© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 16/20 Unionrechtliche Prüfungspflichten und nationale Prüfungsmöglichkeiten im Bereich der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/20 Seite 2 Unionsrechtliche Prüfungspflichten und nationale Prüfungsmöglichkeiten im Bereich der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 16/20 Abschluss der Arbeit: 19. März 2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Berufsanerkennungsrichtlinie 5 2.1. Anerkennung auf der Grundlage der Koordinierung der Mindestanforderungen an die Ausbildung 6 2.1.1. Allgemeine Anmerkungen 6 2.1.2. Automatische Anerkennung ärztlicher Ausbildungsnachweise 7 2.2. Allgemeine Regelung für die Anerkennung von Ausbildungsnachweisen 8 3. Grundfreiheiten und Anerkennung von Berufsqualifikationen 10 3.1. Grundfreiheitliche Anerkennungsvorgaben 10 3.2. Anwendung in den vorliegenden Fällen? 11 3.3. Fazit 14 4. Anerkennung von Berufsqualifikationen nach nationalem Recht 14 5. Ergebnis 15 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/20 Seite 4 1. Einleitung Der Fachbereich Europa wird um Beantwortung der Frage ersucht, „ob es übergeordnete europarechtliche Grundsätze gibt, die die in Deutschland für die ärztliche Berufszulassung (Approbation ) zuständigen Behörden zur Erteilung einer Approbation abweichend von den Voraussetzungen der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie […] verpflichten.“ Hintergrund der Frage sind Fälle von deutschen Staatsangehörigen, die zwar ihr Medizinstudium in Polen erfolgreich absolviert, dort aber nicht weitere nach polnischem Recht erforderliche Qualifikationen für die ärztliche Berufszulassung erworben haben. Diesen Personen wurde von Seiten der zuständigen deutschen Behörden unter Verweis auf die nach polnischem Recht fehlenden (Qualifikations-)Nachweise1, die entsprechend auch in der sog. Berufsanerkennungsrichtlinie 2 aufgeführt sind, eine Anerkennung verweigert bzw. eine Approbation nicht erteilt.3 Den von Seiten des Auftraggebers zur Verfügung gestellten Informationen und Materialen, zu den auch ein Rechtsgutachten zählt,4 lässt sich entnehmen, dass es bei den fehlenden (Qualifikations-)Nachweisen um das sog. staż dyplomowy und den Lekarski Egzamin Końcowy geht.5 Im ersten Fall handelt es sich um ein sich dem Medizinstudium anschließendes, dreizehnmonatiges Postgraduierten-Praktikum, welches 2016 wiedereingeführt wurde, nachdem es 2011 zugunsten einer zweisemestrigen praktischen Studienzeit zum Studienende aufgehoben wurde.6 Die praktische Studienzeit wurde nach Wiedereinführung des staż dyplomowy allerdings beibehalten . Die Lekarski Egzamin Końcowy ist eine ebenfalls nach Beendigung des Medizinstudiums zu erbringende, staatlich organisierte medizinische (Abschluss-)Prüfung,7 die im Jahre 2013 das 1 Siehe hierzu Anhang V der Berufsanerkennungsrichtlinie (Fn. 2), Pkt. V.1, 5.1.1. zu Polen. 2 Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, ABl.EU 2005 Nr. L 255/22 – letzte konsolidierte Fassung vom 15.4.2019. 3 Siehe Beitrag „Medizinabsolventen in Polen: Brandenburgs Gesundheitsministerin drängt auf Lösung für Approbation “ vom 8.1. 2020 auf aerzteblatt.de. 4 Korte, Gutachten zu „Die Approbation auf Basis in anderen Mitgliedstaaten absolvierter Medizinstudiengänge im Spannungsfeld von Sekundärrecht und Grundfreiten“ (im Folgenden: Korte, Gutachten). 5 Siehe Beitrag „Medizinabsolventen in Polen: Brandenburgs Gesundheitsministerin drängt auf Lösung für Approbation “ vom 8.1. 2020 auf aerzteblatt.de. 6 Vgl. Art. 5 Abs. 3, Art. 15 f. des poln. Gesetzes über die Berufe des Arztes und Zahnarztes (ustawa z dnia 5 grudnia 1996 r. o zawodach lekarza i lekarza dentysty) – konsolidierte Fassung in der polnischen Sprache abrufbar auf den Seiten der polnischen Sejmkanzlei. Siehe zum Hintergrund der Wiedereinführung des staż dyplomowy die Begründung zum entsprechenden Gesetzentwurf vom 19.7.2016 (projekt ustawy o zmianie ustawy o zawodach lekarza i lekarza dentysty oraz nietktórych innych ustaw – druk nr. 769), S. 26 f. 7 Vgl. Art. 5 Abs. 4, Art. 14a ff. des poln. Gesetzes über die Berufe des Arztes und Zahnarztes (Fn. 6). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/20 Seite 5 bis dahin erforderliche Lekarski Egzamin Państwowy (ärztliches Staatsexamen) abgelöst hat.8 Zumindest die erstgenannte, derzeit geltende Prüfung kann auch in der Sprache absolviert werden, in welcher das Studium stattgefunden hat.9 Sowohl das staż dyplomowy als auch die Lekarski Egzamin Końcowy sind als außeruniversitäre Qualifikationen für die reguläre Berufszulassung als Arzt nach polnischem Recht erforderlich.10 Die unionsrechtlichen Vorgaben zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen sind in der bereits einleitend erwähnten Berufsanerkennungsrichtlinie geregelt (2.). Nach unionsgerichtlicher Rechtsprechung kommt zudem auch eine Anwendung der (primärrechtlichen) Grundfreiheiten in Betracht (3.). Gebietet das Unionsrecht eine Anerkennung der in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Berufsqualifikationen im Einzelfall nicht, so ist abschließend zu fragen, ob es damit zugleich einer autonom mitgliedstaatlich möglichen Anerkennung im Wege steht (4.). 2. Berufsanerkennungsrichtlinie Die Berufsanerkennungsrichtlinie (im Folgenden auch: BA-RL) enthält die maßgeblichen unionsrechtlichen Vorgaben zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen im Binnenmarkt .11 Sie legt ausweislich ihres Art. 1 „die Vorschriften fest, nach denen ein Mitgliedstaat, der den Zugang zu einem reglementierten Beruf oder dessen Ausübung in seinem Hoheitsgebiet an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen knüpft (im Folgenden „Aufnahmemitgliedstaat“ genannt ), für den Zugang zu diesem Beruf und dessen Ausübung die in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten (im Folgenden „Herkunftsmitgliedstaat“ genannt) erworbenen Berufsqualifikationen anerkennt, die ihren Inhaber berechtigen, dort denselben Beruf auszuüben.“ Die Berufsanerkennungsrichtlinie gilt gemäß ihres Art. 2 „für alle Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, die als Selbstständige oder abhängig Beschäftigte […] einen reglementierten Beruf in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sie ihre Berufsqualifikationen erworben haben, ausüben wollen .“ Die nach der Berufsanerkennungsrichtlinie vorgesehene Anerkennung durch den jeweiligen Aufnahmemitgliedstaat ermöglicht „es der begünstigten Person, in diesem Mitgliedstaat denselben Beruf wie den, für den sie in ihrem Herkunftsmitgliedstaat qualifiziert ist, aufzunehmen und unter denselben Voraussetzungen wie Inländer auszuüben“ (Art. 4 BA-RL). Je nach Beruf und Konstellation des gewünschten Zugangs zu diesem bzw. dessen Ausübung in einem anderen Mitgliedstaat als in dem, in welchem die Berufsqualifikation erworben wurde, 8 Siehe zur Gleichwertigkeit beider Prüfungen nach polnischem Recht Art. 5 Abs. 5 des poln. Gesetzes über die Berufe des Arztes und Zahnarztes (Fn. 6). Vgl. dazu auch die Angaben in Anhang V der Berufsanerkennungsrichtlinie (Fn. 2), Pkt. V.1, 5.1.1. zu Polen in der Rubrik „Zusätzliche Bescheinigungen“. 9 Vgl. Art. 5 Abs. 4 des poln. Gesetzes über die Berufe des Arztes und Zahnarztes (Fn. 6). 10 Vgl. Art. 6 Abs. 1 Nr. 1 des poln. Gesetzes über die Berufe des Arztes und Zahnarztes (Fn. 6). 11 Siehe allgemein zur Berufsanerkennungsrichtlinie: Kluth/Rieger, Die neue EU-Berufsanerkennungsrichtlinie - Regelungsgehalt und Auswirkungen für Berufsangehörige und Berufsorganisationen, EuZW 2005, S. 486 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/20 Seite 6 sieht die Berufsanerkennungsrichtlinie unterschiedene Regeln und Voraussetzungen für die Anerkennung der Berufsqualifikationen vor.12 Vorliegend geht es um die dauerhafte Ausübung des Arztberufes in einem anderen Mitgliedstaat. In einem solchen Fall greifen die Vorschriften des Titels III (Niederlassungsfreiheit13) der Berufsanerkennungsrichtlinie (Art. 10 bis 52 BA-RL). Einer näheren Betrachtung bedarf dabei zunächst das Kapitel III zur Anerkennung auf der Grundlage der Koordinierung der Mindestanforderungen an die Ausbildung (2.1.). Anschließend ist auf das Kapitel I zu der allgemeinen Regelung für die Anerkennung von Ausbildungsnachweisen einzugehen (2.2.). Die verbleibenden beiden Kapitel – zur Anerkennung auf Grundlage der Berufserfahrung (Kap. II) und zur automatischen Anerkennung auf der Grundlage gemeinsamer Ausbildungsgrundsätze (Kap. IIIa) – spielen hier mangels sachlicher Einschlägigkeit keine Rolle und bedürfen daher keiner weiteren Betrachtung. 2.1. Anerkennung auf der Grundlage der Koordinierung der Mindestanforderungen an die Ausbildung Zu den Regelungen des Kapitels III sind zunächst einige allgemeine Ausführungen zu machen (2.1.1.) bevor sodann auf die Vorgaben zur Anerkennung der hier relevanten ärztlichen Berufsqualifikationen eingegangen wird (2.1.2.). 2.1.1. Allgemeine Anmerkungen Der in den Art. 21 bis 49 BA-RL geregelte Ansatz des Kapitels III beruht auf einer automatischen und unbedingten Anerkennung von Ausbildungsnachweisen in wenigen, näher bestimmten Berufen , für die die Berufsanerkennungsrichtlinie Mindestanforderungen an die Ausbildung vorsieht (vgl. Art. 21 Abs. 1 BA-RL).14 Die betreffenden Ausbildungsnachweise sind berufs- und landesspezifisch im Anhang V aufgezählt. Die Berufsanerkennungsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften , auf denen die Ausbildungsnachweise bzw. Ausbildungen beruhen, der Kommission zu melden (vgl. Art. 21a Abs. 1 UAbs. 1 BA-RL). Sie haben dabei insbesondere über die Dauer und den Inhalt der Ausbildungsgänge zu informieren (Art. 21a Abs. 2 BA-RL). 12 Eine der grundlegenden Unterscheidungen der Berufsanerkennungsrichtlinie liegt insoweit in der Differenzierung zwischen einer nur vorübergehenden Erwerbstätigkeit (Titel II zur „Dienstleistungsfreiheit“, Art. 5 bis 9 BA-RL) und einer dauerhaften Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat (Titel III zur „Niederlassungsfreiheit “, Art. 10 bis 52 BA-RL). Vgl. hierzu auch die Erwägungsgründe Nr. 4 und 5 der Berufsanerkennungsrichtlinie (Fn. 2), abgedruckt nur in der ursprünglichen Fassung. 13 Der Begriff der Niederlassungsfreiheit im Sinne des Titels III der Berufsanerkennungsrichtlinie ist nicht mit dem der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV gleichzusetzen, der ausschließlich selbstständige Erwerbstätigkeiten erfasst. Wie sich aus Art. 2 Abs. 1 BA-RL ergibt, ist auch die Konstellation abhängig Beschäftigter und deren Zugang zu reglementierten Berufen in anderen Mitgliedstaaten erfasst. Grundfreiheitlich unterfällt diese Sphäre der (grenzüberschreitenden) Erwerbstätigkeit die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV. 14 Vgl. dazu auch GA Szpunar, Schlussanträge vom 5.11.14 zur Rs. C-477/13 (Angerer), Rn. 22. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/20 Seite 7 Erfolgen von Seiten der Mitgliedstaaten Änderungen in den einschlägigen Vorschriften, sieht die Berufsanerkennungsrichtlinie eine Ermächtigung für die Kommission vor, entsprechende Änderungen im Anhang V im Wege der delegierten Rechtssetzung (vgl. Art. 290 AEUV) auf Antrag der betroffenen Mitgliedstaaten vorzunehmen (vgl. Art. 21a Abs. 4 BA-RL). Derartige Eintragungen darf sie allerdings nur unter der Bedingung vornehmen, „dass die […] mitgeteilten Rechts- und Verwaltungsvorschriften im Einklang mit den in diesem Kapitel festgelegten Bedingungen stehen “ (vgl. Art. 21a Abs. 4 BA-RL). Ist das nicht der Fall, ist die Kommission nach Art. 21a Abs. 5 BA-RL verpflichtet, die beantragte Änderung – ebenfalls im Wege delegierter Rechtssetzung – abzulehnen . Hieraus folgt, dass die betreffenden mitgliedstaatlichen Vorschriften von der Kommission jeweils am Maßstab der in der Berufsanerkennungsrichtlinie formulierten Mindestanforderungen (vgl. bspw. Art. 24 Abs. 2, Art. 31 Abs. 2, Art. 34 Abs. 2 BA-RL) zu prüfen und bei Unterschreitung dieser Vorgaben abzulehnen sind. Aus dem Mindestcharakter dieser Anforderungen folgt zugleich, dass es den Mitgliedstaaten unionsrechtlich freisteht, sie zu überschreiten und zusätzliche Anforderungen aufzustellen, die für den Berufszugang bzw. dessen Ausübung in dem betreffenden Mitgliedstaat erforderlich sind. Dies gilt jedoch nur für die Ausbildung im eigenen Land. Im Übrigen sind die Mitgliedstaaten nach den einschlägigen Vorschriften des Kapitels III der Berufsanerkennungsrichtlinie verpflichtet , die im Anhang V aufgeführten Ausbildungsnachweise aus anderen Mitgliedstaaten automatisch und ohne inhaltliche Einzelfallprüfung anzuerkennen, auch wenn diese Nachweise „lediglich “ auf den Mindestanforderungen beruhen, die dieser Rechtsakt an die betreffende Berufsausbildung stellt. Ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum steht dem um Anerkennung ersuchten (Aufnahme-)Mitgliedstaat dabei nicht zu. Es ist ihm verwehrt, die Anerkennung von weiteren oder zusätzlichen Anforderungen abhängig zu machen.15 2.1.2. Automatische Anerkennung ärztlicher Ausbildungsnachweise Der Beruf des Arztes gehört zu den Berufen, für die in der Berufsanerkennungsrichtlinie Mindestanforderungen an die Ausbildung formuliert sind, auf deren Grundlage sodann eine automatische Anerkennung vorgesehen ist (vgl. Art. 24 bis 30 BA-RL in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 BA-RL und ihrem Anhang V Pkt. 5.1.1.). Für die ärztliche Grundausbildung sieht Art. 24 Abs. 2 BA-RL vor, dass diese „mindestens fünf Jahre [umfasst] und […] aus mindestens 5 500 Stunden theoretischer und praktischer Ausbildung an einer Universität oder unter Aufsicht einer Universität [besteht].“ Vorgaben zu den Kenntnissen und Fähigkeiten, die während der Ausbildung zu erwerben sind, enthält Art. 24 Abs. 3 BA- RL. Im Falle Polens ist im derzeit geltenden Anhang V der Berufsanerkennungsrichtlinie unter Punkt 5.1.1. vorgesehen, dass die folgenden Ausbildungsnachweise für die ärztliche Grundausbildung vorzulegen sind: erstens ein von einer Hochschule ausgestelltes Diplom über den Studienabschluss im Fach Medizin mit dem Titel eines Arztes (Dyplom ukończenia studiów wyższych na kierunku lekarskim z tytułem „lekarza“), als zusätzliche Bescheinigungen zweitens ein Zeugnis über das erfolgreiche Bestehen des ärztlichen Staatsexamens (Świadectwo złożenia Lekarskiego Egzaminu Państwowego) bis 2012 oder der ärztlichen Abschlussprüfung (Świadectwo złożenia 15 Vgl. EuGH, Urt. v. 30.4.2014, Rs. C-365/13 (Ordre de architectes), Rn. 21 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/20 Seite 8 Lekarskiego Egzaminu Końcowego) seit 2013 und drittens eine Bescheinigung über das Absolvieren des Postgraduierten-Praktikums (Zaświadczenie o ukończeniu stażu podyplomowego). Während die letztgenannte Voraussetzung erst mit delegiertem Beschluss vom 16. Januar 2019 mit Wirksamkeit zum 20. März 2019 in den Anhang aufgenommen wurde,16 fand sich das ärztliche Staatsexamen dort seit Erlass der Berufsanerkennungsrichtlinie.17 Die an ihrer Stelle getretene ärztliche Abschlussprüfung wurde hingegen mit delegiertem Beschluss vom 13. Januar 2016 mit Wirksamkeit zum 23. März 2016 in den Anhang aufgenommen.18 Seit dem werden dort beide Prüfungen unter Verweis auf den entsprechenden Geltungszeitraum angeführt.19 Zudem findet sich in dem letztgenannten Beschluss von 2016 ein Fußnotenhinweis auf das Postgraduierten -Praktikum, wonach „bis zum 1. Oktober 2017 dem Ausbildungsnachweis zusätzlich eine Bescheinigung über die Ableistung eines Postgraduierten-Praktikums („staż podyplomowy“) beizufügen war.“ Bis dahin war dieser Hinweis auf die alte polnische Rechtslage zu diesem Ausbildungsnachweis im Anhang V der Berufsanerkennungsrichtlinie nicht vorgesehen. Welche rechtliche Wirkung dieser Hinweis zum damaligen Zeitpunkt hatte bzw. wie er sich auf die Anerkennung in dem betreffenden Zeitraum ausgewirkt hat, bedarf an dieser Stelle keiner Erörterungen . Aufgehoben wurde dieser Fußnotenverweis jedenfalls erst infolge der Änderungen durch den delegierten Beschluss vom 16. Januar 2019, mit dem das Postgraduierten-Praktikum wieder als erforderliche „zusätzliche Bescheinigung“ in den Anhang V aufgenommen wurde. Spätestens seit der Wirksamkeit dieser Änderung zum 20. März 2019 bedarf es für die automatische Anerkennung nach Art. 21 Abs. 1 BA-RL in Verbindung mit Art. 24 BA-RL von in Polen erworbenen Berufsqualifikationen für den Beruf des Arztes zusätzlich eines Nachweises über ein abgeleistetes Postgraduierten-Praktikum. In den dieser Ausarbeitung zugrunde liegenden Fällen fehlt nach den dazu bekannten Angaben zumindest dieser Nachweis, so dass eine automatische Anerkennung auf Grundlage der genannten Vorschriften der Berufsanerkennungsrichtlinie nicht erfolgen konnte. 2.2. Allgemeine Regelung für die Anerkennung von Ausbildungsnachweisen Ist eine automatische Anerkennung nach Kapitel III der Berufsanerkennungsrichtlinie wie in den vorliegenden Fällen nicht möglich, kommt subsidiär eine Anwendung der allgemeinen Regelung 16 Delegierter Beschluss (EU) 2019/608 der Kommission vom 16. Januar 2019 zur Änderung des Anhangs V der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich von Ausbildungsnachweisen und den Titeln von Ausbildungsgängen, ABl.EU 2019 Nr. L 104/1. 17 Siehe die ursprüngliche Amtsblattfassung (Fn. 2). 18 Delegierter Beschluss (EU) 2016/790 der Kommission vom 13. Januar 2016 zur Änderung des Anhangs V der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich von Ausbildungsnachweisen und den Titeln von Ausbildungsgängen, ABl.EU 2016 Nr. L 135/135. 19 Vgl. hierzu die konsolidierten Fassungen der Berufsanerkennungsrichtlinien vom 17.1.2014 und vom 24.5.2016. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/20 Seite 9 für die Anerkennung von Ausbildungsnachweisen nach Art. 10 ff. BA-RL in Betracht.20 Diese sieht – anders als im Fall der automatischen Anerkennung – eine individuelle Prüfung der in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Berufsqualifikationen auf ihre Gleichwertigkeit mit den im Aufnahmemitgliedstaat bestehenden Anforderungen vor (vgl. Art. 13 BA-RL sowie Erwägungsgrund Nr. 11 BA-RL). Fehlt es an der Gleichwertigkeit, kann der Aufnahmemitgliedstaat die Anerkennung von Ausgleichsmaßnahmen – einem Anpassungslehrgang oder einer Eignungsprüfung – abhängig machen (vgl. Art. 14 BA-RL). Die allgemeine Anerkennungsregelung gilt nach Art. 10 Abs. 1 BA-RL zum einen für alle Berufe, die nicht unter Kapitel II und III fallen, sowie zum anderen für Fälle, in denen der Antragsteller „aus besonderen und außergewöhnlichen Gründen die in diesen Kapiteln genannten Voraussetzungen nicht erfüllt […]“, wobei die Vorschrift im Weiteren sieben näher umschriebene Fälle anführt (vgl. Art. 10 Buchst. a bis g BA-RL). Vorliegend ist die letztgenannte Fallgruppe einschlägig, da es um Personen geht, die nicht alle in Kapitel III für Ärzte vorgesehene Anerkennungsvoraussetzungen erfüllen. Bei näherem Hinsehen sind die hierfür angeführten Fälle in Art. 10 Buchst. a bis g BA-RL jedoch nicht einschlägig, entweder weil sie nicht auf Ärzte anwendbar sind (Buchst. a, c, e und f) oder, weil die einschlägigen Voraussetzungen nicht erfüllt sind (Buchst. b, d und g). Nach Art. 10 Buchst. b BA-RL gilt die allgemeine Regelung u. a. für Ärzte, „wenn der Migrant die Anforderungen der tatsächlichen und rechtmäßigen Berufspraxis gemäß den Artikeln 23, 27 […] nicht erfüllt.“ Obgleich die Bezugnahme auf die Berufspraxis hier zunächst einschlägig erscheint, folgt aus den beiden Artikeln, auf die insoweit verwiesen wird, dass diese Fallgruppe hier nicht anwendbar ist. So bezieht sich Art. 23 BA-RL auf Ausbildungen und Zeiten der Berufsausübung, die vor den Stichtagen absolviert wurden, die in Anhang V bei den jeweiligen Ländern angegebenen sind (Polen: 1.5.2004). Art. 27 BA-RL erfasst hingegen Facharzttitel und darauf bezogene Ausbildungsnachweise älteren Datum und damit zusammenhängende Zeiten der Berufsausübung . Art. 10 Buchst. d BA-RL bezieht sich auf Ärzte, die über einen Ausbildungsnachweis für eine Spezialisierung verfügen und enthält Vorgaben zu deren Anerkennung. Art. 10 Buchst. g BA-RL erfasst schließlich in Drittländern erworbene Berufsqualifikationen. Konstellationen wie hier, die sich dadurch auszeichnen, dass nicht alle Nachweise erworben werden, um im Herkunftsstaat den betreffenden Beruf überhaupt ausüben zu können, werden durch die beschriebenen Fallgruppen somit nicht erfasst. Daher ist auch die allgemeine Regelung zur Anerkennung nach Art. 10 ff. BA-RL vorliegend nicht anwendbar, ohne dass es darauf ankommt, ob im Einzelfall zusätzlich jeweils besondere und außergewöhnliche Gründe seitens der Betroffenen nachgewiesen werden könnten.21 20 Siehe zur Unterscheidung zwischen diesen beiden Ansätzen der Berufsanerkennungsrichtlinie Lachmayer, Architektenanerkennung im Binnenmarkt, NZBau 2015, S. 472 (473). 21 Siehe zu den Anforderungen hieran EuGH, Urt. v. 16.4.2015, Rs. C-477/13 (Angerer), Rn. 39 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/20 Seite 10 3. Grundfreiheiten und Anerkennung von Berufsqualifikationen Neben der Berufsanerkennungsrichtlinie lassen sich auch den personenbezogenen Grundfreiheiten , insbesondere der Niederlassungs- (Art. 49 AEUV) und Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV), Vorgaben zur Anerkennung von Berufsqualifikationen entnehmen (3.1.). Ob diese Vorgaben auch im vorliegenden Fall greifen, bedarf hier allerdings einer näheren Betrachtung (3.2.). 3.1. Grundfreiheitliche Anerkennungsvorgaben Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs wohnt den genannten Grundfreiheiten ein (Rechts-)Grundsatz inne, wonach die Mitgliedstaaten im Falle eines entsprechenden Antrags stets verpflichtet sind, die in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Berufsqualifikationen und -erfahrungen etc. auf Gleichwertigkeit mit ihren eigenen Anforderungen für den Berufszugang bzw. dessen Ausübung zu überprüfen und ggf. eine Anerkennung auszusprechen oder Ausgleichsmaßnahmen vorzuschlagen.22 Dies gilt nach bisheriger unionsgerichtlicher Rechtsprechung auch dann, wenn es sich um Berufsqualifikationen und Berufe handelt, für die der Unionsgesetzgeber Richtlinien für die gegenseitige Anerkennung von Diplomen erlassen hatte.23 In den Worten des EuGH: „Gegenstand der vorliegenden Vorabentscheidungsvorlage ist daher nicht die Frage, ob die nationalen Behörden im Ausgangsverfahren verpflichtet sind, das Diplom des Klägers als den in der Richtlinie 85/384 genannten Befähigungsnachweisen im Bereich der Architektur gleichwertig anzuerkennen, sondern die Frage, ob diese Behörden ermitteln müssen, ob die beruflichen Fähigkeiten und die Berufserfahrung des Klägers ganz oder teilweise den Erfordernissen und den Bedingungen für den Zugang zum Architektenberuf in Belgien entsprechen, um ihm gegebenenfalls das Recht zuzuerkennen , diesen Beruf dort auszuüben. In diesem Zusammenhang müssen die Behörden eines Mitgliedstaats, die mit einem Antrag eines Gemeinschaftsangehörigen auf Zulassung zu einem Beruf befasst sind, dessen Aufnahme nach nationalem Recht vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation oder von Zeiten praktischer Erfahrung abhängt, sämtliche Diplome , Prüfungszeugnisse oder sonstigen Befähigungsnachweise sowie die einschlägige Erfahrung des Betroffenen in der Weise berücksichtigen, dass sie die durch diese Nachweise und diese Erfahrung belegten Fachkenntnisse mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnissen und Fähigkeiten vergleichen […]. Der Gerichtshof hat unterstrichen, dass diese Rechtsprechung nur einen den Grundfreiheiten des Vertrages innewohnenden Grundsatz zum Ausdruck bringt und dass diesem Grundsatz nicht dadurch ein Teil seiner rechtlichen Bedeutung genommen wird, dass Richtlinien für die gegenseitige Anerkennung von Diplomen erlassen werden […]. 22 Erstmals in EuGH, Urt. v. 7.5.1991, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Rn. 16 ff. Siehe ferner EuGH, Urt. v. 9.2..1994, Rs. C-319/92 (Haim), Rn. 27 f.; EuGH, Urt. v. 14.9.2000, Rs. C-238/98 (Hocsman), Rn. 23; EuGH, Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-31/00 (Dreessen), Rn. 24 ff.; EuGH, Urt. v. 6.10.2015, Rs. C-298/14 (Brouillard), Rn. 54 ff. 23 EuGH, Urt. v. 14.9.2000, Rs. C-238/98 (Hocsman), Rn. 31 ff.; EuGH, Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-31/00 (Dreessen), Rn. 23 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/20 Seite 11 Wie aus Artikel [53 Abs. 1 AEUV] hervorgeht, sollen derartige Richtlinien nämlich die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise dadurch erleichtern, dass sie gemeinsame Regeln und Kriterien aufstellen , die so weit wie möglich zur automatischen Anerkennung dieser Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise führen. Dagegen haben sie nicht das Ziel, die Anerkennung solcher Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweisen in nicht von den Richtlinien erfassten Sachverhalten zu erschweren und dürfen dies auch nicht bewirken. Die Mitgliedstaaten müssen folglich ihre sich aus der Auslegung der Artikel [49 AEUV und 53 AEUV] durch den Gerichtshof […] ergebenden Verpflichtungen in Bezug auf die gegenseitige Anerkennung beruflicher Qualifikationen bei jeder Prüfung eines Antrags auf Zulassung zu einem Beruf beachten, dessen Aufnahme nach nationalem Recht vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation oder von Zeiten praktischer Erfahrung abhängt, wenn das Diplom, dessen Inhaber der Gemeinschaftsbürger ist, nicht aufgrund einer Richtlinie für die gegenseitige Anerkennung der Diplome automatisch anerkannt wird, selbst wenn eine solche Richtlinie in dem betreffenden beruflichen Bereich erlassen worden ist.“24 3.2. Anwendung in den vorliegenden Fällen? Nach dieser Rechtsprechung könnte man auch hier, da eine Anerkennung nach der Berufsanerkennungsrichtlinie im konkreten Fall nicht in Betracht kommt, zu der Ansicht gelangen , dass der den Grundfreiheiten innewohnende (Rechts-)Grundsatz auf individuelle Gleichwertigkeitsprüfung im Bereich der Berufsqualifikationen Anwendung findet und zumindest einen Vergleich der in Polen absolvierten Ausbildungen und erworbenen Nachweise mit den nach deutschem Recht geforderten gebietet. Ob diese Rechtsprechung jedoch in Fällen wie den vorliegenden weiterhin Geltung beanspruchen kann, bedarf der Erörterung. Denn in den ihr zugrunde liegenden Fällen ging es nicht um das Verhältnis zur Berufsanerkennungsrichtlinie, sondern zu früheren, mittlerweile durch die Berufsanerkennungsrichtlinie aufgehobenen Anerkennungsrichtlinien, die eine (Auffang-)Regelung wie den jetzigen Art. 10 BA-RL nicht enthielten. Eine Anwendung des grundfreiheitlichen (Rechts-)Grundsatzes hätte nun zur Folge, dass eine im Einzelfall durchzuführende vergleichende Gleichwertigkeitsprüfungen auch unabhängig von den nach Art. 10 ff. BA-RL zu erfüllenden Voraussetzungen – Einschlägigkeit einer Fallgruppe nach Art. 10 Buchst. a bis g BA-RL sowie das Vorliegen besonderer oder außergewöhnlicher Gründe – stets möglich und unionsrechtlich auch geboten wäre. Zwar hat sich der EuGH zur Frage des Verhältnisses der grundfreiheitlichen Gleichwertigkeitsprüfung zur Berufsanerkennungsrichtlinie bisher nicht ausdrücklich geäußert. Seine Entscheidung in der Rechtssache Angerer aus dem Jahre 2015 lässt sich aber – zumindest in Konstellationen wie hier – als Abkehr von der bisherigen Rechtsprechungslinie deuten. In dem Verfahren wurde der Gerichtshof um Auslegung u. a. der in Art. 10 BA-RL enthal- 24 EuGH, Urt. v. 22.1.2002, Rs. C-31/00 (Dreessen), Rn. 23-27 (Hervorhebungen durch Verfasser). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/20 Seite 12 tenen Anforderung ersucht, wonach die Anwendung der subsidiären allgemeinen Regelung zur Anerkennung voraussetzt, dass die automatische Anerkennung aus „besonderen und außergewöhnlichen Gründen“ nicht erfolgen konnte. Gefragt wurde insoweit, ob diesen Gründen neben der Erfüllung der Voraussetzungen der jeweiligen Fallgruppen in Art. 10 Buchst. a bis g BA-RL eine eigenständige Bedeutung zukommt und sie daher gesondert nachzuweisen sind.25 Während der Generalanwalt eine eigenständige Bedeutung der zitierten Anforderungen in seinen Schlussanträgen auch unter Verweis auf die alte und oben zitierte Rechtsprechung, wonach die Anerkennungsrichtlinien nicht das Ziel hätten, die Anerkennung von Berufsqualifikationen zu erschweren, verneinte,26 entschied sich der EuGH für die gegenteilige Auslegung, nach der diese Gründe – neben den Fallgruppen und ihren Voraussetzungen – eigenständige Tatbestandsmerkmale darstellen.27 Dabei verwies er auch auf den Willen des Gesetzgebers und betonte, dass der Vorschlag der Kommission zu der betreffenden Vorschrift zwar weder den Nachweis irgendwelcher Gründe vorsah noch auf bestimmte Fallgruppen beschränkt war, beides aber auf Initiative des Rates in den später beschlossenen Richtlinientext Eingang gefunden hat.28 Daraus folgt, dass die allgemeine Regelung zur Anerkennung von Ausbildungsnachweisen nach der Berufsanerkennungsrichtlinie für Berufe, die an sich unter Kapitel III dieses Rechtsakts fallen, nach dem Willen des Unionsgesetzgebers nur unter bestimmten Bedingungen erfolgen soll. Mit seiner Auslegung ist der EuGH dem gesetzgeberischen Willen gefolgt , ungeachtet des Umstandes, dass er die „besonderen und außergewöhnlichen Gründe“ anschließend inhaltlich eher weit ausgelegt hat.29 Obgleich in der betreffenden Rechtssache eine subsidiäre Anwendung der grundfreiheitlichen Anerkennungsvorgaben nicht im Raum stand, erscheint es somit zweifelhaft, ob der Gerichtshof einen Rückgriff hierauf angesichts der nunmehr bestehenden, aber an Voraussetzungen gebundenen allgemeinen Anerkennungsregelung in Art. 10 BA-RL bejaht hätte. Verstärkt werden diese Zweifel durch eine weitere Aussage, die der Gerichtshof in diesem Urteil getätigt hat: „Zum Ziel der Richtlinie 2005/36 geht aus deren Art. 1 und 4 hervor, dass die gegenseitige Anerkennung hauptsächlich dazu dient, es dem Inhaber einer Berufsqualifikation , die ihm in seinem Herkunftsmitgliedstaat die Aufnahme eines reglementierten Berufs erlaubt, zu ermöglichen, im Aufnahmemitgliedstaat denselben Beruf wie 25 EuGH, Urt. v. 16.4.2015, Rs. C-477/13 (Angerer), Rn. 23 ff. 26 GA Szpunar, Schlussanträge vom 5.11.14 zu Rs. C-477/13 (Angerer), Rn. 28 ff., 50. 27 EuGH, Urt. v. 16.4.2015, Rs. C-477/13 (Angerer), Rn. 23 ff., 38. 28 EuGH, Urt. v. 16.4.2015, Rs. C-477/13 (Angerer), Rn. 33. 29 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.4.2015, Rs. C-477/13 (Angerer), Rn. 39 ff. Siehe dazu auch Lachmayer (Fn. 20), NZBau 2015, S. 472 (473). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/20 Seite 13 den, für den er in seinem Herkunftsmitgliedstaat qualifiziert ist, aufzunehmen und ihn dort unter denselben Voraussetzungen wie Inländer auszuüben […]. Eine Auslegung von Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 2005/36 dahin, dass Antragsteller , die die Voraussetzungen von Kapitel III des Titels III dieser Richtlinie nicht erfüllen , keine besonderen und außergewöhnlichen Gründe nachweisen müssten, könnte zur Folge haben, dass der Aufnahmemitgliedstaat verpflichtet wäre, die Ausbildungsnachweise eines Antragstellers selbst dann zu prüfen, wenn dieser nicht die Qualifikationen besäße, die in seinem Herkunftsmitgliedstaat für die Ausübung des Architektenberufs erforderlich sind, was dem Ziel der Richtlinie zuwiderliefe.“30 Genau dieser Umstand kennzeichnet auch die hier vorliegenden Fälle, da die betroffenen Personen gerade nicht alle Qualifikationen besitzen, die nach polnischem Recht für die ärztliche Berufsausübung erforderlich sind. Auf der anderen Seite hätte eine Sperrung der grundfreiheitlichen Anerkennungsvorgaben zur Folge, dass die Berufsanerkennungsrichtlinie die Anerkennung von Berufsqualifikationen – anders als in Art. 53 Abs. 1 AEUV vorgesehen – im Ergebnis erschweren würde. Damit aufgeworfen ist auch die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Unionsgesetzgeber berechtigt ist, den Gewährleistungsgehalt der Grundfreiheiten – hier im Bereich der Anerkennung von Berufsqualifikationen – einzuschränken. Nach unionsgerichtlicher Rechtsprechung und überwiegender Auffassung im Schrifttum ist auch der Unionsgesetzgeber an die Grundfreiheiten gebunden und darin eingreifendes Sekundärrecht bedarf – wie auch bei mitgliedstaatlichen Eingriffen – der Rechtfertigung,31 die hier auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist.32 In dem vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten Rechtsgutachten wird daneben noch die Auffassung vertreten, dass die Berufsanerkennungsrichtlinie hier aus einem anderen Grund keine Sperrwirkung entfalten könne:33 Sie sei auf den Fall zugeschnitten, dass im Aufnahmestaat höhere Anforderungen an die Berufsausbildung bestünden als im Herkunftsstaat . Die Berufsanerkennungsrichtlinie verfolge insoweit (nur) das Ziel, dem Aufnahmemitgliedstaat zu verbieten, über die in dem Rechtsakt vorgesehenen Anforderungen für die Anerkennung hinauszugehen. Fallkonstellationen, in denen die Anforderungen im Aufnahmemitgliedstaat niedriger seien als im Herkunftsstaat – wie in den vorliegenden 30 EuGH, Urt. v. 16.4.2015, Rs. C-477/13 (Angerer), Rn. 36 f. (Hervorhebung durch Verfasser). 31 Siehe hierzu mit weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 34-36 AEUV, Rn. 109. 32 Siehe hierzu die Ausführungen unten unter 4., S. 14 f. 33 Korte, Gutachten (Fn. 4), Pkt. B. II. 1 c). Dort wird das Verhältnis von Sekundärrecht und Grundfreiheiten im Hinblick auf die Sperrwirkung des ersten gegenüber dem letzteren dogmatisch – anders als hier – als Frage von Voll- und Mindestharmonisierung behandelt (vgl. Pkt. B. II. 1 a) und b)). Ob dieser Ansatz mit Blick auf die Besonderheiten der Anerkennung von Berufsqualifikationen hier in gleicher Weise wie im Fall einer (materiellen) Harmonisierung mitgliedstaatlichen Rechts zu behandeln ist, kann jedoch dahinstehen. Denn die sich dabei mit Blick auf die Materie der Anerkennung stellenden Fragen und Argumente zum Verhältnis von Sekundärrecht und Grundfreiheiten dürften die gleichen sein. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/20 Seite 14 Fällen – seien hingegen nicht erfasst, so dass die Berufsanerkennungsrichtlinie gegenüber den grundfreiheitlichen Anerkennungsvorgaben keine Sperrwirkung entfalte. 3.3. Fazit Welcher Auslegung zum Verhältnis von Berufsanerkennungsrichtlinie und grundfreiheitlichen Anerkennungsvorgaben der Vorzug zu geben ist, lässt sich mangels einer ausdrücklichen Entscheidung des EuGH zu dieser Frage nicht abschließend beantworten. Gegen einen Rückgriff auf die grundfreiheitlichen Anerkennungsvorgaben spricht in jedem Fall, dass den hierzu bisher entschiedenen Urteilen Anerkennungsrichtlinien zugrunde lagen, die eine subsidiär anwendbare allgemeine Anerkennungsregelung nicht vorsahen, die im Falle einer nicht möglichen automatischen Anerkennung greifen konnte. Diesen Missstand hat der Unionsgesetzgeber mit der Regelung in Art. 10 BA-RL behoben. Dabei ist er jedoch gezielt von dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag abgewichen, der als Kodifikation dieser Rechtsprechung angesehen werden konnte, indem er ihn durch zusätzliche Voraussetzungen eingeschränkt hat. Würde man weiterhin einen Rückgriff auf die grundfreiheitlichen Anerkennungsvorgaben zulassen, führte dies zu einem Leerlaufen der Restriktion in Art. 10 BA-RL und damit zu einer Missachtung des gesetzgeberischen Willens. Da eine solche Auslegung jedoch zur Folge hat, dass eine vergleichende Gleichwertigkeitsprüfung unionsrechtlich nicht geboten ist und eine Berufszulassung auch unter Berücksichtigung von Anpassungsmaßnahmen von Unionsrechtswegen nicht möglich wäre, stellt sich auf der anderen Seite die Frage, ob derartige sekundärrechtliche Restriktionen mit den betreffenden Grundfreiheiten vereinbar sind. Dies könnte jedoch deshalb zu bejahen sein, weil die Berufsanerkennungsrichtlinie – wie sogleich zu zeigen sein wird – in diesen Konstellationen nicht zu einem Anerkennungsverbot führt, sondern eine Anerkennung nur nicht gebietet. 4. Anerkennung von Berufsqualifikationen nach nationalem Recht Geht man davon aus, dass (auch) eine grundfreiheitliche Gleichwertigkeitsprüfung der betreffenden Ausbildungsnachweise unionsrechtlich nicht geboten ist, so bedeutet dies nicht, dass das Unionsrecht eine Anerkennung durch den Aufnahmemitgliedstaat ausschließt. Insoweit kann auf die obige Argumentation aus dem Rechtsgutachten verwiesen werden, wonach die Berufsanerkennungsrichtlinie Verbotswirkungen nur insoweit entfaltet, als sie dem Aufnahmemitgliedstaat verwehrt, die Anerkennung jeweils von Voraussetzungen abhängig zu machen, die über die Vorgaben der Berufsanerkennungsrichtlinie hinausgehen. Im Übrigen lässt sich ihr nicht entnehmen, dass der Aufnahmemitgliedstaat durch gehindert wäre, geringere Anerkennungsvoraussetzungen aufzustellen, als sie die Richtlinie vorsieht. Die gilt insbesondere in Fällen, in denen im Aufnahmemitgliedstaat u. U. geringere Voraussetzungen an die Berufszulassung bestehen als im Herkunftsmitgliedstaat , der vorliegend Anforderungen im Hinblick auf die praktische Ausbildung stellt, die über die Mindestvorgaben in der Berufsanerkennungsrichtlinie hinausgehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/20 Seite 15 Verwiesen werden kann insoweit auf ähnliche, vom EuGH entschiedene Konstellationen im Zusammenhang mit der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit.34 In der Sache ging es dabei um Ansprüche auf Kindergeld nach deutschem Recht in grenzüberschreitenden Fällen. Obgleich die einschlägigen Anspruchsvoraussetzungen nach dem Einkommensteuergesetz jeweils vorlagen, lehnten die zuständigen deutschen Behörden eine Zahlung ab und verwiesen dabei auf das koordinierende EU-Sozialrecht, wonach die betreffenden Personen den sozialrechtlichen Vorschriften jeweils eines anderen Mitgliedstaats unterlägen und nicht denen Deutschlands.35 Der EuGH bestätigte zwar diese Vorgaben des koordinierenden EU-Sozialrechts und, dass Deutschland daher unionsrechtlich nicht verpflichtet sei, Kindergeld zu gewähren.36 Zugleich stellte er aber fest, dass die betreffenden unionsrechtlichen Vorschriften dem sozialrechtlich unzuständigen Mitgliedstaat nicht verwehren, Leistungen wie das Kindergeld zu gewähren, wenn das nationale Recht dies selbst vorsieht.37 Gebietet das Unionsrecht eine bestimmte (vorteilhafte) Behandlung nicht, so kann daraus nicht geschlossen werden, dass es einer solchen durch das mitgliedstaatliche Recht autonom möglichen im Wege steht. Entsprechend dürfte auch hier gelten, dass es keine Frage des Unionsrechts, sondern allein eine des nationalen Rechts ist, ob der Aufnahmemitgliedstaat in einem solchen Fall wie hier eine Anerkennung bzw. eine Gleichwertigkeitsprüfung vornimmt. Dieses kann – da das Unionsrecht insoweit kein Verbot vorsieht – autonom über die Anerkennung bzw. Gleichwertigkeitsprüfung entscheiden. Inwieweit die geltenden deutschen Rechtsvorschriften eine solche Möglichkeit vorsehen , ist nicht Gegenstand dieser auf unionsrechtliche Fragen zielenden Ausarbeitung. Das Unionsrecht stünde dem Erlass entsprechender Vorschriften jedoch nicht im Wege. 5. Ergebnis Unionsrechtliche Vorgaben zur Anerkennung könnten sich vorliegend allenfalls aus den personenbezogenen Grundfreiheiten der Niederlassungsfreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit ergeben . Ob die danach gebotene vergleichende Prüfung der Gleichwertigkeit der in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Ausbildungsnachweise in den der Ausarbeitung zugrunde liegenden Fällen Anwendung finden kann, ist mit Blick auf die (restriktiven) Voraussetzungen, die die subsidiär greifende allgemeine Regelung für die Anerkennung von Berufsqualifikationen nach Art. 10 BA-RL vorsieht und die hier nicht erfüllt sind, zweifelhaft. Eine ausdrückliche Entscheidung des EuGH liegt zu dieser Frage zwar nicht vor. Die Rechtsprechung zur Auslegung von 34 EuGH, Urt. v. 20.5.2008, Rs. C-352/06 (Bosmann); EuGH, Urt. v. 12.6.2012, verb. Rs. C-611/10 u. C-612/10 (Hudzinski u. Wawrzyniak). 35 Vgl. EuGH, Urt. v. 20.5.2008, Rs. C-352/06 (Bosmann), Rn. 9 f.; EuGH, Urt. v. 12.6.2012, verb. Rs. C-611/10 u. C-612/10 (Hudzinski u. Wawrzyniak), Rn. 14 ff. 36 Vgl. EuGH, Urt. v. 20.5.2008, Rs. C-352/06 (Bosmann), Rn. 14 ff., 27; EuGH, Urt. v. 12.6.2012, verb. Rs. C-611/10 u. C-612/10 (Hudzinski u. Wawrzyniak), Rn. 37 ff., 44 f. 37 Vgl. EuGH, Urt. v. 20.5.2008, Rs. C-352/06 (Bosmann), Rn. 28 ff., 33; EuGH, Urt. v. 12.6.2012, verb. Rs. C-611/10 u. C-612/10 (Hudzinski u. Wawrzyniak), Rn. 45 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/20 Seite 16 Art. 10 BA-RL lässt sich jedoch in diese Richtung deuten. Sollte danach eine Gleichwertigkeitsprüfung unionsrechtlich nicht geboten sein, steht dies einer autonomen mitgliedstaatlich veranlassten Anerkennung bzw. Gleichwertigkeitsprüfung nicht entgegen. – Fachbereich Europa –