© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 16/15 Unionsrechtliche Anforderungen an eine Kennzeichnung von Getränkeverpackungen mit „Einweg“ oder „Mehrweg“ Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/15 Seite 2 Unionsrechtliche Anforderungen an eine Kennzeichnung von Getränkeverpackungen mit „Einweg “ oder „Mehrweg“ Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 16/15 Abschluss der Arbeit: 12. Februar 2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Hintergründe 4 3. Sekundärrechtliche Handlungsspielräume 5 4. Mitteilung der Kommission 6 4.1. Rechtswirkungen einer Mitteilung der Kommission 6 4.2. Inhalt der Kommissionsmitteilung 7 5. Primärrechtliche Zulässigkeit einer konkreten Kennzeichnungspflicht 8 5.1. Beschränkung des freien Warenverkehrs 8 5.2. Rechtfertigung der Beschränkung des freien Warenverkehrs 9 5.3. Verhältnismäßigkeit 9 6. Folgerungen für die Wahl einer bestimmten Kennzeichnungspflicht 11 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/15 Seite 4 1. Einleitung In Deutschland besteht ein Pfand- und Rückgabesystem für Getränkeverpackungen, wobei zwischen pfandpflichtigen und nicht pfandpflichtigen Einweggetränkeverpackungen differenziert wird (§ 9 Abs. 2 VerpackV1). Die Vertreiber von Getränken in Einweg- und Mehrweggetränkeverpackungen , die in Deutschland der Pfandpflicht unterliegen, sind dazu verpflichtet, Einweggetränkeverpackungen vor dem Inverkehrbringen deutlich lesbar und an gut sichtbarer Stelle als pfandpflichtig zu kennzeichnen (§ 9 Abs. 1 S. 4 VerpackV). Die derzeitige Kennzeichnungspflicht differenziert jedoch nicht zwischen „Einweg“ oder „Mehrweg“.2 Die Ausarbeitung geht der Frage nach, ob eine Kennzeichnung als „Einweg“ oder „Mehrweg“ aus unionsrechtlicher Sicht nur durch den Letztvertreiber bzw. Einzelhandel gegenüber dem Endverbraucher erfolgen darf oder ob auch eine Kennzeichnungspflicht, wonach auf den pfandpflichtigen Getränkeverpackungen die Bezeichnung „Einweg“ oder „Mehrweg“ anzubringen ist, mit europäischem Recht und insbesondere den Grundfreiheiten vereinbar ist. 2. Hintergründe Im Sommer 2009 hat das BMUB einen Entwurf für eine Verordnung über die Kennzeichnung von Getränkeverpackungen vorgelegt (GetränkeverpackKennV), der in § 3 die Pflicht vorgesehen hat, Getränkeverpackungen mit „Mehrweg“ oder „Einweg“ zu kennzeichnen. Das BMUB hat den Entwurf im September 2009 bei der Europäischen Kommission gem. Art. 16 Richtlinie 94/62 EG3 notifiziert . Nach Auskunft des StS BMUB vom 19. April 2013 hat die Kommission in dem Notifizierungsverfahren „unmissverständlich deutlich gemacht, dass sie in der vorgeschlagenen Pflicht zur Kennzeichnung der Verpackungen eine nicht durch Umweltaspekte gerechtfertigte Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit“ sehe; eine Verpackungskennzeichnung würde zu einem Vertragsverletzungsverfahren führen. In einem späteren Entwurf der Bundesregierung für eine entsprechende Verordnung war eine Kennzeichnungspflicht nurmehr für den Letztvertreiber vorgesehen. Dies stützte sich u.a. auf die Begründung, dass eine verbindliche Kennzeichnung bepfandeter Getränkeverpackungen mit dem Hinweis „Mehrweg“ oder „Einweg“ nach Auffassung der Kommission den freien Warenverkehr im Binnenmarkt behindern würde.4 Nach befürwortender Beschlussempfehlung des Ausschusses 1 Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen (Verpackungsverordnung - Verpack V) vom 21. August 1998 (BGBl. I S. 2379), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 17. Juli 2014 (BGBl. I S. 1061). 2 Vgl. die Informationen über das DGP-Pfandsystem, online abrufbar unter: http://www.dpgpfandsystem.de/index .php/de/die-funktionsweise-des-dpg-einwegpfandsystem.html. 3 Richtlinie 94/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle, ABl. Nr. L 365 S. 10, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:01994L0062-20130228&qid=1423150711164&from=DE. 4 BT-Drs. 17/12303, S. 6. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/15 Seite 5 für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Verordnungsvorschlag der Bundesregierung 5 hat der Deutsche Bundestag dem Vorschlag am 14. März 2013 zugestimmt.6 Die gemäß Art. 80 Abs. 2 GG erforderliche Zustimmung des Bundesrates ist jedoch nicht erfolgt. Der Wirtschaftsausschuss im Bundesrat hat sich gegen eine Zustimmung ausgesprochen; der Umweltausschuss im Bundesrat hat eine Zustimmung von der Änderung abhängig gemacht, dass der Hinweis beim Handel durch eine Kennzeichnung der Getränkeverpackung ersetzt wird.7 Daraufhin wurde der Punkt am 3. Mai 2013 von der Tagesordnung des Bundesrates abgesetzt und seitdem nicht wieder aufgerufen.8 3. Sekundärrechtliche Handlungsspielräume Für die Einführung einer Kennzeichnungspflicht als „Einweg“ oder „Mehrweg“ durch den Letztvertreiber oder unmittelbar auf den Getränkeverpackungen müsste der deutsche Gesetzgeber zunächst über einen legislativen Spielraum verfügen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die deutsche Verpackungsverordnung im Regelungskontext der Richtlinie 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle steht. Ziel der Richtlinie ist die Harmonisierung der unterschiedlichen Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Bereich der Verpackungen und Verpackungsabfälle. So sollen einerseits die Auswirkungen dieser Abfälle auf die Umwelt vermieden oder verringert werden (Art. 4 RL 94/62/EG). Andererseits sollen der Binnenmarkt gestärkt und Handelshemmnisse beseitigt, indem einheitliche Rahmenbedingungen für die Verpackung und Kennzeichnung von Lebensmitteln geschaffen werden. Hierzu enthält die Richtlinie Bestimmungen zur Vermeidung von Verpackungsabfällen, zur Wiederverwendung von Verpackungen sowie Mindestanforderungen für die nationalen Verpackungs- und Kennzeichnungsvorschriften. Als Grundlage für eine Bewirtschaftung von Verpackungen und Verpackungsabfällen legt die Richtlinie beispielsweise die Errichtung von Rücknahme-, Sammel- und Verwertungssystemen durch die Mitgliedstaaten fest.9 Im Hinblick auf die Errichtung eines Pfandsystems für Getränkeverpackungen belässt die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum. Diese Systeme müssen jedenfalls allen Marktteilnehmern aus der EU offen stehen und so beschaffen sein, dass einerseits eine größtmögliche Rückgabe von Verpackungen und Verpackungsabfällen sichergestellt wird und andererseits Importprodukte keine Benachteiligung erfahren und keine Handelshemmnisse oder Wettbewerbsverzerrungen entstehen (vgl. Art. 7 Abs. 1 UAbs. 1 RL 94/62/EG). Für den Zweck der größtmöglichen Rückgabe von Verpackungen kann bei Getränkeverpackungen zwischen dem Grad der Wieder- bzw. Weiterverwendung differenziert werden. 5 BT-Drs. 17/12739. 6 BT-Plen-Prot. 17/228, S. 28434A. 7 BR-Drs. 208/1/13. 8 BR-Plen-Prot 909, TOP 77, S. 193B. 9 Vgl. 8. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 zur Änderung der Richtlinie 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle - Erklärung des Rates, der Kommission und des Europäischen Parlaments, ABl. Nr. L 47 S. 26. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/15 Seite 6 Angesichts dieser Differenzierung betont die Richtlinie das Erfordernis einer besonderen Kenntnis der Verbraucher über Rückgabemöglichkeiten. Auch hinsichtlich der Vermittlung der für das Funktionieren eines Rücknahme-, Sammel- und Verwertungssystems notwendigen Kenntnisse der Verbraucher räumt die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum ein. Art. 13 Abs. 1 RL 94/62/EG erlegt den Mitgliedstaaten die Pflicht auf, Maßnahmen zu treffen, die gewährleisten, dass die Verpackungsverwender, insbesondere die Verbrauchern, in der erforderlichen Weise über insbesondere (1) die den Verwendern zur Verfügung stehende Rücknahme-, Sammel- und Verwertungssysteme, (2) den Beitrag der Verwender zur Wiederverwendung, Verwertung und stofflichen Verwertung der Verpackungen und Verpackungsabfälle sowie (3) die Bedeutung der auf dem Markt anzutreffenden Kennzeichnung auf den Verpackungen zu unterrichten. Nach Art. 13 Abs. 2 RL 94/62/EG fördern die Mitgliedstaaten ferner geeignete Kampagnen zur Information und Sensibilisierung der Verbraucher . Zusammengefasst besteht sowohl bei der konkreten Ausgestaltung eines mitgliedstaatlichen Rücknahme-, Sammel- und Verwertungssystems als auch bei der für dessen Funktionieren notwendigen Unterrichtung der Verbraucher ein weiter Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten, der die Einführung einer Kennzeichnungspflicht als „Einweg“ oder „Mehrweg“ sowohl durch den Letztvertreiber als auch unmittelbar auf den Getränkeverpackungen zulässt. 4. Mitteilung der Kommission Ergänzend zur RL 94/62/EG hat die Kommission eine Mitteilung „Getränkeverpackungen, Pfandsysteme und freier Warenverkehr“ veröffentlicht. 4.1. Rechtswirkungen einer Mitteilung der Kommission Mitteilungen der Kommission zählen nicht zu den in Art. 288 AEUV vorgesehenen verbindlichen Rechtsakten. Die Handlungsform der Mitteilung hat für sich genommen bloßen informativen und appellativen Charakter ohne Bindungswirkung. Sie entfalten keine unmittelbare rechtliche Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten, sondern dienen primär der Auslegung des Unionsrechts und der einheitlichen Rechtsanwendung. Vor diesem Hintergrund kann die Kommission ihr vertraglich vorgesehenes Ermessen mit Blick auf seine künftige Ausübung im Sinne einer größeren Rechtssicherheit und Transparenz ihrer Entscheidungsprozesse durch eine Mitteilung konkretisieren .10 Obwohl es sich bei Mitteilungen nicht um Rechtsvorschriften im eigentlichen Sinn handelt , binden sie das Organ, von dem sie ausgehen, zumindest insofern, als es nur unter angemes- 10 EuGH, Rs. C-456/00 (Kommission/Frankreich), Rn. 41; EuGH, Rs. C-288/96 (Deutschland/Kommission), Rn. 62; EuGH, Rs. C-310/99 (Italien/Kommission), Rn. 52; EuGH, Rs. C-278/00 (Griechenland/Kommission), Rn. 98. EuGH, Rs. C-610/10 (Kommission/Spanien), Rn. 116; EuGH, Rs. C- 378/13 (Kommission/Griechenland), Rn. 52. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/15 Seite 7 sener Begründung ohne Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und des Vertrauensschutzes von ihnen abweichen kann.11 Jedoch ist diese Handlungsform weder gegenüber den Mitgliedstaaten , noch dem Gerichtshof rechtsverbindlich, sondern führt vielmehr zu einer Selbstbindung der Kommission, indem sie sich bei Ausübung ihres Ermessens an die zuvor dargelegten Maßstäbe halten muss.12 4.2. Inhalt der Kommissionsmitteilung In der Mitteilung mit dem Titel „Getränkeverpackungen, Pfandsysteme und freier Warenverkehr“ aus dem Jahr 2009 gibt die Kommission einen – nicht außenwirksam rechtsverbindlichen – Überblick darüber, welche konkreten Vorgaben sie dem geltenden EU-Recht im Hinblick auf die Wiederverwendung von Getränkeverpackungen (Pfandsysteme) entnimmt.13 Wegen der bestehenden Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung von Pfandsystemen hat die Kommission insbesondere im Auge, ob die Regelungen der Mitgliedstaaten den Binnenmarkt fragmentieren und ungerechtfertigte Handelshemmnisse hervorrufen könnten.14 Als generelle Aussage hält die Kommission zunächst fest, dass Mitgliedstaaten Importprodukte nicht unangemessen benachteiligen und einen guten Kompromiss zwischen den Zielen des Umweltschutzes und des Binnenmarktes finden sollten.15 In Bezug auf die Kennzeichnung von Pfandflaschen hält es die Kommission für „nützlich“, sie mit einem einheitlichen Logo auszustatten, weist jedoch auch auf die zusätzlichen Kosten für Händler und Hersteller für Importprodukte, aber auch für die Ausfuhr in andere Mitgliedstaaten mit anderen Regelungen hin.16 Da hier mit Verbraucherschutz und dem Interesse am Marktzugang zwei Interessen kollidieren, sollen Regelungen der Mitgliedstaaten „auf das erforderliche Mindestmaß begrenzt bleiben“17. Dies betrifft Designmerkmale und Druckspezifikationen eines einheitlichen Logos, die leicht zugänglich sein sollen. Zudem schlägt die Kommission vor, dass für Importeure kleine Mengen von Aufklebern bereitgestellt bzw. die Verwendung anderer Logos aus anderen Mitgliedstaaten gestatten werden könnten, um Importkosten zu reduzieren. Letztere Möglichkeit könne im Interesse der Betrugsbekämpfung allerdings eingeschränkt werden. Einen Hinweis darauf, bei wem bzw. auf welche Distributionsstufe die Kommission die Pflicht zur 11 EuG, Rs. T-119/02 (Royal Philips), Rn. 242; EuG, Rs. T-241/01 (Scandinavian Airlines System AB), Rn. 64; EuGH, verb. Rs. C-189/02 P u.a. (Dansk Rørindustri A/S u.a.), Rn. 211 ff.; EuGH, Rs. C-464/09 P (Holland Malt/Kommission), Rn. 47; Schlussanträge GA Colomber zu EuGH, Rs. C-387/97 (Kommission/Griechenland), Rn. 12, 100. 12 EuGH, Rs. C-456/00 (Kommission/Frankreich), Rn. 41; EuGH, Rs. C-288/96 (Deutschland/Kommission), Rn. 62; EuGH, Rs. C-310/99 (Italien/Kommission), Rn. 52; EuGH, Rs. C-278/00 (Griechenland/Kommission), Rn. 98. 13 Mitteilung vom 9.5.2009, Dok.-Nr. 2009/C 107/01. 14 Mitteilung vom 9.5.2009, Dok.-Nr. 2009/C 107/01, S. 1, 5. 15 Mitteilung vom 9.5.2009, Dok.-Nr. 2009/C 107/01, S. 5f. 16 Zum Folgenden s. Mitteilung vom 9.5.2009, Dok.-Nr. 2009/C 107/01, S. 6f. 17 Mitteilung vom 9.5.2009, Dok.-Nr. 2009/C 107/01, S. 6. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/15 Seite 8 Kennzeichnung verortet, um den Eingriff in den Binnenmarkt so gering wie möglich zu halten, enthält die Mitteilung nicht. 5. Primärrechtliche Zulässigkeit einer konkreten Kennzeichnungspflicht Soweit den Mitgliedstaaten somit ein Handlungsspielraum bei der Regulierung der Verpackung und Kennzeichnung von Lebensmitteln verbleibt, können die Mitgliedstaaten diesen Spielraum nur in einer Weise ausfüllen, die mit den primärrechtlichen Verpflichtungen und hier insbesondere mit den Grundsätzen des freien Warenverkehrs (Art. 34 ff. AEUV) in Einklang steht. 5.1. Beschränkung des freien Warenverkehrs Die Warenverkehrsfreiheit erfasst gemäß Art. 28 AEUV alle körperlichen Gegenstände, die im Hinblick auf Handelsgeschäfte über eine Grenze verbracht werden können. Für solche Waren verbietet Art. 34 AEUV nicht gerechtfertigte mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten. Maßnahmen gleicher Wirkung sind grundsätzlich alle Regelungen der Mitgliedstaaten, die geeignet sind, den Handel innerhalb der Union unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern.18 So stellt es für den Importeur von Waren bereits dann eine Behinderung des freien Warenverkehrs dar, wenn er durch nationale Vorschriften davon abgehalten wird, die fragliche Ware in dem betreffenden Mitgliedstaat in den Verkehr zu bringen oder zu vertreiben.19 Zudem spiegelt Art. 34 AEUV die Verpflichtung wider, sowohl die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der gegenseitigen Anerkennung von Waren, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden, einzuhalten als auch Waren aus der Union freien Zugang zu den nationalen Märkten zu gewährleisten.20 Die derzeit geltende Kennzeichnungspflicht für Getränkeverpackungen nimmt lediglich ökologisch vorteilhafte Einweggetränkeverpackungen (§ 9 Abs. 2 VerpackV) und solche Verpackungen von der Kennzeichnungspflicht aus, die nicht im räumlichen Geltungsbereich der VerpackV und damit im EU-Ausland an Endverbraucher abgegeben werden (§ 9 Abs. 1 S. 2 VerpackV). Ansonsten gilt die in der VerpackV vorgesehene Kennzeichnungspflicht für pfandpflichtige Getränkeverpackungen unterschiedslos für alle im Sinne der Verpackungsverordnung einschlägigen Getränkeverpackungen . Damit sind von der Kennzeichnungspflicht auch solche Getränkehersteller betroffen , die ihre Produkte bereits in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig in den Verkehr gebracht haben. Unter diesen Umständen wirkt die Einführung einer Kennzeichnungspflicht als „Einweg“ oder „Mehrweg“ sowohl durch den Letztvertreiber als auch unmittelbar auf den Getränkeverpackungen nicht diskriminierend. Jedoch wirkt insbesondere die Kennzeichnungspflicht unmittelbar auf den Getränkeverpackungen als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige 18 EuGH, Rs. 8/74 (Dassonville), Rn. 5; EuGH, Rs. C-108/09 (Ker-Optika), Rn. 47. 19 EuGH, Rs. C-171/11 (Fra.bo), Rn. 22. 20 EuGH, Rs. C-110/05 (Kommission/Italien), Rn. 34; EuGH, Rs. C-108/09 (Ker-Optika), Rn. 48. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/15 Seite 9 Einfuhrbeschränkung im Sinne des Art. 34 AEUV. Dieser verbietet Hemmnisse für den freien Warenverkehr , die sich daraus ergeben, dass Waren aus anderen Mitgliedstaaten, die dort rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, bestimmten Vorschriften wie etwa hinsichtlich ihrer Ausstattung, ihrer Etikettierung und ihrer Verpackung entsprechen müssen, auch wenn diese unterschiedslos für einheimische und eingeführte Erzeugnisse gelten.21 Eine Kennzeichnungspflicht auf der Getränkeverpackung hinsichtlich des deutschen Rücknahme -, Sammel- und Verwertungssystems erlegt EU-ausländischen Marktteilnehmern eine weitergehende Kennzeichnungspflicht auf, erschwert durch diese produktbezogene Regelung22 den Zugang zum deutschen Markt und behindert somit den freien Warenverkehr. 5.2. Rechtfertigung der Beschränkung des freien Warenverkehrs Eine Behinderung des freien Warenverkehrs kann durch die in Art. 36 AEUV aufgezählten Gründe des Allgemeininteresses oder durch zwingende Erfordernisse gerechtfertigt sein. Als solche kommen im Kontext der Warenverkehrsfreiheit insbesondere der Umweltschutz23 im Rahmen einer vorsorgenden Umweltpolitik zur Abfallvermeidung und der Verbraucherschutz in Betracht. 5.3. Verhältnismäßigkeit In beiden Fällen muss die innerstaatliche Maßnahme geeignet sein, die Verwirklichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.24 In Ermangelung von Harmonisierungsvorschriften ist es grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, darüber zu befinden, welches Schutzniveau sie gewährleisten wollen und welche produktbezogenen Regelungen hierfür erforderlich sind. Dabei dürfen weder die zum Schutz der Umwelt noch zum Verbraucherschutz erlassenen Maßnahmen über die unvermeidlichen Beschränkungen hinausgehen, die aus dem jeweiligen Allgemeininteresse heraus gerechtfertigt sind. Die Kennzeichnungspflicht als solche ist notwendiger Bestandteil der Errichtung eines Pfandund Rücknahmesystems für Leergut, das die Wiederverwendung von Verpackungen sicherstellen soll. Voraussetzung für die Einführung einer in der Einleitung umschriebenen Kennzeichnungspflicht ist das Bestehen eines Systems von Pfand- und Rücknahmepflichten für Getränkeverpackungen . Entsprechend der Rechtsprechung des EuGH ist ein solches System mit der Warenverkehrsfreiheit und der RL 94/62/EG grundsätzlich vereinbar, solange in dem System insbesondere 21 EuGH, Rs. C-3/99 (Cidrerie Ruwet), Rn. 46. 22 Vgl. EuGH, Rs. C-309/02 (Radeberger), Rn. 17. 23 Vgl. EuGH, Rs. 302/86 (Kommission/Dänemark), Rn. 8 ff. 24 EuGH, Rs. C-108/09 (Ker-Optika), Rn. 57. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/15 Seite 10 keine unübersichtlichen und schwer nachvollziehbaren Unterscheidungen im Bereich der Pfandpflicht bestehen.25 In diesem Fall kann die Maßnahme zur Erreichung der Ziele der streitigen Regelung erforderlich sein, und die dadurch bedingten Beschränkungen des freien Warenverkehrs sind nicht als unverhältnismäßig anzusehen.26 Eine über die bestehende, als grundsätzlich primärrechtskonform anerkannte Kennzeichnungspflicht hinausgehende Pflicht zur Kennzeichnung von Einweggetränkeverpackungen mit „Einweg “ oder „Mehrweg“ müsste die Warenverkehrsfreiheit ebenso wenig unverhältnismäßig beschränken . Ein solches Vorhaben wäre jedenfalls nicht grundsätzlich unverhältnismäßig. Hierbei stellt sich die Frage, ob sich eine der beiden Alternativen – die Einführung einer Kennzeichnungspflicht als „Einweg“ oder „Mehrweg“ durch den Letztvertreiber oder unmittelbar auf den Getränkeverpackungen – aus Gründen der Verhältnismäßigkeit als zwingend vorzugswürdige darstellt. Alternative Instrumente wie beispielsweise die Durchführung von Informationskampagnen stellen gegenüber einer Etikettierungspflicht ein milderes Mittel dar. Ob sie in gleichem Maße effektiv dem Verbraucherschutz dienen, bedarf einer konkreten Einschätzung auch anhand der Erfahrungen mit früheren Kampagnen, die primär der politischen Entscheidung obliegt. Jedenfalls könnte die mit einer weitergehenden Etikettierungspflicht einhergehende Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit im Lichte von Art. 13 RL 94/62/EG gerechtfertigt sein. Auch wenn dem Regelungsziel weniger eingriffsintensiv bereits durch stärkere Informationskampagnen entsprochen werden kann, so ist zu berücksichtigen, dass Art. 13 Abs. 2 RL 94/62/EG, der erst 2004 der Richtlinie hinzugefügt wurde, statuiert: „die Mitgliedstaaten fördern ferner Kampagnen zur Information und Sensibilisierung der Verbraucher“. Dabei nimmt Art. 13 Abs. 1 RL 94/62/EG für den Umfang der zu treffenden Unterrichtungsmaßnahme explizit Bezug auf das Kriterium der Erforderlichkeit , wobei die Mitgliedstaaten „ferner“ Informationskampagnen fördern sollen. Die spätere Hinzufügung des Abs. 2 lässt darauf schließen, dass ein Unterschied zwischen Informationskampagnen im Sinne von Abs. 2 und Informationsmaßnahmen im Sinne von Abs. 1 besteht, so dass ein Erfordernis für weitergehende Etikettierungspflichten auf dem Produkt nicht per se wegen einer „milderen“ Informationspflicht nicht erforderlich sind. Daneben ließe sich anführen, dass auch eine Kennzeichnung in den Verkaufsstätten ausreichend ist und insofern weniger eingriffsintensiv wäre. Hierdurch würden die regelmäßig inländischen Verkaufsstellen von einer Kennzeichnungspflicht betroffen und insofern regelmäßig nicht in die Grundfreiheiten der getränkevertreibenden Marktteilnehmer eingegriffen. Jedoch würde durch eine Kennzeichnungspflicht für die Stelle, in der die Letztabgabe an die Verbraucher erfolgt, der Adressatenkreis der Kennzeichnungspflichtigen ausgetauscht und bedeutete somit nicht lediglich einen milderen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit der Getränkevertreibenden, sondern zugleich einen Eingriff in die Rechte der Betreiber von Letztabgabestellen. Dabei knüpft die RL 94/62/EG die deutlich sichtbare und gut lesbare Kennzeichnungspflicht an den Verpackungen und deren Etikett an (vgl. Art. 8 RL 94/62/EG) und stellt für den Begriff der Verpackung auf solche Produkte ab, die vom Hersteller an den Benutzer oder Verbraucher weitergegeben werden 25 EuGH, Rs. C-463/01 (Kommission/Deutschland); EuGH, Rs. C-309/02 (Radeberger). 26 Vgl. EuGH, Rs. 302/86 (Kommission/Dänemark), Rn. 8 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 16/15 Seite 11 (Art. 3 Nr. 1 S. 1 RL 94/62/EG). Zwar sind regelmäßig Verkaufsstellen notwendige Durchgangsstation für die Abgabe an den Verbraucher, jedoch in einem eigenen wirtschaftlichen Kontext. Träfe die Verkaufsstellen anstelle der Hersteller der Getränke eine entsprechende Kennzeichnungspflicht , ließe sich vertreten, dass sie mit einer wirtschaftlichen Last belegt würden, die nach dem Telos der Richtlinie eigentlich die Hersteller treffen soll. 6. Folgerungen für die Wahl einer bestimmten Kennzeichnungspflicht Eine Pflicht, Einweggetränkeverpackungen je nach Grad ihrer Wiederverwendbarkeit mit „Einweg “ oder „Mehrweg“ zu kennzeichnen, ist grundsätzlich mit der RL 94/62/EG vereinbar, stellt jedoch eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit der die Getränke vertreibenden Marktteilnehmer dar. Eine Rechtfertigung dieser Maßnahme ist nicht per se ausgeschlossen. Auch vor dem Hintergrund der Kommissionsmitteilung „Getränkeverpackungen, Pfandsysteme und freier Warenverkehr “ ist es jedoch – vorbehaltlich einer entsprechenden Ausgestaltung des nationalen Rechts – nicht zwingend, dass nur eine Kennzeichnung mit „Einweg“ oder „Mehrweg“ durch den Letztvertreiber, nicht aber eine entsprechende Pflicht des Getränkeherstellers mit dem Unionsrecht vereinbar wäre. - Fachbereich Europa -