© 2017 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 22/17 Der Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 2 Der Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 22/17 Abschluss der Arbeit: 23.5.2017 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Vereinbarkeit mit der E-Commerce Richtlinie 4 2.1. Art. 3 der E-Commerce Richtlinie 6 2.1.1. Das Herkunftslandprinzip 6 2.1.2. Das Herkunftslandprinzip und das NetzDG-E 6 2.1.3. Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip 7 2.1.4. Wertung 9 2.2. Art. 14 der E-Commerce Richtlinie 9 2.2.1. Fristenvorgabe 10 2.2.2. Kenntnisverschaffungspflicht 11 2.2.2.1. Rechtsmäßigkeit eines Notice-and-take-down Verfahrens 12 2.2.2.2. Ausgestaltung eines Notice-and-take-down Verfahrens 13 2.2.3. Suche und Entfernung von Kopien 16 2.3. Art. 15 der E-Commerce Richtlinie 17 2.4. Zwischenergebnis 20 3. Vereinbarkeit mit der Datenschutzgrundverordnung 20 4. Vereinbarkeit mit der Grundrechtecharta 21 4.1. Anwendbarkeit der Grundrechtecharta 21 4.2. Prüfung der einzelnen Grundrechte 23 4.2.1. Schutz der Meinungs- und Informationsfreiheit 23 4.2.1.1. Schutzbereich 23 4.2.1.2. Eingriff 24 4.2.1.3. Rechtfertigung 25 4.2.1.3.1. Gesetzliche Grundlage und legitimes Ziel 25 4.2.1.3.2. Verhältnismäßigkeit 26 4.2.1.3.3. Rückschlüsse aus dem Delfi-Urteil des EGMR 27 4.2.1.4. Zwischenergebnis 28 4.2.2. Schutz der unternehmerischen Freiheit 28 4.2.2.1. Schutzbereich 28 4.2.2.2. Eingriff 29 4.2.2.3. Rechtfertigung 29 4.2.2.4. Zwischenergebnis 31 4.2.3. Schutz personenbezogener Daten 31 4.2.3.1. Eingriff durch die Einrichtung eines Filtersystems 32 4.2.3.2. Eingriff durch die Speicherung von Daten 33 4.2.3.2.1. Eingriff 34 4.2.3.2.2. Rechtfertigung 34 4.2.3.2.3. Rückschlüsse aus der Rechtssache Digital Rights Ireland 34 4.2.3.2.4. Zwischenergebnis 36 4.2.3.3. Eingriff durch Möglichkeit der Auskunftserteilung 36 5. Vereinbarkeit mit der Dienstleistungsfreiheit 39 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 4 1. Fragestellung In der nachfolgenden Ausarbeitung wird die Vereinbarkeit des Entwurfs des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (im Folgenden: NetzDG-E)1 mit dem Unionsrecht geprüft. Das NetzDG-E führt bußgeldbewehrte Regeln für soziale Netzwerke ein. Ziel des Gesetzentwurfs ist es, ein schnelles und effektives Vorgehen gegen Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte im Netz zu ermöglichen.2 Gemäß § 3 Abs. 1 NetzDG-E muss der Anbieter eines sozialen Netzwerks ein wirksames und transparentes Verfahren für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte vorhalten. Dieses Verfahren muss nach § 3 Abs. 2 NetzDG-E gewährleisten, dass der Anbieter unverzüglich von Nutzerbeschwerden Kenntnis nimmt und prüft, ob der von ihnen gemeldete Inhalt rechtswidrig und zu entfernen oder der Zugang zu ihm zu sperren ist. Offensichtlich rechtswidriger Inhalt ist innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde zu entfernen bzw. der Zugang zu ihm zu sperren. Bei (nicht offensichtlich) rechtswidrigem Inhalt gilt eine Frist von sieben Tagen. Zudem ist der Anbieter eines sozialen Netzwerks verpflichtet, im Falle der Entfernung den Inhalt zu Beweiszwecken zu sichern, den Beschwerdeführer und den Nutzer über jede Entscheidung unverzüglich zu informieren und seine Entscheidung zu begründen sowie sämtliche auf den Plattformen befindliche Kopien des rechtwidrigen Inhalts ebenfalls unverzüglich zu entfernen oder zu sperren. Bestimmte Zuwiderhandlungen gegen diese Vorgaben können als Ordnungswidrigkeit mit Geldbußen sanktioniert werden. Nach § 4 Abs. 3 NetzDG-E kann die Ordnungswidrigkeit auch dann geahndet werden, wenn sie nicht im Inland begangen wird. 2. Vereinbarkeit mit der E-Commerce Richtlinie In ersten Stellungnahmen und Beiträgen zum NetzDG-E wurde insbesondere kritisiert, dass der Entwurf Vorgaben der E-Commerce Richtlinie 2000/31/EG3 missachte. Die E-Commerce Richtlinie dient dem Abbau rechtlicher Hindernisse für den Binnenmarkt der Dienste von Informationsgesellschaften . Zu diesem Zweck schafft dieser Rechtsakt gemäß seinem 8. Erwägungsgrund einen rechtlichen (einheitlichen) Rahmen zur Sicherstellung des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten. Die Dienste der Informationsgesellschaft umfassen nach Erwägungsgrund 18 der Richtlinie einen weiten Bereich von wirtschaftlichen Tätigkeiten , die online vonstattengehen. Die Dienste der Informationsgesellschaft beschränken sich nicht nur auf Dienste, bei denen online Verträge geschlossen werden können. Sie erstrecken sich, soweit es sich überhaupt um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt, auch auf Dienste, die nicht von denjenigen vergütet werden, die sie empfangen. Dies betrifft beispielsweise Online-Informationsdienste , kommerzielle Kommunikation oder Dienste, die Instrumente zur Datensuche, zum 1 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. 2 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 1 f., abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. 3 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. 2000, L 178/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32000L0031&qid=1491989317574&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 5 Zugang zu Daten und zur Datenabfrage bereitstellen. Zu den Diensten der Informationsgesellschaft zählen auch Dienste, die Informationen über ein Kommunikationsnetz übermitteln, Zugang zu einem Kommunikationsnetz anbieten oder Informationen, die von einem Nutzer des Dienstes stammen, speichern. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zielt die E-Commerce Richtlinie für die meisten Aspekte des elektronischen Geschäftsverkehrs nicht auf eine Harmonisierung des materiellen Rechts ab. Vielmehr definiere sie einen „koordinierten Bereich“, in dessen Rahmen es die Regelung des Art. 3 der Richtlinie ermöglichen soll, die Dienste der Informationsgesellschaft grundsätzlich dem Rechtssystem desjenigen Mitgliedstaats zu unterwerfen, in dem der Anbieter niedergelassen ist.4 Damit ordnet die E-Commerce Richtlinie die Geltung des sog. Herkunftslandprinzips an, wonach eine Ware oder Dienstleistung, die nach den Gesetzen des Herkunftsstaats ordnungsgemäß hergestellt und angeboten worden ist, von diesem Land aus in allen Mitgliedstaaten der EU angeboten werden darf.5 Die E-Commerce Richtlinie enthält jedoch auch materielle Vorgaben, insbesondere hinsichtlich der Verantwortlichkeit von Diensteanbietern, die als Vermittler handeln. Ausweislich des Erwägungsgrunds 40 der E-Commerce Richtlinie behindern diesbezügliche Unterschiede in den Rechtsvorschriften und der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten das Funktionieren des Binnenmarktes . Daher enthalten die Art. 12 bis 15 der Richtlinie Bestimmungen zur Verantwortlichkeit von Anbietern, welche eine Grundlage für die Entwicklung von Verfahren zur Entfernung unerlaubter Informationen und zur Sperrung des Zugangs zu ihnen bilden. Ohly vertritt die Ansicht, dass die E-Commerce Richtlinie den Mitgliedstaaten bei der gesetzlichen oder richterlichen Ausgestaltung der Verantwortlichkeit von Diensteanbietern, die als Vermittler handeln, einen erheblichen Gestaltungsspielraum belässt.6 Dem steht die überwiegend vertretene Ansicht entgegen, wonach die Art. 12 bis 15 der E-Commerce Richtlinie einer Vollharmonisierung dienen7 und die Mitgliedstaaten gehindert sind, von der Richtlinie abweichende Regelungen zu erlassen.8 In diese Richtung zielen auch die Ausführungen des deutschen Gesetzgebers zum Entwurf des Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (EGG). So steht in der Gesetzesbegründung: „Die Richtlinienbestimmungen über die Verantwortlichkeit sind, soweit 4 EuGH, Urt. v. 25.10.2011, Rs. C‑509/09 und C‑161/10, ECLI:EU:C:2011:685 – eDate Advertising, Rn. 57. 5 Hetmank, Internetrecht – Grundlagen, Streitfragen, Aktuelle Entwicklungen, 2016, S. 23 ff. 6 Ohly, Die Verantwortlichkeit von Intermediären, ZUM 2015, S. 308 (318). 7 Hoffmann, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorb. §§ 7-10 TMG, Rn. 3 und 21; Nolte/Wimmers, Wer stört? Gedanken zur Haftung von Intermediären im Internet – von praktischer Konkordanz, richtigen Anreizen und offenen Fragen, GRUR 2014, S. 16 (17). 8 Sieber/Höfinger, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 18. EGL 2007, Teil 18.1, Rn. 10 f.; Chmelík, Social Network Sites – Soziale Netzwerke, 2016, S. 111 m.w.N. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 6 sie Verantwortlichkeitsprivilegierungen vorsehen, als Vollharmonisierung gedacht, d. h. die Mitgliedstaaten dürfen weder weitere noch engere Regelungen im nationalen Recht treffen.“9 Auch aus Erwägungsgrund 40 der E-Commerce Richtlinie folgt, dass die EU im Bereich der Verantwortlichkeit von Diensteanbietern durch Rechtsangleichung einen koordinierten Bereich schaffen will. Eine Harmonisierung besteht jedoch nur im Regelungsbereich der Richtlinie. Sachbereiche, zu denen die E-Commerce Richtlinie keine Vorgaben enthält, können durch die Mitgliedstaaten geregelt werden.10 2.1. Art. 3 der E-Commerce Richtlinie 2.1.1. Das Herkunftslandprinzip Gemäß Art. 3 Abs. 2 der E-Commerce Richtlinie dürfen die Mitgliedstaaten den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus anderen Mitgliedstaaten nicht aus Gründen einschränken , die in den koordinierten Bereich fallen (Herkunftslandprinzip). Sinn und Zweck des Herkunftslandprinzips ist die Ermöglichung eines freien Waren- bzw. Dienstleistungsverkehrs im europäischen Binnenmarkt. Der EuGH hielt zum Herkunftslandprinzip in Art. 3 der E-Commerce Richtlinie fest, dass „die Unterwerfung der Dienste des elektronischen Geschäftsverkehrs unter die Rechtsordnung des Sitzmitgliedstaats ihres Anbieters nach Art. 3 Abs. 1 es nicht ermöglichen würde, den freien Verkehr dieser Dienste umfassend sicherzustellen , wenn die Diensteanbieter im Aufnahmemitgliedstaat letztlich strengere Anforderungen als in ihrem Sitzmitgliedstaat erfüllen müssten.“11 Daher verbiete es Art. 3 der Richtlinie, vorbehaltlich der bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 gestatteten Ausnahmen, dass ein Diensteanbieter im Aufnahmemitgliedstaat strengeren Anforderungen unterliegt, als sie das Recht im Sitzmitgliedstaat dieses Anbieters vorsieht.12 2.1.2. Das Herkunftslandprinzip und das NetzDG-E Der koordinierte Bereich, der dem Herkunftslandprinzip unterfällt, umfasst nach Art. 2 lit. h i) 2. Spiegelstrich der E-Commerce Richtlinie die von einem Diensteanbieter zu erfüllenden Anforderungen in Bezug auf die Ausübung der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft und das Verhalten des Diensteanbieters, Anforderungen betreffend Qualität oder Inhalt des 9 Entwurf eines Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG), Bundestag Drucksache 14/6098, S. 22, abrufbar unter http://dip21.bundestag .de/dip21/btd/14/060/1406098.pdf. 10 Sieber/Höfinger, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 18. EGL 2007, Teil 18.1, Rn. 12. 11 EuGH, Urt. v. 25.10.2011, Rs. C‑509/09 und C‑161/10, ECLI:EU:C:2011:685 – eDate Advertising, Rn. 66. 12 EuGH, Urt. v. 25.10.2011, Rs. C‑509/09 und C‑161/10, ECLI:EU:C:2011:685 – eDate Advertising, Rn. 67. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 7 Dienstes sowie Anforderungen betreffend die Verantwortlichkeit des Diensteanbieters. Entsprechend den Ausführungen im Gesetzentwurf dürften hiervon die im NetzDG-E vorgeschlagenen Betreiberpflichten bei sozialen Netzwerken erfasst sein.13 Das Herkunftslandprinzip könnte dem Entwurf des NetzDG-E entgegenstehen, da im Gesetzentwurf , insbesondere in § 1 NetzDG-E, nicht ausdrücklich festgehalten ist, dass die Vorgaben des NetzDG-E nur für inländische Netzwerkbetreiber gelten. Vielmehr steht in der Entwurfsbegründung , dass sich die Regulierung nicht ausschließlich an inländische Betreiber richte, sondern auch Betreiber aus anderen Mitgliedstaaten der EU betreffe.14 Normen wie die Vorgabe eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten in § 5 NetzDG-E oder die Sanktionierung nach § 4 Abs. 3 NetzDG-E von sozialen Netzwerken für Ordnungswidrigkeiten, die nicht im Inland begangen worden sind, sprechen ebenfalls für eine Anwendung des NetzDG-E auf Netzwerkbetreiber aus anderen Staaten.15 2.1.3. Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip Die Begründung des Gesetzentwurfs verneint eine Verletzung des Herkunftslandprinzips durch das NetzDG-E und hebt dafür auf die Ausnahmemöglichkeiten nach Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie ab. Ausnahmen gemäß Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie, auf die die Begründung des NetzDG-E hinweist, sind nach der wohl herrschenden Meinung in der Literatur ausschließlich behördliche Schutzmaßnahmen nach Abwägung im konkreten Einzelfall.16 Abstrakt -generelle Normen, die gezielt auf die Beschränkung der Ausübung eines Dienstes abzielen, 13 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 12, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf; so auch, Spindler, Legal Expertise commissioned by BITKOM concerning the notified German Act to Improve Enforcement of the Law in Social Networks (Netzwerkdurchsetzungsgesetz), abrufbar unter https://www.bitkom .org/noindex/Publikationen/2017/Sonstiges/Legal-Expertise-Official-2-0.pdf. 14 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 13, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. 15 Hoeren, Netzwerkdurchsetzungsgesetz europarechtswidrig, beck community vom 30.3.2017, abrufbar unter https://community.beck.de/2017/03/30/netzwerkdurchsetzungsgesetz-europarechtswidrig; Digitale Gesellschaft, Stellungnahme zur TRIS-Notifizierung des Entwurfs für ein Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, abrufbar unter https://digitalegesellschaft.de/wp-content/uploads/2017/04/Stellungnahme _TRIS_NetzDG_DigiGes.pdf. 16 Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik (DGRI) e.V., Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurch -setzung in sozialen Netzwerken (NetzDG), abrufbar unter http://www.dgri.de/index.php/fuseaction /download/lrn_file/dgri-stellungnahme-netzdg.pdf; Schulz, Comments on the Draft for an Act improving Law Enforcement on Social Networks (NetzDG), abrufbar unter http://www.hans-bredow-institut .de/webfm_send/1178. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 8 können diesen Stimmen zufolge hingegen nicht als Ausnahmeregelung unter Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie subsumiert werden.17 Das NetzDG-E stützt sich nicht auf die Möglichkeit von Ausnahmen durch abstrakt-generelle Normen, wie sie in Art. 3 Abs. 3 E-Commerce Richtlinie i. V. m. dem Anhang zu Art. 3 geregelt sind.18 Der Anhang der E-Commerce Richtlinie gestattet Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip in den Bereichen des Urheberrechts, bei der Ausgabe elektronischen Geldes oder vertraglichen Schuldverhältnissen in Bezug auf Verbraucherverträge. Er normiert jedoch keine Ausnahmemöglichkeit für den Bereich sozialer Netzwerke, die Verantwortlichkeit von Diensteanbietern oder die Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet.19 Auch bezüglich des Vorliegens der weiteren Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie für eine Ausnahmeregelung bestehen hinsichtlich des NetzDG-E Zweifel. Das NetzDG- E richtet sich nicht an „einen bestimmten Dienst“ i. S. d. Art. 3 Abs. 4 lit. a ii) der E-Commerce Richtlinie, sondern erfasst generell „Anbieter sozialer Netzwerke“, die im Inland mehr als zwei Millionen Nutzer haben. Es sind aber – laut einer Mitteilung der Kommission zur Anwendung von Art. 3 Abs. 4 bis 6 der E-Commerce-Richtlinie auf Finanzdienstleistungen 20 – gemäß Art. 3 Abs. 4 lit. a ii) der Richtlinie nur Ausnahmen zulässig, die einen ganz bestimmten, konkret bezeichneten Anbieter betreffen.21 Eine weitere Voraussetzung stellt die Anforderung des Art. 3 Abs. 4 lit. b der E-Commerce Richtlinie dar, wonach der jeweilige Mitgliedstaat vor Ergreifen der Maßnahmen den Sitzmitgliedstaat auffordern muss, Maßnahmen zu ergreifen und dieser dem nicht Folge geleistet haben darf oder die von ihm getroffenen Maßnahmen unzulänglich sind. Außerdem muss der Mitgliedstaat, der entgegen dem Herkunftslandprinzip Regelungen erlässt, sowohl die Kommission wie auch den Sitzmitgliedstaat des oder der betroffenen Unternehmen über seine Absicht, die fraglichen Maßnahmen zu ergreifen, informieren. Laut Entwurfsbegründung gestattet Art. 3 Abs. 5 der E-Commerce Richtlinie in dringlichen Fällen ein Abweichen von 17 Weller, in: Gersdorf/Paal, Beck’scher Onlinekommentar Informations- und Medienrecht, 15. Edition, Stand: 1.2.2016, § 3 TMG, Rn. 30 und 32; Nordmeier, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 3 TMG Rn. 22 18 Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik (DGRI) e.V., Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG), abrufbar unter http://www.dgri.de/index.php/fuseaction /download/lrn_file/dgri-stellungnahme-netzdg.pdf. 19 Zu diesem Ergebnis kommt auch Spindler, Legal Expertise commissioned by BITKOM concerning the notified German Act to Improve Enforcement of the Law in Social Networks (Netzwerkdurchsetzungsgesetz), abrufbar unter https://www.bitkom.org/noindex/Publikationen/2017/Sonstiges/Legal-Expertise-Official-2-0.pdf. 20 Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und die Europäische Zentralbank – Anwendung von Artikel 3 Absätze 4 bis 6 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr auf Finanzdienstleistungen , KOM(2003) 259 endg., S. 5, abrufbar unter http://ec.europa.eu/transparency/regdoc /rep/1/2003/DE/1-2003-259-DE-F1-1.Pdf. 21 Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik (DGRI) e.V., Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG), abrufbar unter http://www.dgri.de/index.php/fuseaction /download/lrn_file/dgri-stellungnahme-netzdg.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 9 diesen Bedingungen. Ausweislich der Entwurfsbegründung des NetzDG-E ist „ein sofortiges Handeln […] zur effektiven Bekämpfung von Hasskriminalität und weiterer objektiv strafbarer Handlungen im Internet dringend geboten.“ Es bleibt jedoch fraglich, ob die in der Entwurfsbegründung unterstellte Dringlichkeit der Bekämpfung von Hasskriminalität die Anforderungen des Art. 3 Abs. 5 E-Commerce Richtlinie erfüllt.22 2.1.4. Wertung Die Betrachtung des NetzDG-E als Ausnahmeregelung i. S. d. Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce Richtlinie ist aufgrund der Voraussetzungen der Art. 3 Abs. 4 und 5 der Richtlinie, welche der Gesetzentwurf nicht erfüllt, nach hiesiger Ansicht nicht möglich. Fraglich ist jedoch, ob eine unionsrechtskonforme Auslegung des NetzDG-E in dem Sinne möglich ist, dass das NetzDG-E für Netzwerkbetreiber aus anderen Mitgliedstaaten nur greift, wenn die Normen des betreffenden Mitgliedstaates vergleichbare Vorgaben postulieren und das deutsche Recht mithin nicht strenger ist als das Recht des Sitzmitgliedstaats. So hat der EuGH zum Herkunftslandprinzip entschieden, dass es keine Umsetzung in Form einer speziellen Kollisionsregel verlange.23 Die Mitgliedstaaten müssten jedoch im koordinierten Bereich sicherstellen, dass der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs keinen strengeren Anforderungen unterliegt, als sie das im Sitzmitgliedstaat dieses Anbieters geltende Sachrecht vorsieht.24 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob dieser Anforderung durch eine entsprechende Auslegung genüge getan werden kann. Dagegen spricht die Begründung des NetzDG-E, welche eine Anwendung der Normen auf Betreiber aus anderen EU-Mitgliedstaaten ausdrücklich vorsieht. 2.2. Art. 14 der E-Commerce Richtlinie Auch im Hinblick auf Art. 14 der E-Commerce Richtlinie wurde von verschiedenen Stimmen in der jüngeren Debatte eine Verletzung durch das NetzDG-E kritisiert. Gemäß Art. 14 Abs. 1 lit. a der E-Commerce Richtlinie stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass im Fall eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen besteht, der Diensteanbieter nicht für die im Auftrag eines Nutzers gespeicherten Informationen verantwortlich ist, wenn der Anbieter keine tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information hat und in Bezug auf Schadensersatzansprüche sich auch keiner Tatsachen oder Umstände bewusst ist, aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird. Zudem muss der Anbieter nach Art. 14 Abs. 1 lit. b der E-Commerce Richtlinie, sobald er diese Kenntnis oder dieses Bewusstsein erlangt, unverzüglich tätig werden, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren. Gemäß Art. 14 Abs. 3 lässt dieser Artikel jedoch die Möglichkeit unberührt, dass ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde nach den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten von Diensteanbietern verlangt, die 22 S. dazu auch Spindler, Legal Expertise commissioned by BITKOM concerning the notified German Act to Improve Enforcement of the Law in Social Networks (Netzwerkdurchsetzungsgesetz), abrufbar unter https://www.bitkom.org/noindex/Publikationen/2017/Sonstiges/Legal-Expertise-Official-2-0.pdf. 23 EuGH, Urt. v. 25.10.2011, Rs. C‑509/09 und C‑161/10, ECLI:EU:C:2011:685 – eDate Advertising, Rn. 63. 24 EuGH, Urt. v. 25.10.2011, Rs. C‑509/09 und C‑161/10, ECLI:EU:C:2011:685 – eDate Advertising, Rn. 68. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 10 Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern, oder dass die Mitgliedstaaten Verfahren für die Entfernung einer Information oder die Sperrung des Zugangs zu ihr festlegen. 2.2.1. Fristenvorgabe Wimmers/Heymann kritisieren in ihrem Aufsatz zum NetzDG-E, dass die Definition von starren Fristen (24 Stunden bzw. sieben Tage) für die Entfernungspflichten von sozialen Netzwerken im Gesetzentwurf dem Unverzüglichkeitsmaßstab in Art. 14 Abs. 1 lit. b der E-Commerce Richtlinie widerspricht.25 Eine ähnliche Kritik äußern der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) und die Deutsche Gesellschaft für Recht und Informatik (DGRI) in ihren Stellungnahmen zum NetzDG-E. Sie kritisieren, dass die Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen in Richtlinien dem EuGH vorbehalten sei und die Pflicht des Diensteanbieters zum unverzüglichen Tätigwerden bei Kenntnis nach Art. 14 Abs. 1 lit. b der E-Commerce -Richtlinien mithin nicht durch den deutschen Gesetzgeber konkretisiert werden dürfe.26 Gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV sind Richtlinien für die Mitgliedstaaten, an die sie gerichtet werden , hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, sie überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Die Mitgliedstaaten sind nach dem Unionsrecht nicht verpflichtet, unbestimmte Rechtsbegriffe aus Richtlinien in das nationale Recht zu übernehmen . Wenn der europäische Gesetzgeber in einer Richtlinie einen unbestimmten Rechtsbegriff verwendet, räumt er den Mitgliedstaaten einen Auslegungsspielraum bei der Umsetzung der Richtlinie ein, den diese nutzen können. Es steht den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie grundsätzlich frei, einen solchen unbestimmten Rechtsbegriff zu konkretisieren.27 Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Begriffe des Unionsrechts allerdings grundsätzlich in der gesamten EU autonom und einheitlich auszulegen. Es ist daher möglich, dass der EuGH die unbestimmten Rechtsbegriffe einer Richtlinie durch seine Rechtsprechung konkretisiert und damit den Gestaltungsspielraum des nationalen Rechts einengt.28 Wenn der deutsche Gesetzgeber den unbestimmten Begriff „unverzüglich“ aus Art. 14 Abs. 1 lit. b der E-Commerce Richtlinie im Rahmen des NetzDG-E bei offensichtlichen Rechtsverstößen als 24-Stunden-Frist und in allen anderen Fällen als sieben-Tage-Frist umsetzt, würde er einen 25 Wimmers/Heymann, Zum Referentenentwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) – eine kritische Stellungnahme, AfP 2017, S. 93 (95). 26 Bitkom, Stellungnahme zum Referentenentwurf des NetzDG, 30.3.2017, abrufbar unter https://www.bitkom .org/noindex/Publikationen/2017/Positionspapiere/20170330-Entw-Bitkom-zu-NetzwerkDG.pdf; Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik (DGRI) e.V., Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG), abrufbar unter http://www.dgri.de/index.php/fuseaction/download /lrn_file/dgri-stellungnahme-netzdg.pdf. 27 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, EL 48, Stand: August 2012, Art. 288 AEUV, Rn. 135. 28 Ungern-Sternberg, Einwirkung der Durchsetzungsrichtlinie auf das deutsche Schadensersatzrecht, GRUR 2009, S. 460. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 11 unbestimmten Rechtsbegriff konkretisieren. Eine solche Konkretisierung ist grundsätzlich unionsrechtskonform , insbesondere existiert, soweit ersichtlich, bisher keine Rechtsprechung des EuGH zur Definition des Begriffs „unverzüglich“ in Art. 14 der E-Commerce Richtlinie. Fraglich ist allerdings auch, ob die gewählte Form der Konkretisierung, dass eine Entfernung bzw. Sperrung innerhalb von sieben Tagen und bei offensichtlich rechtswidrigen Inhalten innerhalb von 24 Stunden zu erfolgen hat, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Soweit ersichtlich, wird der Begriff der Unverzüglichkeit im Unionsrecht nicht abschließend definiert. In diesem Zusammenhang ist von Interesse, dass in anderen Mitgliedstaaten die Pflicht von Diensteanbietern zur Entfernung oder Sperrung des Zugangs zu rechtswidrigen Informationen mit einem festen Zeitrahmen verknüpft worden ist. In einem Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen zu einer Mitteilung der Kommission aus 2012 steht zu nationalen Regelungen von „Notice-and-take-down Verfahren“: „Some legislative NTD procedures have established a specific timeframe for the takedown or blocking of information, while others have not. For instance: in Finland an intermediary has to act "immediately" for copyright infringements; in Hungary intermediaries have to act within 12 hours in the field of IPR; in Lithuania, intermediaries have to act within 1 day for copyright infringements; in Spain, ISPs have to act within 72 hours for copyright infringements; in the UK, intermediaries have to act within 2 days for terrorism-related illegal content.”29 Es existieren mithin verschiedene Umsetzungen der Pflicht zur unverzüglichen Entfernung. Soweit ersichtlich , wurden diese Konkretisierungen durch die Mitgliedstaaten weder von der Kommission noch dem EuGH im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens als Verletzung der unionsrechtlichen Vorgaben angesehen. Die 24-Stunden-Frist zur Entfernung offensichtlich rechtswidriger Inhalte stimmt mit den Zeitvorgaben anderer Mitgliedstaaten zur Entfernung (urheber-) rechtsverletzender Inhalte überein. Eine 7-Tages-Frist für rechtlich schwieriger zu bewertende Inhalte erscheint im Vergleich nach hiesiger Ansicht angemessen und ebenfalls unionsrechtskonform. 2.2.2. Kenntnisverschaffungspflicht Nach Ansicht von Wimmers/Heymann etabliert das NetzDG-E eine Kenntnisverschaffungspflicht zur Haftungsvermeidung, welche den Vorgaben des Art. 14 der E-Commerce Richtlinie widerspricht .30 Nach Art. 14 Abs. 1 lit. b der E-Commerce Richtlinie muss ein Diensteanbieter rechtswidrige Informationen entfernen oder sperren, wenn er Kenntnis davon erlangt hat, dass ein konkreter Inhalt auf seiner Plattform rechtswidrig ist. Andernfalls ist er für die im Auftrag eines Nutzers gespeicherten Informationen verantwortlich. Das NetzDG-E postuliere, so Wimmers/Heymann , hingegen eine Kenntnisverschaffungspflicht zur Haftungsvermeidung. Es wird aus ihren Ausführungen nicht eindeutig ersichtlich, worin diese Kenntnisverschaffungspflicht liegt. Eine Möglichkeit wäre die Normierung einer Pflicht der Netzwerkbetreiber nach § 3 Abs. 1 NetzDG-E, ein wirksames und transparentes Verfahren für den Umgang mit Beschwerden über 29 Commission Staff Working Document, Online services, including e-commerce, in the Single Market, SEC(2011) 1641 final, S. 44, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/e-commerce/docs/communication 2012/SEC2011_1641_en.pdf. 30 Wimmers/Heymann, Zum Referentenentwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) – eine kritische Stellungnahme, AfP 2017, S. 93 (95). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 12 rechtswidrige Inhalte vorzuhalten und aufgrund der Beschwerden rechtswidrige Beiträge zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren.31 Denn mit einem solchen System ginge die Pflicht des Anbieters einher, gemeldete Inhalte zu prüfen und sich durch diese Prüfung Kenntnis über ihre Rechtswidrigkeit zu verschaffen und sie ggf. zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren . Auch nach Ansicht von Nolte/Wimmers ist eine solche Kenntnisverschaffungspflicht der Anbieter nicht mit den Vorgaben von Art. 14 der E-Commerce-Richtlinie zur Haftung bei positiver Kenntnis und der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH zu vereinbaren.32 Die deutsche Gesellschaft für Recht und Informatik kritisiert in ihrer Stellungnahme ebenfalls: „Der Referentenentwurf geht demgegenüber davon aus, dass der Anbieter eines sozialen Netzwerkes bei behaupteten Rechtsverletzungen durch die Einholung einer Stellungnahme des Verfassers bzw. durch externen Rechtsrat Ermittlungen zur Rechtswidrigkeit durchführt. Eine solche Pflicht, sich die Kenntnis erst zu verschaffen, ist mit den Vorgaben der Richtlinie nicht zu vereinbaren.“33 In eine ähnliche Richtung gehen die Bedenken von Spindler, der kritisiert, dass nach den Vorgaben des NetzDG-E eine Beschwerde, an die keine weiteren Anforderungen gestellt werden, schon zu einer Kenntnis des Netzwerkbetreibers führe, wodurch die Anforderungen des Art. 14 der E- Commerce Richtlinie hinsichtlich der Kenntnis der Rechtswidrigkeit missachtet würden.34 Unter dem Stichwort der Kenntnisverschaffungspflicht ist mithin zu klären, inwiefern bzw. in welcher Ausgestaltung ein „Notice-and-take-down“ Verfahren mit Art. 14 der E-Commerce Richtlinie vereinbar ist. 2.2.2.1. Rechtsmäßigkeit eines Notice-and-take-down Verfahrens Ein Notice-and-take-down Verfahren bezeichnet grundsätzlich den in Art. 14 Abs. 1 lit. b der E-Commerce Richtlinie eingeforderten Mechanismus, wonach ein Diensteanbieter bei positiver Kenntnis der Rechtswidrigkeit eines konkreten Inhalts auf seiner Plattform diesen entfernt oder den Zugang zu ihm sperrt.35 Ein Diensteanbieter schafft im Rahmen eines Notice-and-take-down 31 Dafür sprechen auch die Ausführungen bei Nolte/Wimmers, Wer stört? Gedanken zur Haftung von Intermediären im Internet – von praktischer Konkordanz, richtigen Anreizen und offenen Fragen, GRUR 2014, S. 16 (24). 32 Nolte/Wimmers, Wer stört? Gedanken zur Haftung von Intermediären im Internet – von praktischer Konkordanz , richtigen Anreizen und offenen Fragen, GRUR 2014, S. 16 (24). 33 Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik (DGRI) e.V., Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG), abrufbar unter http://www.dgri.de/index.php/fuseaction /download/lrn_file/dgri-stellungnahme-netzdg.pdf. 34 Spindler, Legal Expertise commissioned by BITKOM concerning the notified German Act to Improve Enforcement of the Law in Social Networks (Netzwerkdurchsetzungsgesetz), abrufbar unter https://www.bitkom.org/noindex/Publikationen/2017/Sonstiges/Legal-Expertise-Official-2-0.pdf. 35 Solmecke, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 42. EGL 2015, Teil 21.1, Rn. 89 ff.; Obergfell /Thamer, (Non-)Regulation of online Platforms and internet Intermediaries – The facts: Context and Overview on State of Play, GRUR Int. 2017, S. 201 (203 f.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 13 Mechanismus eine Möglichkeit für Nutzer, rechtswidrige Inhalte zu melden. Auf diese Weise erlangt er Kenntnis vom Inhalt (notice) und kann den Inhalt (wenn er sich nach Rückfrage und/oder Recherchen als rechtswidrig erweist) löschen bzw. sperren (take down). Die Tatsache, dass gemäß Art. 14 Abs. 1 lit. b der E-Commerce Richtlinie Diensteanbieter, die Kenntnis oder Bewusstsein um rechtswidrige Tätigkeiten oder Informationen erlangen, unverzüglich tätig werden müssen, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren und andernfalls für diese Informationen verantwortlich sind, spricht für die grundsätzliche Vereinbarkeit eines Notice-and-take-down Mechanismus mit Art. 14 der E-Commerce Richtlinie. Eben einen solchen Mechanismus setzt Art. 14 Abs. 1 lit. b der E-Commerce Richtlinie nach Ansicht von Kubiciel für eine Haftungsfreistellung schließlich voraus.36 Für diese Ansicht sprechen auch die Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen, der zu Art. 14 Abs. 1 lit. b der E-Commerce Richtlinie ausführte, dieser sei Ausdruck des Grundsatzes „notice and take down“.37 Gemäß Art. 14 Abs. 3 der E-Commerce Richtlinie können die Mitgliedstaaten Verfahren für die Entfernung einer Information oder die Sperrung des Zugangs zu ihr festlegen. Auch dies wird von Stimmen in der Literatur als Ermächtigung der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung eines Noticeand -take-down Verfahrens verstanden.38 Es spricht mithin viel für die Annahme, dass die nationale Festlegung eines Notice-and-take-down Verfahrens grundsätzlich mit Art. 14 der E-Commerce Richtlinie vereinbar ist. 2.2.2.2. Ausgestaltung eines Notice-and-take-down Verfahrens Entscheidend für die Unionsrechtskonformität ist somit, welche Prüfungspflichten dem Diensteanbieter im Rahmen eines Notice-and-take-down Verfahrens obliegen bzw. unter welchen Voraussetzungen er zur Sperrung bzw. Löschung verpflichtet ist. Möglich wäre beispielsweise, dass der Diensteanbieter (wie vom NetzDG-E vorgesehen) aufgrund einer Anzeige zur selbständigen Prüfung des gemeldeten Inhalts verpflichtet ist und bei Feststellung von Rechtswidrigkeit diesen sperren bzw. entfernen muss. Denkbar ist ebenfalls, dass die Netzwerkbetreiber zur Sperrung oder Entfernung von Inhalten erst verpflichtet sind, wenn deren Rechtswidrigkeit von staatlicher Seite, beispielsweise im Rahmen eines Gerichtsverfahrens, festgestellt worden sind.39 36 Kubiciel, Neuartige Sanktionen für soziale Netzwerke? Der Regierungsentwurf zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, jurisPR-StrafR 7/2017. 37 GA Jääskinen, Schlussanträge vom 9.12.2010, Rs. C‑324/09, ECLI:EU:C:2010:757 – L’Oréal, Rn. 155. 38 Holznagel, Notice and Take-Down-Verfahren als Teil der Providerhaftung, 2013, S. 84; Cauffman, The Commission ’s European Agenda for the Collaborative Economy – (Too) Platform and Service Provider friendly?, EuCML 2016, S. 235 (238). 39 Stellungnahme des Digitale Gesellschaft e.V. zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz für ein Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz - NetzDG) in den Fassungen vom 14. März 2017 sowie vom 27. März 2017, abrufbar unter https://digitalegesellschaft.de/wp-content/uploads/2017/03/Stellungnahme_DigiGes_NetzDG.pdf; s. zu dieser Fragestellung auch: Hoffmann, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 10 TMG, Rn. 21 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 14 Zur genauen Ausgestaltung bestehen keine konkreten Vorgaben auf Unionsebene. Die Kommission hat sich in einer Studie mit Notice-and-take-down Verfahren von Diensteanbietern bzw. deren Pflicht, fremde Inhalte auf ihre Rechtswidrigkeit prüfen und im Anschluss ggf. entfernen oder sperren zu müssen, befasst. In dem oben zitierten Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen zur Mitteilung der Kommission aus 2012 kamen die Bearbeiter zu dem Ergebnis, dass die grenzüberschreitende Natur des Internets, die bestehende Fragmentierung sog. Notice-and-takedown Systeme in den Mitgliedstaaten, die fehlende Entwicklung von Regulierungscodes auf europäischer Ebene und die gegensätzliche Rechtsprechung innerhalb und zwischen den Mitgliedstaaten eine Analyse der Notwendigkeit von EU-Maßnahmen rechtfertigen.40 Neue EU-Maßnahmen sind, soweit ersichtlich, bisher jedoch nicht erlassen worden. 2016 hielt die Kommission in einer Mitteilung fest: „The Commission will review the need for formal notice-and-action procedures , in light of the results of, inter alia, the updated audio-visual media and copyright frameworks and ongoing self-regulatory and co-regulatory initiatives.”41 Der Kommissionsentwurf zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste42 sieht in Art. 28a Abs. 2 lit. b die Einrichtung und den Betrieb von Mechanismen vor, mit denen Videoplattformnutzer dem betreffenden Videoplattformbetreiber Inhalte, die auf seiner Plattform gespeichert sind, melden oder anzeigen können. Der Entwurf enthält jedoch keine weiteren Ausführungen zur Ausgestaltung eines solchen Mechanismus. Es gibt mithin keine europäischen Vorgaben zur Ausgestaltung eines sog. Notice-and-take-down Verfahrens, welche zur Beantwortung der Frage herangezogen werden können, inwiefern das vom NetzDG-E vorgesehene Verfahren für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte mit Art. 14 der E-Commerce Richtlinie vereinbar ist. Es fehlt auch an einer EuGH-Entscheidung zu der Frage, ob die Pflicht eines Diensteanbieters auf Anzeige von Privatpersonen hin, Beiträge auf ihre Rechtswidrigkeit zu überprüfen und ggf. zu entfernen, gegen Art. 14 der E-Commerce Richtlinie verstößt bzw. wie eine solche Pflicht ausgestaltet sein muss, um mit Art. 14 der E-Commerce Richtlinie im Einklang zu stehen. Der EuGH hat zu der Kenntnis eines Diensteanbieters im Sinne des Art. 14 der E-Commerce-Richtlinie in der Rechtssache L’Oréal ausgeführt, dass sich der Dienstanabieter nicht auf seine Unkenntnis stützen kann, „wenn er sich etwaiger Tatsachen oder Umstände bewusst war, auf deren Grundlage ein sorgfältiger Wirtschaftsteilnehmer die in Rede stehende Rechtswidrigkeit hätte feststellen und nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie hätte vorgehen müssen.“43 Weiter legt der 40 Commission Staff Working Document, Online services, including e-commerce, in the Single Market, SEC(2011) 1641 final, S. 46, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/e-commerce/docs/communication 2012/SEC2011_1641_en.pdf. 41 Kommission, Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Online-Plattformen im digitalen Binnenmarkt – Chancen und Herausforderungen für Europa, COM(2016) 288 final, S. 9, abrufbar unter https://www.kowi.de/Portaldata/2/Resources /fp/2016-COM-Online-Platforms-and-the-DSM_de.pdf. 42 Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste im Hinblick auf sich verändernde Marktgegebenheiten, COM(2016) 287 final, abrufbar unter https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2016/DE/1-2016-287-DE- F1-1.PDF. 43 EuGH, Urt. v. 12.7.2011, Rs. C‑324/09, ECLI:EU:C:2011:474 – L’Oréal, Rn. 120. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 15 EuGH dar, dass Art. 14 Abs. 1 der E-Commerce Richtlinie so auszulegen sei, dass er alle Fälle erfasse , „in denen sich der betreffende Anbieter in der einen oder anderen Weise solcher Tatsachen oder Umstände bewusst war.“44 Damit sei sowohl die Situation erfasst, in welcher der Diensteanbieter aufgrund einer aus eigenem Antrieb vorgenommenen Prüfung feststellt, dass eine rechtswidrige Tätigkeit oder Information vorliegt, als auch die Situation, in der ihm das Vorliegen einer solchen Tätigkeit oder einer solchen Information angezeigt wird. Der EuGH gibt zu bedenken, dass eine Anzeige nicht ohne Weiteres dazu führen könne, dass die Inanspruchnahme der in Art. 14 der E-Commerce Richtlinie vorgesehenen Ausnahme von der Verantwortlichkeit ausgeschlossen wäre, da sich Anzeigen als unzureichend genau und substantiiert erweisen könnten. Jedoch stelle eine derartige Anzeige in der Regel einen Anhaltspunkt für eine Kenntnis dar, auf deren Grundlage der Diensteanbieter die Rechtswidrigkeit hätte feststellen können.45 Nach Ansicht des EuGH lässt sich somit allein aufgrund der Meldung eines Inhalts als rechtswidrig durch einen Nutzer nicht zwingend eine Kenntnis des Diensteanbieters um die Rechtswidrigkeit des Inhalts annehmen, die eine Haftung des Diensteanbieters im Einklang mit Art. 14 der E-Commerce Richtlinie auslösen kann. Diese Wertung spricht auf den ersten Blick gegen die Vereinbarkeit der Einrichtung eines Notice-and-take-down Verfahrens, welches den Diensteanbieter verpflichtet, aufgrund einer Meldung den gemeldeten Inhalt selbst zu überprüfen und bei Rechtswidrigkeit zu löschen, mit Art. 14 der E-Commerce Richtlinie.46 Denn der EuGH leitet aus der bloßen Kenntnis des Inhalts noch nicht zwingend eine Verantwortlichkeit des Diensteanbieters für den Inhalt ab. Man könnte argumentieren, eine solche Verantwortung entstünde mit dem NetzDG-E, wenn nach den Vorgaben des NetzDG-E der Diensteanbieter verpflichtet ist, den ihm gemeldeten Inhalt zu kontrollieren und ggf. zu sperren oder löschen, da ihm andernfalls ein Bußgeld nach § 4 NetzDG-E droht. Allerdings handelt ein Netzwerkbetreiber gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 NetzDG-E nur dann ordnungswidrig, wenn er das in § 3 NetzDG-E normierte Notice-andtake -down Verfahren nicht umsetzt oder nicht richtig zur Verfügung stellt, den Umgang mit Beschwerden nicht richtig überwacht oder organisatorische Unzulänglichkeiten nicht rechtzeitig beseitigt. Ordnungswidrig handelt aber nicht, wer sich bei einzelnen Meldungen (fälschlich) gegen eine Sperrung entscheidet, weil der Inhalt (fälschlich) als nicht rechtswidrig eingestuft wird. Derartige Handlungen qualifizieren gemäß § 4 Abs. 1 NetzDG-E nicht als Ordnungswidrigkeit, sodass kein Widerspruch zu den Vorgaben des EuGH besteht.47 Zu bedenken bleibt der Hinweis des EuGH auf die Problematik einer unzureichenden Kenntniserlangung durch eine Beschwerde, die nicht substantiiert oder unklar ist. Dieser Hinweis könnte Anregung für die gesetzliche Vorgabe bestimmter Kriterien sein, welche von einer Beschwerde zu erfüllen sind, um ein Noticeand -take-down Verfahren in Gang zu setzen. 44 EuGH, Urt. v. 12.7.2011, Rs. C‑324/09, ECLI:EU:C:2011:474 – L’Oréal, Rn. 121. 45 EuGH, Urt. v. 12.7.2011, Rs. C‑324/09, ECLI:EU:C:2011:474 – L’Oréal, Rn. 122. 46 S. dazu auch: Spindler, Legal Expertise commissioned by BITKOM concerning the notified German Act to Improve Enforcement of the Law in Social Networks (Netzwerkdurchsetzungsgesetz), abrufbar unter https://www.bitkom.org/noindex/Publikationen/2017/Sonstiges/Legal-Expertise-Official-2-0.pdf. 47 In diese Richtung auch: Kubiciel, Neuartige Sanktionen für soziale Netzwerke? Der Regierungsentwurf zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, jurisPR-StrafR 7/2017. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 16 2.2.3. Suche und Entfernung von Kopien Nach Ansicht von Wimmers/Heymann ist die Pflicht nach § 3 Abs. 2 Nr. 6 NetzDG-E, sämtliche auf den Plattformen befindliche Kopien des rechtswidrigen Inhalts zu suchen und zu entfernen oder zu sperren, nicht von Art. 14 der Richtlinie gedeckt und geht über die Vorgaben der E-Commerce Richtlinie hinaus.48 Art. 14 der E-Commerce Richtlinie sieht eine Entfernungs- bzw. Sperrpflicht in Bezug auf konkret (gemeldete) Inhalte vor. Die Erstreckung dieser Pflicht in § 3 Abs. 2 Nr. 6 auf sämtliche auf den Plattformen des sozialen Netzwerks befindlichen Kopien des rechtswidrigen Inhalts stellt nach Ansicht verschiedener Verbände nicht eine „Konkretisierung und Klarstellung der Löschungsverpflichtung“ dar, wie es in der Begründung des NetzDG-E heißt, sondern deren europarechtswidrige Erweiterung.49 Andere Autoren sehen eine in die Zukunft gerichtete Pflicht der Diensteanbieter zur aktiven Verhinderung gleichartiger zukünftiger Verletzungen hingegen als vereinbar mit der E-Commerce Richtlinie und der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH an.50 Hetmank schränkt diese Pflicht allerdings mithilfe des Kriteriums der Zumutbarkeit ein. Handlungspflichten des Diensteanbieters im Hinblick auf das Auffinden des gleichen Inhalts in gleichartiger Erscheinungsform, aber durch einen anderen Nutzer eingestellt, seien dann nicht zumutbar, wenn Anknüpfungspunkte für die Ermittlung fehlen, insbesondere wenn es dem Diensteanbieter an geeigneten Suchparametern für das Auffinden eines solchen Inhalts mangelt und er eine umfassende Überprüfung einleiten müsste oder durch die Aufbürdung einer solchen Pflicht sein gesamtes Geschäftsmodell in Frage gestellt würde.51 Generalanwalt Jääskinen nahm in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache L’Oréal eine Kenntnis im Sinne von Art. 14 Abs. 1 lit. b der E-Commerce Richtlinie des Betreibers eines elektronischen Marktplatzes im Hinblick auf ein und denselben Nutzer und ein und dieselbe Markenrechtsverletzung an, wenn sich ein und dieselbe Tätigkeit des Nutzers in Form mehrerer Einträge fortsetzt. Die Haftungsfreistellung gemäß Art. 14 E-Commerce Richtlinie besteht nach Ansicht des 48 Wimmers/Heymann, Zum Referentenentwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) – eine kritische Stellungnahme, AfP 2017, S. 93 (95 f.). 49 Stellungnahme der DGRI e.V., Entwurf NetzDG, abrufbar unter http://www.dgri.de/index.php/fuseaction/download /lrn_file/dgri-stellungnahme-netzdg.pdf; Bitkom, Stellungnahme zum Referentenentwurf des NetzDG, 30.3.2017, abrufbar unter https://www.bitkom.org/noindex/Publikationen/2017/Positionspapiere/20170330- Entw-Bitkom-zu-NetzwerkDG.pdf; BVDW, Stellungnahme zum Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), abrufbar unter http://www.bvdw.org/medien/stellungnahme-des-bundesverbandes-digitale-wirtschaft -bvdw-ev-zum-entwurf-eines-gesetzes-zur-verbesserung-der-rechtsdurchsetzung-in-sozialen-netzwerkendes -bmjv-vom-14-maerz-2017---netzwerkdurchsetzungsgesetz-netzdg-?media=8620; Eco – Verband der Internetwirtschaft , Stellungnahme zum Referentenentwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetz, 30.3.2017, abrufbar unter https://www.eco.de/wp-content/blogs.dir/20170330_eco_stn_netzwerkdurchsetzungsg.pdf. 50 So zumindest Holznagel, Melde- und Abhilfeverfahren zur Beanstandung rechtswidrig gehosteter Inhalte nach europäischem und deutschem Recht im Vergleich zu gesetzlich geregelten notice and take-down-Verfahren, GRUR Int. 2014, S. 105 (110); s. auch: Hetmank, Internetrecht – Grundlagen, Streitfragen, Aktuelle Entwicklungen , 2016, S. 186 und 189; Specht, Ausgestaltung der Verantwortlichkeit von Plattformbetreibern zwischen Vollharmonisierung und nationalem Recht, ZUM 2017, S. 114 (116). 51 Hetmank, Internetrecht – Grundlagen, Streitfragen, Aktuelle Entwicklungen, 2016, S. 186. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 17 Generalanwalts mithin nicht, wenn dem Betreiber eines elektronischen Marktplatzes die verletzende Benutzung einer Marke gemeldet worden ist und derselbe Nutzer dieselbe Verletzungshandlung fortsetzt oder wiederholt. In solchen Fällen müsse man, so der Generalanwalt, nach dem natürlichen Sprachgebrauch eher von einer einzigen fortgesetzten Verletzungshandlung als von zwei getrennten Verletzungshandlungen ausgehen.52 Der Generalanwalt nimmt mithin eine Pflicht von Diensteanbietern zur aktiven Verhinderung gleichartiger zukünftiger Verletzungen durch denselben Täter an bzw. möchte die Diensteanbieter nicht von Haftung freistellen, wenn ein Hinweis auf einen rechtswidrigen Inhalt erfolgt und der Betreiber auf dessen Wiederholung nicht reagiert bzw. diese nicht unterbindet. Der EuGH hat sich in seinem diesbezüglichen Urteil nicht näher zu den Ausführungen des Generalanwalts geäußert. Es fehlt mithin an einer Rechtsprechung des EuGH, die eine abschließende Wertung in der Frage gestattet, ob die Pflicht nach § 3 Abs. 2 Nr. 6 NetzDG-E, sämtliche auf den Plattformen befindliche Kopien eines rechtswidrigen Inhalts zu suchen und zu entfernen oder zu sperren, gegen Art. 14 der E-Commerce Richtlinie verstößt. Angesichts der Tatsache, dass gemäß Art. 14 Abs. 3 der E-Commerce Richtlinie die Mitgliedstaaten Verfahren für die Entfernung einer Information oder die Sperrung des Zugangs zu ihr festlegen können und der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen eine Pflicht der Diensteanbieter zur pro-aktiven Verhinderung gleichartiger zukünftiger Verletzungen annimmt, sprechen gute Argumente für die Vereinbarkeit einer solchen Pflicht mit Art. 14 der E-Commerce Richtlinie. 2.3. Art. 15 der E-Commerce Richtlinie Nach Art. 15 der E-Commerce Richtlinie sind Anbieter nicht verpflichtet, aktiv die eigene Plattform nach Rechtsverstößen zu durchsuchen. Gemäß Art. 15 Abs. 1 legen die Mitgliedstaaten den Anbietern von Diensten keine allgemeine Verpflichtung auf, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen. Nach den bisher publizierten Ansichten zum NetzDG-E ist die Pflicht in § 3 Abs. 2 Nr. 6 NetzDG- E, Kopien zu Inhalten zu suchen und zu entfernen, nicht mit Art. 15 der E-Commerce Richtlinie vereinbar.53 Die Verpflichtung in § 3 Abs. 2 Nr. 6 führe entgegen Art. 15 der E-Commerce Richtlinie dazu, dass soziale Netzwerke die von ihnen gespeicherten Informationen überwachen und aktiv nach Umständen forschen müssen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.54 Es handele sich dabei nicht um eine gemäß Erwägungsgrund 47 der Richtlinie zulässige spezifische 52 GA Jääskinen, Schlussanträge vom 9.12.2010, Rs. C‑324/09, ECLI:EU:C:2010:757 – L’Oréal, Rn. 167 f. 53 Härting, Kurzer Prozess für die Meinungsfreiheit: Entwurf eines “Netzwerkdurchsetzungsgesetzes”, CR-online .de Blog vom 14.3.2017, abrufbar unter http://www.cr-online.de/blog/2017/03/14/kurzer-prozess-fuer-diemeinungsfreiheit -entwurf-eines-netzwerkdurchsetzungsgesetzes/; Wimmers/Heymann, Zum Referentenentwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) – eine kritische Stellungnahme, AfP 2017, S. 93 (96). 54 Spindler, Legal Expertise commissioned by BITKOM concerning the notified German Act to Improve Enforcement of the Law in Social Networks (Netzwerkdurchsetzungsgesetz), abrufbar unter https://www.bitkom.org/noindex/Publikationen/2017/Sonstiges/Legal-Expertise-Official-2-0.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 18 Überwachungspflicht, da jeder gespeicherte Inhalt auf der betreffenden Plattform mit solchen Inhalten abgeglichen werden müsste, die gesperrt worden sind, um weitere Kopien ausfindig zu machen. Damit beträfen die Überwachungspflichten alle Inhalte auf der Plattform. In den Stellungnahmen zum NetzDG-E herrscht aus diesen Gründen die Ansicht vor, der Gesetzentwurf verkenne den Pflichtenumfang seiner Regelungen, wenn er in der Entwurfsbegründung festhält, mit § 3 Abs. 2 Nr. 6 NetzDG-E würde keine „allgemeine Recherchepflicht“ statuiert.55 Der EuGH hat in den Rechtssachen Scarlet Extended und SABAM über die nationale Pflicht eines Diensteanbieters geurteilt, ein Filtersystem einzurichten, um ihn zu einer aktiven Überwachung sämtlicher Daten jedes Nutzers seiner Dienste zu verpflichten, um jeder künftigen Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums vorzubeugen. Der EuGH hat dabei entschieden, dass das Verbot des Art. 15 E-Commerce Richtlinie sich auf innerstaatliche Maßnahmen erstreckt, die einen vermittelnden Dienstleister wie einen Hosting-Anbieter bzw. Provider verpflichten, sämtliche Daten jedes seiner Kunden aktiv zu überwachen, um jeder künftigen Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums vorzubeugen.56 Es stehe in diesem Zusammenhang fest, dass die Einführung des streitgegenständlichen Filtersystems bedeuten würde, dass der Diensteanbieter zunächst unter sämtlichen Dateien, die von den Nutzern seiner Dienste auf seinen Servern gespeichert werden, die Dateien ermittelt, die Werke enthalten können, an denen Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums Rechte zu haben behaupten, dass er sodann ermittelt, welche dieser Dateien in unzulässiger Weise gespeichert und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, und dass er schließlich die Zurverfügungstellung von Dateien, die er als unzulässig eingestuft hat, blockiert. Nach Ansicht des EuGH würde eine solche präventive Überwachung eine aktive Beobachtung der von den Nutzern beim Diensteanbieter gespeicherten Dateien erfordern, und sie würde sowohl fast alle auf diese Weise gespeicherten Informationen als auch sämtliche Nutzer der Dienste dieses Anbieters betreffen.57 Daraus folge, dass diese Anordnung den Hosting-Anbieter zu einer allgemeinen Überwachung verpflichte, die nach Art. 15 Abs. 1 der E-Commerce Richtlinie verboten sei.58 In der Rechtssache L’Oréal betonte der EuGH, es gehe aus Art. 15 Abs. 1 der E-Commerce Richtlinie in Verbindung mit Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 2004/48 hervor, dass die Maßnahmen, die vom Anbieter des betreffenden Onlinedienstes verlangt werden, nicht darin bestehen könnten, aktiv alle Angaben eines jeden seiner Kunden zu überwachen, um jeder künftigen Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums über die Seite dieses Anbieters vorzubeugen. Er schränkte dies jedoch unter Verweis auf Art. 11 Satz 3 der Richtlinie 2004/48 ein, der dahin auszulegen sei, dass 55 Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik (DGRI) e.V., Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG), abrufbar unter http://www.dgri.de/index.php/fuseaction /download/lrn_file/dgri-stellungnahme-netzdg.pdf. 56 EuGH, Urt. v. 24.11.2011, Rs. C‑70/10, ECLI:EU:C:2011:771 – Scarlet Extended, Rn. 36; EuGH, Urt. v. 16.2.2012, Rs. C‑360/10, ECLI:EU:C:2012:85 – SABAM, Rn. 33 f. 57 EuGH, Urt. v. 24.11.2011, Rs. C‑70/10, ECLI:EU:C:2011:771 – Scarlet Extended, Rn. 38 ff.; EuGH, Urt. v. 16.2.2012, Rs. C‑360/10, ECLI:EU:C:2012:85 – SABAM, Rn. 36 ff. 58 EuGH, Urt. v. 24.11.2011, Rs. C‑70/10, ECLI:EU:C:2011:771 – Scarlet Extended, Rn. 40 und EuGH, Urt. v. 16.2.2012, Rs. C‑360/10, ECLI:EU:C:2012:85 – SABAM, Rn. 38. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 19 er von den Mitgliedstaaten verlangt, sicherzustellen, dass die für den Schutz der Rechte des geistigen Eigentums zuständigen nationalen Gerichte dem Betreiber eines Online-Marktplatzes aufgeben können, „Maßnahmen zu ergreifen, die nicht nur zur Beendigung der von Benutzern dieses Marktplatzes hervorgerufenen Verletzungen, sondern auch zur Vorbeugung gegen erneute derartige Verletzungen beitragen.“ Diese Maßnahmen müssten wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und dürften keine Schranken für den rechtmäßigen Handel errichten.59 Allerdings gründete der EuGH diese Maßnahmen auf Art. 11 Satz 3 der Richtlinie 2004/48 und sah die Anordnung derartige Maßnahmen durch Gerichte vor. Diese Pflicht zur aktiven Verhinderung von Verstößen lässt sich mithin nicht auf das NetzDG-E übertragen. Einige Stimmen in der Literatur vertreten die Ansicht, dass Netzwerkbetreibern Handlungspflichten zum Auffinden der Kopien (gleicher Inhalt in gleichartiger Erscheinungsform von einem anderen Nutzer) einer ihnen bekannten Rechtsverletzung obliegen.60 Begrenzt werde diese Pflicht durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip, wonach der Netzwerkbetreiber nicht verpflichtet werden dürfe, eine aktive Überwachung fast aller Daten sämtlicher Nutzer seiner Dienste vorzunehmen. Andere, weniger aufwendige und invasive Maßnahmen können ihm nach dieser Ansicht jedoch zur Verhinderung weiterer Rechtsverletzungen zugemutet werden.61 Diese Ansicht, die u. a. von Schuster und Hetmank vertreten wird, die sich beide auf die Vorgaben des deutschen Rechts konzentrieren, könnte zu der Annahme führen, dass die Vorgabe von § 3 Abs. 2 Nr. 6 NetzDG-E so auszulegen ist, dass Netzwerkbetreiber zwar zur Suche nach Kopien des rechtswidrigen Inhalts und deren Entfernung oder Sperrung verpflichtet sind, dies aber nur im zulässigen Umfang. Andere Stimmen in der Literatur hingegen betonen, die Pflicht aus § 3 Abs. 2 Nr. 6 NetzDG-E lasse sich nur durch die Einrichtung einer aktiven Überwachung fast aller Daten sämtlicher Nutzer erfüllen, und eben dies werde durch das Unionsrecht untersagt. Es sei nicht ersichtlich, welche Maßnahmen die Vorgabe des § 3 Abs. 2 Nr. 6 NetzDG-E erfüllen könnten, die nicht zu einer Prüfung sämtlicher in das Netzwerk hochgeladener Inhalte auf ihre Rechtswidrigkeit bzw. Übereinstimmung mit einem als rechtswidrig gelöschten bzw. blockierten Inhalt führen.62 Die Suche nach Kopien rechtswidriger Inhalte sei nur über einen Contentfilter und die fortwährende Überwachung aller Nutzerinteraktionen in entsprechenden Diensten und Plattformen möglich. Das 59 EuGH, Urt. v. 12.7.2011,Rs. C‑324/09, ECLI:EU:C:2011:474 – L‘Oréal, Rn. 139 und 144. 60 Cauffman, The Commission’s European Agenda for the Collaborative Economy – (Too) Platform and Service Provider friendly?, EuCML 2016, S. 235 (239); Hetmank, Internetrecht – Grundlagen, Streitfragen, Aktuelle Entwicklungen , 2016, S. 186 ff.; Schuster, Prüfungspflichten des Portalbetreibers – Zur Möglichkeit der Aufklärbarkeit von Persönlichkeitsverletzungen im Rahmen eines Notice and take down-Verfahrens, GRUR 2013, S. 1201 (1203). 61 Hetmank, Internetrecht – Grundlagen, Streitfragen, Aktuelle Entwicklungen, 2016, S. 186 ff.; Schuster, Prüfungspflichten des Portalbetreibers – Zur Möglichkeit der Aufklärbarkeit von Persönlichkeitsverletzungen im Rahmen eines Notice and take down.-Verfahrens, GRUR 2013, S. 1201 (1203). 62 Bitkom, Stellungnahme zum Referentenentwurf des NetzDG, 30.3.2017, abrufbar unter https://www.bitkom .org/noindex/Publikationen/2017/Positionspapiere/20170330-Entw-Bitkom-zu-NetzwerkDG.pdf; Schulz, Comments on the Draft for an Act improving Law Enforcement on Social Networks (NetzDG), abrufbar unter http://www.hans-bredow-institut.de/webfm_send/1178. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 20 aber verstoße gegen das Verbot einer allgemeinen Überwachungspflicht in Art. 15 der E-Commerce Richtlinie.63 Es kann im Rahmen dieses Gutachtens nicht geklärt werden, inwiefern die Verpflichtung eines Netzwerkbetreibers, gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 6 NetzDG-E Kopien des in Frage stehenden rechtswidrigen Inhalts zu entfernen oder zu sperren, die Einführung einer allgemeinen Überwachungspflicht erfordert, welche durch Art. 15 der E-Commerce Richtlinie untersagt wird. Eine abschließende Bewertung der Vereinbarkeit von § 3 Abs. 2 Nr. 6 NetzDG-E mit Art. 15 der E-Commerce Richtlinie ist daher vorliegend nicht möglich. 2.4. Zwischenergebnis Es ist viel Kritik an dem Entwurf des NetzDG-E geäußert und seine Vereinbarkeit mit den Vorgaben der E-Commerce Richtlinie bezweifelt worden. Die Vereinbarkeit des § 3 Abs. 2 Nr. 6 NetzDG-E mit Art. 15 der E-Commerce Richtlinie kann nicht abschließend geklärt werden. Problematisch ist auch die Vereinbarkeit des NetzDG-E mit dem Herkunftslandprinzip, da die Entwurfsbegründung eine Anwendung des Gesetzes auch auf Netzwerkbetreiber, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, vorsieht. Hinsichtlich der übrigen, oben erörterten Vorgaben des NetzDG-E sprechen nach hiesiger Ansicht hingegen gute Gründe für eine Vereinbarkeit mit der E-Commerce Richtlinie. 3. Vereinbarkeit mit der Datenschutzgrundverordnung Nach Ansicht von Spindler ist § 14 Abs. 2 des Telemediengesetzes (TMG), geändert durch Art. 2 des NetzDG-E, nicht mit den Vorgaben von Art. 23 der Datenschutzgrundverordnung (EU) 2016/67964 vereinbar.65 § 14 Abs. 2 TMG bestimmt in seiner geänderten Form, dass Diensteanbieter im Einzelfall Auskunft über Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum oder anderer absolut geschützter Rechte erforderlich ist. Es ist festzuhalten , dass § 14 Abs. 2 TMG keine eigene Ermächtigungsgrundlage darstellt. Die Norm stellt lediglich klar, dass Diensteanbieter Auskunftsansprüche nicht aufgrund datenschutzrechtlicher Erwägungen zurückweisen dürfen.66 63 Eco – Verband der Internetwirtschaft, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz), 30.3.2017, abrufbar unter https://www.eco.de/wp-content/blogs.dir/20170330_eco_stn_netzwerkdurchsetzungsg.pdf. 64 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. 2016, L 119/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32016R0679&from=de. 65 Spindler, Legal Expertise commissioned by BITKOM concerning the notified German Act to Improve Enforcement of the Law in Social Networks (Netzwerkdurchsetzungsgesetz), abrufbar unter https://www.bitkom.org/noindex/Publikationen/2017/Sonstiges/Legal-Expertise-Official-2-0.pdf. 66 Spindler/Nink, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 14 TMG, Rn 6 und 9; Müller-Broich, Telemediengesetz, 2012, § 14 TMG, Rn. 5 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 21 Fraglich ist, ob die Ausweitung des § 14 Abs. 2 TMG auf die Auskunftserteilung zur Durchsetzung anderer absolut geschützter Rechte als dem Recht am geistigen Eigentum gegen die Vorgaben von Art. 23 der Datenschutzgrundverordnung verstößt. Die Datenschutzgrundverordnung enthält Vorschriften zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Verkehr solcher Daten. Die Verarbeitung erfasst nach der Rechtsprechung des EuGH auch „die Weitergabe personenbezogener Daten von Teilnehmern an ein drittes Unternehmen“.67 Indem § 14 Abs. 2 TMG die Weitergabe von personenbezogenen Daten an Inhaber absoluter Rechte erleichtert, betrifft es die Verarbeitung von Daten und fällt damit in den Anwendungsbereich der Datenschutzgrundverordnung. Gemäß Art. 23 der Datenschutzgrundverordnung können durch Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten die Pflichten und Rechte aus der Datenschutzgrundverordnung im Wege von Gesetzgebungsmaßnahmen beschränkt werden, sofern eine solche Beschränkung den Wesensgehalt der Grundrechte und Grundfreiheiten achtet, in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme darstellt und den Schutz der betroffenen Person oder der Rechte und Freiheiten anderer Personen oder die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche sicherstellt. Art. 23 Abs. 2 der Datenschutzgrundverordnung benennt weitere Anforderungen an derartige Gesetzgebungsmaßnahmen. Spindler sieht eine Unvereinbarkeit von § 14 Abs. 2 TMG mit Art. 23 Datenschutzgrundverordnung aufgrund der fehlenden Vorgabe einer gerichtlichen Prüfung des Auskunftsanspruchs in § 14 Abs. 2 TMG. Art. 23 Abs. 2 der Datenschutzgrundverordnung erfordert gegebenenfalls Garantien gegen Missbrauch oder unrechtmäßigen Zugang oder unrechtmäßige Übermittlung von personenbezogenen Daten, verlangt in seiner beispielhaften Aufzählung weiterer Anforderungen aber keine Gerichtsentscheidung. Diese Anforderung wird mithin nicht ausdrücklich durch Art. 23 der Datenschutzgrundverordnung vorgegeben und soll daher im Rahmen der Grundrechtsprüfung untersucht werden (s. unter 4.2.3.3.). 4. Vereinbarkeit mit der Grundrechtecharta 4.1. Anwendbarkeit der Grundrechtecharta Die Unionsgrundrechte gelten nach Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der EU (im Folgenden : GRCh) nicht nur für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, sondern auch für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts. In der Auslegung durch den EuGH ist die Vorgabe des Art. 51 Abs. 1 GRCh so zu verstehen, dass die Mitgliedstaaten die GRCh immer dann beachten müssen, wenn sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts tätig werden.68 Voraussetzung dafür ist, dass zwischen der nationalen Regelung und dem Unionsrecht ein hinreichender Zusammenhang besteht, der darüber hinausgeht, dass die fraglichen Sachbereiche benachbart sind oder der eine von ihnen mittelbare Auswirkungen 67 EuGH, Urt. v. 5.5.2011, Rs. C‑543/09, ECLI:EU:C:2011:279 – Deutsche Telekom, Rn. 53; s. dazu auch Art. 4 Nr. 2 der Datenschutzgrundverordnung. 68 EuGH, Urt. v. 26.2.2013, Rs. C-617/10 – Åkerberg Fransson, Rn, 19 f.; EuGH, Urt. v. 27.3.2014, Rs. C-265/13 – Marcos, Rn. 29 ff; s. hierzu allgemein: Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 681 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 22 auf den anderen haben kann.69 Es ist daher nach der Rechtsprechung des EuGH zu prüfen, „ob mit der fraglichen nationalen Regelung die Durchführung einer Bestimmung des Unionsrechts bezweckt wird, welchen Charakter diese Regelung hat und ob mit ihr andere als die unter das Unionsrecht fallenden Ziele verfolgt werden, selbst wenn sie das Unionsrecht mittelbar beeinflussen kann, sowie ferner, ob es eine Regelung des Unionsrechts gibt, die für diesen Bereich spezifisch ist oder ihn beeinflussen kann.“70 Unionsrecht wird durchgeführt, wenn die Mitgliedstaaten europäisches Sekundärrecht umsetzen oder anwenden, und zwar nach Ansicht des EuGH auch dann, wenn ihnen der betreffende Unionsrechtsakt Spielräume gewährt.71 Allerdings hat der EuGH in derartigen Konstellationen, in denen das nationale Recht nicht vollständig durch das Unionsrecht bestimmt wird, eine Anwendung nationaler Grundrechte genügen lassen, soweit hierdurch weder das Schutzniveau der GRCh noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt wurden.72 Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hingegen trennt die Sphären der GRCh und des Grundgesetzes und erachtet in Fällen, in denen das europäische Sekundärrecht das nationale Recht nicht abschließend determiniert, sondern den Mitgliedstaaten Ermessensspielräume lässt, allein die nationalen Grundrechte für anwendbar.73 Eine Bindung Deutschlands an die Vorgaben der GRCh kommt nur in Betracht, wenn die Bundesrepublik mit dem NetzDG-E im Anwendungsbereich des Unionsrechts tätig wird. Die Regelungen des NetzDG-E dienen nicht der Umsetzung der E-Commerce Richtlinie, die bereits ins deutsche Recht übernommen worden ist. Dennoch könnte die E-Commerce Richtlinie für das NetzDG-E von Bedeutung sein. Das NetzDG-E legt Netzbetreibern Pflichten zur Entfernung bzw. Sperrung von bestimmten Inhalten auf. Gemäß Art. 14 Abs. 3 der E-Commerce Richtlinie haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Verfahren für die Entfernung einer Information oder die Sperrung des Zugangs zu ihr festzulegen. Ausweislich der Begründung des NetzDG-E soll mit der Regelung des § 3 NetzDG-E von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden.74 Art. 15 Abs. 1 der E-Commerce Richtlinie verbietet den Mitgliedstaaten, Anbietern von Diensten allgemeine Verpflichtungen aufzuerlegen, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach den Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen. Wenn der nationale Gesetzgeber den Anbietern von Hosting-Diensten, wie sozialen Netzwerken, ein Verfahren für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte vorgibt, hat er zu beachten , dass er keine allgemeine Überwachungspflicht seitens der Dienste festlegen darf. Somit wird durch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 15 Abs. 1 der E-Commerce-Richtlinie 69 EuGH, Urt. v. 6.3.2014, C-206/13 – Siragusa, Rn. 24; EuGH, Urt. v. 10.7.2014, C-198/13 – Hernandez, Rn. 34. 70 EuGH, Urt. v. 6.3.2014, C-206/13 – Siragusa, Rn. 25; EuGH, Urt. v. 10.7.2014, C-198/13 – Hernandez, Rn. 37. 71 Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 3. Aufl. 2016, Art. 51 GRCh, Rn. 20a mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 21.12.2011, Rs. C-411/10 – N.S., Rn. 66 f. 72 EuGH, Urt. v. 26.2.2013, Rs. C-399/11 – Melloni, Rn. 60; EuGH, Urt. v. 26.2.2013, Rs. C-617/10 – Åkerberg Fransson, Rn. 29. 73 BVerfGE 133, 277 (315 f.); s. dazu auch Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 685 ff. 74 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 12, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 23 der Bereich der nationalen Regelung beeinflusst. Demnach wäre gemäß der Rechtsprechung des EuGH der Anwendungsbereich der GRCh für die Regelungen des NetzDG-E eröffnet. 4.2. Prüfung der einzelnen Grundrechte Als betroffene Unionsgrundrechte kommen im Hinblick auf die Regelungen des NetzDG-E insbesondere die Meinungs- und Informsationsfreiheit (Art. 11 GRCh), der Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GRCh) sowie damit einhergehend das Recht auf Achtung der Kommunikation (Art. 7 GRCh) und die unternehmerische Freiheit (Art. 16 GRCh) in Betracht. 4.2.1. Schutz der Meinungs- und Informationsfreiheit 4.2.1.1. Schutzbereich Gemäß Art. 11 Abs. 1 Satz 1 GRCh hat jede Person das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das Recht umfasst gem. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 GRCh die Meinungsfreiheit und die Freiheit, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit aus Art. 11 Abs. 1 GRCh orientiert sich an den Gewährleistungen des Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Meinungsfreiheit (vgl. Art. 52 Abs. 3 GRCh).75 Umfasst werden die Freiheit, eine Meinung zu äußern oder auf eine bestimmte Weise zu verbreiten.76 In den Schutzbereich fällt jede Ansicht, Überzeugung, Stellungnahme , Tatsachenäußerung und jedes Werturteil, selbst dann, wenn es verletzenden, schockierenden , beunruhigenden oder kommerziellen Inhalt hat.77 Lediglich offen hassverbreitende und auf Intoleranz basierende sowie einzig auf Beleidigung abzielende Äußerungen werden nicht von der Meinungsfreiheit geschützt.78 Für den Schutz kommt es auch nicht auf die gewählte Form der Meinungsäußerung an. Auch die Verbreitung von Äußerungen über das Internet fällt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit.79 § 3 NetzDG-E erfasst Inhalte in sozialen Netzwerken. Diese Inhalte werden vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 11 Abs. 1 GRCh erfasst, sofern sie nach den oben genannten Anforderungen schutzwürdig sind. 75 EuGH, Urt. v. 17.12.2015, Rs. C-157/14, ECLI:EU:C:2015:823 – Neptune Distribution, Rn. 63 ff. 76 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 11 Gr-Ch, Rn. 6. 77 EGMR, Urt. v. 7.12.1976, Rs. 5493/72 – Handyside, Rn. 49; EGMR, Urt. v. 21.5.2012, Rs. 32131/08 und 41617/08 – Tuşalp, Rn. 48. 78 EGMR, Urt. v. 23.9.1994, Rs. 15890/89) – Jersild, Rn. 35; EGMR, Urt. v. 27.5.2003, Rs. 43425/98 – Skalka, Rn. 34; EGMR, Urt. v. 21.5.2012, Rs. 32131/08 und 41617/08 – Tuşalp, Rn. 48. 79 EGMR, Urt. v. 18.12.2012, Nr. 3111/10 – Yildirim /Türkei, Rn. 50 ff.; EGMR, Urt. v. 16.6.2015, Rs. 64569/09 – Delfi /Estland, Rn. 110. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 24 4.2.1.2. Eingriff Kritiker des NetzDG-E sehen in den Vorgaben eines Notice-and-take-down Verfahrens in § 3 NetzDG eine Beeinträchtigung des Grundrechts auf Meinungs- und Informationsfreiheit. Ein Gesetz , welches Diensteanbieter dazu bewegt, möglicherweise rechtmäßigen Inhalt zu entfernen oder den Zugang zu ihm zu sperren, beeinträchtige das Recht auf Meinungsfreiheit.80 Die Einführung eines Notice-and-take-down Verfahrens in Bezug auf Persönlichkeitsverletzungen, deren Rechtswidrigkeit in vielen Fällen nur schwer (durch einen Netzwerkbetreiber als außenstehenden Dritten) beurteilt werden könne, führt nach Ansicht vom Chmelík zu einer Verletzung der grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Nutzer, deren Inhalt gesperrt oder entfernt wird.81 Kritisiert wird auch, dass das NetzDG-E durch seine Bußgeldregelung einen Löschanreiz für die Netzwerkbetreiber schaffe. Um sicherzustellen, dass ihnen kein Bußgeld auferlegt wird, würden Netzwerkbetreiber – so die Befürchtung in den Stellungnahmen zum Gesetzentwurf – im Zweifel die ihnen gemeldeten Beiträge löschen, auch wenn diese keine rechtswidrigen Inhalte besitzen.82 Darüber hinaus wird in den Stellungnahmen kritisiert, dass private Unternehmen, wie Netzwerkbetreiber, nicht befugt seien, über die Entfernung bzw. Sperrung von Inhalten zu entscheiden . Die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit von Inhalten müsse vom Staat getroffen werden und dürfe nicht auf Private verlagert werden.83 Ein Eingriff liegt bei einer Maßnahme vor, mit der eine Einschränkung der Freiheit bezweckt oder bewirkt wird.84 Maßgeblich ist, ob eine Behinderung der Kommunikation gegeben ist, so dass auch mittelbare Wirkungen oder faktische Maßnahmen Eingriffe in die Meinungsfreiheit darstellen , wenn sie in qualifizierter Weise das grundrechtlich geschützte Verhalten verhindern.85 Da Grundrechte Abwehrrechte gegenüber dem Staat sind, ist es grundsätzlich erforderlich, dass der Eingriff von staatlicher Seite erfolgt. An einem staatlichen Eingriff bestehen im Fall des NetzDG-E Zweifel, da § 3 Abs. 2 NetzDG-E die Anbieter sozialer Netzwerke zur Entfernung von rechtswidri- 80 Schulz, Comments on the Draft for an Act improving Law Enforcement on Social Networks (NetzDG), abrufbar unter http://www.hans-bredow-institut.de/webfm_send/1178. 81 Chmelík, Social Network Sites – Soziale Netzwerke, 2016, S. 236. 82 Stellungnahme der DGRI e.V., Entwurf NetzDG, abrufbar unter http://www.dgri.de/index.php/fuseaction/download /lrn_file/dgri-stellungnahme-netzdg.pdf; Digitale Gesellschaft e.V. zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz für ein Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungs-gesetz - NetzDG) in den Fassungen vom 14. März 2017 sowie vom 27. März 2017, abrufbar unter https://digitalegesellschaft.de/wp-content/uploads/2017/03/Stellungnahme _DigiGes_NetzDG.pdf. 83 BVDW, Stellungnahme zum Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), abrufbar unter http://www.bvdw.org/medien/stellungnahme-des-bundesverbandes-digitale-wirtschaft-bvdw-ev-zum-entwurfeines -gesetzes-zur-verbesserung-der-rechtsdurchsetzung-in-sozialen-netzwerken-des-bmjv-vom-14-maerz-2017-- -netzwerkdurchsetzungsgesetz-netzdg-?media=8620; Selbstregulierung Informationswirtschaft e.V., Stellungnahme zum NetzDG – Referentenentwurf des BMJV, abrufbar unter https://sriw.de/images/pdf/Stellungnahmen /20170330_Stellungnahme_SRIW_NetzDG.pdf. 84 EuGH, Urt. v. 28.10.1992,Rs. C-219/91, ECLI:EU:C:1992:414 – ter Voort, Rn. 36 f. 85 Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 3.Aufl. 2016, Art. 11 GRCh, Rn. 20. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 25 gen Inhalten verpflichtet. Eine Entfernung durch staatliche Behörden erfolgt dagegen nicht. Allerdings hat der EuGH Eingriffe auch in Fällen angenommen, in denen Unternehmen aufgrund von hoheitlichen Regelungen zu bestimmten Maßnahmen verpflichtet waren.86 Auch hat der EuGH in den Rechtssachen Scarlet Extended und SABAM in der Pflicht von Diensteanbietern, ein Filtersystem einzurichten, eine Beeinträchtigung der durch Art. 11 GRCh geschützten Informationsfreiheit gesehen, wenn das System nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen und einem zulässigen Inhalt unterscheiden kann, so dass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikation mit zulässigem Inhalt führen könnte.87 Indem § 3 Abs. 2 Nr. 2 und 3 NetzDG-E eine Entfernung von rechtswidrigen Inhalten durch die Anbieter sozialer Netzwerke vorgibt, können Meinungsäußerungen, die von dem Anbieter als rechtswidrig eingestuft wurden, aus dem sozialen Netzwerk gelöscht oder gesperrt werden. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch von der Meinungsfreiheit aus Art. 11 Abs. 1 GRCh geschützte Äußerungen von einer Entfernung nach § 3 Abs. 2 NetzDG-E betroffen sind. Dementsprechend stellt § 3 Abs. 2 NetzDG-E einen mittelbaren Eingriff in die Meinungsfreiheit dar. 4.2.1.3. Rechtfertigung Grundsätzlich können Eingriffe in die Unionsgrundrechte gerechtfertigt werden. Im Rahmen der Meinungsfreiheit ist zu beachten, dass diese der durch Art. 10 EMRK garantierten Freiheit entspricht . Daher kommt gem. Art. 52 Abs. 3 GRCh der in Art. 11 GRCh garantierten Meinungsfreiheit dieselbe Bedeutung und Tragweite wie der in der EMRK garantierten Freiheit zu. Folglich hat eine Rechtfertigung eines Eingriffes nach den Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 2 EMRK zu erfolgen.88 Gemäß Art. 10 Abs. 2 Satz 2 EMRK kann die Meinungsfreiheit Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft u. a. für die nationale Sicherheit, öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder Rechte anderer notwendig sind. 4.2.1.3.1. Gesetzliche Grundlage und legitimes Ziel Mit dem NetzDG-E liegt eine gesetzliche Grundlage i. S. d. Art. 10 Abs. 2 EMRK vor. Ausweislich seiner Begründung dient das NetzDG-E dem Ziel, die Verbreitung von Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten in sozialen Netzwerken zu bekämpfen.89 Dadurch sollen die mit Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten verbundenen Gefahren für das friedliche Zusammenleben und für die freie, offene, demokratische Gesellschaft abgewendet und Störungen des 86 EuGH, Urt. v. 8.4.2014, Rs. C-293/12 und C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238 – Digital Rights Ireland, Rn. 34. 87 EuGH, Urt. v. 16.2.2012, Rs. C‑360/10, ECLI:EU:C:2012:85 – SABAM, Rn. 50; EuGH, Urt. v. 24.11.2011, Rs. C‑70/10, ECLI:EU:C:2011:771 – Scarlet Extended, Rn. 52. 88 Bernsdorff, in: Meyer, Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2014, Art. 11 GRCh, Rn. 14; Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte der EU, 4.Aufl. 2014, Art. 11 GRCh, Art. 52, Rn. 13. 89 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 9, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 26 öffentlichen Friedens begegnet werden. Diese vom NetzDG-E benannten Ziele können unter den in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 EMRK genannten Zweck der öffentlichen Sicherheit und Aufrechterhaltung der Ordnung gefasst werden. Dem NetzDG-E kann zudem der Schutz des guten Rufes sowie der Persönlichkeitsrechte anderer Personen als Zielsetzung entnommen werden. Der Schutz des guten Rufes ist als legitimer Zweck in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 EMRK aufgeführt. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts fällt unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 GRCh90, die als Rechte anderer i. S. d. Art. 10 Abs. 2 Satz 2 EMRK ebenfalls legitime Zwecke darstellen. 4.2.1.3.2. Verhältnismäßigkeit Der Eingriff in die Meinungsfreiheit im Rahmen des Art. 10 Abs. 2 EMRK muss verhältnismäßig sein. Das ist der Fall, wenn er zur Erreichung der legitimen Zwecke geeignet ist und erforderlich, indem er nicht die Grenzen dessen überschreitet, was zur Erreichung dieser Ziele notwendig ist.91 Hinsichtlich der Geeignetheit des in § 3 NetzDG-E geregelten Beschwerdeverfahrens hat der EGMR, dessen Rechtsprechung für das Verständnis der Grundrechtecharta von großer Bedeutung ist, in der Rechtssache Delfi festgestellt, dass die Einrichtung einer Beschwerdefunktion, mit der Nutzer den Webseiten-Betreiber auf Kommentare aufmerksam machen können, geeignet sei, um zum Schutz anderer Hassreden oder Aufstachelungen zu Gewalt herauszufiltern.92 Die in den Stellungnahmen zum NetzDG-E vertretenen Alternativlösungen, wie eine Pflicht der Netzwerkbetreiber zur Löschung bzw. Sperrung von Inhalten nur aufgrund der Entscheidungen staatlicher Hoheitsträger oder eine rechtlich unverbindliche Selbstverpflichtung der Netzwerkbetreiber, erscheinen weniger gut geeignet, rechtsverletzende Inhalte möglichst schnell aus den Netzwerken zu entfernen und so ihrer Verbreitung entgegenzuwirken. Grundsätzlich kann die Pflicht zur Einrichtung eines Notice-and-take-down Verfahrens nach hiesiger Ansicht als erforderlich angesehen werden. Eine weitere Anforderung der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist, dass der Eingriff in die Meinungsfreiheit in einem angemessenen Verhältnis zu den verfolgten legitimen Zwecken stehen muss.93 Im Rahmen der Angemessenheit ist eine Güterabwägung zwischen der Meinungsfreiheit und den verfolgten legitimen Zwecken, hier der öffentlichen Sicherheit, Aufrechterhaltung der Ordnung, Verhütung von Straftaten und dem Schutz des guten Rufes und der Persönlichkeitsrechte Dritter, vorzunehmen. Es ist zu bedenken, dass der Gesetzentwurf mit Hilfe der Begründungspflicht der Netzwerkbetreiber nach § 3 Abs. 2 Nr. 5 NetzDG-E sicherstellen soll, dass ein Nutzer bei Entfernung eines für ihn gesicherten Inhalts, darüber informiert wird und rechtliche Schritte zur Wahrung seines Rechts auf Meinungsfreiheit zeitnah wahrnehmen kann.94 Dadurch 90 Kingreen, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5.Aufl. 2016, Art. 7 GRCh, Rn. 6. 91 EuGH, Urt. v. 8.4.2014, Rs. C-293/12 und C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238 – Digital Rights Ireland, Rn. 46. 92 EGMR, Urt. v. 16.6.2015, Rs.64569/09 – Delfi, Rn. 155 und 159. 93 EuGH, Urt. v. 12.12.2006, Rs. C‑380/03, ECLI:EU:C:2006:772 – Deutschland/Parlament, Rn. 154. 94 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 21, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 27 soll nach dem Willen des Gesetzentwurfs die Meinungsfreiheit im Rahmen des Beschwerdemechanismus nach § 3 Abs. 2 NetzDG-E gewährleistet sein. Es ist allerdings zu überlegen, ob nicht vor der Löschung bzw. Sperrung eines Inhalts, der Urheber des Inhalts durch den Netzwerkbetreiber angehört werden muss. Bisher geht die Begründung des NetzDG-E davon aus, dass das soziale Netzwerk den Verfassern gemeldeter Inhalte Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Beschwerde geben kann.95 Eine Anhörungspflicht könnte zur Sachverhaltsaufklärung beitragen und das Recht auf Meinungsfreiheit stärker schützen als es durch den bisherigen Ansatz des NetzDG- E gewährleistet ist.96 Dem Schutz der Meinungsfreiheit soll ausweislich des Gesetzentwurfs auch dadurch Rechnung getragen werden, dass nach § 4 Abs. 1 NetzDG-E eine Ordnungswidrigkeit nur bei systematischen Verstößen gegen die Vorgabe zur Einrichtung eines Notice-and-take-down Mechanismus vorliegt. Gemäß § 4 Abs. 1 NetzDG-E wird die fehlende Entfernung oder Sperrung eines einzelnen rechtswidrigen Beitrags nicht als Ordnungswidrigkeit sanktioniert, sondern eine fehlende Überwachung oder organisatorische Unzulänglichkeit des gesamten Notice-and-takedown Mechanismus. Dadurch soll ausweislich der Entwurfsbegründung der in den Stellungnahmen bemängelte Druck auf Netzwerkbetreiber zur pauschalen Löschung gemeldeter Inhalte minimiert werden.97 Fraglich bleibt, inwiefern weitere Detailregelungen zur Ausgestaltung des Verfahrens geboten sind, damit nicht zu Lasten der Meinungsfreiheit die Grenze dessen überschritten wird, was zur Erreichung der vom Gesetzgeber verfolgten Ziele erforderlich ist. 4.2.1.3.3. Rückschlüsse aus dem Delfi-Urteil des EGMR Bezüglich der Angemessenheit ist wieder auch das Delfi-Urteil des EGMR von Interesse. Der EGMR hat hinsichtlich der Hasskommentare unter einem Artikel auf einem estnischen Medienportal festgestellt, dass es keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Meinungsfreiheit darstellt, wenn der Betreiber einer solchen Website verpflichtet ist, ohne Verzögerung Kommentare zu entfernen , die hate speech und Anstachelung zu Gewalt darstellen und somit auf den ersten Blick klar unrechtmäßig sind.98 Er betont, dass angesichts des Umstands, dass ein breites Spektrum an Möglichkeiten zur Verfügung steht, um sich im Internet zu Gehör zu bringen, die Verpflichtung eines großen Medienportals, wirksame Maßnahmen zur Beschränkung der Verbreitung von hate speech und Aufstachelung zur Gewalt zu ergreifen, nicht mit privater Zensur gleichgesetzt werden kann. Der EGMR misst der Überlegung Gewicht bei, dass die Möglichkeit eines potenziellen Opfers von rechtswidrigen Äußerungen, das Internet andauernd zu überwachen, beschränkter ist 95 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 21, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. 96 S. dazu auch Ladeur/Gostomzyk, Zur Verfassungsmäßigkeit des „Netzwerkdurchsetzungsgesetzes“ – Ergebnisse eines Gutachtens, abrufbar unter https://www.bitkom.org/noindex/Publikationen/2017/Sonstiges/20170516- Zusammenfassung-Gutachten-zum-NetzDG-Profs-Ladeur-u-Gostomzyk.pdf. 97 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 22, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. 98 EGMR, Urt. v. 16.6.2015, Rs.64569/09 – Delfi, Rn. 153. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 28 als die Kompetenz eines großen, kommerziellen Medienportals, solche Äußerungen zu verhindern oder rasch zu entfernen.99 Der EGMR kommt zu dem Schluss, dass die Rechte und Interessen von Bürgern und der Gesellschaft insgesamt einen Staat ohne Verstoß gegen Art. 10 EMRK berechtigen können, Internet-Medienportale verantwortlich zu machen, wenn diese es versäumen , auch ohne Benachrichtigung durch das mutmaßliche Opfer oder Dritte Maßnahmen zu ergreifen , um rechtswidrige Äußerungen ohne Verzögerung zu entfernen.100 Die dem Delfi-Urteil zugrunde liegende Situation ist eine andere als die hier zu bewertende. Diensteanbieter war nicht ein soziales Netzwerk, sondern ein Medienportal, welches selbst Artikel veröffentlicht und diese zur Kommentierung freigibt. Auch ging es in dem Urteil nicht um die Pflicht des Portals, gemeldete rechtswidrige Inhalte zu löschen, sondern um seine Pflicht, selbständig offensichtlich rechtswidrige, da Aufstachelung zur Gewalt beinhaltende, Inhalte zu entfernen . Trotz dieser Unterschiede ist der Grundrechtskonflikt zwischen der Meinungsfreiheit und dem Schutz von Persönlichkeitsrechten im Delfi-Urteil mit dem zu bewertenden Konflikt, den das NetzDG-E aufwirft, vergleichbar. Die Wertung des EGMR im Delfi-Urteil lässt den Schluss zu, dass der EGMR aufgrund der besonderen Gegebenheiten der Internetkommunikation Beschränkungen der Meinungsfreiheit durch Diensteanbieter im Internet zum Schutz des Persönlichkeitsrechts anderer für angemessen und gerechtfertigt erachtet. Er sieht in der Sperrung bzw. Löschung von Inhalten durch ein privates Unternehmen keine private Zensur. 4.2.1.4. Zwischenergebnis Die Ausführungen im Delfi-Urteil des EGMR lassen darauf schließen, dass das NetzDG-E aus unionsrechtlicher Sicht, welche durch die Rechtsprechung des EGMR geprägt wird, keinen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit darstellt, sondern durch die verfolgten legitimen Zwecke gerechtfertigt werden kann. 4.2.2. Schutz der unternehmerischen Freiheit 4.2.2.1. Schutzbereich Gemäß Art. 16 GRCh wird die unternehmerische Freiheit nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt. Der Schutzbereich von Art. 16 GRCh umfasst nach der Rechtsprechung des EuGH das Recht jedes Unternehmens, in den Grenzen seiner Verantwortlichkeit für seine eigenen Handlungen frei über seine wirtschaftlichen, technischen und finanziellen Ressourcen verfügen zu können.101 Damit fällt die Tätigkeit von Hosting-Anbietern, wie Netzwerkbetreibern, in den Schutzbereich der unternehmerischen Freiheit .102 99 EGMR, Urt. v. 16.6.2015, Rs. 64569/09 – Delfi, Rn. 157 f. 100 EGMR, Urt. v. 16.6.2015, Rs. 64569/09 – Delfi, Rn. 159. 101 EuGH, Urt. v. 27.3.2014, Rs. C‑314/12, ECLI:EU:C:2014:192 – UPC Telekabel Wien, Rn. 49. 102 EuGH, Urt. v. 16.2.2012, Rs. C‑360/10, ECLI:EU:C:2012:85 – SABAM, Rn. 44. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 29 4.2.2.2. Eingriff Ein Eingriff in Art. 16 GRCh besteht, wenn ein Grundrechtsverpflichteter, namentlich ein Unionsorgan oder ein Mitgliedstaat bei Durchführung von Unionsrecht, eine Regelung trifft, die für den Grundrechtsinhaber im Hinblick auf die unternehmerischen Aktivitäten einen Nachteil bezweckt oder unmittelbar bewirkt.103 Der EuGH entschied in der Rechtssache UPC Telekabel Wien, dass eine Anordnung, die ihrem Adressaten einen Zwang auferlegt, „der die freie Nutzung der ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen einschränkt, da sie ihn verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, die für ihn unter Umständen mit erheblichen Kosten verbunden sind, beträchtliche Auswirkungen auf die Ausgestaltung seiner Tätigkeiten haben oder schwierige und komplexe technische Lösungen erfordern“, die unternehmerische Freiheit einschränkt.104 Die Einrichtung einer Berichtspflicht nach § 2 NetzDG-E sowie die Pflicht zur Einrichtung eines Systems für den Umgang mit Beschwerden gemäß § 3 NetzDG-E über rechtswidrige Inhalte und die damit einhergehenden Prüfungs-, Kontroll- und Speicherpflichten erfordern Maßnahmen der Netzwerkbetreiber . Durch das NetzDG-E werden Netzwerkbetreibern mithin verschiedene Pflichten auferlegt, die einen gewissen Aufwand an Technik und Personal erfordern und mithin für ihre unternehmerischen Aktivitäten nachteilig sind. 4.2.2.3. Rechtfertigung Gemäß Art. 52 Abs. 1 GRCh sind Einschränkungen der Ausübung der in der Charta verankerten Rechte zulässig, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt der Rechte und Freiheiten achten, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen entsprechen. Die Vorgaben des NetzDG-E sind gesetzlich vorgesehen und achten den Wesensgehalt der unternehmerischen Freiheit, da die Vorgaben des NetzDG-E darauf beschränkt sind, technische Modalitäten für die Ausübung der Tätigkeit der Anbieter festzulegen.105 Das NetzDG-E soll die Verbreitung von Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten in sozialen Netzwerken bekämpfen,106 dadurch sollen Gefahren für das friedliche Zusammenleben und für die freie, offene, demokratische Gesellschaft abgewendet, Störungen des öffentlichen Friedens begegnet und Urheberrechte sowie Persönlichkeitsrechte geschützt werden. Das NetzDG-E verfolgt mithin legitime Ziele. Fraglich ist allein, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit ) gewahrt ist. Die betreffenden Maßnahmen sind geeignet, wenn sie einen Beitrag zur Erreichung dieser legitimen Ziele leisten.107 Durch die Vorgaben in § 3 NetzDG-E, dass die Anbieter ein wirksames und 103 Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 3. Aufl. 2016, Art. 16 GRCh, Rn. 12 unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 28.4.1998, Rs. C-200/96, ECLI:EU:C:1998:172 – Metronome, Rn. 28 104 EuGH, Urt. v. 27.3.2014, Rs. C‑314/12, ECLI:EU:C:2014:192 – UPC Telekabel Wien, Rn. 50. 105 EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C‑484/14, ECLI:EU:C:2016:689 – Mc Fadden, Rn. 91. 106 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 9, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. 107 EuGH, Urt. v. 8.4.2014, Rs. C-293/12 und C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238 – Digital Rights Ireland, Rn. 46. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 30 transparentes Beschwerdeverfahren einrichten und innerhalb kurzer Zeit rechtswidrige Inhalte entfernen müssen, trägt die Regelung zum Schutz der Urheber- und Persönlichkeitsrechte einzelner Personen und zur Bekämpfung strafbarer Inhalte im Netz bei. Die Regelung ist erforderlich, wenn bei mehreren zur Verfügung stehenden, geeigneten Maßnahmen, diejenige gewählt wird, die am wenigsten belastet.108 Die in den Stellungnahmen zum NetzDG-E durchscheinenden Alternativlösungen einer Pflicht der Netzwerkbetreiber zur Löschung bzw. Sperrung von Inhalten aufgrund von Gerichtsurteilen bzw. einer rechtlich unverbindlichen Selbstregulierung der Netzwerkbetreiber erscheinen weniger gut geeignet, rechtsverletzende Inhalte möglichst schnell aus den Netzwerken zu entfernen und so ihrer Verbreitung entgegenzuwirken.109 Die Pflicht zur Einrichtung eines Notice-and-take-down Verfahrens kann nach hiesiger Ansicht als erforderlich angesehen werden. Weiterhin müssen die einschränkenden Regelungen im Hinblick auf die verfolgten Ziele angemessen sein.110 Der EuGH hat in der Rechtssache SABAM zu der Pflicht eines Host-Providers zur umfassenden Filterung fremder Informationen ausgeführt, eine derartige Pflicht erfordere ein „kompliziertes, kostspieliges, auf Dauer angelegtes und allein auf seine [des Hosting-Providers] Kosten betriebenes Informatiksystem“.111 In der Pflicht zur Einrichtung eines derartigen Informatiksystems sah der EuGH eine qualifizierte Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit des Anbieters und damit einen Verstoß gegen Art. 16 GRCh.112 Nach Ansicht von Kritikern des NetzDG-E erlegt dieses den Netzwerkbetreibern ebenfalls zu aufwendige Umsetzungspflichten auf und verletzt damit ihre unternehmerische Freiheit. Es ist im Rahmen dieses Gutachtens nicht möglich, den Umsetzungsaufwand, den das NetzDG-E für Netzwerkbetreiber darstellt, einzuschätzen. Der Gesetzentwurf weist darauf hin, dass die Schätzung des Erfüllungsaufwands für Unternehmen naturgemäß mit Unsicherheiten verbunden sei. In der Entwurfsbegründung werden die Umsetzungskosten für die betroffenen Unternehmen insgesamt, neben weiteren kleineren Beträgen, auf zwei Millionen Euro hinsichtlich der Berichtspflichten und 25 Millionen Euro für die Pflicht zur Vorhaltung eines wirksamen Beschwerdemanagements geschätzt.113 108 EuGH, Urt. v. 22.1.2013, Rs. C-283/11, ECLI:EU:C:2013:28 – Sky Österreich, Rn. 50. 109 S. dazu Ladeur/Gostomzyk, Zur Verfassungsmäßigkeit des „Netzwerkdurchsetzungsgesetzes“ – Ergebnisse eines Gutachtens, abrufbar unter https://www.bitkom.org/noindex/Publikationen/2017/Sonstiges/20170516-Zusammenfassung -Gutachten-zum-NetzDG-Profs-Ladeur-u-Gostomzyk.pdf. 110 EuGH, Urt. v. 12.12.2006, Rs. C‑380/03, ECLI:EU:C:2006:772 – Deutschland/Parlament, Rn. 154. 111 EuGH, Urt. v. 16.2.2012, Rs. C‑360/10, ECLI:EU:C:2012:85 – SABAM, Rn. 46. 112 EuGH, Urt. v. 16.2.2012, Rs. C‑360/10, ECLI:EU:C:2012:85 – SABAM, Rn. 47. 113 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 14, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 31 Es ist zu bedenken, dass nach der Rechtsprechung des EuGH große negative Belastungen angemessen sind, wenn mit der betreffenden Regelung Ziele von großer Bedeutung verfolgt werden.114 In Bezug auf das NetzDG-E ist zu berücksichtigen, dass die verfolgten Zwecke der öffentlichen Sicherheit, Aufrechterhaltung der Ordnung, Verhütung von Straftaten und Schutz der Persönlichkeitsrechte einzelner Personen von nicht unerheblicher Bedeutung sind. Demgegenüber wird durch die Regelungen des NetzDG-E lediglich die Art und Weise der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit berührt. Zudem beschränkt sich der Anwendungsbereich des NetzDG-E gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 NetzDG auf Anbieter von sozialen Netzwerken, die diese mit Gewinnerzielungsabsicht betreiben und mehr als zwei Millionen Nutzer haben. Es ist anzunehmen, dass die von der Regelung betroffenen Anbieter die finanziellen Belastungen des NetzDG-E im Rahmen ihrer auf Gewinnerzielung ausgerichteten Tätigkeit tragen können. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Möglichkeit, durch eine Regelung verursachte finanzielle Belastungen im Wirtschaftsverkehr abzuwälzen, bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme mit zu berücksichtigen.115 Diese Möglichkeit führt dazu, dass die Belastungen auf Seiten der betroffenen Unternehmer abgemildert werden. Im Ergebnis sprechen daher nach hiesiger Ansicht gute Gründe dafür, dass der Eingriff durch das NetzDG-E in die unternehmerische Freiheit angemessen ist. 4.2.2.4. Zwischenergebnis Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass die mit dem NetzDG-E verfolgten Ziele den im Gesetz liegenden Eingriff in die unternehmerische Freiheit rechtfertigen. Für eine abschließende Bewertung fehlt es aber an Kenntnis, ob die Pflicht der Netzwerkbetreiber, Kopien des in Frage stehenden rechtswidrigen Inhalts zu entfernen oder zu sperren, die Einführung einer aufwendigen, allgemeinen Überwachung der Inhalte in einem Netzwerk erfordert, die nach Ansicht des EuGH ggf. unangemessen ist. 4.2.3. Schutz personenbezogener Daten Gemäß Art. 8 Abs. 1 GrCh hat jede Person das Recht auf Schutz der sie betreffenden Daten. Geschützt werden personenbezogene Daten. Das sind alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person.116 Eine Person ist bestimmbar, wenn sie direkt oder indirekt identifiziert werden kann.117 Art. 8 GRCh wird vom EuGH oftmals gemeinsam mit Art. 7 GRCh geprüft ,118 der das Recht jeder Person auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation schützt. 114 EuGH, Urt. v. 17.7.1997, Rs. C-183/95, ECLI:EU:C:1997:373 – Affish, Rn.42. 115 EuGH, Urt. v. 21.2.1991, Rs. C-143/88 und C-92/89, ECLI:EU:C:1991:65 – Zuckerfabrik Süderdithmarschen, Rn.76. 116 EuGH, Urt. v. 9. 11. 2010, Rs. C-92/09 und 93/09,ECLI:EU:C:2010:662 – Volker und Markus Schecke, Rn. 52. 117 Jarass, Grundrechtecharta der EU, 3.Aufl. 2016, Art. 8 GRCh, Rn. 5. 118 S. beispielsweise EuGH, Urt. v. 8.4.2014, Rs. C-293/12 und C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238 – Digital Rights Ireland , Rn. 65. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 32 4.2.3.1. Eingriff durch die Einrichtung eines Filtersystems Der EuGH hat in den Rechtssachen Scarlet Extended und SABAM festgestellt, dass die Pflicht eines Internetzugangsdienstes bzw. eines Netzwerkbetreibers zur Filterung von Kundeninformationen die Grundrechte der Kunden verletzt, namentlich das durch Art. 8 GRCh geschützte Recht auf den Schutz personenbezogener Daten.119 Die Anordnung, ein Filtersystem einzurichten, würde, wenn diese Einrichtung die Ermittlung, systematische Prüfung und Verarbeitung von Informationen der Nutzerprofile beinhalte, in das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten eingreifen, da es sich bei den Informationen der Nutzerprofile um geschützte personenbezogene Daten handele, welche die Identifizierung der Nutzer ermöglichen.120 Wie oben unter 3.3. dargestellt , kann im Rahmen dieses Gutachtens nicht geklärt werden kann, ob die Vorgaben des § 3 NetzDG-E die Einrichtung eines derartigen Filtersystems erfordern bzw. wie groß der Umfang eines solchen Systems wäre. Daher muss die Frage nach einem darin liegenden Grundrechtseingriff offen bleiben. Ausgehend von der Annahme, dass ein Eingriff in Art. 8 GRCh vorliegt, könnte dieser ggf. gemäß Art. 8 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Art. 52 Abs. 1 GRCh gerechtfertigt werden. Gemäß Art. 8 Abs. 2 Satz 1 GRCh dürfen personenbezogene Daten nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Art. 52 Abs. 1 GRCh bestimmt die Anforderungen der Rechtfertigung zusätzlich dahingehend, dass der Wesensgehalt des Rechts geachtet und die Einschränkungen nur unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit) vorgenommen werden dürfen . Mit § 3 NetzDG-E würde eine gesetzliche Grundlage für den Eingriff durch die Errichtung eines Filtersystems existieren. Ausweislich der Entwurfsbegründung hat das NetzDG-E zum Ziel, die Verbreitung von Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten in sozialen Netzwerken zu bekämpfen und die Persönlichkeitsrechte zu schützen.121 Der Gesetzgeber verfolgt mithin legitime Ziele. Die Entfernung von Kopien eines als rechtswidrig gesperrten bzw. entfernten Inhalts ist zur Erreichung dieser Ziele grundsätzlich geeignet. Fraglich ist vor allem, ob die Maßnahme erforderlich und angemessen ist. Ohne eine Pflicht der Netzwerkbetreiber, auch die Kopien eines als rechtswidrig gelöschten Inhalts zu sperren, kann dieser Inhalt im Netzwerk trotz (einmaliger) Löschung weiterhin in Form von Kopien präsent sein, so lange nicht jede einzelne Kopie gemeldet und entsprechend gelöscht worden ist. Das spricht für die Erforderlichkeit einer Pflicht zur Kopiensuche und -entfernung. In diese Richtung geht auch die Argumentation des Generalanwalt 119 EuGH, Urt. v. 16.2.2012, Rs. C‑360/10, ECLI:EU:C:2012:85 – SABAM, Rn. 48 f.; EuGH, Urt. v. 24.11.2011, Rs. C‑70/10, ECLI:EU:C:2011:771 – Scarlet Extended, Rn. 50. 120 EuGH, Urt. v. 16.2.2012, Rs. C‑360/10, ECLI:EU:C:2012:85 – SABAM, Rn. 49; EuGH, Urt. v. 24.11.2011, Rs. C‑70/10, ECLI:EU:C:2011:771 – Scarlet Extended, Rn. 50 f. 121 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 9, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 33 Jääskinen, der in der Rechtssache L‘Oréal für eine Pflicht von Diensteanbietern zur aktiven Verhinderung gleichartiger zukünftiger Verletzungen durch denselben Täter plädiert hat.122 Damit stellt sich die Frage nach der Angemessenheit einer solchen Pflicht. In den Rechtssachen SABAM und Scarlet Extended, in denen der EuGH die Vorgabe der Einrichtung eines Filtersystems als ungerechtfertigten Eingriff in die unternehmerische Freiheit, den Schutz personenbezogener Daten und die Informationsfreiheit angesehen hat, stellte er fest, dass die Anordnung der Einrichtung eines solchen Filtersystems „nicht das Erfordernis beachten würde, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Recht am geistigen Eigentum einerseits und der unternehmerischen Freiheit, dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und dem Recht auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen andererseits zu gewährleisten“.123 Das NetzDG soll nicht dem Schutz des geistigen Eigentums, sondern der Bekämpfung von Hasskriminalität und dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dienen. Daher lässt sich die Wertung des EuGH aus den Rechtssachen SABAM und Scarlet Extended nicht per se übernehmen. Die Urteile könnten jedoch als Indiz dafür sprechen, dass der EuGH die Pflicht von Netzwerkbetreibern zur Einrichtung eines Filtersystems, ggf. abhängig von dessen Ausgestaltung, zum Auffinden von Kopien eines als rechtswidrig gelöschten Inhalts, nicht für angemessen erachtet. Eine abschließende Feststellung ist diesbezüglich vorliegend nicht möglich. 4.2.3.2. Eingriff durch die Speicherung von Daten Die Regelung des § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E ordnet die Speicherung von entfernten Inhalten im Inland zu Beweiszwecken für die Dauer von zehn Wochen an. Dabei geht es ausweislich der Entwurfsbegründung um die Sicherung der maßgeblichen Daten des Absenders eines rechtswidrigen Inhalts,124 so dass es sich bei den zu speichernden Daten um personenbezogene Daten handelt. Kritiker des NetzDG-E sehen in der Pflicht der Netzwerkbetreiber aus § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E eine Beschränkung des Rechts auf den Schutz personenbezogener Daten. Von der Speicherungspflicht würden auch personenbezogene Daten erfasst, deren pauschale und unbeschränkte Speicherung unvereinbar mit diesem Grundrecht sei.125 122 GA Jääskinen, Schlussanträge vom 9.12.2010, Rs. C‑324/09, ECLI:EU:C:2010:757 – L’Oréal, Rn. 167 f. 123 EuGH, Urt. v. 16.2.2012, Rs. C‑360/10, ECLI:EU:C:2012:85 – SABAM, Rn. 51; EuGH, Urt. v. 24.11.2011, Rs. C‑70/10, ECLI:EU:C:2011:771 – Scarlet Extended, Rn. 53. 124 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 21, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. 125 Wimmers/Heymann, Zum Referentenentwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) – eine kritische Stellungnahme, AfP 2017, S. 93 (99 ); Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik (DGRI) e.V., Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG), abrufbar unter http://www.dgri.de/index.php/fuseaction/download/lrn_file/dgri-stellungnahme-netzdg.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 34 4.2.3.2.1. Eingriff Ein Grundrechtseingriff liegt nach der Rechtsprechung des EuGH vor, wenn der Grundrechtsverpflichtete persönliche Daten i. S. d. Art. 8 Abs. 2 Satz 1 verarbeitet.126 In seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung hat der EuGH festgestellt, dass die Pflicht für Anbieter von Kommunikationsdiensten bzw. Betreibern von Kommunikationsnetzen, bestimmte Daten über das Privatleben einer Person und ihre Kommunikationsvorgänge während eines bestimmten Zeitraums auf Vorrat zu speichern, in Art. 7 und 8 GRCh eingreift.127 Es fehlt zwar an einem einschlägigen Urteil zur Speicherung von Daten durch private Netzwerkbetreiber, es ist aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des EuGH aber davon auszugehen, dass der Gerichtshof dies ebenfalls als eine Verarbeitung personenbezogener Daten und damit als Eingriff in das Recht aus Art. 8 GRCh ansehen würde. 4.2.3.2.2. Rechtfertigung Fraglich ist, ob der Eingriff gerechtfertigt werden kann. Dies setzt nach Art. 52 Abs. 1 GRCh eine gesetzliche Rechtsgrundlage für die Einschränkung voraus. Zudem muss der Wesensgehalt der betroffenen Rechte geachtet werden und der Eingriff unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Mit § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E liegt eine gesetzliche Grundlage für die Speicherung der Daten vor. Mit Hilfe der Speicherung soll die Strafverfolgung gegen den Verfasser eines Inhalts mit strafbarem Inhalt gesichert werden. Die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und die Verhütung von Straftaten ist eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung.128 Somit werden mit der Regelung des § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E legitime Zwecke verfolgt. Des Weiteren müsste auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit) gewahrt werden.129 Aufgrund der Regelung des § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E werden die Anbieter von sozialen Netzwerken verpflichtet, Inhalte, die von ihnen als rechtswidrig angesehen und dementsprechend entfernt wurden, zu Beweiszwecken zu speichern. Dadurch werden den Strafverfolgungsbehörden Beweismittel zur Aufklärung einer Straftat zur Verfügung gestellt. Die Regelung ist mithin geeignet, zur Aufklärung einer Straftat beizutragen und damit zur Erreichung der verfolgten Ziele der Verhütung von Straftaten und Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit beizutragen. Das zum Erreichen der von § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E verfolgten Ziele Maßnahmen zur Verfügung stehen, die weniger in den Schutz auf personenbezogene Daten eingreifen, ist vorliegend nicht ersichtlich. 4.2.3.2.3. Rückschlüsse aus der Rechtssache Digital Rights Ireland Schließlich müsste der mit der Regelung des § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E verbundene Eingriff im Hinblick auf das verfolgte Ziel angemessen sein. Die Ausnahmen vom Schutz personenbezogener 126 EuGH, Urt. v. 9.11.2010, Rs. C‑92/09 und C‑93/09, ECLI:EU:C:2010:662 – Schecke, Rn. 60. 127 EuGH, Urt. v. 8.4.2014, Rs. C-293/12 und C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238 – Digital Rights Ireland, Rn. 34 ff.; 128 EuGH, Urt. v. 8.4.2014, Rs. C-293/12 und C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238 – Digital Rights Ireland, Rn. 42 ff. 129 EuGH, Urt. v. 22.1.2013, Rs. C-283/11, ECLI:EU:C:2013:28 – Sky Österreich, Rn. 50. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 35 Daten und dessen Einschränkungen haben sich nach Ansicht des EuGH auf das absolut Notwendige zu beschränken.130 In der Rechtssache Digital Rights Ireland hat der EuGH „angesichts der besonderen Bedeutung des Schutzes personenbezogener Daten für das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens und des Ausmaßes und der Schwere des mit der Richtlinie 2006/24 verbundenen Eingriffs“ eine strikte Verhältnismäßigkeitskontrolle durchgeführt.131 Ein derart schwerwiegender Eingriff wurde im Fall der Vorratsdatenspeicherung auch aufgrund der Externalisierung der Datenspeicherung (Keine Bestimmung der Richtlinie 2006/24 hat die Diensteanbieter dazu verpflichtet, die Daten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, unter der Gerichtshoheit eines Mitgliedstaats , zu speichern) und des großen Ausmaßes bejaht.132 Der EuGH hat es in der Rechtssache Digital Rights Ireland für unverhältnismäßig erachtet, dass durch die vorgesehenen Maßnahmen Personen betroffen waren, bei denen keinerlei Anhaltspunkte dafür bestanden, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stand.133 Zudem habe zwischen den erhobenen Daten und einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit kein Zusammenhang bestanden, zumal die erhobenen Daten nicht auf einen bestimmten Zeitraum oder ein geografisches Gebiet oder Personenkreis beschränkt wurden.134 Die in Frage stehende Regelung des § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E gibt keine Vorratsdatenspeicherung sämtlicher Verkehrsdaten vor. Weder müssen die Daten aller Nutzer eines Netzwerks gespeichert werden, noch erfolgt die Speicherung anlasslos, sondern zu Beweiszwecken nach einer Meldung und Bewertung der Inhalte als rechtswidrig. Die Regelung des § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E ordnet die Speicherung von Inhalten an, die entfernt wurden, weil sie vom Netzwerkbetreiber für rechtswidrig erachtet worden sind. Die von der Speicherung betroffenen Inhalte stehen mithin in einem Zusammenhang zum Verdacht einer Straftat. Die Speicherung beschränkt sich auf die für rechtswidrig erachteten Inhalte, so dass nur ein bestimmter Personenkreis von der Speicherung betroffen ist. Aus § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E ergibt sich auch, dass die Speicherung der Inhalte zu Beweiszwecken zu erfolgen hat und damit zweckgebunden ist. Ein weiterer Unterschied zur Vorratsdatenspeicherung nach der Richtlinie 2006/24 liegt in dem Speicherort. Art. 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E gibt eine Speicherung im Inland vor, im Urteil zur Vorratsdatenspeicherung kritisierte der EuGH unter Berufung auf die Schlussanträge des Generalanwalts die Möglichkeit einer Speicherung der Daten auf ausländischen Servern. Der Generalan- 130 EuGH, Urt. v. 8.4.2014, Rs. C-293/12 und C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238 – Digital Rights Ireland, Rn. 52; EuGH, Urt. v. 21.12.2016, Rs. C-203/15 und C-698/15, ECLI:EU:C:2016:970 – Tele2 Sverige, Rn. 96. 131 EuGH, Urt. v. 8.4.2014, Rs. C-293/12 und C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238 – Digital Rights Ireland, Rn. 48. 132 EuGH, Urt. v. 8.4.2014, Rs. C-293/12 und C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238 – Digital Rights Ireland, Rn. 37 unter Verweis auf die Schlussanträge des GA Cruz Villalón vom 12.12.2013, Rs. C-293/12, ECLI:EU:C:2013:845 – Digital Rights Ireland, Rn. 78 f. 133 EuGH, Urt. v. 8.4.2014, Rs. C-293/12 und C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238 – Digital Rights Ireland, Rn. 58; EuGH, Urt. v. 21.12.2016, Rs. C-203/15 und C-698/15, ECLI:EU:C:2016:970 – Tele2 Sverige, Rn. 105. 134 EuGH, Urt. v. 8.4.2014, Rs. C-293/12 und C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238 – Digital Rights Ireland, Rn. 59; EuGH, Urt. v. 21.12.2016, Rs. C-203/15 und C-698/15, ECLI:EU:C:2016:970 – Tele2 Sverige, Rn. 106. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 36 walt Villalón hatte diesbezüglich ausgeführt: „Keine Bestimmung der Richtlinie 2006/24 verpflichtet die genannten Diensteanbieter jedoch dazu, selbst die Daten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats , unter der Gerichtshoheit eines Mitgliedstaats, zu speichern, was die Gefahr, dass sie unter Verstoß gegen diese Regelung zugänglich sein oder verbreitet werden könnten, erheblich vergrößert. Diese „Externalisierung“ der Vorratsdatenspeicherung ermöglicht es zwar, die gespeicherten Daten von den öffentlichen Stellen der Mitgliedstaaten fernzuhalten und sie damit ihrem direkten Zugriff und jeder Kontrolle zu entziehen, aber gerade dadurch vergrößert sie gleichzeitig die Gefahr einer Auswertung, die den Anforderungen des Rechts auf Achtung des Privatlebens zuwiderläuft.“135 Die in § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG vorgesehene Speicherfrist von zehn Wochen liegt schließlich auch unter der vom EuGH gerügten Speicherfrist von mindestens sechs Monaten.136 Es sprechen mithin im Vergleich zur Vorratsdatenspeicherung gute Gründe für die Annahme, dass die Speicherpflichten aus dem NetzDG-E verhältnismäßig sind. Allerdings ordnet das NetzDG-E die Speicherung von Kommunikationsinhalten an. Dem kommt nach Ansicht des EuGH eine besondere Bedeutung zu. So hält er in der Rechtssache Digital Rights Ireland fest: „Zum Wesensgehalt des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens und der übrigen in Art. 7 der Charta verankerten Rechte ist festzustellen, dass die nach der Richtlinie 2006/24 vorgeschriebene Vorratsspeicherung von Daten zwar einen besonders schwerwiegenden Eingriff in diese Rechte darstellt, doch nicht geeignet ist, ihren Wesensgehalt anzutasten, da die Richtlinie, wie sich aus ihrem Art. 1 Abs. 2 ergibt, die Kenntnisnahme des Inhalts elektronischer Kommunikation als solchen nicht gestattet.“137 Es handelt sich bei den gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E gespeicherten Inhalten jedoch um solche, die der Betroffene selbst innerhalb des sozialen Netzwerkes einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Nach Ansicht von Jarass sind auch öffentlich zugängliche Daten durch Art. 8 GRCh geschützt.138 Es handelt sich aber, trotz der Speicherung von Kommunikationsinhalten, bei der Speicherung von öffentlichen Daten nicht um einen besonders schwerwiegenden Eingriff. 4.2.3.2.4. Zwischenergebnis Im Hinblick auf die Vorgaben des EuGH in der Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung gibt es gute Gründe für die Annahme, dass § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG aus Unionssicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt und den Schutz personenbezogener Daten nicht verletzt. 4.2.3.3. Eingriff durch Möglichkeit der Auskunftserteilung Eine weitere Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten droht nach Ansicht der Kritiker des NetzDG-E durch die Ermächtigung der Netzwerkbetreiber in § 14 Abs. 2 des Telemediengesetzes (TMG), geändert durch Art. 2 des NetzDG-E, im Einzelfall Auskunft über Bestandsdaten zu 135 Schlussanträge des GA Cruz Villalón vom 12.12.2013, Rs. C-293/12, ECLI:EU:C:2013:845 – Digital Rights Ireland , Rn. 78 f. 136 EuGH, Urt. v. 8.4.2014, Rs. C-293/12 und C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238 – Digital Rights Ireland, Rn. 64. 137 EuGH, Urt. v. 8.4.2014, Rs. C-293/12 und C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238 – Digital Rights Ireland, Rn. 39. 138 Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 3. Aufl. 2016, Art. 8 GRCh, Rn. 6. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 37 erteilen, soweit dies zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum oder anderer absolut geschützter Rechte erforderlich ist. Durch die Ergänzung „anderer absolut geschützter Rechte“ in § 14 Abs. 2 TMG würden Netzwerkbetreiber ermächtigt, Daten über Dritte betreffend die Durchsetzung von allen absolut geschützten Rechten herauszugeben.139 Es ist festzuhalten, dass § 14 Abs. 2 TMG keine eigene Ermächtigungsgrundlage darstellt. Die Norm stellt lediglich klar, dass Diensteanbieter Auskunftsansprüche nicht aufgrund datenschutzrechtlicher Erwägungen zurückweisen dürfen.140 Fraglich ist, ob die Ausweitung des § 14 Abs. 2 TMG auf die Auskunftserteilung zur Durchsetzung anderer absolut geschützter Rechte als dem Recht am geistigen Eigentum einen Eingriff in Art. 8 GRCh bewirkt und ob dieser gerechtfertigt werden kann. Ein Grundrechtseingriff liegt nach der Rechtsprechung des EuGH vor, wenn der Grundrechtsverpflichtete persönliche Daten i. S. d. Art. 8 Abs. 2 Satz 1 verarbeitet.141 Verarbeitung erfasst auch „die Weitergabe personenbezogener Daten von Teilnehmern an ein drittes Unternehmen“.142 Indem § 14 Abs. 2 TMG die Weitergabe von personenbezogenen Daten an Inhaber absoluter Rechte erleichtert, erleichtert es die Verarbeitung von Daten und könnte damit in Art. 8 GRCh eingreifen. Art. 8 Abs. 2 GRCh erlaubt die Verarbeitung personenbezogener Daten, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Nach dieser Bestimmung dürfen personenbezogene Daten nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Gemäß Art. 52 Abs. 1 GRCh muss zudem der Wesensgehalt des Grundrechts unangetastet bleiben und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Geeignetheit, Erforderlichkeit , Angemessenheit) gewahrt bleiben. Ausweislich der Begründung des NetzDG-E erweitert die Änderung des § 14 Abs. 2 TMG die datenschutzrechtliche Erlaubnisnorm, die nach bisher geltendem Recht einem zivilrechtlichen Auskunftsanspruch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen oder bei der Verletzung anderer absolut 139 Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik (DGRI) e.V., Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG), abrufbar unter http://www.dgri.de/index.php/fuseaction /download/lrn_file/dgri-stellungnahme-netzdg.pdf; Eco – Verband der Internetwirtschaft, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz ), 30.3.2017, abrufbar unter https://www.eco.de/wp-content /blogs.dir/20170330_eco_stn_netzwerkdurchsetzungsg.pdf. Digitale Gesellschaft, Stellungnahme des Digitale Gesellschaft e.V. zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz für ein Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz - NetzDG) in den Fassungen vom 14. März 2017 sowie vom 27. März 2017, abrufbar unter https://digitalegesellschaft .de/wp-content/uploads/2017/03/Stellungnahme_DigiGes_NetzDG.pdf. 140 Spindler/Nink, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 14 TMG, Rn 6 und 9; Müller-Broich, Telemediengesetz, 2012, § 14 TMG, Rn. 5 f. 141 EuGH, Urt. v. 9.11.2010, Rs. C‑92/09 und C‑93/09, ECLI:EU:C:2010:662 – Schecke, Rn. 60. 142 EuGH, Urt. v. 5.5.2011, Rs. C‑543/09, ECLI:EU:C:2011:279 – Deutsche Telekom, Rn. 53. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 38 geschützter Rechte entgegensteht.143 Zweck der Normänderung ist der zivilrechtliche Schutz absolut geschützter Rechte. Die Erweiterung des § 14 Abs. 2 TMG auf alle absolut geschützten Rechte ist geeignet, zu deren Durchsetzung auf dem Privatrechtsweg beizutragen. Offen bleiben muss vorliegend, inwiefern die Änderung erforderlich war oder ob nicht die Möglichkeit eines Auskunftsanspruchs zu Zwecken der Strafverfolgung zum Schutz absolut geschützter Rechte genügt , die bereits nach dem heutigen Rechtsstand nach § 14 Abs. 2 TMG möglich ist.144 Die Bewertung der Angemessenheit dieser Regelung erfordert wiederum eine Abwägung zwischen dem Recht auf Schutz personenbezogener Daten und den absolut geschützten Rechten, wie beispielsweise dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Der EuGH hat sich in verschiedenen Rechtssachen mit der Herausgabe personenbezogener Daten zwischen Privaten befasst. In der Rechtssache Promusicae entschied der EuGH über die Weigerung von Telefonica, personenbezogene Verkehrsdaten über die Nutzung des Internets an die Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums bzw. deren Vertreter weiterzugeben. Der EuGH betonte in seiner Entscheidung die Bedeutung eines Ausgleichs der widerstreitenden Interessen, namentlich des Eigentumsrechts und des Grundrechts auf den Schutz personenbezogener Daten .145 In der Rechtssache Coty war der Grund des Rechtsstreits die Weigerung eines Bankinstituts , Auskünfte über ein Bankkonto zu erteilen, auf das Zahlungen für rechtsverletzende Ware eingegangen waren. Der EuGH betonte wiederum das Erfordernis eines Interessenausgleichs. Hinsichtlich der nationalen Norm, welche die Bank zur Auskunftsverweigerung berechtigte, hielt der Gerichtshof fest: „Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Rechtsvorschrift scheint, isoliert betrachtet, eine solche Weigerung unbegrenzt zu gestatten, da ihr Wortlaut weder eine Bedingung noch eine Konkretisierung enthält; dies zu prüfen ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts . Eine solche nationale Rechtsvorschrift kann daher, isoliert betrachtet, den in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 anerkannten Auskunftsanspruch vereiteln und damit, wie aus Rn. 29 des vorliegenden Urteils hervorgeht, gegen das Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und das Grundrecht des geistigen Eigentums verstoßen.“146 Der EuGH hat sich in diesen Urteilen mit dem Verhältnis des Schutzes personenbezogener Daten zum Schutz des geistigen Eigentums und nicht dem Schutz anderer absoluter Rechte, wie dem Persönlichkeitsschutz, befasst. Auch betreffen die Urteile die Ermächtigung zur Auskunftsverweigerung , nicht die Pflicht zur Auskunftserteilung. Trotzdem lassen die Urteile gewisse Rückschlüsse zu. Die Entscheidung in der Rechtssache Coty lässt erkennen, dass die pauschale Vereitelung eines Auskunftsanspruchs nur schwer mit der Charta vereinbar ist. Das spricht für die An- 143 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 26, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. 144 S. dazu BGH, Urt. v. 1.7.2014, Rs. VI ZR 345/13 mit Verweis auf die Aussagen des Sachverständigen Dr. Bizer in der Anhörung „Zusammenführung der wirtschaftsbezogenen Regelungen für Tele- und Mediendienste“ des Ausschuss für Wirtschaft und Technologie am 11.12.2006 (http://www.daten-speicherung.de/data/Wortprotokoll _06-12-11.pdf). 145 EuGH, Urt. v. 29.1.2008, Rs. C‑275/06, ECLI:EU:C:2008:54 – Promusicae, Rn. 61 ff. 146 EuGH, Urt. v. 16.7.2015, Rs. C‑580/13, ECLI:EU:C:2015:485 – Coty Germany, Rn. 34-38 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 39 gemessenheit einer Gesetzesvorgabe, welche die Herausgabeverweigerung aus datenschutzrechtlichen Erwägungen begrenzt. Allerdings betont der EuGH in seinen Urteilen die Notwendigkeit eines Ausgleichs der betroffenen Rechte. Nach Ansicht von Spindler sind daher klare Voraussetzungen für einen Auskunftsanspruch über personenbezogene Daten im Rahmen des § 14 Abs. 2 TMG und eine Pflicht zur gerichtlichen Anspruchsprüfung vor der Datenfreigabe zum Schutz personenbezogener Daten erforderlich.147 Diese Ansätze sind für einen besseren Ausgleich der betroffenen Grundfreiheiten bedenkenswert. 5. Vereinbarkeit mit der Dienstleistungsfreiheit Die Begründung des NetzDG-E sieht in den Vorgaben des Gesetzentwurfs eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV, die aufgrund der mit den Gesetzesvorgaben verfolgten Gemeinwohlinteressen, namentlich der Verhütung und Bekämpfung von Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten, jedoch gerechtfertigt sei.148 Der EuGH fasst die Dienstleistungsfreiheit sehr weit, so dass auch nationale Regelungen, welche die Erbringung der Dienstleistung weniger attraktiv machen, einen Eingriff in das Recht aus Art. 56 AEUV darstellen.149 Die Einrichtung einer Berichtspflicht nach § 2 NetzDG-E sowie die Pflicht zur Einrichtung eines Systems für den Umgang mit Beschwerden gemäß § 3 NetzDG-E über rechtswidrige Inhalte und die damit einhergehenden Prüfungs-, Kontroll- und Speicherpflichten erfordern Maßnahmen der Netzwerkbetreiber. Durch das NetzDG-E werden Netzwerkbetreibern mithin verschiedene Pflichten auferlegt, die einen gewissen Aufwand an Technik und Personal erfordern und mithin die Erbringung ihrer Dienstleistung, den Betrieb eines sozialen Netzwerks, weniger attraktiv machen. Derartige Eingriffe können jedoch durch geschriebene und ungeschriebene Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt werden. Die zur Begründung des Gesetzes angeführten Ziele, wie die Bekämpfung der Verbreitung von Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten, zählen zu den anerkannten ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen bzw. den geschriebenen Rechtfertigungsgründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemäß Art. 62 i.V.m. Art. 52 Abs. 1 AEUV. 147 Spindler, Legal Expertise commissioned by BITKOM concerning the notified German Act to Improve Enforcement of the Law in Social Networks (Netzwerkdurchsetzungsgesetz), abrufbar unter https://www.bitkom.org/noindex/Publikationen/2017/Sonstiges/Legal-Expertise-Official-2-0.pdf. 148 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 13, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. 149 EuGH, Urt. v. 12.12.1996, Rs. C-3/95, ECLI:EU:C:1996:487 – Reisebüro Broede, Rn. 25 („Nach ständiger Rechtsprechung verlangt diese Bestimmung nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistungserbringers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen — selbst wenn sie unterschiedslos für einheimische Dienstleistungserbringer wie für Dienstleistungserbringer anderer Mitgliedstaaten gelten —, wenn sie geeignet sind, die Tätigkeit des Dienstleistungserbringers , der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.“). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 22/17 Seite 40 Wie bei den Grundrechten ist auch zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Grundfreiheiten Voraussetzung , dass die fragliche Maßnahme legitimen Zielen diente und geeignet ist, diese zu erreichen . Sie muss überdies erforderlich sein, es darf mithin kein weniger intensiv in die Grundfreiheit eingreifende Maßnahme zur Zielerreichung zur Verfügung stehen. Zudem muss die Maßnahme in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden.150 Ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs, sind die in § 3 vorgesehenen Verfahrensvorschriften geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne, da bei der derzeitigen Rechtslage und Praxis die sozialen Netzwerke dem Gebot, rechtswidrige Inhalte, welche die in § 1 Abs. 3 NetzDG-E normierten Straftatbestände erfüllen, zu löschen, nicht hinreichend und nicht schnell genug nachkommen.151 Gesetzliche Pflichten der Netzwerkbetreiber zur Einrichtung eines Notice-and-take-down Verfahrens seien mithin erforderlich. Sie sind, wie oben bereits festgestellt, zur Erreichung der mit dem NetzDG-E verfolgten Ziele auch geeignet. Wie schon oben in der Prüfung zur unternehmerischen Freiheit festgestellt, sprechen daher überzeugende Gründe für die Annahme, dass der Eingriff durch das NetzDG-E in die unternehmerische Freiheit bzw. die Dienstleistungsfreiheit gerechtfertigt ist. – Fachbereich Europa – 150 EuGH, Urt. v. 6.11.2003, Rs. C-243/01, ECLI:EU:C:2003:597 – Gambelli, Rn. 65. 151 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, 16.5.2017, Bundestag Drucksache 18/12356, S. 20, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf.