Deutscher Bundestag EU-Rede des britischen Premierministers David Cameron und Umsetzungsoptionen der darin geäußerten Vorstellungen für eine Reform der EU Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa PE 6 – 3000 - 11/13 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 - 11/13 Seite 2 EU-Rede des britischen Premierministers David Cameron und Umsetzungsoptionen der darin geäußerten Vorstellungen für eine Reform der EU Aktenzeichen: PE 6 – 3000 - 11/133 Abschluss der Arbeit: 21.02.2013 Unterabteilung Europa: PE 6: Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Hausleitung, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 - 11/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die EU-Rede des britischen Premierministers David Cameron 4 3. Rechtliche Optionen für die Umsetzung der Reformvorstellungen 7 3.1. Ohne Vertragsänderung 7 3.2. Bei notwendiger Vertragsänderung 10 3.2.1. Vertragsänderung nach Art. 48 AEUV 10 3.2.2. Austritt nach Art. 50 EUV 13 4. Zusammenfassung 14 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 - 11/13 Seite 4 1. Einleitung Am 23. Januar 2013 hielt der britische Premierminister David Cameron eine Rede zur Zukunft der Europäischen Union (EU-Rede), in welcher er seine Vision für eine „neue Europäische Union “ des 21. Jahrhunderts skizzierte.1 Der Fachbereich wird in diesem Zusammenhang um die Beantwortung der Fragen gebeten, welche Auswirkungen diese Rede auf die Struktur und die Weiterentwicklung der Europäischen Union (EU) hat, insbesondere im Hinblick auf die Austrittsmöglichkeit von Großbritannien, und wie es einzuschätzen ist, wenn darin die Rückübertragung von Souveränitätsrechten von der EU auf einzelne Mitgliedsländer verlangt wird. Im Folgenden wird diesen Fragen nach Rücksprache mit dem Auftraggeber in rechtlicher Hinsicht nachgegangen und erörtert, auf welche Art und Weise die in der EU-Rede beschriebenen Reformvorstellungen Camerons nach dem geltenden Stand der EU-Verträge umgesetzt werden könnten. Zu diesem Zweck erfolgt zunächst eine kurze Zusammenfassung der EU-Rede unter dem Gesichtspunkt der darin geäußerten Ideen für die zukünftige Gestalt der EU (siehe unter 2.). Hiervon ausgehend werden anschließend die de lege lata bestehenden rechtlichen Umsetzungsoptionen aufgezeigt (siehe unter 3.). 2. Die EU-Rede des britischen Premierministers David Cameron In seiner EU-Rede identifiziert David Cameron drei zentrale Herausforderungen für die Zukunft der EU: die Probleme in der Eurozone, die Krise der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und die größer werdende Kluft zwischen der EU und ihren Bürgern.2 Um diesen Herausforderungen zu begegnen und die EU für das 21. Jahrhundert „fit zu machen“, sind nach Ansicht Camerons grundlegende und weitreichende Änderungen der EU notwendig.3 Hiervon ausgehend beschreibt er seine auf fünf Prinzipien aufbauende Vision einer „neuen“ EU4: Als erstes seiner Prinzipien benennt Cameron die Wettbewerbsfähigkeit.5 Der Kern der EU müsse der Binnenmarkt sein, der in den Bereichen Dienstleistungen, Energie und Digitales weiterhin der Verwirklichung harre.6 Die EU selbst müsse schlanker und weniger bürokratisch werden7. In 1 Sog. „EU speech at Bloomberg”, deren geschriebene Fassung abrufbar ist unter: http://www.number10.gov.uk/news/david-cameron-eu-speech/ (letzter Abruf: 21.02.2013), darin: „So let me set out my vision for a new European Union.“ 2 „But it’s essential for Europe – and for Britain – that we do because there are three major challenges confronting us today. First, the problems in the Eurozone […]. Second, […] crises of European competitiveness […]. And third […] gap between the EU and its citizens which has grown dramatically […].“ , EU-Rede (Fn. 1). 3 „That is why we need fundamental, far-reaching change. […] a new European Union, fit for the 21st Century.“, EU-Rede (Fn. 1). 4 „It is built on five principles.” , EU-Rede (Fn. 1). 5 „The first: competitiveness.“, EU-Rede (Fn. 1). 6 „At the core of the European Union must be, as it is now, the single market. [...] But when the Single Market remains incomplete in services, energy and digital – [...] – it is only half the success it could be.“, EU-Rede (Fn. 1). 7 „This means creating a leaner, less burecratic Union.“, EU-Rede (Fn. 1). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 - 11/13 Seite 5 diesem Zusammenhang kritisiert der britische Premierminister die hohe Anzahl teurer peripherer Europäischer Institutionen und spricht sich gegen eine Vergrößerung der Kommission aus.8 Das zweite Prinzip, auf welchem eine neue EU nach Cameron beruhen soll, ist Flexibilität.9 Die EU müsse eine Struktur aufweisen, welche einerseits die Vielfalt ihrer Mitglieder beherbergen könne.10 Andererseits müsse denen, die es wünschen, eine immer enger werdende Union ermöglicht werden.11 Unterschiedliche Vorstellungen über den Grad der Integration seien eine Tatsache .12 Die gleichwohl bestehende gemeinsame Grundlage der EU soll nach Ansicht des britischen Premierministers der Binnenmarkt sein, weniger hingegen die gemeinsame Währung.13 Eine Zuständigkeitsverlagerung zu Gunsten der Mitgliedstaaten beschreibt der britische Premierminister als das dritte seiner Prinzipien. Es müsse die Möglichkeit bestehen, dass Zuständigkeiten an die Mitgliedstaaten zurückfließen und nicht nur in zunehmenden Maße auf die EU übergingen.14 Ein solches Versprechen wurde auf dem Europäischen Rat in Laeken gegeben, im Vertrag niedergelegt, aber nie richtig erfüllt.15 Es müsse geprüft werden, was auf der Ebene der EU geregelt werden müsse und was nicht.16 Der Binnenmarkt erfordere keine umfassende Har- 8 „[...] can we really justify the huge number of expensive peripheral European institutions? Can we justify a Commission that gets ever larger?“, EU-Rede (Fn. 1). 9 „The second principle should be flexibility.“, EU-Rede (Fn. 1). 10 „We need a structure that can accommodate the diversity of its members [...]“, EU-Rede (Fn. 1). 11 „The European Treaty commits the Member States to lay the foundations of an ever closer union among the peoples of Europe. [...] We understand and respect the right of others to maintain their commitment to this goal. But for Britain – and perhaps for others – it is not the objective. And we would be much more comfortable if the Treaty specifically said so freeing those who want to go further, faster, to do so, without being held back by the others.“, EU-Rede (Fn. 1). 12 „We must not be weighed down by an insistence on a one size fits all approach which implies that all countries want the same level of integration. The fact is that they don’t and we shouldn’t assert that they do.“, EU-Rede (Fn. 1). 13 „[...] we are a family of democratic nations, all members of one European Union, whose essential foundation is the single market rather than the single currency.“, EU-Rede (Fn. 1). 14 „My third principle is that power must be able to flow back to Member States, not just away from them.“, EU- Rede (Fn. 1). 15 „This was promised by European Leaders at Laeken a decade ago. It was put in the Treaty. But the promise has never really been fulfilled.“, EU-Rede (Fn. 1). Zur Bezugnahme auf den Europäischen Rat von Laeken vom 14./15. Dezember 2011 siehe Anlage I zu den Schlussfolgerungen des Vorsitzes, S. 21 f. (SN 300/1/01 REV 1), online abrufbar unter http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/68829.pdf (zuletzt abgerufen am 21.02.2013). 16 „So let us use this moment [...] to examine thoroughly what the EU as a whole should do and should stop doing.”, EU-Rede (Fn. 1). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 - 11/13 Seite 6 monisierung17 und es müsse verifiziert werden, ob die bisherige EU-Rechtssetzung in Bereichen wie etwa Umwelt, soziale Angelegenheiten und Kriminalitätspolitik die Balance wahre.18 Die demokratische Verantwortung zählt der britische Premierminister als viertes Prinzip auf.19 In diesem Zusammenhang fordert er eine größere und bedeutendere Rolle für die nationalen Parlamente 20, ohne hierzu nähere Ausführungen zu machen. Es gebe nicht „das“ europäisches Volk, wahre Quelle demokratischer Legitimation und Verantwortung in der EU seien vielmehr die nationalen Parlamente.21 Als fünftes Prinzip seiner EU-Vision bezeichnet Cameron Fairness.22 Vereinbarungen, die für die Euro-Zone getroffen werden, müssen für deren Mitglieder und die übrigen Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist, in fairer (gleicher) Weise funktionieren.23 Es sei ein vitales Interesse Großbritanniens, die Integrität und Fairness des Binnenmarktes für alle Mitgliedstaaten zu schützen 24, während die Eurokrise zugleich zu einer Neubestimmung der Regeln über die Koordination der Haushaltspolitiken und über die Bankenunion führe.25 Auf die Verwirklichung dieser fünf Prinzipien will der britische Premierminister hinwirken und erst in Bezug auf das Ergebnis der Bemühungen soll es zu einem Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU kommen.26 Soweit es sich bei seinen Reformvorschlägen um solche handelt, die eine Vertragsänderung erfordern27, sieht Cameron die Vereinbarung eines neuen Vertragswerkes als vorzugswürdigere Option gegenüber einem britischen Sonderweg.28 17 „Let us not be misled by the fallacy that a deep and workable single market requires everything to be harmonised [ ...]“, EU-Rede (Fn. 1). 18 „In the same way we need to examine whether the balance is right in so many areas where the European Union has legislated including on the environment, social affairs and crime.“, EU-Rede (Fn. 1). 19 „My fourth principle is democratic accountability[...]”,EU-Rede (Fn. 1). 20 „[...] we need to have a bigger and more significant role for national parliaments.”, EU-Rede (Fn. 1). 21 „There is not, in my view, a single European demos. It is national parliaments, which are, and will remain, the true source of real democratic legitimacy and accountability in the EU“, EU-Rede (Fn. 1). 22 „My fifth principle is fairness [...]“,EU-Rede (Fn. 1). 23 „[...] whatever new arrangements are enacted for the Eurozone, they must work fairly for those inside it and out.“, EU-Rede (Fn. 1). 24 „So it is a vital interest for us to protect the integrity and fairness of the single market for all its members.“, EU- Rede (Fn. 1). 25 „[...] as the Eurozone crisis rewrites the rules on fiscal coordination and banking union.“, EU-Rede (Fn. 1). 26 „And when we have negotiated that new settlement, we will give the British people a referendum with a very simple in or out choice. To stay in the EU on these new terms; or come out altogether. It will be an in-out referendum .“ EU-Rede (Fn. 1). 27 „So we are starting to shape the reforms we need now. Some will not require Treaty change.“, EU-Rede (Fn. 1). 28 „But I agree too with what President Barroso and others have said. At some stage in the next few years the EU will need to agree on Treaty change to make the changes needed for the long term future of the Euro […]. I Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 - 11/13 Seite 7 Letzterer komme für ihn nur in Betracht, wenn man sich auf ersteres nicht verständigen könne.29 In zeitlicher Hinsicht stellt er die Durchführung einer Volksbefragung für die erste Hälfte der nächsten Wahlperiode (2015 bis 2017) in Aussicht, soweit seine konservative Regierung ein weiteres Regierungsmandat bei den Wahlen erlangen sollte.30 3. Rechtliche Optionen für die Umsetzung der Reformvorstellungen Hinsichtlich der rechtlichen Umsetzung der in der EU-Rede skizzierten Reformvorstellungen des britischen Premierministers empfiehlt es sich danach zu unterscheiden, ob es sich hierbei um Ideen handelt, die ohne eine Vertragsänderung umgesetzt werden können (hierzu 3.1.) oder um solche, die eine Vertragsänderung notwendig machen (hierzu 3.2.). Hierbei gilt es zu berücksichtigen , dass die Reformvorstellungen weit überwiegend allgemeiner Natur sind und es daher im Folgenden lediglich darum gehen kann, die für deren Verwirklichung zur Verfügung stehenden grundlegenden formal-rechtlichen Möglichkeiten aufzuzeigen. 3.1. Ohne Vertragsänderung Zahlreiche Aspekte der im Rahmen der fünf Prinzipien geäußerten Reformvorstellungen bedürfen zur Umsetzung keiner Änderung des EU-Primärrechts: Das betrifft zunächst das Prinzip der Wettbewerbsfähigkeit. Die angemahnte Vervollständigung des Binnenmarktes in den Bereichen Dienstleistungen, Energie und Digitales ist eine Frage der Rechtssetzung, die ohne Weiteres auf Grundlage des derzeitigen Vertragswerkes erfolgen kann. Der EU steht insoweit nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. a) AEUV eine geteilte Zuständigkeit zu, die ihr gegenüber einem Tätigwerden der Mitgliedstaaten einen Vorrang einräumt (vgl. Art. 2 Abs. 2 AEUV). Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen u.a. in den Art. 114, 53 Abs. 1, 46, 47 AEUV sehen hierfür das ordentliche Gesetzgebungsverfahren vor und damit das für die Rechtssetzung auf EU- Ebene typische Zusammenspiel von Kommission mit einem das Verfahren einleitenden Vorschlag und einer gemeinsamen Annahme des entsprechenden Rechtsaktes durch Parlament und Rat (vgl. Art. 289 Abs. 1 AEUV). Die Nutzung dieser rechtlichen Möglichkeiten ist allein vom politischen Willen der beteiligten Akteure abhängig. Auch die Forderung nach einer schlankeren und weniger bürokratischen EU betrifft zum Teil die Rechtssetzung und somit den geltenden Rechtzustand. So kann bei dem Erlass von Rechtsakten etwa auf eine Verringerung der mit der EU-Gesetzgebung verbundenen Verwaltungslasten believe the best way to do this will be in a new Treaty […]. My strong preference is to enact these changes for the entire EU, not just for Britain.”, EU-Rede (Fn. 1). 29 „But if there is no appetite for a new Treaty for us all then of course Britain should be ready to address the changes we need in a negotiation with our European partners.“, EU-Rede (Fn. 1). 30 „The next Conservative Manifesto in 2015 will ask for a mandate from the British people for a Conservative Government to negotiate a new settlement with our European partners in the next Parliament. [...] And if a Conservative Government is elected we will introduce the enabling legislation immediately and pass it by the end of that year. And we will complete this negotiation and hold this referendum within the first half of the next parliament.“, EU-Rede (Fn. 1). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 - 11/13 Seite 8 hingewirkt werden.31 In einem weiteren Sinne kann hierunter auch eine generelle Deregulierung und damit ein prinzipielles Weniger an Rechtsvorschriften verstanden werden. So erfolgt beispielsweise die von Cameron kritisch erwähnte Einrichtung von Europäischen Agenturen durch Sekundärrechtsakte.32 Insgesamt handelt es sich hinsichtlich der Umsetzung auch dieses Postulats letztlich um eine Frage des politischen Willens. Eine Umsetzung des Prinzips der Flexibilität kann auf Grundlage der geltenden Verträge durch Inanspruchnahme des Rechtsinstituts der Verstärkten Zusammenarbeit nach Art. 20 EUV, 326 ff. AEUV erfolgen. Hierbei handelt es sich um eine Kooperation von mindestens neun Mitgliedstaaten unter Inanspruchnahme der im EUV bzw. AEUV vorgesehenen Organe, Handlungsinstrumente und Verfahrensvorschriften (vgl. Art. 20 Abs. 1 EUV). Die zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit erlassenen Rechtsakte haben die Rechtsnatur und Wirkungsweise, die das Unionsrecht den betreffenden Maßnahmen auch sonst zuweist.33 Sie sind unmittelbar anwendbar und haben Anwendungsvorrang gegenüber nationalem Recht34, sie binden aber nur die an der Verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Staaten. Es handelt sich um sekundäres Sonderrecht .35 In kompetentieller Hinsicht umfasst die Verstärkte Zusammenarbeit alle der EU zugewiesenen Zuständigkeiten, die nicht ausschließlicher Natur sind (vgl. Art. 20 Abs. 1 EUV). Allerdings wird das Potential dieser institutionalisierten Form differenzierter Integration unterschiedlich beurteilt,36 was letztlich auch in der bisherigen praktischen Zurückhaltung der Mitgliedstaaten zum Ausdruck kommt.37 Eine Verwirklichung der Zuständigkeitsverlagerung ohne Vertragsänderung kann nur insoweit erfolgen, als die EU auf die Ausübung der ihr übertragenen Zuständigkeiten zu Gunsten der Mit- 31 Vgl. hierzu bspw. die Kommissionmitteilung „Aktionsprogramm zur Verringerung der Verwaltungslasten in der Europäischen Union“, KOM(2007) 23 endg. (online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2007/com2007_0023de01.pdf; zuletzt abgerufen am 21.02.2013). Siehe auch die Kommissionsmitteilung, „Strategische Überlegungen zur Verbesserung der Rechtsetzung in der Europäischen Union“, KOM(2006) 689 endg. (online abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2006:0689:FIN:DE:PDF; zuletzt angerufen am 21.02.2013). 32 Einen Überblick über die sekundärrechtlich eingerichteten europäischen Institutionen findet sich unter http://europa.eu/agencies/index_de.htm (zuletzt abgerufen am 21.02.2013). So wurde bspw. die Agentur der EU für Grundrechte durch die Verordnung (EG) Nr. 168/2007 des Rates vom 15. Februar 2007, ABl.EU 2007 Nr. L 53, S. 1 ff., errichtet. 33 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 8. Auflage 2012, Rn. 83. 34 Pechstein, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 20 EUV, Rn. 16. 35 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 8. Auflage 2012, Rn. 83. 36 Vgl. etwa Blanke, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg), Das Recht der Europäischen Union, Art. 20 EUV, Rn. 55 ff. 37 Erstmalige Anwendung fanden die Vorschriften über die Verstärkte Zusammenarbeit 2010 im Bereich des Ehescheidungsrechts und 2011 im Bereich des einheitlichen Patentschutzes, vgl. hierzu die Angaben bei Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 20 EUV, Rn. 1. Aktuell beschlossen wurde ferner eine Verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der Finanztransaktionssteuer, vgl. Beschluss des Rates vom 22. Januar 2013 über die Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Finanztransaktionssteuer (2013/52/EU), ABl.EU 2013 Nr L 22, S. 11, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2013:022:0011:0012:DE:PDF, zuletzt abgerufen am 13.02.2013. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 - 11/13 Seite 9 gliedstaaten verzichtet. Dies betrifft insbesondere den Bereich der bereits angesprochenen geteilten Zuständigkeiten nach Art. 4 AEUV. Gemäß Art. 2 Abs. 2 AEUV können die Mitgliedstaaten in diesen Kompetenzfeldern gesetzgeberisch tätig werden und verbindliche Rechtsakte erlassen, sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat. Insoweit besteht also ein Vorrang der Unionsrechtssetzung. Unter die geteilten Zuständigkeiten fällt auch der Binnenmarkt nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. b AEUV, der nach Ansicht des britischen Premierministers keine umfassende Harmonisierung erfordere. Auch steht es der EU frei, bereits erlassene Rechtsakte – wie in den in der EU-Rede angesprochenen Bereichen Umwelt (Art. 4 Abs. 2 Buchst. e AEUV), soziale Angelegenheiten (Art. 4 Abs. 2 Buchst. a, c AEUV) und Kriminalitätspolitik (Art. 4 Abs. 2 Buchst. j AEUV) – zurückzunehmen (vgl. Art. 2 Abs. 2 S. 3 AEUV). Auch hierbei handelt es sich hinsichtlich der Umsetzung letztlich um eine Frage des politischen Willens, da auch die Rücknahme von Rechtsakten als actus contrarius ein Rechtssetzungsverfahren erfordert. Welche konkrete Bedeutung der britische Premierminister dem fünften Prinzip, der Fairness, beimisst, lässt sich der EU-Rede nicht entnehmen. Soweit darunter ein Verbot der Beeinträchtigung des Binnenmarkts als Politikbereich durch Maßnahmen, die im Rahmen der Eurokrise von den Euro-Mitgliedstaaten getroffen werden, zu verstehen ist, gilt jedenfalls hinsichtlich solcher Euro-Maßnahmen, die auf die Bestimmungen der EU-Währungspolitik in den Art. 127 ff. AEUV und nicht auf eine völkerrechtliche Zusammenarbeit der EU-Staaten zurückzuführen sind, das bereits im Vertrag festgelegte Kohärenzprinzip nach Art. 7 AEUV. Danach achtet die Union auf die Kohärenz zwischen ihrer Politik und ihren Maßnahmen in den verschiedenen Bereichen und trägt dabei unter Einhaltung des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung ihren Zielen in ihrer Gesamtheit Rechnung. Für die Einhaltung dieser Bestimmung ist der Gerichtshof der EU (EuGH) zuständig.38 Allerdings wird vertreten, dass den Adressaten dieses Gebots ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht, dem bezüglich der Justiziabilität eine eingeschränkte Kontrolldichte des EuGH korrespondiert.39 Handeln die Euro-Mitgliedstaaten hingegen außerhalb des Unionsrahmens , so lässt sich eine Rücksichtnahmeverpflichtung auf EU-Politikbereiche wie dem hier in Rede stehenden Binnenmarkt über das Loyalitätsgebot des Art. 4 Abs. 3 UAbs. 3 AEUV begründen . Danach unterlassen die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten. So formulierte der EuGH in der Rs. Pringle zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), dass sich die Mitgliedstaaten bei ihrer völkerrechtlichen Zusammenarbeit nicht über die Beachtung des Unionsrechts und damit auch des Binnenmarktrechts hinwegsetzen dürfen.40 38 Holoubek, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 7 AEUV, Rn. 8. 39 Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 7 AEUV, Rn. 5; Holoubek, in: Schwarze (Hrsg.), EU- Kommentar, Art. 7 AEUV, Rn. 8. 40 EuGH, Rs. C-370/12, Urt. v. 27.11.2012, noch nicht in amtl. Slg. veröffentlicht, Rn. 68 f. – Pringle (online abrufbar unter http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=130381&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst &dir=&occ=first&part=1&cid=1365689 – zuletzt abgerufen am: 21.02.2013). Allerdings erfolgt hier keine ausdrückliche Bezugnahme auf das Loyalitätsgebot, in der Sache dürfte dies jedoch darauf hinauslaufen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 - 11/13 Seite 10 3.2. Bei notwendiger Vertragsänderung Die verbleibenden Reformvorstellungen des britischen Premierministers lassen sich in institutionelle und materielle Neuerungen unterteilen: Erstere betreffen die im Zusammenhang mit dem Prinzip der Wettbewerbsfähigkeit erwähnte Verkleinerung der Kommission, die Ermöglichung einer über die bisher vertraglich vorgesehene Verstärkte Zusammenarbeit hinausgehenden Flexibilität sowie die Einräumung einer größeren und bedeutenderen Rolle für die nationalen Parlamente im Zusammenhang mit der Stärkung der demokratischen Verantwortung. Materieller Natur ist hingegen die von Cameron geforderte Zuständigkeitsverlagerung zu Lasten der EU, soweit es sich dabei um eine primärrechtlich verbindliche Rückführung auf die Mitgliedstaaten handeln soll. All diesen Aspekten ist gemeinsam, dass sie das Primärrecht betreffen, über dessen grundlegende Änderung nur die Mitgliedstaaten als Herren der Verträge verfügen können.41 Für die Vornahme von Änderungen des Primärrechts sieht das Unionsrecht in Art. 48 EUV eine ausdrückliche Bestimmung vor.42 Darin wird zwischen einem ordentlichen und vereinfachten Änderungsverfahren unterschieden (vgl. Art. 48 Abs. 1 EUV). Beide Konstellationen setzen eine Einigung aller Mitgliedstaaten über die Änderung des Vertragswerkes voraus. Wird eine solche im Hinblick auf die Reformvorstellungen des britischen Premierministers nicht erzielt werden können, so kommt für Großbritannien die Möglichkeit eines Austritts nach Art. 50 EUV in Betracht. Im Folgenden sollen zunächst der rechtlichen Rahmen für eine Vertragsänderung nach Art. 48 AEUV (dazu unter 3.2.1.) und anschließend die Austrittsoptionen kurz näher beleuchtet werden (dazu unter 3.2.2.). 3.2.1. Vertragsänderung nach Art. 48 AEUV Art. 48 AEUV ist eine Verfahrensvorschrift und regelt einheitlich die Verfahren zur Änderung der „Verträge“, also sowohl des EUV als auch des AEUV.43 Bestandteil des im Wesentlichen durch diese beiden Verträge gebildeten EU-Primärrechts sind nach Art. 51 EUV auch die den Verträgen beigefügten Protokolle und Anhänge. Neben verfahrensrechtlichen Unterschieden zwischen dem in Art. 48 Abs. 2 bis 5 EUV geregelten ordentlichen Änderungsverfahren und den in Art. 48 Abs. 6 und 7 EUV vorgesehenen vereinfachten Änderungsverfahren44 unterscheiden sich beide Verfahrensformen auch nach dem 41 Vgl. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 48 EUV, Rn. 19 ff. 42 Im Schrifttum ist umstritten, inwieweit die Mitgliedstaaten hiervon bzw. von den anderen vertraglich geregelten Bestimmungen über punktuelle Vertragsänderungen abweichen können, siehe zu dieser Streitfrage Herrnfeld, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 48 EUV, Rn. 22 f. Im Folgenden wird diese Möglichkeit aufgrund ihrer hypothetischen Bedeutung außer Betracht gelassen. 43 Herrnfeld, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 48 EUV, Rn. 1. 44 Neben den in Art. 48 Abs. 6 und 7 EUV vorgesehenen Verfahren bestehen noch weitere Regelungen in den Verträgen zur vereinfachten und punktuellen Vertragsänderung. Siehe hierzu Herrnfeld, in: Schwarze (Hrsg.), EU- Kommentar, Art. 48 EUV, Rn. 17 ff. Diese Bestimmungen sind im Folgenden nicht weiter relevant, so dass auf deren Darstellung verzichtet wird. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 - 11/13 Seite 11 Gegenstand der Vertragsänderung. Keinerlei Einschränkungen unterliegt insoweit nur das ordentliche Änderungsverfahren. Das in diesem Zusammenhang allein relevante vereinfachte Änderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV ermöglicht hingegen nur die Änderung aller oder eines Teils der Bestimmungen des Dritten Teils des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Art. 26 bis 197 AEUV). Diese Vorschriften regeln ausweislich der amtlichen Überschrift für diesen Teil des AEUV die internen Politiken und Maßnahmen der Union. Sie enthalten somit wesentliche Teile des materiellen Rechts der EU, unter anderem die einschlägigen Rechtsgrundlagen zum Erlass von Sekundärrechtsakten. Vor diesem Hintergrund ließe sich an das vereinfachte Vertragsänderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV allenfalls für die in der EU-Rede aufgeworfene Zuständigkeitsverlagerung denken. Allerdings würde eine Streichung von Rechtssetzungszuständigkeiten in den Art. 26 bis 197 AEUV immer zugleich auch zu einer (impliziten) Änderung des Ersten Teils des AEUV in den Art. 2 bis 6 über die Arten und Bereiche der Zuständigkeiten der Union führen, die im Rahmen dieses Verfahrens gerade nicht geändert werden dürfen.45 Somit scheidet das vereinfachte Vertragsänderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 AEUV für die Umsetzung (auch nur) der materiellen Reformvorstellungen nach der EU-Rede aus. In Betracht kommt somit allein das ordentliche Änderungsverfahren , welches sowohl materielle als auch (ausschließlich) die vom britischen Premierminister skizzierten institutionellen Neuerungen ermöglichen würde. Das ordentliche Änderungsverfahren kann zunächst mit dem Ziel in Anspruch genommen werden , die oben geschilderten Neuerungen institutioneller und materieller Art in ein neues Vertragswerk zu gießen bzw. in die bestehenden Verträge einzubauen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beginnt es nach Art. 48 Abs. 2 EUV mit der Vorlage eines Entwurfs zur Änderung der Verträge. Das Initiativrecht steht dabei neben der Kommission und dem Europäischen Parlament auch der Regierung eines jeden Mitgliedstaates zu, so dass die britische Regierung über die Einleitung des Reformprozesses selbst bestimmen könnte. Nach Art. 48 Abs. 2 S. 2 AEUV können die stets an den Rat zu richtenden Entwürfe ausdrücklich auch eine Verringerung der der Union übertragenen Zuständigkeiten vorsehen. Der Rat übermittelt die Entwürfe an den Europäischen Rat und bringt sie ferner den nationalen Parlamenten zur Kenntnis. Sodann beschließt der Europäische Rat mit einfacher Mehrheit, ob die vorgeschlagenen Änderung geprüft werden sollen; hierzu hört er zuvor das Europäische Parlament und die Kommission an (vgl. Art. 48 Abs. 3 UAbs. 1 S. 1 EUV). Der weitere Verfahrensgang ist sodann abhängig davon, ob ein Konvent einberufen werden soll. Auf diesen kann nach Art. 48 Abs. 3 UAbs. 2 EUV verzichtet werden, wenn seine Einberufung aufgrund des Umfangs der geplanten Änderungen nicht gerechtfertigt ist. Einen entsprechenden Beschluss kann der Europäische Rat mit einfacher Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments treffen. In diesem Fall legt der Europäische Rat sofort ein Mandat für eine Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (Regierungskonferenz) fest, welche nach Art. 48 Abs. 4 UAbs. 1 EUV von Präsidenten des Rates einberufen wird, um die an den Verträgen vorzunehmenden Änderungen zu vereinbaren. Wird hingegen zunächst ein Konvent einberufen, dem Vertreter der nationalen Parlamente, der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Kommis- 45 Vgl. für den Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion nach Art. 119ff. AEUV und die Einrichtung des ESM, EuGH, Rs. C-370/12, Urt. v. 27.11.2012, noch nicht in amtl. Slg. veröffentlicht, Rn. 46 ff., insb. 52 – Pringle. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 - 11/13 Seite 12 sion angehören46, so prüft dieser nach Art. 48 Abs. 3 UAbs. 1 S. 3 EUV die Änderungsentwürfe und nimmt im Konsensverfahren eine Empfehlung an, die dann erst an die bereits erwähnte Regierungskonferenz zu richten ist. In beiden Fällen treten die schließlich von der Regierungskonferenz (abschließend) vereinbarten Änderungen nach Art. 48 Abs. 4 UAbs. 2 EUV in Kraft, nachdem sie von allen Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert worden sind.47 Besteht bereits im Vorfeld keine Einigkeit über ein neues Vertragswerk oder eine entsprechende Änderung der beiden Verträge in dem vom britischen Premierminister skizzierten Umfang, könnte das ordentliche Änderungsverfahren auch beispielsweise mit dem Ziel in Anspruch genommen werden, einen Verbleib des Vereinigten Königreichs über die Vereinbarung zusätzlicher Opt-out-Rechte in den Protokollen zu erreichen. Bereits jetzt bestehen für das Vereinigte Königreich entsprechende Vereinbarungen für die Bereiche der Wirtschafts- und Währungsunion48 und des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts49, die das Königreich berechtigen, an diesen Politikbereichen nicht mitzuwirken. Vergleichbare Bestimmungen und damit ein weiterer britischer Sonderweg könnten auch für andere Bereiche festgelegt werden, einschließlich der damit zusammenhängenden institutionellen Implikationen (z.B. bzgl. der bloßen Teilnahme an Beratung im Rat etc.). Auf diese Weise könnten allerdings nicht die zum Teil weitreichenden institutionellen Neuerungen, die in der EU-Rede skizziert wurden, erreicht werden. Eine Rückübertragung von Zuständigkeiten erfolgt durch derartige Opt-out-Regelungen nur insoweit, als keine Bindung an die in den betroffenen Politikbereichen erlassenen Rechtsakte für den Opt-out- Staat besteht. Ferner stünde eine Rückübertragung unter dem Vorbehalt der Wahrnehmung der bisher ebenfalls stets vereinbarten Opt-in-Rechte.50 Im Übrigen sei zur Klarstellung darauf hingewiesen , dass auch dieser Weg als Vertragsänderung die Zustimmung (Ratifikation) aller Mitgliedstaaten voraussetzt. 46 Nach Art. 48 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 EUV wird die Europäische Zentralbank bei institutionellen Änderungen im Währungsbereich angehört. 47 Für den Fall von Ratifikationsproblemen sieht Art. 48 Abs. 5 EUV unter bestimmten Voraussetzungen eine Befassung des Europäischen Rates vor. Siehe zu dieser Regelung, Herrnfeld, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 48 EUV, Rn. 7. 48 Abgedruckt sind sämtliche Protokolle in konsolidierten Fassungen im ABl.EU 2010 Nr. C 83, S. 201 ff. (online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2010:083:FULL:DE:PDF; zuletzt abgerufen am 21.02.2013). Die Opt-out-Bestimmungen für die Wirtschafts- und Währungsunion finden sich in Protokoll Nr. 15 über einige Bestimmungen betreffend das Vereinte Königreich Großbritannien und Nordirland. 49 Die Opt-out-Regelungen für diesen Bereich verteilen sich auf insgesamt vier Protokolle (zur Quelle, siehe Fn. 48): Protokoll Nr. 19 über den im Rahmen der Europäischen Union einbezogenen Schengen-Besitzstand; Protokoll Nr. 20 über die Anwendung bestimmter Aspekte des Artikels 26 auf das Vereinte Königreich und auf Irland ; Protokoll Nr. 21 über die Position des Vereinten Königreich und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit , der Sicherheit und des Rechts und schließlich Art. 10 Abs. 4 und 5 des Protokolls Nr. 36 über die Übergangsbestimmungen . 50 Diese ermöglichen – je nach Ausgestaltung – eine im Ermessen des Mitgliedstaates stehende Beteiligung an einzelnen oder allen Maßnahmen. So etwa für das Vereinte Königreich hinsichtlich der Einführung des Euro, siehe Protokoll Nr. 15, Pkt. 9. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 - 11/13 Seite 13 3.2.2. Austritt nach Art. 50 EUV Kann eine Einigung der Mitgliedstaaten über eine Vertragsänderung nicht erzielt werden oder kommt es dessen ungeachtet zu einem negativen Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU, so ist an einen Austritt aus der EU zu denken, der seit dem Lissabonner Vertrag nun ausdrücklich in Art. 50 EUV geregelt ist.51 Eingeleitet wird ein Austritt durch die Mitteilung des betreffenden Mitgliedstaates an den Europäischen Rat über seine Austrittsabsicht, vgl. Art. 50 Abs. 2 EUV. Die konkrete Ausgestaltung des Austritts und insbesondere der anschließenden Beziehungen zwischen der EU einerseits und dem auswilligen Mitgliedstaat anderseits hängen sodann im Wesentlichen davon ab, ob der Austritt durch den Abschluss eines (Austritts-)Abkommens nach Art. 50 Abs. 2 S. 2 bis 4 EUV begleitet wird oder nicht. Ein solches Abkommen ist nach weit überwiegender Auffassung im Schrifttum keine konstitutive Voraussetzung für die Wirksamkeit des Austritts.52 Nach Art. 50 Abs. 3 EUV finden die Verträge (und das Sekundärrecht)53 auf den betroffenen Mitgliedstaat entweder ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder andernfalls zwei Jahre nach Mitteilung der Austrittsabsicht keine Anwendung mehr, wobei im letzten Fall eine einvernehmliche Fristverlängerung möglich ist. Dessen ungeachtet folgt hieraus, dass der betreffende Mitgliedstaat einen Austritt in jedem Fall einseitig herbeiführen kann.54 Das Austrittsabkommen soll ausweislich des Vertragswortlautes in Art. 50 Abs. 2 S. 2 EUV Einzelheiten des Austritts beinhalten und wird – anders als Beitrittsverträge – zwischen der EU einerseits und dem austretenden Mitgliedstaat andererseits geschlossen.55 Bei den Verhandlungen ist ausweislich des Vertragswortlauts der Rahmen für die künftigen Beziehungen des austretenden Staates zur Union zu berücksichtigen. Vorgaben rechtlicher Art, wie dieser zu gestalten ist, bestehen indes nicht.56 Es kann insoweit davon ausgegangen werden, dass ein weiter politischer Entscheidungsspielraum über die Ausgestaltung der zukünftigen Relationen besteht, der auch die Einräumung einer besonderen vertraglichen Beziehung zu dem austretenden Mitgliedstaat umfasst.57 Ein Austrittsabkommen böte somit im Falle des Ausscheidens des Vereinigten Königreichs beiden Seiten die Möglichkeit, weiterhin eine enge Beziehung aufrecht zu erhalten. Zu beachten ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht allerdings, dass ein Austrittsabkommen gemäß 51 Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 50 EUV, Rn. 1. 52 Vgl. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 50 EUV, Rn. 6, mit weiteren Nachweisen, ferner Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 50 EUV, Rn. 5. 53 Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 50 EUV, Rn. 7. 54 Vgl. Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 50 EUV, Rn. 5. Beitrittsverträge werden als multilaterale Verträge zwischen den EU-Mitgliedstaaten einerseits und dem beitretenden Staat andererseits geschlossen. 55 Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 50 EUV, Rn. 7. 56 Vgl. auch Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 50 EUV, Rn. 7. 57 Vgl. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 50 EUV, Rn. 5. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 - 11/13 Seite 14 Art. 50 Abs. 3 S. 3 EUV nach Art. 218 Abs. 3 AEUV auszuhandeln ist58 und anschließend gemäß Art. 50 Abs. 3 S. 4 EUV vom Rat im Namen der Union geschlossen wird, wobei der Rat mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments beschließt. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass ein neuer Beitritt eines einmal ausgetretenen Mitgliedstaates nach Art. 50 Abs. 5 EUV nur im ordnungsgemäßen Beitrittsverfahren nach Art. 49 EUV möglich ist.59 4. Zusammenfassung Die in der EU-Rede des britischen Premierministers David Cameron skizzierte Vorstellung einer auf fünf Prinzipien (Wettbewerbsfähigkeit, Flexibilität, Zuständigkeitsverlagerung auf die Mitgliedstaaten , demokratische Verantwortung und Fairness) beruhenden Reform der EU kann in Teilen bereits auf Grundlage des geltenden Vertragswerkes umgesetzt werden. Soweit hinsichtlich institutioneller Neuerungen und einer dauerhaften Rückübertragung von Zuständigkeiten auf die Mitgliedstaaten eine Vertragsänderung notwendig ist, kann diese nur im Rahmen des in Art. 48 Abs. 2 bis 5 EUV geregelten ordentlichen Änderungsverfahrens erfolgen. Neben der Vereinbarung eines neuen Vertragswerkes bzw. der Änderung der bestehenden Verträge besteht in diesem Verfahren auch die Möglichkeit, weitere Opt-out-Regelungen für das Vereinigte Königreich einzuführen. In beiden Fällen müssen sich alle Mitgliedstaaten hierauf einvernehmlich verständigen. Kann eine solche Einigung nicht zustande kommen, steht es Großbritannien nach Art. 50 AEUV offen aus der EU auszutreten. Die künftigen Beziehungen zur EU können hierbei in einem mit der Union zu schließenden Austrittsabkommen näher geregelt werden. Konstitutiv für einen wirksamen Austritt ist ein solches Abkommen jedoch nicht. - Fachbereich Europa - 58 Nach Art. 218 Abs. 3 AEUV legt die Kommission dem Rat Empfehlungen vor. Der Rat erlässt einen Beschluss über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen und über die Benennung des Verhandlungsführers oder des Leiters des Verhandlungsteams der Union. 59 Im Schrifttum wird allerdings vertreten, dass hiervon Abweichungen möglich sind, soweit sie in einem Austrittsabkommen nach Art. 50 Abs. 2 EUV geregelt werden, vgl. etwa Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 50 EUV, Rn. 6.