© 2018 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 – 21/18 Fragen zur Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei der Umsetzung des Vorschlags der Kommission zur Überführung des Europäischen Stabilitätsmechanismus in einen Europäischen Währungsfonds Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 2 Fragen zur Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei der Umsetzung des Vorschlags der Kommission zur Überführung des Europäischen Stabilitätsmechanismus in einen Europäischen Währungsfonds Aktenzeichen: PE 6 - 3000 – 21/18 Abschluss der Arbeit: 30. Januar 2018 Fachbereich: PE 6 – Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Mitwirkung in den Verhandlungen über die EWF-VO-E 4 3. Mitwirkung bei der Errichtung des EWF auf Grundlage der EWF-VO-E 5 3.1. Erfordernis einer Zustimmung durch Gesetz 5 3.2. Grundsätzliche Zustimmungsfähigkeit 5 3.3. Gesetzliche Zustimmung gemäß Art. 23 Abs. 1 GG 7 3.3.1. Abgrenzung zwischen Art. 23 Abs. 1 S. 2 und S. 3 GG 7 3.3.2. Folgerungen für die Zustimmung zum Verordnungsvorschlag 9 3.4. Kapitalausstattung EWF 11 3.4.1. Völkerrechtlicher Vertrag zwischen den ESM-Vertragsstaaten 11 3.4.2. Absicherung der Haftungsbegrenzung 12 3.4.2.1. Haftungsregelungen im ESMV und der EWF-VO-E 12 3.4.2.2. Völkerrechtliche Absicherung der Haftungsbegrenzung 12 3.4.2.3. Folgerungen für die Errichtung des EWF 12 4. Mitwirkung bei Handlungen im EWF 13 4.1. Allgemeine Maßstäbe 13 4.2. Exemplarische Fragen zur parlamentarischen Mitwirkung 14 4.2.1. Entscheidungen im EWF 15 4.2.1.1. Entscheidungen der EWF-Organe 16 4.2.2. Entscheidungen des Rates 18 4.2.3. Allgemeine Sicherung des Stimmrechts 19 4.2.4. Künftige Änderungen der EWF-VO-E 20 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung setzt sich mit Fragen zur Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei der Umsetzung des Vorschlags der Kommission zur Überführung des bislang intergouvernemental ausgestalteten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)1 in den Unionsrechtsrahmen durch die Errichtung eines Europäischen Währungsfonds (EWF) auseinander. Dabei stützt sich die Ausarbeitung auf den in COM(2017) 827 final2 dargelegten Vorschlag der Kommission, die Verordnung über die Errichtung eines Europäischen Währungsfonds (EWF-VO-E) sowie im Anhang zu dieser Verordnung einem Entwurf für die Satzung des EWF (EWF-Satzung-E) umfasst. Hierbei wird für die folgenden Ausführungen unterstellt, dass der Kommissionsvorschlag zutreffend auf Art. 352 AEUV gestützt worden ist.3 Die folgenden Ausführungen stellen die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Bezug auf die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (European Financial Stability Facility, EFSF) und den ESM herausgearbeiteten Maßstäbe für die Errichtung eines Mechanismus zur Gewährung von Stabilitätshilfen an Euro-Mitgliedstaaten dar und zeigen in einem Überblick beispielhaft auf, welche Fragen sich anhand dieser Maßstäbe in Bezug auf die Errichtung des von der Kommission vorgeschlagenen EWF (hierzu 3.) und im Rahmen der Mitwirkung bei Handlungen des EWF (hierzu 4.) ergeben. Die vorliegende Ausarbeitung enthält keine abschließende Darstellung und Bewertung der parlamentarischen Mitwirkungs- und Zustimmungsrechte im Rahmen der Errichtung eines EWF. 2. Mitwirkung in den Verhandlungen über die EWF-VO-E Im Rahmen des sog. Frühwarnsystems können die mitgliedstaatlichen Parlamente gemäß Art. 6 des Protokolls (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit innerhalb einer Frist4 von acht Wochen ab dem Zeitpunkt der Übermittlung des Entwurfs eines Gesetzgebungsakts in allen Amtssprachen der EU begründete Stellungnahmen zur Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 3 EUV) zu dem betreffenden Rechtsetzungsvorhaben der EU einreichen. Hierbei ist zu prüfen, ob die von der Europäischen Kommission oder dem Rat angegebene Kompetenznorm den vorgeschlagenen Rechtsakt tatsächlich trägt. Prüfungsmaßstab ist das in Art. 5 EUV verankerte Subsidiaritätsprinzip im weiteren Sinne, welches die Grundsätze 1 Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, vgl. hierzu das Gesetz vom 13. September 2012, BGBl. II 2012, S. 981, die Bekanntmachung vom 1. Oktober 2012, BGBl. II 2012, S. 1086 sowie BT-Drs 17/9045 (Gesetzentwurf), BT-Drs 17/10126 (Beschlussempfehlung), BT-Drs 17/10172 (Bericht ). 2 Abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52017PC0827&qid=1516094801809&from=DE. 3 Zur Bewertung der Rechtsgrundlage vgl. die Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 07/18 „Rechtsgrundlage und Subsidiarität des Vorschlags der Europäischen Kommission zur Überführung des Europäischen Stabilitätsmechanismus in einen Europäischen Währungsfonds“. 4 Ende der Subsidiaritätsfrist für den Vorschlag in COM(2017) 827 final: 2. Februar 2018. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 5 der begrenzten Einzelermächtigung (Abs. 1 und 2), der Subsidiarität im engeren Sinne (Abs. 3) und der Verhältnismäßigkeit (Abs. 4) umfasst.5 Der Deutsche Bundestag kann seine Auffassung nicht nur im Rahmen des unionsrechtlich determinierten Subsidiaritätsverfahrens, sondern auch auf Grundlage seiner verfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte in EU-Angelegenheiten gemäß Art. 23 GG zum Ausdruck bringen. Entsprechend seiner Verantwortung für die europäische Integration Deutschlands hat er das Recht auf informierte Mitwirkung in EU-Angelegenheiten (Art. 23 Abs. 2 GG). Er kann insbesondere durch Stellungnahmen (Art. 23 Abs. 3 GG i.V.m. § 8 EUZBBG) an der gemeinsamen Willensbildung des Bundes mitwirken und so Einfluss nehmen auf die von der Bundesregierung bei den Verhandlungen im Rat bzw. im EU-Rechtsetzungsverfahren vertretene Position einwirken. 3. Mitwirkung bei der Errichtung des EWF auf Grundlage der EWF-VO-E 3.1. Erfordernis einer Zustimmung durch Gesetz Die Kommission stützt ihren Vorschlag auf Art. 352 AEUV. Aufgrund des unbestimmten Integrationsprogramms dieser Norm, das aufgrund seiner Unbestimmtheit bei der Zustimmung des Integrationsgesetzgeber zum Vertrag von Lissabon nicht umfassend parlamentarisch verantwortet werden konnte,6 ist die deutsche Mitwirkung in einem hierauf gegründeten EU-Rechtsetzungsverfahren demokratisch rückgebunden an eine vorherige Mitwirkung des Bundestages durch Gesetz (Art. 23 Abs. 1 GG).7 Wegen dieser von Verfassung wegen notwendigen Zustimmung, die einfachgesetzlich in § 8 IntVG8 konkretisiert ist, darf der deutsche Vertreter im Rat dem Erlass eines solchen Unionsrechtsakts nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem hierzu ein Gesetz gemäß Art. 23 Abs. 1 GG in Kraft getreten ist. Ohne ein solches Gesetz muss der deutsche Vertreter im Rat den Vorschlag zum Erlass von Vorschriften, die auf Art. 352 AEUV gestützt werden, ablehnen. 3.2. Grundsätzliche Zustimmungsfähigkeit Im Rahmen der Beteiligung Deutschlands an den Maßnahmen zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise hat das BVerfG betont, dass die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand grundlegender Teil der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit im Verfassungsstaat ist.9 Eine äußere Grenze der Zustimmungsfähigkeit bei rechtlichen und finanzpolitischen Bindungen Deutschlands auch im Rahmen der europäischen Integration bildet die unver- 5 Vgl. BT-Drs. 18/12260, S. 9 f. 6 BVerfGE 123, 267 (394 f.). 7 BVerfGE 123, 267 (394 f.); vgl. hierzu Rathke, in: von Arnauld/Hufeld (Hrsg.), SK-Lissabon, 2. Aufl. 2018, § 7 Rn. 189 ff. 8 Integrationsverantwortungsgesetz vom 22. September 2009, BGBl. I S. 3022, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 1. Dezember 2009, BGBl. I S. 3822. 9 BVerfGE 123, 267 (359); 132, 195 (239); 135, 317 (399 f.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 6 äußerliche Verfassungsidentität, die auch vor dem Zugriff durch den verfassungsändernden Gesetzgeber geschützt ist.10 Dies betrifft insbesondere das in Art. 38 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommende Demokratieprinzip bzw. die demokratische Selbstgestaltungsfähigkeit des Verfassungsstaates .11 Das Budgetrecht stellt ein zentrales Element der demokratischen Willensbildung dar, und der Deutsche Bundestag muss dem Volk gegenüber verantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entscheiden.12 Der Deutsche Bundestag darf sich seiner Haushaltsverantwortung nicht dadurch entäußern, dass er oder zukünftige Deutsche Bundestage das Budgetrecht nicht mehr in eigener Verantwortung ausüben können.13 Dementsprechend müssen die gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages als Repräsentanten des Volkes die Kontrolle über grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen behalten. Im Hinblick auf die Öffnung für die internationale Zusammenarbeit und die europäische Integration sowie die damit verbundenen finanzpolitischen Bindungen Deutschlands hat das BVerfG festgestellt, dass die Grenze der Verfassungsidentität auch bei finanzpolitischen Bindungen in einem erheblichen Umfang nicht überschritten bzw. verletzt wird.14 Vielmehr kommt es nach den Feststellungen des BVerfG für eine Gewährleistung des Demokratieprinzips entscheidend darauf an, dass der Deutsche Bundestag auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten der Ort bleibt, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird.15 Eine Grenzüberschreitung liege demnach dann vor, wenn über wesentliche haushaltspolitische Fragen ohne konstitutive Zustimmung des Bundestages entschieden würde oder überstaatliche Rechtspflichten ohne entsprechende Willensentscheidung des Deutschen Bundestages begründet würden, so dass das Parlament in die Rolle des bloßen Nachvollzugs geriete und die haushaltspolitische Gesamtverantwortung im Rahmen seines Budgetrechts nicht mehr wahrnehmen könnte.16 Vor diesem Hintergrund sowie mit Blick auf die strukturelle Konvergenz zwischen ESMV und den diesbezüglichen Regelungen im EWF-VO-E lässt sich zusammenfassend feststellen, dass eine Zustimmung des Bundesgesetzgebers zur unionsrechtlichen Einrichtung eines EWF und die damit einhergehende Begründung von rechtlichen und finanzpolitischen Verpflichtungen auf der Grundlage und nach Maßgabe der vom BVerfG herausgearbeiteten Maßstäbe – insbesondere betreffend die Gewährleistung demokratischer Legitimationszusammenhänge und die eigenständige Entscheidungsfähigkeit des Deutschen Bundestages – grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig 10 BVerfGE 123, 267 (340); 129, 124 (177); 132, 195 (238). 11 BVerfGE 123, 267 (358 f.); vgl. im Überblick Laas, in: von Arnauld/Hufeld (Hrsg.), SK-Lissabon, 2. Aufl. 2018, § 3 Rn. 16 ff. 12 BVerfGE 70, 324 (355 f.); 79, 311 (329); 129, 124 (177); 132, 195 (239). 13 BVerfGE 129, 124 (177); 132, 195 (239). 14 Vgl. BVerfGE 132, 195 (241 f., 264). 15 BVerfGE 129, 124 (177); 130, 318 (344); 131, 152 (205 f.); 132, 195 (239 f.); 135, 317 (400). 16 BVerfGE 129, 124 (178 f.); 130, 318 (344 f.); 132, 195 (240); 135, 317 (400 f.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 7 ist. Auch die vertragliche Ausgestaltung der Wirtschafts- und Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft steht nicht per se demokratisch legitimierten Änderungen entgegen.17 Äußerste Änderungsgrenzen markieren die Strukturen und Verfahren, die den demokratischen Prozess offen halten und dabei auch die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Parlaments sichern.18 3.3. Gesetzliche Zustimmung gemäß Art. 23 Abs. 1 GG Art. 352 AEUV ermöglicht auf der Grundlage eines Beschlusses des Rates eine zielgebundene Abrundung der Zuständigkeiten der Union in unbestimmten und nicht vorhersehbaren Anwendungsfällen und lockert hierdurch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung.19 Angesichts der tatbestandlichen Weite des Art. 352 AEUV war die konkrete Ausweitung der Unionsbefugnisse zur Zeit der Zustimmung zum Vertrag von Lissabon nicht im konkreten Einzelfall vorhersehbar und damit keiner umfassenden parlamentarischen Integrationsverantwortungsübernahme zugänglich.20 Dementsprechend ist die konkrete Anwendung von Art. 352 AEUV nicht von dem zustimmungsgesetzlich gebilligten Integrationsprogramm umfasst und die daraus resultierenden Wirkungen in Deutschland nicht bereits durch die Zustimmung zum Lissabon-Vertrag demokratisch legitimiert. Um den konkreten, auf Art. 352 AEUV gestützten Rechtsakt und den dementsprechenden Umfang der vertraglichen Bindungen zu legitimieren und seine Wirkung in der deutschen Rechtsordnung zu ermöglichen, muss der Integrationsgesetzgeber seine Integrationsverantwortung im konkreten Vertragsvollzug wahrnehmen, der Inanspruchnahme von Art. 352 AEUV durch Gesetz (Art. 23 Abs. 1 GG) zustimmen und dadurch die konkrete Anwendung des Art. 352 AEUV in das parlamentarisch verantwortete Integrationsprogramm aufnehmen.21 3.3.1. Abgrenzung zwischen Art. 23 Abs. 1 S. 2 und S. 3 GG Ausgehend von der notwendigen Zustimmung durch Gesetz gemäß Art. 23 Abs. 1 GG i.V.m. § 8 IntVG stellt sich die Frage, ob vorliegend eine Ermächtigung durch ein Gesetz gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG genügt oder ob die Wahrnehmung der parlamentarischen Integrationsverantwortung eine Zustimmung gem. Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG erfordert. Im Hinblick auf das – gerichtlich ungeklärte und in der Wissenschaft umstrittene – Verhältnis der Sätze 2 und 3 des Art. 23 Abs. 1 GG ist zunächst davon auszugehen, dass ein Stufenverhältnis zwischen den stets geltenden Anforderungen (d.h. Bundesgesetz mit Zustimmung von Bundestag und Bundesrat mit einfacher Mehrheit) und weiteren, nicht stets geltenden Voraussetzungen (verfassungsändernde Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat) besteht.22 Danach unterliegt eine Übertragung 17 BVerfGE 89, 155 (207 ff.); 97, 350 (369); 132, 195 (244). 18 BVerfGE 132, 195 (244). 19 BVerfGE 89, 155 (210); 123, 267 (394 ff.). vgl. Nettesheim, in: v. Bogdandy/Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht , 2009, 389 (400 ff.). 20 Vgl. BVerfGE 89, 155 (212); 123, 267 (351 ff., 436). 21 BVerfGE 123, 267 (394 f., 436); vgl. hierzu Rathke, in: von Arnauld/Hufeld (Hrsg.), SK-Lissabon, 2. Aufl. 2018, § 7 Rn. 190. 22 Vgl. Wollenschläger, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 23, Rn. 56. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 8 von Hoheitsrechten nach bzw. im Sinne von Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG nur beim Vorliegen qualifizierender Voraussetzungen dem Erfordernis verfassungsändernder Mehrheiten.23 Vor diesem Hintergrund ist zunächst vom Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG auszugehen . Die Norm dient dem Zweck, die notwendige Bestimmtheit des Integrationsprogramms zu sichern und die für dessen Festlegung erforderliche parlamentarische Integrationsverantwortung zu gewährleisten.24 Danach erfasst Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG grundsätzlich jede Übertragungshandlung mit integrationsprogrammändernden Charakter25 unabhängig davon, ob sie kompetenzerweiternd zu Handlungen mit Durchgriffswirkung ermächtigt.26 Demgegenüber bezeichnet Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG mit der Begründung der Europäischen Union, Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbaren Regelungen drei Fälle der materiellen Verfassungsänderung bzw. ihrer Ermöglichung, in denen Art. 79 Abs. 2 GG gelten soll. Der Tatbestand der „vergleichbaren Regelungen“ in Art. 23 Abs. 1 S. 3 3. Alt. GG bezieht sich auf die Änderung der vertraglichen Grundlagen und erfasst Vertragsänderungen oder -ergänzungen durch dynamische Vertragsentwicklungen , die keine textlichen Änderung des Primärrechts durch ein förmliches und von der mitgliedstaatlichen Zustimmung abhängiges Verfahren bewirken, jedoch qualitativ über das im Zustimmungsgesetz gebilligte Integrationsprogramm hinausgehen.27 Der Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG ist im Hinblick auf das auslegungsbedürftige Kriterium der Verfassungsrelevanz in Art. 23 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 GG in der Wissenschaft umstritten und verfassungsgerichtlich nicht abschließend geklärt.28 Auf Grundlage der Eurocontrol-Entscheidung des BVerfG29 und dem Verständnis der Hoheitsrechtsübertragung in Art. 24 Abs. 1 GG wird einerseits angenommen, dass das Zustimmungserfordernis gem. Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG jedenfalls bei solchen Hoheitsrechtsübertragungen Anwendung findet, die zu Maßnahmen der EU mit Durchgriffswirkung in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen 23 Vgl. Wollenschläger, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 23, Rn. 56; Wendel, Permeabilität im europäischen Verfassungsrecht, 2011, S. 240 ff.; Hufeld, Die Verfassungsdurchbrechung, 1997, S. 117 ff.; Rathke, in: von Arnauld/Hufeld (Hrsg.), SK-Lissabon, 2. Aufl. 2018, § 7 Rn. 49. 24 Vgl. BT-Drs. 12/3338, 5; BT-Drs. 12/6000, 20 f.; Ohler, Herrschaft, Legitimation und Recht in der Europäischen Union – Anmerkungen zum Lissabon-Urteil des BVerfG, AöR 135 (2010), S. 153 (158 ff.); Lorz/Sauer, Ersatzunionsrecht und Grundgesetz, DÖV 2012, S. 573 (576 f.). 25 Vgl. im Überblick Rathke, in: von Arnauld/Hufeld (Hrsg.), SK-Lissabon, 2. Aufl. 2018, § 7 Rn. 23 f. 26 Vgl. Lorz/Sauer, Ersatzunionsrecht und Grundgesetz, DÖV 2012, S. 573 (577 f.); Wollenschläger, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 23, Rn. 47; kritisch Ruffert, An den Grenzen des Integrationsverfassungsrechts : Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon, DVBl. 2009, S. 1197 (1201); Calliess, Nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Parlamentarische Integrationsverantwortung auf europäischer und nationaler Ebene, ZG 25 (2010), S. 1 (29). 27 BT-Drs. 12/3338, 14; BT-Drs. 12/3896, 18 f.; BT-Drs. 12/6000, 28; vgl. BVerfGE 123, 267 (386 ff.) sowie Wollenschläger, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 23, Rn. 53; Schmalenbach, Europaartikel, 1996, S. 95 ff.; König, Übertragung von Hoheitsrechten, 2000, S. 310 ff. 28 Vgl. Rathke, in: von Arnauld/Hufeld (Hrsg.), SK-Lissabon, 2. Aufl. 2018, § 7 Rn. 43 ff. 29 BVerfGE 58, 1. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 9 ermächtigen. Dies wird u.a. damit begründet, dass solche Maßnahmen einen Eingriff in die verfassungsrechtlich festgelegte Zuständigkeitsordnung und somit eine materielle Verfassungsänderungen bewirken.30 Mit Verweis auf die Entstehungsgeschichte31 und die Systematik der Norm, insbesondere die Abgrenzung zu Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG und die Freistellung vom Textänderungsgebot (Art. 79 Abs. 1 GG), wird andererseits vertreten, dass nicht jede Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU den Mehrheitserfordernissen des Art. 79 Abs. 2 GG unterliegt.32 Entsprechend dem Wortlaut von Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG sei für das Vorliegen einer Verfassungsrelevanz darauf abzustellen, ob das Grundgesetz „seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird“. Für das Erfordernis einer verfassungsändernden Mehrheit ist demnach entscheidend, ob die Hoheitsrechtsübertragung unmittelbar oder mittelbar zu einer Inhaltsänderung des Grundgesetzes führt, ohne dass es auf das Gewicht dieser Inhaltsänderung für das Verfassungsgefüge ankäme.33 3.3.2. Folgerungen für die Zustimmung zum Verordnungsvorschlag Für die Bestimmung der erforderlichen Mehrheit für die Festlegung des Integrationsprogramms durch Gesetz gemäß Art. 23 Abs. 1 GG i.V.m. § 8 IntVG könnte zunächst an die mit dem Verordnungsvorschlag verbundene Wahrnehmung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung angeknüpft werden. Für die Anwendung von Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG spricht zunächst, dass diese Verantwortung grundsätzlich durch Verhandlung und Beschlussfassung im Plenum, d.h. durch den Beschluss über das Haushaltsgesetz, durch finanzwirksame Gesetze oder durch sonstige konstitutive Beschlüsse des Deutschen Bundestages wahrgenommen wird.34 Dafür ist entsprechend Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt. Demgegenüber könnte die Annahme für das Erfordernis einer Zustimmung gem. Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG sprechen, dass die EU mit der EWF- VO-E über die in Art. 122 und 143 AEUV genannten, vom parlamentarisch legitimierten Integrationsprogramm umfassten Fälle hinaus zur Gewährung von Stabilitätshilfen an Euro-Mitgliedstaaten ermächtigt würde, dies eine kompetenzielle Umgestaltung der vertraglichen Konzeption der Wirtschafts- und Währungsunion bewirkt und damit der Rahmen des zustimmungsgesetzlich 30 Vgl. BVerfGE 37, 271 (280); 58, 1 (28); 73, 339 (374) sowie Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 56 EL Oktober 2009, Art. 23, Rn. 67; Hölscheidt/Schotten, Die Erweiterung der Europäischen Union als Anwendungsfall des neuen Europaartikel 23 GG?, DÖV 1995, S. 187 (190); Bothe/Lohmann, Verfahrensfragen der deutschen Zustimmung zum Vertrag von Amsterdam, ZaöRV 58 (1998), S. 1 (21 ff.); Oschatz/Risse, Die Bundesregierung an der Kette der Länder?, DÖV 1995, S. 437 (439). 31 Vgl. BT-Drs. 12/3338, S. 7 ff.; BT-Drs. 12/3896, S. 18 f.; BT-Drs. 12/6000, S. 28. 32 Vgl. Hufeld, Die Verfassungsdurchbrechung, 1997, S. 118 f.; Wendel, Permeabilität im europäichen Verfassungsrecht , 2011, S. 242; Rathke, in: von Arnauld/Hufeld (Hrsg.), SK-Lissabon, 2. Aufl. 2018, § 7 Rn. 46. 33 Hufeld, Die Verfassungsdurchbrechung, 1997, S. 118 ff.; Hölscheidt/Rohleder, Vom Anfang und Ende des Fiskalvertrags , DVBl. 2012, S. 806 (808); Rathke, in: von Arnauld/Hufeld (Hrsg.), SK-Lissabon, 2. Aufl. 2018, § 7 Rn. 46. 34 BVerfGE 135, 317 (388); BVerfGE 130, 318 (347). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 10 festgelegten Integrationsprogramms überschritten würde.35 Stellt man mit dem Wortlaut von Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG darauf ab, dass die fragliche Regelung nicht nur materielle Verfassungsrelevanz besitzen, sondern vielmehr eine materielle Verfassungsänderung bewirken muss,36 so stellt sich die Frage, ob der Verordnungsvorschlag der Kommission unmittelbar oder mittelbar zu einer Inhaltsänderung des Grundgesetzes führt, ohne dass es auf das Gewicht dieser Inhaltsänderung für das Verfassungsgefüge ankäme. Die Unsicherheiten, die sich aus den vorstehenden Maßstäben für die Abgrenzung der Anwendungsbereiche des Art. 23 Abs. 1 S. 2 und 3 GG ergeben, spiegeln sich auch in der Zustimmung des Gesetzgebers zum ESMV. Ursprünglich sollte die parlamentarische Zustimmung zum ESMV nur auf Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG gestützt werden.37 Nach dem Urteil des BVerfG vom 19. Juni 2012 in dem Organstreitverfahren 2 BvE 4/11 über die Informationsrechte in Sachen ESM38 empfahl der Haushaltsausschuss jedoch, das Zustimmungsgesetz zum ESMV „vorsorglich zur Vermeidung eventueller verfassungsrechtlicher Risiken“39 mit verfassungsändernden Mehrheiten zu beschließen . Hierbei verweist der Bericht des Haushaltsausschusses darauf, dass es die damaligen Koalitionsfraktionen „[u]nbeschadet einer endgültigen rechtlichen Einordnung im Sinne des Artikels 79 des Grundgesetzes“ für angemessen hielten, „dass ein Beschluss der ESM-Ratifizierungsgesetze mit Zweidrittelmehrheit erfolgen sollte“.40 Insofern wird die Präzedenzwirkung der damaligen Entscheidung zum einen dadurch relativiert, dass die Beschlussempfehlung des Ausschusses unbeschadet der verfassungsrechtlichen Einordnung des ESM erfolgt ist. Zudem legen die Ausführungen nahe, dass sich die Anwendung von Art. 23 Abs. 1 GG primär auf die – zuvor umstrittene – Zuordnung des ESMV zu den Angelegenheiten der EU infolge des BVerfG-Urteils vom 19. Juni 2012 in dem Organstreitverfahren 2 BvE 4/11 bezieht. 35 Vgl. BVerfGE 89, 155 (205); 97, 350 (369); 129, 124 (181 f.); 132, 195 (248); 135, 317 (407). Zur Umgestaltung der Wirtschafts- und Währungsunion durch die Aufnahme von Art. 136 Abs. 3 AEUV vgl. Huber, Die Integrationsverantwortung von Bundestag und Bundesrat, ZSE 2017, S. 286 (305, Fn. 87): „BVerfGE 132, 195 (247 f. Rn. 128): grundlegende Umgestaltung der Wirtschafts- und Währungsunion m. w. N.; trivialisierend dagegen EuGH, Rs. C-370/12, Slg. 2012, I-0000 – Pringle.“ 36 Vgl. Martini, in: von Arnauld/Hufeld (Hrsg.), SK-Lissabon, 2. Aufl. 2018, § 4 Rn. 21; Hufeld, Verfassungsdurchbrechung , 1997, S. 118 ff.; Hölscheidt/Rohleder, Vom Anfang und Ende des Fiskalvertrags, DVBl. 2012, S. 806 (808); Lorz/Sauer, Verfassungsändernde Mehrheiten für die Stabilisierung des Euro?, EuR 2012, S. 682 (686 f.). 37 BT-Drs. 17/9045, S. 3 f. 38 BVerfGE 132, 152. 39 BT-Drs. 17/10172, S. 8. 40 BT-Drs. 17/10172, S. 6; zur Diskussion um die Anwendung von Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG bei der Zustimmung zum ESMV vgl. befürwortend Wollenschläger, Völkerrechtliche Flankierung des EU-Integrationsprogramms als Herausforderung für den Europa-Artikel des Grundgesetzes (Art. 23 GG), NVwZ 2012, S. 713 ff.; ablehnend Lorz/Sauer, Verfassungsändernde Mehrheiten für die Stabilisierung des Euro?, EuR 2012, S. 682 ff. sowie umfassend Ketterer, Zustimmungserfordernisse beim Europäischen Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 357 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 11 Vor dem Hintergrund der nicht abschließend geklärten Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Art. 23 Abs. 1 S. 2 und 3 GG, einem diesbezüglichen Einschätzungsspielraum des Integrationsgesetzgebers 41 und der fehlenden Festlegung des Gesetzgebers bei seiner Zustimmung zum ESMV kann vorliegend keine abschließende Bewertung getroffen werden, ob die Zustimmung gemäß Art. 23 Abs. 1 GG i.V.m. § 8 IntVG auf Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG oder Art. 23 Abs. 1 S. 2 und 3 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG gestützt werden muss. Dies erfordert eine eingehendere Untersuchung , die vorliegend aufgrund der begrenzten Bearbeitungszeit nicht geleistet werden kann. 3.4. Kapitalausstattung EWF 3.4.1. Völkerrechtlicher Vertrag zwischen den ESM-Vertragsstaaten Der Verordnungsvorschlag der Kommission sieht vor, dass sich die ESM-Mitglieder darauf verständigen , das Kapital des ESM auf den EWF durch eine vereinfachte multilaterale Übereinkunft zu übertragen.42 Zudem soll der EWF Rechtsnachfolger des ESM werden und insbesondere auch all dessen Rechte und Pflichten übernehmen.43 Dies umfasst daher auch Rechte und Verpflichtungen, die der ESM seinerseits von der EFSF übernommen hat (Art. 40 ESMV). Vor diesem Hintergrund ist für die Errichtung des EWF ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den ESM-Mitgliedern abzuschließen, der auf den ESM als internationale Finanzinstitution einwirkt und die Grundlage für die erforderlichen Übertragungen vom ESM auf einen EWF bildet. Dieser völkerrechtliche Vertrag unterliegt der Zustimmung des Bundesgesetzgebers. Hierbei stellt sich die Frage, auf welcher verfassungsrechtlichen Grundlage bzw. mit welchen Mehrheiten die Zustimmung des Gesetzgebers erfolgen muss. Der für die Übertragung erforderliche Vertrag zwischen den ESM-Mitgliedern wirkt auf den Status des ESM als internationale Finanzorganisation ein und berührt damit die gesetzliche Zustimmung zum Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus in der Fassung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses , dem der Deutsche Bundestag und der Bundesrat am 29. Juni 2012 jeweils mit einer Mehrheit von mehr als zwei Dritteln der Stimmen zugestimmt haben.44 Betrachtet man den abzuschließenden „Übertragungsvertrag“ zwischen den ESM-Mitglieder als actus contrarius zum Vertrag über die Einrichtung des ESM, so könnte dies die Annahme nahelegen, dass die damals angenommen Zustimmungserfordernisse erneut Anwendung finden. Mit Blick auf die Unsicherheiten betreffend die gesetzliche Zustimmung zum ESMV sowie mangels Vorliegen einer konkreten vertraglichen Ausgestaltung als Prüfungsgegenstand kann vorliegend keine abschließende Bewertung darüber getroffen werden, ob die Zustimmung zu dem „Übertragungsvertrag“ zwischen den ESM-Mitglieder auf Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG i.V.m. Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG oder Art. 23 Abs. 1 S. 2 und 3 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG gestützt werden muss. 41 Vgl. Rathke, in: von Arnauld/Hufeld (Hrsg.), SK-Lissabon, 2. Aufl. 2018, § 7 Rn. 49. 42 COM(2017) 827 final, S. 13. 43 19. Erwägungsgrund, Art. 2 Abs. 1 EWF-VO-E. 44 BGBl. II 2012 S. 981, vgl. hierzu BT-Drs 17/9045; 17/10126; 17/10172. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 12 3.4.2. Absicherung der Haftungsbegrenzung 3.4.2.1. Haftungsregelungen im ESMV und der EWF-VO-E Der ESMV beschränkt die Haftung eines jeden ESM-Mitglieds „unter allen Umständen auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital zum Ausgabekurs“ (Art. 8 Abs. 5 S. 1 ESMV). Eine Haftung der ESM-Vertragsstaaten besteht auf Grundlage des ESMV nur gegenüber dem ESM und dies auch nur im Umfang des jeweiligen Anteils am genehmigten Stammkapital, nicht aber unmittelbar für die Schulden der übrigen ESM-Mitglieder. Der Haftungsausfall eines ESM-Sicherungsgebers insbesondere bei Abruf des genehmigten und nicht eingezahlten ESM-Kapitals führt zu einem erhöhten Kapitalabruf bzw. einer höheren Einzahlungspflicht der übrigen ESM-Mitglieder. Dies soll sicherstellen, dass der ESM die Kapitaleinzahlung in der vollen, zugesicherten Höhe erhält (Art. 9 Abs. 2 und 3, Art. 25 Abs. 2 ESMV). Die projektierten Regelungen des EWF zur Kapitalausstattung entsprechen im Wesentlichen denen des ESMV. In Parallele zu Art. 8 Abs. 5 S. 1 ESMV sieht Art. 8 Abs. 4 EWF-Satzung-E vor, dass die Haftung eines jeden EWF-Mitglieds unter allen Umständen auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital zum Ausgabekurs begrenzt bleibt. 3.4.2.2. Völkerrechtliche Absicherung der Haftungsbegrenzung Nach den Feststellungen des BVerfG durfte eine Ratifikation des ESMV nur unter der Bedingung erfolgen, dass zugleich völkerrechtlich sichergestellt wird, dass die Regelung des Art. 8 Abs. 5 S. 1 ESMV sämtliche Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus diesem Vertrag der Höhe nach auf die in Anhang II des ESMV genannte Summe in dem Sinne begrenzt, dass keine Vorschrift dieses Vertrags so ausgelegt werden kann, dass für die Bundesrepublik Deutschland ohne Zustimmung des deutschen Vertreters höhere Zahlungsverpflichtungen begründet werden, und dass die Regelungen der Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV nicht der umfassenden Unterrichtung des Bundestages und des Bundesrates entgegenstehen.45 Dementsprechend haben sich die ESM-Mitglieder auf der Grundlage eines Entwurfs des Bundesministeriums der Finanzen auf eine gemeinsame Erklärung verständigt und diese Erklärung am Tag des Inkrafttretens des ESMV dem Generalsekretariat des Rates der EU als Verwahrer des ESMV (Art. 46 ESMV) übermittelt.46 Zugleich hat die Bundesrepublik Deutschland auch eine der gemeinsamen Erklärung entsprechende einseitige Erklärung gegenüber dem Generalsekretariat abgegeben.47 3.4.2.3. Folgerungen für die Errichtung des EWF Vor dem Hintergrund, dass die völkerrechtliche Erklärung der ESM-Mitglieder insbesondere zur Klarstellung der Haftungsbegrenzung notwendige Bedingung für die deutsche Ratifikation des ESMV war, liegt aufgrund der entsprechenden Regelungen in der EWF-Satzung-E die Annahme 45 BVerfGE 132, 195 (196 f.). 46 BGBl. II 2012 S. 1086, vgl. BT-Drs. 17/10767, S. 3. 47 BGBl. II 2012 S. 1087. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 13 nahe, dass eine entsprechende Absicherung auch bei der sekundärrechtlichen Errichtung des EWF erfolgen muss. Das Bestehen eines solchen Erfordernisses spräche jedoch nicht grundsätzlich gegen die Möglichkeit der unionsrechtlichen Errichtung des EWF. Dies verdeutlicht beispielsweise das Vorgehen in Bezug auf die Beschlüsse des Rates zur Unterzeichnung, vorläufigen Anwendung und zum Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Kanada andererseits (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA). In diesem Rahmen haben die Kommission, der Rat und die Mitgliedstaaten insgesamt 38 Erklärungen zum Verständnis und zur Auslegung von CETA abgegeben. Diese sind bei der Annahme des Beschlusses über die Unterzeichnung von CETA durch den Rat in das Ratsprotokoll aufgenommen worden.48 Hierdurch wird u.a. die von Verfassung wegen erforderliche Absicherung der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der EU bei der vorläufigen Anwendung von CETA vorgenommen.49 4. Mitwirkung bei Handlungen im EWF 4.1. Allgemeine Maßstäbe Wie oben angesprochen,50 kommt es für die Einhaltung des Demokratiegebots entscheidend darauf an, dass die gewählten Abgeordneten des Bundestages als Repräsentanten des Volkes die Kontrolle über grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen behalten und dementsprechend der Bundestag auch im Hinblick auf europäische Verbindlichkeiten der Ort bleibt, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird.51 Würde über wesentliche haushaltspolitische Fragen ohne konstitutive Zustimmung des Bundestages entschieden oder würden überstaatliche Rechtspflichten ohne entsprechende Willensentscheidung des Bundestages begründet, so geriete das Parlament in die Rolle des bloßen Nachvollzugs und könnte die haushaltspolitische Gesamtverantwortung im Rahmen seines Budgetrechts nicht mehr wahrnehmen .52 Dementsprechend besteht eine notwendige Bedingung für die Sicherung politischer Freiräume im Sinne des Identitätskerns der Verfassung (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 79 Abs. 3 GG) darin, dass der Haushaltsgesetzgeber seine Entscheidungen über Einnahmen und Ausgaben frei von Fremdbestimmung seitens der Organe und anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union trifft und dauerhaft „Herr seiner Entschlüsse“ bleibt.53 Insofern ergibt sich aus der demokratischen Verankerung der Haushaltsautonomie, dass der Bundestag einem intergouvernemental oder supranational vereinbarten, nicht an strikte Vorgaben ge- 48 Vgl. Rats-Dok. 10972/1/16 REV 1 und 13463/1/16 REV 1. 49 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2016, 2 BvR 1368/16, Rn. 66 ff.; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 07. Dezember 2016, 2 BvR 1444/16, Rn. 23 ff. 50 Siehe oben 3.2. 51 BVerfGE 129, 124 (177); 130, 318 (344); 131, 152 (205 f.); 132, 195 (239 f.); 135, 317 (400). 52 BVerfGE 129, 124 (178 f.); 130, 318 (344 f.); 132, 195 (240); 135, 317 (400 f.). 53 BVerfGE 129, 124 (179 f.); 132, 195 (240); 135, 317 (401.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 14 bundenen und in seinen Auswirkungen nicht begrenzten Bürgschafts- oder Leistungsautomatismus nicht zustimmen darf, der – einmal in Gang gesetzt – seiner Kontrolle und Einwirkung entzogen ist.54 Dabei müssen die Zustimmungs- und Ablehnungsrechte sowie Kontrollbefugnisse des Bundestages umso wirksamer ausgestaltet werden, je größer das finanzielle Ausmaß von Haftungsübernahmen oder Verpflichtungsermächtigungen ist.55 Vor diesem Hintergrund muss jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs im internationalen oder unionalen Bereich vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden.56 Soweit überstaatliche Vereinbarungen getroffen werden, die aufgrund ihrer Größenordnungen für das Budgetrecht von struktureller Bedeutung sein können, etwa durch Übernahme von Bürgschaften, deren Einlösung die Haushaltsautonomie gefährden kann, oder durch Beteiligung an entsprechenden Finanzsicherungssystemen , bedarf nicht nur jede einzelne Disposition der Zustimmung des Bundestages ; es muss darüber hinaus gesichert sein, dass weiterhin hinreichender parlamentarischer Einfluss auf die Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung gestellten Mitteln besteht.57 4.2. Exemplarische Fragen zur parlamentarischen Mitwirkung Entsprechend der vorstehenden Maßstäbe wird die gegenwärtige Beteiligung des Deutschen Bundestages durch das ESM-Vertragsgesetz und insbesondere das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESMFinG) ausgestaltet, welches vom Bundestag am 29. Juni 2012 in der Fassung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses58 sowie mit Zustimmung des Bundesrates59 beschlossen wurde. Das ESMFinG regelt den finanziellen Gesamtrahmen der deutschen Beteiligung am ESM und die parlamentarischen Beteiligungsrechte bei der laufenden Tätigkeit des ESM. Gemäß § 1 ESMFinG beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland am Gesamtbetrag des einzuzahlenden Kapitals des ESM mit einem Betrag in Höhe von 21,71712 Milliarden Euro sowie am Gesamtbetrag des abrufbaren Kapitals mit einem Betrag in Höhe von 168,30768 Milliarden Euro. Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, für das abrufbare Kapital in Höhe von 168,30768 Milliarden Euro Gewährleistungen zu übernehmen. Die weiteren Bestimmungen des ESMFinG gestalten die Formen und Verfahren der parlamentarischen Zustimmung sowie die Unterrichtungsrechte in ESM-Angelegenheiten aus.60 Die Begleitgesetzgebung besitzt demnach die Funktion, die verfassungsrechtlich gebotenen Beteiligungsrechte der gesetzgebenden Körperschaften an der Tätigkeit des EWF im nationalen Recht abzubilden, zu konkretisieren und letztlich sicherzustellen, dass der Bundestag mittels der Bun- 54 BVerfGE 129, 124 (180); 132, 195 (241); 135, 317 (401 f.). 55 BVerfGE 135, 317 (401). 56 BVerfGE 135, 317 (402). 57 BVerfGE 129, 124 (180 f.); 132, 195 (241); 135, 317 (402). 58 BT-Drs. 17/9048; 17/10126. 59 BR-Plenarprotokoll 898, S. 312. 60 Vgl. im Überblick Peterek, in: von Arnauld/Hufeld (Hrsg.), SK-Lissabon, 2. Aufl. 2018, § 18 Rn. 4 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 15 desregierung einen bestimmenden Einfluss auf das Handeln des EWF ausüben kann und hierdurch seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung sowie die Integrationsverantwortung wahrzunehmen in der Lage ist.61 In struktureller Parallele zu den verfassungskonformen Regelungen des ESMV-Zustimmungsgesetzes62 und des ESMFinG63 muss bei einer Überführung des ESM in einen EWF sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber seine Integrationsverantwortung dauerhaft erfüllen kann. Insbesondere müssen die die Zustimmung begleitenden Gesetze wirksame Vorkehrungen dafür treffen, dass sich die Integrationsverantwortung des Gesetzgebers hinreichend entfalten kann.64 4.2.1. Entscheidungen im EWF Der Charakter des EWF als neue Einrichtung der Union und die damit verbundene Zuständigkeitsverlagerung von den derzeitigen ESM-Mitgliedern auf die EU kommt insbesondere in den Verfahren der Beschlussfassung im EWF und dem Verhältnis zwischen Gouverneursrat und dem Rat zum Ausdruck: Der aus den für die Finanzen zuständigen Regierungsmitgliedern der EWF-Mitglieder (Art. 5 Abs. 1 S. 3 EWF-Satzung-E) bestehende Gouverneursrat trifft – wie bislang der ESM-Gouverneursrat – die wesentlichen Entscheidungen im EWF (Art. 4 f. EWF- Satzung-E). Soweit der EWF-Gouverneursrat bei der Beschlussfassung ein weites Ermessen besitzt , bedürfen seine diskretionären Entscheidungen entsprechend der sog. Meroni-Doktrin65 der Billigung bzw. Genehmigung durch den Rat, der gegenwärtig66 in der Zusammensetzung Wirtschaft und Finanzen (Art. 16 Abs. 2 und 6 EUV, Beschluss 2009/878/EU des Rates) insoweit personenidentisch ebenfalls aus den für die Finanzen zuständigen Regierungsmitgliedern der EU- Mitgliedstaaten besteht (vgl. Art. 16 Abs. 2 EUV). Bei Beschlüssen nach Art. 3 Abs. 1 und 2 EWF- VO-E soll das Stimmrecht der Ratsmitglieder ausgesetzt werden, deren Währung nicht der Euro ist. Durch diesen Genehmigungsvorbehalt behalten die den Rat besetzenden Mitgliedstaaten, insbesondere mit Blick auf das grundsätzliche Einstimmigkeitserfordernis im Rat, zwar faktisch die 61 Für den ESM vgl. BVerfGE 135, 317 (424 f.). 62 BVerfGE 135, 317 (408 ff.). 63 BVerfGE 135, 317 (424 ff.). 64 BVerfGE 123, 267 (353); 132, 195 (239); 134, 366 (388); 135, 317 (399 ff.). Sofern der EWF als Rechtsnachfolger des ESM in die Rechte und Pflichten der EFSF eintritt, sind auch die diesbezügliche Begleitgesetzgebung in den Blick zu nehmen, d.h. das Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (Stabilisierungsmechanismusgesetz, StabMechG) vom 22. Mai 2010, BGBl. I 2010, S. 627, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Mai 2012, BGBl. I 2012, S. 1166, vgl. hierzu BVerfGE 129, 124 (177 ff.). 65 EuGH, verb. Rs. 9/56 und 10/56 (Meroni/Hohe Behörde), 1957/1958, Slg. S. 133; vgl. hierzu EuGH, Rs. C-270/12 (Vereinigtes Königreich/EP und Rat), Rn. 41 ff. 66 Für eine mögliche Reform mit Wirkung auf die Entscheidungsstruktur des Rates vgl. die Mitteilung der Kommission vom 6. Dezember 2017 an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat und die Europäische Zentralbank, Ein Europäischer Minister für Wirtschaft und Finanzen“, COM(2017) 823 final, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52017DC0823&qid=1517558841501&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 16 Kontrolle über die Entscheidungen des EWF, nicht aber die Letztentscheidungskompetenz über Handlungen im bzw. des EWF als solche, da der Rat als Unionsorgan auf Grundlage der EU-Zuständigkeiten agiert. Dementsprechend besitzen die EWF-Organe in der Konzeption des Kommissionsvorschlags den Charakter von vorbereitenden Gremien; in Wirkung gesetzt werden die Entscheidungen des EWF erst durch die Billigung des Rates. Durch die in der EWF-VO-E vorgesehenen EWF-Entscheidungsmodi wird somit das gegenwärtige Verfahren bei Entscheidungen des ESM umgekehrt, bei dem die Vertreter der Mitgliedstaaten im Rat Wirtschaft und Finanzen bzw. in der Eurogruppe Empfehlungen für ESM-Maßnahmen abgeben, während die eigentlichen ESM- Entscheidungen von den (regelmäßig personenidentischen) nationalen Vertretern im ESM-Gouverneursrat getroffen werden. 4.2.1.1. Entscheidungen der EWF-Organe Die Wahrnehmung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung durch den Bundestag setzt voraus, dass der Legitimationszusammenhang zwischen dem EWF und dem Parlament unter keinen Umständen unterbrochen wird.67 Soweit die Entscheidungen der EWF-Organe die haushaltspolitische Gesamtverantwortung betreffen, kann der notwendige Legitimationszusammenhang dadurch gewährleistet werden, dass die gegenwärtige Begleitgesetzgebung entsprechend weiterentwickelt wird und für solche Handlungen des deutschen Vertreters in den EWF-Organen eine parlamentarische Rückbindung vorgesehen wird.68 Aufgrund der von der Kommission vorgeschlagenen Konzeption des EWF und des in Tabelle I der EWF-Satzung-E vorgesehenen EWF-Schlüssels von 26,9616 % für Deutschland ist – in struktureller Parallele zum ESMV – zudem sichergestellt, dass Beschlüsse in den EWF-Organen auch mit verstärkter qualifizierter Mehrheit oder qualifizierter Mehrheit (Art. 4 Abs. 4 und 5 EWF-Satzung -E) nicht gegen die Stimme des deutschen Vertreters gefasst werden können.69 Dies betrifft insbesondere die in der nachfolgenden Grafik genannten Beschlüsse des Gouverneursrates. 67 Für den ESM vgl. BVerfGE 132, 195 (264); 135, 317 (411). 68 Zum ESMFinG vgl. BVerfGE 135, 317 (424 ff.). 69 Für den ESM vgl. BVerfGE 132, 195 (265, 273); 135, 317 (411 f.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 17 Fragen ergeben sich jedoch im Hinblick auf das in Art. 3 Abs. 2 EWF-VO-E vorgesehene Dringlichkeitsverfahren (vgl. hierzu die nachfolgende grafische Übersicht). Dieses Verfahren sieht vor, dass der Rat in dringlichen Fällen innerhalb von 24 Stunden nach Übermittlung durch den Gouverneursrat einen Beschluss erörtern muss. Ferner wird der Rat in Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 S. 5 Alt. 1 VO-Vorschlag ermächtigt, in dringlichen Fällen anstelle des Beschlusses des Gouverneursrats einen anderslautenden Beschluss anzunehmen. Aufgrund der Stimmenverhältnisse im Rat besäße der deutsche Ratsvertreter bei einer solchen Annahme eines anderslautenden Beschlusses durch den Rat keine Vetomöglichkeit. Insoweit unterscheidet sich das EWF-Dinglichkeitsverfahren von dem im ESMV vorgesehenen Verfahren (Art. 4 Abs. 4 UAbs. 1 ESMV), welches eine qualifizierte Mehrheit von 85 Prozent der gewichteten Stimmen des Gouverneursrats erfordert, so dass der deutsche Vertreter hier aufgrund der rund 27 Prozent Kapitalanteil über eine Vetoposition verfügt. Aus dem Kommissionsvorschlag ergibt sich nicht eindeutig, wann dieser Fall genutzt werden bzw. welcher „Beschluss des Gouverneursrats“ von Art. 3 Abs. 2 S. 1 EWF-VO-E angesprochen wird.70 Insofern liegt die Annahme nahe, dass der Rat, bspw. im Hinblick auf die Höhe des Darlehns , die Laufzeit oder die angemessenen politischen Auflagen, einen anderslautenden Beschluss annehmen kann, wenn der Gouverneursrat zuvor einen zustimmenden Beschluss zu einem Antrag auf Stabilitätshilfe gefasst hat. Hieraus ergibt sich potenziell die Möglichkeit, dass 70 Art. 3 Abs. 2 S. 1 EWF-VO-E: „Gebieten die Umstände die dringende Bereitstellung von Stabilitätshilfe für ein EWF-Mitglied gemäß Artikel 16, können Beschlüsse im Dringlichkeitsverfahren gefasst werden. In diesem Fall wird der Beschluss des Gouverneursrates oder des Direktoriums dem Rat sofort nach seiner Annahme samt einer Begründung übermittelt.“ Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 18 ohne deutsche Vetomöglichkeit im Rat bspw. ein modifizierter Beschluss über Art und Umfang eines Darlehens gemäß Art. 16 EWF-Satzung-E und der damit verbundenen politischen Auflagen gefasst werden könnte, der die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betrifft. Obgleich es dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 S. 1 EWF-Satzung-E nach naheliegender erscheint, dass sich der Beschluss des Gouverneursrats auf dessen positive Entscheidung über die dringliche Gewährung eines EWF-Darlehens bezieht: Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 S. 5 Alt. 1 EWF-VO-E könnte möglicherweise auch so ausgelegt werden, dass ein Beschluss des Gouverneursrats auch dann anzunehmen ist, wenn ein Hilfsantrag ablehnend beschieden wird, d. h. ein negativer Beschluss des Gouverneursrates ergeht. Dies würde bedeuten, dass auch bei Ablehnung eines Hilfsantrags im Gouverneursrat – beispielsweise durch ein deutsches Veto – der Rat diese Ablehnung durch eine Zustimmung ersetzen könnte. Insoweit bestünde potentiell die Möglichkeit einer Zustimmung im Rat zu einer EWF-Stabilitätshilfe ohne deutsche Vetomöglichkeit. 4.2.2. Entscheidungen des Rates Mit Blick auf die Abstimmung im Rat ist zunächst anzumerken, dass Deutschland bei den gemäß Art. 3 Abs. 4 EWF-VO-E vorgesehenen Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit (Art. 238 Abs. 3 AEUV) nicht über eine Vetoposition verfügt.71 Dies könnte zwar faktisch durch die deutsche Vetoposition im Gouverneursrat kompensiert werden, sofern der Rat ohne einen entsprechenden positiven Beschluss des Gouverneursrates gar nicht mit einer Billigung befasst wird (Art. 3 Abs. 1 EWF-Satzung-E).72 Da die Entscheidungen der EWF-Organe gemäß Art. 3 Abs. 1 und 2 EWF-VO-E jedoch lediglich vorbereitenden Charakter besitzen, erscheint erwägenswert, ob diese Kompensation zur Gewährleistung des erforderlichen Legitimationszusammenhangs ausreichend ist. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob und in welcher Form – in Ergänzung zu den gegenwärtigen und auf die EWF-Organe übertragbaren Mitwirkungsrechten gemäß ESM-Vertragsgesetz und ESMFinG – ein ununterbrochener Legitimationszusammenhang zwischen dem EWF und dem Deutschen Bundestag auch im Hinblick auf die Beschlüsse des Rates bestehen muss. In ihrer gegenwärtigen Konzeption beschränken sich die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages in EU-Angelegenheiten auf die Formen der informierten Mitwirkung (Art. 23 Abs. 2 GG) und insbesondere das Stellungnahmerecht gemäß Art. 23 Abs. 3 GG. Stellungnahmen des Deutschen Bundestages sind von der Bundesregierung bei den Verhandlungen auf EU-Ebene zu berücksichtigen bzw. zugrunde zu legen (Art. 23 Abs. 3 GG, § 8 EUZBBG); sie entfalten jedoch keine rechtliche Bindungswirkung.73 71 Der Anteil Deutschlands an der Bevölkerung der Eurozone beträgt ca. 24 Prozent. Die qualifizierte Mehrheit nach Art. 238 Abs. 3 EUV ist durch 72 Prozent der Mitglieder gekennzeichnet, sofern diese mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. 72 Vgl. hierzu oben 4.2.1. 73 Vgl. BT-Drs. 12/3896, S. 19; BT-Drs. 18/13150, S. 44 ff. sowie im Überblick Wollenschläger, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 23, Rn. 128 ff.; Saberzadeh, in: von Arnauld/Hufeld (Hrsg.), SK-Lissabon, 2. Aufl. 2018, § 13 Rn. 55 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 19 Die Möglichkeit, die Bundesregierung bei ihren Handlungen auf EU-Ebene an eine vorherige Zustimmung bzw. Entscheidung zu binden, besteht in EU-Angelegenheiten gegenwärtig nur im Rahmen der Begleitgesetzgebung zur EFSF und zum ESM,74 in den im IntVG genannten Fällen der besonderen Integrationsverantwortung bei Vertragsänderungen und-fortentwicklungen75 sowie in Bezug auf den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt bei Entscheidungen im Rahmen der GASP bzw. GSVP.76 Mit Blick auf die vom BVerfG herausgearbeiteten Maßstäbe, insbesondere zum Erfordernis eines ununterbrochenen Legitimationszusammenhangs, stellt sich die Frage nach dem Erfordernis einer Bindung auch des deutschen Vertreters im Rat bei EWF-Entscheidungen an eine vorherige Zustimmung des Deutschen Bundestages.77 4.2.3. Allgemeine Sicherung des Stimmrechts Im Hinblick auf das Stimmrecht in den EWF-Organen sieht Art. 4 Abs. 8 EWF-Satzung-E in struktureller Parallele zu Art. 4 Abs. 8 S. 1 ESMV die Möglichkeit einer Stimmrechtsaussetzung für den Fall vor, dass ein EWF-Mitglied seinen durch die EWF-VO-E begründeten Pflichten, insbesondere bei Kapitalabrufen nach Maßgabe der Art. 8, Art. 9 und Art. 10 EWF-Satzung-E, nicht fristgerecht und in voller Höhe nachkommt. In Bezug auf eine mögliche Stimmrechtaussetzung im ESM hat das BVerfG festgestellt, dass sich der Deutsche Bundestag seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung nicht entäußern darf.78 Käme es zu einer Aussetzung der Stimmrechte der Bundesrepublik Deutschland, liefe die innerstaatliche Beteiligung des Deutschen Bundestages an den Entscheidungen des EWF, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berühren und daher 74 Für die Anwendung im Laufe der 18. Wahlperiode vgl. den Bericht über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union in der 18. Wahlperiode, BT-Drs. 18/13150, S. 53 ff. 75 Für die Anwendung im Laufe der 18. Wahlperiode vgl. den Bericht über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union in der 18. WahlperiodeBT-Drs. 18/13150, S. 55 ff.; für die Anwendung von § 2 IntVG bezüglich des Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist vgl. BT- Drs. 17/9047, BT-Drs. 10159; im Überblick vgl. den Ersten Berichts über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon von 2011, BT-Drs. 17/14601, S. 34 ff. 76 Zur dementsprechenden Zustimmung des Deutschen Bundestages zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Operation EUNAVFOR MED Sophia vgl. bspw. BT-Drs. 18/6013 sowie zuletzt BT-Drs. 18/12491. 77 Zu Beispielen für eine Bindung nationaler Regierungen bei ihrem Handeln auf EU-Ebene durch Entscheidungen der jeweiligen nationalen Parlamente vgl. Martini, in: von Arnauld/Hufeld (Hrsg.), SK-Lissabon, 2. Aufl. 2018, § 18 Rn. 42 ff. (für Dänemark), Rn. 72 ff. (für Ungarn) 78 BVerfGE 129, 124 (177 ff.); 132, 195 (260); 135, 317 (413). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 20 grundsätzlich seiner Mitwirkung bedürfen,79 für die Dauer der Stimmrechtsaussetzung leer. Damit entfiele aus deutscher Sicht zugleich die demokratische Legitimation und Kontrolle der in diesem Zeitraum getroffenen Entscheidungen. Vor diesem Hintergrund wäre – entsprechend den für den ESM geltenden Anforderungen – auch im Vollzug des EWF durchgehend sicherzustellen, dass die weiteren auf Deutschland entfallenden Anteile am genehmigten Stammkapital nach Art. 8 Abs. 1 EWF-Satzung-E im Fall von Abrufen nach Art. 9 EWF-Satzung-E, gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 EWF-Satzung-E, jederzeit fristgerecht und vollständig eingezahlt werden können.80 Darüber hinaus ist anzumerken , dass der Rat gemäß Art. 3 EWF-VO-E die Funktion besitzen soll, die Beschlüsse des Gouverneursrates abschließend zu billigen, wobei die zu billigenden Beschlüsse die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berühren und daher grundsätzlich auch seiner Mitwirkung bedürfen. Dementsprechend ist zu erwägen, dass auch insoweit eine Aussetzung der primärrechtlich begründeten Stimmrechte Deutschlands im Rat (Art. 16 EUV) zu vermeiden ist, was sich – jedenfalls theoretisch – beispielsweise aus einer Anwendung von Art. 7 Abs. 3 S. 1 EUV ergeben könnte. 4.2.4. Künftige Änderungen der EWF-VO-E Eine weitere mögliche Konsequenz der Überführung des ESM in das Unionsrecht könnte sich in dynamischer Perspektive entfalten: Ist der EWF erst einmal in den Unionsrechtsrahmen überführt , könnte die EWF-VO künftig im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gemäß Art. 294 AEUV geändert werden. Dazu bedürfte es einer einfachen Mehrheit im Europäischen Parlament und einer qualifizierten Mehrheit im Rat, wo der deutsche Vertreter keine Vetoposition innehat. Folglich könnte der deutsche Vertreter es künftig nicht verhindern, dass die zuvor dargestellten Entscheidungsverfahren zur Bereitstellung von Hilfskrediten geändert würden, etwa insofern, als das Zustimmungsquorum im Gouverneursrat dergestalt gesenkt würde, dass Deutschland hier seine bisherige Vetoposition verlöre. Dies betrifft auch Änderungen infolge eines Beitritts neuer Mitglieder zum EWF und einer damit einhergehenden Verschiebung der Stimmgewichte in den ESM-Organen.81 Vor diesem Hintergrund sowie mit Blick auf die Integrationsverantwortung von Bundesregierung und Bundestag erscheinen weitere Erwägungen erforderlich, wie die Steuerungsmöglichkeiten des Deutschen Bundestages, insbesondere hinsichtlich seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung , sowie die Gewährleistung ununterbrochenen Legitimationszusammenhänge auch bei Änderungen der EWF-VO-E gesichert werden kann.82 – Fachbereich Europa – 79 BVerfGE 129, 124 (179 ff.); 132, 195 (262); 135, 317 (414). 80 Für den ESM vgl. BVerfGE 132, 195 (263); 135, 317 (415 ff.). 81 Für den ESM vgl. BVerfGE 135, 317 (412). 82 Für den ESM vgl. BVerfGE 132, 195 (265, 273); 135, 317 (411 ff.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 21/18 Seite 21