© 2019 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 018/19 Beihilferelevanz von Entlastungsinstrumenten für energieintensive Unternehmen nach Beendigung der Kohleverstromung Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/19 Seite 2 Beihilferelevanz von Entlastungsinstrumenten für energieintensive Unternehmen nach Beendigung der Kohleverstromung Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 018/19 Abschluss der Arbeit: 28.02.2019 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Überblick über das Beihilferecht 4 2.1. Materielles Beihilferecht 4 2.2. Beihilfeverfahren 5 2.2.1. Vorabnotifizierung und Beihilfeverfahren 6 2.2.2. Freistellung von der Notifizierung und ex-post-Kontrolle 7 3. Beihilfenrelevanz geplanter Entlastungsinstrumente für energieintensive Unternehmen 7 3.1. Zum Beihilfentatbestand nach Art. 107 Abs. 1 AEUV 8 3.1.1. Begünstigung 8 3.1.2. Vorliegen von staatlichen Mitteln 9 3.1.3. Weitere Tatbestandsmerkmale 11 3.1.4. Zwischenergebnis 12 3.2. Zum Rechtfertigungstatbestand des Art. 107 Abs. 3 AEUV 12 3.2.1. Rechtfertigung anhand der Vereinbarkeitskriterien der Leitlinien 12 3.2.2. Rechtfertigung anhand des Art. 107 Abs. 3 AEUV 14 3.2.3. Zwischenergebnis 16 3.3. Fazit 16 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/19 Seite 4 1. Fragestellung Die am 6. Juni 2018 von der Bundesregierung eingesetzte Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“1 (im Folgenden: Kohlekommission) geht in ihrem Abschlussbericht vom Januar 2019 von einem Anstieg der Börsenstrompreise für die kommenden Jahre durch die politisch beschleunigte Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung aus, die sich insbesondere negativ auf energieintensive Unternehmen auswirken kann.2 Zusätzlich zur Einführung von preisreduzierenden Maßnahmen zu Gunsten aller Stromverbraucher wird angeregt, dass sich die Bundesregierung für Entlastungsinstrumente einsetzen soll, die energieintensive Unternehmen von der Preissteigerung entlasten. Konkrete Maßnahmen werden seitens der Kommission nicht vorgeschlagen. Der Fachbereich Europa wird vor diesem Hintergrund um Prüfung ersucht, ob etwaige Entlastungsinstrumente für energieintensive Unternehmen mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar sein können. Zum europäischen Wettbewerbsrecht gehören zum einen das Kartell- und Fusionsrecht nach Art. 101 ff. AEUV, welches die Vereinbarkeit von unternehmerischem Verhalten mit dem Binnenmarkt (Unternehmensvereinbarungen bzw. -zusammenschlüsse) zum Gegenstand hat. Zum anderen ist das Beihilferecht nach Art. 107 ff. AEUV Bestandteil dieses Politikbereichs. Dieses adressiert staatliche Eingriffe finanzieller Natur in den unternehmerischen Wettbewerb. Im vorliegenden Fall ist letzteres einschlägig, da es um Entlastungen für Unternehmen geht, die durch den Staat eingeführt werden sollen. Die nachfolgende Prüfung erfolgt daher ausschließlich anhand des Beihilferechts.3 Im Folgenden wird zunächst ein kurzer Überblick über dieses Rechtsgebiet gegeben (2.). Sodann wird die Beihilferelevanz angeregter Entlastungsmechanismen anhand der bestehenden Kommissionspraxis zur Begrenzung der EEG-Umlage und zu der Befreiung von Netzentgelten betrachtet (3.). 2. Überblick über das Beihilferecht Das Beihilferecht lässt sich in materielle (2.1.) und formal-verfahrensrechtliche Bestimmungen (2.2.) aufteilen. 2.1. Materielles Beihilferecht Den materiellen Kern des Beihilferechts bildet das an die Mitgliedstaaten gerichtete grundsätzliche Verbot staatlicher Beihilfen. Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche oder aus staatlichen 1 Siehe Einsetzungsbeschluss der Bundesregierung. 2 Vgl. Kommission „Wachstum; Strukturwandel und Beschäftigung“, Abschlussbericht, Stand Januar 2019, Punkt 4.2 (im Folgenden: „Abschlussbericht“). 3 Das Kartellrecht ist vorliegend nicht einschlägig, da es sich bei den geplanten Instrumenten um staatlich koordinierte Maßnahmen und keine privatrechtlichen Unternehmensvereinbarungen handelt. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/19 Seite 5 Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Diesem Normtext werden mehrere Merkmale entnommen, die kumulativ erfüllt sein müssen, um von dem Vorliegen einer Beihilfe ausgehen zu können: Neben der aus staatlichen Mitteln gewährten Begünstigung an Unternehmen gehören hierzu die Selektivität (Begünstigung nur bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige), die Wettbewerbsverfälschung und die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels.4 Fehlt es nur an einem der Merkmale, so liegt keine Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV vor und das EU-Beihilferecht findet keine Anwendung .5 Sind die Merkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV hingegen erfüllt, so ist dies nicht gleichbedeutend mit einer Unionsrechtswidrigkeit der betreffenden nationalen Maßnahme. Denn das in dieser Vertragsvorschrift geregelte Beihilfeverbot gilt nicht absolut, sondern nur insoweit, als in den Verträgen nichts anderes bestimmt ist. Zu diesen „anderen Bestimmungen“ zählt vor allem Art. 107 Abs. 3 AEUV und die dort aufgeführten Fallgruppen.6 Danach können Beihilfen unter bestimmten Voraussetzungen als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen und insoweit gerechtfertigt bzw. als unionsrechtlich zulässig angesehen werden. 2.2. Beihilfeverfahren Der Vollzug des Beihilferechts obliegt auf Grundlage von Art. 108 AEUV vor allem der Kommission .7 In verfahrenstechnischer Hinsicht sind dabei zwei Ansätze zu unterscheiden: eine primärrechtlich vorgesehene ex-ante-Prüfung (siehe unter 2.2.1.) und eine sekundärrechtlich geprägte ex-post-Kontrolle (siehe unter 2.2.2.). 4 Siehe zu den einzelnen Merkmalen und der dazu ergangenen Rechtsprechung die sog. Beihilfemitteilung der Kommission: Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl.EU 2016 Nr. C 262/1 (letztmaliger Abruf unter 04.03.19). In dieser Mitteilung erläutert die Kommission unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH die einzelnen Merkmale des Beihilfetatbestandes. 5 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Rn. 74, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 6 Weitere primärrechtliche Vorschriften in diesem Zusammenhang sind Art. 107 Abs. 2 AEUV (zwingende Legalausnahmen ) oder Art. 106 Abs. 2 AEUV für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben. 7 Zu den wenigen, zum Teil auf Ausnahmesituationen beschränkten Kompetenzen des Rates im EU-Beihilfenrecht nach Art. 107 Abs. 3 Buchst. e, Art. 108 Abs. 2 UAbs. 3 sowie Art. 109 AEUV, vgl. allgemein, Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3: Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1224 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/19 Seite 6 2.2.1. Vorabnotifizierung und Beihilfeverfahren Nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV sowie der sekundärrechtlichen Konkretisierung dieser Bestimmungen in Gestalt der Beihilfeverfahrensordnung (Beihilfe-VerfO)8 können mitgliedstaatliche Vorhaben zum einen vorab (präventiv) überprüft werden. Verfahrensrechtlicher Ausgangspunkt ist hierbei die Pflicht der Mitgliedstaaten, Beihilfen vor ihrer Einführung bei der Kommission anzumelden (Notifizierungspflicht, vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV9). Diese prüft sodann, ob eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt und – wenn das der Fall ist – ob sie insbesondere nach Art. 107 Abs. 3 AEUV gerechtfertigt werden kann.10 Erst im Anschluss hieran darf der betreffende Mitgliedstaat die Beihilfe gewähren (sog. Durchführungsverbot, vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV11). Von hoher praktischer Bedeutung sind an dieser Stelle zahlreiche Sekundärrechtsakte, in denen die Kommission einerseits ihre Ermessenspraxis u. a. zur Auslegung des Art. 107 Abs. 3 AEUV und andererseits die beihilferechtliche Rechtsprechung der Unionsgerichte zum Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV verschriftlicht hat, um die Rechtssicherheit (Vorhersehbarkeit) und Transparenz ihres Entscheidungsprozesses zu erhöhen.12 Zu diesen Rechtsakten gehören überwiegend nicht verbindliche Maßnahmen, die – ähnlich wie nationale Verwaltungsvorschriften – zumindest eine Selbstbindung der Kommission begründen.13 Diese nichtverbindlichen Maßnahmen werden in Form von (zum Teil bereichsspezifischen) Leitlinien, Unionsrahmen und Mitteilungen14 erlassen. Beziehen sich die unverbindlichen Vorschriften auf die Rechtfertigungstatbestände etwa des Art. 107 Abs. 3 AEUV, gewährleistet die Einhaltung der in den Vorschriften enthaltenen Vorgaben in der Regel einen positiven Ausgang des Beihilfeverfahrens. Zu erwähnen ist für die tatbestandliche Seite des Art. 107 Abs. 1 AEUV die im Jahr 2016 erlassene sog. Beihilfemitteilung, in welcher die Kommission den Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV anhand der bisherigen Rechtsprechung erläutert.15 8 Verordnung (EU) Nr. 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 AEUV, ABl.EU 2015 Nr. L 248/9 (letztmaliger Abruf am 04.03.19). 9 Vgl. auch Art. 2 Abs. 1 Beihilfe-VerfO (Fn. 8). 10 Vgl. auch Art. 4, 6, 7 Beihilfe-VerfO (Fn. 8). 11 Vgl. auch Art. 3 Beihilfe-VerfO (Fn. 8). 12 Cremer, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 107 AEUV, Rn. 4. 13 Vgl. bspw. EuGH, Urt. v. 5.10.2000, Rs. C-288/96 (Deutschland/Deutschland), Rn. 62; EuGH, Urt. v. 7.03.2002, Rs. C-310/99 (Italien/Kommission), Rn. 52. 14 Ein Gesamtüberblick über die verschiedenen Rechtsakte findet sich auf den Seiten der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission (Stand vom 15.04.2014, letztmaliger Abruf am 04.03.19). Zur Frage der Rechtsverbindlichkeit der ermessenskonkretisierenden Kommissionsakte, vgl. Frenz (Fn. 7), Rn. 747 ff. 15 Siehe oben Fn. 4. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/19 Seite 7 Im Hinblick auf die Rechtfertigungsebene ist im vorliegenden Kontext auf die Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen16 zu verweisen. 2.2.2. Freistellung von der Notifizierung und ex-post-Kontrolle Neben der primärrechtlich vorgegebenen (präventiven) ex-ante Kontrolle eröffnet das Primärrecht die Möglichkeit, Beihilfen auch ohne vorherige Anmeldung und Kommissionsüberprüfung zu gewähren, soweit bestimmte vorab bekannte materielle und formale Anforderungen eingehalten werden.17 Diese Anforderungen ergeben sich v. a. aus sog. Freistellungsverordnungen, die die Kommission u. a. auf Grundlage von Art. 108 Abs. 4 AEUV in Verbindung mit einer sie dazu ermächtigenden Verordnung des Rates im Sinne des Art. 109 AEUV erlassen kann.18 Bei Einhaltung der jeweiligen Vorgaben werden die Mitgliedstaaten von der Pflicht zur (vorherigen) Notifizierung des Beihilfevorhabens und seiner Vorab-Kontrolle nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV freigestellt . Die Kommission kann die ihr gleichwohl anzuzeigende Gewährung solcher Beihilfen jedoch nachträglich kontrollieren. 3. Beihilfenrelevanz geplanter Entlastungsinstrumente für energieintensive Unternehmen Begleitende Maßnahmen zur Preisreduzierung zugunsten energieintensiver Unternehmen seien nach Ansicht der Kohlekommission erforderlich, um die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Industrien zu sichern und ihnen eine regulatorische Planungssicherheit an die Hand zu geben.19 Unter energieintensiven Unternehmen versteht die Kohlekommission im Gleichlauf mit der Begriffsdefinition des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) die Sektoren Stahl, Chemie und die Nichteisen-Metalle Glas, Zement, Kalk und Papier und damit Industrien am Anfang der Wertschöpfung .20 Die Idee einer Entlastung energieintensiver Unternehmen von den Stromkosten durch Befreiungen und Ausnahmevorschriften ist dem deutschen Energierecht nicht fremd. Die EU-Kommission 16 Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen, Mitteilung der Kommission, ABl.EU 2014 Nr. C 200/1 (letztmaliger Abruf am 04.03.19). 17 Dieser Bereich des Beihilferechts wurde im Zuge der 2014 durchgeführten Beihilferechtsreform („State Aid Modernisation “) ausgebaut, vgl. Soltész, Das neue europäische Beihilferecht, NJW 2014, S. 3128 (3130). 18 Bei der Verordnung des Rates auf Grundlage von Art. 109 AEUV handelt es sich um die Verordnung (EU) 2015/1588 des Rates vom 13. Juli 2015 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen, ABl.EU 2015 Nr. L 248/1, (letztmaliger Abruf am 04.03.19). 19 Vgl. Abschlussbericht Punkt 4.2. 20 Vgl. Abschlussbericht Punkt 3.2.3. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/19 Seite 8 hat in diesem Zusammenhang sowohl die Begrenzung der EEG-Umlage als auch die Netzentgeltbefreiung geprüft, beide Maßnahmen als Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV eingeordnet und zum Teil als unvereinbar mit dem Binnenmarkt erklärt.21 Gegen die Feststellung des Beihilfencharakters der Begrenzung der EEG-Umlage hat die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen einer Nichtigkeitsklage Rechtsmittel bei dem Gericht der Europäischen Union (EuG) eingelegt. Das EuG hat am 10. Mai 2016 die Einordnung als staatliche Beihilfe bestätigt und die Klage Deutschlands abgewiesen.22 Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu dem dagegen eingelegten Rechtsmittel steht noch aus.23 Im Folgenden werden anhand der Rechtsauffassung der Kommission zu diesen Entlastungsmaßnahmen die für den Beihilfentatbestand im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV relevanten Aspekte erörtert (3.1.). Anschließend wird auf die Punkte eingegangen, die im Rahmen der Rechtfertigung dieser Maßnahmen entscheidend waren (3.2). Dabei wird jeweils auch untersucht, welche Schlussfolgerung sich daraus für die angeregten zukünftigen Entlastungsinstrumente ziehen lassen . 3.1. Zum Beihilfentatbestand nach Art. 107 Abs. 1 AEUV Sowohl bei der EEG-Umlagebegrenzung als auch bei der Netzentgeltbefreiung standen in Bezug auf den Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV zwei Beihilfemerkmale im Fokus, die auch mit Blick auf die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Strompreisentlastung energieintensiver Unternehmen eine Rolle spielen dürften: das Vorliegen einer Begünstigung (3.1.1) und ihre Gewährung aus staatlichen Mitteln (3.1.2). Die übrigen Beihilfemerkmale spiel(t)en hingegen keine besondere Rolle (3.1.3.). 3.1.1. Begünstigung Unter dem Begriff der Begünstigung bzw. eines entsprechenden finanziellen Vorteils im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV fallen nach ständiger Rechtsprechung des EuGH nicht nur positive 21 Siehe Beschluss (EU) 2015/1585 der Kommission vom 25. November 2014 über die Beihilferegelung SA.33995 (2013/C) (ex 2013/NN) Deutschlands zur Förderung erneuerbaren Stroms und stromintensiver Unternehmen, EU ABl. 2015, L 250/ 122, vgl. auch Pressemitteilung IP/14/2122; im Folgenden „Kommissionsbeschluss EEG“ und Beschluss (EU) 2019/56 der Kommission vom 28. Mai 2018 über die staatliche Beihilfe SA.34045. (2013/C) (ex 2012/NN) Deutschlands für Bandlastverbraucher nach § 19 StromNEV, C (2018) 3166, EU Abl. 2019 L14/1, vgl. auch Pressemitteilung IP/18/3966; im Folgenden: „Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV“. 22 Vgl. EuG, Urt. v. 10.05.2016, Rs. T-47/15 (Deutschland/Kommission). Siehe auch Pressemitteilung des EuG Nr. 49/16. 23 Siehe EuGH, laufende Rechtssache C-405/16 P, Deutschland/Kommission. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/19 Seite 9 Leistungen wie Subventionen, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat, die daher keine Subventionen im eigentlichen Sinn darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen.24 In beiden Beihilfeverfahren stand die letztgenannte Fallkonstellation im Raum. Die Kommission ordnete sowohl die Begrenzung der Umlage zur Finanzierung erneuerbarer Energien (§§ 40 f. EEG 2012, Besondere Ausgleichsregelung „BesAR“)25 als auch die vollständige Befreiung von Netzentgelten (§ 19 Abs. 2 S.2 StromNEV 2011)26 als Begünstigung ein. Beide Maßnahmen stellten aus ihrer Sicht eine Verringerung der normalerweise von den Unternehmen zu tragenden Kosten dar: im Fall der EEG-Umlage in Form des geringeren Umlagebetrages, der im Vergleich zu allen anderen Stromverbrauchern entrichtet werden musste27; im Fall der Netzentgeltbefreiung in der Höhe der individuellen Netzentgelte, die von den Bandlastverbrauchern im Zeitraum von 2012 bis 2013 nicht entrichtet wurden.28 Im Ergebnis wies die Kommission damit auch das Argument Deutschlands im EEG-Verfahren zurück , wonach durch die Begrenzung der EEG-Umlage letztlich nur ein Ausgleich eines Wettbewerbsnachteils gewährt wird, den diese Unternehmen gegenüber Wettbewerben in anderen Mitgliedstaaten mit niedrigen Kosten für die Förderung erneuerbarer Energien zu tragen haben.29 3.1.2. Vorliegen von staatlichen Mitteln Nach ständiger Rechtsprechung erfasst das Merkmal der Staatlichkeit der Mittel solche Vorteile, die unmittelbar vom Staat oder von öffentlichen oder privaten Einrichtungen, die vom Staat zur Durchführung der Maßnahme mit innerstaatlichen Rechtsvorschriften errichtet oder beauftragt 24 Vgl. EuGH, Urt. v. 19. Mai 1999, Rs. C-6/97 (Italien/Kommission), Rn. 15, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 25 „EEG 2012“: verabschiedet am 28. Juli 2011, in Kraft ab 1. Januar 2012; Änderung der BesAR durch das Gesetz zur grundlegenden Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und zur Änderung weiterer Bestimmungen des Energiewirtschaftsrecht vom 21. Juli 2014, siehe Bundesgesetzblatt, Teil I, S. 1066; durch die Kommission genehmigt am 23. Juli 2014, siehe Beschluss der Kommission (Fn. 21), vgl. Pressemitteilung IP/14/867; Zur Funktionsweise und Ausgestaltung der EEG-Umlage siehe die Ausarbeitung des Fachbereichs Europa, PE 6 - 3000 - 23/12 „Die Netzentgeltbefreiung nach StromNEV und das EEG im Lichte des EU-Beihilfenrechts“, Stand 08.04.2013. 26 „StromNEV 2011“: verabschiedet am 26.Juli 2011, rückwirkend Geltung ab dem 1. Januar 2011 galt. § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV 2011 hat festgelegt, dass Letztverbraucher mit einer jährlichen Stromabnahme aus dem Netz von mindestens 7000 Benutzungsstunden und mehr als 10 Gigawattstunden (GWh) von einer vollständigen Befreiung von Netzentgelten Gebrauch machen können. Die Kommission bezeichnet diese Letztverbraucher als Bandlastverbraucher , s. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 17. Die vollständige Befreiung wurde am 1. Januar 2014 durch die Änderung der StromNEV abgeschafft, vgl. Artikel 1 der Verordnung vom 14. August 2013 zur Änderung von Verordnungen auf dem Gebiet des Energiewirtschaftsrechts, BGBl. I S. 3250. 27 Vgl. Kommissionsbeschluss EEG (Fn.21), Rn. 71, 72, 73. 28 Vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 231. 29 Vgl. Kommissionsbeschluss EEG (Fn. 21), Rn. 66, mit weiteren Verweis auf die ständige Rechtsprechung, in denen bestätigt wird, dass die Verringerung von Kosten einen wirtschaftlichen Vorteil darstellt. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/19 Seite 10 wurden, gewährt werden.30 Regelmäßig gehen Beihilfen daher mit einer Belastung des staatlichen Haushalts oder der Haushalte der beauftragten Rechtspersonen einher, ob nun durch Subventionen oder durch Verzicht auf Einnahmen wie etwa Steuern, die normalerweise erzielt werden. Lange Zeit umstritten war hingegen, ob auch die Durchleitung von Finanzmitteln wie insbesondere im Fall der EEG-Umlage, die von den Stromendverbrauchern erhoben und dann letztlich an die Betreiber von Erneuerbare Energien-Anlagen abgeführt wird, ebenfalls unter dieses Beihilfemerkmal subsumiert werden kann. Die Kommission hat dies bejaht. Für die Staatlichkeit der Mittel sei der Umfang der Beteiligung öffentlicher Stellen bei der Festlegung der betreffenden Maßnahmen und ihrer Finanzierungsmodalitäten entscheidend, unabhängig vom Ursprung der Mittel.31 Eine Belastung des staatlichen Haushalts ist damit nach Ansicht der Kommission keine Voraussetzung für die Qualifizierung als staatliches Mittel im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV.32 Ausreichend sei, dass der Staat den Mitteltransfer und den Verwendungszweck über seine Rechtsvorschrift festlegt33 und so über private Stellen eine Durchleitung des Vorteils an die Begünstigten erreicht. Die EEG-Umlage sei daher eine vom Staat eingeführte Umlage gewesen, mit deren Verwaltung die Übertragungsnetzbetreiber von Hoch- und Höchstspannungsnetzen (ÜNB) betraut wurden. Mit der Überwachung durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) und das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) sei eine staatliche Kontrolle der Mittel feststellbar.34 Die dargestellten Maßstäbe führten auch bei der Netzentgeltbefreiung zur Qualifizierung als „aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe“. Die Kommission differenzierte zwischen der vollständigen Netzentgeltbefreiung im Jahr 201135 und der Befreiung in den Jahren 2012 und 2013 nach der 30 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.05.2002, Rs. C-482/99 (Frankreich/Kommission), Rn. 23, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 31 Vgl. Kommissionsbeschluss EEG (Fn. 21), Rn. 102, Vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 125, siehe auch EuGH, Urt. v. 17. Juli 2008, Rs. C-206/06 (Essent Netwerk Norrd u. a.). 32 Vgl. Kommissionsbeschluss EEG (Fn. 21), Rn. 132.; in der Rs. PreussenElektra mussten die Netzbetreiber die Maßnahme aus eigenen Mitteln finanzieren, vgl. EuGH, Urt. v. 13. März 2001, Rs. C-379/98 (PreussenElektra). Eine Ausgestaltung der Entlastungsinstrumente für stromintensive Unternehmen in der Form, dass die Netzbetreiber diese aus eigenen Mitteln finanzieren müssen, dürfte wenig wahrscheinlich sein. Diese Form der Ausgestaltung würde nach den Maßstäben der Kommission nicht zur Einordnung als „aus staatlichen Mitteln gewährt “ führen und damit den Beihilfentatbestand nicht erfüllen. 33 Vgl. Kommissionsbeschluss EEG (Fn. 21), Rn. 137. 34 Vgl. Kommissionsbeschluss EEG (Fn. 21), Punkt 7.1.3, insbesondere gegen die Annahme, dass die Begrenzung der EEG-Umlage aus staatlichen Mitteln gewährt wurde, wendete sich Deutschland im Rahmen der Nichtigkeitsklage vgl. EuG, Urt. v. 10.05.2016, Rs. T-47/15 (Deutschland/Kommission), Rn. 83, 112. 35 Vor der Einführung der § 19-Umlage mussten die VNB und die ÜBN die im Jahr 2011 aufgrund der vollständigen Befreiung entgangenen Defizite aus eigenen Mitteln decken, eine Garantie des Ausgleichs der Mindererlöse bestand nicht. Die Kommission sieht hierin Eigenmittel der Netzbetreiber und verneint den Beihilfetatbestand für die vollständige Befreiung im Jahr 2011, siehe Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 151 - 154. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/19 Seite 11 Einführung der sog. „§ 19- Umlage“.36 Diese Sonderabgabe, mit der die entstandenen Mindererlöse bei den übrigen Letztverbrauchern gegenfinanziert wurden, qualifiziere die vollständige Befreiung nach § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV in den Jahren 2012 und 2013 als aus staatlichen Mitteln herrührend (parafiskalische Abgabe).37 Zur Verwaltung wurden die ÜNB verpflichtet, ohne dass diese frei über die Erlöse aus der Umlage entscheiden konnten.38 3.1.3. Weitere Tatbestandsmerkmale Liegt eine Begünstigung aus staatlichen Mitteln vor, so stellt in der Regel nur noch das Merkmal der Selektivität eine gewisse Hürde für die Annahme einer Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV dar. Sie ist zu bejahen, wenn eine nationale Maßnahme geeignet ist, bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen , die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden.39 Sowohl die EEG-Umlagebegrenzung als auch die Netzentgeltbefreiung ordnete die Kommission als selektiven Vorteil zugunsten der hierdurch begünstigten energieintensiven Unternehmen.40 An die Merkmale der „Wettbewerbsverfälschungen“ und der „Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten“ werden sowohl seitens der Kommission als auch der Rechtsprechung grundsätzlich keine hohen Anforderungen gestellt.41 In den beiden Verfahren wurde hierauf nicht weiter eingegangen.42 36 Die „§ 19-Umlage“ wurde am 14.12.2011 durch die BNetzA verbindlich beschlossen. Den Netzbetreiber war es dadurch möglich, bei den übrigen Letztverbrauchern die Mindererlöse als Umlage zu erheben, vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 35, 135, 136. 37 Vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 128, 145, 147. Schon in der Rs. Essent Netwerk legte die Kommission fest, dass Subventionen, die aus parafiskalischen Abgaben oder vom Staat auferlegten Beiträgen finanziert und gemäß einschlägigen Rechtsvorschriften verwaltet und verteilt werden, staatliche Mittel übertragen werden, selbst vom Staat benannten nichtstaatlichen Organen (den ÜBN) verwaltet werden. 38 Vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 136. 39 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.11.2001, Rs. C-142/99 (Adria-Wien Pipeline GmBH, Wietersdorf & Peggauer Zementwerke GmbH/Finanzlandesdirektion für Kärten), Rn. 41, mit weiteren Nachweise aus der Rechtsprechung. 40 Vgl. Kommissionbeschluss EEG (Fn. 21), Rn. 72, 73, 85, 94 , vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 120f. 41 Vgl. EuGH, Urt. v. 08.05.2013, Rs. C-197/11 und C-203/11 (Libert u. a), Rn. 76,77: Beihilfe muss nur geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, vgl. EuGH, Urt. v. 17.09.1980 Rs. C-730/79 (Phillip Morris), Rn. 11: Staatliche Maßnahmen drohen den Wettbewerb zu verfälschen, wenn sie die Wettbewerbsposition des Empfänger im Vergleich zu seinen Wettbewerbern verbessern könnten. 42 Vgl. Kommissionsbeschluss EEG (Fn.21), Rn. 139, vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 155- 159. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/19 Seite 12 3.1.4. Zwischenergebnis Auch im Hinblick auf die durch die Kohlekommission angeregten Instrumente zur Entlastung der energieintensiven Unternehmen dürfte es für den Beihilfetatbestand nach Art. 107 Abs. 1 AEUV entscheidend darauf ankommen, ob diese Maßnahmen die Merkmale der Begünstigung und der Staatlichkeit der Mittel erfüllen. Soweit die Ausgestaltung dieser Instrumente der EEG-Umlagebegrenzung oder der Netzentgeltbefreiung ähneln, dürfte das der Fall sein. Dies gilt erst recht, wenn die finanzielle Entlastung energieintensiver Unternehmer unmittelbar mit einer Belastung staatlicher Haushalte einhergehen würde. Mangels konkreter Vorschläge lässt sich an dieser Stelle zwar eine weitergehende Beurteilung des Beihilfetatbestandes nicht vornehmen. Es dürfte aber nur schwer möglich sein, die angeregte Entlastung rechtlich so auszugestalten, dass bereits der Beihilfetatbestand zu verneinen wäre. 3.2. Zum Rechtfertigungstatbestand des Art. 107 Abs. 3 AEUV Für künftige Entlastungsinstrumente dürfte es damit entscheidend auf die Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt nach Art. 107 Abs. 3 AEUV43 ankommen. Den Nachweis hierfür muss der Mitgliedstaat erbringen, wobei die Kommissionspraxis hier einen erhöhten Begründungsaufwand erkennen lässt.44 Bei der Rechtfertigungsprüfung orientierte sich die Kommission im Fall der Begrenzung der EEG- Umlage an den Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014-2020 (im Folgenden : Leitlinien).45 Im Fall der Netzentgeltbefreiung erfolgte die Vereinbarkeitsprüfung mangels einschlägigem Tatbestand der Leitlinien letztlich unmittelbar anhand des Primärrechts.46 3.2.1. Rechtfertigung anhand der Vereinbarkeitskriterien der Leitlinien Die Leitlinien konkretisieren die Voraussetzungen für die Vereinbarkeit staatlicher Energiebeihilfen nach Art. 107 Abs. 3 AEUV.47 43 Die Vereinbarkeitsprüfung beschränkt sich auf Art. 107 Abs. 3 AEUV, da Art. 107 Abs. 2 AEUV (Beihilfen sozialer Art, zur Beseitigung von Schäden durch Naturkatastrophen und zum Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile von der Teilung Deutschland) offensichtlich nicht einschlägig ist. 44 Vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 169f. 45 Vgl. Mitteilung der Kommission, Leitlinie für staatliche Umweltschutz-und Energiebeihilfen 2014-2020, EU Abl. C 200/1. 46 Vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 170. 47 Vgl. Mitteilung der Kommission, Leitlinie für staatliche Umweltschutz-und Energiebeihilfen 2014-2020, EU Abl. C 200/1, Rn. 23. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/19 Seite 13 Im Fall der EEG-Umlagebegrenzung griff die Kommission auf den Tatbestand der Beihilfen in Form von Ermäßigungen finanzieller Beiträge zur Förderungen erneuerbaren Energiequellen zurück 48 und gelangte hierüber zu einer teilweisen Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Binnenmarkt .49 Von besonderer Bedeutung war die Leitlinienvorgabe, wonach diese Kategorie zulässiger Beihilfen dazu dienen soll, die Finanzierung der Förderung erneuerbarer Energien zu erleichtern; die zusätzlichen Kosten, die sich in höheren Strompreisen für den Beihilfenempfänger niederschlagen , müssen daher allein auf die finanziellen Beiträge zur Förderung erneuerbarer Energien zurückzuführen sein.50 Im Beschluss zur Netzentgeltbefreiung führte die Kommission zur – im Ergebnis verworfenen – Anwendung der Leitlinien aus, dass „Beihilfen für die Erzeugung von erneuerbaren Energien“ nicht mittelbare Maßnahmen meinen, die durch Befreiungen „einen Anreiz“ geben sollen, an das Netz angeschlossen zu bleiben, damit die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass die Letztverbraucher den erzeugten erneuerbaren Strom auch verbrauchen. 51 Vor diesem Hintergrund dürfte eine Rechtfertigung der von der Kohlekommission anvisierten Maßnahmen am Maßstab der Leitlinien nicht in Betracht kommen. Denn die erwarteten Preisanstiege bei Beendigung der Kohleverstromung sind jedenfalls keine zusätzlichen Kosten, die sich allein mit der Förderung erneuerbarer Energien begründen lassen.52 Vielmehr dürfte es sich hier – ähnlich wie bei der Befreiung von den Netzentgelten – allenfalls um mittelbare Maßnahmen handeln, die für Letztverbraucher einen Anreiz schaffen sollen, den dann ggf. zu einem größeren Maße aus erneuerbaren Energien bestehenden Strom auch zu verbrauchen. Ungeachtet der zweifelhaften materiellen Einschlägigkeit der Leitlinien stellt sich ferner die Frage nach ihrer zeitlichen Anwendbarkeit. Ob und in welcher Form die Leitlinien, die für den Zeitraum von 2014 bis 2020 konzipiert wurden, für die geplanten Preisentlastungen gelten werden , bleibt abzuwarten. Zwar will die Kommission ihre Geltungsdauer bis Ende 2022 verlängern 53, ob und wann die von der Kohlekommission angeregten Entlastungsinstrumente eingeführt 48 Vgl. Mitteilung der Kommission, Leitlinie für staatliche Umweltschutz-und Energiebeihilfen 2014-2020, EU Abl. C 200/1, Punkt 3.7.2, 3.7.3. 49 Vgl. Kommissionsbeschluss EEG (Fn. 21), Rn 167 ff., die Vereinbarkeitsprüfung erfolgt anhand der Randnummern 184, 185, 186, 188, 189 der Leitlinie (Fn. 45), siehe Rn. 190-216, diese Prüfung wird mangels Relevanz nicht dargestellt; die beschlossene Rückforderung erstreckt sich auf die Verringerung der EEG-Umlage für die Jahre 2013 und 2014, siehe Rn. 248 f. 50 Vgl. Mitteilung der Kommission, Leitlinie für staatliche Umweltschutz-und Energiebeihilfen 2014-2020, EU Abl. C 200/1, Rn. 184. 51 So argumentierte Deutschland zur Begründung, dass die Netzentgeltbefreiung zur Förderung erneuerbarer Energien beiträgt, vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 170. 52 Der Rückgang der Kohleverstromung verstärkt nach Ansicht des DIW Wochenbericht Nr. 33/2018 im Energiesystem insgesamt die Nutzung erneuerbarer Energien (S. 707). Ob aber dadurch auch die Preisentlastung vom Kohleausstieg als unmittelbarer und alleiniger Beitrag zur Förderung erneuerbarer Energien angesehen werden kann, ist fraglich. 53 Siehe Europäische Kommission, Pressemitteilung IP/19/182. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/19 Seite 14 werden – in dem Bericht wird der Zeitraum ab 2023 genannt54 – lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehen. 3.2.2. Rechtfertigung anhand des Art. 107 Abs. 3 AEUV Greifen keine Leitlinien oder andere (unverbindliche oder verbindlichen) Sekundärrechtsakte, mit denen die Kommission ihr Ermessen bei der Auslegung insbesondere von Art. 107 Abs. 3 AEUV konkretisiert hat, so können staatliche Beihilfen auch unmittelbar am Maßstab des Primärrechts gerechtfertigt werden. Die Kommission erklärt danach Beihilfemaßnahmen unmittelbar auf Grundlage des Art. 107 Abs. 3 AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar, wenn die staatliche Maßnahme erstens einem klar definierten Ziel von gemeinsamen Interesse dient und zu dessen Erreichung beiträgt, und sie zweitens zur Verwirklichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen ist, Anreizeffekte hat und deren positiven Auswirkungen die negativen Auswirkungen überwiegen.55 Als anerkanntes Ziel von gemeinsamen Interesse im Sinne des Art. 107 Abs. 3 AEUV gelten etwa die Gewährleistung von (Energie-)Versorgungssicherheit und die Förderung erneuerbaren Stroms, wobei aber eindeutig nachgewiesen werden muss, dass die betreffenden Maßnahmen einen direkten Beitrag dazu leisten.56 Im Fall der Netzentgeltbefreiung sah die Kommission den Nachweis seitens Deutschlands, dass der Bandlastverbrauch stromintensiver Unternehmen zur Versorgungssicherheit entscheidend 54 Vgl. Abschlussbericht Punkt 4.2. 55 Vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 168. Dort stützt die Kommission die Vereinbarkeitsprüfung auf Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV, obwohl die Formulierung des Maßstabes dem Wortlaut des Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV ähnelt. Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV zieht die Kommission nicht heran, da Deutschland kein spezifisches und konkretes „Vorhaben“ beschrieben habe, Rn. 167. 56 Im Verfahren musste Deutschland nachweisen, dass die vollständige Netzentgeltbefreiung diesen Beitrag leistet, vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 173, 174. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/19 Seite 15 beitrage, als nicht geführt an.57 Auch konnte die Kommission keinen Zusammenhang mit der Förderung erneuerbarer Energien erkennen.58 Sie stellte im Gegenteil fest, dass die vollständige Befreiung von den Netzentgelten möglicherweise die Kosten der Förderung erneuerbaren Stroms sogar erhöhen könnte.59 Auch einen weiteren Argumentationsansatz Deutschlands lehnte die Kommission ab. Deutschland hatte im Verfahren angeführt, dass durch die Entscheidung, aus der Kernenergie auszusteigen , und durch den damit einhergehenden Preisanstieg Unternehmen aus stromintensiven Branchen im Vergleich zu Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten benachteiligt würden, die erheblich niedrigere Kosten im Zusammenhang mit der Förderung erneuerbarer Energien tragen müssten . Die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen sei mit der vollständigen Befreiung bezweckt .60 Die Kommission wies diesen Ansatz jedoch zurück und stellte fest, dass die Netzentgelte zu den normalen Produktionskosten zählen, die Wettbewerber in anderen Mitgliedstaaten ebenfalls tragen müssten. Die vollständige Befreiung davon schaffe weder gleiche Wettbewerbsbedingungen noch sei sie mit den Kosten der Förderung von erneuerbaren Energien verknüpft.61 Ziele eine Maßnahme auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Beihilfenempfänger ab, liege kein Beitrag zu einem Ziel von gemeinsamen Interesse im Sinne von Art. 107 Abs. 3 AEUV vor.62 Bei der vollständigen Netzentgeltbefreiung kam die Kommission daher zu dem Ergebnis, dass diese nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar sei.63 Vor diesem Hintergrund dürften auch die von der Kohlekommission angemahnten Entlastungsinstrumente nach derzeitiger Rechtslage jedenfalls dann nicht am Maßstab des Art. 107 Abs. 3 AEUV gerechtfertigt werden können, wenn sie – wie im Abschlussbericht der Fall – allein auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Unternehmen sowie der Gewährleistung ihrer Planungssicherheit gestützt werden mit Blick auf den geplanten Ausstieg aus der Kohlverstromung . 57 Vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 183-189. 58 Die Kommission stellt in diesem Beschluss fest, dass die vollständige Befreiung zur widersprüchlichen Ergebnissen geführt habe und möglicherweise die Förderung erneuerbaren Stroms behindern könnte, siehe Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 174. 59 Eine Kostenerhöhung begründet die Kommission damit, dass bei plötzlich nachlassendem Wind oder geringer Sonnenstrahlung kein erneuerbarer Strom verfügbar war und angesichts der fehlenden Flexibilität der Bandlastverbraucher möglicherweise konventionelle Kraftwerke hochgefahren werden mussten, um den Bedarf zu decken . Die fehlende Flexibilität führt die Kommission auf die vollständige Befreiung von den Netzentgelten zurück , siehe Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 181f. 60 Vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 191. 61 Vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 192. 62 Vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 194. 63 Vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 216 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/19 Seite 16 3.2.3. Zwischenergebnis Eine beihilferechtliche Rechtfertigung der von der Kohlekommission angeregten Entlastungsinstrumente dürfte sowohl im Lichte geltender sekundärrechtlicher Maßnahmen als auch unmittelbar am Maßstab des Art. 107 Abs. 3 AEUV in seiner aktuellen Auslegung jedenfalls dann problematisch werden, wenn diese Instrumente ausschließlich mit der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Unternehmen und der Schaffung von Planungssicherheit begründet werden. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Kommission bei Nachweis eines anerkannten gemeinsamen Interesses weiter prüft, ob diese Maßnahmen zur Verwirklichung dieses Ziels verhältnismäßig sind, sie einen Anreizeffekte haben und deren positiven Auswirkungen die negativen Auswirkungen überwiegen.64 3.3. Fazit Die von der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ angeregten Entlastungsinstrumente dürften mit großer Sicherheit den Beihilfentatbestand nach Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen. Wie weit dieser insoweit reicht, veranschaulichen die Beschlüsse der Kommission zur EEG-Umlagebegrenzung sowie zur Netzentgeltbefreiung. Entscheidend dürfte daher sein, ob diese Instrumente im Lichte des Art. 107 Abs. 3 AEUV gerechtfertigt werden können. Allein mit der von der Kohlekommission ins Feld geführten Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit stromintensiver Industrien und der Schaffung von Planungssicherheit für diese dürfte dies im Lichte des geltenden Rechts nicht möglich sein. Ob die Kommission zukünftig einen anderen Maßstab an die Vereinbarkeitsprüfung anlegen wird, sei es in Gestalt neuer Leitlinienvorgaben oder Freistellungsmöglichkeiten, bleibt abzuwarten . Ein Argumentationsansatz könnte dabei möglicherweise der durch den Kohleausstieg geleistete Beitrag zur Erreichung der Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen sein. Die Union hat sich verpflichtet, bis zum Jahr 2030 mindestens einen Anteil von 32 % erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch zu erreichen und die Treibhausgasemissionen um mindestens 40 % gegenüber den Werten von 1990 zu reduzieren (siehe dazu „clean energy for all Europeans “65). Von den materiellen Maßstäben, die zum Zeitpunkt einer eventuellen Einführung der angeregten Instrumente gelten werden, dürfte schließlich auch das einschlägige Beihilfeverfahren abhängen. Soweit ggf. neue Freistellungstatbestände nicht einschlägig sein werden, wird nur der Weg über 64 Vgl. Kommissionsbeschluss § 19 StromNEV (Fn. 21), Rn. 168, 190; diese Prüfung erfolgt im Beschluss nur hilfsweise unter der Annahme, dass die vollständige Netzentgeltbefreiung zur Versorgungssicherheit oder indirekt zum Ausbau erneuerbarer Energien beitrage und damit ein Ziel von gemeinsamem Interesse verfolge. 65 Siehe hierzu das Legislativvorhaben der Kommission, clean energy for all Europeans (Stand.. 27.02.19), vgl. auch Kommission, Reflexionspapier auf dem Weg zu einem nachhaltigen Europa 2030, Punkt 3.1.3, S. 25 (Stand: 30.01.2019), auf eine befürwortende Haltung der Kommission zum Verzicht auf fossile Energieträger deuten auch Formulierungen wie „Die EU kann ihre kostspielige Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen deutlich verringern.“, siehe S. 25. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 018/19 Seite 17 eine Notifizierung der Maßnahmen bei der Kommission und ein sich anschließendes (ex-ante) Beihilfeverfahren bleiben. – Fachbereich Europa –