© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 – 3000 – 017/20 Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/957 Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 2 Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/957 Aktenzeichen: PE 6 – 3000 – 017/20 Abschluss der Arbeit: 07.04.2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Anforderungen an die Umsetzung von EU-Richtlinien 4 3. Gegenstand und Ziel der Entsenderichtlinie 5 4. Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/957 6 4.1. Zum Begriff der „Entlohnung“ 6 4.1.1. Vorgaben des Gesetzesentwurfs sowie der RL 2018/957 6 4.1.2. Richtlinienkonforme Umsetzung 8 4.1.2.1. „Mindestentgeltsätze“ und „darüber hinaus gehende Entlohnungsbestandteile“ 8 4.1.2.1.1. Auswirkungen der Differenzierung (§§ 7, 7a AEntG n. F.) 8 4.1.2.1.2. Vereinbarkeit mit der RL 2018/957 9 4.1.2.2. Beschränkung auf drei Stufen 11 4.2. Zur Unterscheidung von kurzzeitig und längerfristig entsandten Beschäftigten 13 4.2.1. Vorgaben des Gesetzesentwurfs sowie der RL 2018/957 13 4.2.2. Richtlinienkonforme Umsetzung 14 4.3. Zur verbindlichen Geltung allein „bundesweiter Tarifverträge“ 15 4.3.1. Vorgaben des Gesetzesentwurfs sowie der RL 2018/957 15 4.3.2. Richtlinienkonforme Umsetzung 16 4.4. Abweichungsmöglichkeiten der RL 2018/957 18 4.4.1. Abweichungsmöglichkeit in Art. 1 Ziff. 2 lit. d) RL 2018/957 18 4.4.2. Abweichungsmöglichkeit in Art. 1 Ziff. 2 lit. e) RL 2018/957 18 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich Europa ist beauftragt worden, Fragen im Hinblick auf die Vereinbarkeit des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/957 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern (Gesetzesentwurf)1 mit der Richtlinie (EU) 2018/957 (RL 2018/957)2 zu prüfen. Zunächst sollen die allgemeinen Anforderungen an die Umsetzung von EU-Richtlinien dargestellt werden (Ziff. 2.), bevor Gegenstand und Ziel der Richtlinie 96/71/EG (RL 96/71)3 in der Form der RL 2018/957 (gemeinsam „Entsenderichtlinie“) vorgestellt werden (Ziff. 3.). Im Anschluss daran erfolgt die Prüfung der konkreten Fragen der Auftraggeberin (Ziff. 4.). Die Frage, ob die RL 2018/957 selbst europarechtskonform ist oder bspw. Grundfreiheiten verletzt , ist nicht Gegenstand dieser Ausarbeitung.4 2. Anforderungen an die Umsetzung von EU-Richtlinien Die Anforderungen an die Umsetzung von Richtlinien ergeben sich aus Art. 288 Abs. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Richtlinien sind demnach für jeden Mitgliedstaat , an den sie gerichtet sind, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel. Die Mitgliedstaaten sind im Rahmen der Umsetzung verpflichtet, die Formen und Mittel so zu wählen, dass sie sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit (sog. effet utile) der Richtlinien unter Berücksichtigung des mit ihnen verfolgten Zwecks am besten eignen.5 Erforderlich ist insoweit die vollständige Erreichung des Richtlinienziels.6 1 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Bundesrats-Ds. 84/20). 2 RICHTLINIE (EU) 2018/957 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, Abl. EU 2018, L 173/16. 3 RICHTLINIE 96/71/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, Abl. EG 1997, L 18/1. 4 Vgl. insoweit Klage Ungarns vom 2.10.2018 (Rs. C-620/18) sowie Klage Polens vom 3.10.2018 (Rs. C-626/18); vgl. zur Frage der Rechtsgrundlage Klein/Schneider, SR 2019, 21, 23. 5 EuGH, Urteil vom 8.4.1976, Rs. 48/75 (Royer), Slg. 1976, 497, Rn. 69/73. Zum Grundsatz des „effet utile“: EuGH, Urteil vom 15.7.1963, Rs. 34/62 (Kommission/Deutschland), Slg. 1963, 289, 318, siehe dazu erläuternd Streinz, in Streinz: EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 4 EUV, Rn. 33, 6 EuGH, Urteil vom 11.7.2002, Rs. C-62/00 (Marks & Spencer plc/Commissioners of Customs & Excise), Rn. 26 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 5 3. Gegenstand und Ziel der Entsenderichtlinie Mit der RL 96/71 beabsichtigte der Europäische Richtliniengeber grundsätzlich ein Gleichgewicht zwischen einerseits dem Recht der Unternehmen, in Übereinstimmung mit der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV grenzüberschreitende Dienstleistungen anzubieten, und andererseits den Rechten der Arbeitnehmer, die vorübergehend ins Ausland entsandt werden, um diese Dienstleistungen zu erbringen, herzustellen.7 In dem Kommissionsentwurf zur RL 2018/957 (Kommissionsentwurf) weist die Kommission darauf hin, dass durch den Entwurf gegen unlautere Praktiken vorgegangen und der Grundsatz der gleichen Entlohnung für gleiche Arbeit am gleichen Ort gefördert werden soll.8 Folglich zielt die RL 2018/957 gemäß ihres Erwägungsgrundes 4 darauf, dass die Entsendrichtlinie für das „richtige Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit der Förderung der Dienstleistungsfreiheit und der Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen einerseits und zum anderen der Notwendigkeit des Schutzes der Rechte entsandter Arbeitnehmer sorgt.“9 Unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen sind nach Stimmen in der Literatur immer dann festzustellen , wenn aufgrund des anwendbaren Kollisionsrechts grundsätzlich das Recht des Entsendestaats auf die gegenständlichen Arbeitsverhältnisse Anwendung findet. Nach Ansicht von Teilen der Literatur führt dies in den Fällen, in denen Arbeitnehmer aus Mitgliedstaaten mit niedrigeren Standards in Mitgliedstaaten mit höheren Standards entsandt werden, zu Wettbewerbsverzerrungen .10 Andere Stimmen sehen darin jedoch in diesem Umstand einen erwünschten Wettbewerbsfaktor .11 Gemäß Art. 1 Nr. 1 lit. b) RL 208/957 soll die Entsenderichtlinie den Schutz entsandter Arbeitnehmer während ihrer Entsendung im Verhältnis zur Dienstleistungsfreiheit sicherstellen, indem 7 MITTEILUNG DER KOMMISSION Leitlinien für die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vom 4.4.2006, KOM(2006) 159 endgültig. 8 Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, COM (2016), 128 final, Seite 2. 9 Der EuGH hatte sich bereits in seiner Entscheidung EuGH, Urteil vom 12.2.2015, Rs. C-396/13 (Sähköalojen ammattiliitto ry/Elektrobudowa Spółka Akcyjna), ECLI:EU:C:2015:86, Rn. 30 entsprechend zur Zielrichtung von Art. 3 Abs. 1 RL 96/71 geäußert: „In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 1 Unterabs . 1 der Richtlinie 96/71 eine doppelte Zielsetzung verfolgt. Zum einen bezweckt diese Vorschrift, zwischen inländischen Unternehmen und Unternehmen, die länderübergreifende Dienstleistungen erbringen, einen lauteren Wettbewerb sicherzustellen, da sie die letztgenannten Unternehmen dazu verpflichtet, ihren Arbeitnehmern für eine begrenzte Liste von Aspekten die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zuzuerkennen, die im Aufnahmemitgliedstaat festgelegt worden sind. Zum anderen bezweckt sie, für die entsandten Arbeitnehmer sicherzustellen , dass bei den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für die genannten Aspekte die Regeln über den Mindestschutz dieses Mitgliedstaats angewandt werden, während die Arbeitnehmer vorübergehend im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats tätig sind (Urteil Laval un Partneri, EU:C:2007:809, Rn. 74 und 76).“ 10 Vgl. hierzu im Einzelnen Klein/Schneider, SR 2019, 21, 22. 11 Vgl. hierzu Riesenhuber, NZA 2018, 1433, 1434. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 6 sie zwingende Vorschriften in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und den Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer festlegt, die eingehalten werden müssen.12 4. Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/957 Der Gesetzesentwurf dient der Erfüllung der Umsetzungsverpflichtung Deutschlands aus Art. 3 RL 2018/957. Gemäß Art. 3 RL 2018/957 erlassen und veröffentlichen die Mitgliedstaaten bis 30. Juli 2020 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um der RL 2018/957 nachzukommen und teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Maßnahmen mit. Im Folgenden werden die einzelnen Fragen der Auftraggeberin zur Vereinbarkeit des Gesetzentwurfs mit der RL 2018/957 untersucht. 4.1. Zum Begriff der „Entlohnung“ Zunächst wird der Fachbereich um Prüfung gebeten, ob die durch die in Art. 1 Nr. 5 lit. b) Gesetzesentwurf vorgesehene Ergänzung des § 5 Satz 1 Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG)13 mit der RL 2018/957 vereinbar ist. Konkret wird um Prüfung gebeten, ob die Differenzierung zwischen „Mindestentgeltsätzen“ und „darüber hinaus gehenden Entlohnungsbestandteilen“ von der RL 2018/957 gedeckt ist (Ziff. 4.1.2.1). Darüber hinaus richtet sich eine Frage auf die Differenzierung nach Art der Tätigkeit und Qualifikation im Hinblick auf die Entlohnung. Konkret wird danach gefragt, ob eine entsprechende Begrenzung auf drei Stufen der Entlohnung von Art. 3 RL 2018/957 gedeckt ist oder ob die RL 2018/957 das gesamte „Tarifgitter“ und damit den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am selben Ort“ meint (Ziff. 4.1.2.2.). 4.1.1. Vorgaben des Gesetzesentwurfs sowie der RL 2018/957 Die in Art. 1 Nr. 5 lit. b) Gesetzesentwurf vorgesehene Ergänzung befasst sich mit den Entlohnungsbedingungen . § 5 AEntG n. F. lautet nach der Ergänzung von Art. 1 Nr. 5 lit. a) und b) Gesetzesentwurf wie folgt: 12 Siehe bereits Erwägungsgrund 14 der RL 96/71. Danach soll ein „harter Kern“ klar definierter Schutzbestimmungen vom Dienstleistungserbringer unabhängig von der Dauer der Entsendung des Arbeitnehmers eingehalten werden, vgl. hierzu auch Schumacher, in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, II. Entsenderichtlinie 96/71/EG, Rn. 221. 13 Arbeitnehmer-Entsendegesetz vom 20. April 2009 (BGBl. I S. 799), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. November 2019 (BGBl. I S. 1756) geändert worden ist. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 7 „§ 5 Arbeitsbedingungen Gegenstand eines Tarifvertrages nach § 314 können sein 1. Mindestentgeltsätze, die nach Art der Tätigkeit, Qualifikation der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und Regionen differieren können, einschließlich der Überstundensätze, wobei die Differenzierung nach Art der Tätigkeit und Qualifikation insgesamt bis zu drei Stufen umfassen kann 1a. die über Nummer 1 hinausgehenden Entlohnungsbestandteile nach § 2 Absatz 1 Nummer 115 […]“ [Hervorhebung durch den Bearbeiter] Die RL 2018/957 regelt unter Ziff. 2 lit. a) die folgende Änderung von Art. 3 Abs. 1 RL 96/71: „(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte auf der Grundlage der Gleichbehandlung die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, festgelegt sind, — durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder — durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche oder durch Tarifverträge oder Schiedssprüche, die anderweitig nach Absatz 8 Anwendung finden: a) Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten; 14 § 3 AEntG n. F. lautet wie folgt: „Die Rechtsnormen eines bundesweiten Tarifvertrages finden unter den Voraussetzungen der §§ 4 bis 6 auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinen im räumlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zwingend Anwendung, wenn 1. der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt ist oder 2. eine Rechtsverordnung nach § 7 oder § 7a vorliegt. § 2 Absatz 2 gilt entsprechend. Eines bundesweiten Tarifvertrages bedarf es nicht, soweit Arbeitsbedingungen im Sinne des § 5 Nummer 2, 3 oder 4 Gegenstand tarifvertraglicher Regelungen sind, die zusammengefasst räumlich den gesamten Geltungsbereich dieses Gesetzes abdecken.“ 15 § 2 Abs. 1 Nr. 1 AEntG n. F. lautet. „Die in Rechts- oder Verwaltungsvorschriften enthaltenen Regelungen über folgende Arbeitsbedingungen sind auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zwingend anzuwenden: 1. die Entlohnung einschließlich der Überstundensätze ohne die Regelungen über die betriebliche Altersversorgung, […]“. Den Gegenstand der Entlohnung regelt § 2 a AEntG n. F.: „Entlohnung im Sinne von § 2 Absatz 1 Nummer 1 sind alle Bestandteile der Vergütung, die der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin vom Arbeitgeber in Geld oder als Sachleistung für die geleistete Arbeit erhält. Zur Entlohnung zählen insbesondere die Grundvergütung, einschließlich Entgeltbestandteilen, die an die Art der Tätigkeit, Qualifikation und Berufserfahrung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und die Region anknüpfen, sowie Zulagen, Zuschläge und Gratifikationen, einschließlich Überstundensätze. Die Entlohnung umfasst auch Regelungen zur Fälligkeit der Entlohnung einschließlich Ausnahmen und deren Voraussetzungen.“ Nach der Gesetzesbegründung soll die Definition aufgrund des Verweises in § 5 Satz 1 Nr. 1a AEntG n. F. nicht nur für die in Rechts- und Verwaltungsvorschriften geregelten Entlohnungsbedingungen, sondern auch für tarifvertragliche Entlohnungsvorschriften maßgeblich sein (Gesetzesentwurf (Fn. 1), S. 24). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 8 b) bezahlter Mindestjahresurlaub; c) Entlohnung, einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme; […] „[…] Für die Zwecke dieser Richtlinie bestimmt sich der Begriff „Entlohnung“ nach den nationalen Rechtsvorschriften und/oder nationalen Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt ist, und umfasst alle die Entlohnung ausmachenden Bestandteile, die gemäß nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder durch in diesem Mitgliedstaat für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche oder durch Tarifverträge oder Schiedssprüche, die nach Absatz 8 anderweitig Anwendung finden, zwingend verbindlich gemacht worden sind. […]“ [Hervorhebung durch den Bearbeiter] 4.1.2. Richtlinienkonforme Umsetzung 4.1.2.1. „Mindestentgeltsätze“ und „darüber hinaus gehende Entlohnungsbestandteile“ Hinsichtlich der Frage zur Zulässigkeit der Differenzierung zwischen „Mindestentgeltsätzen“ und „darüber hinaus gehende Entlohnungsbestandteile“ sind zunächst die Auswirkungen dieser Differenzierung im AEntG zu betrachten (Ziff. 4.1.2.1.1.) sowie im Folgenden nach deren Vereinbarkeit mit der RL 2018/957 zu fragen (Ziff. 4.1.2.1.2.). 4.1.2.1.1. Auswirkungen der Differenzierung (§§ 7, 7a AEntG n. F.) Relevant wird die Differenzierung zwischen „Mindestentgeltsätzen“ und „darüber hinaus gehenden Entlohnungsbestandteilen“ im Hinblick auf die Anwendungserstreckung der §§ 7, 7a AEntG i. V. m. § 8 Abs. 2 AEntG. Gemäß § 7 Abs. 1 AEntG kann auf gemeinsamen Antrag der Parteien eines Tarifvertrages im Sinne von § 4 Absatz 1 AEntG sowie §§ 5 und 6 AEntG das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates bestimmen, dass die Rechtsnormen dieses Tarifvertrages auf alle unter seinen Geltungsbereich fallenden und nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen Anwendung finden, wenn dies im öffentlichen Interesse geboten erscheint, um die in § 1 AEntG genannten Gesetzesziele zu erreichen. Die Rechtsverordnung i. S v. § 7 AEntG n. F. ersetzt mithin die fehlende Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen.16 Nach der vorgesehenen Ergänzung in Art. 1 Nr. 7 Gesetzesentwurf soll jedoch die vorgenannte Wirkung für die Entlohnungsbestandteile des § 5 Satz 1 Nr. 1a AEntG n. F. nicht gelten. Gleichsam soll die in § 7a AEntG aufgrund von Rechtsverordnungen vorgesehene Erstreckung für die Fälle des öffentlichen Interesses i. S. v. § 4 Abs. 2 AEntG ausdrücklich nicht für die Entlohnungsbestandteile des § 5 Abs. 1a AEntG n. F. nicht gelten. 16 Gussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, 54. Edition 1.12.2019, § 7 AEntG, Rn. 6. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 9 Als Grund für diese Regelung wird seitens der Gesetzesbegründung auf die besondere Rechtsfolge des insoweit unveränderten § 8 Abs. 2 AEntG17 hingewiesen, wonach Tarifverträge, die durch Rechtsverordnungen nach §§ 7, 7a AEntG verbindlich erstreckt sind, gegenüber anderen Tarifverträgen Vorrang genießen.18 In der Gesetzesbegründung wird hierzu konkret ausgeführt:19 „Die mit Nummer 5 Buchstabe b) in § 5 eingefügte Arbeitsbedingung „Entlohnung“ wird aus Rücksicht auf die besonderen Rechtsfolgen nach § 8 Absatz 2 aus dem Verordnungsverfahren ausgenommen. Nach § 8 Absatz 2 sind Tarifverträge, die durch Rechtsverordnung nach § 7 oder § 7a erstreckt sind, auch von Arbeitgebern einzuhalten, die nach § 3 des Tarifvertragsgesetzes originär oder nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes aufgrund Allgemeinverbindlicherklärung an einen anderen Tarifvertrag gebunden sind. Der Gesetzgeber hat diese zwingende und durchgängige Wirkung der Rechtsverordnungen nach § 7 bei der Novellierung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes im Jahr 2009 ausdrücklich im Gesetz angeordnet (vgl. BT- Drs. 16/10486, Seite 13, Zu § 8, Zu Absatz 2) und sie im Rahmen des Tarifautonomiestärkungsgesetzes auch auf Rechtsverordnungen nach dem neu eingeführten § 7a angewendet. Indem die Regelung die Verordnungsermächtigung weiterhin auf Mindestentgeltsätze, einschließlich Fälligkeitsregelungen und dazu geltender Ausnahmen, begrenzt, respektiert sie die Betätigungsfreiheit anderer Koalitionen beim Aushandeln und Festsetzen von Entlohnungsbedingungen und bringt sie in einen besonders schonenden Ausgleich mit den Zielen des § 1.“ In der Folge können aufgrund des Gesetzesentwurfs durch Rechtsverordnung gemäß § 7 , 7a AEntG n. F. des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales Rechtsnormen eines Tarifvertrages allein im Hinblick auf Mindestentgeltsätze, nicht dagegen im Hinblick auf die darüber hinaus gehenden Entlohnungsbestandteile auf an nicht durch einen Tarifvertrag gebundenen Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer erstreckt werden. 4.1.2.1.2. Vereinbarkeit mit der RL 2018/957 Ob die Differenzierung in § 5 Satz 1AEntG n. F. zwischen „Mindestentgeltsätzen“ und „darüber hinaus gehende Entlohnungsbestandteile im Gesetzesentwurf richtlinienkonform ist, ist am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 lit. c) i. V. m. Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 Entsenderichtlinie zu bewerten. 17 § 8 Abs. 2 AEntG n. F. lautet wie folgt: „(2) Ein Arbeitgeber ist verpflichtet, einen Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 soweit er Arbeitsbedingungen nach § 5 Satz 1 Nr. 2 und 3 enthält sowie einen Tarifvertrag, der durch Rechtsverordnung nach § 7 oder § 7a auf nicht an ihn gebundene Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen erstreckt wird, auch dann einzuhalten, wenn er nach § 3 des Tarifvertragsgesetzes oder kraft Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes an einen anderen Tarifvertrag gebunden ist.“ 18 Diesen zwingenden Vorrang hatte der Gesetzgeber bei der Novellierung es Arbeitnehmer-Entsendegesetzes 2009 eingeführt, vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz – AEntG), BT-Drs. 16/10486, Seite 13 19 Gesetzesentwurf (Fn. 1), Seite 28. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 10 Zunächst ist zu festzustellen, dass RL 2018/957 die Gewährleistung von „Mindestentgeltsätzen“ nicht vorsieht, sondern eine Gleichbehandlung im Hinblick auf die „Entlohnung“ anordnet.20 Nach der o. g. Definition gemäß Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 Entsenderichtlinie unterfallen unter den Begriff der Entlohnung sämtliche zur Entlohnung gehörende Bestandteile, die u. a. gemäß nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder durch allgemeinverblich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche „zwingend“ verbindlich gemacht worden sind.21 Wie das Merkmal „zwingend“ i. S. v. Art. 3 UAbs. 3 Entsenderichtlinie ausgelegt wird, ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht. Die Frage ist, ob der Aufnahmemitgliedstaat bei der Umsetzung selbst entscheiden kann, welche Arbeitsbedingungen im Rahmen der Entsendung zwingend verbindlich gemacht werden oder ob es sich insoweit um Arbeitsbedingungen handelt, die bereits durch bestehende Regelungen für sämtliche Arbeitnehmer zwingend verbindlich gemacht worden sind. Die Begründung im Kommissionsentwurf führt hierzu ebenso nicht eindeutig aus: „Es fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, Entlohnungsvorschriften im Einklang mit ihren Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten festzulegen. Die zweite Änderung stellt darauf ab, dass die Entlohnungsvorschriften, die für gebietsansässige Arbeitnehmer gelten und die auf Rechtsvorschriften oder allgemein verbindliche Tarifverträge im Sinne von Artikel 3 Absatz 8 zurückgehen, auch für entsandte Arbeitnehmer gelten.“22 Nach Ansicht der Literatur soll der Begriff der Entlohnung durch die Mitgliedstaaten autonom bestimmt werden können, wobei im Ergebnis eine Gleichbehandlung mit den Arbeitnehmern des Aufnahmestaats zu erreichen sei.23 Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet 20 Klein/Schneider, SR 2019, 72 bzw. SR 2019, 21, 25; Kellerbauer, EuZW 2018, 846, 850; Riesenhuber, NZA 2018, 1433, 1435 f.; Sura, BB 2018, 2473; Fuchs, ZESAR 2019, 105, 107. 21 Nach Ansicht in der Literatur fallen in Bezug auf Deutschland unter den Begriff der Entlohnung i. S. d. RL 2018/957 grundsätzlich sämtliche Ansprüche nach § 611a Abs. 2 BGB, alle tarifvertraglichen Vergütungsansprüche unter Berücksichtigung von § 107 GewO sowie § 1 MiLoG, § 3a AÜG und gesetzliche Mindestlöhne .21vgl. hierzu Rebhan/Krebber, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 3. Auflage 2020, Ziff. 460 RL 96/71/EG, Art. 3 Rn. 15. 22 COM (2016), 128 final, Seite 2; siehe oben Fn. 8. 23 Riesenhuber, NZA 2018, 1433, 1436. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 11 seine Verankerung in Art. 3 Abs. 1 bzw. Art. 3 Abs. 8 UAbs. 3 Entsenderichtlinie24 sowie eine Erwähnung im Erwägungsgrund 18 der RL 2018/957.25 Folgt man dieser Ansicht der Literatur, obläge es den Mitgliedstaaten festzulegen, welche Lohnbestandteile im Rahmen von Rechtsverordnungen gemäß §§ 7, 7a AEntG n. F. zwingend erstreckt werden, solange entsandte Arbeitnehmer gegenüber inländischen Arbeitnehmern dadurch nicht benachteiligt werden.26 Der einzelne Mitgliedstaat hätte somit einen Gestaltungsspielraum im Hinblick auf die Festlegung „zwingender“ Entlohnungsvorgaben, den er soweit nutzen kann, als er das Gleichbehandlungsgebot beachtet. Eine abschließende Bewertung bliebe insoweit allerdings dem EuGH vorbehalten. 4.1.2.2. Beschränkung auf drei Stufen Die Frage, ob die in § 5 Satz 1 Nr. 1 AEntG n. F. vorgesehene Differenzierung hinsichtlich Mindestentgeltsätzen nach Art der Tätigkeit und Qualifikation anhand von insgesamt bis zu drei Stufen richtlinienkonform ist, ist ebenso am Maßstab vom Art. 3 Abs. 1 lit. c) i. V. m. Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 Entsenderichtlinie zu bewerten. Ausdrücklich äußert sich Art. 3 Abs. 1 lit. c) Entsenderichtlinie zu dieser Frage nicht. Grundsätzlich sieht die RL 2018/957 die Gleichbehandlung im Hinblick auf die „Entlohnung“ und nicht die Gewährleistung von „Mindestentgeltsätzen“ vor. Der Begriff der „Entlohnung“ erfasst – wie bereits oben dargestellt – gemäß Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 Entsenderichtlinie sämtliche Bestandteile, die u. a. gemäß nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder durch allgemeinverblich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche zwingend verbindlich gemacht worden sind. Ob unter den Begriff der „Entlohnung“ i. S. d. Richtlinie gesamte Lohngitter fallen, ist höchstrichterlich nicht entschieden. In der Begründung zum Gesetzesentwurf wird insoweit vorgetragen , dass im Hinblick auf Mindestentgelte in der Vergangenheit „Einigkeit bestand“, dass diese 24 Art. 3 Abs. 8 UAbs. 3 Entsenderichtlinie lautet wie folgt: „Gleichbehandlung im Sinne dieses Artikels liegt vor, wenn nationale Unternehmen in einer vergleichbaren Lage: — am betreffenden Ort oder in der betreffenden Sparte hinsichtlich der Aspekte des Absatzes 1 Unterabsatz 1 des vorliegenden Artikels denselben Anforderungen unterworfen sind, wie die Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 Absatz 1 und gegebenenfalls den entsandten Arbeitnehmern zu garantierenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen nach Absatz 1a des vorliegenden Artikels, und — wenn sie dieselben Anforderungen mit derselben Wirkung erfüllen müssen.“. 25 Ferner äußert sich die RL 2018/957 im Erwägungsgrund 18 zu Fragen der Entlohnung wie folgt: „Beim Vergleich der Entlohnung des entsandten Arbeitnehmers mit der geschuldeten Entlohnung gemäß dem nationalen Recht und/oder der nationalen Gepflogenheit des Aufnahmemitgliedstaats sollte der Bruttobetrag der Entlohnung berücksichtigt werden. Dabei sollten nicht die einzelnen Bestandteile der Entlohnung, die gemäß dieser Richtlinie zwingend vorgeschrieben sind, sondern die Bruttobeträge der Entlohnung insgesamt verglichen werden. Um Transparenz zu gewährleisten und die zuständigen Behörden und Stellen bei der und Verpflegungskosten, sollten diese als Bestandteil der Entlohnung gelten und für den Vergleich der Bruttobeträge der Entlohnung berücksichtigt werden.“ 26 Siehe hierzu auch Fuchs, ZESAR 2019, 105, 108. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 12 keine gesamten Lohngitter erfassten.27 Anzumerken bleibt in diesem Zusammenhang, dass sich weder in den Vorschriften noch in den Erwägungsgründen der RL 2018/957 – anders als noch im Kommissionsvorschlag von 201628 – ein ausdrücklicher Hinweis auf den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am selben Ort“ findet. In der Literatur wird unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuGH zum Begriff des Mindestlohns i. S. d. RL 96/7129 vertreten, dass Art. 3 Abs. 1 lit. c) Entsenderichtlinie so auszulegen sei, dass dieser auf gesamte Lohngitter, einschließlich Prämien und Zulagen Anwendung finde.30 Nach dieser Ansicht könnte eine Differenzierung nach Art der Tätigkeit und Qualifikation anhand von drei Stufen u. a. in den Fällen hinter Art. 3 Abs. 1 lit. c) Entsenderichtlinie zurückbleiben , in den in den Mitgliedstaaten bereits allgemeinverbindliche Tarifverträge bzw. Rechtsverordnungen mit mehr als drei Entlohnungsstufen bestehen. Allerdings bleibt unklar, ob in diesen Fällen die Regelungen zur Entlohnung des relevanten Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 AEntG n. F. auf die Entsendeten gar keine Anwendung fänden oder allein eine Beschränkung der tarifvertraglich vereinbarten Mindestentgeltsätze anhand von drei Stufen erfolgt. Im letzteren Fall wäre zudem unklar, wie diese Stufen bestimmt würden. Bei künftigen Tarifverträgen wäre es für eine uneingeschränkte Anwendung von § 3 Abs. 1 AEntG n. F. i. V. m. § 5 Satz 1 Nr. 1 AEntG n. F. erforderlich, dass sich die Tarifparteien hinsichtlich der Mindestentgeltsätze auf drei Stufen beschränkten. Anderenfalls wäre wiederum unklar, ob und inwieweit eine Erstreckung von Entlohnungsregelungen auf entsandte Arbeitnehmer erfolgen würde. Letztlich dürfte aufgrund des Erfordernisses der Gleichbehandlung in Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Abs. 8 UAbs. 3 Entsenderichtlinie für eine Bewertung ausschlaggebend sein, ob die in § 5 AEntG n. F. vorgesehene Beschränkung auf drei Stufen im Ergebnis zu einer ungleichen Behandlung inund ausländischer Arbeitnehmer führt.31 Hierzu müsste eine genaue Analyse der Auswirkungen des Gesetzesentwurfs in der Praxis erfolgen, der an dieser Stelle nicht vorgenommen werden kann. Eine abschließende Bewertung bliebe zudem dem EuGH vorbehalten. 27 Gesetzesentwurf (Fn. 1), Seite 26. 28 COM (2016), 128 final, Seite 2; siehe oben Fn. 8. 29 EuGH, Urteil vom 12.2.2015, Rs. C-396/13 (Sähköalojen ammattiliitto ry/Elektrobudowa Spółka Akcyjna), ECLI:EU:C:2015:86, Rn. 43: „Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zweitens, dass die Vorschriften über die Einteilung der Arbeitnehmer in Lohngruppen, die im Aufnahmemitgliedstaat auf der Grundlage verschiedener Kriterien angewandt werden, wie etwa der Qualifikation, der Ausbildung und der Erfahrung der Arbeitnehmer und/oder der Art der von ihnen ausgeübten Tätigkeit, an die Stelle der Vorschriften treten, die im Herkunftsmitgliedstaat auf die entsandten Arbeitnehmer anwendbar sind. Erst im Rahmen eines Vergleichs zwischen den in Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 1 der Richtlinie 96/71 genannten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die im Herkunftsmitgliedstaat Anwendung finden, und denen, die im Aufnahmemitgliedstaat gelten, muss die durch den Herkunftsmitgliedstaat vorgenommene Einteilung berücksichtigt werden, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger ist.“; vgl. hierzu auch Klein/Schneider, SR 2019, 72, 73. 30 Rebhan/Krebber, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 3. Auflage 2020, Ziff. 460 RL 96/71/EG, Art. 3 Rn. 15; Riesenhuber, NZA 2018, 1433, 1436. 31 Siehe dazu oben unter Ziff. 4.1.2.1.2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 13 4.2. Zur Unterscheidung von kurzzeitig und längerfristig entsandten Beschäftigten Der Fachbereich wird ferner gebeten, zu prüfen, ob die im Gesetzesentwurf vorgesehene „Ungleichbehandlung “ von kurzzeitig entsandten Beschäftigten (weniger als 12 bzw. 18 Monate) und längerfristig entsandten Beschäftigten der RL 2018/957 entspricht. 4.2.1. Vorgaben des Gesetzesentwurfs sowie der RL 2018/957 Der Gesetzesentwurf trifft besondere Regelungen für längerfristig, d. h. über einen Zeitraum von 12 bzw. 18 Monaten hinaus entsandte Beschäftigte. Art. 1 Ziff. 11 des Gesetzesentwurfs sieht insoweit die Einfügung des folgenden § 13b AEntG n. F. vor: „§ 13b Zusätzliche Arbeitsbedingungen (1) Wird ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin von einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber mehr als zwölf Monate im Inland beschäftigt, so finden auf dieses Arbeitsverhältnis nach zwölf Monaten Beschäftigungsdauer im Inland zusätzlich zu den Arbeitsbedingungen nach den Abschnitten 2 bis 4a alle Arbeitsbedingungen Anwendung, die am Beschäftigungsort in Rechts- und Verwaltungsvorschriften und in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen vorgeschrieben sind, nicht jedoch 1. die Verfahrens- und Formvorschriften und Bedingungen für den Abschluss oder die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, einschließlich nachvertraglicher Wettbewerbsverbote, und 2. die betriebliche Altersversorgung. § 2 Absatz 2 gilt entsprechend. (2) Gibt der Arbeitgeber vor Ablauf einer Beschäftigungsdauer im Inland von zwölf Monaten eine Mitteilung ab, verlängert sich der Zeitraum, nach dessen Ablauf die in Absatz 1 genannten zusätzlichen Arbeitsbedingungen für die betroffenen Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen gelten, auf 18 Monate. Die Mitteilung muss in Textform nach § 126b des Bürgerlichen Gesetzbuchs gegenüber der zuständigen Behörde der Zollverwaltung in deutscher Sprache erfolgen und folgende Angaben enthalten: 1. Familienname, Vornamen und Geburtsdatum der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, 2. Ort der Beschäftigung im Inland, bei Bauleistungen die Baustelle, 3. die Gründe für die Überschreitung der zwölfmonatigen Beschäftigungsdauer im Inland und 4. die zum Zeitpunkt der Mitteilung anzunehmende voraussichtliche Beschäftigungsdauer im Inland. Die zuständige Behörde der Zollverwaltung bestätigt den Eingang der Mitteilung. […]“ Die RL 2018/957 sieht unter Ziff. 2 lit. b) die Einfügung des folgenden Absatzes 1a in Art. 3 RL 96/71 vor:32 „(1a) In Fällen, in denen die tatsächliche Entsendungsdauer mehr als 12 Monate beträgt, sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern auf der Grundlage der Gleichbehandlung zusätzlich zu den 32 Vgl. hierzu auch Klein/Schneider, SR 2019, 21, 31 ff., Sura, BB 2018, 2473, 2474. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 14 Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels sämtliche anwendbaren Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, festgelegt sind — durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder — durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche, oder durch Tarifverträge oder Schiedssprüche, die anderweitig nach Absatz 8 anderweitig Anwendung finden. 9.7.2018 Amtsblatt der Europäischen Union L 173/21 DE Unterabsatz 1 des vorliegenden Absatzes findet keine Anwendung auf folgende Aspekte: a) Verfahren, Formalitäten und Bedingungen für den Abschluss und die Beendigung des Arbeitsvertrags , einschließlich Wettbewerbsverboten; b) zusätzliche betriebliche Altersversorgungssysteme. Legt der Dienstleistungserbringer eine mit einer Begründung versehene Mitteilung vor, so verlängert der Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird, den in Unterabsatz 1 genannten Zeitraum auf 18 Monate. Ersetzt ein in Artikel 1 Absatz 1 genanntes Unternehmen einen entsandten Arbeitnehmer durch einen anderen entsandten Arbeitnehmer, der die gleiche Tätigkeit am gleichen Ort ausführt , so gilt als Entsendungsdauer für die Zwecke dieses Absatzes die Gesamtdauer der Entsendezeiten der betreffenden einzelnen entsandten Arbeitnehmer. Der in Unterabsatz 4 dieses Absatzes genannte Begriff „gleiche Tätigkeit am gleichen Ort“ wird unter anderem unter Berücksichtigung der Art der zu erbringenden Dienstleistung oder der durchzuführenden Arbeit und der Anschrift(en) des Arbeitsplatzes bestimmt.“33 4.2.2. Richtlinienkonforme Umsetzung Die Regelung in § 13b) AEntG ist eng an Art. 3 Abs. 1a) Entsenderichtlinie angelehnt. Soweit es sich aus dem Gesetzesentwurf und seiner Begründung ergibt, übernimmt der Gesetzesentwurf in § 13b) AEntG jedoch nicht die Möglichkeit, über die allgemeinverbindlichen Tarifverträge gemäß Art. 3 Abs. 8) UAbs. 1 Entsenderichtlinie hinaus regional allgemein wirksame bzw. auf nationaler Ebene durch repräsentativste Organisationen geschlossene und innerhalb des gesamten Hoheitsgebiets anwendbare Tarifverträge gemäß Art. 3 Abs. 8) UAbs. 2 Entsenderichtlinie zugrunde zu legen. Insoweit bleibt der Gesetzesentwurf hinter den Regelungen der 33 Ferner äußert sich die RL 2018/957 im Erwägungsgrund 9 zu längeren Entsendungszeiträumen wie folgt: „Die Entsendung hat vorübergehenden Charakter. Entsandte Arbeitnehmer kehren nach Abschluss der Arbeiten, für die sie entsandt worden sind, in der Regel in den Mitgliedstaat, aus dem sie entsandt wurden, zurück. Allerdings sollten angesichts der langen Dauer mancher Entsendungen und in Anerkennung der Verbindung, die zwischen dem Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats und den für solch lange Zeiträume entsandten Arbeitnehmern besteht, bei Entsendezeiträumen von über 12 Monaten die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die Unternehmen, die Arbeitnehmer in ihr Hoheitsgebiet entsenden, diesen Arbeitnehmern zusätzliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die für die Arbeitnehmer in dem Mitgliedstaat, in dem die Arbeit verrichtet wird, verbindlich gelten. Dieser Zeitraum sollte verlängert werden, sofern der Dienstleistungserbringer eine mit einer Begründung versehenen Mitteilung vorlegt.“ Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 15 RL 2018/957 zurück. Allerdings handelt es sich bei Art. 3 Abs. 8) UAbs. 2 Entsenderichtlinie um eine fakultative Vorschrift „können die Mitgliedstaaten“. Die RL 2018/957 sieht ausweislich des Wortlautes von Art. 3 Abs. 8) UAbs. 2 Entsenderichtlinie insoweit keine Umsetzungsverpflichtung vor. Die im Gesetzesentwurf vorgesehene „Ungleichbehandlung“ von kurzzeitig entsandten Beschäftigten (weniger als 12 bzw. 18 Monate) und längerfristig entsandten Beschäftigten findet daher ihre Grundlage in der RL 2018/957. 4.3. Zur verbindlichen Geltung allein „bundesweiter Tarifverträge“ Schließlich wird danach gefragt, ob es der RL 2019/957 entspricht, dass nach dem Gesetzesentwurf allein „bundesweite“ Tarifverträge allgemeinverbindliche Geltung erhalten können. 4.3.1. Vorgaben des Gesetzesentwurfs sowie der RL 2018/957 Gemäß § 3 AEntG n. F. finden die Rechtsnormen eines bundesweiten Tarifvertrages unter den Voraussetzungen der §§ 4 bis 6 AEntG auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinen im räumlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zwingend Anwendung, wenn 1. der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt ist oder 2. eine Rechtsverordnung nach § 7 AEntG oder § 7a AEntG vorliegt.34 In der Gesetzesbegründung zu dem insoweit gleichlautenden § 3 AEntG a. F. führt der Gesetzgeber hierzu aus: „Zu § 3 (Tarifvertragliche Arbeitsbedingungen) § 3 stellt die Parallelvorschrift zu § 2 für den Bereich der in Tarifverträgen geregelten Arbeitsbedingungen dar und setzt Artikel 3 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich der Entsenderichtlinie um. Die Vorschrift bewirkt, dass auch Arbeitgeber , die ihren Sitz im Ausland haben, bestimmte tarifvertragliche Arbeitsbedingungen einhalten müssen, wenn sie Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Deutschland beschäftigen. Die Vorschrift enthält die Grundnorm, dass die in diesem Gesetz geregelten tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen ebenfalls international zwingende Normen im Sinne des Artikels 34 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche sind. Wegen des gemeinschaftsrechtlichen Verbots der Diskriminierung von Dienstleistungserbringern mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums darf von einem dort ansässigen Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nach Deutschland entsendet , die Einhaltung tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen nur verlangt werden, wenn auch alle entsprechenden inländischen Arbeitgeber der Branche, d. h. seine potentiellen hiesigen Konkurrenten, diese Bedingungen zwingend einhalten müssen. Diese Gleichbehandlung lässt sich nur dann erreichen, wenn die Einhaltung der entsprechenden Tarifverträge sowohl im Fall einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes als auch im 34 Siehe oben Fn. 14. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 16 Fall einer Rechtsverordnung nach § 7 für alle inländischen Arbeitgeber der betreffenden Branchen zwingend vorgeschrieben wird. Anknüpfungspunkt für die Erstreckung tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen sind die Rechtsnormen eines bundesweiten Tarifvertrages. Damit wird die bisherige Praxis fortgeschrieben. […]“35 [Hervorhebung durch den Verfasser] Die Beschränkung auf bundesweit geltende Tarifbestimmungen wird von der Bundesregierung zudem mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz begründet. Nach Ansicht der Bundesregierung sei allein insoweit eine Gleichbehandlung zwischen inländischen Arbeitgebern mit einem Betriebssitz , der sich vom Arbeitsort unterscheidet, und ausländischen Arbeitgebern ohne Betriebssitz im Inland sichergestellt.36 Die RL 2018/957 sieht unter Ziff. 2 lit. a) die folgende neue Formulierung von Art. 3 RL 96/71/EG vor: „(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte auf der Grundlage der Gleichbehandlung die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, festgelegt sind, — durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder — durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche oder durch Tarifverträge oder Schiedssprüche, die anderweitig nach Absatz 8 Anwendung finden: […]“ Gemäß Art. 3 Abs. 8 UAbs. 1 Entsenderichtlinie werden unter „für allgemein verbindlich erklärten Tarifverträgen oder Schiedssprüchen" Tarifverträge oder Schiedssprüche verstanden , „die von allen in den jeweiligen geographischen Bereich fallenden und die betreffende Tätigkeit oder das betreffende Gewerbe ausübenden Unternehmen einzuhalten sind.“ 4.3.2. Richtlinienkonforme Umsetzung Aufgrund der vorgenannten Regelung stellt sich die Frage, ob eine Beschränkung auf „bundesweite “ Tarifverträge eine richtlinienkonforme Umsetzung von Ziff. 2 lit. a) RL 2018/957 darstellt. 35 Entwurf eines Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz – AEntG) vom 7.10.2008, BT-Drs. 16/10486, Seite 11. 36 Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Anette Kramme auf eine schriftliche Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke vom 2. März 2020, Bundestagsdrucksache 19/17630, S. 55. Regionale Differenzierungen sollen der Entwurfsbegründung zufolge in den bundesweit geltenden Tarifverträgen jedoch zulässig sein, Gesetzesentwurf (Fn. 1), S. 26. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 17 Die Frage ist von besonderer praktischer Relevanz, da in Deutschland bisher überwiegend regionale Tarifverträge geschlossen.37 Die Beschränkung auf bundesweite Tarifverträge ist vor dem Hintergrund der Formulierung in Art. 3 Abs. 8 UAbs. 1 Entsenderichtlinie zu prüfen, die auf die in den „jeweiligen geographischen Bereich fallenden“ Tarifverträge verweist. Dass die RL 2018/957 grundsätzlich zwischen regionalen und nationalen Tarifverträgen differenziert , lässt sich anhand Art. 3 Abs. 8 UAbs. 2 Entsenderichtlinie feststellen. Diese Norm unterscheidet im Hinblick auf die (fakultative) Erweiterung der Gewährleistung tarifvertraglicher Regelungen durch die Mitgliedstaaten zwischen Tarifverträgen, die innerhalb des „jeweiligen geographischen Bereich“ Anwendung finden (Erster Spiegelstrich) und Tarifverträgen, die innerhalb des „gesamten nationalen Hoheitsgebiets“ Anwendung finden (Zweiter Spiegelstrich). In Teilen der Literatur wird aus diesem Umstand gefolgert, dass sich die Erstreckung auch auf regionale Tarifverträge beziehen müsse und ein Festhalten an „bundesweit“ geltenden allgemeinverbindlichen Tarifverträgen daher nicht mehr möglich sei.38 Dem wird von anderen Stimmen in der Literatur entgegengehalten, dass sich dieser Schluss mit Blick auf die anderen Sprachfassungen von Art. 3 Abs. 8 UAbs. 1 RL 96/71 und mit Blick auf die Entscheidung des EuGH in der Rs. Rüffert39 nicht halten ließe.40 Insbesondere ließen sich aus der Formulierung in Art. 3 Abs. 8 UAbs. 1 RL 96/71, die auf den „jeweiligen geographischen Bereich“ verweist, keine Rückschlüsse im Hinblick auf eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Erstreckung allgemeinverbindlich erklärter regionaler Tarifverträge auf entsandte Arbeitnehmer ziehen.41 Durch eine Erstreckung auf regionale Tarifverträge bei der Umsetzung in bundesdeutsches Recht würden nach dieser Ansicht entweder Gleichbehandlungs- oder Transparenzprobleme entstehen, die ihrerseits die unionsrechtliche Zulässigkeit in Frage stellen könnten.42 Eine endgültige Entscheidung über die Frage, ob es der RL 2019/957 entspricht, dass nach dem Gesetzesentwurf allein „bundesweite“ Tarifverträge verbindliche Geltung erhalten können, bliebe wiederum dem EuGH vorbehalten. 37 Schlachter/Franzen, in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage 2020, § 3 AEntG, Rn. 4. 38 Klein/Schneider, SR 2019, 72, 76 f. 39 EuGH, Urteil vom 3.4.2008, Rs. C-346/06 (Rüffert/Land Niedersachsen), ECLI:EU:C:2008:189, Rn. 29: „In einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens erstreckt sich nämlich die Bindungswirkung eines Tarifvertrags wie des im Ausgangsverfahren fraglichen nur auf einen Teil der in den geografischen Bereich des Tarifvertrags fallenden Bautätigkeit, da zum einen die Rechtsvorschriften, die diese Bindungswirkung herbeiführen, nur auf die Vergabe öffentlicher Aufträge anwendbar sind und nicht für die Vergabe privater Aufträge gelten und zum anderen dieser Tarifvertrag nicht für allgemein verbindlich erklärt worden ist.“ 40 Franzen, ZFA 2020, 30, 34. 41 Franzen, ZFA 2020, 30, 35. 42 Siehe dazu im Einzelnen die Ausführungen von Franzen, ZFA 2020, 30, 35 ff.. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 017/20 Seite 18 4.4. Abweichungsmöglichkeiten der RL 2018/957 Eine weitere Frage der Auftraggeberin richtet sich auf die in der RL 2018/957 vorgesehenen Abweichungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung. 4.4.1. Abweichungsmöglichkeit in Art. 1 Ziff. 2 lit. d) RL 2018/957 Zunächst ergibt sich die bereits angesprochene Abweichungsmöglichkeit aus Art. 1 Ziff. 2 lit. d) RL 2018/957, der Art. 3 Abs. 8 UAbs. 2 und 3 RL 96/71 neu fasst. Ausweislich des Wortlautes von Art. 3 Abs. 8 UAbs. 2 Entsenderichtlinie besteht keine Umsetzungsverpflichtung im Hinblick auf die Zugrundlegung regional allgemein wirksamer bzw. von auf nationaler Ebene durch repräsentativste Organisationen geschlossene und innerhalb des gesamten Hoheitsgebiets anwendbare Tarifverträge in den Fällen, in denen ein System zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen oder Schiedssprüchen nicht besteht bzw. in denen ein solches System besteht („können die Mitgliedstaaten“). Wie bereits erörtert, wird im Gesetzesentwurf in § 13b) AEntG von diesem Umsetzungsspielraum im Hinblick auf Langzeitentsendungen insoweit Gebrauch gemacht, dass die Möglichkeiten der Zugrundelegung von Tarifverträgen gemäß Art. 3 Abs. 8 UAbs. 2 Entsenderichtlinie nicht übernommen werden. 4.4.2. Abweichungsmöglichkeit in Art. 1 Ziff. 2 lit. e) RL 2018/957 Eine weitere Abweichungsmöglichkeit ergibt sich aus Art. 1 Ziff. 2 lit. e) RL 2018/957, der Art. 3 Abs. 9 und 10 RL 96/71 neu fasst. Nach dieser Vorschrift haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, in Bezug auf Leiharbeiter weitergehende als in Art. 3 Abs. 1b Entsenderichtlinie vorgesehene Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu garantieren. Soweit es sich aus dem Gesetzesentwurf und seiner Begründung ergibt, hat der Gesetzgeber von diesem Umsetzungsspielraum insoweit keinen Gebrauch gemacht, sondern in § 15a Abs. 2 Gesetzesentwurf eine Art. 3 Abs. 1b) Entsenderichtlinie genügende Regelung geschaffen.43 – Fachbereich Europa – 43 Vgl. Begründung zum Gesetzesentwurf (Fn. 1), Seite 35 f..