© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 9/15 Unionsrechtliche Relevanz einer Unterscheidung bei der Erwerbsmöglichkeit von Kurzzeitvignetten Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 9/15 Seite 2 Unionsrechtliche Relevanz einer Unterscheidung bei der Erwerbsmöglichkeit von Kurzzeitvignetten Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 9/15 Abschluss der Arbeit: 26. Januar 2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 9/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Hintergrund 4 3. Antwort 5 3.1. Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit 5 3.2. Grundfreiheiten und unionsbürgerliche Freizügigkeit nach Art. 21 Abs.1 AEUV 6 3.3. Exkurs: Phänomen der sog. Inländerdiskriminierung 8 4. Zusammenfassung 9 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 9/15 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung geht der Frage nach, ob der Unterscheidung im Entwurf eines Infrastrukturabgabengesetzes , wonach ausländische Autofahrer auch Kurzzeitvignetten erwerben können, während inländische Autofahrer die Infrastrukturabgabe in Form einer Jahresvignette entrichten müssen , eine unionsrechtliche Relevanz zukommt. 2. Hintergrund Am 17. Dezember 2014 hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen beschlossen. In Art. 1 ist der Entwurf eines Gesetzes über die Erhebung einer zeitbezogenen Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen (Infrastrukturabgabengesetz, im Folgenden: InfAG-E) enthalten.1 Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 InfAG-E ist die Infrastrukturabgabe für im Inland zugelassene und von diesem Gesetz erfasste Kraftfahrzeuge jeweils grundsätzlich für ein Jahr zu entrichten.2 Für entsprechende im Ausland zugelassene Kraftfahrzeuge besteht hingegen nach § 6 Abs. 2 InfAG-E die Möglichkeit der Wahl zwischen einer Zehntages-, einer Zweimonats- oder einer Jahresvignette. Nach der Anlage zu § 7 InfAG-E unter Abs. 1 Nr. 1 und 2 liegen die Preise für die Zehntagesvignette bei 10 EUR und für die Zweimonatsvignette bei 22 EUR (im Folgenden jeweils: Kurzzeitvignette ). Der Beitrag für die Jahresvignette bestimmt sich – ungeachtet des Ortes der Zulassung des betreffenden Fahrzeugs – gemäß der Anlage zu § 7 InfAG-E unter Abs. 1 Nr. 3 nach Hubraum und Umwelteigenschaften des Kraftfahrzeugs und bei den ebenfalls erfassten Wohnmobilen nach dem Gewicht. In beiden Fällen liegt der Betrag in jedem Fall über den Preisen für die beiden Kurzzeitvignetten . § 9 InfAG-E regelt Tatbestände der Erstattung der jährlich zu entrichtenden Infrastrukturabgabe.3 Unterschieden wird hierbei zwischen einer anteiligen und einer vollständigen Erstattung. Erstere ist in § 9 Abs. 2 Satz 2 InfAG-E für im In- und Ausland zugelassene Fahrzeuge vorgesehen und kommt bei Außerbetriebsetzung (Nr. 1), Halterwechsel (Nr. 2) und dem Eintreten einer Ausnahme nach § 2 InfAG-E (Nr. 3) zur Anwendung. Die vollständige Erstattung nach § 9 Abs. 2 Satz 3 InfAG-E erfasst dagegen nur im Inland zugelassene Fahrzeuge und setzt voraus, dass man glaubhaft machen kann, dass das Kraftfahrzeug im gesamtem Entrichtungszeitraum nicht auf infrastrukturabgabenpflichtigen Straßen genutzt wurde. Nach § 1 Abs. 1 InfAG-E in Verbindung mit 1 Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen, S. 39f., abrufbar unter http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/VerkehrUndMobilitaet/Strasse/entwurf-infrastrukturabgabengesetz -neu.pdf?__blob=publicationFile (letztmaliger Abruf am 15.02.16). 2 Die hiervon bestehenden Ausnahmen enthalten nach § 6 Abs. 3 Satz 1 InfAG-E einführungsbedingte Verfahrenserleichterungen , nach § 6 Abs. 3 Satz 1 InfAG-E Erleichterungen für Betreiber von Fahrzeugflotten und nach § 6 Abs. 4 InfAG-E eine Sonderregelungen für Fahrzeuge, die nur für einen bestimmten Zeitraum zugelassen werden (etwa auf Grundlage von Saisonkennzeichen), siehe insoweit die Begründung zum Entwurf, S. 50 (Fn. 1). In diesen Fällen wird eine Berechnung nach Tagen vorgenommen. 3 Für die beiden Kurzzeitvignetten kommt eine Erstattung nur vor dem Beginn ihres Gültigkeitszeitraums in Betracht , § 9 Abs. 1 InfAG-E. Ab Beginn des Gültigkeitszeitraums ist gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 G-E eine Erstattung ausgeschlossen. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 9/15 Seite 5 § 1 Bundesfernstraßengesetz sind dies Bundesautobahnen und Bundesstraßen. Nach der Begründung zum InfAG-E verfügt die Bundesrepublik Deutschland über ein sehr dichtes Bundesfernstraßennetz , aufgrund dessen davon ausgegangen wird, dass nahezu jeder Halter eines im Inland zugelassenen Fahrzeugs das Bundesfernstraßennetz nutzt.4 Aus der Zusammenschau der §§ 6 und 9 InfAG-E folgt somit, dass Inländer mit einem dauerhaft zugelassenen Fahrzeug ungeachtet des zeitlichen Nutzungsumfangs abgabenpflichtiger Straßen fast immer den Jahresbeitrag entrichten müssen, während Haltern oder Nutzern von ihm Ausland zugelassenen Fahrzeugen die Möglichkeit offen steht, entsprechende Kurzzeitvignetten zu erwerben . 3. Antwort Hinsichtlich der unionsrechtlichen Relevanz einer solchen Unterscheidung könnte zunächst an eine Einschlägigkeit des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit gedacht werden (siehe unter 3.1.). Scheidet dessen Anwendbarkeit aus, ist zu erörtern, ob nicht die Freizügigkeit und die Grundfreiheiten weitergehende Gewährleistungsgehalte aufweisen, an denen eine solche Ungleichbehandlung geprüft werden könnte (siehe unter 3.2.). Der Sachstand schließt mit einem kurzen Exkurs zum Phänomen der sog. Inländerdiskriminierung (siehe unter 3.3.) und einer Zusammenfassung (siehe unter 4.). 3.1. Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit Art. 18 Abs. 1 AEUV und die Grundfreiheiten untersagen in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit.5 EU-Ausländer dürfen danach im Vergleich zu Inländern nicht benachteiligt werden.6 Betrachtet man die unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der Möglichkeit, Kurzeitvignetten zu erwerben im Lichte dieses Prüfungsmaßstabs, so ist festzustellen, dass der Regelung keine Schlechterstellung von EU-Ausländern gegenüber Inländern zugrunde liegt, sondern umgekehrt eine Schlechterstellung von Inländern gegenüber EU-Ausländern. Denn für erstere besteht anders als für die letztgenannten nicht die Möglichkeit, bei einem geringeren zeitlichen Nutzungsumfang entsprechend günstigere Kurzzeitvignetten zu erwerben. 4 Vgl. Entwurf (Fn. 1), S. 28. 5 Dass auch die Grundfreiheiten ein Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthalten, ergibt sich bei den Personenverkehrsfreiheiten der Arbeitnehmerfreizügigkeit (vgl. Art. 45 Abs. 2 AEUV), der Niederlassungsfreiheit (vgl. Art. 49 Abs. 2 AEUV) und der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56, 57 Abs. 2 AEUV) bereits aus deren Wortlaut. Für die insoweit anders formulierten Warenverkehrs- (Art. 34 AEUV) und Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 AEUV) ist dieser Diskriminierungsschutz, wenngleich nicht zwingend als eigenständige Kategorie, ebenfalls anerkannt, vgl. etwa Koenig/Haratsch/Pechstein, Europarecht, 9. Aufl. 2014, Rn. 866, 1048. 6 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 28.01.1992, Rs. C-332/90 (Steen), Rn. 8 f. Siehe auch von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 54. Ergänzungslieferung 2014, Art. 18 AEUV, Rn. 1, 49. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 9/15 Seite 6 Nach ständiger Rechtsprechung wird eine Benachteiligung von Inländern im Vergleich zu EU- Ausländern vom unionsrechtlichen Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit nicht erfasst.7 Der Gerichtshof begründet dies mit dem Fehlen eines grenzüberschreitenden Bezugs . Denn die Ungleichbehandlung geht in derartigen Fällen zu Lasten eines rein innerstaatlichen Sachverhalts, auf den das in Art. 18 Abs. 1 AEUV und den Grundfreiheiten enthaltende Diskriminierungsverbot keine Anwendung findet.8 Die durch die Ungleichbehandlung besser gestellten EU-Ausländer und deren (gesetzliche) „Behandlung“ vermögen in dieser Konstellation keinen grenzüberschreitenden Bezug zu begründen, da bei der hier relevanten Fragestellung nicht die Beurteilung ihrer Situation in Rede steht. 3.2. Grundfreiheiten und unionsbürgerliche Freizügigkeit nach Art. 21 Abs.1 AEUV Die Grundfreiheiten und auch die von der Ausübung grenzüberschreitender wirtschaftlicher Tätigkeiten losgelöste unionsbürgerliche Freizügigkeit nach Art. 21 Abs.1 AEUV schützen jedoch nicht nur EU-Ausländer gegenüber Maßnahmen des jeweiligen Aufenthaltsstaates.9 Sie gewähren in bestimmten Konstellationen auch Inländern Schutz gegenüber ihrem eigenen (Mitglieds- bzw. Herkunfts-) Staat.10 Fraglich ist, ob diese Gewährleistungsgehalte auch die hier vorliegende Schlechterstellung von Inländern gegenüber EU-Ausländern erfassen. 7 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 28.01.1992, Rs. C-332/90 (Steen), Rn. 8 ff. Gleichwohl wird ein solcher Inhalt in der Literatur zum Teil befürwortet, allerdings nur im Zusammenhang mit dem hier nicht vorliegenden Fall der sog. Inländerdiskriminierung, siehe dazu unten unter 3.3. Soweit ersichtlich, finden sich im Schrifttum keine Stimmen , die eine Anwendung des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit auch auf autonom auf nationales Recht zurückzuführende Benachteiligungen von Inländern gegenüber EU-Ausländern befürworten . 8 Ständige Rspr., siehe bspw. EuGH, Urt. v. 15.01.1986, Rs. 44/84 (Hurd), Rn. 54 f.; EuGH, Urt. v. 28.01.1992, Rs. C-332/90 (Steen), Rn. 9 ff.; EuGH, Urt. v. 19.06.2008, Rs. C-104/08 (Kurt/Bürgermeister der Stadt Wels), Rn. 23. Vgl. Albers, „Inländerdiskriminierung“ am Beispiel des Handwerksrechts, JZ 2008, 708 (711), die allerdings im Übrigen fälschlich davon ausgeht, dass das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit auch Mitgliedstaaten gegenüber ihren eigenen Angehörigen verpflichtet, soweit diese sich in einer grenzüberschreitenden Situation befinden. Siehe hierzu Koenig/Haratsch/Pechstein, Europarecht (Fn. 5), Rn. 742. Der Schutz von Inländern gegenüber ihrem Herkunftsstaat erfolgt am Maßstab anderer grundfreiheitlicher Gewährleistungsgehalte und im Rahmen der unionsbürgerlichen Freizügigkeit nach Art. 21 Abs. 1 AEUV, siehe dazu sogleich unter 3.2. 9 Diese, gegen den jeweiligen Aufenthaltsstaats des EU-Ausländers gerichtete Wirkung der Grundfreiheiten, des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit nach Art. 18 Abs. 1 AEUV und der unionsbürgerlichen Freizügigkeit nach Art. 21 Abs. 1 AEUV steht allerdings in der Praxis regelmäßig im Vordergrund und spiegelt sich auch im Wortlaut dieser Individualrechte wider. Sie bildet den ursprünglichen Kerngehalt dieser Rechtspositionen, die hierauf aber nicht beschränkt sind. Vgl. dazu allgemein Koenig/Haratsch/Pechstein, Europarecht (Fn. 5), Rn. 767. 10 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 26.01.1999, Rs. C-18/95 (Terhoeve), Rn. 37 (zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung); EuGH, Urt. v. 31.3.1993, Rs. C-19/92 (Kraus), Rn. 15f. (zur Niederlassungsfreiheit ); EuGH, Urt. v. 13.12.2004, Rs. C-446/03 (Marks & Spencer), Rn. 30ff. (sekundäre Niederlassungsfreiheit ); EuGH, Urt. v. 11.01.2007, Rs. C-208/05 (ITC), Rn. 25ff., 33 (zur Dienstleistungsfreiheit); EuGH, Rs. C-224/98 (D’Hoop), Rn. 33ff. (zur Freizügigkeit); EuGH, Rs. C-224/02 (Pusa), Rn. 19 (zur Freizügigkeit). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 9/15 Seite 7 In dieser Wirkungsdimension verbieten die Grundfreiheiten und die Freizügigkeit zunächst die Benachteiligung grenzüberschreitender Sachverhalte gegenüber rein inländischen Konstellationen .11 Solche Fälle sind dadurch gekennzeichnet, dass das nationale Recht an den Weggang eigener Angehöriger aus dem Inland oder deren Aufenthalt im Ausland Nachteile knüpft, die bei vergleichbaren , reinen Inlandssachverhalten nicht bestehen.12 Diesem Differenzierungsverbot liegt somit ein Vergleich zwischen ins EU-Ausland strebenden oder sich dort aufhaltenden Inländern einerseits und denjenigen, die im Inland verbleiben, andererseits zugrunde. Dabei begründen der Wegzug bzw. die Absicht hierzu oder der Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat in diesen Situationen das für die Anwendung der Grundfreiheiten oder der unionsbürgerlichen Freizügigkeit konstitutive grenzüberschreitende Element.13 Betrachtet man die Schlechterstellung bei der Erwerbsmöglichkeit von Kurzzeitvignetten im Lichte dieses Prüfungsmaßstabs, so ist zunächst festzustellen, dass diese zwar inländische Fahrzeughalter trifft, aber hierbei gerade nicht zwischen Sachverhalten mit oder ohne grenzüberschreitenden Bezug unterscheidet. Inländer haben stets die Jahresvignette zu erwerben, ungeachtet der Frage, ob sie ein inländisches oder ausländisches Ziel über die abgabenpflichtigen Straßen ansteuern. Die Schlechterstellung ergibt sich hier vielmehr allein aus dem Vergleich mit EU-ausländischen Kraftfahrzeughaltern. Diese Benachteiligung steht somit außerhalb der durch die Grundfreiheiten und die unionsbürgerliche Freizügigkeit gewährleisteten Gleichbehandlung (rein) innerstaatlicher und grenzüberschreitender Sachverhalte. Auch der darüber hinausgehende Schutzgehalt der Grundfreiheiten und der unionsbürgerlichen Freizügigkeit richtet sich in dieser Dimension (nur) gegen eine (unterschiedslose) Behinderung des Wegzugs aus dem eigenen Herkunftsstaat und erfasst alle Maßnahmen, die diesen „weniger attraktiv“ machen oder von ihm „abhalten“.14 Das ist bei der Schlechterstellung inländischer Halter bei der Erwerbsmöglichkeit von Kurzzeitvignetten aber nicht der Fall. Der Umstand, dass diese Personengruppe die Infrastrukturabgabe nur in Form von Jahresvignetten entrichten muss, während EU-ausländische Halter die Möglichkeit haben, dem zeitlichen Umfang der Nutzung 11 Vgl. bspw. EuGH, Urt. v. 23.2.1994, Rs. C-419/92 (Scholz), Rn. 12; EuGH, Urt. v. 26.01.1999, Rs. C-18/95 (Terhoeve ), Rn. 41; EuGH, Urt. v. 11.07.2002, Rs. C-224/98 (D’Hoop), Rn. 33ff.; EuGH, Urt. v. 29.04.2004, Rs. C- 224/02 (Pusa), Rn. 20. 12 Siehe z.B. EuGH, Urt. v. 26.01.1999, Rs. C-18/95 (Terhoeve), Rn. 12ff.: Der Kläger hat in einem Jahr sowohl im Herkunfts- als auch im Zielstaat nichtselbständige Einkünfte erzielt und wurde in zwei Bescheiden zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen. Hätte er die gleiche Summe nur im Herkunftsstaat verdient, wären die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge wegen einer Bemessungsgrenze niedriger ausgefallen als im kombinierten Fall, weil beide Bescheide, getrennt betrachtet, diese Grenze jeweils nicht erreichten; EuGH, Urt. v. 13.12.2004, Rs. C-446/03 (Marks & Spencer), Rn. 18ff.: Das Steuerrecht des Herkunftsstaates verwehrte es einer Muttergesellschaft, Verluste von Tochtergesellschaften im EU-Ausland von seinem Gewinn abzuziehen, während es den Verlustabzug für Tochtergesellschaften im Herkunftsstaat zuließ. 13 St. Rspr., siehe etwa EuGH, Urt. v. 15.01.1986, Rs. 44/84 (Hurd), Rn. 54; EuGH, Urt. v. 23.2.1994, Rs. C-419/92 (Scholz), Rn. 9; EuGH, Urt. v. 15.12.1995, C-415/93 (Bosman), Rn. 88 ff. 14 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.12.1995, C-415/93 (Bosman), Rn. 96; EuGH, Urt. v. 11.07.2002, Rs. C-60/00 (Carpenter), Rn. 39; EuGH, Urt. v. 26.10.2006, Rs. C-192/05 (Tas-Hagen-Tas), Rn. 30; EuGH, Urt. v. 23.10.2007, Rs. C-11 u. 12/06 (Morgan), Rn. 26; EuGH, Urt. v. 18.12.2014, Rs. C-523 u. 585/11 (Prinz & Seeberger), Rn. 28. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 9/15 Seite 8 entsprechend auch Kurzzeitvignetten zu erwerben, macht das Überschreiten der Inlandsgrenzen nicht „weniger attraktiv“, sondern ist diesem gegenüber ohne Einfluss. Somit erfasst auch der durch die Grundfreiheiten und die unionsbürgerliche Freizügigkeit gewährleistete Schutz von Inländern nicht die Schlechterstellung dieser Personengruppe gegenüber EU-Ausländern bei dem Erwerbsmöglichkeiten für Kurzzeitvignetten. 3.3. Exkurs: Phänomen der sog. Inländerdiskriminierung Dass die Schlechterstellung von Inländern gegenüber EU-Ausländern durch den Herkunftsstaat der erstgenannten unionsrechtlich indifferent ist, zeigt auch das Phänomen der sog. Inländerdiskriminierung .15 Es handelt sich hierbei um eine Konsequenz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts 16 im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten und der unionsbürgerlichen Freizügigkeit : Danach muss eine nationale Regelung, die Grundfreiheiten oder die Freizügigkeit verletzt, nur für die davon erfassten grenzüberschreitenden Aktivitäten unangewendet bleiben. Rein inländische Vorgänge fallen dagegen nicht in den Anwendungsbereich der genannten Individualrechte und bleiben durch das Unionsrecht entsprechend unberührt.17 Solange die nationale Regelung durch den Gesetzgeber nicht aufgehoben oder angepasst wird, beansprucht sie für den gegen das Unionsrecht nicht verstoßenden „inländischen Teil“ weiter Geltung. Dadurch können für den gleichen Sachbereich – je nach Inlands- oder Auslandsbezug – unterschiedliche Regelungen gelten. Ein Beispiel hierzu bildete – vor einer Anpassung der Handwerksordnung – der sog. Meisterzwang18: Deutsche Handwerker dürfen ohne Meisterbrief in Deutschland im Regelfall nicht selbstständig arbeiten.19 EU-Ausländische Unternehmer bedurften vor der Novelle ebenfalls der kostenträchtigen Eintragung in die Handwerksrolle. Die Rechtsprechung des EuGH, die auf 15 EuGH, Urt. v. 28.01.1992, Rs. C-332/90 (Steen), Rn. 9; BVerwG, Urteil vom 17.12.1992 - 10 C 6/91, NVwZ 1993, S. 1195 (1196). Vgl. auch eingehend hierzu Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 343 ff.; Riese/Noll, Europarechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte der Inländerdiskriminierung, NVwZ 2007, S. 516 ff. 16 Siehe hierzu allgemein Koenig/Haratsch/Pechstein, Europarecht (Fn. 5), Rn. 182, 184. 17 Für eine Anwendung des Unionsrechts auch in solchen Fällen eintretend, etwa von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 54. Ergänzungslieferung 2014, Art. 18 AEUV, Rn. 50 ff.; Epiney, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 18 AEUV, Rn. 35 ff. – jeweils mit weiteren Nachweisen. 18 Siehe dazu Albers, „Inländerdiskriminierung“ am Beispiel des Handwerksrechts, JZ 2008, S. 708 ff. (709). 19 Siehe § 1 Abs. 1 S. 1 sowie § 7 Abs. 1, 1a HwO. Dies gilt für 40 zulassungspflichtige Handwerksberufe, Anlage A zur HwO. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 9/15 Seite 9 einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit erkannte, befreite sie aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts von diesem Erfordernis.20 Hierdurch wurden inländische Handwerker potenziell gegenüber EU-ausländischen schlechter gestellt.21 Im vorliegenden Fall ist die Unterscheidung bei der Erwerbsmöglichkeit von Kurzzeitvignetten nicht auf einen Anwendungsvorrang des Unionsrechts zurückzuführen, sondern würde – bei Inkrafttreten des InfAG – allein aus einer autonomen Entscheidung des nationalen Gesetzgebers folgen . Das unterscheidet die unionsrechtlich veranlasste sog. Inländerdiskriminierung von der hier vorliegenden Schlechterstellung der inländischen Kraftfahrzeug- und Wohnmobilhalter. Beiden Konstellationen gemeinsam ist der Umstand, dass solche Ungleichbehandlungen hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit allein am Maßstab des nationalen Rechts zu beurteilen sind.22 4. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine Regelung, wonach nur ausländische Kraftfahrzeughalter die Möglichkeit haben, Kurzzeitvignetten zu erwerben, während inländische Autofahrer die Infrastrukturabgabe in Form einer Jahresvignette entrichten müssen, der Sache nach zwar zu einer Ungleichbehandlung von inländischen gegenüber EU-ausländischen Kfz-Haltern führt. Eine derartige Ungleichbehandlung zum Nachteil eigener Staatsangehöriger wird jedoch weder von dem unionsrechtlichen Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit noch von den Gewährleistungsgehalten der Grundfreiheiten und der unionsbürgerlichen Freizügigkeit erfasst , die Inländer gegenüber Maßnahmen ihres Herkunftsstaates schützen. Das Unionsrecht ist einer solchen „Besserstellung“ von EU-Ausländern gegenüber eigenen Bürgern indifferent. Deutlich wird dies insbesondere an der parallel gelagerten Konstellation der sog. Inländerdiskriminierung . Ungleichbehandlungen zu Lasten eigener Bürger im Vergleich zu EU-Ausländern können allerdings am Maßstab des nationalen Rechts auf ihre Rechtmäßigkeit beurteilt werden. - Fachbereich Europa - 20 EuGH, Urteil v. 11.12.2003, Rs. C 215/01 (Bruno Schnitzer), Rn. 36 ff.; EuGH, Urteil v. 03.10.2000, Rs. C-58/98 (Corsten), Rn. 46ff. 21 Mittlerweile wurde die Rechtsprechung des EuGH in Gesetzesrecht umgesetzt, siehe § 7ff. EU/EWR-Handwerksverordnung sowie Albers, „Inländerdiskriminierung“ am Beispiel des Handwerksrechts, JZ 2008, S. 708 (709). 22 Siehe hierzu die Gutachten von , WD 3 - 3000 - 018/15, sowie , WD 4 - 3000 - 010/15.