© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 19/15 Fragen zur Beteiligung der Europäischen Zentralbank im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/15 Seite 2 Fragen zur Beteiligung der Europäischen Zentralbank im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 19/15 Abschluss der Arbeit: 16. Februar 2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Wesentliche Aussagen des Generalanwalts zur Rolle der EZB 4 3. Folgerungen für die künftige Beteiligung der EZB im Rahmen des ESM 5 3.1. Derzeitige Beteiligung der EZB im Rahmen des ESM 5 3.1.1. Aufgaben der EZB 5 3.1.2. Zulässigkeit des Handelns der EZB im Rahmen des ESM 6 3.2. Zulässige Beteiligung der EZB nach Maßgabe der Schlussanträge 7 3.2.1. Folgerungen aus den Schlussanträgen 7 3.2.2. Vereinbarkeit mit den Bestimmungen des ESMV 7 3.2.3. Unionsrechtskonforme Auslegung des ESM 8 3.3. Zusammenfassung 10 4. Folgerungen für die künftige Beteiligung der EZB im Rahmen der VO (EG) Nr. 472/2013 10 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/15 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung geht auf die Frage ein, welche Folgen es für die Anwendbarkeit des Vertrages vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESMV) hätte, wenn sich der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in seinem Urteil in der Rechtssache C-62/14 (Gauweiler u.a.) den diesbezüglichen Schlussanträgen des Generalanwalts vom 14. Januar 20151 anschließen würde. Dies betrifft insbesondere die Feststellungen des Generalanwalts , dass sich die Europäische Zentralbank (EZB) zwar unterrichten lassen oder angehört werden könne, sich jedoch von jeder unmittelbaren Beteiligung an der Durchführung eines EFSFoder ESM-Programms im Rahmen der sogenannten Troika2 für das betreffende Land lösen müsse, wenn sie gleichzeitig im Rahmen eines Programms für Outright Monetary Transactions (OMT) Staatsanleihen desselben Staates erwerben würde. Mit Blick auf vorstehende Fragestellung beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die Aufgaben der EZB im Rahmen des ESM. Sie lassen sich jedoch auch auf die entsprechenden Bestimmungen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) übertragen. 2. Wesentliche Aussagen des Generalanwalts zur Rolle der EZB In seinen Schlussanträgen vom 14. Januar 2015 kommt der Generalanwalt zu dem Ergebnis, dass die EZB mit der Ankündigung des OMT-Programms ihr währungspolitisches Mandat aus Art. 127 Abs. 1 und 2 AEUV grundsätzlich nicht überschreiten und damit den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung nicht verletzen würde. Der EZB komme ein weites Ermessen bei der Beurteilung zu, wie sie ihre Währungspolitik ausübe.3 Die Grenzen des Einschätzungsspielraums sind allerdings überschritten, wenn die EZB die Wirtschaftspolitik der Europäischen Union (EU) und ihrer Mitgliedstaaten (Art. 127 Abs. 1 S. 2, 119 Abs. 2, 282 Abs. 2 S. 2 AEUV) nicht lediglich unterstützen würde. Einen Übergriff in die ihr nicht zustehende Zuständigkeit der Wirtschaftspolitik könne die EZB vermeiden, wenn sie sich – sobald sie im Rahmen des OMT-Programms für einen Euro-Staat aktiv wird – der unmittelbaren Beteiligung an einem Finanzhilfeprogramm mit Hilfe des ESM oder der EFSF enthielte.4 Solange 1 Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón in der Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.) vom 14. Januar 2015, E-CLI:EU:C:2015:7. 2 Bei dem Ausdruck „Troika“ handelt es sich nicht um einen rechtlich definierten Begriff. Vielmehr dient der Begriff der Bezeichnung eines besonderen Formats („Dreigespann“) aus drei Akteuren und findet beispielsweise auch Verwendung bei der Bezeichnung der Zusammenarbeit der EU-Ratspräsidentschaften (d.h. die Einteilung der halbjährlich rotierenden Präsidentschaften in Dreier-Gruppen) oder der auswärtigen Repräsentation im Rahmen der GASP (d.h. die Kooperation zwischen dem Präsidenten des Europäischen Rates, dem Präsidenten der Europäischen Kommission sowie dem Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik). 3 Schlussanträge GA Cruz Villalón, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 111, 138, 245. 4 Schlussanträge GA Cruz Villalón, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 150. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/15 Seite 5 eine „funktionale Distanz“ zwischen dem OMT-Programm und den europäischen Finanzhilfeprogrammen gewahrt sei, verbleibe es bei einer rechtmäßigen Unterstützung der Wirtschaftspolitik der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Nach Auffassung des Generalanwaltes wäre es für die EZB unzulässig, sich an der Überwachung eines Finanzhilfeprogramms zu beteiligen, wenn dieses einen Staat betrifft, für den das OMT- Programm von der EZB in Gang gesetzt wurde. Zulässig seien hingegen weiterhin die Unterrichtung und Anhörung der EZB. Der Generalanwalt hält eine Interpretation der Formel „im Benehmen mit der EZB“ aus Art. 13, 14 ESMV für möglich, die „viele verschiedene Tätigkeiten der EZB im Verlauf eines Finanzhilfeprogramms, einschließlich der hier vorgeschlagenen ‚passiven‘ Tätigkeiten , erlauben“ würde.5 3. Folgerungen für die künftige Beteiligung der EZB im Rahmen des ESM Würde der EuGH in seinem Urteil den in den Schlussanträgen formulierten Anforderungen und Grenzen für Handlungen der EZB im Rahmen des ESM bei gleichzeitiger Aktivierung des OMT- Programms umfassend entsprechen, so würde durch das Urteil der Handlungsspielraum der EZB im Rahmen des ESM begrenzt. Hierzu ist anzumerken, dass sich das Urteil nicht unmittelbar auf die Auslegung von Bestimmungen des ESMV, sondern auf die unionsrechtlichen Voraussetzungen und Grenzen für ein Handeln der EZB bezöge.6 Das Urteil konkretisierte damit situativ die Feststellungen des EuGH in der Rs. C-370/12 (Pringle) zur Zulässigkeit einer Inanspruchnahme von Unionsorganen im Rahmen völkerrechtlicher Kooperationen der Mitgliedstaaten.7 3.1. Derzeitige Beteiligung der EZB im Rahmen des ESM 3.1.1. Aufgaben der EZB Der ESMV überträgt der EZB zunächst die Aufgabe, die Dringlichkeit von Stabilitätshilfeersuchen zu bewerten (Art. 4 Abs. 4 ESMV); zudem wird der EZB das Recht eingeräumt, an den Sitzungen des Gouverneursrats und des Direktoriums als Beobachter teilzunehmen (Art. 5 Abs. 3 und 6 Abs. 2 ESMV). Im vorgesehenen Verfahren für die Gewährung von Stabilitätshilfe soll die Kommission im Benehmen mit der EZB und nach Möglichkeit zusammen mit dem IWF – also in 5 Schlussanträge GA Cruz Villalón, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 150, Fn. 76. 6 Vgl. EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 79 f. 7 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 162, 165. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/15 Seite 6 der Formation einer sogenannten Troika – die Aufgaben übernehmen, die Stabilitätshilfeersuchen zu bewerten (Art. 13 Abs. 1 S. 3 ESMV),8 im Namen des ESM ein Memorandum of Understanding auszuhandeln (MoU, Art. 13 Abs. 3 ESMV)9 und schließlich die Einhaltung der mit der Finanzhilfe verbundenen Auflagen zu überwachen (Art. 13 Abs. 7 ESMV). 3.1.2. Zulässigkeit des Handelns der EZB im Rahmen des ESM Das Handeln der EZB im Rahmen des ESM beruht auf einem Beschluss der seinerzeit 27 EU-Mitgliedstaaten , in dem diese die Inanspruchnahme der Kommission und der EZB zur Mitwirkung im Rahmen des ESM genehmigt haben.10 Diese Einbeziehung ist auch grundsätzlich mit dem Unionsrechts vereinbar. Dafür sprechen folgende Erwägungen: Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung beschränkt die Handlungsbefugnisse der Unionsorgane auf die übertragenen Verbandskompetenzen und die konkreten Organkompetenzen, die ihnen die Mitgliedstaaten in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben.11 Dies schließt jedoch nicht grundsätzlich aus, dass Unionsorgane in intergouvernementale Kooperationen der Mitgliedstaaten eingebunden werden. Vielmehr können die Mitgliedstaaten in Bereichen, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallen, außerhalb des Rahmens der Union deren Organe mit Aufgaben betrauen, sofern diese Aufgaben die den Organen primärrechtlich übertragenen Befugnisse nicht verfälschen und das ordnungsgemäße Funktionieren der Unionsorgane nicht beeinträchtigen.12 Gemäß den Feststellungen des EuGH in der Rs. C-370/12 (Pringle) greift der ESM als Instrument der Wirtschaftspolitik nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Union für die Währungspolitik (Art. 3 Abs. 1 lit. c AEUV) ein und beeinträchtigt als bloßes Finanzierungsinstrument auch nicht die Zuständigkeit der Union, Maßnahmen zur wirtschaftspolitischen Koordinierung festzulegen (Art. 2 Abs. 3, Art. 119-121, 126 AEUV).13 Mangels einer speziellen Zuständigkeit der 8 Die Bewertung umfasst die Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes, die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung und den Finanzierungsbedarf des antragstellenden Staates. 9 Das MoU enthält die mit der jeweiligen Finanzhilfefazilität verbundenen Auflagen sowie ein makroökonomisches Anpassungsprogramm der Inanspruchnahme einer vorsorglichen bedingten Kreditlinie, einer Kreditlinie mit erweiterten Konditionen, einer Primärmarkt-Unterstützungsfazilität bei Inanspruchnahme über eine Kreditlinie des ESM sowie einer Sekundärmarkt-Unterstützungsfazilität bei Aktivierung außerhalb eines makroökonomischen Anpassungsprogramms. 10 10. Erwägungsgrund der Präambel des ESM-Vertrages mit Verweis auf den Beschluss der Vertreter der Regierungen der seinerzeit 27 Mitgliedstaaten v. 20.6.2011, Rats-Dok. 11758/11. 11 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-402/05 P und C-415/05 P (Kadi u.a.), Rn. 203. 12 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 158; EuGH, Rs. 208/80 (Lord Bruce of Donington), Rn. 14; EuGH, Rs. 230/81 (Luxemburg/Parlament), Rn. 37; EuGH, Rs. 44/84 (Hurd/Jones), Rn. 39.EuGH, Rs. C-181/91 und C-248/91 (Parlament /Rat und Kommission), Rn. 16, 20, 22; EuGH, Rs. C-316/91 (Parlament/Rat), Rn. 26, 34, 41; EuGH, Gutachten 1/92 (EWR), Rn. 32, 41; EuGH, Gutachten 1/00 (Europäischer Luftverkehrsraum), Rn. 20; EuGH, Gutachten 1/09 (Patentgerichtssystem), Rn. 75. 13 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 56 ff., 95 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/15 Seite 7 Union für die Errichtung eines permanenten Stabilitätsmechanismus und mit Blick darauf, dass nicht der Union übertragene Zuständigkeiten bei den Mitgliedstaaten verbleiben, sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich befugt, in diesem Bereich tätig zu werden und im Rahmen der Art. 2 Abs. 3, Art. 5 AEUV ihre Zusammenarbeit zu koordinieren.14 Hierbei dürfen sie sich aber nicht über die Beachtung des Unionsrechts hinwegsetzen, was insbesondere für die Beachtung der Maßnahmen der Union im Bereich der Koordinierung der Wirtschaftspolitik gilt.15 Das Handlungsmandat der EZB im Rahmen des ESM verfälscht auch nicht deren primärrechtlichen Befugnisse. Die der EZB durch den ESMV übertragenen Funktionen entsprechen den verschiedenen Aufgaben, mit denen sie im AEUV und in der Satzung des ESZB betraut wird.16 Durch ihre Funktionen im Rahmen des ESMV unterstützt die EZB gemäß Art. 127 Abs. 1 S. 2 AEUV im Einklang mit Art. 282 Abs. 2 AEUV die allgemeine Wirtschaftspolitik in der EU, um zur Verwirklichung der in Art. 3 EUV festgelegten Ziele der Union beizutragen, soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist.17 Überdies bestätigt Art. 23 der Satzung , dass die EZB befugt ist, „mit … internationalen Organisationen Beziehungen aufzunehmen “. 3.2. Zulässige Beteiligung der EZB nach Maßgabe der Schlussanträge 3.2.1. Folgerungen aus den Schlussanträgen Die Aussagen des Generalanwalts lassen sich dahingehend verstehen, dass es situativ – für den Fall der Aktivierung des OMT-Programms durch die EZB – nicht mit dem Unionsrecht vereinbar wäre, wenn die EZB die Dringlichkeit der Annahme eines Beschlusses zur Gewährung oder Durchführung von Finanzhilfen gemäß Art. 4 Abs. 4 ESMV bewerten würde oder wenn die EZB im Benehmen mit der Kommission und nach Möglichkeit zusammen mit dem IWF insbesondere an der Aushandlung eines MoU gemäß Art. 13 Abs. 3 ESMV und der Überwachung der Einhaltung der mit der Finanzhilfe verbundenen Auflagen gemäß Art. 13 Abs. 7 ESMV beteiligt wäre. Im Falle einer Aktivierung des OMT-Programms schließt dies die Beteiligung der EZB im Rahmen des ESM nicht völlig aus; sie müsste sich in diesem Fall jedoch auf Anhörungen und Informationen beschränken. 3.2.2. Vereinbarkeit mit den Bestimmungen des ESMV Vor diesem Hintergrund stellt sich zunächst die Frage, ob diese Beschränkung der EZB auf eine passive Rolle mit den entsprechenden Bestimmungen des ESMV vereinbar ist. Bedenken bestehen insoweit insbesondere im Hinblick auf die Formulierung „im Benehmen mit der EZB“. 14 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 64 ff. 15 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 68 f., 109. 16 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 165. 17 Vgl. Waldhoff, in: Siekmann, Kommentar zur Europäischen Währungsunion, 2012, Art. 127, Rn. 27 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/15 Seite 8 Der Begriff „im Benehmen mit“ wird im ESMV nicht näher definiert. Wegen der besonderen Sachnähe des ESMV zum Unionsrecht bietet sich ein Vergleich mit entsprechenden Bestimmungen des Unionsrechts an. Der Begriff „im Benehmen mit“ findet sich in verschiedenen Vorschriften des Primärrechts,18 wird dort aber auch nicht definiert. Jedoch deutet seine Verwendung im Primärrecht auf eine Mitwirkungsform an Entscheidungsprozessen hin, die über eine reine Anhörung hinausgeht, bei der ein Organ lediglich die Gelegenheit erhält, seine Vorstellungen in das Verfahren einzubringen.19 Die Benehmenspflicht bleibt dabei zugleich hinter der Mitwirkungsform des Einvernehmens20 oder einem Zustimmungsvorbehalt21 zu einem gemeinsamen Vorgehen zurück. Das Ins-Benehmen-Setzen kann zwar auf ein Einvernehmen oder eine Zustimmung abzielen, muss dies aber nicht zwingend herstellen oder bewirken, so dass insoweit auch qualifizierte Informations- und Stellungnahmerechte ausreichten, die eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen und entsprechende Einflussmöglichkeiten eröffnen.22 Entsprechend der vorstehenden begrifflichen Annäherung bezeichnet der Begriff „im Benehmen mit“ somit keine eigenen Mitwirkungsrechte des jeweiligen Organs, mit dem sich eine Stelle ins Benehmen zu setzen hat, sondern vielmehr verfahrensmäßige Beteiligungsrechte, bei denen die beteiligten Stellen einander gleichgestellt sind und gegenseitig keinen Weisungen unterliegen.23 Das Unionsorgan muss infolge der Benehmenspflicht in die Handlungen der mitwirkungsberechtigten Stelle einbezogen werden und beispielsweise zu deren Vorschlägen angehört werden, ohne dass jedoch die Stellungnahmen des Organs bindend sind.24 Dementsprechend müssen die Rechte des betreffenden Organs, das ins Benehmen gesetzt werden soll, über bloße Informationsund Anhörungsrecht hinausgehen. 3.2.3. Unionsrechtskonforme Auslegung des ESM Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus dem ESMV müssen mit dem Unionsrecht in Einklang stehen, und die Anwendung des ESMV darf nicht gegen Unionsrecht verstoßen.25 Dementsprechend dürfen die Unionsorgane in den Grenzen einer zulässigen Organleihe auch bei Einver- 18 Vgl. Art. 117, 168 Abs. 2 UAbs. 2, 207 Abs. 3 UAbs. 3, 218 Abs. 4, 347 AEUV. 19 Vgl. beispielsweise die besonderen Gesetzgebungsverfahren gem. Art. 21 Abs. 3, 23 UAbs. 2, 43 Abs. 2 AEUV. 20 Vgl. beispielsweise die Fälle der Art. 82 Abs. 3, 83 Abs. 3, 185, 253, 341 AEUV 21 Vgl. beispielsweise die Fälle der Art. 19, 25 UAbs. 2, 83 Abs. 2 UAbs. 2, 352 AEUV. 22 Vgl. für die deutsche Rechtspraxis BVerwGE 92, 88 (97), SG Mannheim, Urteil vom 21. Januar 2015 – S 9 KR 3065/13 –, juris, Rn. 48. 23 Vgl. EuGH, C-66/75 (Macevicius/Parlament), Rn. 12/15. 24 Vgl. aber Lorenzmeier, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 54. Ergänzungslieferung 2014, Rn. 29, wonach „im Benehmen“ in der Konstellation des Art. 218 Abs. 4 AEUV Einvernehmen bedeute, dass der Rat durch die Einsetzung des Ausschusses die Hoheit über die Aushandlung der Sachmaterien des zukünftigen Übereinkommens behalte. 25 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 109; EuGH, Rs. C-55/00 (Gottardo), Rn. 13. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/15 Seite 9 ständnis aller Mitgliedstaaten nur insoweit in die Handlungen einer außervertraglichen Einrichtung einbezogen werden, soweit diese Aufgaben die den Unionsorganen primärrechtlich zugewiesenen Befugnisse nicht verfälschen.26 Soweit der EuGH im Rahmen seiner Entscheidung Rs. C-270/12 (Pringle) festgestellt hat, dass die der EZB durch den ESMV übertragenen Aufgaben grundsätzlich im Einklang stehen mit ihrer Funktion zur Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik gemäß Art. 282 Abs. 2 AEUV, so schließt dies nicht eine neue Bewertung der möglichen Verfälschung ihrer primärrechtlichen Aufgaben für den Fall aus, dass die EZB „unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen“27 trifft. Insofern kann die Übertragung von bestimmten Aufgaben zunächst mit den primärrechtlichen Befugnissen vereinbar sein, jedoch infolge einer (extensiven) Wahrnehmung der primärrechtlichen Befugnisse später bzw. situativ unvereinbar werden. Vor diesem Hintergrund ist die Einbeziehung der EZB insbesondere im Rahmen des Art. 13 Abs. 1, 3 und 7 ESMV mit Blick auf ihre Unterstützungsbefugnisse im Bereich der allgemeinen Wirtschaftspolitik grundsätzlich mit ihren primärrechtlichen Befugnissen vereinbar.28 Sofern die EZB jedoch mit Aktivierung des OMT-Programms Handlungen vornimmt, die zwar nicht die Grenzen ihres währungspolitischen Mandats überschreiten, zugleich aber auch mittelbare Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik haben, so könnte diese mittelbare Auswirkung in Kombination mit einer völkervertraglichen Aufgabenübertragung über die Grenzen einer bloßen Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik hinausgehen. Folglich würde die völkervertragliche Aufgabe die primärrechtlich zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse der EZB verfälschen, so dass ein Handeln der EZB nach den Maßstäben für eine zulässige Inanspruchnahme von Unionsorganen unzulässig wird. Aus dieser Unzulässigkeit folgte zunächst ein unionsrechtliches Verbot für die EZB, die durch den ESMV übertragenen Aufgaben im Fall einer Aktivierung des OMT-Programms wahrzunehmen , sofern diese Aufgaben über passive Tätigkeiten hinausgehen. Zugleich entfällt situativ die Berechtigung der Mitgliedstaaten als Vertragsstaaten des ESMV, die EZB als Unionsorgan zu Aufgaben heranzuziehen. Diese unionsrechtlichen Schranken berühren jedoch nicht die Gültigkeit des völkervertraglichen ESMV. Vielmehr ist entsprechend Art. 26 WVK29 eine unionsrechtskonforme Auslegung der Formel „im Benehmen mit der EZB“ angezeigt, damit die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Rahmen des ESM auch bei einer Aktivierung des OMT-Programms mit dem Unionsrecht im Einklang stehen.30 Angesichts des offenen Wortlauts31 und der nicht eindeutig definierten Benehmenspflicht ist für den Begriff in Art. 13 Abs. 1, 3 und 7 ESMV eine Inter- 26 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 158. 27 Schlussanträge GA Cruz Villalón vom 14. Januar 2015, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 115 ff. 28 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 165. 29 Wiener Konventionen über das Recht der Verträge vom v. 23. Mai 1969, BGBl II 1985, 926. 30 Schlussanträge GA Cruz Villalón vom 14. Januar 2015, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 150, Fn. 76. 31 Vgl. insoweit den ebenfalls mehrdeutigen englischen („in liaison with the ECB“) oder französischen („en liaison avec la BCE“) Wortlaut. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/15 Seite 10 pretation zu wählen, die lediglich einer schwachen Mitwirkung der EZB entspricht. Bei Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des ESM-Vertrages wirken die Mitgliedstaaten gemäß Art. 37 Abs. 2 ESMV über ihre Mitglieder im Gouverneursrat auf eine Auslegung des ESMV hin, die unionsrechtlichen Vorgaben entspricht. 3.3. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzustellen, dass die EZB gemäß den Feststellungen in den Schlussanträgen zur Rs. C-64/14 (Gauweiler u.a.) ihren Aufgaben, die ihr im Rahmen des ESMV übertragen worden sind, nicht umfänglich nachkommen könnte. Die EZB müsste sich der unmittelbaren Beteiligung bzw. aktiven Tätigkeiten im Rahmen eines Finanzhilfeprogramms für einen Euro-Mitgliedstaat enthalten, sofern sie gleichzeitig das OMT-Programm aktiviert. Sofern der EuGH den Schlussanträgen voll umfänglich folgte, wäre dementsprechend eine enge, unionsrechtskonforme Auslegung der entsprechenden Bestimmungen des ESMV für den Fall angezeigt , dass das OMT-Programm zum Einsatz kommt. Die Feststellung einer solchen Auslegung für die Anwendung des ESMV ließe sich gegebenenfalls durch eine Entscheidung des EuGH im Rahmen des Art. 37 ESMV bewirken. Eine unionsrechtskonforme Auslegung insbesondere des Art. 13 ESMV und die damit einhergehende Einschränkung der Aufgaben der EZB zeitigt jedoch keine Auswirkungen auf die Anwendbarkeit des ESMV an sich. Gemäß den Vorgaben des ESMV müsste die EZB grundsätzlich beteiligt bleiben. Insbesondere steht eine enge Auslegung der Befugnisse der EZB im Rahmen des ESMV weder dem Abschluss eines MoU noch der Überwachung der Einhaltung der mit den Finanzhilfen verbundenen wirtschaftspolitischen Auflagen entgegen. Die Beschränkungen der Handlungsbefugnisse der EZB resultieren primär aus ihrer einerseits unionsrechtlichen, andererseits völkervertraglichen Aufgabenwahrnehmung im Grenzbereich der Wirtschafts- und Währungspolitik . Das Erfordernis der Vereinbarung von wirtschaftspolitischen Auflagen und deren Überwachung ergibt sich, wie Art. 136 Abs. 3 AEUV zum Ausdruck bringt, aus der Notwendigkeit , dass der Normzweck des Art. 125 AEUV – für die Mitgliedstaaten durch ihren Eigenstand am Markt Anreize für eine solide Haushaltspolitik zu schaffen32 – durch den finanziellen Beistand des ESM nicht umgangen werden darf. Um negative Anreizwirkungen auszuschließen, die dem Normzweck des Art. 125 Abs. 1 AEUV zuwider laufen, muss der Beistand mit strengen Auflagen verknüpft werden, die den betreffenden Mitgliedstaat auch in der Beistandssituation durch wirksame Kontrollen dazu veranlassen, eine solide Haushaltspolitik zu verfolgen.33 4. Folgerungen für die künftige Beteiligung der EZB im Rahmen der VO (EG) Nr. 472/2013 Ergänzend ist anzumerken, dass eine Handlungsbeschränkung der EZB bei Aktivierung des OMT-Programms nicht nur Folgen für die Rolle der EZB im ESM hätte. Eine Handlungsbeschränkung der EZB wirkten sich insbesondere auch auf deren Verpflichtungen gemäß Art. 3 Abs. 5 UAbs. 1, Art. 6 UAbs. 1, Art. 7 Abs. 1 UAbs. 1, Abs. 4, 5, 7 UAbs. 3, Art. 9, Art. 14 Abs. 3 UAbs. 1 32 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 135 33 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 143. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 19/15 Seite 11 der Verordnung (EG) Nr. 472/201334 aus, die in unmittelbarer Beziehung zu den ESM- oder EFSF- Programmen stehen: Ersucht ein Mitgliedstaat einen oder mehrere andere Mitgliedstaaten oder Drittländer, den EFSM, den ESM, die EFSF oder den IWF um Finanzhilfe, erarbeitet er gemäß Art. 7 Abs. 1 UAbs. 1 Verordnung (EG) Nr. 472/2013 in Übereinstimmung mit der Kommission, die im Benehmen mit der EZB und gegebenenfalls dem IWF handelt, einen Entwurf eines makroökonomischen Anpassungsprogramms. Die von dem betreffenden Mitgliedstaat bei der Durchführung des Programms erzielten Fortschritte werden gemäß Art. 7 Abs. 4 UAbs. 1 Verordnung (EG) Nr. 472/2013 von der Kommission im Benehmen mit der EZB und gegebenenfalls mit dem IWF überwacht.35 Ergänzend hierzu soll der betreffende Mitgliedstaat gemäß Art. 9 Verordnung (EG) Nr. 472/2013 in enger Zusammenarbeit mit der Kommission und im Benehmen mit der EZB und gegebenenfalls dem IWF Maßnahmen zur Steigerung seiner Steuereinnahmen ergreifen, durch die die Kapazitäten zur Steuererhebung effizienter und wirksamer gemacht sowie Steuerbetrug und Steuerhinterziehung bekämpft werden. Schließlich wird die EZB durch die Verordnung (EG) Nr. 472/2013 auch in die Überwachung nach Abschluss des Anpassungsprogramms einbezogen: Gemäß Art. 14 Abs. 3 UAbs. 1 Verordnung (EG) Nr. 472/2013 führt die Kommission im Benehmen mit der EZB in den Mitgliedstaaten, die nach Abschluss des Anpassungsprogramms einer Überwachung unterliegen, regelmäßige Überprüfungsmissionen durch, um deren wirtschaftliche, haushaltspolitische und finanzielle Lage zu bewerten. Überträgt man das Erfordernis einer engen Auslegung im Rahmen des ESM auf die Aufgaben gemäß der Verordnung (EG) Nr. 472/2013, so reduzierten sich die Mitwirkungsbefugnisse der EZB im Wege einer primärrechtskonformen Auslegung des Sekundärrechts auch im Rahmen der Verordnung auf bloße Informations- und Anhörungsrechte. - Fachbereich Europa - 34 Verordnung (EG) Nr. 472/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über den Ausbau der wirtschafts- und haushaltspolitischen Überwachung von Mitgliedstaaten im Euro-Währungsgebiet, die von gravierenden Schwierigkeiten in Bezug auf ihre finanzielle Stabilität betroffen oder bedroht sind, ABl. L 140/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013R0472&qid=1423740288650&from=DE. 35 Vgl. hierzu beispielsweise den Durchführungsbeschluss 2013/463/EU des Rates vom 13. September 2013 zur Genehmigung des makroökonomischen Anpassungsprogramms für Zypern und zur Aufhebung des Beschlusses 2013/236/EU, ABl. L 250/40, zuletzt geändert durch den Durchführungsbeschluss 2014/169/EU des Rates vom 24. März 2014 zur Änderung des Durchführungsbeschlusses 2013/463/EU zur Genehmigung des makroökonomischen Anpassungsprogramms für Zypern, ABl. L 91/40, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02013D0463-20140327&qid=1423669513872&from=DE.