© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 8/15 Die Vereinbarkeit von Positivlisten für legal zu haltende Heimtiere mit Unionsrecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 8/15 Seite 2 Die Vereinbarkeit von Positivlisten für legal zu haltende Heimtiere mit Unionsrecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 8/15 Abschluss der Arbeit: 3. Februar 2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 8/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Hintergrund 4 3. Antwort 4 3.1. Vereinbarkeit mit dem EU- Sekundärrecht 4 3.2. Vereinbarkeit mit dem EU-Primärrecht 5 3.2.1. Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit 5 3.2.2. Rechtfertigung des Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit, insbesondere Verhältnismäßigkeit 6 3.3. Zusammenfassung 7 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 8/15 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung geht auf die Frage ein, ob Positivlisten für Wild- und Haustiere, die legal als Heimtiere gehalten werden können, mit dem Unionsrecht vereinbar sind. 2. Hintergrund Als bislang einziger Staat in der Europäischen Union (EU) hat Belgien im Jahr 2002 eine Positivliste von legal zu haltenden Heimtieren eingeführt. Danach ist es gesetzlich verboten, (Säuge-) Tiere zu halten, die nicht auf der Liste mit 42 Tierarten stehen.1 Ausnahmen gelten u.a. für Zoos, Zirkusse, Labore sowie von einem Fachausschuss anerkannte Privatpersonen. Für das Anerkennungsverfahren fällt eine Gebühr an. Im Jahr 2008 bestätigte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) grundsätzlich die Unionskonformität einer solchen Regelung, sofern bestimmte Bedingungen eingehalten werden.2 In Umsetzung des EuGH-Urteils kann seit dem Jahr 2009 die Aufnahme weiterer Tierarten in die Positivliste bei den belgischen Behörden beantragt werden.3 Eine Positivliste für Heimtiere soll auch in den Niederlanden in Kraft treten.4 3. Antwort Die Einführung einer Positivliste für legal zu haltende Heimtiere ist zunächst an einschlägigem Sekundärrecht zu messen (3.1.), bevor das Primärrecht als Maßstab herangezogen wird; insbesondere kann durch Positivlisten für Heimtiere die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV)) betroffen sein (3.2.). 3.1. Vereinbarkeit mit dem EU- Sekundärrecht Die EU hat keine umfassende Kompetenz, Regeln für den Tierschutz zu erlassen.5 Sie kann allerdings tierschutzrechtliche Regelungen auf andere sektorenspezifische Kompetenzen stützen. So beruht die Verordnung (EG) Nr. 338/97 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tierund Pflanzenarten durch Überwachung des Handels auf der umweltpolitischen Kompetenz der Union (Art. 174, 175 EGV, nunmehr Art. 191, 192 AEUV).6 Im Hinblick auf die Kontrolle des 1 Königliche Verordnung vom 16. Juli 2009, abrufbar unter http://www.health.belgium.be/internet 2Prd/groups/public/@public/@dg4/@animalsplants/documents/ie2law/847605_fr.pdf. 2 EuGH, Rs. C-219/07 (Nationale Raad van Dierenkwekers). 3 Art. 6 der königlichen Verordnung vom 16.7.2009, abrufbar unter http://www.health.belgium.be/internet 2Prd/groups/public/@public/@dg4/@animalsplants/documents/ie2law/847605_fr.pdf. 4 Vgl. Michael Haese, Positivlisten für die Haltung von Tieren, Dokumentation WD 3 – 3000 - 221/14, S. 6. 5 Zur Querschnittsklausel des Art. 13 AEUV, wonach die Union und die Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Politiken wie dem Binnenmarkt tierschutzrechtliche Belange berücksichtigen müssen vgl. Calliess, in: Calliess /Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 13 AEUV Rn. 12. 6 Verordnung (EG) 338/97 des Rates vom 9. Dezember 1996 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tierund Pflanzenarten durch Überwachung des Handels, ABl. L 61/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUri Serv/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1997R0338:20100815:DE:PDF. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 8/15 Seite 5 Handels sieht Art. 8 Abs. 2 der VO (EG) 338/97 vor, dass die Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich der Verordnung den Besitz von bestimmten Tieren verbieten und mithin negative Regelungen treffen können. Positivlisten stellen gegenüber negativen Regelungen durch ihre abweichende Systematik – grundsätzliches Verbot mit Ausnahmevorbehalt gegenüber einer grundsätzlichen Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt – grundsätzlich eine strengere Regelungsform dar. Als solche werden sie in der VO (EG) 338/97 nicht geregelt. Allerdings verweist der dritte Erwägungsgrund der VO (EG) 338/97 darauf, dass strengere Maßnahmen von den Mitgliedstaaten ergriffen werden können und entspricht damit der Prämisse gemäß Art. 193 AEUV, dass stärkere Schutzmaßnahmen der Mitgliedstaaten aus Gründen des Umweltschutzes beibehalten oder ergriffen werden können, sofern diese mit dem Unionsrecht vereinbar sind und der Kommission notifiziert werden.7 Dementsprechend sind auch Positivlisten, die gegenüber Negativlisten einen stärkeren Tierschutz bewirken sollen, durch die Regelungen der VO (EG) 338/97 über Negativlisten nicht ausgeschlossen. 3.2. Vereinbarkeit mit dem EU-Primärrecht Gemäß Art. 193 AEUV müssen nationale Maßnahmen mit einem höheren Schutzniveau mit dem Unionsrecht insgesamt vereinbar sein.8 Dementsprechend stellt sich die Frage, ob strengere Maßnahmen wie Positivlisten auch mit dem Primärrecht der EU vereinbar sind. Mit Blick auf den grenzüberschreitenden Transport und den Handel von (Haus-)Tieren in der EU könnte die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 AEUV betroffen sein. 3.2.1. Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit Die Warenverkehrsfreiheit erfasst gemäß Art. 28 AEUV alle körperlichen Gegenstände, die im Hinblick auf Handelsgeschäfte über eine Grenze verbracht werden können, wozu – als Gegenstände des Handelsverkehrs – auch (Haus-)Tiere zählen.9 Für solche Waren verbietet Art. 34 AEUV nicht gerechtfertigte mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten. Maßnahmen gleicher Wirkung sind grundsätzlich alle Regelungen der Mitgliedstaaten, die geeignet sind, den Handel innerhalb der Union unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern.10 So stellt es für den Importeur von Waren bereits dann eine Behinderung des freien Warenverkehrs dar, wenn er durch nationale Vorschriften davon abgehalten wird, die fragliche Ware in dem betreffenden Mitgliedstaat in den Verkehr zu bringen oder zu vertreiben. Zudem spiegelt Art. 34 AEUV die Verpflichtung wider, sowohl die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der gegenseitigen Anerkennung von Waren , die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden, 7 EuGH, Rs. C-510/99 (Tridon), Rn. 45; EuGH, Rs. C-219/07 (Nationale Raad van Dierenkwekers), Rn. 19. 8 Vgl. hierzu EuGH, Rs. C-203/96 (Dusseldorp), Rn. 39; EuGH, Rs. C-510/99 (Tridon), Rn. 49; EuGH, Rs. C-219/07 (Nationale Raad van Dierenkwekers), Rn. 20. 9 EuGH, Rs. C-67/97 (Bluhme), Rn. 13 ff.; EuGH, Rs. C-97/98 (Jägerskiöld), Rn. 30. 10 EuGH, Rs. 8/74 (Dassonville), Rn. 5; EuGH, Rs. C-108/09 (Ker-Optika), Rn. 47. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 8/15 Seite 6 einzuhalten als auch Waren aus der Union freien Zugang zu den nationalen Märkten zu gewährleisten .11 Positivlisten für Heimtiere bewirken keine mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen. Sie behandeln auch inländische und ausländische Handelsteilnehmer gleich. Aufgrund von Positivlisten können in anderen Mitgliedstaaten zugelassene Heimtiere nur unter erschwerten Bedingungen eingeführt werden, wenn diese nicht auf einer Positivliste stehen. Zuvor muss erreicht werden, dass die betreffende Tierart in die Positivliste aufgenommen wird.12 Damit beschränken Positivlisten potentiell den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und greifen hierdurch in den Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit ein. 3.2.2. Rechtfertigung des Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit, insbesondere Verhältnismäßigkeit Mitgliedstaatliche Einschränkungen der Warenverkehrsfreiheit können jedoch gerechtfertigt werden . Insofern kommt zunächst der explizit in Art. 36 S. 1 AEUV genannte Schutz des Lebens von Menschen und Tieren als ein möglicher Rechtfertigungsgrund in Betracht. Daneben könnte die Beschränkung auch durch die vom EuGH anerkannten zwingenden Erfordernisse des Allgemeinwohls als ungeschriebene Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt sein. Hierzu zählen insbesondere die zwingenden Erfordernisse des Umweltschutzes13 sowie das Wohlergehen der Tiere.14 Beschränkungen , die auf diese unionrechtlichen Rechtfertigungsgründe gestützt sind, dürfen entsprechend Art. 36 S. 2 AEUV weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen.15 Zudem muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden, sodass keine weniger einschränkenden Maßnahmen in Betracht kommen dürfen. Vor diesem Hintergrund stellt sich mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme die Frage, ob eine Negativliste entsprechend Art. 8 Abs. 2 der VO (EG) 338/97 weniger stark in die Warenverkehrsfreiheit eingriffe. Jedoch muss die alternative Maßnahme das Regelungsziel ebenso effektiv erreichen können wie die geplante Maßnahme. Insoweit hat der EuGH festgestellt , dass Negativlisten ungleich weniger effektiv die mit der Positivliste verfolgten Zwecke fördern – beispielsweise im Hinblick auf Säugetierarten, über die noch keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse bekannt sind.16 11 EuGH, Rs. C-110/05 (Kommission/Italien), Rn. 34; EuGH, Rs. C-108/09 (Ker-Optika), Rn. 48. 12 Vgl. EuGH, Rs. C-219/07 (Nationale Raad van Dierenkwekers), Rn. 20 ff.; EuGH, Rs. C-24/00 (Kommission /Frankreich), Rn. 23; EuGH, Rs. C-400/96 (Harpegnies), Rn. 30. 13 EuGH, Rs. C-219/07 (Nationale Raad van Dierenkwekers), Rn. 29. 14 EuGH, Rs. 141 u.a./81 (Holdijk), Rn. 13. 15 EuGH, Rs. C-219/07 (Nationale Raad van Dierenkwekers), Rn. 39. 16 EuGH, Rs. C-219/07 (Nationale Raad van Dierenkwekers), Rn. 32; EuGH, Rs. C-154 u. C-155/04 (Alliance for Natural Health), Rn. 70. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 8/15 Seite 7 Maßgeblich für die Verhältnismäßigkeit der Positivlisten – und damit für die Rechtfertigung von Beeinträchtigungen des Warenverkehrs – ist aus Sicht des EuGH die Erfüllung von zwei Kriterien :17 Einerseits müssen die Kriterien für die Aufstellung und Änderung der Liste objektiv sein und dürfen nicht diskriminierend wirken. Dementsprechend sieht die belgische Regelung beispielsweise als objektive Kriterien vor, dass die Tiere, um auf die Positivliste zu gelangen, leicht zu halten und unterzubringen sein müssen, dass von ihnen keine besonderen Gefahren für die menschliche Gesundheit ausgehen dürfen; dass sie kein aggressives Naturell aufweisen und dass sie keine ökologische Gefahr darstellen, wenn sie entliefen. Schließlich müssen wissenschaftliche Erkenntnisse über ihre Haltung vorliegen.18 Andererseits muss in einem öffentlichen Rechtsakt ein Verfahren vorgesehen sein, dass es Betroffenen ermöglicht, neue Tierarten in die Liste aufnehmen zu lassen. Die aus diesem Verfahren hervorgehende Verwaltungsentscheidung muss auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand der Forschung beruhen, in einem angemessenen Zeitraum abgeschlossen werden und gerichtlich überprüfbar sein. Die Aufnahme in die Positivliste darf nur abgelehnt werden, wenn entweder tatsächlich ein Risiko für Menschen, Tiere oder die Umwelt nachgewiesen ist oder nach dem Vorsorgeprinzip wissenschaftliche Studien ein solches Risiko für tatsächliche Schäden nicht ausschließen .19 Darüber hinaus sind die konkreten Regelungen - wie beispielsweise individuelle Ausnahmevorschriften - daraufhin zu überprüfen, ob sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des mit der nationalen Regelung insgesamt verfolgten Ziels erforderlich ist. 3.3. Zusammenfassung Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Positivlisten für legal zu haltende Heimtiere grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar sind, wenn sie auf sachlichen Kriterien für die Erstellung einer solchen Liste beruhen und ein faires, gerichtlich überprüfbares, an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiertes Verfahren für die Aufnahme neuer Tierarten in die Liste vorsehen . - Fachbereich Europa - 17 Zum Folgenden EuGH, Rs. C-219/07 (Nationale Raad van Dierenkwekers), Rn. 33ff.; EuGH, Rs. C-24/00 (Kommission /Frankreich), Rn. 25; EuGH, Rs. C-344/90 (Kommission/Frankreich), Rn. 8 ff. 18 Vgl. EuGH, Rs. C-219/07 (Nationale Raad van Dierenkwekers), Rn. 26. 19 EuGH, Rs. C-219/07 (Nationale Raad van Dierenkwekers), Rn. 37 f.