dauer der in jedem der beteiligen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten auf die beteiligten Mitgliedstaaten bzw. die dort verantwortlichen Leistungsträger verteilt wird.25 3.2.2. Ohne Notwendigkeit einer Berücksichtigung fremdrechtlicher Versicherungs- oder Wohnzeiten: Vergleichsberechnung nach Art. 46 Abs. 1 VO 1408/71 Der zweite Fall kennzeichnet sich dadurch, dass ein Leistungsbetrag bereits allein nach den Vorschriften des berechnenden Mitgliedstaates geschuldet wird, ohne dass es einer Berücksichtigung von in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegter Versicherungs- oder Wohnzeiten bedarf [Art. 46 Abs. 1 Buchst. a) Ziff. i) VO 1408/71 - sog. autonome Rente]. Je nach Ausgestaltung des Rentensystems kann dies beispielsweise der Fall sein, weil eine Mindestversicherungszeit zurückgelegt wurde oder weil es auf eine solche gar nicht ankommt. Art. 46 Abs. 1 Buchst. a) VO 1408/71 schreibt für diesen Fall gleichwohl vor, dass zusätzlich noch eine Vergleichsberechnung nach dem in Art. 46 Abs. 2 VO 1408/71 vorgesehenen pro-rata-temporis-Verfahren vorzunehmen ist. Auf diese Vergleichsberechnung kann unter den in Art. 46 Abs. 1 Buchst. b) VO 1408/71 genannten Bedingungen verzichtet werden.26 U. a. ist dies möglich, wenn sich die Ergebnisse beider Berechnungen entsprechen oder der Betrag nach dem pro-rata-temporis-Verfahren den Betrag der 25 Schuler, in: Fuchs 2005 (Fn. 20), Art. 46 VO 1408/71, Rn. 44. 26 Einzelheiten hierzu bei Schuler, in: Fuchs 2005 (Fn. 20), Art. 46 VO 1408/71, Rn. 12. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 11 autonomen Rente unterschreitet. Eine anderer Verzichtstatbestand betrifft den Fall, dass das Recht des betreffenden Mitgliedstaates keine Antikumulierungsvorschriften im Sinne der (unten noch darzustellenden) Art. 46b und Art. 46c VO 1408/71 vorsieht. Kommt ein Verzicht nach Art. 46 Abs. 1 Buchst. b) VO 1408/71 nicht in Betracht, so gibt Art. 46 Abs. 3 VO 1408/71 vor, dass die betreffende Person gegen den zuständigen Träger des berechnenden Mitgliedstaates Anspruch auf den höchsten der nach Vergleichsberechnung ermittelten Beträge hat. Zu vergleichen sind allerdings die Beträge, die sich ggf. nach Anwendung von mitgliedstaatlichen Antikumulierungsvorschriften ergeben. Unter welchen unionsrechtlichen Voraussetzungen diese zur Anwendung gelangen können, ist Gegenstand des Prüfungspunktes unter 4. Im Zusammenhang mit dem der Auftragsfrage zugrunde liegenden Einzelfall ist an dieser Stelle noch anzumerken, dass dort zumindest auf belgischer Seite wohl eine Berechnung nach dem Vergleichsverfahren gemäß Art. 46 Abs. 1 VO 1408/71 durchgeführt wurde. 3.3. Verzinsung nachzuzahlender Leistungen Soweit ersichtlich, enthalten weder die VO 1408/71 noch die dazu ergangene Durchführungsverordnung 574/72 eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, nachzuzahlende Leistungen, die ursprünglich falsch berechnet wurden, zu verzinsen. Geregelt ist in Art. 45 DVO 574/72 lediglich die Pflicht, dass die bearbeitenden Leistungsträger Antragstellern vorläufige Leistungen zu gewähren haben. Ist jedoch im jeweiligen nationalen Recht eine entsprechende Bestimmung vorgesehen (vgl. etwa für das deutsche Recht § 44 Abs. 1 SGB I), so folgt aus den unionsprimärrechtlich verankerten allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Äquivalenz- und des Effektivitätsgebots eine Pflicht zur Anwendung einer derartigen Bestimmung auf unionsrechtliche geprägte Sachverhalte, soweit die betreffende nationale Vorschrift aus sich selbst heraus nicht anwendbar sein sollte. Nach dem Äquivalenzgebot darf es nämlich zu keiner Schlechterbehandlung unionsrechtlicher Fälle im Vergleich zu gleichartigen rein nationalen Fällen kommen; nach dem Effektivitätsgebot darf die Verwirklichung der Unionsregelung nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden.27 4. Unionsrechtliche Vorgaben für die Anwendung mitgliedstaatlicher Antikumulierungsvorschriften Die Anwendung verschiedenstaatlicher Rechtsvorschriften im Bereich der sozialen Absicherung wegen Alters kann im Einzelfall auch dazu führen, dass Wanderarbeitnehmer begünstigt werden, weil sie im Ergebnis höhere Leistungen erhalten, als wenn sie nur in einem Mitgliedstaat erwerbstätig gewesen wären. Grund hierfür ist, dass die mitgliedstaatlichen Rentensysteme unter- 27 Einzelheiten zu diesen beiden verfahrensrechtlichen Geboten bei dem Vollzug von Unionsrecht bei Haratsch /Koenig/Pechstein (Fn. 3), Rn. 463 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 12 schiedlich ausgestaltet sind und in einigen Systemen gerade die ersten Versicherungsjahre stärker ins Gewicht fallen können als spätere.28 Bei mehrfachen Wechsel in solche Systeme kann es dann zu höheren Leistungen kommen, als wenn man der Erwerbstätigkeit nur in einem Mitgliedstaat und entsprechend nur einem einzigen Versicherungssystem nachgeht. Vor diesem Hintergrund sah die Verordnung 1408/71 in ihrer ursprünglichen Fassung in Art. 46 Abs. 3 VO 1408/71 eine Höchstbetrags- bzw. Antikumulierungsregel vor. In den Erwägungsgründen der Verordnung wurde hierzu ausgeführt: „Die Berechtigten sollen bei Invalidität, Alter und Tod (Renten) alle ihnen in den einzelnen Mitgliedstaaten zustehenden Leistungen in Anspruch nehmen können; zur Verhinderung ungerechtfertigter Kumulierungen, die sich insbesondere aus der Überschneidung von Versicherungszeiten und gleichgestellten Zeiten ergeben können, ist es jedoch notwendig, als obere Grenze den höchsten Betrag der Leistungen festzulegen, zu denen einer dieser Staaten verpflichtet wäre, wenn der Arbeitnehmer seine gesamte Beschäftigungszeit dort zurückgelegt hätte.“29 Der EuGH erklärte die ursprüngliche Fassung des Art. 46 Abs. 3 VO 1408/71 insoweit als mit Art. 48 AEUV [ex. Art. 51 EWG] unvereinbar, als deren Anwendung dazu führt, dass Ansprüche reduziert würden, die ein Wanderarbeitnehmer bereits allein nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates erworben hat – d.h. ohne Einwirkung des Unionsrechts.30 Denn „der Zweck der [Art. 45 bis Art. 48 AEUV] würde verfehlt, wenn die Arbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlören, die ihnen jedenfalls die Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaates sichern.“31 Art. 48 AEUV erfasse im Wesentlichen nur den Fall, dass die Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates allein keinen Leistungsanspruch des Wanderarbeitnehmers begründen und sehe für diesen Fall eine Zusammenrechnung von Versicherungszeiten vor.32 Er gebiete aber keine Leistungskürzung für Situationen , in denen sich Ansprüche allein aus dem nationalen Recht ergeben.33 28 Siehe dazu Pompe, Leistungen der sozialen Sicherheit bei Alter und Invalidität für Wanderarbeitnehmer nach Europäischem Gemeinschaftsrecht, 1986 (im Folgenden: Pompe), S. 212 ff. 29 Unterstreichung durch Verfasser. 30 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.10.1975, Rs. 24/75 (Petroni), Rn. 20 bis 22. Dem Fall lag eine Kumulierung selbständig (autonom) erworbener belgischer und pro-rata-temporis berechneter italienischer Leistungen vor. Die durch belgische Vorschriften auf Grundlage der ursprünglichen Fassung des Art. 46 Abs. 3 VO 1408/71 vorgenommene Kürzung führte zum nationalen Ausgangsrechtsstreit für das durch EuGH entschiedene Vorlageverfahren. Siehe zu diesem Problem auch Schuler, in: Fuchs 2005 (Fn. 20), Art. 46 VO 1408/71, Rn. 54, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung; ausführlich dazu auch Pompe (Fn. 30), S. 219 ff. 31 EuGH, Urt. v. 21.10.1975, Rs. 24/75 (Petroni), Rn. 11/13. 32 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.10.1975, Rs. 24/75 (Petroni), Rn. 14/17. 33 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.10.1975, Rs. 24/75 (Petroni), Rn. 14/17. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 13 Hierdurch wurde der Raum eröffnet für mitgliedstaatliche Antikumulierungsvorschriften, deren Anwendung jedoch ebenfalls in mehreren Urteilen am Maßstab der Vorschriften der Arbeitnehmerfreizügigkeit unionsrechtlichen Vorgaben unterworfen wurde.34 Der Unionsgesetzgeber hat die Konsequenzen aus der Nichtigerklärung der ursprünglichen Fassung des Art. 46 Abs. 3 VO 1408/71 sowie die Vorgaben aus der Rechtsprechung zur Unionsrechtswidrigkeit nationaler Antikumulierungsvorschriften in der jetzigen Fassung des Art. 46 Abs. 3 VO 1408/71 sowie in den zusätzlich in die Verordnung 1408/71 eingeführten Vorschriften der Art. 46a bis 46c VO 1408/71 umgesetzt. Dies geschah allerdings erst im Jahre 1992.35 Die drei zuletzt genannten Vorschriften stellen Spezialregelungen für den Bereich der Koordinierung der mitgliedstaatlichen Vorschriften über die soziale Absicherung bei Alter und Tod dar und gehen der allgemeinen Regel zum Zusammentreffen von Leistungen in Art. 12 Abs. 1 und 2 VO 1408/71 vor.36 Im Folgenden werden zunächst die in Art. 46 Abs. 3 VO 1408/71 enthaltenen allgemeinen Vorgaben für Antikumulierungsvorschriften vorgestellt (4.1.). Anschließend ist die Unterscheidung zwischen Leistungen gleicher Art und von Leistungen nicht gleicher Art darzustellen, die für die Anwendung von mitgliedstaatlichen Antikumulierungsvorschriften zentral ist (4.2.). Hieran anknüpfend werden dann die jeweiligen Grenzen für die Anwendung von Antikumulierungsvorschriften in beiden Fällen des Leistungszusammentreffens beschrieben, die sich aus Art. 46b VO 1408/71 bzw. Art. 46c VO 1408/71 ergeben (4.3. bzw. 4.4.). Abschließend ist auf die primärrechtlichen Einschränkungen hinzuweisen, die aus der Anwendung der Arbeitnehmerfreizügigkeit resultieren (4.5.). 4.1. Allgemeine Vorgaben für mitgliedstaatliche Antikumulierungsvorschriften nach Art. 46a Abs. 3 VO 1408/71 Unabhängig von den erfassten Leistungen müssen Antikumulierungsvorschriften nach Art. 46a Abs. 3 VO 1408/71 folgende Vorgaben beachten bzw. Anforderungen erfüllen: Sie müssen die Berücksichtigung ausländischer Leistungen ausdrücklich vorsehen, d. h. sie müssen mit einem entsprechenden internationalen Anwendungsbereich ausgestattet sein [Buchst. a)]. 34 Vgl. Schuler, in: Fuchs 2005 (Fn. 20), Art. 46 VO 1408/71, Rn. 54, sowie eingehend, jedoch zur Rechtslage bis 1986, Pompe (Fn. 30), S. 232 ff., mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 35 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 15 sowie Art. 1, Art. 2 Nr. 3. Der Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 des Rates vom 30. April 1992 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zuund abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, ABl.EG 1992 Nr. L 136/7, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31992R1248&qid=1494924895364&from=DE (letztmaliger Abruf am 17.05.17). 36 Siehe den Wortlaut der beiden genannten Absätze des Art 12 VO 1408/71: Das Verbot nach Absatz 1, wonach auf Grundlage der Verordnung kein (unionsrechtlicher) Anspruch auf mehrere Leistungen gleicher Art aus denselben Pflichtversicherungszeiten begründet werden kann, gilt u. a. nicht für Leistungen, die auf Grundlage von Art. 46 VO 1408/71 berechnet werden. Die generelle Zulässigkeit von nationalen Antikumulierungsvorschriften beim Zusammentreffen von Leistungen verschiedener Art nach Absatz 2 gilt nur, sofern in der Verordnung nichts anderen bestimmt wird. Derartige Bestimmungen sind insbesondere die Art. 46a bis 46c VO 1408/71. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 14 Bei den in zulässiger Weise zu berücksichtigenden Leistungen aus anderen Mitgliedstaaten ist auf die Bruttobeiträge abzustellen, d.h. vor Abzug von Steuern etc. [Buchst. b)]. Es dürfen keine fremdenstaatlichen Leistungen bei der Antikumulierung berücksichtigt werden, die auf Grundlage freiwilliger Versicherung oder freiwilliger Weiterversicherung gewährt werden [Buchst. c)]. Sind in einem Fall nur nach dem Recht eines Mitgliedstaates Antikumulierungsvorschriften vorgesehen , so kann die nach dem Recht dieses Mitgliedstaates geschuldete Leistungen höchstens nur um den nach den Rechtsvorschriften der anderen Mitgliedstaaten geschuldeten Leistungsbetrag gekürzt werden [Buchst. d)]. In dem der Auftragsfrage zugrunde liegenden Einzelfall müsste in jedem Fall die letztgenannte Vorgabe nach Art. 46a Abs. 3 Buchst. d) VO 1408/71 beachtet werden, soweit die streitigen Kürzungen ausschließlich auf belgischer Seite und damit nur nach dem Recht eines der beteiligten Mitgliedstaaten vorgenommen wurden. 4.2. Leistungen gleicher und Leistungen nicht gleicher Art: Art. 46a Abs. 1 und 2 VO 1408/71 Die Einhaltung der unter Art. 46a Abs. 3 VO 1408/71 genannten Voraussetzungen allein genügt nach der Verordnung 1408/71 nicht für eine unionsrechtlich zulässige Anwendung mitgliedstaatlicher Antikumulierungsvorschriften. Zentral hierfür ist auf einer nächsten Stufe die Unterscheidung von Leistungen gleicher und Leistungen nicht gleicher Art. In Anknüpfung an die Rechtsprechung des EuGH wurden beide Kategorien in Art. 46a Abs. 1 und Abs. 2 VO 1408/71 für den Bereich dieser Verordnung legaldefiniert.37 Ein Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art liegt nach Art. 46a Abs. 1 VO 1408/71 vor, wenn es sich u. a. um Leistungen bei Alter oder für Hinterbliebene handelt, die auf der Grundlage der von ein und derselben Person zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten berechnet oder gewährt wurden. Ein Zusammentreffen von Leistungen unterschiedlicher und somit nicht gleicher Art liegt nach Art. 46a Abs. 2 VO 1408/71 dann vor, wenn es sich um Leistungen handelt, die nicht im Sinne von Art. 46a Abs. 1 VO 1408/71 als Leistungen gleicher Art betrachtet werden können. Blickt man insoweit auf den der Gutachtenfrage zugrunde liegenden Einzelfall, so dürften jeweils die aufgrund der eigenen Erwerbstätigkeit erworbenen deutschen und belgischen Rentenleistungen im Verhältnis zueinander Leistungen gleicher Art sein, ebenso wie die deutschen und belgischen Leistungsansprüche, die aufgrund des Todes des Ehegatten geschuldet werden. Die aufgrund des Todes des Ehegatten erworbenen Leistungen sowie die aufgrund eigener Erwerbstätigkeit erlangten Ansprüche sind hingegen im Verhältnis zueinander als Leistungen nicht gleicher 37 Vgl. hierzu sowie zu den Unterschieden bezüglich der in ständiger Rechtsprechung des EuGH verwendeten Definitionen Schuler, in: Fuchs 2005 (Fn. 20), Art. 46a VO 1408/71, Rn. 2, 4. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 15 Art zu betrachten, da die ihnen zugrunde liegenden Versicherungszeiten nicht von derselben Person zurückgelegt wurden.38 4.3. Vorgaben für mitgliedstaatliche Antikumulierungsvorschriften beim Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art: Art. 46b VO 1408/71 Art. 46b VO 1408/71 unterscheidet hinsichtlich der Vorgaben für die Anwendung mitgliedstaatlicher Antikumulierungsvorschriften beim Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art zwischen der Art und Weise, wie die von den Kürzungsvorschriften erfasste Leistung berechnet wurde. 4.3.1. Auf Grundlage von Art. 46 Abs. 2 VO 1408/71 berechnete Leistungen Nach Art. 46b VO 1408/71 ist die Anwendung mitgliedstaatlicher Antikumulierungsvorschriften nicht zulässig in Bezug auf Leistungen, die nach dem pro-rata-temporis-Verfahren nach Art. 46 Abs. 2 VO 1408/71 berechnet wurden. Die Rechtfertigung dieses vollständigen Verbotes von Kürzungen für derart berechnete Leistungen wegen Alters ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich um Teilrenten handelt, die erst in der Summe eine vollständige Absicherung ergeben.39 Für den der Gutachtenfrage zugrunde liegenden Fall würde dies bedeuten, dass eine Kürzung sowohl der deutschen und belgischen Altersrente aufgrund eigener Erwerbstätigkeit untereinander als auch der deutschen und belgischen Hinterbliebenenrenten untereinander dann ausgeschlossen wäre, wenn die jeweils von der Kürzung betroffene Leistung nach Art. 46 Abs. 2 VO 1408/71 berechnet worden wäre. 4.3.2. Auf Grundlage von Art. 46 Abs. 1 Buchst. a) Ziff. i) VO 1408/71 berechnete Leistungen Eine Anwendung mitgliedstaatlicher Antikumulierungsvorschriften auf eine nach Art. 46 Abs. 1 Buchst. a) Ziff. i) berechnete Leistungen ist unter den Bedingungen des Art. 46b Abs. 2 Buchst. a) und b) VO 1408/71 möglich. Nach Art. 46b Abs. 2 Buchst. a) VO 1408/71 ist eine Kürzung etc. solcher Leistungen dann möglich , wenn es sich „um eine Leistung handelt, deren Höhe von der Dauer der zurückgelegten Versicherungs - oder Wohnzeiten unabhängig ist und die in Anhang IV Teil D aufgeführt ist“. Nach Art. 46b Abs. 2 Buchst. b) VO 1408/71 ist eine Kürzung etc. solcher Leistungen ferner dann möglich, wenn es sich „um eine Leistung handelt, deren Höhe aufgrund einer fiktiven Zeit bestimmt wird, die als zwischen dem Eintritt des Versicherungsfalls und einem späteren Zeitpunkt zurückgelegt betrachtet wird. In diesem letzteren Fall finden die genannten Vorschriften Anwendung bei Zusammentreffen einer solchen Leistung (i) mit einer Leistung gleichen Typs, außer wenn ein Abkommen zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten zur Vermeidung einer zwei- oder 38 Vgl. entsprechend EuGH, Urt. v. 16.05.2013, Rs. C-589/10 (Janina Wencel/ZUS), Rn. 58 (polnische Altersrente und deutsche Hinterbliebenenrente). 39 Vgl. Schuler, in: Fuchs 2005 (Fn. 20), Art. 46b VO 1408/71, Rn. 2, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 16 mehrfachen Berücksichtigung der gleichen fiktiven Zeit geschlossen wurde, oder (ii) mit einer Leistung der in Buchstabe a) genannten Art. Die unter den Buchstaben a) und b) genannten Leistungen und die Abkommen sind in Anhang IV Teil D aufgeführt.“ Leistungen nach belgischem Recht sowie Abkommen unter Beteiligung Belgiens sind in Anhang IV Teil D der Verordnung 1408/71 nicht aufgeführt. Im Zusammenhang mit Leistungen nach Art. 46b Abs. 2 Buchst. b) VO 1408/71 werden u. a. die deutschen Hinterbliebenenrenten, bei denen eine Zurechnungszeit berücksichtigt wird, und die deutschen Altersrenten, bei denen eine bereits erworbene Zurechnungszeit berücksichtigt wird, aufgeführt. Soweit ersichtlich, bezieht sich der der Gutachtenfrage zugrunde liegende Fall nicht auf Kürzungen von Leistungen, die nach den Vorschriften des deutschen Rechts gewährt werden, so dass Art. 46b Abs. 2 VO 1408/71 in diesem Kontext keine Bedeutung zukommen dürfte. 4.4. Vorgaben für mitgliedstaatliche Antikumulierungsvorschriften beim Zusammentreffen von Leistungen nicht gleicher Art: Art. 46c VO 1408/71 Im Fall des Zusammentreffens unterschiedlicher Leistungen lässt Art. 46c VO 1408/71 die Anwendung mitgliedstaatlicher Kumulierungsvorschriften in der Regel zu, begrenzt bzw. beeinflusst jedoch die Höhe der Kürzungen. Erfasst werden von dieser Vorschrift mehrfache oder wechselseitige Kürzungen. Differenziert wird auch hier danach, auf welche Art und Weise die potentiell zu kürzenden Leistungen berechnet wurden – allein nach dem Recht des berechnenden Mitgliedstaates im Sinne des Art. 46 Abs. 1 Buchst. a) Ziff. i) VO 1408/71 ohne Berücksichtigung fremdmitgliedstaatlicher Versicherungs- oder Wohnzeiten oder unter Berücksichtigung solcher nach dem prot-rata-temporis-Verfahren gemäß Art. 46 Abs. 2 VO 1408/71. Art. 46c Abs. 1 VO 1408/71 sieht für den Fall, dass „der Bezug von Leistungen unterschiedlicher Art […]gleichzeitig zur Kürzung […] von zwei oder mehr Leistungen nach Artikel 46 Absatz 1 Buchstabe a) Ziffer i) [führt]“40, Folgendes vor: Die „Beträge, die bei strenger Anwendung der in den Rechtsvorschriften der betreffenden Mitgliedstaaten vorgesehenen Kürzungs[bestimmungen] nicht ausgezahlt werden, [werden] durch die Zahl der zu kürzenden, zum Ruhen zu bringenden oder zu entziehenden Leistungen geteilt.“ Sollen etwa drei nach Art. 46 Abs. 1 Buchst. a) Ziff. i) VO 1408/71 geschuldete, verschiedenstaatliche Leistungen nach den entsprechenden nationalen Vorschriften gekürzt werden, so wird nach Art. 46c Abs. 1 VO 1408/71 jede Leistung nur in Höhe von einem Drittel des an sich vorgeschriebenen Kürzungsbetrags vermindert.41 Art. 46c Abs. 2 VO 1408/71 sieht für den Fall, dass „es [sich] um eine nach Artikel 46 Absatz 2 berechnete Leistung [handelt]“42, Folgendes vor: Die „Leistung oder die Leistungen unterschiedlicher Art der anderen Mitgliedstaaten […] und alle in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats für die Anwendung der Kürzungs[-bestimmungen] vorgesehenen Bezugsgrößen [werden] nach dem Verhältnis zwischen den unter Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe b) fallenden und bei der Be- 40 Unterstreichung durch Verfasser. 41 Vgl. Schuler, in: Fuchs 2005 (Fn. 20), Art. 46c VO 1408/71, Rn. 3. 42 Unterstreichung durch Verfasser. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 17 rechnung dieser Leistung zugrunde gelegten Versicherungs- und/oder Wohnzeiten berücksichtigt .“ Es erfolgt somit eine Kürzung der Leistungen nur nach dem gemäß Art. 46 Abs. 2 VO 1408/71 errechneten pro-rata-Verhältnis.43 Art. 46c Abs. 3 VO 1408/71 regelt den Fall, dass es zur Kürzung von Leistungen nach beiden Berechnungsarten des Art. 46 VO 1408/71 kommt und enthält hierfür in Buchst. a) und b) folgende Vorgaben: „Bei einer Leistung oder Leistungen nach Artikel 46 Absatz 1 Buchstabe a) Ziffer i) werden die Beträge, die bei strenger Anwendung der in den Rechtsvorschriften der betreffenden Mitgliedstaaten vorgesehenen Kürzungs[-bestimmungen] nicht ausgezahlt werden, durch die Zahl der zu kürzenden […] Leistungen geteilt.“[Buchst. a)] „Bei einer Leistung oder Leistungen, die nach Artikel 46 Absatz 2 berechnet werden, wird nach Maßgabe des Absatzes 2 gekürzt […].“ [Buchst. b)] Art. 46c Abs. 5 VO 1408/71 ordnet schließlich die analoge Anwendung der Absätze 1 bis 4 für die Fälle an, in denen nach mitgliedstaatlichen Antikumulierungsvorschriften der Anspruch auf eine fremdmitgliedstaatliche Leistung anderer Art nicht zu einer Kürzung etc. eines Anspruchs führt, sondern dessen Entstehung hindert.44 Die Vorgaben des Art. 46c VO 1408/71 dürften für den der Gutachtenfrage zugrunde liegenden Einzelfall dann von Bedeutung sein, wenn die streitigen Kürzungen das Verhältnis der Altersrentenansprüche aus eigener Erwerbstätigkeit nach den Vorschriften eines Mitgliedstaates (Belgien oder Deutschland) zu den Hinterbliebenenleistungen nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates betreffen (Deutschland oder Belgien) betreffen. 4.5. Primärrechtliche Grenzen Ist eine aufgrund mitgliedstaatlicher Vorschriften vorgenommene Kürzung nach den Vorgaben der Art. 46a, 46b oder 46c VO 1408/71 zulässig, so ist dies – wie oben ausgeführt45 – noch nicht gleichbedeutend mit ihrer Unionsrechtmäßigkeit.46 Diese ist erst dann gegeben, wenn die betreffende Kürzung(-svorschrift) v. a. mit der primärrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV vereinbar ist. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH führt diese Grundfreiheit nämlich „einen fundamentalen Grundsatz [aus], dem zufolge die Tätigkeit der Union die Beseitigung der Hindernisse für den 43 Vgl. Schuler, in: Fuchs 2005 (Fn. 20), Art. 46c VO 1408/71, Rn. 6. 44 Vgl. Schuler, in: Fuchs 2005 (Fn. 20), Art. 46c VO 1408/71, Rn. 8. 45 Siehe oben unter 2.1.1., S. 5 f. 46 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.05.2013, Rs. C-589/10 (Janina Wencel/ZUS), Rn. 63 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 23/17 Seite 18 freien Personenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten umfasst […].“47 Zu den zu beseitigenden Hindernissen zählen nicht nur (offene und versteckte) Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle sonstigen Maßnahmen, die geeignet sind, „die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten durch die Unionsangehörigen zu behindern oder weniger attraktiv zu machen […]. Nationale Maßnahmen dieser Art können nur dann zugelassen werden, wenn mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, wenn sie geeignet sind, dessen Erreichung zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist […].“48 Selbst unterschiedslos anwendbare mitgliedstaatliche Kürzungsvorschriften und deren Anwendung im Einzelfall machen die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit jedenfalls „weniger attraktiv “ und unterliegen daher in jedem Fall einem Rechtfertigungserfordernis. Ob und inwieweit die Rechtfertigungsanforderungen jeweils erfüllt sind, ist eine Frage des Einzelfalls und von den einschlägigen Kürzungsvorschriften abhängig. Eine abstrakte Beantwortung ist an dieser Stelle nicht möglich. Für den der Gutachtenfrage zugrunde liegenden konkreten Fall bedeutet dies, dass die Anwendung belgischer Kürzungsvorschriften auch im Fall ihrer Vereinbarkeit mit den Vorgaben der Art. 46a bis 46c VO 1408/71 noch am Maßstab der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV zu prüfen wären, um von einer Unionsrechtskonformität der streitigen Kürzungen ausgehen zu können. 4.6. Zusammenfassung Die Anwendung mitgliedstaatlicher Antikumulierungsvorschriften im Fall von Rentenleistungen unterliegt zunächst den Voraussetzungen bzw. Anforderungen der Art. 46a bis 46c VO 1408/17. Zu unterscheiden ist dabei zwischen Kürzungen beim Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art und Kürzungen beim Zusammentreffen von Leistungen nicht gleicher Art. Während im ersten Fall national veranlasste Kürzungen nur eingeschränkt möglich, im Hinblick auf Leistungen, die nach dem pro-rata-temporis-Verfahren berechnet wurden, sogar schlechthin ausgeschlossen sind (vgl. Art. 46b Abs. 1 und 2 VO 1408/71), ist die Anwendung von Antikumulierungsvorschriften beim Zusammentreffen verschiedenartiger Leistungen nach Art. 46c VO 1408/71 zulässig , aber der Höhe nach beschränkt. Erfüllen mitgliedstaatliche Antikumulierungsvorschriften die Voraussetzungen bzw. Anforderungen der Art. 46a bis 46c VO 1408/17, so ist dies noch nicht gleichbedeutend mit ihrer Unionsrechtskonformität. Diese besteht erst dann, wenn die betreffenden Vorschriften mit der primärrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV vereinbar sind. – Fachbereich Europa – 47 EuGH, Urt. v. 16.05.2013, Rs. C-589/10 (Janina Wencel/ZUS), Rn. 68. 48 EuGH, Urt. v. 16.05.2013, Rs. C-589/10 (Janina Wencel/ZUS), Rn. 69 f.