© 2021 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 021/21 Zum unionsrechtlichen Rahmen der Kontrolle in Bezug auf die operative Tätigkeit der ständigen Reserve der Agentur für die Europäische Grenz- und Küstenwache (Frontex) Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 2 Zum unionsrechtlichen Rahmen der Kontrolle in Bezug auf die operative Tätigkeit der ständigen Reserve der Agentur für die Europäische Grenz- und Küstenwache (Frontex) Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 021/21 Abschluss der Arbeit: 14. Mai 2021 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Der geltende Rechtsrahmen der Kontrolle in Bezug auf die operative Tätigkeit der ständigen Reserve gemäß der Verordnung (EU) 2019/1896 4 2.1. Aufgaben und Befugnisse in Bezug auf die operative Tätigkeit der ständigen Reserve 5 2.1.1. Voraussetzungen und Bedingungen für die Entsendung von Mitgliedern der ständigen Reserve der verschiedenen Personalkategorien 6 2.1.2. Voraussetzungen und Bedingungen für die verschiedenen Arten von Einsätzen 6 2.1.3. Bedingungen der operativen Tätigkeit während des Einsatzes 8 2.2. Instrumente der Kontrolle 9 2.2.1. Grundsatz der Unabhängigkeit 10 2.2.2. Interne Kontrolle 11 2.2.3. Externe Kontrolle 12 3. Primärrechtliche Vorgaben für die Ausgestaltung der Kontrolle in Bezug auf die Tätigkeit unabhängiger Agenturen der Union 13 3.1. Primärrechtliche Vorgaben in der Rechtsprechung des EuGH 13 3.1.1. Grenzen der Übertragung von Ermessensbefugnissen 13 3.1.2. Anforderungen der demokratischen Legitimation 15 3.2. Ausgestaltung der Kontrolle im Rahmen der primärrechtlichen Vorgaben 17 4. Zusammenfassung 19 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 4 1. Einleitung Der Fachbereich ist beauftragt worden, den unionrechtlichen Rahmen der Kontrolle in Bezug auf die operative Tätigkeit der ständigen Reserve der Agentur für die Europäische Grenz- und Küstenwache (Frontex) darzustellen. Der Auftrag bezieht sich auf interne wie auch externe Instrumente der Kontrolle, wobei insbesondere nach dem Bestehen von Weisungsrechten in Bezug auf die operative Praxis sowie nach der zivil-, straf- und disziplinarrechtlichen Verantwortung der Mitglieder der ständigen Reserve gefragt wird. Im Kern zielt das Auftragsersuchen darauf, etwaige „Kontrolldefizite“ in Bezug auf die operative Tätigkeit der ständigen Reserve sichtbar zu machen . Zunächst ist der geltende Rechtsrahmen der Kontrolle in Bezug auf die operative Tätigkeit der ständigen Reserve gemäß der Verordnung (EU) 2019/18961 darzustellen (2.). Hierbei ist zum einen auf den Umfang der Frontex übertragenen Aufgaben und Befugnisse (2.1.) und zum anderen auf die Instrumente der internen und externen Kontrolle (2.2.) einzugehen. Im Anschluss sind die primärrechtlichen Vorgaben für die Ausgestaltung der Kontrolle in Bezug auf die Tätigkeit unabhängiger Agenturen der Union in den Blick zu nehmen (3.). Auf haushalts- und datenschutzrechtliche Aspekte ist hierbei nicht einzugehen. 2. Der geltende Rechtsrahmen der Kontrolle in Bezug auf die operative Tätigkeit der ständigen Reserve gemäß der Verordnung (EU) 2019/1896 Art und Umfang der Kontrolle über die Tätigkeit von Frontex unterliegen maßgeblich den Bestimmungen der Verordnung (EU) 2019/1896. Zunächst sind die Frontex vom Unionsgesetzgeber mit der Verordnung (EU) 2019/1896 übertragenen Aufgaben und Befugnisse in Bezug auf die operative Tätigkeit der ständigen Reserve in den Blick zu nehmen (2.1.). Hieraus ergibt sich zum einen der Umfang der Befugnisse, die die Agentur zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben ausüben darf, und das ihr dabei eingeräumte Ermessen. Zum anderen werden hierdurch die Grenzen ihrer Verantwortlichkeit bestimmt, insbesondere mit Blick auf diejenigen Aufgaben und Befugnisse, welche in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten , insbesondere des jeweiligen Einsatzmitgliedstaats, fallen. Der Bereich der Frontex übertragenen Aufgaben und Befugnisse ist somit sowohl für die Eingrenzung des Gegenstands als auch für die Bestimmung des Maßstabs einer möglichen Kontrolle von grundlegender Bedeutung. Die bei der Ausübung von Ermessensbefugnissen zu beachtenden Kriterien und Bedingungen sind darüber hinaus für die unter 3. aufzugreifende Frage nach der Vereinbarkeit der Befugnisübertragung mit primärrechtlichen Vorgaben relevant. 1 Verordnung (EU) 2019/1896 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2019 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 1052/2013 und (EU) 2016/1624. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 5 Im Anschluss sind die in der Verordnung (EU) 2019/1896 vorgesehenen Instrumente der internen und externen Kontrolle in Bezug auf die operative Tätigkeit der ständigen Reserve darzustellen (2.2.).2 2.1. Aufgaben und Befugnisse in Bezug auf die operative Tätigkeit der ständigen Reserve Nach den Bestimmungen der Verordnung (EU) 2019/1896 verfügt Frontex über eine sog. ständige Reserve von bis zu 10 000 Einsatzkräften (Art. 5 Abs. 2). Allgemein gehört es zu den Aufgaben von Frontex, die Anwendung von Maßnahmen der Union im Zusammenhang mit der Verwaltung der Außengrenzen sowie der Rückkehr von Drittstaatsangehörigen zu erleichtern (Art. 5 Abs. 3) und zu einer konstanten und einheitlichen Anwendung des Unionsrechts, einschließlich der Beachtung der Grundrechte, beizutragen (Art. 5 Abs. 4). Im Einzelnen zählen zu den Aufgaben von Frontex gemäß Art. 10 Abs. 1 Buchst. a bis z der Verordnung (EU) 2019/1896 neben der technischen und operativen Unterstützung der Mitgliedstaaten ein breites Spektrum von Aufgaben u. a. in Bezug auf die Gewinnung und den Austausch von Informationen und Fachwissen, den Betrieb bestimmter Informationssysteme und Kommunikationsnetze , die Überwachung der Verwaltung der Mitgliedstaaten und die Überwachung der Einhaltung von Grundrechten. Speziell mit Blick auf die ständige Reserve sind in der Bestimmung folgende Aufgaben genannt: „j) Entsendung der ständigen Reserve im Rahmen von Grenzverwaltungsteams, Teams zur Unterstützung der Migrationsverwaltung und Rückkehrteams (im Folgenden gemeinsam „Teams“ genannt) für gemeinsame Aktionen sowie für Soforteinsätze zu Grenzsicherungszwecken , Rückkehraktionen und Rückkehreinsätze; […] l) Entwicklung und Verwaltung eigener personeller und technischer Kapazitäten mit der Unterstützung eines internen Qualitätskontrollmechanismus, um zur ständigen Reserve, einschließlich der Einstellung und Schulung von Bediensteten, die als Teammitglieder handeln, und zum Pool für technische Ausrüstung beizutragen“ Die ständige Reserve setzt sich aus vier Kategorien von Personal zusammen (Art. 54 Abs. 1). Hierzu gehört das bei der Agentur angestellte Statutspersonal (Kat. 1), das von den Mitgliedstaaten an die Agentur langfristig abgeordnete Personal (Kat. 2), das für kurzfristige Entsendungen einsatzbereite Personal der Mitgliedstaaten (Kat. 3) und die aus Personal der Mitgliedstaaten bestehende Reserve für Soforteinsätze (Kat. 4). Auf der Grundlage des in den Anhängen I bis IV festgelegten Rahmens werden die Profile und Anforderungen an die Einsatzkräfte, die Anzahl des Personals je Profil innerhalb der Personalkategorien, die nähere Bestimmung der Beiträge pro 2 Anstelle einer Einteilung in interne und externe Formen der Kontrolle wird teilweise zwischen „ex-ante control “, „ongoing control“ und „ex-post control“ unterschieden, vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments, EU Agencies, Common Approach and Parliamentary Scrutiny, 2018, S. 50 ff., abrufbar unter: https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2018/627131/EPRS_STU(2018)627131_EN.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 6 Mitgliedstaat und eine vorläufige mehrjährige Planung durch einen Beschluss des Verwaltungsrats festgelegt (Art. 54 Abs. 4). Die Agentur ist befugt, Mitglieder der ständigen Reserve als Mitglieder von Grenzverwaltungsteams , Teams zur Unterstützung der Migrationsverwaltung und Rückkehrteams bei gemeinsamen Aktionen, Soforteinsätzen zu Grenzsicherungszwecken, Rückkehreinsätzen oder anderen einschlägigen Einsätzen in den Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten zu entsenden (Art. 54 Abs. 2). Diese Befugnis zur Entsendung der ständigen Reserve setzt explizit eine Genehmigung des betroffenen Mitgliedstaats oder Drittstaats voraus und dient als Ergänzung der von den Mitgliedstaaten eingeleiteten Maßnahmen. Eine Entsendung der ständigen Reserve kann somit weder gegen noch unabhängig vom Willen der betreffenden Mitgliedstaaten oder Drittstaaten erfolgen, was sich auch aus den besonderen Bestimmungen für die Entsendung von Mitgliedern der ständigen Reserve ergibt, wobei jedoch gewisse Unterschiede bestehen zum einen mit Blick auf die verschiedenen Personalkategorien (2.1.1.) und zum anderen mit Blick auf die verschiedenen Arten von Einsätzen (2.1.2.). 2.1.1. Voraussetzungen und Bedingungen für die Entsendung von Mitgliedern der ständigen Reserve der verschiedenen Personalkategorien Die Zuständigkeiten und das Verfahren für die Entsendung von Mitgliedern der ständigen Reserve , die nicht zum Statutspersonal gehören, unterliegen jeweils besonderen Voraussetzungen (Art. 56-58), welche im Folgenden nur im Überblick dargestellt werden sollen. In Bezug auf das langfristig abgeordnete Personal (Kat. 2) entscheidet der Exekutivdirektor nach Maßgabe der operativen Erfordernisse über die Gebiete und die Dauer ihrer Entsendung (Art. 56 Abs. 3). Die Bereitstellung von Personal für kurzfristige Entsendungen (Kat. 3) erfolgt auf Antrag von Frontex an den betreffenden Herkunftsmitgliedstaat; der Zeitraum der einzelnen Entsendungen wird bei den jährlichen bilateralen Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen der Agentur und den Mitgliedstaaten festgelegt; über die Dauer der Entsendung für einen spezifischen Einsatz entscheidet der Herkunftsmitgliedstaat (Art. 57 Abs. 5-10). Ebenfalls auf Antrag von Frontex stellen die Mitgliedstaaten ihre Einsatzkräfte der Reserve für Soforteinsätze (Kat. 4) bereit; dies steht allerdings unter der Voraussetzungen, dass die Einsatzkräfte der Kategorien 1 bis 3 für den betreffenden Soforteinsatz bereits ausgeschöpft sind (Art. 58). 2.1.2. Voraussetzungen und Bedingungen für die verschiedenen Arten von Einsätzen Darüber hinaus sind die Bestimmungen der Verordnung (EU) 2019/1896 für die verschiedenen Arten von Einsätzen zu beachten, durch die die grundsätzliche Befugnis von Frontex zur Entsendung der Mitglieder der ständigen Reserve an weitere Voraussetzungen geknüpft und durch die Beteiligung verschiedener Stellen weiter begrenzt wird. In der ersten Bestimmung des Abschnitts „Aktion der Agentur an den Außengrenzen“ in Art. 36 Verordnung (EU) 2019/1896 wird bereits deutlich, dass Frontex die Mitgliedstaaten grundsätzlich auf deren Ersuchen hin unterstützt (Abs. 1). Die Agentur „organisiert — im Einklang mit dem einschlägigen Unionsrecht und Völkerrecht, einschließlich des Grundsatzes der Nichtzurückweisung — die geeignete technische und operative Unterstützung für den Einsatzmitgliedstaat “ und kann verschiedene Maßnahmen ergreifen (Abs. 2). Eine Entsendung der ständigen Re- Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 7 serve ist in drei Fällen vorgesehen: im Zusammenhang mit der Koordinierung gemeinsamer Aktionen , mit der Organisation von Soforteinsätzen zu Grenzsicherungszwecken und im Rahmen der Teams zur Unterstützung der Migrationsverwaltung (Abs. 2 Buchst. a, b, d). Ein Mitgliedstaat kann die Agentur um Einleitung gemeinsamer Aktionen ersuchen, um künftigen Herausforderungen, einschließlich illegaler Einwanderung, aktueller oder künftiger Bedrohungen an seinen Außengrenzen oder grenzüberschreitender Kriminalität, zu begegnen, oder verstärkte technische und operative Unterstützung bei der Wahrnehmung seiner Pflichten im Zusammenhang mit der Außengrenzkontrolle zur Verfügung zu stellen (Art. 37 Abs. 1, vgl. auch Abs. 4). Ungeachtet der weiten Fassung dieser Bestimmungen wird eine gemeinsame Aktion doch in ihrer Zielrichtung hierdurch begrenzt. Der Exekutivdirektor vereinbart mit dem Einsatzmitgliedstaat einen verbindlichen Einsatzplan mit den für die Durchführung der gemeinsamen Aktion relevanten Einzelheiten (Art. 38). Einen zeitlich befristeten Soforteinsatz zu Grenzsicherungszwecken kann die Agentur nur auf Ersuchen eines Mitgliedstaats veranlassen, der insbesondere durch den Zustrom einer großen Anzahl von Drittstaatsangehörigen an bestimmten Stellen der Außengrenzen, die versuchen, unbefugt in sein Hoheitsgebiet einzureisen, besonderen und unverhältnismäßig großen Herausforderungen ausgesetzt ist (Art. 37 Abs. 2). Das Ersuchen muss bestimmte inhaltliche Anforderungen erfüllen (Art. 39 Abs. 1). Bei seiner Entscheidung über das Ersuchen muss der Exekutivdirektor diverse Informationen u.a. von den Mitgliedstaaten berücksichtigen (Art. 39 Abs. 3). Ein Mitgliedstaat, der an bestimmten Brennpunkten seiner Außengrenzen infolge eines starken Zustroms von Migranten und Flüchtlingen einem unverhältnismäßigen Migrationsdruck ausgesetzt ist, kann um technische und operative Verstärkung durch Teams zur Unterstützung der Migrationsverwaltung ersuchen (Art. 40 Abs. 1). Die von der Agentur gewährte Verstärkung durch die ständige Reserve kann Folgendes umfassen: Unterstützung bei der Personenüberprüfung von Drittstaatsangehörigen, die an den Außengrenzen eintreffen; Bereitstellung von Informationen an Schutzsuchende und ihre Weiterverweisung an die zuständigen Behörden, Unterstützung im Bereich der Rückkehr im Sinne von Artikel 48 und erforderliche technische Ausrüstung (Art. 40 Abs. 4). Im Bereich der Rückkehr können Mitglieder der ständigen Reserve auch bei Rückkehraktionen zur Unterstützung der Mitgliedstaaten eingesetzt werden (Art. 50). Die Agentur kann Rückkehraktionen zwar auch auf eigene Initiative, in diesem Fall jedoch nur „mit Zustimmung des betroffenen Mitgliedstaats“ koordinieren oder organisieren (Art. 50 Abs. 1); bei Sammelrückkehraktionen kann dies auch auf Ersuchen eines teilnehmenden Mitgliedstaats erfolgen (Art. 50 Abs. 3). Hegt die Agentur in irgendeiner Phase der Rückkehraktion Bedenken im Zusammenhang mit den Grundrechten, hat sie dies den teilnehmenden Mitgliedstaaten und der Kommission mitzuteilen (Art. 50 Abs. 6). Ebenfalls auf eigene Initiative und mit Zustimmung des betreffenden Mitgliedstaats oder auf Ersuchen dieses Mitgliedstaats kann die Agentur Rückkehrteams, die aus Mitgliedern der ständigen Reserve gebildet werden, zu Rückkehreinsätzen entsenden (Art. 52, 53, 2 Nr. 29). Eine Entsendung der ständigen Reserve kommt auch im Rahmen der Zusammenarbeit der Agentur mit Drittstaaten in Betracht (Art. 73 ff.). Hierbei sind besondere Vorgaben zu beachten, insbesondere Erfordernisse der Zustimmung des Drittstaats (Art. 74 Abs. 2), der Billigung durch angrenzende Mitgliedstaaten (Art. 74 Abs. 3) sowie der Beteiligung der Herkunftsmitgliedstaaten Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 8 des zu entsendenden Personals der ständigen Reserve und der Kommission (Art. 74 Abs. 5, Art. 76). Art. 46 Verordnung (EU) 2019/1896 regelt insbesondere die Entscheidung des Exekutivdirektors zur Aussetzung, Beendigung oder Nichteinleitung von Tätigkeiten der Agentur. Eine Verpflichtung hierzu besteht, wenn die Voraussetzungen für ihre Durchführung nicht mehr gegeben sind (Abs. 1), wenn der Exekutivdirektor der Auffassung ist, dass schwerwiegende oder voraussichtlich weiter anhaltende Verstöße gegen Grundrechte oder Verpflichtungen des internationalen Schutzes vorliegen (Abs. 3) oder die Tätigkeit zu schwerwiegenden Verstößen gegen Grundrechte oder Verpflichtungen des internationalen Schutzes führen könnte (Abs. 4). 2.1.3. Bedingungen der operativen Tätigkeit während des Einsatzes Im Hinblick auf die Wahrnehmung von Aufgaben und Befugnissen von Mitgliedern der ständigen Reserve ergeben sich grundlegende Einschränkungen aus Art. 43, 82 Verordnung (EU) 2019/1896. So ist etwa zu beachten, dass die Teammitglieder bei der Wahrnehmung von Aufgaben und Befugnissen der „Genehmigung des Einsatzmitgliedstaats“ unterliegen, und zwar insbesondere wenn dafür Exekutivbefugnisse erforderlich sind (Art. 82 Abs. 2). Ferner haben die Teammitglieder die Achtung der Grundrechte uneingeschränkt sicherzustellen (Art. 82 Abs. 3, Art. 43 Abs. 4). Eine bedeutsame Einschränkung ergibt sich darüber hinaus aus der Vorgabe, dass die Teammitglieder „Aufgaben und Befugnisse nur unter den Anweisungen und grundsätzlich nur in Gegenwart von Grenzschutzbeamten oder an rückkehrbezogenen Aufgaben beteiligtem Personal des Einsatzmitgliedstaats wahrnehmen“ dürfen (Art. 82 Abs. 4, vgl. auch Art. 43 Abs. 1). Dieser von der Verordnung (EU) 2019/1896 vorgegebene Rahmen der Bereitstellung von Einsatzkräften wird im Schrifttum als Fall der Organleihe charakterisiert, bei der das bereitgestellte Personal in die Hoheitsgewalt des Einsatzmitgliedstaats eingebunden wird und folglich dessen Hoheitsgewalt ausübt.3 Die Agentur verfügt insoweit über kein operatives Weisungsrecht. Zu den Anweisungen, die den Teams erteilt wurden, kann die Agentur dem Einsatzstaat über ihren Koordinierungsbeamten ihren Standpunkt mitteilen, dem der Einsatzmitgliedstaat wiederum Rechnung zu tragen und „soweit wie möglich“ nachzukommen hat (Art. 43 Abs. 2). Der Koordinierungsbeamte übernimmt weitere Aufgaben zur Gewährleistung der operativen Umsetzung der Einsätze, wie der Überwachung der korrekten Durchführung des Einsatzplans, einschließlich des Grundrechtsschutzes, worüber er dem Exekutivdirektor Bericht zu erstatten hat (Art. 44). Die Teammitglieder, die kein Statutspersonal sind (Kat. 2-4), bleiben den Disziplinarmaßnahmen ihres Herkunftsmitgliedstaats unterworfen (Art. 43 Abs. 5). Statutspersonal, das als Teammitglied 3 Näher hierzu mit Blick auf die durch Verordnung (EU) 2019/1896 abgelösten Vorgängerregelungen, Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, 2013, S. 221 ff., insb. S. 227; Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen an den europäischen Außengrenzen, 2014, S. 330 ff.; Fritz, Die Bindung an die Europäische Grundrechtecharta bei operativen Einsätzen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Grenzschutzagentur Frontex, 2020, S. 239 ff., insb. S. 243. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 9 eingesetzt wird (Kat. 1), ist den Disziplinarmaßnahmen gemäß dem Statut und den Beschäftigungsbedingungen 4 sowie disziplinarrechtlichen Maßnahmen, die im Rahmen des Überwachungsmechanismus bezüglich der Anwendung von Zwang durch das Statutspersonal5 vorgesehen sind, unterworfen (Art. 43 Abs. 6). Für die während eines Einsatzes von den Mitgliedern der ständigen Reserve verursachten Schäden haftet im Außenverhältnis der Einsatzmitgliedstaat entsprechend seinen nationalen Rechtsvorschriften (Art. 84 Abs. 1), der wiederum unter bestimmten Voraussetzungen vom Herkunftsmitgliedstaat des abgeordneten oder entsandten Personals, bzw. von Frontex im Falle des Statutspersonals, Erstattung verlangen kann (Art. 84 Abs. 2). Daneben haftet die Agentur für all ihre Tätigkeiten, die sie gemäß der Verordnung (EU) 2019/1896 durchgeführt hat (Art. 97 Abs. 1, Art. 98 Abs. 1). In Bezug auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit werden sämtliche Teammitglieder im Hoheitsgebiet des Einsatzmitgliedstaats wie Beamte des Einsatzmitgliedstaats behandelt (Art. 85). Im Übrigen richtet sich die Strafbarkeit und Strafverfolgung nach mitgliedstaatlichem Recht, so dass neben einer Verfolgung im Einsatzmitgliedstaat grundsätzlich auch eine Verfolgung im Herkunftsmitgliedstaat der betreffenden Teammitglieder in Betracht kommt. Bei Einsätzen in Drittstaaten dürfte einer strafrechtlichen Verfolgung im Drittstaat regelmäßig die hierbei abzuschließende Statusvereinbarung entgegenstehen (Art. 73 Abs. 3). Nach Art. 6 der (bisherigen) Standardstatusvereinbarung6 genießen die Mitglieder des Teams u.a. uneingeschränkten Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung durch die Gerichte des jeweiligen Drittstaats, wobei explizit vorgesehen ist, dass dies nicht von der Gerichtsbarkeit des Herkunftsmitgliedstaats des jeweiligen Teammitglieds befreit. 2.2. Instrumente der Kontrolle Vor dem Hintergrund der dargestellten Aufgaben und Befugnisse von Frontex im Zusammenhang mit der Entsendung von Mitgliedern der ständigen Reserve ist nachfolgend besonderes Augenmerk auf die Kontrollinstrumente in Bezug auf die Tätigkeit des Exekutivdirektors von Frontex zu legen. Zwar verfügt dieser über kein operatives Weisungsrecht gegenüber dem entsandten Personal der ständigen Reserve während des Einsatzes (2.1.3.). Allerdings fallen die Entscheidungen über die Entsendung von Mitgliedern der ständigen Reserve wie auch über die Aussetzung oder 4 Näher zur Disziplinarordnung siehe Art. 86 und Anhang IX des Beschäftigungsstatuts (zur konsolidierten Fassung der Verordnung Nr. 31 (EWG) 11 (EAG) über das Statut der Beamten und über die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft). Die Durchführungsbestimmungen wurden durch den Verwaltungsrat festgelegt, siehe Management Board Decision 26/2018 of 25 October 2018 adopting general implementing provisions on the conduct of administrative inquiries and disciplinary procedures. 5 Näher zum Überwachungsmechanismus bezüglich der Anwendung von Zwang durch das Statutspersonal, siehe Frontex Management Board Decision 7/2021 of 20 January 2021 establishing a supervisory mechanism to monitor the application of the provisions on the use of force by statutory staff of the European Border and Coast Guard Standing Corps. 6 Standardstatusvereinbarung im Sinne von Artikel 54 Absatz 5 der Verordnung (EU) 2016/1624 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. September 2016 über die Europäische Grenz- und Küstenwache, COM(2016) 747 final; siehe konkret etwa die Statusvereinbarung zwischen der Europäischen Union und der Republik Albanien über die Durchführung von Aktionen durch die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache in der Republik Albanien, ABl. L 46 vom 18.2.2019, S. 3–10. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 10 vorzeitige Beendigung eines Einsatzes in die Verantwortung des Exekutivdirektors (2.1.2.), die somit grundsätzlich auch Gegenstand der Kontrolle sein können. Die Instrumente der internen und externen Kontrolle sind in der Verordnung (EU) 2019/1896 geregelt (näher hierzu sogleich unter 2.2.2. und 2.2.3.), die durch eine aufgabenbezogene Unabhängigkeit gekennzeichnet sind (2.2.1.). 2.2.1. Grundsatz der Unabhängigkeit Ein grundlegendes Merkmal dezentraler Agenturen der Union besteht in ihrer aufgabenbezogenen Unabhängigkeit, deren primärrechtliche Grundlage teilweise in Art. 298 AEUV gesehen wird, wonach sich die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zur Ausübung ihrer Aufgaben „auf eine offene, effiziente und unabhängige europäische Verwaltung“ stützen.7 Die jeweiligen Gründungsverordnungen enthalten zumeist ausdrückliche Bestimmungen über die Unabhängigkeit der dezentralen Agenturen, welche somit im Schrifttum entwickelten Ansätzen zur Begründung einer (ungeschriebenen) Fach- oder Rechtsaufsicht durch die Europäische Kommission entgegenstehen.8 Mit Blick auf Frontex ergibt sich dies aus den Vorschriften der Verordnung (EU) 2019/1896 über den allgemeinen Rahmen und Aufbau der Agentur, wonach diese bei „bei der Durchführung ihres technischen und operativen Mandats unabhängig“ ist (Art. 93 Abs. 3). Zur unabhängigen Stellung des Exekutivdirektors von Frontex heißt es in Art. 106 Abs. 1: „Die Agentur wird von ihrem Exekutivdirektor geleitet, der in der Wahrnehmung seiner Aufgaben völlig unabhängig ist. Unbeschadet der jeweiligen Zuständigkeiten der Organe der Union und des Verwaltungsrats darf der Exekutivdirektor Weisungen von Regierungen oder sonstigen Stellen weder einholen noch entgegennehmen.“ (Unterstreichung hinzugefügt ) Die Unabhängigkeit von dezentralen Agenturen der Union wird im Schrifttum insbesondere mit Blick auf Anforderungen der demokratischen Legitimation kritisch diskutiert.9 Daher ist im Anschluss an einen Überblick zu den Regelungen der Verordnung (EU) 2019/1896 über die interne 7 Vgl. Saurer in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Aufl. 2017, AEUV Art. 298 Rn. 14; Siehe Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 298 AEUV, Rn. 10; Groß, Unabhängige EU-Agenturen – Eine Gefahr für die Demokratie?, in: JZ 2012, 1087 (1088). 8 Vgl. Lorenzen, Kontrolle einer sich ausdifferenzierenden EU-Eigenverwaltung, 2019, S. 165 ff. 9 Allgemein hierzu Lorenzen, Kontrolle einer sich ausdifferenzierenden EU-Eigenverwaltung, 2019, S. 374 ff.; Barner-Gaedicke, Frontex – Ohne Kontrolle zur europäischen Grenzschutztruppe?, Demokratische Kontrolle der Agentur Frontex, 2017, S. 241 ff.; Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments, EU Agencies, Common Approach and Parliamentary Scrutiny, 2018, S. 70, abrufbar unter: https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2018/627131/EPRS_STU(2018)627131_EN.pdf. Nach Ansicht des BVerfG begegne die Errichtung unabhängigen Agenturen der Union keinen grundsätzlichen Einwänden, bleibe aber aus Sicht des Demokratiegebots prekär, vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14 -, Rn. 138, abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/e/rs20190730_2bvr168514.html. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 11 und externe Kontrolle (2.2.2. und 2.2.3.) näher auf die sich aus der Rechtsprechung des EuGH ergebenden Anforderungen der EU-Verträge für die Übertragung von Befugnissen auf unabhängige Einrichtungen einzugehen (3.1.). 2.2.2. Interne Kontrolle Wenngleich der Exekutivdirektor von Frontex Weisungen weder einholen noch entgegennehmen darf, unterliegt er in unterschiedlicher Weise der internen Kontrolle durch verschiedene Stellen. So wird der Exekutivdirektor auf Vorschlag der Kommission vom Verwaltungsrat ernannt und kann vom Verwaltungsrat auch seines Amtes enthoben werden (Art. 107 Abs. 2). Er ist gegenüber dem Verwaltungsrat u. a. verpflichtet, einen jährlichen Tätigkeitsbericht vorzulegen (Art. 106 Abs. 4) und Rechenschaft über seine Tätigkeit abzulegen (Art. 106 Abs. 5). Der Verwaltungsrat übt die Disziplinargewalt über den Exekutivdirektor aus (Art. 100 Abs. 2 Buchst. n); ein Weisungsrecht in Bezug auf die operative Tätigkeit der ständigen Reserve beinhaltet dies nicht.10 Ferner sind bereichsspezifische Kontrollmechanismen vorgesehen, welche dem Exekutivdirektor etwa mit Blick auf die Wahrung von Grundrechten u. a. Auskunfts- und Berichtspflichten gegenüber bestimmten Stellen auferlegen. So nehmen ein Grundrechtsbeauftragter und mehrere von diesem bestellte Grundrechtebeobachter verschiedene Aufgaben im Zusammenhang mit dem Schutz der Grundrechte durch die Agentur wahr (Art. 109 Abs. 2, Art. 110 Abs. 2). Der Grundrechtsbeauftragte informiert den Exekutivdirektor über mögliche Verstöße gegen die Grundrechte, welcher dem Grundrechtsbeauftragten wiederum zur Auskunft verpflichtet ist, inwiefern auf die festgestellten Verstöße gegen die Grundrechte eingegangen worden ist (Art. 109 Abs. 3). Im Fall einer Beschwerde in Bezug auf einen Bediensteten der Agentur empfiehlt der Grundrechtsbeauftragte dem Exekutivdirektor angemessene Folgemaßnahmen einschließlich Disziplinarmaßnahmen und gegebenenfalls die Überweisung zur Einleitung zivil- oder strafrechtlicher Verfahren gemäß der vorliegenden Verordnung und dem nationalen Recht. Der Exekutivdirektor ist verpflichtet , für angemessene Folgemaßnahmen zu sorgen und dem Grundrechtsbeauftragten innerhalb eines festgelegten Zeitraums sowie erforderlichenfalls daran anschließend in regelmäßigen Abständen im Hinblick auf die Ergebnisse von Beschwerden, die Durchführung von Disziplinarmaßnahmen und die Folgemaßnahmen der Agentur zu Beschwerden, Bericht zu erstatten (Art. 111 Abs. 6). 10 Die Ausübung der Disziplinargewalt gegenüber dem Exekutivdirektor dürfte sich in erster Linie nach den einschlägigen Vorschriften des Beschäftigungsstatuts richten, siehe Art. 86 und Anhang IX des Beschäftigungsstatuts (zur konsolidierten Fassung der Verordnung Nr. 31 (EWG) 11 (EAG) über das Statut der Beamten und über die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft). Die Durchführungsbestimmungen wurden durch den Verwaltungsrat festgelegt, siehe Frontex Management Board Decision 26/2018 of 25 October 2018 adopting general implementing provisions on the conduct of administrative inquiries and disciplinary procedures, nach deren Art. 3 Abs. 3 besondere Anforderungen für die Benennung des Untersuchungsbeauftragten gelten, wenn sich die Untersuchung gegen den Exekutivdirektor richtet. Im Schrifttum wird zur Ausübung der Disziplinargewalt gegenüber dem Exekutivdirektor angemerkt, dass ihr Verhältnis zur einer Amtsenthebung gemäß Art. 107 Abs. 2 Verordnung (EU) 2019/1896 unklar sei, vgl. Groß, Defizite des Grundrechtsschutzes bei Frontex-Einsätzen, in: ZAR 2020, 51 (56). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 12 2.2.3. Externe Kontrolle Wie bereits erwähnt, darf der Exekutivdirektor von Frontex Weisungen von Regierungen oder sonstigen Stellen weder einholen noch entgegennehmen, allerdings untersteht er gleichwohl der externen Kontrolle durch verschiedene Stellen. So übt die Europäische Kommission etwa das Vorschlagsrecht in Bezug auf die Ernennung und die Amtsenthebung des Exekutivdirektors aus (Art. 107 Abs. 2). Zudem benennt sie zwei Mitglieder des Verwaltungsrats (Art. 101). Gegenüber dem Europäischen Parlament und dem Rat ist der Exekutivrektor verpflichtet, über die Erfüllung seiner Aufgaben Bericht zu erstatten (Art. 106 Abs. 2, vgl. Art. 6). Der Exekutivdirektor gibt außerdem, falls er dazu aufgefordert wird, eine Erklärung vor dem Europäischen Parlament ab und beantwortet alle Fragen, die Mitglieder des Europäischen Parlaments an ihn richten , schriftlich innerhalb von 15 Kalendertagen nach Erhalt einer solchen Frage; der Exekutivdirektor erstattet den zuständigen Gremien und Ausschüssen des Europäischen Parlaments regelmäßig Bericht (Art. 106 Abs. 2).11 Bei der Wahrnehmung seiner Kontrollfunktionen kann das Europäische Parlament auch mit den nationalen Parlamenten zusammenarbeiten; auf deren Einladung sind der Exekutivdirektor und der Vorsitz des Verwaltungsrats verpflichtet, an Sitzungen des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente teilzunehmen (Art. 112).12 Im Übrigen ist das Europäische Parlament an dem Verfahren zur Ernennung des Exekutivdirektors beteiligt. Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Kandidaten müssen eine Erklärung vor dem zuständigen Ausschuss bzw. den zuständigen Ausschüssen des Europäischen Parlaments abgeben und Fragen der Ausschussmitglieder beantworten; im Anschluss nimmt das Europäische Parlament eine Stellungnahme an, in der es seine Auffassungen darlegt und angeben kann, welchen Kandidaten es bevorzugt (Art. 107 Abs. 2). Ferner ist der EuGH für Klagen im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Frontex zuständig (Art. 98) und übt somit in diesem Rahmen die gerichtliche Kontrolle aus.13 In Bezug auf die Entscheidung des Exekutivdirektors zur Entsendung der ständigen Reserve erscheint indes fraglich, ob diese koordinierende Maßnahme im Vorfeld der Durchführungen eines Einsatzes Außenwirkung zukommt, wie sie für eine Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 Abs. 1 AEUV vorausgesetzt 11 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) im Europäischen Parlament jüngst eine Arbeitsgruppe zur Kontrolle von Frontex eingerichtet hat (sog. Frontex Scrutiny Working Group – FSWG), Pressemitteilung des Europäischen Parlaments vom 23.2.2021, abrufbar unter: https://www.europarl.europa.eu/pdfs/news/expert/2021/2/press_release/20210223IPR98504/20210223IPR9850 4_de.pdf. 12 In diesem Zusammenhang wäre etwa an die Einrichtung eines gemeinsamen parlamentarischen Kontrollgremiums zu denken. 13 Darüber hinaus ist der EuGH mit Blick auf Vollzugsmaßnahmen der Behörden des Einsatzmitgliedstaats für Fragen in Bezug auf ihre Vereinbarkeit mit den unionsrechtlichen Vorgaben wie der Grundrechtecharta nach den allgemeinen Vorschriften zuständig, etwa für Vorabentscheidungsersuchen nationaler Gerichte (Art. 267 AEUV) oder für Vertragsverletzungsklagen gegen den Einsatzmitgliedstaat (Art. 258 ff. AEUV). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 13 ist.14 Grundsätzlich dürfte hingegen eine Untätigkeitsklage insbesondere der Unionsorgane oder der Mitgliedstaaten gemäß Art. 265 AEUV in Bezug auf solchen Handlungen in Betracht kommen , zu denen der Exekutivdirektor nach der Verordnung (EU) 2019/1896 verpflichtet ist (näher zu derartigen Verpflichtungen siehe unter 2.1.).15 Bei Klagen von Einzelnen gemäß Art. 268 AEUV im Zusammenhang mit der außervertraglichen Haftung der Union für die von der ständigen Reserve während des Einsatzes verursachten Schäden dürften sich wiederum mit Blick auf das beim Einsatzmitgliedstaat liegende operative Weisungsrecht regelmäßig Zurechnungsfragen stellen.16 3. Primärrechtliche Vorgaben für die Ausgestaltung der Kontrolle in Bezug auf die Tätigkeit unabhängiger Agenturen der Union In dem zuvor dargestellten rechtlichen Rahmen der Verordnung (EU) 2019/1896 ist die Agentur Frontex bei der Durchführung ihres Mandats unabhängig und insbesondere keinen Weisungen der Europäischen Kommission unterworfen. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung deutlich gemacht, dass der Übertragung von Befugnissen auf unabhängige Einrichtungen primärrechtliche Grenzen gesetzt sind und hierbei Anforderungen der demokratischen Legitimation zu beachten sind, die nachfolgend näher dargestellt werden sollen (3.1.). In diesem Zusammenhang ist darauf einzugehen, ob der durch die Verordnung (EU) 2019/1896 geschaffene rechtliche Rahmen den primärrechtlichen Vorgaben grundsätzlich gerecht wird. Ergänzend ist auf Forderungen im Schrifttum für eine Stärkung insbesondere der parlamentarischen Kontrolle von Frontex hinzuweisen (3.2.). 3.1. Primärrechtliche Vorgaben in der Rechtsprechung des EuGH 3.1.1. Grenzen der Übertragung von Ermessensbefugnissen Nach der Rechtsprechung des EuGH unterliegt die Übertragung von Ermessensbefugnissen primärrechtlichen Grenzen. Ausgangspunkt ist die Meroni-Rechtsprechung des EuGH aus dem Jahr 1958. Die in der Rechtsprechung entwickelte sog. „Meroni-Doktrin“ postuliert allgemeine Kriterien für die Übertragung von Befugnissen seinerzeit auf privatrechtlich organisierte Einrichtungen durch die damalige Hohe Behörde. Die Anwendbarkeit auf die Übertragung von Befugnissen 14 Ablehnend etwa Barner-Gaedicke, Frontex – Ohne Kontrolle zur europäischen Grenzschutztruppe?, Demokratische Kontrolle der Agentur Frontex, 2017, S. 193 ff., insb. 196. 15 Im Unterschied zur Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV kann Gegenstand einer Untätigkeitsklage gemäß Art. 265 AEUV auch das Unterlassen einer unverbindlichen oder vorbereitenden Handlung sein, vgl. Dörr, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 265 AEUV, Rn. 14. 16 Näher hierzu Fink, The Action for Damages as a Fundamental Rights Remedy: Holding Frontex Liable, German Law Journal (2020), 21, S. 532 (539-541). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 14 auf EU-Agenturen durch den Unionsgesetzgeber wurde lange Zeit in der Literatur diskutiert und schließlich im Jahr 2014 im Leerverkäufe-Urteil des EuGH grundsätzlich bestätigt.17 In diesem Urteil erinnert der EuGH zunächst an die Kernaussagen des Meroni-Urteils, wonach sich die Übertragung von Befugnissen sehr verschieden auswirken könne, je nachdem ob es sich um eng umgrenzte Ausführungsbefugnisse handele, deren Ausübung einer strengen Kontrolle im Hinblick auf die Beachtung objektiver Tatbestandsmerkmale unterliege, oder ob die Befugnisse nach freiem Ermessen auszuüben sind und dadurch eine tatsächliche Verlagerung der Verantwortung erfolge.18 Im Anschluss prüft er die Vereinbarkeit einer Übertragung von Befugnissen auf eine vom Unionsgesetzgeber geschaffene Einrichtung mit diesen Grundsätzen. Hierbei stellt er maßgeblich darauf ab, inwieweit die Ausübung von Befugnissen an Kriterien und Bedingungen geknüpft sind, die den Handlungsspielraum der betreffenden Einrichtung begrenzen.19 Die Prüfung verdeutlicht, dass sich eine Beschränkung ihres Ermessensspielraums auch aus Konsultations -, Unterrichtungs- und Überprüfungspflichten ergeben kann.20 Die Befugnisse der Einrichtung müssen letztlich genau eingegrenzt und gerichtlich überprüfbar sein.21 Mit Blick auf den unter 2.1. dargestellten rechtlichen Rahmen der Verordnung (EU) 2019/1896 ist festzustellen, dass Frontex und insbesondere ihrem Exekutivdirektor zwar umfangreiche Befugnisse in Bezug auf die ständige Reserve übertragen wurden, die jedoch zugleich in vielfältiger Weise begrenzt sind. Dies betrifft zunächst grundlegende Entscheidungen in Bezug auf die Entwicklung der personellen Kapazitäten und Profile innerhalb der verschiedenen Personalkategorien der ständigen Reserve, die durch einen Beschluss des Verwaltungsrats im Rahmen der Vorgaben der Verordnung (EU) 2019/1896 getroffen werden (2.1.). Ferner sind die Voraussetzungen und Bedingungen für die Entsendung von Mitgliedern der ständigen Reserve zum einen nach den jeweiligen Personalkategorien (2.1.1.) und zum anderen nach den verschiedenen Arten von 17 Vgl. EuGH, Urteil vom 22.01.2014, Rs. C-270/12 (Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2014:18, Rn. 41 ff.; vgl. auch die Schlussanträge Rs. C-270/12 (Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2013:562, Rn. 71; siehe auch Orator, Möglichkeiten und Grenzen der Einrichtungen von Unionsagenturen, 2017, S. 243; Lorenzen, Kontrolle einer sich ausdifferenzierenden EU-Eigenverwaltung, 2019, S. 95 f. Umstritten ist im Einzelnen auch die Reichweite und die konkrete Bedeutung der Meroni-Doktrin für die jeweiligen Unionsagenturen, hierzu Orator, Möglichkeiten und Grenzen der Einrichtungen von Unionsagenturen, 2017, S. 261 ff. 18 Vgl. EuGH, Urteil vom 22.01.2014, Rs. C-270/12 (Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2014:18, Rn. 41 f. 19 Vgl. EuGH, Urteil vom 22.01.2014, Rs. C-270/12 (Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2014:18, Rn. 45. 20 Vgl. EuGH, Urteil vom 22.01.2014, Rs. C-270/12 (Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2014:18, Rn. 50. 21 Vgl. EuGH, Urteil vom 22.01.2014, Rs. C-270/12 (Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2014:18, Rn. 53. Weitere Kriterien sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Im Schrifttum wird teilweise unter Verweis auf den der Meroni-Rechtsprechung zugrundeliegenden Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts die Übertragung von Befugnissen auf eine Agentur an hinreichende Kontroll- und Einflussmöglichkeiten des übertragenden Organs geknüpft, vgl. Lorenzen, Kontrolle einer sich ausdifferenzierenden EU-Eigenverwaltung, 2019, S. 416 f.; Griller/Orator, „Everything under control? The "way forward" for European agencies in the footsteps of the Meroni doctrine“, in: ELR 35 (2010), S. 3 (27). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 15 Einsätzen (2.1.2.) differenziert festgelegt. Durch diese Voraussetzungen und Bedingungen ist sichergestellt , dass eine Entsendung der ständigen Reserve weder gegen noch unabhängig vom Willen der betreffenden Mitgliedstaaten oder Drittstaaten erfolgen kann. In bestimmten Fällen ist der Exekutivdirektor zudem zur Aussetzung, Beendigung oder Nichteinleitung von Tätigkeiten der Agentur verpflichtet. Auch die operative Tätigkeit von Mitgliedern der ständigen Reserve unterliegt bestimmten, in der Verordnung (EU) 2019/1896 festgelegten Bedingungen (2.1.3.). Hiernach verfügt Frontex über kein operatives Weisungsrecht, das vielmehr beim Einsatzmitgliedstaat liegt. Eine gerichtliche Kontrolle durch den EuGH ist nach Maßgabe von Art. 98 Verordnung (EU) 2019/1896 und den einschlägigen Bestimmungen des AEUV vorgesehen. In Anbetracht dieser vielfältigen Kriterien und Bedingungen ist festzustellen, dass die auf Frontex übertragenen Befugnisse in Bezug auf die ständige Reserve nicht etwa nach freiem Ermessen auszuüben sind. Durch die Bestimmungen der Verordnung (EU) 2019/1896 wird der Handlungsspielraum von Frontex eingegrenzt, was den dargestellten Anforderungen der Rechtsprechung des EuGH wohl grundsätzlich entsprechen dürfte. Eine verbindliche Klärung könnte indes nur durch den EuGH erfolgen. 3.1.2. Anforderungen der demokratischen Legitimation Der Grundsatz der Demokratie kommt in verschiedenen Bestimmungen des EU-Vertrags zum Ausdruck. Die Union ist auf dem Wert der Demokratie gegründet (Art. 2 S. 1 EUV), ihre Arbeitsweise beruht auf der repräsentativen Demokratie (Art. 10 Abs. 1 EUV), die Bürgerinnen und Bürger sind auf Unionsebene unmittelbar im Europäischen Parlament vertreten (Art. 10 Abs. 2 UAbs. 1 EUV) und die Mitgliedstaaten durch ihre Regierungen im Europäischen Rat bzw. im Rat, die wiederum gegenüber den nationalen Parlamenten oder direkt gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern rechenschaftspflichtig sind (Art. 10 Abs. 2 UAbs. 2 EUV). Vor dem Hintergrund dieser Vertragsbestimmungen stellt sich die Frage, ob die Einrichtung weisungsfreier und unabhängiger EU-Agenturen unionsrechtlichen Anforderungen der demokratischen Legitimation entspricht. Soweit ersichtlich besteht konkret zu der Frage der demokratischen Legitimation von Frontex keine Rechtsprechung des EuGH. Allerdings prüfte der EuGH im Bereich des Datenschutzrechts das Spannungsfeld zwischen dem Erfordernis der Unabhängigkeit national einzurichtender Datenschutzkontrollstellen nach Art. 28 Abs. 1 UAbs. 2 der alten Datenschutzrichtlinie Nr. 95/4622 und dem Demokratieprinzip.23 In dem Vertragsverletzungsverfahren machte Deutschland geltend, dass eine völlig weisungsfreie Datenschutzkontrollstelle mit dem Demokratieprinzip nicht vereinbar sei.24 Hierzu stellt der EuGH fest, dass der im damaligen Art. 6 EU-Vertrag (heute Art. 10 EUV) niedergelegte Grundsatz der Demokratie bei der Auslegung des Sekundärrechts zu berücksichtigen ist und legt dar, welche Anforderungen sich aus diesem Grundsatz für die Einrichtung 22 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl. 1995 L 281/31. 23 Vgl. EuGH, Urt. v. 9. März 2010, Rs. C-518/07 (Kommission/Deutschland), ECLI:EU:C:2010:125. 24 Vgl. EuGH, Urt. v. 9. März 2010, Rs. C-518/07 (Kommission/Deutschland), ECLI:EU:C:2010:125, Rn. 38 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 16 unabhängiger öffentlicher Stellen ergeben. Die beispielhafte Nennung möglicher Formen des parlamentarischen Einflusses („kann“) verdeutlicht, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung ein Ermessen zusteht: „41 Hierzu ist festzustellen, dass der Grundsatz der Demokratie zur Gemeinschaftsrechtsordnung gehört und in Art. 6 Abs. 1 EU ausdrücklich als Grundlage der Europäischen Union niedergelegt ist. Als den Mitgliedstaaten gemeinsamer Grundsatz ist er daher bei der Auslegung eines sekundärrechtlichen Aktes wie Art. 28 der Richtlinie 95/46 zu berücksichtigen. 42 Dieser Grundsatz bedeutet nicht, dass es außerhalb des klassischen hierarchischen Verwaltungsaufbaus keine öffentlichen Stellen geben kann, die von der Regierung mehr oder weniger unabhängig sind. Das Bestehen und die Bedingungen für das Funktionieren solcher Stellen sind in den Mitgliedstaaten durch Gesetz und in einigen Mitgliedstaaten sogar in der Verfassung geregelt, und diese Stellen sind an das Gesetz gebunden und unterliegen der Kontrolle durch die zuständigen Gerichte. Solche unabhängigen öffentlichen Stellen, wie es sie im Übrigen auch im deutschen Rechtssystem gibt, haben häufig Regulierungsfunktion oder nehmen Aufgaben wahr, die der politischen Einflussnahme entzogen sein müssen, bleiben dabei aber an das Gesetz gebunden und der Kontrolle durch die zuständigen Gerichte unterworfen. Eben dies ist bei den Aufgaben der Kontrollstellen für den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten der Fall. 43 Gewiss kommt ein Fehlen jeglichen parlamentarischen Einflusses auf diese Stellen nicht in Betracht. Die Richtlinie 95/46 schreibt jedoch den Mitgliedstaaten keineswegs vor, dem Parlament jede Einflussmöglichkeit vorzuenthalten. 44 So kann zum einen das Leitungspersonal der Kontrollstellen vom Parlament oder der Regierung bestellt werden. Zum anderen kann der Gesetzgeber die Kompetenzen der Kontrollstellen festlegen. 45 Außerdem kann der Gesetzgeber die Kontrollstellen verpflichten, dem Parlament Rechenschaft über ihre Tätigkeiten abzulegen. Insoweit lässt sich eine Parallele zu Art. 28 Abs. 5 der Richtlinie 95/46 ziehen, wonach jede Kontrollstelle regelmäßig einen Bericht über ihre Tätigkeit vorlegt, der veröffentlicht wird.“ (Unterstreichung hinzugefügt) Wenngleich es im konkreten Fall um sekundärrechtliche Vorgaben für die Unabhängigkeit mitgliedstaatlicher Stellen ging, ist wohl davon auszugehen, dass für die aufgrund eines Sekundärrechtsakts geschaffenen unabhängigen Stellen der Union im Grundsatz dieselben Maßstäbe gelten dürften.25 Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf die Eigenverwaltung der Union würde zunächst bedeuten, dass der unionsrechtliche Grundsatz der Demokratie der Einrichtung von unabhängigen EU-Agenturen nicht per se entgegensteht. Voraussetzung hierfür wäre, dass ihr Bestehen und die Bedingungen für ihr Funktionieren gesetzlich geregelt sind. Die Agentur müsste an 25 Im Schrifttum wird das Urteil in erster Linie im Kontext des Datenschutzes bewertet, vgl. Orator, Möglichkeiten und Grenzen der Einrichtungen von Unionsagenturen, 2017, S. 203; Anmerkung von Roßnagel zu EuGH, Urt. v. 9. März 2010, Rs. C-518/07 (Kommission/Deutschland): Verurteilung Deutschlands zur Neuorganisation seiner Datenschützer, in: EuZW 2010, 296 (299 ff.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 17 das Gesetz gebunden sein – also insbesondere an ihre Gründungsverordnung und die sonstigen einschlägigen unionsrechtlichen Vorgaben, einschließlich der Unionsgrundrechte – und sie müsste der Kontrolle durch die zuständigen Gerichte unterliegen. Zudem dürfte ein parlamentarischer Einfluss, etwa bei der Bestellung des Leitungspersonals der Agentur und in Form von Rechenschafts - und Berichtspflichten der Agentur, nicht gänzlich fehlen. Dem Unionsgesetzgeber stünde bei der Ausgestaltung des Einflusses ein Ermessen zu. Mit Blick auf die Agentur Frontex ist zunächst festzustellen, dass sie ebenfalls als eine im Grundsatz unabhängige Einrichtung errichtet wurde, deren Exekutivdirektor keinen Weisungen unterliegt . Das Bestehen der Agentur und die Bedingungen für ihr Funktionieren sind in der Verordnung (EU) 2019/1896 geregelt. Zu den in dieser Verordnung enthaltenen Bestimmungen über die externe Kontrolle kann auf die Darstellung unter 2.2.3. verweisen werden: Hiernach ist die Agentur bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben an den Schutz der Grundrechte gebunden und unterliegt diesbezüglich der Kontrolle durch den EuGH nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des AEUV. Sie ist dem Rat und dem Europäischen Parlament rechenschaftspflichtig. Konkret ist ihr Exekutivdirektor gegenüber dem Europäischen Parlament verpflichtet, über die Erfüllung seiner Aufgaben Bericht zu erstatten und Fragen der Mitglieder des Europäischen Parlaments zu beantworten. Auch an dem Verfahren zur Bestellung des Exekutivdirektors ist das Europäische Parlament beteiligt. Vor diesem Hintergrund ist ein Fehlen jeglicher parlamentarischer Kontrolle in Bezug auf Frontex nicht festzustellen. Auch sonst ist nicht zu erkennen, dass der konkrete Rahmen zur gesetzlichen Bindung der Agentur und ihrer Kontrolle hinter den dargestellten allgemeinen Anforderungen der Rechtsprechung an die demokratische Legitimation unabhängiger Einrichtungen zurückbleibt. Eine verbindliche Klärung könnte indes nur durch den EuGH erfolgen. 3.2. Ausgestaltung der Kontrolle im Rahmen der primärrechtlichen Vorgaben Sofern die Kriterien für die Übertragung von Befugnissen der Rechtsprechung erfüllt sind, obliegt die Verantwortung für die Ausgestaltung der Verordnungen der Agenturen beim Unionsgesetzgeber . Dieser besitzt einen Spielraum, weitere Einfluss- und Kontrollinstrumente in den jeweiligen Verordnungen zu schaffen. In der Literatur gibt es einige Stimmen, die die vorhandenen Kontrollinstrumente in Bezug auf Frontex für nicht ausreichend erachten26 und eine Stärkung insbesondere der parlamentarischen Kontrolle und zugleich der demokratischen Legitimation fordern.27 26 Vgl. Groß, Defizite des Grundrechtsschutzes bei Frontex-Einsätzen, in: ZAR 2020, 51 (58), nach dessen Ansicht die vorhandenen Kontrollinstrumente bei Frontex nur zu rechtfertigen wären, wenn sich Frontex auf eine Koordinations- und Unterstützungsaufgabe beschränken würde; diese Grenze werde jedoch mit der neu eingerichteten ständigen Reserve überschritten. 27 Vgl. Barner-Gaedicke, Frontex – Ohne Kontrolle zur europäischen Grenzschutztruppe?, Demokratische Kontrolle der Agentur Frontex, 2017, S. 112, 301 ff. Allgemein zu dezentralen Agenturen siehe Lorenzen, Kontrolle einer sich ausdifferenzierenden EU-Eigenverwaltung, 2019, S. 421. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 18 So wird beispielsweise eine obligatorische Aussprache des Europäischen Parlaments über die Jahresberichte dezentraler Agenturen gefordert.28 Eine Verbesserung der Berichtspflichten könnte durch einen vorgeschriebenen Mindestinhalt für die von Frontex zu erstellenden Berichte erreicht werden.29 Das Europäische Parlament solle zudem in die Verfahren der Amtszeitverlängerung und der vorzeitigen Absetzung der Agenturdirektoren eingebunden werden.30 Auch ein Veto-Recht für die Wiederwahl des Agenturdirektors sollte dem Europäischen Parlament zustehen .31 Ferner könnte ein Vorschlagsrecht im Rahmen der vorzeitigen Amtsenthebung nicht nur der Europäischen Kommission (Art. 107 Abs. 2 UAbs. 5 Frontex-VO), sondern auch dem Europäischen Parlament zugebilligt werden.32 Der Verwaltungsrat könnte verpflichtet werden, die Ansicht des Parlaments bei seiner Abberufungsentscheidung zu berücksichtigen und Abweichungen zu begründen.33 Eine begleitende Kontrolle sollte durch einen Fachausschuss des Europäischen Parlaments sichergestellt werden.34 Im Jahr 2012 veröffentlichten das Europäisches Parlament, der Rat der EU und die Europäische Kommission eine Gemeinsame Erklärung zu den dezentralen Agenturen. Die Gemeinsame Erklärung und das Gemeinsame Konzept im Anhang der Erklärung sind rechtlich nicht bindend, dennoch erklärten die Organe, dass sie dieses Gemeinsame Konzept im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren bei all ihren künftigen Beschlüssen über die dezentralen Agenturen der EU – nach vorheriger Einzelfallprüfung – berücksichtigen wollen.35 Innerhalb dieser Erklärung findet sich auch der Vorschlag, eine Abberufung des Agenturdirektors bereits bei unzulänglicher Leistung und nicht erst bei schwerwiegendem Fehlverhalten zu ermöglichen.36 Weiterhin enthält das Gemein- 28 Vgl. Lorenzen, Kontrolle einer sich ausdifferenzierenden EU-Eigenverwaltung, 2019, S. 401; vgl. auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 21. Oktober 2008 zu einer Strategie zur künftigen Regelung der institutionellen Aspekte der Regulierungsagenturen, (2008/2103(INI)), A6-0354/2008, S. 15. 29 Vgl. Barner-Gaedicke, Frontex – Ohne Kontrolle zur europäischen Grenzschutztruppe?, Demokratische Kontrolle der Agentur Frontex, 2017, S. 336. 30 Vgl. Lorenzen, Kontrolle einer sich ausdifferenzierenden EU-Eigenverwaltung, 2019, S. 401; Michel, Institutionelles Gleichgewicht und EU-Agenturen, 2015, S. 155. 31 Vgl. Lorenzen, Kontrolle einer sich ausdifferenzierenden EU-Eigenverwaltung, 2019, S. 401; für ein Genehmigungrecht bei der Amtszeitverlängerung durch das Europäische Parlament Manger-Nestler, EU- Agenturen als Ausdruck des europäischen Demokratiemangels?, in: ZEuS 2015, 315 (342). 32 Vgl. Lorenzen, Kontrolle einer sich ausdifferenzierenden EU-Eigenverwaltung, 2019, S. 401. 33 Vgl. Lorenzen, Kontrolle einer sich ausdifferenzierenden EU-Eigenverwaltung, 2019, S. 402. 34 Hierzu ausführlich Lorenzen, Kontrolle einer sich ausdifferenzierenden EU-Eigenverwaltung, 2019, S. 279 ff., 403 ff. 35 Vgl. Gemeinsame Erklärung zu den dezentralen Agenturen vom 19. Juli 2012 und das Gemeinsame Konzept im Anhang, S. 2 abrufbar unter: https://europa.eu/europeanunion /sites/europaeu/files/docs/body/joint_statement_and_common_approach_2012_de.pdf. 36 Vgl. Gemeinsame Erklärung zu den dezentralen Agenturen vom 19. Juli 2012 und das Gemeinsame Konzept im Anhang, Nr. 19, abrufbar unter: https://europa.eu/europeanunion /sites/europaeu/files/docs/body/joint_statement_and_common_approach_2012_de.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 19 same Konzept auch ein sog. Warnsystem, das durch die Kommission aktiviert werden soll. Mithilfe des Warnsystems könnte die Kommission verhindern, dass durch den Verwaltungsrat Beschlüsse gefasst werden, die entweder nicht im Einklang mit dem Mandat der Agentur stehen, gegen EU-Recht verstoßen oder in einem klaren Widerspruch zu den politischen Zielen der EU stehen könnten.37 Ob und in welcher Weise die Europäische Kommission bereits davon Gebrauch gemacht hat, ist dem Fachbereich nicht bekannt.38 Die Einführung eines Weisungsrechts zugunsten der Europäischen Kommission wird im Schrifttum aufgrund des den dezentralen Agenturen inhärenten Unabhängigkeitspostulats überwiegend abgelehnt.39 Dezentrale Agenturen gehörten zwar formal der EU-Eigenverwaltung an, seien im europäischen Verwaltungsverbund jedoch auch mit den mitgliedstaatlichen Verwaltungen verknüpft , so dass bei ihnen ein „föderales Element“ hinzutrete.40 Ein Weisungsrecht der Europäischen Kommission, welches als Pendant zu nationalen Aufsichtsmodellen gesehen werden könnte, lasse sich nicht auf die supranationale Ebene übertragen, zumal die Europäische Kommission selbst auch nur mittelbar demokratisch legitimiert sei.41 4. Zusammenfassung Nach den Bestimmungen der Verordnung (EU) 2019/1896 ist die Agentur Frontex bei der Durchführung ihres technischen und operativen Mandats unabhängig. Dies gilt insbesondere für ihren Exekutivdirektor, der unbeschadet der jeweiligen Zuständigkeiten der Organe der Union und des Verwaltungsrats Weisungen von Regierungen oder sonstigen Stellen weder einholen noch entgegennehmen darf. Der Umfang der Frontex vom Unionsgesetzgeber mit der Verordnung (EU) 2019/1896 übertragenen Aufgaben und Befugnisse ist von grundlegender Bedeutung sowohl für die Eingrenzung des Gegenstands als auch für die Bestimmung des Maßstabs einer möglichen Kontrolle in Bezug auf die operative Tätigkeit der ständigen Reserve (2.1.). Die in der Verordnung (EU) 2019/1896 vorgesehenen Instrumente der internen und externen Kontrolle sind durch den Grundsatz aufgabenbezogener Unabhängigkeit gekennzeichnet (2.2.). Dieser durch die Verordnung (EU) 2019/1896 vorgegebene Rechtsrahmen der Kontrolle in Bezug auf die operative Tätigkeit der ständigen Reserve dürfte den nach der Rechtsprechung des EuGH 37 Vgl. Gemeinsame Erklärung zu den dezentralen Agenturen vom 19. Juli 2012 und das Gemeinsame Konzept im Anhang, Nr. 59, abrufbar unter: https://europa.eu/europeanunion /sites/europaeu/files/docs/body/joint_statement_and_common_approach_2012_de.pdf. 38 Siehe hierzu auch Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments, EU Agencies, Common Approach and Parliamentary Scrutiny, 2018, S. 52, abrufbar unter: https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes /STUD/2018/627131/EPRS_STU(2018)627131_EN.pdf. 39 So auch Groß, Defizite des Grundrechtsschutzes bei Frontex-Einsätzen, in: ZAR 2020, 51 (56); einzelne Stimmen verweisen auf ein Strukturmerkmal durch Art. 298 Abs. 1 AEUV, siehe Manger-Nestler, EU-Agenturen als Ausdruck des europäischen Demokratiemangels?, in: ZEuS 2015, 315 (334, 338). 40 Siehe Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 298 AEUV, Rn. 8. 41 Vgl. insbesondere Manger-Nestler, EU-Agenturen als Ausdruck des europäischen Demokratiemangels?, in: ZEuS 2015, 315 (345). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 021/21 Seite 20 zu beachtenden primärrechtlichen Grenzen einer Befugnisübertragung sowie den primärrechtlichen Anforderungen der demokratischen Legitimation grundsätzlich genügen (3.1.). Ergänzend wurde auf Forderungen im Schrifttum nach einer Stärkung insbesondere der parlamentarischen Kontrolle von Frontex hingewiesen (3.2.). – Fachbereich Europa –