© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 8/16 Abschalteinrichtungen (Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007) Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 8/16 Seite 2 Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 8/16 Abschluss der Arbeit: 4.2.2016 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 8/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Hintergrund 4 2.1. Typgenehmigung 4 2.2. Emissionsgrenzwerte und deren Überprüfung 5 2.3. Kritik am Prüfverfahren 6 3. Abschalteinrichtungen 6 4. Ausnahmeregelungen 8 5. Urteile und Verfahren zu der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 9 5.1. Deutsche Rechtsprechung 9 5.2. Europäische Rechtsprechung 10 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 8/16 Seite 4 1. Fragestellung In den nachfolgenden Ausführungen wird untersucht, ob das Vorliegen einer Abschalteinrichtung dadurch festgestellt werden kann, dass die NOx-Emissionen eines Kraftfahrzeugs (Kfz) am Auspuff auf der Straße und im Labor getestet werden. Insbesondere wird in diesem Zusammenhang geprüft, ob ein Unterschreiten bzw. Einhalten der NOx-Grenzwerte im Labor und ein Überschreiten der Grenzwerte auf der Straße bedeuten muss, dass eine Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 715/20071 vorliegt. Weiterhin soll die Frage geklärt werden, ob der Verschleißschutz von Bauteilen unter den Ausnahmetatbestand einer Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 fällt. Zuletzt wird die Rechtsprechung, insbesondere die des EuGH, zu der Verordnung EG) Nr. 715/2007 dargestellt. Dafür wird untersucht, welche Verfahren und Urteile es im Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 gibt, in welchen der Frage nachgegangen wird, ob eine Abschalteinrichtung vorliegt. 2. Hintergrund In der Europäischen Union (EU) werden die Emissionen von Kfz im Rahmen der sogenannten Typgenehmigung kontrolliert.2 2.1. Typgenehmigung Die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen erfolgt gemäß dem in der Richtlinie 2007/46/EG3 geregelten Verfahren europaweit nach harmonisierten Maßstäben. Die technischen Anforderungen an ein Fahrzeug und die Verfahrensvorschriften einer Typgenehmigung ergeben sich nach Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG aus der Richtlinie selbst und den in ihrem Anhang IV benannten Rechtsakten. Die Anforderungen bezüglich der Emissionen von Kfz sind in der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 geregelt, die in Anhang IV der Richtlinie 2007/46/EG als für die EG-Typengenehmigung anzuwendende Vorschrift genannt ist. Die Einhaltung der Vorschriften der Richtlinie 2007/46/EG und der in ihrem Anhang IV aufgeführten Rechtsakte wird gemäß Art. 11 Abs. 1 der 1 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge, ABl. 2007, L 171/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02007R0715-20121231&from=EN. 2 Kommission, Factsheet – Fragen und Antworten zu Emissionsgrenzwerten für Luftschadstoffe, 25.9.2015, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-15-5705_de.htm. 3 Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, ABl. 2007, L 263/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONS- LEG:2007L0046:20110224:DE:PDF. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 8/16 Seite 5 Richtlinie 2007/46/EG durch geeignete Prüfungen nachgewiesen, die von den durch die Mitgliedstaaten benannten Technischen Diensten durchgeführt werden. 2.2. Emissionsgrenzwerte und deren Überprüfung Das Unionsrecht enthält Vorgaben zu den Emissionen von Kraftfahrzeugen in Form von Emissionsgrenzwerten und Vorschriften zu deren Überprüfung. Die Verordnung (EG) Nr. 715/2007, ergänzt durch die Verordnung (EG) Nr. 692/20084, regelt die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen. Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 benennt Emissionsgrenzwerte, die von den Herstellern gemäß Art. 4 Abs. 1 UAbs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 einzuhalten sind. Die Verordnung (EG) Nr. 692/2008 verweist hinsichtlich des Prüfverfahrens von Emissionen auf die UN/ECE Regelung Nr. 83.5 Die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) ist im Bereich der internationalen Harmonisierung von technischen Vorschriften für Kfz tätig. Sie verabschiedet technische Vorschriften als Regelungen, die von den Vertragsparteien , wie der EU, angenommen und in ihr Recht integriert werden.6 Die UN/ECE Regelung Nr. 83 enthält einheitliche Bedingungen für die Genehmigung von Kfz hinsichtlich der Emissionen von Schadstoffen. Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 bestimmt, dass bei Fahrzeugen, die nach den Emissionsgrenzwerten von Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 typgenehmigt wurden, die einschlägigen Vorschriften erfüllt sind, wenn das Fahrzeug gemäß der UN/ECE-Regelung Nr. 83 genehmigt worden ist. Eine Typgenehmigung erfordert verschiedene Prüfungen hinsichtlich der Emissionen des Kfz, die in 5.2. der UN/ECE Regelung Nr. 83 und den Anhängen der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 aufgelistet sind. Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 enthält beispielsweise Vorschriften für die Prüfung Typ 1 zur Ermittlung der durchschnittlichen Abgasemissionen bei Umgebungsbedingungen. Die allgemeinen Vorschriften entsprechen denen von 5.3.1. der UN/ECE Regelung Nr. 83, auf die ausdrücklich verwiesen wird.7 Die Randnummern 5.3.1. und Anhang 4a der UN/ECE Regelung Nr. 83 bestimmen das konkrete Verfahren zur 4 Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge, ABl. 2008, L 199/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02008R0692- 20150204&from=DE. 5 Regelung Nr. 83 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UN/ECE) – Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Fahrzeuge hinsichtlich der Emission von Schadstoffen aus dem Motor entsprechend den Kraftstofferfordernissen des Motors, ABl. 2012, L 42/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:42012X0215(01)&from=DE. 6 Sündermann, Internationale Harmonisierung der technischen Vorschriften für Kraftfahrzeuge und Übernahme in deutsches Recht, SVR 2006, S. 48 (49 f.). 7 So steht in Randnummer 2.1. des Anhangs III der Verordnung (EG) Nr. 692/2008: „Die allgemeinen Vorschriften entsprechen denen von Absatz 5.3.1 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 mit den in den Absätzen 2.2 bis 2.5 beschriebenen Ausnahmen.“ Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 8/16 Seite 6 Prüfungen der Abgasmissionen von Kfz nach einem Kaltstart. Die UN/ECE Regelung Nr. 83 legt dafür fest, unter welchen Bedingungen und mit welchen Geschwindigkeitsabläufen ein Fahrzeug betrieben wird. Die Prüfung erfolgt nach 5.3.1.2. der UN/ECE Regelung Nr. 83 auf einem Rollprüfstand , nicht im Verkehr. 2.3. Kritik am Prüfverfahren Das für die EG-Typgenehmigung vorgegebene Prüfverfahren wird aus mehreren Gründen kritisiert .8 Es wird bemängelt, das Prüfverfahren entspreche nicht den realen Verkehrsbedingungen und lasse den Herstellern diverse Schlupflöcher.9 Dies kann zu Messergebnissen von Emissionen im Prüfverfahren führen, die im Straßenverkehr nicht erreicht werden. Im Straßenverkehr übersteigen die gemessenen Emissionen von Kfz oft die in Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufgelisteten Emissionsgrenzwerte.10 In einer Untersuchung der Gemeinsamen Forschungsstelle der Kommission aus dem Jahr 2011 wurde festgestellt, dass die bei Testfahrten im Straßenverkehr mit sog. portablen Emissionsmesssystemen (PEMS) ermittelten Emissionen von Stickstoffoxid (NOx) bei Dieselfahrzeugen erheblich über den geltenden Emissionsgrenzwerten lagen.11 Auf Unionsebene wird daher momentan an einer Änderung des Typgenehmigungsverfahrens gearbeitet.12 3. Abschalteinrichtungen Nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen in Kfz, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Als Ab- 8 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 27. Oktober 2015 zu Emissionsmessungen in der Automobilindustrie (2015/2865(RSP)), Erwägungsgrund P, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/get- Doc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+TA+P8-TA-2015-0375+0+DOC+PDF+V0//DE. 9 Transport and Environment, „Mind the Gap! Why official car fuel economy figures don’t match up to reality”, abrufbar unter http://www.transportenvironment.org/sites/te/files/publications /Real%20World%20Fuel%20Consumption%20v15_final.pdf und Kommission, Joint Research Centre, “A complementary emissions test for Light-Duty Vehicles – Assessing the technical feasibility of candidate procedures ”, 2013, abrufbar unter http://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/bitstream/JRC75998/ld-na-25572- en-n_online.pdf. 10 Kommission, Pressemitteilung „Kommission begrüßt Vereinbarung der Mitgliedstaaten für belastbare Prüfungen der Luftschadstoffemissionen von Fahrzeugen“, 28.10.2015, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release _IP-15-5945_de.htm. 11 Kommission, Joint Research Centre, „Analysing on-road emissions of light-duty vehicles with Portable Emission Measurement Systems (PEMS)“, 2011, S. iii, abrufbar unter http://ec.europa.eu/clima/policies/transport/vehicles /docs/2011_pems_jrc_62639_en.pdf. 12 Kommission, Pressemitteilung vom 28.10.2015, Kommission begrüßt Vereinbarung der Mitgliedstaaten für belastbare Prüfungen der Luftschadstoffemissionen von Fahrzeugen, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/pressrelease _IP-15-5945_de.htm und Europäisches Parlament, Pressemitteilung vom 3.2.2016, Kein Veto gegen Kommissionsvorschlag für großzügigere Abgastests, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/news/de/newsroom /20160129IPR11905/Kein-Veto-gegen-Kommissionsvorschlag-f%C3%BCr-gro%C3%9Fz%C3%BCgigere- Abgastests. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 8/16 Seite 7 schalteinrichtung gilt nach Art. 3 Abs. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 „ein Konstruktionsteil , das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen , die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“. Ein Abschaltmechanismus, wie er in Art. 3 Abs. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 definiert wird, setzt ein Konstruktionsteil voraus, welches Parameter ermittelt, um daran anknüpfend etwas im Emissionskontrollsystem zu verändern. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird der Einsatz einer solchen Abschalteinrichtung durch VW wie folgt umschrieben: „Installation einer Software, die während der Emissionsprüfungen die Motorsteuerung so änderte, dass das Fahrzeug im Test weniger Abgase ausstieß als im realen Betrieb auf der Straße. Aus technischer Sicht ermöglicht das spezielle Programm, den Prüfstandlauf an speziellen Anforderungsmustern wie der Geschwindigkeit, Stellung der Räder/des Gaspedals oder dem sich nicht verändernden Lenkwinkel zu erkennen. Es reduzierte in der Folge die Menge des eingespritzten Diesels, erhöhte die Luftmenge pro Verbrennungstakt und änderte ggf. den Zeitpunkt der Einspritzung so, dass möglichst optimale Abgaswerte entstanden.“13 Die Tatsache, dass ein Kfz während des NEFZ-Zyklus im Prüfverfahren weniger Emissionen verursacht , als wenn es im normalen Straßenverkehr gefahren wird, ist bloß ein Indiz, das auf einen Abschaltmechanismus hindeuten kann. Der Unterschied im Verhalten allein stellt aber noch keinen verbotenen Abschaltmechanismus dar, sondern kann auch durch die legalen Möglichkeiten, die das momentan vorgeschriebene Prüfverfahren im Labor bietet, erklärt werden.14 Eine Abschalteinrichtung erfordert aufgrund des Wortlauts des Art. 3 Abs. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, zusätzlich zu unterschiedlichen Emissionswerten, eine Veränderung im Emissionskontrollsystem hervorgerufen durch ein Konstruktionsteil, welches Parameter ermittelt und im Fall bestimmter Parameter das Emissionskontrollprogramm umsteuert. Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung vom 27. Oktober 2015 zu Emissionsmessungen in der Automobilindustrie darauf hingewiesen, dass die festgestellte Diskrepanz zwischen den Emissionswerten in den Prüfverfahren und im Straßenverkehr sowohl auf die Unzulänglichkeiten des in der EU verwendeten Testverfahrens als auch auf die Verwendung von Abschalteinrichtungen zurückzuführen sein könnte.15 Die Kommission schreibt in ihrem Factsheet zu Emissionsgrenzwerten für Luftschadstoffe: „Derzeit können die Emissionen von Stickoxiden (NOx) von Dieselfahrzeugen, die auf der Straße gemessen werden, die im vorgeschriebenen NEFZ 13 Isfen, Mehr Schein als Sein – die VW-Abgasaffäre aus strafrechtlicher Sicht, JA 2016, S. 1 (2). 14 Isfen, Mehr Schein als Sein – die VW-Abgasaffäre aus strafrechtlicher Sicht, JA 2016, S. 1 (2 f.). 15 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 27. Oktober 2015 zu Emissionsmessungen in der Automobilindustrie (2015/2865(RSP)), Erwägungsgrund P, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/get- Doc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+TA+P8-TA-2015-0375+0+DOC+PDF+V0//DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 8/16 Seite 8 gemessenen in der Realität deutlich übersteigen, obwohl sie in den meisten Fällen wahrscheinlich den geltenden Rechtsvorschriften entsprechen.“16 Allein aufgrund erhöhter Emissionswerte, die auf der Straße gemessen werden, kann noch kein Vorliegen einer gemäß Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verbotenen Abschalteinrichtung angenommen werden. Der Grund für die erhöhten Emissionswerte im Straßenverkehr kann nämlich nicht nur das Vorliegen einer Abschalteinrichtung sein, sondern auch die unterschiedlichen Bedingungen im Straßenverkehr und im Prüfverfahren. Es gibt verschiedene Gründe für die Tatsache, dass die Emissionen von Kfz auf dem Prüfstand im Labor andere sind als beim Fahren im Straßenverkehr. Die unterschiedlichen CO2-Emissionswerte im Labor auf dem Prüfstand und im Straßenverkehr sind in der TE-Studie „Mind the Gap“ untersucht worden.17 Zu den Gründen der Abweichung zählen u. a. ein anderes Fahrverhalten und andere Bedingungen im Straßenverkehr als in dem Prüfverfahren, wo laut den Kritikern weder die Umgebungsbedingungen (wie Temperatur und Witterung) noch die vorgegebenen Geschwindigkeiten und Beschleunigungszeiten dem Durchschnittsverkehr entsprechen.18 Es gibt zudem Schlupflöcher im Prüfverfahren, die es den Herstellern beispielsweise ermöglichen, besondere Reifen zu benutzen oder alle Sonderausstattungen eines Kfz auszuschalten bzw. wegzulassen .19 Hinsichtlich der erhöhten NOx-Emissionswerte von Kfz im Straßenverkehr bietet eine Studie des Joint Research Centre der Kommission ähnliche Erklärungen: umweltschädigende Fahrbedingungen und Umweltbedingungen im Straßenverkehr, die der Testzyklus nicht wiederspiegelt , sowie die Möglichkeit der Hersteller im Prüfverfahren, Sonderausstattungselemente auszuschalten oder wegzulassen.20 Das alles hat zum Ergebnis, dass die Emissionswerte sich zwischen den Prüfvorgängen nach dem momentan anzuwendenden Prüfverfahren und beim Gebrauch des Kfz im Straßenverkehr stark unterscheiden, ohne dass zwangsläufig Abschalteinrichtungen eingesetzt werden. 4. Ausnahmeregelungen Die Verwendung einer Abschalteinrichtung ist nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht unzulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten; wenn die Einrichtung nicht länger arbeitet, als es zum Anlassen des Motors erforderlich ist oder wenn die 16 Kommission, Factsheet – Fragen und Antworten zu Emissionsgrenzwerten für Luftschadstoffe, 25.9.2015, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-15-5705_de.htm. 17 Transport and Environment, „Mind the Gap! Why official car fuel economy figures don’t match up to reality”, 2013, S. 5, abrufbar unter http://www.transportenvironment.org/sites/te/files/publications /Real%20World%20Fuel%20Consumption%20v15_final.pdf. 18 Transport and Environment, „Mind the Gap! Why official car fuel economy figures don’t match up to reality”, 2013, S. 20. 19 Viele weitere Beispiele in: Transport and Environment, „Mind the Gap! Why official car fuel economy figures don’t match up to reality”, 2013, S. 23 ff. 20 Kommission, Joint Research Centre, “A complementary emissions test for Light-Duty Vehicles – Assessing the technical feasibility of candidate procedures”, 2013, S. 8, abrufbar unter http://publications.jrc.ec.europa.eu/repository /bitstream/JRC75998/ld-na-25572-en-n_online.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 8/16 Seite 9 Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind. Gefragt worden ist, ob der Verschleißschutz von Bauteilen eine Abschalteinrichtung als zulässig rechtfertigen kann. Dafür müsste der Verschleißschutz sich als eine Einrichtung qualifizieren lassen , die notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Es gibt zu dieser Frage, soweit ersichtlich, keine Rechtsprechung oder Ausführungen in der Literatur. Gemäß dem Wortlaut der Norm ist anzunehmen , dass Verschleißschutz eine Abschalteinrichtung nur rechtfertigen kann, wenn die Einrichtung vor Verschleiß am Motor schützen soll, um so den sicheren Betrieb des Kfz zu gewährleisten . Wann genau das der Fall ist, ist eine technische Frage, die juristisch nicht beantwortet werden kann. 5. Urteile und Verfahren zu der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 5.1. Deutsche Rechtsprechung In der deutschen Rechtsprechung finden sich Urteile, in denen auf die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bzw. deren Vorgängernorm Bezug genommen worden ist.21 Es ging in den Verfahren vor deutschen Gerichten zwar nicht um einen Verstoß gegen Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, sondern um die Rückabwicklung von Kfz-Kaufverträgen wegen eines erhöhten Kraftstoffverbrauchs des gekauften Kfz im alltäglichen Gebrauch verglichen mit den Herstellerangaben , die gemäß den europäischen Vorgaben im Prüfverfahren ermittelt worden waren. Die Ausführungen der Gerichte machen deutlich, dass ein Unterschied zwischen den im Prüfverfahren erzielten und den im Straßenverkehr gemessenen Werten rechtmäßig sein kann. 2014 entschied das Brandenburgische OLG: „Die nach EG-Messvorschriften zu ermittelnden und nach der Pkw- EnVKV mitzuteilenden Verbrauchswerte und die bei individueller Fahrweise erreichbaren Verbrauchswerte müssen sich nicht decken. Erstere sind „Laborwerte“, letztere werden von einer Vielzahl individueller Faktoren beeinflusst. […] Die Angabe des nach der Richtlinie ermittelten Verbrauchs ist für den Verbraucher auch nicht völlig wertlos. Zwar muss er damit rechnen, dass der tatsächliche Verbrauch erheblich höher liegt, das Messverfahren ermöglicht aber den Vergleich verschiedener Fahrzeugmodelle auf objektivierter Basis. Von Herstellern und Händlern wird nicht verlangt, auf den fehlenden Realitätsbezug noch deutlicher hinzuweisen, als durch die Pkw-EnVKV vorgegeben.“22 Neben diesen Urteilen der deutschen Zivilgerichte ist die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 insbesondere in Verfahren des Kraftfahrt-Bundesamtes von Bedeutung. Das Kraftfahrt-Bundesamt ist gemäß § 2 Abs. 1 der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung23 Genehmigungsbehörde für Typgenehmigungen und damit in Deutschland verantwortlich für die Einhaltung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und ihres Art. 5. Am 27.9.2015 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen Brief 21 OLG Karlsruhe. Urt. v. 1.2.2008, 1 U 97/07; OLG Brandenburg, Urt. v. 27.3.2014, 5 U 70/12; BGHZ 136, 94 ff. 22 OLG Brandenburg, Urt. v. 27.3.2014, 5 U 70/12, Rn. 19 – zitiert nach juris. 23 Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge vom 3. Februar 2011 (EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung ), Bundesgesetzblatt (BGBl.) Teil I, 2011 Nr. 5, S. 126 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 8/16 Seite 10 des Kraftfahrt-Bundesamtes an VW. Darin heißt es: „... in den am 23.9.2015 sowie am 24.9.2015 mit Vertretern Ihres Hauses geführten Gesprächen haben Sie hinsichtlich der o.g. Motoren eingeräumt , dass konstruktive bzw. softwaretechnische Lösungen eingesetzt worden sind, die die Befürchtung entstehen lassen, dass die den betreffenden Fahrzeugtypen zugrunde liegenden Typgenehmigungen nicht der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 entsprechen. Hieraus ergibt sich der Verdacht , dass von Ihrem Hause in den o.g. Motorvarianten Abschaltvorrichtungen [...] verbaut und unzulässig verwendet worden sind. Aus diesem Grund wird derzeit der verwaltungsrechtliche Status der erteilten Typgenehmigungen geprüft. Ich bitte daher verbindlich zu erklären, ob in den o.g. Motorvarianten Abschaltvorrichtungen im unzulässigen Sinne [...] verbaut und eingesetzt worden sind. […].“24 Am 16.10.2015 veröffentliche das Kraftfahrt-Bundesamt auf seine Internetseite ein Statement: „Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat dem Hersteller VW gegenüber mit Schreiben vom 15. Oktober 2015 den Rückruf von 2,4 Millionen VW-Markenfahrzeugen angeordnet . Das Kraftfahrt-Bundesamt vertritt die Auffassung, dass es sich bei der in diesen Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. VW wird in dem Bescheid vom Kraftfahrt-Bundesamt auferlegt, die entsprechende Software aus allen Fahrzeugen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen . Dies ist durch entsprechende Nachweise zu belegen.“25 5.2. Europäische Rechtsprechung Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) wie auch das Gericht der Europäischen Union (EuG) haben sich bisher noch nicht mit Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 befasst. Es gibt, soweit ersichtlich, drei Entscheidungen des EuGH in deutscher Sprache, in denen auf die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 Bezug genommen wird. In diesen umfasst der Streitgegenstand allerdings Fragen der Förderung und Zulassung von importierten Kfz,26 die Besteuerung importierter Kfz27 und die Rechtmäßigkeit nationaler Bestimmungen zur Festlegung von Grenzwerten für die Partikelemissionen von Kraftfahrzeugen mit Dieselmotor .28 Weitere Entscheidungen zu der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 existieren auf Rumänisch und Französisch und betreffen ebenfalls Umweltsteuerregelungen für importierte Kfz.29 Der EuGH trifft in den Urteilen keine Feststellungen zu Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. – Fachbereich Europa – 24 Süddeutsche Zeitung, Das Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamtes im Wortlaut, 27.9.2015, abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/brief-an-volkswagen-das-schreiben-des-kraftfahrt-bundesamtes-imwortlaut -1.2667429. 25 Kraftfahrt-Bundesamt, Kraftfahrt-Bundesamt ordnet den Rückruf von 2,4 Millionen Volkswagen an, 16.10.2015, abrufbar unter https://www.kba.de/DE/Home/infotext_startseite_VW_komplett.html. 26 EuGH, Urt. v. 6.10.2011, Rs. C‑443/10 – Bonnarde. 27 EuGH, Urt. v. 7.4.2011, Rs. C-402/09 – Tatu. 28 EuGH, Urt. v. 6.11.2008, Rs. C‑405/07 P – Niederlande/Kommission. 29 Beispielsweise EuGH, Urt. v 7.7.2011, Rs. C-263/10 – Nisipeanu.