© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 13/16 Voraussetzungen für den Beitritt eines Staates zur Europäischen Union Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 13/16 Seite 2 Voraussetzungen für den Beitritt eines Staates zur Europäischen Union Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 13/16 Abschluss der Arbeit: 12.2.2016 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 13/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Materielle Beitrittsvoraussetzungen 4 2.1. Europäischer Staat 4 2.2. Achtung der grundlegenden Werte der Europäischen Union 4 2.3. Die Kopenhagen-Kriterien 5 2.3.1. Das politische Kriterium 5 2.3.2. Das wirtschaftliche Kriterium 6 2.3.3. Das Acquis-Kriterium 6 2.3.4. Das Aufnahmekriterium 7 3. Formelle Beitrittsvoraussetzungen 7 3.1. Das Beitrittsverfahren 7 3.2. Die Beitrittsverhandlungen 9 Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 13/16 Seite 4 1. Fragestellung Der Vertrag über die Europäische Union (EUV) enthält eine Beitrittsklausel: Gemäß Art. 49 Abs. 1 S. 1 EUV kann „jeder europäische Staat, der die in Artikel 2 genannten Werte achtet und sich für ihre Förderung einsetzt“, einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) stellen . Diese Beitrittsklausel gibt der EU und ihren Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die Union räumlich zu erweitern, mit dem integrationspolitischen Ziel, „die Teilung des europäischen Kontinents zu überwinden, wie Art. 1 EUV zu entnehmen ist.1 In der nachfolgenden Ausarbeitung wird dargestellt, welche Voraussetzungen ein Staat erfüllen muss, um ein Mitgliedstaat der EU zu werden. 2. Materielle Beitrittsvoraussetzungen Der Antragsteller muss gemäß Art. 49 Abs. 1 S. 1 und 4 EUV ein europäischer Staat sein, die grundlegenden Werte der Union achten und die sogenannten Kopenhagen-Kriterien2 erfüllen, um der Union beitreten zu können. 2.1. Europäischer Staat Ein Antrag auf Mitgliedschaft in der EU kann nur von europäischen Staaten gestellt werden. In Bezug auf das Adjektiv „europäisch“ gibt es keine eindeutige Auslegung. Nach Ansicht der Kommission und der rechtswissenschaftlichen Literatur bezeichnet dieses Adjektiv nicht den europäischen Raum in einem engeren geographischen Sinne, sondern berücksichtigt geographische, historische und kulturelle Merkmale, die die Zugehörigkeit eines Staates zu Europa prägen.3 Diese Interpretation kann sich auf die Präambel des EUV stützen, der zufolge die Europäische Union mit der Absicht „Integration auf eine neue Stufe zu heben, schöpfend aus dem kulturellen , religiösen und humanistischen Erbe Europas“ gegründet worden ist. 2.2. Achtung der grundlegenden Werte der Europäischen Union Der Antragsteller muss die grundlegenden Werte der EU nach Art. 2 EUV achten und sich für ihre Förderung einsetzen. Es handelt sich bei diesen Werten um die Grundprinzipien, auf denen die Rechtsordnung der EU beruht: „Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleich- 1 Ohler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 45. EL August 2011, Art. 49 EUV, Rn. 9. 2 Europäischer Rat, Kopenhagen, 21.-22.6.1993, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, SN 180/1/93, S. 13 (iii), abrufbar unter http://www.consilium.europa.eu/de/european-council/conclusions/pdf-1993-2003/schlussfolgerungen -des-vorsitzes_-europ%C3%84ischer-rat-kopenhagen-21_-22_-juni-1993. 3 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Erweiterungsstrategie und wichtigste Herausforderungen für den Zeitraum 2006 – 2007 mit Sonderbericht über die Fähigkeit der EU zur Integration neuer Mitglieder, KOM(2006) 649 endg, S. 19, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52006DC0649&from=DE; Ohler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 45. EL August 2011, Art. 49 EUV, Rn. 14, Meng, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht , 7. Aufl. 2015, Art. 49 EUV, Rn. 11. Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 13/16 Seite 5 heit, Rechtstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen , die Minderheiten angehören“. Diese Werte sind nach Art. 2 S. 2 EUV allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, „die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet“. Art. 2 EUV enthält damit sehr weit gefasste strukturelle Rahmenvorgaben, welche Mindeststandards für die Mitgliedstaaten postulieren und einen relativ weiten Ermessensspielraum bei der Bewertung der Achtung des Art. 2 EUV durch einen Beitrittskandidaten eröffnen.4 Für einen Beitritt ist Voraussetzung , dass die Werte vom Antragsteller nicht nur in seine Rechtsordnung aufgenommen werden , sondern auch konkret durch die Praxis von Verwaltungsbehörden und Gerichten umgesetzt werden.5 2.3. Die Kopenhagen-Kriterien Insbesondere mit Blick auf die möglichen EU-Beitritte der verschiedenen Staaten aus Ost- und Mitteleuropa wurden im Rahmen des EU-Gipfels in Kopenhagen am 21. und 22.6.1993 die politischen und wirtschaftlichen Kriterien für den Beitritt eines Staates zur EU vom Europäischen Rat festgelegt. Es handelt sich um Programmsätze, die in den Schlussfolgerungen des Kopenhagen- Gipfels enthalten sind.6 Indem Art. 49 Abs. 1 S. 4 EUV auf die Kopenhagen-Kriterien verweist, stellen diese Kriterien eine klärende und ergänzende Interpretation der Beitrittsklausel dar und entfalten so Rechtswirkung.7 Auch die Kopenhagen-Kriterien sind relativ weit gefasst. Dementsprechend müssen sie für ihre praktische Anwendung von den EU-Organen interpretiert werden und erlauben den EU-Organen einen weiten Ermessenspielraum bei der Beurteilung eines Beitrittskandidaten.8 2.3.1. Das politische Kriterium Das politische Kriterium der Kopenhagen-Kriterien schreibt vor, dass der Antragsteller über allgemeine institutionelle Stabilität und eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung verfügen muss, und dass die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und der Schutz von Minderheiten im betroffenen Staat garantiert werden muss. Die Kopenhagen-Kriterien enthalten kein detailliertes Prüfprogramm für die Verfassungsordnung eines Beitrittskandidaten.9 Bezüglich des 4 Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 49 EUV, Rn. 5; Ohler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 45. EL August 2011, Art. 49 EUV, Rn. 15. 5 Ohler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 45. EL August 2011, Art. 49 EUV, Rn. 15. 6 Europäischer Rat, Kopenhagen, 21./22.6.1993, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, SN 180/1/93, S. 13 (iii), abrufbar unter http://www.consilium.europa.eu/de/european-council/conclusions/pdf-1993-2003/schlussfolgerungen -des-vorsitzes_-europ%C3%84ischer-rat-kopenhagen-21_-22_-juni-1993. 7 Meng, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 49 EUV, Rn. 14. 8 Pechstein, in: Hatje/Müller-Graf, Enzyklopädie Europarecht, Band 1 – Europäisches Organisations- und Verfassungsrecht , 2014, § 15, Rn. 8. 9 Ohler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 45. EL August 2011, Art. 49 EUV, Rn. 18. Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 13/16 Seite 6 Kriteriums der Wahrung der Menschenrechte ist der Beitritt des Staates zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) Voraussetzung.10 Wie den Fortschrittsberichten der Kommission zu früheren Beitrittskandidaten entnommen werden kann, werden im Rahmen des politischen Kriteriums u.a. die Arbeitsweise des Parlaments, der Regierung, des Justizsystems und der öffentlichen Verwaltung sowie die Einhaltung der Grundrechte und der Schutz von Minderheiten überprüft. Im Fall von Kroatien (Beitritt am 1.7.2013) stand beispielsweise im Bericht der Kommission über die Fortschritte von Kroatien in der Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen von 2011, dass das Problem der Straflosigkeit von Kriegsverbrechen und die Umsetzung der Anti-Korruptionspolitik angegangen werden muss.11 Im Fall von Bulgarien (Beitritt am 1.1.2007) wurden von der Kommission u.a. die Verbesserung der Verwaltungsstrukturen und die Korruptionsbekämpfung als Voraussetzungen eines Beitritts benannt .12 2.3.2. Das wirtschaftliche Kriterium Das wirtschaftliche Kriterium der Kopenhagen-Kriterien erfordert eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit des Beitrittskandidaten, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten. Den Fortschrittberichten der Kommission zu früheren Beitrittskandidaten lässt sich entnehmen, dass u.a. makroökonomische Stabilität, Leistungsbilanzdefizite , Arbeitslosigkeitsquote, Inflation, Finanzpolitik, der Bankensektor und Unternehmensstrukturen zu den gängigen Kriterien der Überprüfung gehören. Im Fall von Bulgarien wurde von der Kommission im Fortschrittsbericht von 2004 beispielsweise festgestellt, dass Bulgarien viele Maßnahmen für die Vereinfachung des Markteintritts- und -austrittsverfahrens und die Entwicklung des noch begrenzten Nichtbanken-Finanzsektors noch nicht vollständig umgesetzt hatte.13 2.3.3. Das Acquis-Kriterium Das Acquis-Kriterium setzt die Übernahme des „gemeinschaftlichen Besitzstandes" (Acquis communautaire ) voraus. Der Beitrittskandidat muss die aus einer Mitgliedschaft in der EU erwachsenden Verpflichtungen übernehmen, d.h. er muss das geltende Unionsrecht zum Zeitpunkt der Antragstellung (Primär- und Sekundärrecht sowie die völkerrechtlichen Verträgen und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs) vollständig übernehmen und in seinem Hoheitsgebiet 10 Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 49 EUV, Rn. 5. 11 Kommission, Croatia 2011 Progress Report, SEC (2011) 1200 final, S. 5-7, abrufbar unter http://ec.europa .eu/enlargement/pdf/key_documents/2011/package/hr_rapport_2011_en.pdf. 12 Kommission, Regelmäßiger Bericht über die Fortschritte Bulgariens auf dem Weg zur Beitritt, SEC (2004) 1199, S. 16-21, abrufbar unter http://ec.europa.eu/enlargement/archives/pdf/key_documents/2004/rr_bg_2004_de.pdf. 13 Kommission, Regelmäßiger Bericht über die Fortschritte Bulgariens auf dem Weg zur Beitritt, SEC (2004) 1199, S. 38-40, abrufbar unter http://ec.europa.eu/enlargement/archives/pdf/key_documents/2004/rr_bg_2004_de.pdf. Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 13/16 Seite 7 in Kraft setzen. Die tatsächliche Anwendung des Unionsrechts durch den Beitrittskandidaten erfordert eine effiziente, rechtsstaatlich verankerte Verwaltung ebenso wie eine Unabhängigkeit der Gerichte und die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes.14 2.3.4. Das Aufnahmekriterium Das Aufnahmefähigkeitskriterium ist eine weitere Voraussetzung, die aus den Kopenhagen-Kriterien hervorgeht. Es schreibt vor, dass ein Beitritt auch von der Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzunehmen, abhängt. Wichtig ist, dass bei der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten die Stoßkraft der europäischen Integration erhalten bleibt. Das setzt ein hinreichendes Maß an rechtlicher , wirtschaftlicher und politischer Homogenität der Mitgliedstaaten der Union voraus.15. Die Grenzen dieser Aufnahmefähigkeit der EU sind schwierig zu bestimmen. Die Kommission teilte 2006 mit, dass sie in ihren Stellungnahmen zu Beitrittsanträgen und im Verlauf der Beitrittsverhandlungen Bewertungen der Folgen der Beitritte für politische Schlüsselbereiche der EU erstellen werde, um auf diese Weise die Aufnahmefähigkeit der Union während des gesamten Beitrittsverfahrens im Blick zu behalten.16 3. Formelle Beitrittsvoraussetzungen Art. 49 EUV lässt der EU einen relativ großen Spielraum bei der Gestaltung des Beitrittsverfahrens . Dieser Spielraum ermöglicht einen Dialog der EU mit möglichen Beitrittskandidaten und eine schrittweise Vorbereitung des Beitritts.17 3.1. Das Beitrittsverfahren Art. 49 Abs. 1 S. 3 EUV legt fest, dass ein (europäischer) Staat, der eine Mitgliedschaft in der EU anstrebt, einen Antrag an den Rat richten muss. Mit diesem Antrag beginnt das Beitrittsverfahren, welches zum Beitritt führen kann, aber nicht muss.18 Gemäß Art. 49 Abs. 1 S. 2 EUV werden das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente über den Antrag unterrichtet. Die Kommission übermittelt eine rechtlich unverbindliche, vorläufige Stellungnahme an den Rat.19 14 Ohler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 45. EL August 2011, Art. 49 EUV, Rn. 20; Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl 2012, Art. 49 EUV, Rn. 6. 15 Ohler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 45. EL August 2011, Art. 49 EUV, Rn. 22. 16 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Erweiterungsstrategie und wichtigste Herausforderungen für den Zeitraum 2006 – 2007 mit Sonderbericht über die Fähigkeit der EU zur Integration neuer Mitglieder, KOM(2006) 649 endg, S. 15, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52006DC0649&from=DE. 17 Meng, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 49 EUV, Rn. 26. 18 Ohler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 45. EL August 2011, Art. 49 EUV, Rn. 24. 19 Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 49 EUV, Rn. 7. Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 13/16 Seite 8 In ihrer vorläufigen Stellungnahme untersucht die Kommission die Konsequenzen eines Beitritts des Antragstellers zur Union. Sie prüft die Beitrittsvoraussetzungen und kann Vorschläge für die Beitrittsverhandlungen ausarbeiten.20 Die Stellungnahme ist die Grundlage für die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates in der Frage, ob Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden sollen. Der Europäische Rat ist nicht an die Stellungnahme der Kommission gebunden, aber berücksichtigt diese. Im Fall von Serbien hat der Europäische Rat im März 2012 Serbien in seinen Schlussfolgerungen den Status eines Beitrittskandidaten („candidate country“) zuerkannt21 und im Juni 2013 beschlossen, die Beitrittsverhandlungen mit Serbien spätestens im Januar 2014 zu eröffnen.22 In den Schlussfolgerungen des Rates wird der allgemeine Verhandlungsrahmen für die Beitrittsverhandlungen festgelegt.23 Nach Abschluss der Beitrittsverhandlungen, deren Verlauf nicht im europäischen Primärrecht geregelt ist, entscheidet der Rat nach Anhörung der Kommission, die nunmehr eine offizielle Stellungnahme abgibt, und nach der Zustimmung des Europäischen Parlaments, das mit der Mehrheit seiner Mitglieder beschließt, einstimmig über den Beitrittsantrag. Die offizielle Stellungnahme der Kommission ist rechtlich unverbindlich, die Zustimmung des Europäischen Parlaments hingegen eine Beitrittsvoraussetzung.24 Wenn der Rat dem Antrag nicht einstimmig stattgibt , kann kein Beitritt erfolgen. Solange der Antrag nicht einstimmig abgelehnt wird, bleibt er jedoch wirksam und kann die Grundlage für eine Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen bilden.25 Wenn der Rat dem Beitrittsantrag zustimmt, muss zudem der Beitrittsvertrag gemäß Art. 49 Abs. 2 S. 2 EUV von dem Antragsteller und den Mitgliedstaaten der EU unterzeichnet und nach innerstaatlichem Recht ratifiziert werden. Der Beitrittsvertrag tritt nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunden bei der Regierung der Italienischen Republik zum vereinbarten Zeitpunkt in Kraft.26 20 Meng, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 49 EUV, Rn. 26. 21 Europäischer Rat, Brüssel, 1.-2.3.2012, Schlussfolgerungen, EUCO 139/1/11, Rn. 39, abrufbar unter http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-4-2012-INIT/en/pdf. 22 Europäischer Rat, Brüssel 27.-28.6.2013, Schlussfolgerungen, EUCO 104/2/13, Rn. 19, abrufbar unter http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-104-2013-REV-2/en/pdf. 23 Ohler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 45. EL August 2011, Art. 49 EUV, Rn. 26. 24 Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 49 EUV, Rn. 7. 25 Meng, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 49 EUV, Rn. 29. 26 Meng, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 49 EUV, Rn. 29. Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 13/16 Seite 9 3.2. Die Beitrittsverhandlungen Die Beitrittsverhandlungen sind nicht im europäischen Primärrecht geregelt. Sie werden in der Praxis von der Kommission, die gewissermaßen vom Rat mandatiert wird, und den Mitgliedstaaten geführt.27 Die Schlussfolgerungen des Rates bilden den allgemeinen Verhandlungsrahmen für die Beitrittsverhandlungen.28 Die Mitgliedstaaten werden an den Beitrittsverhandlungen beteiligt, indem die Verhandlungen in Form von Regierungskonferenzen erfolgen, an denen Regierungsvertreter der Mitgliedstaaten und die Kommission beteiligt sind.29 Inhaltlich sind die Beitrittsverhandlungen in Kapitel aufgeteilt, welche die verschiedenen politischen Sachbereiche der Union und das diesbezüglich ergangene Sekundärrecht enthalten.30 Die Beitrittsverhandlungen haben nicht nur das formale Ziel des Abschlusses eines Beitrittsvertrages, sondern sollen den Beitrittskandidaten schrittweise an die Rechts- und Wirtschaftsordnung der EU heranführen und auf diesem Weg einen erfolgreichen Abschluss der Beitrittsverhandlungen ermöglichen.31 Die Aufteilung der Beitrittsverhandlungen in verschiedene sachliche Kapitel ermöglicht es, Feststellungen zur Umsetzung des Unionsrechts durch den Beitrittskandidaten zu treffen, Lücken des Beitrittskandidaten in bestimmten Bereichen aufzudecken (sog. Screening) und diese Probleme einzeln anzugehen.32 Ein Verhandlungskapitel wird abgeschlossen, wenn der Rat, die Kommission, die Mitgliedstaaten und der Beitrittskandidat übereinstimmend feststellen, dass der Beitrittskandidat in der Lage ist, die aus dem jeweiligen Primär- und Sekundärrecht erwachsenden Pflichten zu erfüllen.33 Eine Wiedereröffnung der Verhandlungskapitel bei einer Änderung der Situation im Beitrittsland bleibt möglich. Beitrittskandidaten müssen ihre Rechtsordnung schon vor dem Beitritt, im Rahmen der Beitrittsverhandlungen , ändern und an das Unionsrecht anpassen, völkerrechtliche Verträge müssen gegebenenfalls geändert oder gekündigt werden.34 Auch aufgrund des großen Umfangs des Unionsrechts stellt dies für die meisten Beitrittskandidaten eine Herausforderung dar. Die Union hat verschiedene Mittel und Instrumente entwickelt, um die Beitrittskandidaten zu unterstützen.35 27 Slavu, Die Osterweiterung der Europäischen Union : eine Analyse des EU-Beitritts Rumäniens, 2008, S. 36. 28 Ohler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht derEU, 45. EL August 2011, Art. 49 EUV, Rn. 30. 29 Ohler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 45. EL August 2011, Art. 49 EUV, Rn. 30. 30 Meng, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 49 EUV, Rn. 32. 31 Ohler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 45. EL August 2011, Art. 49 EUV, Rn. 31. 32 Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 49 EUV, Rn. 10; Ohler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 45. EL August 2011, Art. 49 EUV, Rn. 32. 33 Meng, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 49 EUV, Rn. 33; s. dazu auch Booß, in: Lenz/Borchardt, EU-Verträge, 5. Aufl. 2010, Art. 49 EUV, Rn. 6.. 34 Ohler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 45. EL August 2011, Art. 49 EUV, Rn. 31. 35 Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 49 EUV, Rn. 10 m.w.N. Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 13/16 Seite 10 Die Union hat beispielsweise Abkommen gemäß Art. 217 AEUV mit Beitrittskandidaten abgeschlossen und auf diesem Weg einen politischen Dialog eröffnet und den Beitrittskandidaten die Möglichkeit gegeben, schon vor dem Beitritt Zugang zu einigen Bereichen des Binnenmarkts zu erhalten.36 Im Rahmen des Beitritts der mittel- und osteuropäischen Staaten wurden beispielsweise die sog. Europa-Abkommen geschlossen.37 Die Union kann die Beitrittskandidaten bei der Umsetzung notwendiger Reformen auch finanziell unterstützen.38 So wurde zum Beispiel mit der Verordnung (EG) Nr. 1085/200639 ein Instrument für Heranführungshilfe geschaffen, mit dem die Union die Bewerberländer bei ihrer schrittweisen Angleichung an die Standards und die Politik der EU unterstützt. – Fachbereich Europa – 36 Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 217 AEUV, Rn. 10. 37 Vgl. zum Beispiel: Beschluss des Rates und der Kommission vom 13 . Dezember 1993 über den Abschluß des Europa-Abkommens zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Polen andererseits Polen anderseits, Abl. 1993, L 348/2, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L:1993:348:FULL&from=DE. 38 Meng, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 49 EUV, Rn. 39. 39 Verordnung (EG) Nr. 1085/2006 des Rates vom 17. Juli 2006 zur Schaffung eines Instruments für Heranführungshilfe (IPA), ABl. 2006, L 210/82, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32006R1085&from=DE.