© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 018/20 Unionsrechtliche Anforderungen an die Direktvergabe eines Auftrags zum Betrieb einer die Grenzen einzelner Bundesländer überschreitenden S-Bahn an ein öffentliches Unternehmen unter Beteiligung eines bundeseigenen Unternehmens Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/20 Seite 2 Unionsrechtliche Anforderungen an die Direktvergabe eines Auftrags zum Betrieb einer die Grenzen einzelner Bundesländer überschreitenden S-Bahn an ein öffentliches Unternehmen unter Beteiligung eines bundeseigenen Unternehmens Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 018/20 Abschluss der Arbeit: 16. März 2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Unionsrechtliche Anforderungen 4 2.1. Hinreichende Kontrolle 4 2.2. Räumliche Begrenzung 6 2.3. Örtliche Behörde 6 3. Ergebnis 6 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/20 Seite 4 1. Einleitung Der Fachbereich hat in einer Ausarbeitung die unionsrechtlichen Anforderungen an die Direktvergabe eines Auftrags zum Betrieb einer die Grenzen einzelner Bundesländer überschreitenden S-Bahn an ein öffentliches Unternehmen dargestellt (PE 6 - 3000 - 114/19). In diesem Zusammenhang wird der Fachbereich um ergänzende Hinweise gebeten, inwieweit an einem grundsätzlich im Eigentum der betreffenden Bundesländer stehenden öffentlichen Unternehmen auch die Deutsche Bahn AG als bundeseigenes Unternehmen beteiligt sein könnte, ohne dadurch die Möglichkeiten der beteiligten Bundesländer zur Direktvergabe von Aufträgen über Schienenpersonenverkehrsdienste auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 2 Verordnung 1370/20071 an dieses Unternehmen, den sog. internen Betreiber, einzuschränken. 2. Unionsrechtliche Anforderungen Im Falle der Beteiligung eines bundeseigenen Unternehmens an dem internen Betreiber2 von Schienenpersonenverkehrsdiensten wären insbesondere die Anforderung einer hinreichenden Kontrolle gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. a Verordnung 1370/2007 (näher hierzu unter 2.1.) sowie der räumlichen Begrenzung seiner Tätigkeit gemäß Art. 5 Abs. 2 UAbs. 3 Buchst. b Verordnung 1370/2007 (näher hierzu unter 2.2.) sicherzustellen. Darüber hinaus dürfte auch nicht die Vorschrift in Art. 5 Abs. 2 UAbs. 2 Verordnung 1370/2007 entgegenstehen, wonach auch eine Gruppe von Behörden ausschließlich aus zuständigen örtlichen Behörden bestehen darf, deren geografischer Zuständigkeitsbereich sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt (näher hierzu unter 2.3.). 2.1. Hinreichende Kontrolle Zunächst wäre insbesondere sicherzustellen, dass die zuständigen örtlichen Behörden der beteiligten Länder, ungeachtet der Beteiligung eines anderen (bundeseigenen) Unternehmens, eine den Anforderungen des Art. 5 Abs. 2 Verordnung 1370/2007 entsprechende Kontrolle über den internen Betreiber ausüben. Nach Art. 5 Abs. 2 UAbs. 2 Verordnung 1370/2007 setzt dies voraus, dass die zuständige Behörde (bzw. Gruppe von Behörden) „eine Kontrolle ausübt, die der Kontrolle über ihre eigenen Dienststellen entspricht“. Art. 5 Abs. 2 UAbs. 3 Buchst. a Verordnung 1370/2007 konkretisiert diese Voraussetzung: „Um festzustellen, ob die zuständige örtliche Behörde diese Kontrolle ausübt, sind Faktoren zu berücksichtigen, wie der Umfang der Vertretung in Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremien, diesbezügliche Bestimmungen in der Satzung, Eigentumsrechte, tatsächlicher Einfluss auf und tatsächliche Kontrolle über strategische Entscheidungen und einzelne Managemententscheidungen. Im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht ist zur 1 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates. 2 Vgl. Art. 2 Buchst. j und insbesondere Art. 5 Abs. 2 Buchst. b Verordnung 1370/2007. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/20 Seite 5 Feststellung, dass eine Kontrolle im Sinne dieses Absatzes gegeben ist, — insbesondere bei öffentlich-privaten Partnerschaften — nicht zwingend erforderlich, dass die zuständige Behörde zu 100 % Eigentümer ist, sofern ein beherrschender öffentlicher Einfluss besteht und aufgrund anderer Kriterien festgestellt werden kann, dass eine Kontrolle ausgeübt wird.“ (Unterstreichung hinzugefügt) Maßgeblich sind hiernach die tatsächlichen Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten über strategische Entscheidungen und einzelne Managemententscheidungen des internen Betreibers, wobei es nicht zwingend erforderlich ist, dass die zuständige Behörde zu 100 % Eigentümer ist. Die Beteiligung eines anderen (bundeseigenen) Unternehmens ist demzufolge unschädlich, sofern hinreichende Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten der zuständigen Behörde bzw. Gruppe von Behörden dadurch nicht infrage gestellt wird. Für die Beurteilung, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, kommt es maßgeblich auf die gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen den Auftraggebern (hier den beteiligten Ländern) und dem zu beauftragendem Unternehmen (hier dem internen Betreiber) im Einzelfall an.3 Welche allgemeinen Anforderungen sich mit Blick auf die verschiedenen denkbaren Rechtsformen eines internen Betreibers ergeben, ist in der Literatur ausführlich dargestellt.4 Die Rechtsform einer GmbH dürfte in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse sein. Aufgrund der bei dieser Rechtsform bestehenden weitreichenden Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf die Rechte der Gesellschafter (sog. Satzungsautonomie gemäß § 45 Abs. 1 GmbHG5) dürfte das Bestehen hinreichender Einfluss- und Kontrollmöglichkeit der zuständigen Behörde bzw. Gruppe von Behörden auf den internen Betreiber im Einzelfall nicht allgemein anhand eines feststehenden prozentualen Gesellschaftsanteils zu bestimmen sein. Hierfür dürfte es vielmehr maßgeblich auf die im Gesellschaftsvertrag konkret festgelegten Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten der Gesellschafter auf die Geschäftsführung und den Aufsichtsrat der Gesellschaft ankommen , etwa im Hinblick auf die Voraussetzungen für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer und für die Ausübung von Weisungsrechten gegenüber der Geschäftsführung sowie das Bestehen von Zustimmungserfordernissen für besondere Geschäfte.6 3 Vgl. Voll, in: BeckOK Vergaberecht, Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, 14. Edition, Stand: 31.01.2018, § 108 GWB, Rn. 12. 4 Vgl. nur Linke/Pünder, in: Linke, VO (EG) 1370/2007, 2. Aufl. 2019, Art. 5 Rn. 87-112. 5 Näher hierzu Schindler, in: BeckOK GmbHG, Ziemons/Jaeger/Pöschke, 41. Edition, Stand: 01.11.2019, § 45 GmbHG, Rn. 1. 6 Vgl. exemplarisch den Fall einer Direktvergabe des Bundes an eine GmbH, an der zu 75,1% der Bund und zu 24,9% eine Aktiengesellschaft beteiligt war, deren Anteile wiederum zu 100% vom Bund gehalten wurden. Das Vorliegen hinreichender Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten begründete die damit befasste Vergabekammer ausführlich unter Verweis auf die konkreten Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages, siehe BKartA Bonn, Beschluss vom 18. Mai 2016 – VK 1 - 18/16 –, juris, Rn. 72-74; nachgehend OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02. November 2016 – VII-Verg 23/16 –, juris. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/20 Seite 6 2.2. Räumliche Begrenzung Des Weiteren wäre gemäß Art. 5 Abs. 2 UAbs. 3 Buchst. b Verordnung 1370/2007 sicherzustellen, „dass der interne Betreiber und jede andere Einheit, auf die dieser Betreiber einen auch nur geringfügigen Einfluss ausübt, ihre öffentlichen Personenverkehrsdienste innerhalb des Zuständigkeitsgebiets der zuständigen örtlichen Behörde ausführen — ungeachtet der abgehenden Linien oder sonstiger Teildienste, die in das Zuständigkeitsgebiet benachbarter zuständiger örtlicher Behörden führen — und nicht an außerhalb des Zuständigkeitsgebiets der zuständigen örtlichen Behörde organisierten wettbewerblichen Vergabeverfahren für die Erbringung von öffentlichen Personenverkehrsdiensten teilnehmen“. 2.3. Örtliche Behörde Schließlich ist zu klären, ob die Beteiligung eines bundeseigenen Unternehmens an dem internen Betreiber eines öffentlichen Schienenpersonenverkehrsdienstes nicht möglicherweise gegen die Anforderung in Art. 5 Abs. 2 UAbs. 2 Verordnung 1370/2007 verstieße, wonach eine „Gruppe von Behörden ausschließlich aus zuständigen örtlichen Behörden bestehen [kann], deren geografischer Zuständigkeitsbereich sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt“. Denn durch die Beteiligung eines bundeseigenen Unternehmens stünde der interne Betreiber mittelbar auch unter dem Einfluss einer bundesweit zuständigen Behörde. Wie in UAbs. 1 der Anforderungen in Art. 5 Abs. 2 Verordnung 1370/2007 zum Ausdruck kommt, bezieht sich die Anforderung in UAbs. 2 dieser Bestimmung jedoch lediglich auf die auftraggebenden Behörden. Es geht somit ausschließlich um diejenigen Behörden, die sich dafür entscheiden, einen in ihrem Zuständigkeitsbereich zu erbringenden Personenverkehrsdienst an eine rechtlich getrennte Einheit, den internen Betreiber, direkt zu vergeben. Der sich aus der Beteiligung eines bundeseigenen Unternehmens ergebende mittelbare Einfluss einer Bundesbehörde auf den internen Betreiber dürfte hierbei unbeachtlich sein, sofern diese nicht zugleich als Auftraggeber an der Direktvergabe beteiligt ist. Rechtsprechung des EuGH liegt hierzu jedoch, soweit ersichtlich, nicht vor. 3. Ergebnis Nach Art. 5 Abs. 2 Verordnung 1370/2007 können sich die zuständigen örtlichen Behörden einzelner Bundesländer entscheiden, einen Auftrag zum Betrieb einer S-Bahn an ein öffentliches Unternehmen direkt zu vergeben, wenn sie über diesen sog. internen Betreiber eine Kontrolle ausüben, die der Kontrolle über ihre eigenen Dienststellen entspricht. Unter Wahrung dieser Voraussetzung wäre eine Beteiligung der Deutsche Bahn AG als bundeseigenes Unternehmen an einem solchen internen Betreiber grundsätzlich möglich. Für die Beurteilung, ob die betreffenden Länderbehörden eine hinreichende Kontrolle ausüben, kommt es auf ihre gesellschaftsrechtliche Stellung in Bezug auf den internen Betreiber im Einzelfall an. Dies ist von der gewählten Rechtsform abhängig. Im Falle einer GmbH dürfte es aufgrund der bei dieser Rechtsform bestehenden weitreichenden Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf die Rechte der Gesellschafter maßgeblich auf die im Gesellschaftsvertrag konkret festgelegten Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten ankommen und dürfte somit nicht allgemein anhand eines feststehenden prozentualen Gesellschaftsanteils zu bestimmen sein. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/20 Seite 7 Des Weiteren wäre gemäß Art. 5 Abs. 2 UAbs. 3 Buchst. b Verordnung 1370/2007 sicherzustellen, dass der interne Betreiber und jede andere Einheit, auf die dieser Betreiber einen auch nur geringfügigen Einfluss ausübt, ihre öffentlichen Personenverkehrsdienste ausschließlich innerhalb des Zuständigkeitsgebiets der betreffenden zuständigen örtlichen Behörde ausführen und nicht an außerhalb ihres Zuständigkeitsgebiets organisierten wettbewerblichen Vergabeverfahren für die Erbringung von öffentlichen Personenverkehrsdiensten teilnehmen. Schließlich dürfte davon auszugehen sein, dass die Vorschrift in Art. 5 Abs. 2 UAbs. 2 Verordnung 1370/2007 der bloßen Beteiligung eines bundeseigenen Unternehmens an einem internen Betreiber nicht entgegensteht. - Fachbereich Europa -