© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 19/16 Fragen zur Ratifikation und zur vorläufigen Anwendung des Comprehensive Economic and Trade Agreements (CETA) Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 2 Fragen zur Ratifikation und zur vorläufigen Anwendung des des Comprehensive Economic and Trade Agreements (CETA) Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 19/16 Abschluss der Arbeit: 22. Februar 2016 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragen zur vorläufigen Anwendung des CETA 5 1.1. Mit welchem Mehrheitsverhältnis muss die vorläufige Anwendung von CETA im Rat beschlossen werden? 5 1.2. Geht dem Beschluss über die vorläufige Anwendung eine gesonderte Abstimmung über das Abkommen als solches im Rat und im Europäischen Parlament voraus? 5 1.3. Ist das Europäische Parlament bei der Entscheidung über eine vorläufige Anwendung beteiligt? 6 1.4. Wie wäre das Abkommen wieder „rückholbar“, wenn sich keine Mehrheit im Europäischen Parlament findet? 6 2. Wie berechnet sich eine qualifizierte Mehrheit im Rat? 7 3. Zustimmung der nationalen Parlamente bei gemischten Abkommen 9 3.1. Stimmen die Parlamente der Mitgliedstaaten bei Vorliegen eines gemischten Abkommens über das gesamte Abkommen ab oder nur über die gemischten Teile? 9 3.2. Kann ein Mitgliedstaat ein gemischtes Abkommen nicht komplett kippen, da nichtsdestoweniger die sog. EU-only-Teile über die vorläufige Anwendung per qualifizierter Mehrheit im Rat in der gesamten EU in Kraft treten? 9 3.2.1. Ratifikationsverfahren 9 3.2.2. Vorläufige Anwendung 10 3.2.3. Blockademöglichkeiten 11 3.3. Ändert sich an den Feststellungen unter 3.2. etwas, wenn das Abkommen Teile in der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten enthält - oder können auch dann die EU-only- Teile in Kraft gesetzt werden? 11 4. Fragen zur Rechtsnatur des CETA 11 4.1. Trifft folgende Äußerung von Kommissarin Malmström im am 14.1.2016 im AfWi zu: „Die Rechtsexperten der Kommission werden zum Thema "gemischtes Abkommen oder nicht" dem Rat einen Vorschlag vorlegen, aber entscheiden wird der Rat.“ 11 4.2. Mit welchem Mehrheitsverhältnis muss der Rat über die gemischte Natur des Abkommens entscheiden? 12 4.3. Wenn CETA ein gemischtes Einkommen ist, welche Themengebiete würden nach Ansicht des Fachbereichs Europa dazu führen, dass auch der Bundesrat über CETA abstimmen wird? 12 4.4. Enthält CETA nach Einschätzung des Fachbereichs Europa auch Teile, die in der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten liegen? 12 4.4.1. Vorläufige Einschätzung der Argumente für das Vorliegen eines gemischten Abkommens 13 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 4 4.4.1.1. Investitionen 13 4.4.1.1.1. Bestimmungen des CETA 14 4.4.1.1.2. Bestimmungen des Unionsrechts 14 4.4.1.1.3. Folgerungen 16 4.4.1.2. Verkehrsdienstleistungen 17 4.4.1.2.1. Anforderungen des Unionsrechts 17 4.4.1.2.2. Regelungen im CETA 18 4.4.1.2.3. Folgerungen 19 4.4.1.3. Strafrechtliche Bestimmungen im Rahmen des Rechts am geistigen Eigentum 21 4.4.1.3.1. Regelungen im CETA 21 4.4.1.3.2. Folgerungen 21 4.4.2. Ergebnis 23 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 5 1. Fragen zur vorläufigen Anwendung des CETA 1.1. Mit welchem Mehrheitsverhältnis muss die vorläufige Anwendung von CETA im Rat beschlossen werden? Art. 218 Abs. 5 AEUV eröffnet die Möglichkeit, das Abkommen durch einen Beschluss des Rates mit der Unterzeichnung für die Union vorläufig anwendbar zu erklären. Die Anforderungen an das Genehmigungsverfahren für eine vorläufige Anwendbarkeit in der EU sind in Art. 218 Abs. 5 AEUV geregelt. Danach erlässt der Rat auf Vorschlag des Verhandlungsführers (d.h. der Kommission ) einen Beschluss, mit dem die Unterzeichnung der Übereinkunft und deren vorläufige Anwendung vor dem Inkrafttreten genehmigt werden. Gemäß Art. 218 Abs. 8 AEUV UAbs. 1 entscheidet der Rat während des gesamten Verfahrens mit qualifizierter Mehrheit (Art. 238 Abs. 2 AEUV). Nur in den im Art. 218 Abs. 8 S. 1 und 2 sowie Art. 207 Abs. 4 AEUV genannten Fällen beschließt der Rat einstimmig. Es handelt sich dabei nach Art. 218 Abs. 8 S.1 und 2 um „Assoziierungsabkommen nach Art. 217 AEUV, Abkommen, die Bereiche betreffen für die nach internen Vorschriften Einstimmigkeit erforderlich ist, Übereinkünfte nach Art. 212 AEUV mit beitrittswilligen Staaten und der Beitritt der Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)“.1 Gemäß Art. 207 Abs. 4 AEUV müssen auch Abkommen „über den Dienstleistungsverkehr, über Handelsaspekte des geistigen Eigentums oder über ausländische Direktinvestitionen“ sowie über „Handel mit kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen und mit Dienstleistungen des Sozial-, des Bildungs- und des Gesundheitssektors“ einstimmig beschlossen werden. Mit Blick auf die projektierten Regelungsbereiche des CETA, insbesondere die Regelungen betreffend gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen (Kapitel 7 CETA), Investitionen (Kapitel 10 CETA), den Dienstleistungsverkehr (Kapitel 11) sowie Handelsaspekte des geistigen Eigentums (Kapitel 22 CETA), erscheint ein einstimmiger Beschluss über die vorläufige Anwendung des Abkommens erforderlich. 1.2. Geht dem Beschluss über die vorläufige Anwendung eine gesonderte Abstimmung über das Abkommen als solches im Rat und im Europäischen Parlament voraus? Der Beschluss über die vorläufige Anwendung einer Übereinkunft setzt einen Beschluss über die Unterzeichnung des Abkommens voraus. Hierfür ist der Vertragstext des betreffenden Übereinkommens nach Abschluss der Vertragsverhandlungen durch die beteiligten Parteien und deren Delegationsleiter durch Paraphierung zunächst vorläufig zu fixieren. Die anschließende Unterzeichnung des Abkommens obliegt gem. Art. 218 Abs. 5 AEUV dem Rat, der alternativ die Kommission zur Unterzeichnung des Abkommens ermächtigen kann. Der Rat genehmigt das ausgehandelte und unterschriebene, aber noch nicht ratifizierte Abkommen durch Beschluss (Art. 218 Abs. 2 AEUV). Dabei entscheidet dieser in der Regel mit qualifizierter Mehrheit (Art. 218 Abs. 8 UAbs. 1 iVm Art. 207 Abs. 4 UAbs. 1 AEUV). In den Fällen des Art. 218 Abs. 8 UAbs. 2 sowie 1 Vgl. Lorenzmeier, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, EL 43 März 2011, Art. 218 AEUV, Rn. 34. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 6 Art. 207 Abs. 4 UAbs. 2 und 3 AEUV ist Einstimmigkeit erforderlich. Das Europäischen Parlament (EP) ist im Rahmen der Unterzeichnung unverzüglich und umfassend zu informieren (Art. 218 Abs. 10 AEUV). 1.3. Ist das Europäische Parlament bei der Entscheidung über eine vorläufige Anwendung beteiligt ? Eine Beteiligung des Europäischen Parlaments oder der mitgliedstaatlichen Parlamente an dem Beschluss über die vorläufige Anwendung des Abkommens ist nur insoweit vorgesehen, dass das Europäische Parlament gemäß Art. 218 Abs. 10 AEUV „in allen Phasen des Verfahrens unverzüglich und umfassend unterrichtet“ wird. Es muss also gewährleistet werden, dass dem Europäischen Parlament in allen Phasen der Verhandlung und des Abschlusses internationaler Abkommen , einschließlich dem Entwurf und dem endgültig angenommenen Text der Verhandlungsleitlinien , unverzüglich und regelmäßig Informationen übermittelt werden. Darüber hinaus ist ein Zustimmungs-, Anhörungs- oder Stellungnahmerecht des Parlaments im Gegensatz zu dem Beschluss über den Abschluss der Übereinkunft (Art. 218 Abs. 6 AEUV) im Hinblick auf den Beschluss über die vorläufige Anwendung nicht vorgesehen. 1.4. Wie wäre das Abkommen wieder „rückholbar“, wenn sich keine Mehrheit im Europäischen Parlament findet? Unter „Rückholbarkeit“ des Abkommens wird vorliegend die Situation verstanden, dass das betreffende Abkommen durch Beschluss des Rates für vorläufig anwendbar erklärt worden ist, im späteren Verfahren über den Abschluss des Abkommens jedoch nicht die gemäß Art. 207 Abs. 3 iVm 218 Abs. 6 lit. a) Abs. v) AEUV erforderliche Zustimmung des Europäischen Parlaments erfolgt und sich dementsprechend die Frage nach der Beendigung der vorläufigen Anwendung stellt. Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die Anwendung des Abkommens insofern vorläufig bleibt, als dass sie dann endet, wenn die Beendigung von der anderen Partei notifiziert wird oder wenn der Vertrag nach erfolgreicher Ratifikation in Kraft tritt und somit die provisorische Bindung der Vertragsparteien in eine endgültige übergeleitet wird.2 Weiterhin wird die vorläufige Anwendung beendet, wenn die EU gemäß Art. 25 Abs. 2 WVK Kanada die Beendigung der Bindungswirkung bzw. die Absicht, nicht Vertragspartei zu werden (ausdrückliche Ratifikationsverweigerung ), notifiziert.3 Zudem wurde vereinzelt vertreten, dass die vorläufige Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages auch endet, wenn aus dem Zeitablauf auf eine Nichtratifikation geschlossen werden könne.4 Da vorliegend weder eine Ratifikationsfrist vereinbart wurde noch die Möglichkeit be- 2 Vgl. Art. 25 Abs. 2 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen (WVK), BGBl. II 1990 S. 1415. 3 Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, 1963, S. 81. 4 Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, 1963, S. 88. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 7 steht, an Hand des Vertragstextes einen Zeitpunkt festzulegen, nach dem die Ratifizierung verspätet wäre, ist von einer unbeschränkten Fortdauer der vorläufigen Anwendung des Handelsabkommens bis zur ausdrücklichen Ratifikationsverweigerung durch die EU, Kanada – im Falle des Vorliegens eines gemischten Abkommens – der mitgliedstaatlichen Vertragspartner auszugehen. Damit tritt zwar während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung eine inhaltliche, aber noch keine endgültige völkerrechtliche Bindungswirkung im Hinblick auf die für vorläufig anwendbar erklärten Vorschriften ein. Eine vorläufige Anwendung des Abkommens kann dessen eigentliches Inkrafttreten insgesamt nicht ersetzten.5 Die Vertragsparteien müssen bei einer vorläufigen Vertragsanwendung vor Ratifikation jederzeit mit der Möglichkeit der Verweigerung der Ratifikation rechnen. Die vorläufige Anwendung des Abkommens endet jedoch erst mit der entsprechenden Notifikation einer gescheiterten Ratifikation. Zusammengefasst bliebe das CETA somit im Falle seiner vorläufigen Anwendung völkerrechtlich solange vorläufig anwendbar, bis es in Kraft tritt oder entweder Kanada oder die EU die vorläufige Anwendbarkeit einseitig durch entsprechende Notifikation beendet. 2. Wie berechnet sich eine qualifizierte Mehrheit im Rat? Mit dem Vertrag von Lissabon wurde für Abstimmungen im Rat das System der Stimmengewichtung , in dem die Anzahl der Stimmen jedes Mitgliedstaates von seinem demografischen Gewicht abhängig war, abgeschafft und durch ein neues System der „doppelten Mehrheit“ ersetzt (Art. 16 Abs. 3 bis 5 EUV, Art. 238 AEUV, Protokoll (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen).6 Demnach gilt seit dem 1. November 2014 im Rat für die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit ein neues Verfahren. Nach diesem Verfahren kommt bei Abstimmungen des Rates über einen Vorschlag der Kommission oder des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik eine qualifizierte Mehrheit zustande, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:7 55 % der Mitgliedstaaten stimmen für den Vorschlag (was in der Praxis 16 von 28 Mitgliedstaaten bedeutet) und der Vorschlag wird von Mitgliedstaaten unterstützt, die zusammen mindestens 65 % der Bevölkerung der Union ausmachen. 5 Art. 25 Abs. 2 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, BGBl. II 1990 S. 1415. Vgl. auch Sattler, a.a.o, S. 139 mit Verweis auf den Abschluss des Abkommens über Handel, Entwicklung und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Südafrika andererseits. Italien hatte in Reaktion auf die vorläufige Anwendung des Abkommens durch die EG erklärt, nicht mehr Vertragspartei des Abkommens werden zu wollen. Nachdem auf inhaltliche Vorbehalte Italiens eingegangen wurde, entschärfte sich die Situation, und das Abkommen trat in Kraft, vgl. Beschluss des Rates vom 26. April 2004 über den Abschluss des Abkommens über Handel, Entwicklung und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Südafrika andererseits, 2004/441/EG, ABl. L 127/109, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=CELEX:32004D0441:DE:HTML. 6 Abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:12012M/TXT&from=DE. 7 Vgl. zur konkreten Berechnung den vom Rat der EU erstellten Abstimmungsrechner, abrufbar unter http://www.consilium.europa.eu/de/council-eu/voting-system/voting-calculator/. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 8 Eine Stimmenthaltung bei einer Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit gilt als Gegenstimme. Eine Nichtteilnahme an der Abstimmung ist nicht mit einer Stimmenthaltung gleichzusetzen. Jedes Mitglied kann sich jederzeit der Stimme enthalten. Für eine Sperrminorität sind mindestens vier Ratsmitglieder erforderlich, die zusammen mehr als 35 % der EU-Bevölkerung repräsentieren . Abweichend von diesem Regelverfahren können besondere Bestimmungen bei der Berechnung der qualifizierten Mehrheit gelten: Wenn sich beispielsweise bei einem Opt-out in bestimmten Politikbereichen nicht alle Ratsmitglieder an der Abstimmung beteiligen. In diesem Fall gilt ein Beschluss als angenommen, wenn 55 % der teilnehmenden Ratsmitglieder, die mindestens 65 % der Bevölkerung der teilnehmenden Mitgliedstaaten vertreten, mit Ja stimmen. Beschließt der Rat nicht auf Vorschlag der Kommission oder des Hohen Vertreters, so gilt ein Beschluss als angenommen , wenn mindestens 72 % der Ratsmitglieder mit Ja stimmen und diese mindestens 65 % der EU-Bevölkerung vertreten. In der Schlussakte von Lissabon, Erklärung zu Artikel 16 Absatz 4 des Vertrags über die Europäische Union und zu Artikel 238 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ist zudem vorgesehen, dass eine Gruppe von Staaten auch dann eine Mehrheitsentscheidung des Rates ablehnen kann, wenn sie nicht ausreicht, um eine Sperrminorität zu bilden. Bei wichtigen Fragen können sie die Anwendung des sog. „Kompromisses von Ioannina“8 fordern und müssen dem Rat ihren Widerstand gegen die Annahme des Rechtsakts signalisieren.9 Auf dieser Grundlage wird der Rat ersucht, eine zufriedenstellende Lösung zu finden. Abweichend von den vorstehend genannten Regelungen können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 238 Abs. 3 AEUV iVm Art. 3 Abs. 2 des Protokolls (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen bis zum 31. März 2017 bei einer Abstimmung beantragen, dass das bisherige Verfahren der qualifizierten Mehrheit angewandt wird. Bei diesem Verfahren verfügt jeder Vertreter eines Mitgliedstaats über eine bestimmte, in den EU-Verträgen festgelegte Anzahl von Stimmen, wobei die Stimmengewichtung in etwa der Bevölkerungszahl der einzelnen Mitgliedstaaten entspricht.10 Nach diesem Verfahren ist eine qualifizierte Mehrheit im Rat erreicht, wenn eine Mehrheit der Mitgliedstaaten (d.h. 15 Mitgliedstaaten) mit Ja stimmt und mindestens 260 der insgesamt 352 Stimmen Ja-Stimmen sind. Hierbei kann ein Mitgliedstaat zudem beantragen, dass überprüft wird, ob die Ja-Stimmen insgesamt mindestens 62 % der EU-Gesamtbevölkerung vertreten. Falls sich erweist, dass dies nicht der Fall ist, wird der Beschluss nicht angenommen. 8 EurLex, Kompromiss von Ioannina, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/summary/glossary/ioannina _compromise.html?locale=de. 9 Vgl. hierzu eingehend Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 16 EUV, Rn. 20 ff. 10 Hierbei sind die 352 Stimmen wie folgt verteilt: Frankreich, Deutschland, Italien, Vereinigtes Königreich: je 29 Stimmen; Spanien, Polen: je 27 Stimmen; Rumänien: 14 Stimmen; Niederlande: 13 Stimmen; Belgien, Tschechische Republik, Griechenland, Ungarn, Portugal: je 12 Stimmen; Österreich, Bulgarien, Schweden: je 10 Stimmen ; Kroatien, Dänemark, Irland, Litauen, Slowakei, Finnland: je 7 Stimmen; Zypern, Estland, Lettland, Luxemburg , Slowenien: je 4 Stimmen; Malta: 3 Stimmen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 9 3. Zustimmung der nationalen Parlamente bei gemischten Abkommen 3.1. Stimmen die Parlamente der Mitgliedstaaten bei Vorliegen eines gemischten Abkommens über das gesamte Abkommen ab oder nur über die gemischten Teile? Im Hinblick auf die konkreten Ratifikationserfordernisse ist zwischen den unionalen und mitgliedstaatlichen Kompetenzanteilen zu differenzieren. Die Regelungsbereiche der gemischten Abkommen , die mitgliedstaatliche Kompetenzen betreffen, werden nur nach Maßgabe des nationalen Verfassungsrechts in den jeweiligen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen wirksam, d.h. bei den entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen in Deutschland auf der Grundlage eines Zustimmungsgesetzes gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG. 3.2. Kann ein Mitgliedstaat ein gemischtes Abkommen nicht komplett kippen, da nichtsdestoweniger die sog. EU-only-Teile über die vorläufige Anwendung per qualifizierter Mehrheit im Rat in der gesamten EU in Kraft treten? Der Ausdruck „komplett kippen“ wird vorliegend dahingehend verstanden, dass er auf das endgültige Scheitern des Vertragsschlussverfahrens abzielt. Vor diesem Hintergrund ist bei dem in der Fragestellung angesprochenen Sachverhalt, d.h. den Einflussmöglichkeiten der nationalen Parlamente und den die vorläufige Anwendung legitimierenden politischen Prozess, begrifflich zwischen den Verfahren der Ratifikation des Abkommens und den Verfahren zur vorläufigen Anwendung des Abkommens zu differenzieren. 3.2.1. Ratifikationsverfahren Die Ratifikationsverfahren zielen ab auf das Inkrafttreten des Abkommens.11 Zur Ratifikation des jeweiligen Abkommens kann es erst kommen, wenn im Rahmen der Verhandlungen eine Einigung auf ein konkretes Abkommen erzielt wurde. Der Begriff der Ratifizierung bezeichnet einerseits den Abschluss des innerstaatlichen bzw. unionsinternen Genehmigungsverfahrens (innerstaatliche Ratifikation) für einen völkerrechtlichen Vertrag. Die innerstaatliche Ratifikation besteht in der Regel aus der Zustimmung des Gesetzgebers (des Parlaments), ggf. ergänzt um bzw. ersetzt durch eine Volksabstimmung, sowie der Unterschrift des Staatsoberhaupts (eigentliche Ratifikation).12 Entsprechendes gilt gemäß den nachfolgenden Ausführungen für die unionsinterne Ratifikation. Andererseits bezeichnet der Begriff der Ratifikation im Völkerrecht die Notifizierung und Hinterlegung des unterzeichneten völkerrechtlichen Vertrages, der ihm zur Wirksamkeit verhilft (völkerrechtliche Ratifikation).13 Dabei geht die innerstaatliche bzw. unionsinterne Ratifikation der völkerrechtlichen Ratifikation voraus. 11 Vgl. Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 49/15, S. 9 ff. 12 Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.6.2012, 2 BvE 4/11, Rn. 91 ff. 13 Vgl. Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 69. Ergänzungslieferung 2013, Art. 59 GG, Rn. 173 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 10 3.2.2. Vorläufige Anwendung Von der Frage des Inkrafttretens und der jeweiligen Zustimmungserfordernisse sind die vorläufige Anwendung eines Abkommens und der hierfür erforderliche Abschluss der internen Genehmigungsverfahren zu differenzieren. Die völkerrechtliche Bindungswirkung zwischen den Vertragsparteien (pacta sunt servanda, Art. 26 WVK14) tritt zwar grundsätzlich erst mit dem Inkrafttreten des Abkommens, also zu dem Zeitpunkt ein, der von den Vertragsparteien vereinbart wurde (Art. 24 Abs. 1 WVK). Eine Ausnahme davon bildet die vorläufige Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages gemäß Art. 25 WVK. Gemäß Art. 25 Abs. 1 lit. a) WVK kann ein völkerrechtlicher Vertrag bereits vor seinem Inkrafttreten vorläufig angewandt werden, wenn dies in dem Vertrag vorgesehen ist.15 Durch den Beschluss der vorläufigen Anwendung und durch seine Notifizierung gegenüber Kanada , das diese Erklärung ebenfalls abzugeben hat, werden schon vor Inkrafttreten des Abkommens völkerrechtliche Rechte und Pflichten (Außenwirkung) für die EU und damit indirekt für die EU-Mitgliedstaaten begründet.16 Durch die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung werden die Vertragspartner schon vor dem Inkrafttreten des Abkommens zur Ausführung der Vertragsbestimmungen verpflichtet.17 Im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten (Innenwirkung) bewirkt der Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung, dass jedenfalls die Regelungen aus dem Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Union (insbesondere gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. e, 207 AEUV oder Art. 3 Abs. 2 AEUV) schon vor Inkrafttreten des Abkommens als Teil des Unionsrechts dem Vorrang des Unionsrechts unterliegen.18 Regelungen betreffend die mitgliedstaatliche Zuständigkeit werden hingegen von der vorläufigen Anwendung ausgenommen.19 14 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, BGBL. 1985 II S. 926. 15 Vgl. dementsprechend CETA, Nr. 36 (Final Provisions), Art. X.06: Entry into Force. 16 Krieger, in Dörr/Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, 2012, Art. 25, Rn. 29 m.w.N. 17 Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, Wuppertal 1963, S. 58 m.w.N. 18 Für die vorläufige Anwendung des Abkommens über die Beteiligung der Mitgliedstaaten am EWR vgl. den 5. Erwägungsgrund des Beschlusses des Rates vom 30. März 2004 über die vorläufige Anwendung des Übereinkommens über die Beteiligung der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik am Europäischen Wirtschaftsraum und der vier Nebenabkommen , 2004/368/EG, ABl. L 130/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=CELEX:32004D0368:DE:HTML. 19 Vgl. beispielsweise den Beschluss 2012/735/EU des Rates vom 31. Mai 2012, mit dem u.a. die Unterzeichnung des Handelsübereinkommens zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Peru und Kolumbien andererseits durch den Präsidenten des Rates im Namen der Union genehmigt und seine vorläufige Anwendbarkeit mit Ausnahme der Art. 2, 202 Abs. 1, 291 und 292 des Handelsabkommens nach Abschluss der dafür erforderlichen Verfahren erklärt worden ist. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 11 3.2.3. Blockademöglichkeiten Entsprechend den Darstellungen unter 1.4. sowie in der Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 49/15 (S. 18 f.) hat eine unterbleibende Ratifikation durch einen Mitgliedstaat de lege lata keine Auswirkungen auf die vorläufige Anwendung der „EU-only-Bestimmungen“ des Abkommens. Zwar kann in diesem Fall das Abkommen auch bei einer bereits erfolgten Ratifikation durch die EU und durch die übrigen Mitgliedstaaten ggf. dauerhaft nicht umfassend in Kraft treten. Gleichwohl steht dies nicht einer ggf. auch langfristigen vorläufigen Anwendung der „EU-only-Bestimmungen“ entgegen . 3.3. Ändert sich an den Feststellungen unter 3.2. etwas, wenn das Abkommen Teile in der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten enthält - oder können auch dann die EUonly -Teile in Kraft gesetzt werden? Mit Blick auf die unterschiedlichen Kompetenzbereiche von EU und Mitgliedstaaten erfahren die unter 3.2. dargelegten Feststellungen keine Änderungen für den Fall, dass das Abkommen Regelungen enthält, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen. Auch in dieser Konstellation müssten diese Elemente des Abkommens durch die Mitgliedstaaten ratifiziert werden; die parallel hierzu bestehenden „EU-only-Teile“ müssten demgegenüber weiterhin von der EU ratifiziert werden und könnten unter den Voraussetzungen gem. Art. 218 Abs. 5 AEUV auch vorläufig zur Anwendung kommen. 4. Fragen zur Rechtsnatur des CETA 4.1. Trifft folgende Äußerung von Kommissarin Malmström im am 14.1.2016 im AfWi zu: „Die Rechtsexperten der Kommission werden zum Thema "gemischtes Abkommen oder nicht" dem Rat einen Vorschlag vorlegen, aber entscheiden wird der Rat.“ Die Aussagen der Kommissarin sind insoweit zutreffend, als dass der Rat gemäß Art. 218 Abs. 5 und 6 AEUV auf Vorschlag des Verhandlungsführers (d.h. der Kommission) die erforderlichen Beschlüsse über die Unterzeichnung und den Abschluss der Übereinkunft sowie ggf. über deren vorläufige Anwendung trifft und im Rahmen dieser Beschlüsse auch über die Rechtsnatur des jeweiligen Abkommens entscheidet. Im Hinblick auf den erforderlichen Vorschlag der Kommission ist jedoch anzumerken, dass den Mitgliedstaaten nach Maßgabe des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung nicht die Darlegungslast obliegt, dass eine bestimmte Sachmaterie in ihre eigene Zuständigkeit fällt. Dementsprechend steht der Rat nicht in der Pflicht, das Vorliegen eines Bereiches gemischter Zuständigkeit zu begründen. Es ist vielmehr Sache der Kommission, „die Ausschließlichkeit der Außenkompetenz der Union nachzuweisen, auf die sie sich berufen möchte.“20 20 EuGH, Rs. C-114/12 (Kommission/Rat), Rn. 74 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 12 4.2. Mit welchem Mehrheitsverhältnis muss der Rat über die gemischte Natur des Abkommens entscheiden? Entsprechend den oben unter 1.1. und 1.2. dargestellten Verfahren zum Abschluss eines Übereinkommens erfolgt keine separate Abstimmung im Rat über die Rechtsnatur des jeweiligen Abkommens . Entsprechende Überlegungen sind vielmehr Gegenstand der vorausgehenden Diskussionen im Rat und in den Ratsarbeitsgruppen. Im Rat erfolgt lediglich eine Abstimmung über die Unterzeichnung und den Abschluss des jeweiligen Abkommens mit den oben dargestellten Mehrheitserfordernissen . 4.3. Wenn CETA ein gemischtes Einkommen ist, welche Themengebiete würden nach Ansicht des Fachbereichs Europa dazu führen, dass auch der Bundesrat über CETA abstimmen wird? Für die Frage, ob der Bundesrat bei der innerstaatlichen Ratifikation des CETA zu beteiligen ist, wird auf den Sachstand WD3 – 3000 – 173/14 verwiesen. 4.4. Enthält CETA nach Einschätzung des Fachbereichs Europa auch Teile, die in der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten liegen? Der Entwurfstext des CETA enthält im Wesentlichen Vorschriften über den Handel und handelsbezogene Bereiche. Hieraus lässt sich folgern, dass die Regelungsbereiche des CETA in die ausschließliche Zuständigkeit der Union gemäß Art. 207 AEUV fallen, was für eine Qualifikation des CETA als EU-Abkommen spräche. Ein Vertrag, der im Kern die gemeinsame Handelspolitik betrifft, muss jedoch nicht auf Regelungen im Sinne des Art. 207 AEUV beschränkt sein. Der Rat besitzt einen weiten Beurteilungsspielraum , die Vertragsverhandlungen durch Materien jenseits von Art. 207 AEUV „anzureichern“, um so die Qualifikation eines Abkommens zu beeinflussen.21 Seine Absicht, das Abkommen als ein gemischtes zu schließen, kann sich dabei zunächst aus dem Willen der Mitgliedstaaten bei der Mandatserteilung an die Kommission gem. Art. 207 Abs. 3 iVm Art. 218 Abs. 3 und 4 AEUV ergeben. Eine solche Willensbekundung kann auch zu einem späteren Zeitpunkt im Lichte der vom Abkommen getroffenen Regelungen erfolgen, da die abschließende Entscheidung über die Rechtsgrundlage und somit auch das Ausmaß der Beteiligung der Mitgliedstaaten erst in voller Kenntnis des gesamten und endgültigen Inhalts des Abkommens erfolgen kann. 21 EuGH, Rs. C-94/03 (Kommission/Rat), Rn. 55; EuGH, Gutachten 2/00 (Cartagena), Rn. 16 f. . Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 13 4.4.1. Vorläufige Einschätzung der Argumente für das Vorliegen eines gemischten Abkommens Angesichts der andauernden Rechtsförmlichkeitsprüfung des Vertragstextes sowie mit Blick auf das vor dem EuGH anhängige Verfahren25 zur Bewertung entsprechender Zuständigkeiten der EU kann derzeit noch keine abschließende Bewertung erfolgen, welche Bereiche des CETA in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen und ob das CETA dementsprechend als gemischtes Abkommen ratifiziert werden muss.26 Die folgende Darstellung ist daher als eine vorläufige Einschätzung zu verstehen. Vor diesem Hintergrund kommen für die Bewertung, ob das CETA als gemischtes Abkommen ratifiziert werden muss, insbesondere die nachfolgenden Punkte als Kriterien in Betracht: 4.4.1.1. Investitionen Das Erfordernis, das CETA als gemischtes Abkommen zu ratifizieren, könnte sich auf die Regelungen im Bereich der Investitionen stützen lassen. 25 Gerichtshof der Europäischen Union, Antrag der Europäischen Kommission auf ein Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV vom 10. Juli 2015 zu der Frage, ob die Europäische Union über die erforderliche Zuständigkeit verfügt, um das Freihandelsabkommen mit Singapur allein zu unterzeichnen und abzuschließen, Gutachten 2/15, Antrag der Europäischen Kommission abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:62015CU0002&from=DE; vgl. hierzu die Stellungnahme der Bundesrepublik Deutschland vom 7. Januar 2016 in dem Gutachtenverfahren 2/15, BReg-Dok 4/2016, in EuDox abrufbar unter http://eudoxap01.bundestag.btg:8080/eudox/dokumentInhalt?id=129415. 26 Vgl. hierzu auch Franz C. Mayer, Stellt das geplante Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA) ein gemischtes Abkommen dar?, Rechtsgutachten für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vom 28. August 2014, abrufbar unter https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion /PDF/C-D/ceta-gutachten-einstufung-als-gemischtes-abkommen,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache =de,rwb=true.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 14 4.4.1.1.1. Bestimmungen des CETA Gemäß Section 1: Scope and Definitions des 10. Teils des CETA wird der Begriff der Investition umfassend verstanden. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich bestimmt Article X.1: Scope of Application “This Chapter shall apply to measures adopted or maintained by a Party in its territory relating to: (a) investors of the other Party; (b) covered investments; and (c) with respect to Articles X.5 (Performance Requirements), all investments in the territory of the Party.“ Für diesen Anwendungsbereich wird der Begriff der Investition in Article X.3: Definitions definiert als “Every kind of asset that an investor owns or controls, directly or indirectly, that has the characteristics of an investment, which includes a certain duration and other characteristics such as the commitment of capital or other resources, the expectation of gain or profit, or the assumption of risk. Forms that an investment may take include: (a) an enterprise; (b) shares, stocks and other forms of equity participation in an enterprise; (c) bonds, debentures and other debt instruments of an enterprise; (d) a loan to an enterprise; (e) any other kinds of interest in an enterprise; (f) an interest arising from: (i) a concession conferred pursuant to domestic law or under a contract, including to search for, cultivate, extract or exploit natural resources, (ii) a turnkey, construction, production, or revenue-sharing contract, or (iii) other similar contracts; (g) intellectual property rights; (h) any other moveable property, tangible or intangible, or immovable property and related rights; (i) claims to money or claims to performance under a contract; For greater certainty, 'claims to money' does not include claims to money that arise solely from commercial contracts for the sale of goods or services by a natural person or enterprise in the territory of a Party to a natural person or enterprise in the territory of the other Party, domestic financing of such contracts, or any related order, judgment, or arbitral award. Returns that are invested shall be treated as investments. Any alteration of the form in which assets are invested or reinvested does not affect their qualification as investment.” 4.4.1.1.2. Bestimmungen des Unionsrechts Fraglich ist, ob die Regelungen des CETA, welche den Bereich Investitionen betreffen, gem. Art. 3 Abs. 1 lit. e, 207 Abs. 1 S. 1 AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der EU für die gemeinsame Handelspolitik fallen. Das wäre der Fall, wenn der Investitionsbegriff des CETA dem Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 15 in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallenden Begriff der ausländischen Direktinvestition gem. Art. 207 Abs. 1 S. 1 AEUV entsprechen würde. Der Begriff der ausländischen Direktinvestition findet sich im Primärrecht in den Art. 64 Abs. 2, 207 Abs. 1 AEUV, ohne hier jedoch definiert zu werden. Anhaltspunkte zur Bestimmung des Begriffs ergeben sich sekundärrechtlich aus der Begriffsbestimmung in der Richtlinie 88/361/EWG27 sowie in Nr. 6.1 Anhang II (Definitionen nach Art. 10) der Verordnung (EG) Nr. 184/200528. Danach liegt dem Begriff der ausländischen Direktinvestition das Verständnis einer internationalen Investition zugrunde, die von einem Direktinvestor getätigt wird, um eine langfristige Beteiligung an einem in einem anderen Wirtschaftsgebiet ansässigen Unternehmen einschließlich eines entsprechenden Kontrollerwerbs zu erhalten.29 Dieses Verständnis einer ausländischen Direktinvestition entspricht der allgemeinen Auffassung, von einer solchen Investition als eine grenzüberschreitende Beteiligungen am Kapital oder an Stimmrechten eines Unternehmens mit dem Ziel, eine langfristige Beteiligung an einem in einer anderen Volkswirtschaft ansässigen Unternehmen durch den Erwerb von mindestens 10 % der Stammaktien bzw. des Stimmrechts zu erwerben, wovon auch Beteiligungskapital, reinvestierte Gewinne und sonstige Anlagen im Zusammenhang mit Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen erfasst werden.30 Demgegenüber sollen grenzüberschreitende Investitionen, die nicht auf Kontrolle, sondern lediglich auf die Verzinsung des eingesetzten Kapitals abzielten, als sog. Portfolioinvestitionen nicht unter den Begriff der ausländischen Direktinvestitionen fallen.31 In diesem Sinne hat auch der EuGH im Kontext von Art. 56 Abs. 1 EG (nunmehr: Art. 63 AEUV) zwischen Direktinvestitonen (Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch Besitz von Aktien, die die Möglichkeit verschafft , sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft und deren Kontrolle zu beteiligen) 27 Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages, ABl. L 178/11, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31988L0361&qid=1408630689611&from=DE. 28 Verordnung (EG) Nr. 184/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Januar 2005 betreffend die gemeinschaftliche Statistik der Zahlungsbilanz, des internationalen Dienstleistungsverkehrs und der Direktinvestitionen , ABl. L 35/23, zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 519/2013 der Kommission vom 21. Februar 2013, ABl. L 158/7, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02005R0184-20140101&qid=1408623107786&from=DE. 29 Communication from the European Community and its Member States, 16 April 2002, WTO Doc. WT/WGTI/W/15, Rn. 8 ff., abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2004/july/tradoc_111123.pdf; Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Auf dem Weg zu einer umfassenden europäischen Auslandsinvestitionspolitik , KOM(2010) 343 endg., S. 4 f. mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52010DC0343&qid=1408624304848&from=DE; EuGH, Rs. C-446/04 (Test Claimants), Rn. 180 f. 30 EZB, Monatsbericht August 2014, S. X; OECD Benchmark Definition of Foreign Direct Investment, Fourth Edition 2008, S. 17 f., abrufbar unter http://www.oecd.org/daf/inv/investmentstatisticsandanalysis/40193734.pdf. 31 Communication from the European Community and its Member States, 16 April 2002, WTO Doc. WT/WGTI/W/15, Rn. 20; KOM(2010) 343 endg., S. 4 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 16 und Portfolioinvestitionen (Erwerb von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt allein in der Absicht einer Geldanlage, ohne auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss nehmen zu wollen) unterschieden.32 4.4.1.1.3. Folgerungen Vor diesem Hintergrund der unionsrechtlichen Auslegung des Begriffs der ausländischen Direktinvestition wird vertreten, dass nur solche Investitionen in die ausschließliche Zuständigkeit der EU gem. Art. 3 Abs. 1 lit. e, 207 Abs. 1 S. 1 AEUV fallen, die dem Kontrollerwerb eines Unternehmens dienen.33 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Vertrag von Lissabon im Kontext seiner Beurteilung der Gemeinsamen Handelspolitik dementsprechend ausgeführt: „Mit der Erweiterung der gemeinsamen Handelspolitik auf "ausländische Direktinvestitionen " (Art. 207 Abs. 1 AEUV), wird der Europäischen Union auch für diesen Bereich eine ausschließliche Kompetenz zugewiesen. Allerdings spricht vieles dafür, dass der Begriff "ausländische Direktinvestitionen" nur diejenigen Investitionen umfasst, die dem Kontrollerwerb eines Unternehmens dienen (vgl. Tietje, Die Außenwirtschaftsverfassung der EU nach dem Vertrag von Lissabon, 2009, S. 15 f.). Dies hätte zur Folge, dass die ausschließliche Kompetenz nur für Investitionen dieses Typs besteht, während darüber hinausgehende Investitionsschutzverträge als gemischte Abkommen geschlossen werden müssten.“ 34 Somit stellt sich die Frage, ob der Investitionsbegriff des CETA nur ausländische Direktinvestitionen betrifft und dieser Bereich des CETA damit in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt. Zwar deutet die Formulierung in Teil 10, Article X.3: Definitions des CETA („asset that an investor owns or controls“) darauf hin, dass ausländische Direktinvestitionen von den Regelungen des CETA erfasst werden sollen. Die anschließenden Formulierungen gehen jedoch darüber hinaus und legen ein umfassendes Verständnis des Investitionsbegriffs im CETA nahe. Zudem differenziert die Definition des Begriffs der Investition im Gegensatz beispielsweise zu der Definition der OECD35 nicht zwischen ausländischen Direktinvestitionen und Portfolioinvestitionen. Angesichts des weiten, nicht explizit auf ausländische Direktinvestitionen beschränkten Investitionsbegriffs in Teil 10 des CETA lässt sich somit vertreten, dass auch Portfolioinvestitionen vom CETA erfasst sein sollen. In diesem Fall ginge der Regelungsbereich des CETA im Bereich der Investitionen über die ausschließliche Zuständigkeit der EU gem. Art. 3 Abs. 1 lit. e, 207 Abs. 1 32 EuGH, verb. Rs. C-282/04 und C-283/04 (Kommission/Niederlande), Rn. 19 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-222/97 (Trummer und Mayer), Rn. 21; EuGH, Rs. C-483/99 (Kommission/Frankreich), Rn. 36 f.; EuGH, Rs. C-98/01 (Kommission/Vereinigtes Königreich), Rn. 39 f. 33 BVerfGE 123, 267 (421) mit Verweis auf Tietje, Die Außenwirtschaftsverfassung der EU nach dem Vertrag von Lissabon, 2009, S. 15 f. 34 BVerfGE 123, 267 (421). 35 Vgl. OECD Benchmark Definition of Foreign Direct Investment, Fourth Edition 2008, S. 17. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 17 S. 1 AEUV hinaus, und das CETA wäre aufgrund der insoweit geteilten Zuständigkeit als gemischtes Abkommen abzuschließen. Hierbei ist jedoch darauf hinzuweisen, dass bezüglich der Frage, ob auch Portfolioinvestitionen dem Begriff der ausländischen Direktinvestitionen unterfallen, insbesondere im Hinblick auf die Verwendung des Begriffs im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 64 Abs. 2 AEUV), auch die Auffassung vertreten wird, dass das Kapitel über den Abbau von Beschränkungen des Kapitalund Zahlungsverkehrs im Hinblick auf Direkt- und Portfolioinvestitionen zwar die Möglichkeit des Abschlusses internationaler Abkommen über Investitionen, einschließlich Portfolioinvestitionen , nicht ausdrücklich vorsehe. Da aber internationale Investitionsabkommen den Geltungsbereich der im AEUV-Kapitel über den Kapital- und Zahlungsverkehr vorgegebenen gemeinsamen Regeln berührten, ergäbe sich daraus implizit die ausschließliche Zuständigkeit der Union für den Abschluss von Abkommen in diesem Bereich.36 Diese weite Auslegung und Begründung einer ausschließlichen Zuständigkeit könnte sich auf die mit der sog. AETR-Rechtsprechung des EuGH37 entwickelten Parallelität zwischen der Innenkompetenz und der Außenkompetenz stützen und fände vorliegend ihre primärrechtliche auf Grundlage in den Art. 3 Abs. 2 i. V. m. 63 ff. AEUV.38 Angesichts dieser Sachlage weisen Bungenberg39 und Herrmann40 zutreffend darauf hin, dass letztlich dem EuGH im Rahmen von Art. 19 Abs. 1 EUV die Aufgabe zukommt, die Reichweite der Kompetenz des Art. 207 AEUV im Kontext des internationalen Investitionsschutzrechts zu bestimmen. 4.4.1.2. Verkehrsdienstleistungen 4.4.1.2.1. Anforderungen des Unionsrechts Das Erfordernis, das CETA als gemischtes Abkommen zu ratifizieren, könnte sich auf die Regelungen im Bereich der Verkehrsdienstleistungen stützen lassen. Denn die gemeinsame Handelspolitik nach Art. 207 Abs. 1 S. 1 AEUV erfasst zwar grundsätzlich alle Bereiche des Dienstleistungsverkehrs . Hiervon ist jedoch der Verkehrsbereich durch Art. 207 Abs. 5 AEUV ausgenommen . 36 KOM(2010) 343 endg., S. 9; vgl. hierzu Herrmann, Die Zukunft der mitgliedstaatlichen Investitionspolitik nach dem Vertrag von Lissabon, EuZW 2010, S. 207 (209). 37 EuGH, Rs. 22/70 (AETR), Rn. 22; EuGH, Gutachten 1/76 (Stillegungsfonds); EuGH, Rs. C-476/98 (Open Skies), Rn. 83; EuGH, Gutachten 1/03 (Übereinkommen von Lugano), Rn. 125 ff. 38 Zum Streitstand vgl. Bungenberg, Europäischer Internationaler Investitionsschutz, in: von Arnauld, EnzEuR, Band 10 – Europäische Außenbeziehungen, 2014, § 13, Rn. 13. 39 Bungenberg, Europäischer Internationaler Investitionsschutz, in: von Arnauld, EnzEuR, Band 10 – Europäische Außenbeziehungen, 2014, § 13, Rn. 13. 40 Herrmann, Die Zukunft der mitgliedstaatlichen Investitionspolitik nach dem Vertrag von Lissabon, EuZW 2010, S. 207 (209). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 18 Art. 207 Abs. 5 AEUV verweist für die Aushandlung und den Abschluss von internationalen Abkommen im Bereich des Verkehrs auf die Bestimmungen des Dritten Teils, Titel VI AEUV sowie auf Art. 218 AEUV. Die Bestimmungen des Dritten Teils, Titel VI des AEUV über die gemeinsame Verkehrspolitik (Art. 90 ff. AEUV), fallen nach Art. 4 Abs. 2 lit. g AEUV in die geteilte Zuständigkeit von EU und Mitgliedstaaten. Hierdurch soll verhindert werden, dass der Handel mit solchen Dienstleistungen durch den Abschluss internationaler Abkommen reglementiert werden könnte, die die Union aufgrund ihrer Zuständigkeit für die Gemeinsame Handelspolitik allein schließen würde, um so den Mitgliedstaaten in den sensiblen Bereichen der Art. 90 ff. AEUV eine wirksame Außenkompetenz zu belassen.41 Die Ausnahmeregelung des Art. 207 Abs. 5 AEUV findet nur auf solche Fälle keine Anwendung, in denen der Handel mit Verkehrsdienstleistungen lediglich eine notwendige Ergänzung für die Wirksamkeit der Bestimmungen in den anderen Dienstleistungsbereichen oder von äußerst begrenzter Tragweite ist.42 Weil die Außenkompetenzen der Union im Verkehrsbereich nach Art. 216 Abs. 1 AEUV somit nur unter den engen Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 AEUV ausschließlich sind,43 erfordern die auf Art. 91 und Art. 100 Abs. 2 AEUV gestützten Abkommen auch weiterhin einen Abschluss unter Beteiligung der Mitgliedstaaten.44 4.4.1.2.2. Regelungen im CETA Gemäß Art. X-01: Scope umfasst Teil 11 (Cross-Border Trade in Services) des CETA die Bereiche (a) the production, distribution, marketing, sale and delivery of a service; (b) the purchase or use of, or payment for, a service; and, (c) the access to and use of, in connection with the supply of a service, services which are required to be offered to the public generally. Teil 11, Art. X-01 Abs. 2 (e) CETA nimmt bestimmte Luftverkehrsdienstleistungen vom Anwendungsbereich des CETA aus: (e) air services, related services in support of air services and other services supplied by means of air transport18, other than; (i) aircraft repair and maintenance services when an aircraft is withdrawn from service ; (ii) the selling and marketing of air transport services; (iii) computer reservation system services; 41 EuGH, Gutachten 1/08 (GATS), Rn. 135, 139. 42 EuGH, Gutachten 1/08 (GATS), Rn. 138 ff., 162 ff. 43 Vgl. hierzu Bauerschmidt, Die Sperrwirkung im Europarecht, EuR 2014, S. 277 (283 ff.). 44 Vgl. hierzu beispielsweise den Beschluss 2011/265/EU des Rates vom 16. September 2010 über die Unterzeichnung — im Namen der Europäischen Union — und vorläufige Anwendung des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits, ABl. L 127/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011D0265&qid=1408636272057&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 19 (iv) ground handling services (v) airport operation services Zudem bekräftigt Teil 11, Art. X-01 Abs. 2 CETA, dass das Kapitel nicht die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien berühren soll, die sich aus dem zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten auf der einen Seite und Kanada auf der anderen Seite abgeschlossenen Luftverkehrsabkommen45 ergeben. Darüber hinaus umfasst der 16. Teil des CETA (International Maritime Transport Services) „measures adopted or maintained by a Party relating to the supply of international maritime transport services“. Hierzu wird in Art. 1 des 16. Teils klargestellt, dass „measures adopted or maintained by a Party [relating to] [affecting] the supply of international maritime transport services are also subject to the provisions of the Chapters on Cross-Border Trade in Services (CBTS) and on Investment.“ Der Begriff „international maritime transport services” wird in Art. 5 des 16. Teils definiert als „means the transport of passengers and/or cargo by sea-going vessels between a port of one Party and a port of another Party or of a non-Party, or between a port of one European Union Member State and a port of another European Union Member State, as well as direct contracting with suppliers of other transport services to ensure door-to-door or multimodal transport operations, but not the supply of such other transport services.“ Die für den Bereich „international maritime transport services” in Art. 3 des 16. Teils vereinbarten Verpflichtungen werden durch Art. 4 des 16. Teils dahingehend eingeschränkt, dass die Verpflichtungen auf bestehende , nicht mit den vereinbarten Verpflichtungen vereinbare Regelungen u.a. der Union und ihrer Mitgliedstaaten ausgenommen sind. 4.4.1.2.3. Folgerungen Fraglich ist, ob das CETA Bestimmungen im Bereich des Handels mit Verkehrsdienstleistungen enthält, die unter die Sonderregelung des Art. 207 Abs. 5 AEUV fallen. Die Frage, ob die Union in Bereich des 16. Teils des CETA alleine oder gemeinsam mit den Mitgliedstaaten entsprechend Art. 207 Abs. 5 AEUV das Abkommen schließen kann, hängt insbesondere von der Tragweite der Bestimmungen des Unionsrechts ab, auf die die Union im Rahmen ihrer begrenzten Einzelermächtigung ihre entsprechende Handlungsbefugnis stützen kann.46 Dementsprechend kommt es einerseits auf die Tragweite des Verkehrsbegriffs in Art. 207 Abs. 5 AEUV und den damit korrespondierenden Regelungen im Bereich der Verkehrspolitik gem. Art. 90 ff. AEUV an. Andererseits ist zu berücksichtigen, ob die Bestimmungen des Abkommens den in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallenden Handel mit Dienstleistungen im 45 Beschluss des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 30. November 2009 über die Unterzeichnung und vorläufige Anwendung des Luftverkehrsabkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Kanada andererseits; Luftverkehrsabkommen zwischen Kanada und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten, ABl. L 207/30, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv :OJ.L_.2010.207.01.0030.01.DEU#L_2010207DE.01003201. 46 Vgl. EuGH, Gutachten 1/08 (GATS), Rn. 112. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 20 Allgemeinen regeln, zu den die insbesondere in den Teilen 11 und 16 des CETA geregelten Transportdienstleistungen nur als Neben- oder Hilfsleistungen gehören.47 Insoweit hat der EuGH zu der Art. 207 Abs. 5 AEUV entsprechenden Vorgängerbestimmung des Art. 133 Abs. 6 UAbs. 3 festgestellt, dass diese Ausnahmebestimmung einen Zuständigkeitskonflikt gegenüber der gemeinsamen Handelspolitik dahingehend löst, dass die Ausnahmebestimmung speziell angibt, dass nicht die Kompetenz für die gemeinsame Handelspolitik, sondern eine andere Vertragsbestimmung (d.h. die Verkehrspolitik) für den Abschluss bestimmter internationaler Abkommen, die a priori auf die eine oder die andere Rechtsgrundlage gestützt werden können, Vorrang hat.48 Denn mit Art. 207 Abs. 5 AEUV soll ein Gleichlauf zwischen der unionsinternen Zuständigkeitsverteilung und der Außenkompetenz hergestellt werden. Zudem ist im Hinblick auf den 16. Teil des CETA anzumerken, dass die Bestimmungen des CETA auf “seagoing vessels between a port of one Party and a port of another Party” und der See- und Luftverkehr von den verkehrspolitischen Bestimmungen der Art. 90 bis 99 AEUV ausgenommen und damit bereits einer unionsrechtlichen Regelung nur begrenzt zugänglich ist.49 Dementsprechend scheinen die Bestimmungen in den Teilen 11 und 16 des CETA nicht im Schwerpunkt den Handel mit Verkehrsdienstleistungen zu betreffen und können auch nicht als eine notwendige Ergänzung für die Wirksamkeit der Bestimmungen des CETA in anderen Dienstleistungsbereichen angesehen werden. Vielmehr lassen sich die Bestimmungen der Teile 11 und 16 des CETA dahingehend verstehen, dass sie sektorspezifische Verpflichtungen der Union und ihrer Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Modalitäten, Bedingungen und Beschränkungen festlegen , nach denen diese den Dienstleistungserbringern aus Kanada Zugang zu den Märkten für bestimmte Leistungen im Luft- und Seeverkehr gewähren.50 Vor diesem Hintergrund lässt sich vertreten , dass die Teile 11 und 16 des CETA im Hinblick auf die Ausnahmebestimmung des Art. 207 Abs. 5 AEUV den Abschluss des CETA sowohl durch die Union als auch durch die Mitgliedstaaten erforderlich machen. Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass auch die Auffassung vertreten werden könnte, dass die Union mit Blick auf die umfassenden Regelungen der Union insbesondere in den Bereichen des Luft- und Seeverkehrs auch für die gemeinsame Verkehrspolitik eine implizite Außenkompetenz im Sinne des Art. 3 Abs. 2 AEUV besitzt.51 47 Vgl. EuGH, Gutachten 1/08 (GATS), Rn. 155 f. 48 EuGH, Gutachten 1/08 (GATS), Rn. 157. 49 Vgl. hierzu Hahn/Dudenhöfer, Auswärtige Annexkompetenzen interner Politiken, in: von Arnauld (Hrsg.), Enz EuR Band 10 – Europäische Außenbeziehungen, 2014, § 15, Rn. 156 ff.; Jung, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage, 2012, Art. 100 AEUV, Rn. 6 ff. m.w.N. 50 Vgl. EuGH, Gutachten 1/08 (GATS), Rn. 168 ff.; vgl. auch EuGH, Gutachten 1/94 (WTO), Rn. 48 ff. 51 Vgl. EuGH, Rs. C-466/98 (Kommission/Vereinigtes Königreich); Hahn/Dudenhöfer, Auswärtige Annexkompetenzen interner Politiken, in: von Arnauld (Hrsg.), EnzEuR Band 10 – Europäische Außenbeziehungen, 2014, § 15, Rn. 160 f. m.w.N. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 21 4.4.1.3. Strafrechtliche Bestimmungen im Rahmen des Rechts am geistigen Eigentum Ein weiteres Argument für die Notwendigkeit, das CETA als gemischtes Abkommen zu ratifizieren , könnte sich entsprechend den gemeinsamen Verhandlungen von Union und Mitgliedstaaten über strafrechtliche Bestimmungen im Zusammenhang mit Verletzungen des Rechts am geistigen Eigentum insbesondere aus den im CETA vorgesehenen strafrechtlichen Sanktionen und Verfahren ergeben. 4.4.1.3.1. Regelungen im CETA Teil 22 (Intellectual Property Rights) sieht in Art. 5.6 CETA vor: „Each Party may provide for criminal procedures and penalties to be applied in accordance with its laws and regulations against any person who, without authorisation of the theatre manager or the holder of copyright in a cinematographic work, makes a copy of that work or any part thereof, from a performance of the work in a motion picture exhibition facility open to the public.“ 4.4.1.3.2. Folgerungen Bei der Vorgabe in Teil 22, Art. 5.6 CETA handelt es sich um eine strafrechtliche Bestimmung, die den Abschluss des CETA in Form eines gemischten Abkommens notwendig machen könnte. Die strafrechtliche Kompetenz der Union ist in den Art. 82 ff. AEUV geregelt. Auf dieser Grundlage besitzt die Union eine begrenzte Kompetenz zur Harmonisierung des ansonsten in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallenden Strafrechts.52 Der Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (Dritter Teil, Titel V, Kapitel 4) fällt unter die geteilten Zuständigkeiten der Union und der Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 2 lit. j AEUV, wovon das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark jedoch ausgenommen sind.53 Die Union hat somit keine ausdrückliche Außenkompetenz im Bereich des Straf- und Strafverfahrensrechts. Daher erfordert ein Abkommen in diesem Bereich grundsätzlich die Ratifikation durch die Union und die Mitgliedstaaten.54 Jedoch hat der EuGH bereits vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon anerkannt, dass die Union bestimmte Aspekte des Strafrechts sekundärrechtlich mitregeln darf, wenn diese erforderlich sind, um die volle Wirksamkeit der von ihr erlassenen Rechtsnormen zu gewährleisten.55 Von der so begründeten Zuständigkeit der Union blieben die Bestimmung über die Art und das 52 EuGH, Rs. 203/80 (Casati), Rn. 27; EuGH, Rs. 186/87 (Cowan), Rn. 19; EuGH, Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Rn. 47; EuGH, Rs. C-440/05 (Kommission/Rat), Rn. 66; vgl. auch Böse, in: Böse (Hrsg.), EnzEuR, Band 9 – Europäisches Strafrecht mit polizeilicher Zusammenarbeit, 2014, § 4, Rn. 16. 53 Das Vereinigte Königreich und Irland verfügen über ein Eintrittsrecht („opt-in“) gemäß dem Protokoll (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit der Sicherheit und des Rechts; Dänemark ist nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 des Protokolls (Nr. 22) über die Position Dänemarks ausgenommen . 54 Vedder, Die Außenbeziehungen der EU und die Mitgliedstaaten: Kompetenzen, gemischte Abkommen, völkerrechtliche Verantwortlichkeit und Wirkungen des Völkerrechts, EuR 2007, 57ff,63. 55 EuGH, Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Rn. 48; EuGH, Rs. C-440/05 (Kommission/Rat), Rn. 66 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 22 Maß der anzuwendenden strafrechtlichen Sanktionen ausdrücklich den Mitgliedstaaten vorbehalten .56 Nunmehr wurde mit dem Vertrag von Lissabon diese strafrechtliche Annexkompetenz in Art. 82 Abs. 2 AEUV normiert. Dieser Befund galt nach früherer Rechtslage nur für die Binnenrechtsetzung , nicht aber auch für die Außenkompetenz, da es nach Art. 133 Abs. 6 EGV eines Gleichlaufs von Vertragsschlusskompetenzen mit den internen Zuständigkeiten bedurfte.57 Mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon ist die umfassende Außenkompetenz des Art. 207 Abs. 1 AEUV nicht mehr durch fehlende Binnenzuständigkeiten begrenzt. Dementsprechend wird angenommen , dass die Union in den Grenzen des Art. 207 Abs. 6 AEUV auch Abkommen mit Verpflichtungen eingehen kann, für die ihr unionsintern die Umsetzungskompetenz fehlt.58 Dabei richtet sich die Frage, ob das Abkommen als gemischtes ratifiziert werden muss, insbesondere danach, ob ein handelspolitischer Schwerpunkt besteht.59 Insofern ist auch von Bedeutung, ob die konkrete Bestimmung eine notwendige Ergänzung für die Wirksamkeit der zugrundeliegenden Regelung ist und als von äußerst begrenzter Tragweite angesehen werden kann.60 Vor dem Hintergrund der vorstehend dargestellten Kompetenzabgrenzung ist die Regelung in Teil 22, Art. 5.6 CETA nicht zwingend als eine Bestimmung anzusehen, die konkrete strafrechtliche Sanktionen festlegt und damit Zuständigkeitsbereiche der Mitgliedstaaten berührt. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass die Regelung des CETA mit Blick auf Art. 3 Abs. 2 AEUV auch vor dem Hintergrund der bestehenden Regelungen des Unionsrechts zum Schutz des geistigen Eigentums bewertet werden muss, welcher auf Ebene der Union eine autonome Bedeutung hat.61 In diesem Kontext wurde beispielsweise die Richtlinie 2004/4862 erlassen, um unbeschadet der Bestimmungen der Richtlinie 2001/29 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ein umfassendes Maß an Harmonisierung zu gewährleisten. Laut dem 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/4863 „stellen in geeigneten Fällen auch strafrechtliche Sanktionen ein Mittel zur 56 EuGH, Rs. C-440/05 (Kommission/Rat), Rn. 70; vgl. hierzu BVerfGE 123, 267 (412). 57 Vgl. EuGH, Gutachten 1/94 (WTO), Rn. 77, 88; GA Kokott, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-13/07 (Kommission /Rat), Rn. 152. 58 Vgl. Hahn, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage, 2012, Art. 207 AEUV, Rn. 64 ff. m.w.N. 59 EuGH, Gutachten 2/00 (Cartagena-Protokoll); EuGH, Rs. C-94/03 (Kommission/Rat) 60 EuGH, Gutachten 1/94 (WTO), Rn. 51, 67; EUGH, Rs. C-268/94 (Portugal/Rat), Rn. 75. 61 EuGH, Rs. C-135/10 (SCF), Rn. 75 ff.; GA Sharpston, Schlussanträge zu Rs. C-351/12 (OSA), Rn. 25. 62 Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. L 157/45, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32004L0048&qid=1408706043746&from=DE. 63 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. L 167/10, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32001L0029&qid=1408705956051&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/16 Seite 23 Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums dar“, ohne dass durch entsprechende Regelungen die innerstaatliche Vorschriften der Mitgliedstaaten betreffend strafrechtliche Verfahren und Strafen bei Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums verletzt werden.64 Angesichts der bestehenden Regelungen des Unionsrechts im Bereich der Durchsetzung des Rechts am geistigen Eigentum und vor dem Hintergrund, dass die Regelung auch im Rahmen des Teils 22 des CETA primär der Durchsetzung entsprechender Gewährleistungen dient, erscheint die Regelung in Teil 22, Art. 5.6 CETA als eine Bestimmung, die von der ausschließlichen Zuständigkeit der Union gem. Art. 207 Abs. 1 S. 1 AEUV erfasst wird und damit nicht die Notwendigkeit des Abschlusses eines gemischten Abkommens zu begründen vermag. 4.4.2. Ergebnis Der Regelungsgehalt des Vertragstextes des CETA spricht im Kontext des zugrundeliegenden Verhandlungsmandats des Rates an die Kommission dafür, dass die vorstehend genannten Regelungen zwar nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, jedoch zumindest in die zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeiten fallen und das Abkommen auf dieser Grundlage als gemischtes Abkommen der EU und der Mitgliedstaaten abzuschließen ist. Dieses Ergebnis entspräche der bisherigen Vertragsschlusspraxis der Union und der Mitgliedstaaten sowie dem Umstand, dass bereits im Verhandlungsmandat ausdrücklich auf Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten Bezug genommen wurde. Die Annahme der Notwendigkeit, das CETA als gemischtes Abkommen zu schließen, beruht insbesondere auf dem weiten Investitionsbegriff in Teil 10 des CETA sowie auf den Bestimmungen über Verkehrsdienstleistungen in den Teilen 11 und 16 des CETA. Für die jeweils möglichen Gegenargumente wird auf die entsprechenden Passagen dieser Ausarbeitung verwiesen. - Fachbereich Europa - 64 Zu der Zuständigkeitsverteilung betreffend Handelsaspekte des geistigen Eigentums vgl. EuGH, Rs. C-414/11 (Daiichi Sankyo), Rn. 51 ff.