Deutscher Bundestag Unionsrechtliche Zulässigkeit eines Werbeverbots für Arzneimittelvertreter in Arztpraxen Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa PE 6 – 3000 – 9/13 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 9/13 Seite 2 Unionsrechtliche Zulässigkeit eines Werbeverbots für Arzneimittelvertreter in Arztpraxen Aktenzeichen: PE 6 – 3000 – 9/13 Abschluss der Arbeit: 29.01.2013 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 9/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Sekundärrechtlicher Rahmen 4 2.1. Regelungsbereich der Richtlinie 2001/83/EG 4 2.2. Tätigkeit im Regelungsbereich der Richtlinie 5 2.3. Umfang der Harmonisierung – Handlungsspielraum für den nationalen Gesetzgeber 6 2.3.1. Argumente für einen Mitgliedstaatlichen Handlungsspielraum 6 2.3.2. Argumente gegen einen mitgliedstaatlichen Handlungsspielraum 6 2.4. Ergebnis 7 3. Primärrechtlicher Rahmen 8 3.1.1. Beschränkung der Grundfreiheiten der Arzneimittelvertreter 8 3.1.2. Rechtfertigungsmöglichkeiten der Grundfreiheitsbeschränkung 9 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 9/13 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung geht der Frage nach, welchen unionsrechtlichen Bedingungen ein nationales Gesetz unterliegt, welches Arzneimittelvertretern untersagt, für Ihre Produkte in den Räumen von Arztpraxen zu werben, ggf. eingeschränkt auf den Bereich von Praxen von Vertragsärzten oder eingeschränkt auf den Zeitraum der offiziellen Sprechstunden. Die Ausarbeitung kann dabei nicht Bezug nehmen auf einen konkreten Gesetzesvorschlag. Daher können im Folgenden nur die allgemeinen Bedingungen und Grenzen aufgezeigt werden, denen der deutsche Gesetzgeber bei einem vorstehend beschriebenen Regelungsvorhaben unterläge. 2. Sekundärrechtlicher Rahmen Die werbliche Tätigkeit von Arzneimittelvertretern ist unionsrechtlich insbesondere durch Richtlinie 2001/83/EG1 geregelt. Eine staatliche Regulierung der Tätigkeit von Arzneimittelvertretern setzt voraus, dass insbesondere die Richtlinie 2001/83/EG in ihrem Regelungsbereich den Mitgliedstaaten einen eigenen Handlungsspielraum belässt. Daher bedarf es einer Prüfung, ob die Richtlinie die Arzneimittelwerbung und -information gegenüber zur Verschreibung oder zur Abgabe berechtigten Personen so erschöpfend regelt, dass keine Lücke für ggf. abweichende mitgliedstaatliche Regelungen verbleibt, oder ob sie für ihren Regelungsbereich einen Mindeststandard setzt, der den Mitgliedstaaten einen Handlungsspielraum für strengere Regelungen belässt. 2.1. Regelungsbereich der Richtlinie 2001/83/EG Ziel der Richtline 2001/83/EG ist die Beseitigung der Hindernisse für den freien Verkehr von Arzneimitteln aufgrund der Unterschiede zwischen den Einzelstaatlichen Regelungen ohne Beeinträchtigung der öffentlichen Gesundheit,2 zu deren Schutz die Union auf einem hohen Niveau verpflichtet ist3 (). Dieses Ziel sucht die Richtlinie dadurch zu erreichen, dass eine ordnungsgemäße und vernünftige Anwendung von Arzneimitteln verfolgt wird,4 indem sie übertriebene und unvernünftige5 sowie hinsichtlich der Arzneieigenschaften irreführende Werbung einschränkt bzw. verbietet. Die Richtlinie 2001/83/EG umschreibt hierzu die Werbetätigkeit auf diesem Sektor und schränkt sie dahingehend ein, dass Werbung unabhängig von ihrem Adressaten einen zweckmäßigen Einsatz fördern muss, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellt und nicht irreführt.6 Innerhalb dieses Rahmens besitzen die Mitgliedstaaten einen in der Richtlinie 1 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 S. 67, ber. ABl. 2003 Nr. L 302 S. 40), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndRL 2012/26/EU vom 25. 10. 2012 (ABl. Nr. L 299 S. 1). 2 2.-4. Erwägungsgrund Richtlinie 2001/83/EG. 3 Vgl. Art. 168 AEUV sowie EuGH, Rs. C- 320/93 (Ortscheit), Rn. 16. 4 40. Erwägungsgrund, Art. 87 Abs. 3, Art. 89 lit b Richtlinie 2001/83/EG. 5 45. Erwägungsgrund Richtlinie 2001/83/EG. 6 Art. 87 Abs. 3 Richtlinie 2001/83/EG. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 9/13 Seite 5 vorgegebenen Spielraum im Hinblick auf bestimmte Aspekte wie beispielsweise die Mindestangaben ,7 das Verbot von Werbung für erstattungsfähige Arzneimittel8 oder die kostenlose Abgabe von Mustern.9 Darüber hinaus differenziert die Richtlinie bezüglich der Werbung für in der EU zugelassene Arzneimittel zwischen der Öffentlichkeitswerbung für insbesondere verschreibungspflichtige Medikamente,10 die uneingeschränkt verboten ist und einer werblichen Tätigkeit, die sich zur Verschreibung oder Ausgabe befugte Personen richtet und die grundsätzlich keinen Beschränkungen unterliegt. 2.2. Tätigkeit im Regelungsbereich der Richtlinie Die in der Fragestellung umschriebene Regelungsabsicht (absolute oder relative zeitliche Beschränkung der Möglichkeiten einer Werbung bzw. Information für Arzneimittelprodukte gegenüber zur Verschreibung oder zur Abgabe berechtigten Personen in deren beruflichen Räumlichkeiten ) zielt auf eine unmittelbare Beschränkung der Handlungsfreiheit von Arzneimittelvertretern und mittelbar auf eine Beschränkung der zur Verschreibung oder zur Abgabe berechtigten Personen. Eine solche Regelung fällt in den Regelungsbereich der Richtlinie 2001/83/EG. Dem Begriff der für Arzneimittel werbenden Tätigkeit liegt die Wertung des Art. 86 Abs. 1 Richtlinie 2001/83/EG zugrunde, wonach hierunter alle Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel fallen, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern. Hiervon erfasst ist insbesondere der Besuch von Arzneimittelvertretern bei Personen, die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugt sind.11 Angesichts des weiten Begriffs der Werbung und mit Blick auf die Ratio der Richtlinie, einen wirksamen Schutz der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten wird jede werbende Tätigkeit eines Arzneimittelvertreters unabhängig von dem beworbenen Produkt erfasst.12 Der Annahme von Werbung steht grundsätzlich nicht entgegen, dass die Tätigkeit allein aus sachlicher Information bestehen. Sofern die Botschaft zum Ziel hat, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern und nicht nur rein informatorische Angabe ohne Werbeabsicht enthält, handelt es sich um Werbung im Sinne dieser Richtlinie.13 7 Art. 89 Abs. 2, Art. 91 Richtlinie 2001/83/EG. 8 Art. 88 Abs. 3 Richtlinie 2001/83/EG. 9 Art. 96 Abs. 2 Richtlinie 2001/83/EG. 10 Art. 88 Abs. 1 Richtlinie 2001/83/EG. 11 Zu der mit der werbenden Tätigkeit korrespondierenden Pflicht der zur Verschreibung oder Abgabe von Medikamenten befugten Personen zur Objektivität bei der Behandlung und der Einhaltung von (standesrechtlichen) Berufsregeln vgl. 50. Erwägungsgrund RL 2001/83/EG sowie EuGH, Rs. C-62/09 (Association of the British Pharmaceutical Industry), Rn. 39 f. 12 Vgl. EuGH, Rs. C-316/09 (MSD Sharp&Dohme / Merckle GmbH), Rn. 27 ff. 13 EuGH, Rs. C-316/09 (MSD Sharp&Dohme / Merckle GmbH), Rn. 32; EuGH, Rs. C-421/07 (Damgaard), Rn. 23. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 9/13 Seite 6 2.3. Umfang der Harmonisierung – Handlungsspielraum für den nationalen Gesetzgeber 2.3.1. Argumente für einen Mitgliedstaatlichen Handlungsspielraum Für die Etablierung eines Mindeststandards durch die Richtlinie der Regelung und damit für einen mitgliedstaatlichen Handlungsspielraum spricht, dass sich die Richtlinie auf Art. 95 EGV (jetzt: Art. 114 AEUV) stützt. Danach können die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten angeglichen werden, um den Binnenmarkt zu verbessern oder Handelsschranken abzubauen, die sich aus den Unterschieden zwischen Vorschriften der Mitgliedstaaten ergeben. Regelmäßig wird damit keine Vollharmonisierung bezweckt. Gegen eine Vollharmonisierung spricht zudem, dass gemäß Erwägungsgrund 42 der Richtline 2001/83/EG die aufgrund der Richtlinie 84/450/EWG14 bezüglich irreführender Werbung getroffenen Maßnahmen unberührt und damit auch im Bereich der Arzneimittelwerbung weitergehende nationale Vorschriften zulässig bleiben. Die Mitgliedstaaten dürfen zum Schutz ihrer Bürger vor unlauterer Werbung Vorkehrungen treffen, die weitergehen als die gemeinschaftlichen, die insoweit nur einen Mindeststandard vorsehen. Aus der Öffnung der Richtlinie 2001/83/EG für weitergehende staatliche Vorschriften gegen unlautere Werbung lässt sich jedoch nicht zwingend auf einen mitgliedstaatlichen Spielraum für die Regulierung der werblichen Tätigkeit von Arzneimittelvertretern schließen. Eine unlautere Werbung müsste an die Art und Weise der werbliche Tätigkeit anknüpfen. Alleine das Erscheinen eines Arzneimittelvertreters zu bestimmten Zeiten bedeutet noch keine solche unlautere Werbung im Sinn der Richtlinie 84/450/EWG, die eine weitergehende mitgliedstaatliche Regelung rechtfertigt. Für einen mitgliedstaatlichen Handlungsspielraum spricht, dass die Richtlinie insbesondere die Art und Weise der werblichen Tätigkeit von Arzneimittelvertretern regelt, nicht aber den zeitlichen Rahmen, in dem sie ihre Tätigkeit ausüben. So spricht Art. 96 Abs. 2 Richtlinie 2001/83/EG allgemein von einem Besuch des Arzneimittelvertreters und normiert dessen Pflichten bei seinem Besuch. Der Besuch selber wird in zeitlicher Hinsicht nicht eingeschränkt. Zwar ist auch eine Ausnahmeregelung zugunsten der Mitgliedstaaten in der Richtlinie 2001/83/EG nicht vorgesehen , doch verstieße eine Regelung über den Ort und Zeit der werbenden Tätigkeit eines Arzneimittelvertreters nicht zwangsläufig gegen die Richtlinie, da die Regelung sachlich begrenzt wäre und die grundsätzlichen Pflichten über Inhalt, Art und Weise der Werbung bzw. Information nicht in Frage stellte. Da sich eine zeitliche Regulierung des Besuchs nicht unmittelbar auf die richtlinienkonforme Bewerbung von und Information über Arzneimittel auswirkt, ließe dass grundsätzlich auf einen diesbezüglichen Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten schließen. 2.3.2. Argumente gegen einen mitgliedstaatlichen Handlungsspielraum Jedoch berührt eine zeitliche Regulierung mittelbar die Art und Weise der werblichen Tätigkeit, indem sie den Arzneimittelvertretung auf einer notwendigen Vorstufe des Werbe- oder Informationsgespräches weitergehenden Regelungen unterwirft. Der Besuch ist notwendige Voraussetzung für eine werbliche Tätigkeit des Arzneimittelvertreters. Und für diese werbliche Tätigkeit des Arzneimittelvertreters insgesamt lässt sich vertreten, dass der Regelungsbereich der Richtli- 14 Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung (ABl. L 250, S. 17). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 9/13 Seite 7 nie, indem diese allgemein die Werbung und Information im Arzneimittelbereich einer unionsrechtlichen Regelung zuführen will, nicht nur den konkreten Inhalt, sondern auch die zeitlichen Aspekte der werblichen Tätigkeit erfasst. Dabei verweist Richtlinie auf den Besuch bei zur Verschreibung oder zur Abgabe berechtigten Personen als solchen und unterwirft ihn keinen weiteren Regelungen. Vor dem Hintergrund der grundsätzlich unbeschränkten Werbetätigkeit von Arzneimittelvertretern gegenüber zur Verschreibung oder zur Abgabe berechtigten Personen lässt dieser Umstand auf ein vollharmonisiertes Regelungssystem schließen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat insoweit festgestellt, dass es im Regelungsbereich keine staatliche Autonomie gibt mit Ausnahme der Bereiche, in denen sie durch die Richtlinie ausdrücklich zugelassen sind.15 Die Vorschriften über die Werbung (Titel VIII) der RL 2001/83/EG setzen einen Höchststandard für die Harmonisierung, so dass die Mitgliedstaaten keine weiter gehenden Verbote oder Beschränkungen erlassen können, als es die Richtlinie selbst erlaubt.16 Anders ausgedrückt: Wird den Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich die Befugnis eingeräumt, andere Regelungen zu treffen, dürfen sie Arzneimittelwerbung nur den Anforderungen der RL 2001/83/EG unterwerfen und nur in solchen Fällen, die in der Richtlinie ausdrücklich aufgeführt sind Bestimmungen erlassen, die von der Richtlinienstandard abweichen.17 Der Wortlaut der Richtlinie enthält jedoch gerade kein explizites Verbot oder einen mitgliedstaatlichen Handlungsspielraum für Regelungen in Bezug auf die zeitlichen Aspekte des Besuchs eines Arzneimittelvertreters bei einer zur Verschreibung oder Abgabe berechtigten Person. Statuiert die Richtlinie 2001/83/EG einen Maximalstandard und dürfen die Mitgliedstaaten Tätigkeiten, die die Richtlinie 2001/83/EG nicht untersagt dementsprechend auch nicht verbieten,18 so bedeutet dies mit Blick auf den Normzweck der Richtlinie, dass eine nationale Regelung zeitlicher Aspekte der Tätigkeit eines Arzneimittelvertreters über den Maximalstandard der Richtlinie hinausginge . Zudem ginge damit die Gefahr einer Gefährdung des Ziels der Richtlinie einher, den freien Verkehr von Arzneimitteln einschließlich der Werbung hierfür aufgrund der Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Regelungen zu beseitigen, wenn ein Mitgliedstaat die in der Richtlinie vorgesehenen Pflichten erweitern und weitergehende Handlungsverbote erließe, die zudem unmittelbar eher einen Schutz der Lauterkeit des Wettbewerbs bewirkten und nur mittelbar und potenziell auch den der öffentlichen Gesundheit. Eine zeitliche Regulierung der Besuche bei zur Verbschreibung oder Ausgabe berechtigten Personen ist nicht unmittelbar dazu geeignet, vor einer übertriebenen und unvernünftigen sowie hinsichtlich der Arzneimitteleigenschaften irreführenden Werbung zu schützen. 2.4. Ergebnis Die vorstehenden Argumente legen somit das Ergebnis nahe, dass die Richtlinie 2001/83/EG einer nationalen Regelung beispielsweise im Kontext des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) entgegenstünde , die es Arzneimittelvertretern insgesamt oder beschränkt auf Praxen von Kassenvertragsärzten oder den Zeitraum der offiziellen Sprechstunden untersagt, für ihre Produkte in den 15 EuGH, Rs. C-374/05 (Gintec / Verband sozialer Wettbewerb), Rn. 20. 16 EuGH, Rs. C-374/05 (Gintec / Verband Sozialer Wettbewerb e.V.), Rn. ##. 17 EuGH, Rs. C-374/05 (Gintec / Verband sozialer Wettbewerb), Rn. 25. 18 Vgl. EuGH, Rs. C-322/01 (Deutscher Apothekerverband e.V.), Rn. 112 ff, 138 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 9/13 Seite 8 Räumen von Arztpraxen gegenüber den zur Verschreibung oder Abgabe berechtigten Personen informierend oder werbend tätig zu sein. Ein solches Regelungsvorhaben müsste daher vom Unionsgesetzgeber selber in den Kontext der Richtlinie 2001/83/EG eingefügt werden. Eine standesrechtliche und damit unmittelbar nur Pflichten für die zur Verschreibung oder Abgabe berechtigten Personen begründende Regelung bliebe jedoch von dem sekundärrechtlichen Maximalstandard unberührt. 3. Primärrechtlicher Rahmen Für den Fall, dass die Richtlinie 2001/83/EG entgegen der vorstehend vertretenen Auffassung den Mitgliedstaaten einen Handlungsspielraum belässt, müssen die Mitgliedstaaten diesen insbesondere mit Blick auf die Grundfreiheiten primärrechtskonform wahrnehmen. Eine Regelung betreffend Ort und Zeit der Tätigkeit eines Arzneimittelvertreters gegenüber zur Verschreibung oder Abgabe berechtigten Personen muss dabei den Anforderungen des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 56 ff. AEUV) oder denen des freien Warenverkehrs (Art. 34 ff. AEUV) genügen, sofern die Weitergabe von Waren den Schwerpunkt der Tätigkeit bildet. Für die Beurteilung der Primärrechtskonformität einer nationalen Regelung sind deren konkreter Zuschnitt sowie die ihr zugrundeliegenden Abwägungen von zentraler Bedeutung. In Ermangelung eines konkreten Regelungsvorhabens wir im Folgenden nur anhand der EU-Dienstleistungsfreiheit ein Überblick über den primärrechtlichen Rahmen eines vorbeschriebenen Regelungsvorhabens gegeben. 3.1.1. Beschränkung der Grundfreiheiten der Arzneimittelvertreter Die werbende oder informierende Tätigkeit eines Arzneimittelvertreters ist regelmäßig eine Dienstleistung im Sinne von Art. 57 AEUV, d.h. eine selbständige Leistung, die üblicherweise gegen Entgelt erbracht wird und nicht nur eine Begleiterscheinung der Ausübung einer anderen Grundfreiheit ist.19 Dies eröffnet den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit, wenn der Arzneimittelvertreter zur Dienstleistungserbringung grenzüberschreitend tätig ist; hiermit korrespondiert die Freiheit der zur Verschreibung oder Abgabe berechtigten Personen zur Entgegennahme der Dienstleistung, die im Heimatstaat des Empfängers durch einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gewerbetreibenden oder Freiberufler erbracht werden.20 Für EU-ausländische Arzneimittelvertreter bedeutete eine zeitliche oder örtliche Regelung ihrer Dienstleitsung eine Beschränkung ihrer Dienstleistungsfreiheit, da die nationale Regelung geeignet ist, die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit zu unterbinden, behindern, oder weniger attraktiv zu machen.21 Da die Beschränkung inländische und EU-ausländische Marktteilnehmer gleichermaßen träfe stellt sich hier bereits die Frage, ob bereits die Dienstleistungsfreiheit betroffen ist. Dies ist nicht der Fall bei nationalen Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, sofern diese Bestimmungen für alle Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben und sofern sie die Handlungen inländischer wie EU- 19 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Auflage, Art. 56, Rn. 15 ff. 20 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Auflage, Art. 56, Rn. 34 ff. 21 Vgl. Art. 16 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. Nr. L 376 S. 36) sowie EuGH, Rs. 8/74 (Dassonville), Rn. 5; EuGH, Rs. C- 147/04 (De Groot en Slot Allium und Bejo Zaden), Rn. 71; EuGH, Rs. C-439/99 (Kommission/Italien), Rn. 22. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 9/13 Seite 9 ausländischer Marktteilnehmer rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren.22 Hier ließe sich eine Beschränkung insbesondere darauf stützen, dass zwar EU-ausländische und inländische Arzneimittelvertreter gleichermaßen von einem Werbe- oder Informationsgespräch bei zur Verschreibung oder Abgabe berechtigten Personen ausgeschlossen oder beschränkt wären, dies jedoch insbesondere bei einer bloßen zeitlichen Begrenzung die ortsansässigen Marktteilnehmer tatsächlich weniger stark beschränkte. 3.1.2. Rechtfertigungsmöglichkeiten der Grundfreiheitsbeschränkung Beschränkungen durch mitgliedstaatliche Regelungen können aber gerechtfertigt sein. Als nichtdiskriminierende Regelung ist eine zeitliche oder örtliche Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nur im Rahmen der Schranken des Art. 52 AEUV oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses zulässig, die Beschränkung muss geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen erfolgten Ziels zu gewährleisten und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist. Als Rechtfertigungsgrund kommt mit Blick auf das in der Richtlinie 2001/83/EG zum Ausdruck kommende Regelungsziel insbesondere der Gesundheitsschutz in Frage. Ohne unionsrechtliche Harmonisierung23 in diesem Bereich ist es Sache der Mitgliedstaaten, in den durch den Vertrag gesetzten Grenzen und unter Berücksichtigung der Erfordernisse des freien Verkehrs von Dienstleistungen innerhalb der EU zu bestimmen, auf welchem Niveau sie deren Schutz gewährleisten wollen.24 Neben dem Schutz der Gesundheit als zwingendes Allgemeininteresse kommen insbesondere folgende Gründe zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Dienstleistungsfreiheit der Arzneimittelvertreter in Betracht: Die Aufrechterhaltung von Berufs- und Standesregeln,25 der Verbraucherschutz ,26 der Schutz der Sozialordnung,27 die Betrugsbekämpfung28 oder die Lauterkeit des Handelsverkehrs 29. 22 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-267/91 und 268/91 (Keck und Mithouard), Rn. 16. 23 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-211/03, C-299/03, C-316/03 – C-318/03 (HLH Warenvertrieb und Orthica), Rn. 58: „Auch soweit den Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83/EG ein Handlungsspielraum verbleibt , so dürfen sie gleichwohl keine nationalen Maßnahmen mehr treffen, die den freien Warenverkehr insbesondere aus Gründen der menschlichen Gesundheit beschränken [Art. 36 AEUV bzw. Art. 62 iVm Art. 51, 52 AEUV], soweit die Richtlinie 2001/83/EG Modalitäten der Herstellung, des Vertriebs und der Verwendung von Arzneimitteln harmonisiert“. 24 EuGH, Rs. C-322/01 (Deutscher Apothekerverband), Rn. 103; EuGH, verb. Rs. C-158/04 und C-159/04 (Alfa Vita Vassilopoulos und Carrefour-Marinopoulos), Rn. 21. 25 EuGH, Rs. C-106/91 (Ramrath), Rn. 30 ff. 26 EuGH, Rs. C-393/05 (Kommission/Österreich), Rn. 57. 27 EuGh, Rs. C-275/92 (Schindler), Rn. 58. 28 EuGH, Rs. C-275/92 (Schindler), Rn. 63. 29 EuGH, verb. Rs. C-34/95 – C-36/95 (De Agostini), Rn. 53. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 9/13 Seite 10 Auch bei Annahme eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses müsste die nationale Regelung notwendig und insgesamt verhältnismäßig sein. Eine nationale Regelung entspricht nur dann dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn die gewählten Mittel nicht nur zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet sind, sondern auch das Maß des hierzu Erforderlichen nicht übersteigen.30 Eine nationale Regelung oder Praxis fällt daher nicht unter die Ausnahmebestimmungen des Art. 62 iVm Art. 52 AEUV, wenn die Gesundheit oder das Leben von Menschen genauso wirksam durch Maßnahmen geschützt werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger beschränken.31 Schließlich gibt wiederum ein Blick auf die Richtlinie 2001/83/EG Anlass zu Zweifeln an der Verhältnismäßigkeit einer nationalen Regelung. In einem entsprechenden Kontext hat der EuGH festgestellt, dass eine solche Berufung (auf ein zwingendes Allgemeininteresse) nicht mehr möglich ist, wenn Richtlinien der Gemeinschaft die Harmonisierung der Maßnahmen vorsehen, die zur Verwirklichung des konkreten Zieles, das mit dieser Berufung erreicht werden soll, erforderlich sind.32 In einem solchen Fall müssen in dem von der Harmonisierungsrichtlinie gezogenen Rahmen geeignete Kontrollen durchgeführt und Schutzmaßnahmen erlassen werden.33 - Fachbereich Europa - 30 EuGH, verb. Rs. C-158/04 und C-159/04 (Alfa Vita Vassilopoulos und Carrefour-Marinopoulos), Rn. 22. 31 EuGH, Rs. 215/87 (Schumacher), Rn. 17 f.; EuGH, verb. Rs. C-71/94, C-72/94, C-73/94 (Eurim-Pharm), Rn. 53; EuGH, Rs. C-322/01 (Deutscher Apothekerverband), Rn. 104. 32 EuGH, Rs. C-1/96 (Compassion in World Farming Ltd), Rn. 47; EuGH, Rs. C-5/94 (Hedley Lomas), Rn. 18. 33 EuGH, Rs. C-323/93 (Centre d'insémination de la Crespelle), Rn. 31.