© 2017 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 11/17 Fragen zur Beendigung von CETA Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 11/17 Seite 2 Fragen zur Beendigung von CETA Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 11/17 Abschluss der Arbeit: 7. April 2017 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 11/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Beendigungsrecht gem. Art. 30.9 Abs. 1 CETA 4 2.1. Bestehen eines Kündigungsrechts für die EU-Mitgliedstaaten 4 2.1.1. Rechtlicher Rahmen 4 2.1.2. Auslegung des Begriffs der Vertragspartei in Art. 30.9 Abs. 1 CETA 5 2.2. Wirkung der Kündigung durch einen Mitgliedstaat als Vertragspartei 8 2.2.1. Völkervertragsrechtliche Wirkungen der Kündigung eines EU- Mitgliedstaates 9 2.2.2. Unionsrechtliche Wirkungen der Kündigung eines EU- Mitgliedstaates 11 3. Zuständigkeit zur Bestimmung von Zuständigkeiten 12 3.1. Verfahren vor dem EuGH 13 3.1.1. Gutachtenverfahren, Art. 218 Abs. 11 AEUV 13 3.1.2. Nichtigkeitsklage, Art. 263 AEUV 13 3.1.3. Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 AEUV) und Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV) 14 3.2. Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 15 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 11/17 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung setzt sich mit Fragen zur Beendigung des umfassenden Handelsabkommens zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA)) gemäß Art. 30.9 Abs. 1 CETA1 auseinander. Zunächst geht die Ausarbeitung auf die Berechtigung zur Ausübung des Beendigungsrechts gemäß Art. 30.9 Abs. 1 CETA und die rechtlichen Folgen der Beendigung ein (hierzu 2.). Anschließend geht die Ausarbeitung auf Fragen zur Zuständigkeit zur Auslegung von CETA-Bestimmungen im Lichte der Kompetenzordnung der Europäischen Union (EU) ein (hierzu 3.). 2. Beendigungsrecht gem. Art. 30.9 Abs. 1 CETA Der Fachbereich wird um Auskunft zu der Frage gebeten, ob nach Art. 30.9 Abs. 1 CETA ein vorbehaltloses Beendigungsrecht für jeden einzelnen EU-Mitgliedstaat besteht mit der Folge, dass CETA durch einseitige Erklärung eines Mitgliedstaates 180 Tage nach Notifikation außer Kraft tritt (hierzu 2.1.). In diesem Kontext werden zudem die Fragen aufgeworfen, zwischen welchen Vertragsparteien CETA außer Kraft treten würde und – für den Fall, dass CETA zwischen den übrigen Vertragsparteien in Kraft bleibt – welche Folgen sich für den kündigenden EU-Mitgliedstaat daraus ergeben würden, dass die EU weiterhin Vertragspartei bliebe (hierzu 2.2.). 2.1. Bestehen eines Kündigungsrechts für die EU-Mitgliedstaaten 2.1.1. Rechtlicher Rahmen Als völkervertragliche Regelung zur Beendigung eines völkerrechtlichen Vertrages im Sinne von Art. 54 lit. a WVK2 bestimmt Art. 30.9 Abs. 1 CETA das Kündigungsrecht der CETA-Vertragsparteien : „Eine Vertragspartei kann dieses Abkommen kündigen, indem sie dem Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union und dem Department of Foreign Affairs, Trade and Development of Canada beziehungsweise deren Rechtsnachfolgern eine entsprechende Note zustellt. 180 Tage nach dieser Notifikation tritt dieses Abkommen außer Kraft. Die kündigende Vertragspartei stellt außerdem dem Gemischten CETA-Ausschuss eine Kopie der Note zu.“ In Art. 1.1 CETA wird der Begriff der Vertragspartei bilateral definiert mit Kanada auf der einen und der „EU-Vertragspartei“ auf der anderen Seite: „Sofern nichts anderes bestimmt ist, bezeichnet – für die Zwecke dieses Abkommens – der Ausdruck […] Vertragsparteien die Europäische 1 Vertragstext abrufbar unter http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-10973-2016-INIT/de/pdf. 2 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, BGBl. II S. 926. Die Regeln der WVK finden gemäß Art. 1 WVK nur auf Verträge zwischen Staaten Anwendung, die die WVK ratifiziert haben. Das Wiener Übereinkommen vom 21. März 1986 über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen ist noch nicht in Kraft getreten. Jedoch binden die Bestimmungen der WVK die Organe der Union, sind Bestandteil der Unionsrechtsordnung und auf ein zwischen einem Staat und einer internationalen Organisation geschlossenes Abkommen anzuwenden, soweit die in der WVK kodifizierten Bestimmungen des Völkervertragsrechts eine Ausprägung des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts sind, vgl. EuGH, Rs. C-613/12 (Helm Düngemittel), Rn. 37; EuGH, Rs. C-386/08 (Brita), Rn. 40 ff.; EuGH, Rs. C-286/90 (Poulsen and Diva Navigation), Rn. 9. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 11/17 Seite 5 Union oder ihre Mitgliedstaaten oder die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer sich aus dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ergebenden Zuständigkeiten (im Folgenden „EU-Vertragspartei“) einerseits und Kanada andererseits, […].“ Im Hinblick auf die Differenzierung in Art. 1.1 CETA bezüglich der Konstitution der „EU-Vertragspartei “ (Europäische Union oder ihre Mitgliedstaaten oder die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten) ist anzumerken, dass CETA in den Verhandlungen als bilaterales Abkommen zwischen der EU und Kanada behandelt worden ist.3 Dementsprechend enthielt die Fassung des Vertragstextes beim Abschluss der Verhandlungen (Rats-Dok. 259/14) ein im Wortlaut der finalen Textfassung (Rats-Dok. 10973/16) entsprechendes Kündigungsrecht, ohne dass jedoch der Begriff der Vertragspartei im Vertragstext definiert worden ist.4 Während die Regelung des Kündigungsrechts in Art. 30.9 Abs. 1 CETA im Rahmen der Finalisierung des Vertragstextes unverändert geblieben ist, wurde Art. 1.1 CETA um die Definition der Vertragsparteien ergänzt. Die Formulierung in Art. 1.1 CETA berücksichtigt den Umstand, dass CETA als bilaterales gemischtes Abkommen 5 abgeschlossen werden soll und verknüpft den Status der EU-Vertragspartei mit der innerunionalen Kompetenzverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten.6 Die Formulierung entspricht dabei der auch in anderen gemischten Abkommen verwendeten Form.7 2.1.2. Auslegung des Begriffs der Vertragspartei in Art. 30.9 Abs. 1 CETA Ausgehend von der Annahme, dass das CETA die Kompetenzen sowohl der EU als auch der Mitgliedstaaten betrifft und daher ein gemischtes Abkommen darstellt,8 ist der Abschluss und das Inkrafttreten von der Zustimmung aller Vertragsparteien (Art. 30.7 Abs. 2 CETA) und mithin 3 Vgl. Bäumler, Vom Vertragstext zum Inkrafttreten: Das Vertragsschlussverfahren im Mehrebenensystem am Beispiel CETA, EuR 2016, S. 607 (613 ff.). 4 CETA Consolidated text (1. August 2014), Rats-Dok. 259/14, abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib /docs/2016/february/tradoc_154329.pdf. 5 Zur bilateralen Natur gemischter Abkommen vgl. Kadelbach, in: v. Arnauld (Hrsg.), Europäische Außenbeziehungen , EnzEuR Bd. 10, § 4 Rn. 58. 6 Vgl. Holterhus, Eilanträge in Sachen CETA, EuZW 2016, S. 896 (899). 7 Vgl. die dementsprechende Formulierung in Art. 352 Abs. 1 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Zentralamerika andererseits, ABl. L 346 vom 15.12.2012, S. 98, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:ddb362ab-5a3a- 11e2-9294-01aa75ed71a1.0004.01/DOC_2&format=PDF; Art. 134 des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Montenegro andererseits, ABl. L 108 vom 29.4.2010, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=OJ:JOL_2010_108_R_0001_01&from=DE. 8 Vgl. BT-Drs. 18/9663; Vorschlag der Kommission für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits, KOM(2016) 443 endg.; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 13.10.2016, 2 BvR 1368/16, Rn. 51. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 11/17 Seite 6 auch von der Zustimmung aller Mitgliedstaaten als Teil der „EU-Vertragspartei“ abhängig.9 Die völkerrechtliche Bindung erfordert eine der jeweiligen Kompetenz entsprechende Ratifizierung des Abkommens.10 Mit der Ratifikation werden sowohl die EU als auch ihre Mitgliedstaaten völkervertragliche Parteien von CETA und, mangels Abgrenzung der Kompetenzverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten in CETA oder einer rechtsverbindlichen Erklärung gegenüber Kanada11, völkerrechtlich umfassend an das gesamte Abkommen gebunden.12 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie der Begriff der Vertragspartei in Art. 30.9 Abs. 1 CETA mit Blick auf die „EU-Vertragspartei“ zu verstehen ist. Ausgehend von der Definition in Art. 1.1 CETA könnte sich das Kündigungsrecht sowohl auf ein gemeinsames Handeln von EU und Mitgliedstaaten als auch auf ein jeweils selbständiges Handeln der EU oder eines Mitgliedstaaten beziehen. Einerseits kann Art. 30.9 Abs. 1 CETA iVm Art. 1.1 CETA dahingehend verstanden werden, dass die EU und die Mitgliedstaaten – entsprechend ihrer gemeinsamen umfassenden völkerrechtlichen Bindung an das Abkommen – völkervertragsrechtlich als Einheit zu betrachten sind, worauf die Zusammenfassung unter dem Begriff „EU-Vertragspartei“ hindeutet. Hierfür lässt sich anführen , dass die Notifikationen über das Inkrafttreten von CETA nur zwischen den zuständigen Organen Kanadas und der EU erfolgen (Art. 30.7 Abs. 4 CETA) und der Vertrag nicht in 30, sondern lediglich in zwei Urschriften verbindlich ist (Art. 30.11 CETA). Gegen ein eigenständiges Kündigungsrecht der Mitgliedstaaten als Teil der „EU-Vertragspartei“ könnte zudem sprechen, dass der Vertrag keine Regelung für den Fall einer Kündigung durch einen Teil der „EU-Vertragspartei“ vorsieht, beispielsweise im Hinblick auf eine Prüfung der Auswirkungen der Kündigung auf das Abkommen.13 Dies könnte darauf schließen lassen, dass die EU und die Mitgliedstaaten das Kündigungsrecht als Vertragspartei nur gemeinsamen ausüben können. 9 Vgl. GA Kokott, Schlußanträge zu EuGH, Rs. C-13/07 (Kommission/Rat), Rn. 121; Kumin/Bittner, Die „gemischten “ Abkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dritten Völkerrechtssubjekten andererseits, EuR Beiheft 2/2012, S. 75 ff. 10 Vgl. Vranes, Gemischte Abkommen und die Zuständigkeit des EuGH – Grundlagen und neuere Entwicklungen in den Außenbeziehungen, Europarecht (EuR) 2009, S. 44 (44). 11 Zur rechtlichen Wirkung der Erklärungen in Rats-Dok. 13463/1/16 REV 1, die bei der Annahme des Beschlusses über die Unterzeichnung des CETA durch den Rat in das Ratsprotokoll aufzunehmen sind, vgl. Fachbereich PE 6 – Europa, Ausarbeitung vom 8.12.2016, PE 6 – 3000 – 156/16, abrufbar unter http://www.bundestag .de/blob/490520/e8329bdb919138d4e75e9421f2a743f8/pe-6-156-16-pdf-data.pdf; 12 Vgl. Möldner, Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Mai 2011, European Community and Union , Mixed Agreements, Rn. 22; Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 216 AEUV Rn. 7; Kumin/Bittner, Die „gemischten“ Abkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dritten Völkerrechtssubjekten andererseits, EuR Beiheft 2/2012, S. 75 (81 f.). Zu der von der völkerrechtlichen Bindung abzugrenzenden unionsrechtlichen Bindung vgl. Vöneky/Beylage- Haarmann, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Oktober 2016, Rn. 32 f. 13 Vgl. die dementsprechende Regelung in Art. 354 Abs. 3 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Zentralamerika andererseits, ABl. L 346 vom 15.12.2012, S. 98, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:ddb362ab-5a3a- 11e2-9294-01aa75ed71a1.0004.01/DOC_2&format=PDF. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 11/17 Seite 7 Gegen diese Auslegung spricht, dass Kanada, die EU und die EU-Mitgliedstaaten aufgrund der jeweils eigenständigen Ratifikation von CETA im Rahmen ihrer Zuständigkeiten völkervertraglich eigenständige Parteien von CETA werden.14 Dem entspricht, dass ein Mitgliedstaat, der der EU beitritt, nicht zwingend automatisch Vertragspartei von CETA werden muss (Art. 30.10 Abs. 5 CETA). Umgekehrt ist das Kündigungsrecht nicht ausdrücklich auf die EU beschränkt.15 Demnach lässt sich die Definition des Begriffs der Vertragspartei in Art. 30.9 Abs. 1 CETA iVm Art. 1.1 CETA dahingehend verstehen, dass die EU und die EU-Mitgliedstaaten zwar für die Zwecke von CETA – d.h. die Erfüllung der völkervertraglichen Pflichten entsprechend der gemeinsamen völkerrechtlichen Bindung – als bilateral gemischtes Abkommen unter dem Begriff der „EU-Vertragspartei “ zusammengefasst werden. In diesem Sinne brächte der Begriff der „EU-Vertragspartei “ insbesondere die Verpflichtung der EU und ihre Mitgliedstaaten zum Ausdruck, für die Zwecke des Abkommens gemeinsam zu handeln.16 Im Übrigen zwingt der offene Wortlaut von Art. 1.1 CETA („und“ bzw. „oder“) nicht zu einem Verständnis, wonach völkervertragliche Gestaltungsrechte stets von der EU und ihrer Mitgliedstaaten gemeinsam ausgeübt werden müssten.17 Infolge der eigenständigen, von der EU unabhängigen Ratifikation von CETA durch die Mitgliedstaaten besitzt jeder einzelne EU-Mitgliedstaat als völkervertragsrechtlich eigenständige, von der EU unabhängige Vertragspartei ein Kündigungsrecht gemäß Art. 30.9 Abs. 1 CETA. Dieses Kündigungsrecht entspricht dem in Art. 54 ff. WVK zum Ausdruck kommenden Umstand, dass die Beendigung eines Vertrages nur durch die Vertragsparteien selbst herbeigeführt werden kann.18 Wenn die Mitgliedstaaten CETA eigenständig ratifizieren und dementsprechend – ungeachtet ihrer Zuordnung zur „EU-Vertragspartei“ – völkervertraglich Vertragsparteien werden, so müssen sie CETA auch selbst kündigen können. Die vorstehenden Erwägungen sprechen somit dafür, dass es jedem EU-Mitgliedstaat völkervertraglich – ungeachtet unionsrechtlicher Bindungen19 – 14 Vgl. GA Sharpston, Schlussanträge vom 21.12.2016 zu EuGH, Gutachtenverfahren 2/15 (EUSFTA), Rn. 76. 15 Vgl. dementsprechend Art. 25 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, ABl. L 114 vom 30.4.2002, S. 6, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:29b7e319-1314- 4fbd-b1df-c0c0be226feb.0002.02/DOC_1&format=PDF. 16 Vgl. dementsprechend Art. 352 Abs. 3 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Zentralamerika andererseits, ABl. L 346 vom 15.12.2012, S. 98, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:ddb362ab-5a3a-11e2-9294- 01aa75ed71a1.0004.01/DOC_2&format=PDF. 17 Vgl. demgegenüber die engere Definition in Art. 1 Nr. 6 des Luftverkehrsabkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und den Vereinigten Staaten von Amerika andererseits , ABl. L 134 vom 25.5.2007, S. 6, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar :1bf01549-e16a-47ec-9f96-755b2852a06f.0004.01/DOC_2&format=PDF. Der Begriff der „Vertragspartei“ im Sinne dieses Abkommens bezeichnet entweder die Vereinigten Staaten oder die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten. 18 Vgl. GA Sharpston, Schlussanträge vom 21.12.2016 zu EuGH, Gutachtenverfahren 2/15 (EUSFTA), Rn. 371 ff. 19 Siehe hierzu unten 2.2.2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 11/17 Seite 8 frei stünde, CETA unter Beachtung des völkervertraglich in Art. 30.9 Abs. 1 CETA vorgesehenen Verfahrens zu kündigen.20 Ergänzend ist anzumerken, dass die vorstehende Auffassung, wonach der EU und den EU-Mitgliedstaaten eigenständige Rechtspositionen im Rahmen der „EU-Vertragspartei“ (Art. 1.1 CETA) von CETA als bilateral gemischtes Abkommen zukommen, dem Verständnis von Art. 30.7 Abs. 3 lit. c CETA entspricht, das in den Erklärungen zum Ausdruck kommt, die bei der Annahme des Beschlusses über die Unterzeichnung von CETA durch den Rat in das Ratsprotokoll aufgenommen wurden.21 In ihren Erklärungen haben Deutschland, Österreich und Polen erklärt, dass sie als Vertragsparteien des CETA ihre Rechte aufgrund Art. 30.7 Abs. 3 lit. c CETA zur Beendigung der vorläufigen Anwendung von CETA ausüben können,22 wobei die erforderlichen Schritte gemäß den EU-Verfahren unternommen werden.23 2.2. Wirkung der Kündigung durch einen Mitgliedstaat als Vertragspartei Ausgehend von dem vorstehend dargestellten Verständnis, wonach Kanada, die EU und die EU- Mitgliedstaaten völkervertragliche Parteien von CETA sind, könnte jede dieser Vertragsparteien die Kündigung des Vertrages gemäß Art. 30.9 Abs. 1 CETA erklären.24 Hierbei stellt sich zunächst die völkervertragsrechtlich zu bestimmende Frage, welche Auswirkungen die Kündigung von CETA durch einen EU-Mitgliedstaat auf die übrigen Vertragsparteien, d.h. auf Kanada, die EU 20 Vgl. GA Sharpston, Schlussanträge vom 21.12.2016 zu EuGH, Gutachtenverfahren 2/15 (EUSFTA), Rn. 77. 21 Rats-Dok. 13463/1/16 REV 1, abrufbar unter http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-13463-2016- REV-1/de/pdf; vgl. hierzu Europäisches Parlament, The Jurisconsult, Legal opinion on the legal status of instruments , statements and declarations on CETA, Note for the attention of Mr Bernd Lange, Chair of the Committee for International Trade, Rn. 47 f., EU-Dok. 502/2016. 22 Erklärungen 20 und 21, Rats-Dok. 13463/1/16 REV 1; zur rechtlichen Wirkung der Protokollerklärungen vgl. Fachbereich PE 6 – Europa, Ausarbeitung vom 8.12.2016, PE 6 – 3000 – 156/16, abrufbar unter http://www.bundestag .de/blob/490520/e8329bdb919138d4e75e9421f2a743f8/pe-6-156-16-pdf-data.pdf; Holterhus, Eilanträge in Sachen CETA, EUzW 2016, S. 896 (899). 23 Zur Kritik an einem Recht der Mitgliedstaaten, eine auf Art. 218 Abs. 5 AEUV gestützte vorläufige Anwendung beenden zu können, vgl. Nettesheim, Das CETA-Urteil des BVerfG: eine verpasste Chance?, NJW 2016, S. 3567 (3569); Nowrot/Tietje, CETA an der Leine des Bundesverfassungsgerichts: Zum schmalen Grat zwischen Ultravires -Kontrolle und Ultra-vires-Handeln, EuR 2017, 137 (153). 24 Vgl. dementsprechend der englische („A Party may denounce this Agreement by giving written notice of termination […].”) und der französische („Une Partie peut dénoncer le présent accord en donnant un avis écrit d'extinction […]“) Wortlaut. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 11/17 Seite 9 und die übrigen EU-Mitgliedstaaten hat,25 also, ob die Kündigung von CETA durch einen EU-Mitgliedstaat inter partes26 oder erga omnes27 wirkt (hierzu 2.2.1.). Für den Fall einer Wirkung inter partes stellt sich vor dem Hintergrund, dass die Vertragsparteieigenschaft der EU und der EU- Mitgliedstaaten auf der jeweiligen Zuständigkeit für die von CETA erfassten Bereiche beruht, zudem die unionsrechtlich zu bestimmende Frage, welche Folgen sich aus der fortbestehenden EU- Mitgliedschaft eines kündigenden EU-Mitgliedstaates ergeben (hierzu 2.2.2.). 2.2.1. Völkervertragsrechtliche Wirkungen der Kündigung eines EU-Mitgliedstaates Ausweislich seiner Entstehungsgeschichte zielt Art. 30.9 Abs. 1 CETA auf die Situation eines bilateralen Vertrages zwischen Kanada und der EU ab. In CETA sind keine Bestimmungen enthalten , welche die Kündigung durch einen EU-Mitgliedstaat als Teil der „EU-Vertragspartei“ regeln. Soweit ersichtlich, ergeben sich aus den Vertragsverhandlungen auch keine Anhaltspunkte für den Willen der Vertragsparteien, welche Wirkungen eine solche Kündigung erzeugen soll. Dementsprechend kann vorliegend nur eine Einschätzung der Wirkungen am Maßstab der allgemeinen völkervertragsrechtlichen Regeln vorgenommen werden. Bei der Beendigung eines völkerrechtlichen Vertrags ist zwischen bilateralen und multilateralen Verträgen zu unterscheiden. Der Ausdruck Kündigung (Dénonciation, Denunciation) wird regelmäßig bei bilateralen Verträgen verwendet, während Rücktritt (Retrait, Withdrawal) bei multilateralen Abkommen Anwendung findet.28 Während eine Kündigung eines bilateralen Vertrages durch eine Vertragspartei notwendigerweise die Beendigung des gesamten Vertrages bewirkt, beendet ein Rücktritt einer Vertragspartei von einem multilateralen Vertrag lediglich die Vertragsbeziehungen zwischen dem austretenden Staat und den anderen Parteien, ohne zwingend29 die Gültigkeit des Vertrages insgesamt oder dessen Wirkungen auf die Beziehungen zwischen den übrigen Vertragsparteien zu berühren (Art. 55 WVK).30 Die Begriffe der Kündigung und des Rücktritts bringen dabei das gleiche Rechtskonzept zum Ausdruck, durch eine einseitige, empfangsbe- 25 Die gleiche Frage stellt sich für den Fall des Austritts eines EU-Mitgliedstaates aus der EU und der damit verbundenen Beendigung seiner Mitgliedschaft als EU-Mitgliedstaat an einem multilateralen Vertrag, vgl. van der Loo/Blockmans, The Impact of Brexit on the EU’s International Agreements, CEPS Commentary, 15.7.2016, abrufbar unter https://www.ceps.eu/publications/impact-brexit-eu%E2%80%99s-international-agreements#_ftnref 8; Gehring, Brexit and EU-UK trade relations with third states, 6.3.2016, abrufbar unter http://eulawanalysis .blogspot.de/2016/03/brexit-and-eu-uk-trade-relations-with.html. 26 D.h. auf die völkervertraglichen Beziehungen zwischen Kanada und dem kündigenden EU-Mitgliedstaat. 27 D.h. auf die völkervertraglichen Beziehungen zwischen Kanada und der „EU-Vertragspartei“ insgesamt. 28 Vgl. Aust, Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Juni 2006, Treaties, Termination; Dahm/ Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, 2002, S. 721. 29 Abweichende Regelungen iSv Art. 55 WVK können beispielsweise die Fragen betreffen, ob die Mitgliedschaft einer Vertragspartei für den Fortbestand des Vertrages als unabdingbar angesehen wird oder ob eine bestimmte Anzahl an Vertragsparteien erforderlich ist. 30 Vgl. Odendahl, in: Dörr/Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, 2012, Art. 42 Rn. 19; Giegerich, in: Dörr/Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, 2012, Art. 54 Rn. 19 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 11/17 Seite 10 dürftige Willenserklärung nicht mehr an die sich aus einem völkerrechtlichen Vertrag ergebenden Rechte und Pflichten gebunden zu sein (vgl. Art. 70 WVK),31 so dass die jeweilige Erklärung den völkerrechtlichen Vertrag ratione personae, d.h. die völkervertraglichen Beziehungen zwischen dem betreffenden Staat und den übrigen Vertragsparteien ex nunc beendet. Das Verständnis des Begriffs der Kündigung als eine auf die Aufhebung des Vertrages gerichtete Handlung sowie die völkervertragsrechtliche Regel, wonach die Kündigung nur hinsichtlich des gesamten Vertrages ausgeübt werden kann (Art. 44 WVK), sprechen zunächst dafür, dass die Kündigung einheitlich auf die Vertragsparteien wirkt, d.h. auf die gesamte „EU-Vertragspartei“. Hiergegen lässt sich jedoch – entsprechend den o.g. Annahmen zum Abschluss von CETA – einwenden , dass die Kündigung eine diesbezügliche Kompetenz voraussetzt und jede Vertragspartei den Kündigungswillen rechtserheblich erklären muss. Demgegenüber bestünde bei der Annahme einer Wirkung erga omnes eine rechtswirksame Einflussnahme auf die völkervertraglich unabhängig voneinander begründeten Rechtspositionen der übrigen Mitgliedstaaten und der EU. Die Möglichkeit einer solchen Ausübung eines völkervertragsrechtlichen Gestaltungsrechts mit Wirkungen zu Lasten Dritter setzt voraus, dass der diesbezügliche Wille der Vertragsparteien beispielsweise durch eine Vertretungsregelung zum Ausdruck kommt. Der Vertragstext von CETA enthält keine dementsprechende Regelung, die für die Auslegung des Kündigungsrechts maßgeblich wäre (zum Erfordernis einer entsprechenden Vertragsbestimmung vgl. Art. 54 lit. a WVK). Auch aus der Entstehungsgeschichte ist aus hiesiger Sicht kein diesbezüglicher Wille der EU und ihrer Mitgliedstaaten ersichtlich. Vor dem Hintergrund der völkervertragsrechtlichen Regelungen sprechen überzeugende Gründe dafür, dass sich die Wirkung der Kündigung von CETA durch einen Mitgliedstaat nur inter partes auf diesen Mitgliedstaat erstreckt und diese die Vertragsparteieigenschaft der übrigen Mitgliedstaaten und der EU unberührt lässt.32 Dabei bezieht sich die Kündigung gem. Art. 44 WVK auf den gesamten Vertrag, so dass sie aus völkerrechtlicher Sicht die Beendigung des gesamten Vertrages für den betreffenden Mitgliedstaat – ungeachtet der Kompetenzverteilung in der Unionsrechtsordnung – zur Folge hätte.33 Ergänzend ist anzumerken, dass bei einer Kündigung durch eine Vertragspartei auf Seiten der „EU-Vertragspartei“ eine Situation eintreten kann, in der von dem Abkommen nur noch unselbständige Restbestände übrig bleiben, die das Abkommen für die übrigen Vertragsparteien ebenfalls hinfällig machen können. Eine solche Situation dürfte insbesondere bei einer Kündigung durch die EU vorliegen.34 31 Vgl. UN Office of Legal Affairs, Final Clauses of Multilateral Treaties Handbook (UN Sales No E04V3 2003), S. 109: „The words denunciation and withdrawal express the same legal concept“. 32 An dieser Stelle wird nicht auf die Frage eingegangen, ob die Annahmen auch auf EU-Mitgliedstaaten übertragbar sind, die – wie Frankreich – keine Vertragsparteien der WVK sind, vgl. https://treaties.un.org/pages /ViewDetailsIII.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXIII-1&chapter=23&Temp=mtdsg3&clang=_en. 33 Vgl. Bäumler, Vom Vertragstext zum Inkrafttreten: Das Vertragsschlussverfahren im Mehrebenensystem am Beispiel CETA, EuR 2016, S. 607 (628 f.). 34 Vgl. Bungenberg, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 218 AEUV Rn. 84; Lorenzmeier, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der EU, März 2011, Art. 218 AEUV Rn. 62. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 11/17 Seite 11 2.2.2. Unionsrechtliche Wirkungen der Kündigung eines EU-Mitgliedstaates Ein EU-Mitgliedstaat, der sein Kündigungsrecht ausübt, bleibt unionsrechtlich (Art. 216 Abs. 2 AEUV) weiterhin an die Bereiche des Abkommens gebunden, die in die Zuständigkeit der EU fallen , solange und soweit die Union ihrerseits das Abkommen nicht gekündigt hat.35 Diese partielle , auf Regelungen im Bereich der EU-Zuständigkeit beschränkte Fortgeltung des völkerrechtlichen Vertrages entspricht der Differenzierung zwischen souveräner Handlungsfreiheit und unionsrechtlicher Gebundenheit: Einerseits ist die völkervertragliche Handlungsfähigkeit der Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer eigenen Zuständigkeiten nicht beschränkt,36 andererseits unterliegen die Staaten als EU-Mitgliedstaaten unionsrechtlichen Bindungen.37 Die fortbestehende Bindung des Mitgliedstaates an den von der Union abgeschlossenen Teil des Abkommens beruht auf dem Umstand, dass die von der Union nach Art. 218 ggf. iVm. Art. 207 AEUV geschlossenen völkerrechtlichen Verträge als EU-Abkommen gemäß Art. 216 Abs. 2 AEUV für die Union und für die Mitgliedstaaten als „integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung “38, unionsrechtlich verbindlich sind.39 Gemischte Abkommen haben in der Unionsrechtsordnung denselben Status und erzeugen dieselben Wirkungen gemäß Art. 216 Abs. 2 AEUV wie reine EU-Abkommen, soweit es um Bestimmungen geht, die in die Zuständigkeit der Union fallen.40 Bestimmungen im Zuständigkeitsbereich der (ausschließlichen) Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten können hingegen nicht unmittelbar in der Unionsrechtsordnung wirksam 35 Vgl. GA Sharpston, Schlussanträge vom 21.12.2016 zu EuGH, Gutachtenverfahren 2/15 (EUSFTA), Rn. 77. Zudem besteht bei einer Kündigung durch einen Mitgliedstaat dessen Bindung an das Kapitel 8 (Investitionen) für einen Zeitraum von 20 Jahren für solche Investitionen fort, die vor der Kündigung getätigt worden sind (Art. 30.9 Abs. 2 CETA). 36 Hiervon bleibt die Frage unberührt, ob und in welchem Umfang eine Konsultationspflicht im Rahmen der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) des Mitgliedstaates gegenüber den übrigen Mitgliedstaaten und der EU im Vorfeld der Notifizierung der Kündigung gemäß Art. 30.9 Abs. 1 CETA besteht, vgl. EuGH, Rs. C-25/94 (Kommission/Rat), Rn. 48; Lorenzmeier, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, März 2011, Art. 218 AEUV, Rn. 62; Bungenberg, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht , 7. Auflage 2015, Art. 218 AEUV, Rn. 84. 37 Vgl. v. Arnauld, „Unions(ergänzungs)völkerrecht“, in: FS Klein, S. 509 (511 f.); Repasi, Völkervertragliche Freiräume für EU-Mitgliedstaaten, EuR 2013, S. 45 ff. 38 St. Rspr., vgl. EuGH, Rs. 181/73 (Haegmann), Rn. 6; EuGH, Rs. 17/81 (Pabst und Richarz), Rn. 27; EuGH, Rs. 104/81 (Kupferberg), Rn. 18; EuGH, Rs. C-459/03 (Mox Plant), Rn. 82; EuGH, Rs. C-344/04 (IATA), Rn. 36. 39 St. Rspr., vgl. EuGH, verb. Rs. 21/72-24/72 (International Fruit Company), Rn. 6; EuGH, Rs. C-61/94 (Kommission / Deutschland), Rn. 52; EuGH, Rs. C-280/93 (Deutschland/Rat), Rn. 105 ff.;, Rs. C-228/06 (Soysal u.a. Deutschland), RN. 59; EuGH, Rs. C-366/10 (Air Transport Association), Rn. 50; EuGH, Rs. C-311/04 (Algemene Scheeps Agentuur Dordrecht), Rn. 25; EuGH, Rs. C-308/06 (Intertanko), Rn. 42, EuGH, verb. Rs. C-402/05 P und C-415/05 P (Kadi u.a. / Rat und Kommission), Rn. 307. 40 EuGH, Rs. C-13/00 (Kommission/Irland), Rn. 14; EuGH, Rs. C-459/03 (MOX Plant), Rn. 80 ff.; EuGH, Rs. 127/86 (Demirel), Rn. 13 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 11/17 Seite 12 sein.41 Vielmehr bemessen sich die rechtlichen Wirkungen des mitgliedstaatlichen Teils gemischter Abkommen – und mithin auch seine potenzielle Kündigung – nach den Vorschriften des nationalen Rechts. Ergänzend ist anzumerken, dass die Mitgliedstaaten und die Union trotz der Binnendifferenzierung im Hinblick auf die Ratifikationserfordernisse aufgrund des Vertrauensschutzes im internationalen Völkerrechtsverkehr völkerrechtlich an die Gesamtheit der Regelungen des gemischten Abkommens gebunden werden, soweit das Abkommen dem Wortlaut nach oder auf andere Weise nicht zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten differenziert.42 Aufgrund der Notwendigkeit einer einheitlichen völkerrechtlichen Vertretung der Union ist daher im Rahmen eines gemischten Abkommens eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Union sowohl bei der Aushandlung und beim Abschluss wie bei der Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen sicherzustellen.43 Dementsprechend sind die Union und die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, für die Einhaltung der Verpflichtungen aus einem von der Union geschlossenen Abkommen und dessen ordnungsgemäße Durchführung zu sorgen.44 3. Zuständigkeit zur Bestimmung von Zuständigkeiten Abschließend geht die Ausarbeitung auf die Frage ein, wie und in welchem Verfahren Streitigkeiten hinsichtlich der Frage zu klären sind, ob eine CETA-Vertragsvorschrift in die Zuständigkeit der EU oder die der Mitgliedstaaten fällt. Hierzu ist einleitend anzumerken, dass bilateral gemischte Abkommen gemäß dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 EUV)45 nur in den Teilen, die in die Unionszuständigkeit fallen, von der Union geschlossen werden. Die Zustimmung der Mitgliedstaaten zum Abkommen und zu dessen Ratifikation bezieht sich hingegen auf die Bereiche in mitgliedstaatlicher Zuständigkeit.46 Dementsprechend wird die Befugnis der Union zum Erlass eines Beschlusses über den Abschluss eines (gemischten) Abkommens gemäß Art. 218 Abs. 6 AEUV begrenzt durch die unionale Zuständigkeitsordnung. 41 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98 (Dior), Rn. 48. 42 Vgl. EuGH, Gutachten 2/91 (ILO), Rn. 36; EuGH, Gutachten 1/94 (WTO), Rn. 108. 43 Vgl. EuGH, Rs. 12/86 (Demirel), Rn. 11; EuGH, Gutachten 2/91 (ILO), Rn. 36 ff.; EuGH, Rs. C-25/94 (Kommission /Rat), Rn. 48; EuGh, Rs. C-433/03 (Kommission/Deutschland), Rn. 63 ff.; EuGH, Rs. C-246/07 (Kommission /Schweden), Rn. 73. 44 EuGH, Rs. C-316/91 (Parlament/Rat), Rn. 28; EuGH, Gutachten 1/94 (WTO), Rn. 108; EuGH, verb. Rs. 200/98 und 392/98 (Dior/Tuk), Rn. 36; EuGH, Rs. C-13/00 (Kommission/Irland), Rn. 15; EuGH, Rs. C-459/03 (Mox Plant), Rn. 85; EuGH, Rs. C-459/03 (IATA), Rn. 85; vgl. hierzu Kaiser, Gemischte Abkommen im Lichte bundesstaatlicher Erfahrungen, 2009, S. 53 ff. 45 Vgl. EuGH, Gutachten 2/94 (EMRK I), Rn. 23 f.; EuGH, Gutachten 1/03 (Lugano), Rn. 124; EuGH, Gutachten 2/13 (EMRK II), Rn. 164 f. 46 Vgl. Obwexter, EuR-Beiheft 2/2012, S. 49 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 11/17 Seite 13 3.1. Verfahren vor dem EuGH Die Einhaltung des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung und mithin die Wahrung der primärrechtlich geschaffenen Kompetenzordnung unterliegt vollumfänglich der Kontrolle durch den Gerichtshof der EU (EuGH). Sofern Zweifel bestehen, ob eine Vertragsbestimmung in die Zuständigkeit der EU fällt und ob diese mithin die erforderliche Zuständigkeit besitzt, um das Abkommen allein zu unterzeichnen und abzuschließen, ist diese Zuständigkeitsfrage durch den EuGH im Rahmen seiner Zuständigkeit zur Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge zu klären (Art. 19 Abs. 1 EUV). 3.1.1. Gutachtenverfahren, Art. 218 Abs. 11 AEUV Prozedural kann die Klärung der Zuständigkeit der EU zum Abschluss eines Abkommens zunächst im Rahmen des Gutachtenverfahrens gemäß Art. 218 Abs. 11 AEUV erfolgen. In diesem Verfahren kann der EuGH vom Rat, der Kommission, den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament angerufen werden, um in einem Gutachten die Vereinbarkeit eines beabsichtigten Übereinkommens mit dem Vertrag festzustellen. Dabei dient dieses Verfahren im Sinne einer präventiven Normenkontrolle dem Zweck, ein Auseinanderfallen zwischen den Anforderungen der unionsrechtlichen Legalität und einer durch den Vertragsschluss eintretenden völkerrechtlichen Bindungswirkung zu verhindern.47 Eine Klärung der konkreten Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten im Wege des Art. 218 Abs. 11 AEUV ist ausgeschlossen , sobald eine definitive völkerrechtliche Bindungswirkung eingetreten ist. Für CETA bedeutet dies, dass der EuGH gemäß den Anforderungen des Art. 218 Abs. 11 AEUV zur Klärung der Zuständigkeitsverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten angerufen werden kann, solange und soweit die erforderlichen Ratifikationshandlungen noch nicht erfolgt sind. 3.1.2. Nichtigkeitsklage, Art. 263 AEUV Eine weitere Möglichkeit zur Klärung der o.g. Streitigkeiten besteht in der Erhebung einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV durch einen Mitgliedstaat, das Europäische Parlament, den Rat oder die Kommission. Klagerechte Privater sind bei einem Ausschluss der unmittelbaren Anwendung des Abkommens in den Rechtsordnungen der Vertragsparteien48 regelmäßig ausgeschlossen . Gegenstand der Nichtigkeitsklage ist nicht das Abkommen selbst, sondern die Handlung der Union, durch die ein Abkommen abgeschlossen werden soll oder abgeschlossen worden 47 Bungenberg, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 218 AEUV Rn. 93. 48 Für CETA vgl. Fachbereich PE 6, Aktueller Begriff Europa vom 12.9.2016, Zu den Rechtswirkungen des CETA, abrufbar unter https://www.bundestag.de/blob/439334/bace555fde80be6a7b1da12232959ddb/ceta-data.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 11/17 Seite 14 ist. Eine potenzielle Nichtigerklärung der Unionshandlung besitzt grundsätzlich nur unionsinterne Bedeutung und berührt nicht die völkerrechtliche Bindung.49 Die Möglichkeit einer Nichtigkeitsklage besteht unabhängig von einem Gutachtenverfahren und kann auch nach Abschluss des fraglichen Abkommens beschritten werden.50 Für CETA bedeutet dies, dass der EuGH gemäß Art. 263 AEUV im Hinblick auf den Beschluss nach Art. 218 Abs. 6 AEUV über den Abschluss von CETA (vgl. KOM(2016) 443) angerufen werden kann mit der Frage, ob dieser auf die richtige Rechtsgrundlage51 gestützt worden ist. 3.1.3. Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 AEUV) und Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV) Eine weitere Möglichkeit zur Klärung der o.g. Streitigkeiten besteht potenziell in der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission gemäß Art. 258 AEUV. Dieses Verfahren kommt insbesondere im Hinblick auf die Sicherung der sich aus Art. 216 Abs. 2 AEUV ergebenden Bindungen der Mitgliedstaaten aus einem (auch) von der EU abgeschlossenen Abkommen in Betracht, bspw. wenn die Mitgliedstaaten trotz ausschließlicher Zuständigkeiten der Union in dem betreffenden Bereich eigene Abkommen abschließen. Dies verdeutlicht, dass das Verfahren gemäß Art. 258 AEUV primär dem Schutz der Unionsrechtsordnung dient und daher kein geeignetes Instrument für die Mitgliedstaaten darstellt, um Streitigkeiten betreffend die Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und ihrer Mitgliedstaaten durch den EuGH klären zu lassen. Entsprechendes gilt grundsätzlich52 für die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV, in dessen Rahmen die Zuständigkeit des EuGH die Auslegung sowohl der von der Union abgeschlossenen Verträge als auch das von den Organen solcher Verträge gesetzte Sekundärrecht umfasst.53 Wenn die Zuständigkeit zum Abschluss eines Übereinkommens zwischen der Union und den Mitgliedstaaten geteilt ist, so ist der EuGH, wenn er mit der Frage dieser Zuständigkeitsverteilung befasst wird, dafür zuständig, die insoweit von der EU übernomme- 49 Bungenberg, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 218 AEUV Rn. 106 mwN. 50 Bungenberg, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 218 AEUV Rn. 107. 51 Art. 91, Art. 100 Abs. 2, Art. 207 Abs. 4 UAbs. 1 iVm Art. 218 Abs. 6 lit. a Ziff. v und Art. 218 Abs. 7 AEUV. 52 Zum Kooperationsverhältnis zwischen BVerfG und EuGH siehe sogleich 3.2. 53 Bungenberg, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 218 AEUV Rn. 110 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 11/17 Seite 15 nen Verpflichtungen zu bestimmen und hierzu die Bestimmungen des Übereinkommens auszulegen , soweit der jeweilige Bereich in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, um eine einheitliche Auslegung zu gewährleisten.54 3.2. Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Ergänzend zu den Verfahren vor dem EuGH besteht auch auf nationaler Ebene die Möglichkeit zur Klärung der Frage, ob eine CETA-Vertragsvorschrift in die Zuständigkeit der EU oder die der Mitgliedstaaten fällt. Hierfür kommen insbesondere das Verfahren der Verfassungsbeschwerde (Art.93 Abs.1 Nr.4a GG) oder das Organstreitverfahren (Art.93 Abs.1 Nr.1 GG) vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Betracht.55 Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU, deren Rechtmäßigkeitsmaßstab das Unionsrecht ist, kann das BVerfG im Rahmen der Ultra-vires-Kontrolle (nur) daraufhin überprüfen, ob sie vom Integrationsprogramm (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG) gedeckt sind und insoweit am Anwendungsvorrang des Unionsrechts teilhaben.56 Prüfungsmaßstab ist hierbei nicht das Unionsrecht, sondern das zustimmungsgesetzlich (Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG i. V. m. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG) festgelegte Integrationsprogramm als Grundlage und Grenze der europäischen Integration Deutschlands. Entsprechend dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung als wesentliches Element dieses Integrationsprogramms müssen sich Handlungen der Union und mithin auch Beschlüsse des Rates zum Abschluss von Unionsabkommen im Rahmen des zustimmungsgesetzlich legitimierten Integrationsprogramms und mithin in den Grenzen der auf die Union übertragenen Hoheitsrechte bewegen.57 Überschreiten Handlungen der Union als „ausbrechende Rechtsakte“58 bzw. als „ultra-vires-Akte“59 die Grenzen der übertragenen Zuständigkeiten, so können sie in der deutschen Rechtsordnung keine Anwendung finden.60 Vor diesem Hintergrund ist das BVerfG auf die zulässige Rüge einer Ultra-vires-Handlung hin berechtigt und verpflichtet, Handlungen der europäischen Organe und Einrichtungen darauf zu überprüfen, ob sie die Grenzen ihrer Kompetenzen offensichtlich und qualifiziert, d.h. in einer 54 EuGH, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98 (Dior), Rn. 48 ff.; vgl. Kumin/Bittner, Die „gemischten“ Abkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dritten Völkerrechtssubjekten andererseits , EuR Beiheft 2/2012, S. 75 (80 f.). 55 Vgl. Nowrot/Tietje, CETA an der Leine des Bundesverfassungsgerichts: Zum schmalen Grat zwischen Ultra-vires -Kontrolle und Ultra-vires-Handeln, EuR 2017, 137 (140 ff.). 56 BVerfG, Urteil vom 21.6.2016, 2 BvR 2728/13, Rn. 146; vgl. Schwerdtfeger, Europäisches Unionsrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, EuR 2015, S. 290 (303). 57 Vgl. BVerfGE 123, 267 (352); 134, 366 (381); 140, 316 (334 ff.) sowie Schiffbauer, Über Hoheitsrechte und deren „Übertragbarkeit“, AöR 141 (2016), S. 551 (559 ff.); Schneider, Der Ultra-vires-Maßstab im Außenverfassungsrecht , AöR 139 (2014), S. 196 (217 ff.). 58 BVerfGE 89, 155 (188) 59 BVerfGE 123, 267 (353 ff.); 126, 286 (302 ff.). 60 Vgl. BVerfGE 89, 155 (188); 126, 286 (302 ff.); 134, 366 (387 f.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 11/17 Seite 16 das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung spezifisch verletzenden Art überschritten haben, die eine strukturell bedeutsame Verschiebung zulasten mitgliedstaatlicher Kompetenzen bewirkt (Art. 23 Abs. 1 GG)61 oder Kompetenzausübungen im nicht übertragbaren Bereich der Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 und Art. 20 GG)62 erfolgen und gegebenenfalls die Unanwendbarkeit kompetenzüberschreitender Handlungen für die deutsche Rechtsordnung festzustellen . Dabei darf die Ultra-vires-Kontrolle nur europarechtsfreundlich ausgeübt werden.63 Danach muss das BVerfG die Entscheidungen des EuGH grundsätzlich als verbindliche Auslegung des Unionsrechts beachten und deshalb dem EuGH, soweit erforderlich, vor der Annahme eines Ultra-vires-Akts der europäischen Organe und Einrichtungen im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV die Gelegenheit zur Vertragsauslegung sowie zur Entscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der fraglichen Rechtsakte geben.64 Das BVerfG legt seiner Prüfung die Maßnahme in der Auslegung zugrunde, die ihr in dem Vorabentscheidungsverfahren durch den Gerichtshof gegeben wird.65 Im Rahmen dieses Kooperationsverhältnisses zwischen BVerfG und EuGH bei der Ultra-vires-Kontrolle obliegt dem EuGH entsprechend seiner Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV daher die Entscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der Maßnahme einschließlich der Bestimmung der dabei anzuwendenden Methode. Das Bundesverfassungsgericht hat hingegen sicherzustellen, dass Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union das Integrationsprogramm nicht in offensichtlicher und strukturell bedeutsamer Weise überschreiten und dadurch gegen Art. 38 Abs. 1 S. 1 iVm Art. 23 Abs. 1 S. 2, Art. 20 Abs. 2 S. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG verstoßen .66 Im Hinblick auf die Auslegung der Handlung eines Unionsorgans durch den EuGH und den hierbei zur Anwendung kommenden Methoden richterlicher Rechtskonkretisierung hat das BVerfG in seiner Entscheidung zum OMT-Programm der EZB67 festgestellt, dass es nicht die Aufgabe des BVerfG sei, „bei Auslegungsfragen im Unionsrecht, die auch bei methodengerechter Bewältigung im üblichen rechtswissenschaftlichen Diskussionsrahmen zu verschiedenen Ergebnissen führen können, seine Auslegung an die Stelle derjenigen des Gerichtshofs zu setzen (BVerfGE 126, 286 <307>). Es muss eine richterliche Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof vielmehr 61 BVerfGE 123, 267 (353, 400); 126, 286 (302 ff.); 134, 366 (382); vgl. Gött, Die ultra vires-Rüge nach dem OMT- Vorlagebeschluss des Bundesverfassungsgerichts, EuR 2014, S. 514 (515 ff.). 62 Vgl. BVerfGE 140, 316 (336 ff.); Wischmeyer, Nationale Identität und Verfassungsidentität, AöR 140 (2015), S. 415 (440 ff.). 63 BVerfGE 126, 286 (303); 134, 366 (383); 140, 316 (338 f.); vgl. Kaiser/Schübel-Pfister, Der ungeschriebene Verfassungsgrundsatz der Europarechtsfreundlichkeit: Trick or Treat?, in: Emmenegger/Wiedmann (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band II, 2011, S. 545 ff. 64 BVerfGE 126, 286 (303); 134, 366 (382 ff.); BVerfG, Urteil vom 21.6.2016, 2 BvR 2728/13, Rn. 154 ff. 65 BVerfGE 126, 286 (304); BVerfG, Urteil vom 21.6.2016, 2 BvR 2728/13, Rn. 156. 66 BVerfG, Urteil vom 21.6.2016, 2 BvR 2728/13, Rn. 157. 67 Vgl. hierzu im Überblick Gött, Die ultra vires-Rüge nach dem OMT-Vorlagebeschluss des Bundesverfassungsgerichts , EuR 2014, S. 514 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 11/17 Seite 17 auch dann respektieren, wenn dieser zu einer Auffassung gelangt, der sich mit gewichtigen Argumenten entgegentreten ließe, solange sie sich auf anerkannte methodische Grundsätze zurückführen lässt und nicht objektiv willkürlich erscheint.“68 - Fachbereich Europa - 68 BVerfG, Urteil vom 21.6.2016, 2 BvR 2728/13, Rn. 161.