Deutscher Bundestag Die Vereinbarkeit von Staatsanleihekäufen mit der Satzung der Europäischen Zentralbank Sachstand Wissenschaftliche Dienste WD 11 – 3000 – 16/11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 11 – 3000 – 16/11 Seite 2 Die Vereinbarkeit von Staatsanleihekäufen mit der Satzung der Europäischen Zentralbank Aktenzeichen: WD 11 – 3000 – 16/11 Abschluss der Arbeit: 11. Februar 2011 Fachbereich: WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 11 – 3000 – 16/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und aktuelle Entwicklung 4 2. Vereinbarkeit mit den Vorgaben der Satzung 4 3. Fazit 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 11 – 3000 – 16/11 Seite 4 1. Einleitung und aktuelle Entwicklung Der Erwerb von Staatsanleihen1 bildet neben Zinssenkungen und den erweiterten Maßnahmen zur Unterstützung der Kreditvergabe den dritten Baustein der in Reaktion auf die Finanzkrise von der Europäischen Zentralbank (EZB) getroffenen Maßnahmen.2 Ausgangspunkt für den Ankauf der Anleihen war das am 10. Mai 2010 vom Rat der EZB beschlossene „Programm für die Wertpapiermärkte“.3 Die EZB verfolgt hiermit das Ziel, den starken Spannungen insbesondere an den Märkten für Staatsanleihen entgegenzuwirken und die Durchführbarkeit der auf mittelfristige Preisstabilität gerichteten Geldpolitik zu sichern. Bis zum Ende des Jahres 2010 hat die EZB laut Presseangaben Staatsanleihen im Gesamtwert von 72 Milliarden Euro durch entsprechende Ankäufe am Sekundärmarkt erworben.4 Die aufgekauften Staatsanleihen sind primär Staatstitel der angeschlagenen PIIGS-Staaten (Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien). 2. Vereinbarkeit mit den Vorgaben der Satzung Der Ankauf der Staatsanleihen an den Finanzmärkten erfolgte im Einklang mit den Bestimmungen des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), insbesondere mit den Artikel 123 AEUV.5 Im Folgenden wird geprüft, ob der Erwerb der Staatsanleihen darüber hinaus mit der Satzung der EZB6 vereinbar ist. 1 Staatsanleihen sind von Bund, Ländern oder fremden Staaten ausgegebene Schuldverschreibung, Definition entnommen aus Gabler, Wirtschaftslexikon, online abrufbar unter http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/5000/staatsanleihe-v6.html) (Stand 11.02.2011). 2 EZB-Monatsbericht Oktober 2010, S. 63 ff, online abrufbar unter http://www.bundesbank.de/download/ezb/monatsberichte/2010/201010.mb_ezb_final.pdf (Stand 11.02.2011). 3 Siehe Beschluss der Europäischen Zentralbank vom 14. Mai 2010 zur Einführung eines Programms für die Wertpapiermärkte, EZB/2010/5, ABlEU 2010 Nr. L 124, S.8, online abrufbar unter http://www.ecb.int/ecb/legal/pdf/l_12420100520de00080009.pdf (Stand: 11.02.11). Art. 1 des Beschlusses EZB/2010/5 lautet: „Gemäß den Bestimmungen dieses Beschlusses können die Zentralbanken des Eurosystems a) zulässige börsengängige Schuldtitel, die von Zentralstaaten oder öffentlichen Stellen der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, begeben werden, auf dem Sekundärmarkt ankaufen […].“ 4 Kurm-Engels/Häring/Menzel/Riedel (2010), Kapitalerhöhung: Europäische Zentralbank will mehr Geld, in: Handelsblatt vom 15.12.2010, online abrufbar unter http://www.handelsblatt.com/politik/konjunkturnachrichten /kapitalerhoehung-europaeische-zentralbank-will-mehr-geld;2712582 (Stand: 11.02.2011). 5 Vgl. hierzu WD 11 3000 120/10. Die Vereinbarkeit des Programms mit den grundlegenden Verträgen der Europäischen Union wurde im Gutachten dargestellt und im Ergebnis bejaht. 6 Protokoll (Nr. 4) über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der EZB, ABl. C 115 vom 9.5.2008, S. 230, online abrufbar unter http://www.ecb.int/ecb/legal/pdf/de_statute_from_c_11520080509de02010328.pdf (Stand 11.02.2011). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 11 – 3000 – 16/11 Seite 5 Maßgeblich für die Beurteilung der aufgeworfenen Frage ist Artikel 18 der Satzung der EZB (EZB-Satzung): Artikel 18 EZB-Satzung – Offenmarkt- und Kreditgeschäfte 18.1. Zur Erreichung der Ziele des ESZB und zur Erfüllung seiner Aufgaben können die EZB und die nationalen Zentralbanken — auf den Finanzmärkten tätig werden, indem sie auf Euro oder sonstige Währungen lautende Forderungen und börsengängige Wertpapiere sowie Edelmetalle endgültig (per Kasse oder Termin) oder im Rahmen von Rückkaufsvereinbarungen kaufen und verkaufen oder entsprechende Darlehensgeschäfte tätigen; — Kreditgeschäfte mit Kreditinstituten und anderen Marktteilnehmern abschließen, wobei für die Darlehen ausreichende Sicherheiten zu stellen sind. 18.2. Die EZB stellt allgemeine Grundsätze für ihre eigenen Offenmarkt- und Kreditgeschäfte und die der nationalen Zentralbanken auf; hierzu gehören auch die Grundsätze für die Bekanntmachung der Bedingungen, zu denen sie bereit sind, derartige Geschäfte abzuschließen. Artikel 18 EZB-Satzung regelt die sog. Offenmarkt- und Kreditgeschäfte7. Danach ist es der EZB zur Erreichung ihrer Ziele und zur Erfüllung ihrer Aufgaben8 unter anderem gestattet, durch den Kauf und Verkauf von börsengängigen Wertpapieren auf den Finanzmärkten tätig zu werden. In Betracht kommt, die durch die EZB am Finanzmarkt erworbene Staatsanleihen unter den von Artikel 18.1 1. Spiegelstrich EZB-Satzung verwendeten Begriff der börsengängigen Wertpapiere zu fassen. Der Terminus „börsengängige Wertpapiere“ ist weit auszulegen und umfasst alle Vermögenswerte , die auf den Finanzmärkten gehandelt werden.9 Das Attribut der Börsengängigkeit fordert in diesem Zusammenhang, dass die Wertpapiere an einem geregelten Markt im Sinne der 7 Das Eurosystem verfügt über fünf Instrumente zur Durchführung von Offenmarktgeschäften: befristete und endgültige Transaktionen, Schuldverschreibungen, Devisenswapgeschäfte sowie die Hereinnahme von Termineinlagen . Auf diese Art ist es der EZB und den nationalen Zentralbanken möglich, den Geldmarkt indirekt, d.h. ohne administrative Kontrollen oder Restriktionen, zu steuern. Allein den Marktteilnehmern ist überlassen, auf gesetzte finanzielle Anreize zu reagieren. 8 Die Ziele der EZB sind in Artikel 2 EZB-Satzung niedergelegt; zu ihren Aufgaben siehe Artikel 3 EZB-Satzung. 9 Weenink, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 6. Auflage 2003, Art. 18 Protokoll (Nr. 18) über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, Rn. 1 ff. (die Kommentierung bezieht sich auf die verangegangene Fassung des Art. 18 EZB-Protokoll, der Wortlaut der vorliegend relevanten Passagen des Art. 18 wurde blieb jedoch unverändert). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 11 – 3000 – 16/11 Seite 6 Richtlinie 2004/39/EG10 zum Handel zugelassen sind. Nicht notwendig ist der tatsächliche liquide Handel der Wertpapiere.11 Staatsanleihen sind festverzinsliche Wertpapiere, mit denen sich ihr Emittent (die öffentliche Hand) am Kapitalmarkt Geld leihen kann. Wie Aktien werden auch Staatsanleihen an der Börse zugelassen und gehandelt. Sie können daher als börsengängig bezeichnet werden.12 Der Ankauf einer Staatsanleihe durch die EZB ist somit als Kauf eines börsengängigen Wertpapiers vom Regelungsgehalt des Art. 18.1 EZB-Satzung umfasst. 3. Fazit Der Staatsanleihekauf der EZB am Sekundärmarkt ist nach Artikel 18.1 1. Spiegelstrich EZB- Satzung zulässig. Gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung nach Art. 123 AEUV wird nicht verstoßen. Art. 123 AEUV untersagt lediglich die direkte Finanzierung durch Kredite oder den unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln. Durch den Erwerb der Staatsanleihen erfolgt jedoch ein vom Anwendungsbereich des Art. 123 AEUV ausgenommener mittelbarer Erwerb am Finanzmarkt.13 10 Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente , zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates , online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2004:145:0001:0001:DE:PDF (Stand: 11.02.11). 11 Herrmann, EZB-Programm für die Kapitalmärkte verstößt nicht gegen die Verträge – Erwiderung auf Martin Seidel, in: Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2010, S. 646. 12 Gekauft wird nicht eine bestimmte Stückzahl einer Anleihe, sondern ein bestimmter Nominalbetrag. Bei festverzinslichen Anleihen bleibt die Verzinsung während der gesamten Laufzeit konstant, bei variabel verzinslichen Anleihen wird sie periodisch gemäß den Anleihebedingungen angepasst. Am Ende der Laufzeit werden die Anleihen in der Regel vollständig zurückgezahlt. 13 Vgl. ausführlich hierzu: Gutachten WD 11 3000 120/10.