© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 – 3000 – 08/14 Kürzung des Kindergeldes und EU-Recht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 2 Kürzung des Kindergeldes und EU-Recht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 08/14 Abschluss der Arbeit: 25.03.2014 Fachbereich: PE 6: Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Kindergeld nach deutschem Recht – geltende Rechtslage 4 2.1. Kindergeld nach dem EStG 4 2.1.1. System des Familienleistungsausgleichs 4 2.1.2. Anspruchsvoraussetzungen 6 2.1.3. Ermittlung des Existenzminimums eines Kindes und Höhe des Kindergeldes 7 2.2. Kindergeld nach dem BKGG 8 2.3. Zusammenfassung 9 3. Kindergeld und EU-Recht 9 3.1. Koordinierungsverordnung Nr. 883/2004 10 3.2. Freizügigkeitsverordnung Nr. 492/2011 12 4. Zur Unionsrechtmäßigkeit des Begrenzungsvorschlags 13 4.1. Zum Inhalt des Begrenzungsvorschlags 13 4.2. Prüfung am Maßstab der Koordinierungsverordnung VO 883/2004 14 4.2.1. Art. 67 S. 1 VO 883/2004 15 4.2.2. Art. 7 VO 883/2004 16 4.2.3. Art. 4 VO 883/2004 18 4.2.3.1. Offene Ungleichbehandlung 19 4.2.3.2. Versteckte Ungleichbehandlung 19 4.2.3.3. Vergleichbarkeit 19 4.2.3.4. Rechtfertigung 20 4.2.4. Zwischenergebnis 20 4.3. Prüfung am Maßstab von Art. 7 Abs. 2 der Freizügigkeitsverordnung VO 492/2011 20 5. Rechtsschutzmöglichkeiten Betroffener 22 6. Zusammenfassung 23 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 4 1. Einleitung In der aktuellen politischen Diskussion um den Zugang von EU-Ausländern zu Sozialleistungen in Deutschland steht auch der Bezug von Kindergeld im Fokus. Es finden sich Stimmen, die eine Auszahlung des Kindergeldes unter Berücksichtigung des Kostenniveaus des Herkunftslandes des jeweiligen Unionsbürgers befürworten, soweit die betreffenden Kinder dort ihren Lebensmittelpunkt haben (im Folgenden: Begrenzungsvorschlag).1 Der Fachbereich wird in diesem Zusammenhang um die Beantwortung der Frage gebeten, ob ein solcher Vorschlag mit europäischem Primärrecht, insbesondere den Grundfreiheiten, vereinbar ist. Ferner wird danach gefragt, welche Rechtsmittel von den betroffenen EU-Ausländern und auch Deutschen gegen eine solche Regelung ergriffen werden könnten. Zur Beantwortung dieser Fragen wird zunächst die geltende Rechtslage zum Kindergeld nach deutschem Recht dargestellt (siehe unter 2.). Anschließend werden die unionsrechtlichen Bezüge zu diesem Bereich aufgezeigt (siehe unter 3.). Hierauf aufbauend erfolgt dann die Erörterung des Vorschlags auf seine Vereinbarkeit mit den einschlägigen EU-Vorgaben (siehe unter 4.). Abschließend wird auf Rechtsschutzmöglichkeiten Betroffener eingegangen, für den Fall, dass eine solche Regelung geltendes Recht werden würde (siehe unter 5.). 2. Kindergeld nach deutschem Recht – geltende Rechtslage Für die Gewährung von Kindergeld sieht das deutsche Recht zwei verschiedene Rechtsgrundlagen vor, eine steuerrechtliche im Einkommensteuergesetz (EStG) und eine sozialrechtliche im Bundeskindergeldgesetz (BKGG). In diesen beiden Rechtsgrundlagen kommt die Trennung von steuerrechtlichem und sozialrechtlichem Kindergeld zum Ausdruck, die mit dem Jahressteuergesetz von 1996 eingeführt wurde.2 Praktisch bedeutsamer und gemäß § 25 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch (SGB I) vorranging in der Anwendung sind die einschlägigen Vorschriften des EStG. 2.1. Kindergeld nach dem EStG 2.1.1. System des Familienleistungsausgleichs Kindergeld nach dem EStG ist Teil des Familienleistungsausgleich, dessen grundlegende Aussagen in § 31 EStG geregelt sind. Ziel dieser Vorschrift ist zunächst die steuerliche Freistellung des Existenzminimums eines Kindes (vgl. § 31 S. 1 EStG). Dies geschieht, indem ein Einkommensbetrag in Höhe des Existenzminimums eines Kindes (sog. Kinderfreibetrag, vgl. § 32 Abs. 6 EStG) einschließlich der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung von der Steuer freige- 1 Vgl. etwa den Bericht in der Wirtschaftswoche vom 11.01.2014, online abrufbar unter http://www.wiwo.de/politik/europa/bundestag-kindergeldanspruch-fuer-eu-auslaender-bestaetigt/9317908.html (letztmaliger Abruf am 25.03.14), in welchem der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Pätzold zitiert wird. Siehe zum Vorschlag im Einzelnen unten unter 4.1., S. 13. 2 BGBl I 1995, S. 1275. Zum vorherigen System des Familienlastenausgleichs (vgl. § 6 SGB I) siehe Seewald, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 79. Ergänzungslieferung 2013, § 6 SGB I, Rn. 9. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 5 stellt wird. Hierdurch wird die durch Kinder geminderte steuerliche Leistungsfähigkeit ausgeglichen .3 Umgesetzt wird dieses Ziel entweder durch Gewährung von Freibeträgen nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch Zahlung von Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG (vgl. § 31 S. 1 EStG). In verwaltungstechnischer Hinsicht erfolgt die Freistellung dergestalt, dass allen berechtigten Personen monatlich Kindergeld als Steuervergütung gezahlt wird (§ 31 S. 3 EStG), d.h. als Vorauszahlung auf die Kinderentlastung im laufenden Kalenderjahr.4 Erst anschließend, nach Abschluss des steuerlichen Veranlagungszeitraums, wird im Rahmen der Einkommensteuererklärung von Amts wegen geprüft, ob das Kindergeld in seiner Summe dem Betrag entspricht, der bei Ansetzung der Freibeträge erreicht worden wäre. Reicht das monatlich gezahlte Kindergeld im Veranlagungszeitraum in der Summe nicht aus, um die gebotene Steuerfreistellung zu bewirken, kommt es nachträglich zu einem Abzug der Freibeträge, wobei die tarifliche Einkommenssteuer um den Anspruch auf Kindergeld erhöht wird (§ 31 Abs. 4 EStG - Günstigkeitsprinzip). Nur soweit sich das Kindergeld und der Betrag, der durch Ansetzung der Freibeträge erreicht worden wäre, entsprechen, ist die steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes erreicht. Ist das Kindergeld hingegen in der Summe höher, so dient es nicht mehr der von § 31 EStG verfolgten steuerlichen Freistellung des Existenzminimums eines Kindes, sondern – ausweislich des S. 4 dieser Vorschrift – der Förderung der Familie. Insoweit ist das Kindergeld mit diesem Betrag in materiell-rechtlicher Hinsicht eine Sozialleistung.5 In der durch diesen Teil des Kindergeldes bewirkten Familienförderung liegt die – neben der steuerlichen Entlastungswirkung – weitere Funktion des Familienleistungsausgleichs nach § 31 EStG.6 Das Verhältnis von Förder- und Steuervergütungsanteil des Kindergeldes hängt dabei von der Einkommenshöhe ab. Je niedriger das Einkommen, desto höher schlägt der Förderanteil zu Buche und umgekehrt. Wird also kein oder ein nur geringes Einkommen erzielt, ist das monatlich erhaltene Kindergeld ausschließlich oder überwiegend Sozialleistung und keine oder kaum Steuervergütung . Mit zunehmender Höhe des Einkommens sinkt der Förderanteil hingegen und seine Steuervergütungsrelevanz steigt. Dies wird im Schrifttum als folgerichtig angesehen, weil bei höherem Einkommen auch die Bedürftigkeit der betroffenen Personen abnimmt, die zugleich eine der Grundvoraussetzungen für soziale Transferleistungen darstellt.7 3 Selder, in: Heuermann/Brandis (Hrsg.), Blümich - Kommentar zum EStG, KStG und GewStG, 121. Ergänzungslieferung 2013, § 31 EStG, Rn. 21. 4 Loschelder, in: Schmidt, EStG, 32. Aufl. 2013, § 31 EStG, Rn. 9; Selder, in: Heuermann/Brandis, Blümich (Fn. 9), § 31 EStG, Rn. 21. 5 Loschelder, in: Schmidt, EStG, 32. Aufl. 2013, § 31 EStG, Rn. 8. 6 Zur Doppelfunktion des § 31 EStG, vgl. Selder, in: Heuermann/Brandis, Blümich (Fn. 9), § 31 EStG, Rn. 21. 7 Selder, in: Heuermann/Brandis, Blümich (Fn. 9), § 31 EStG, Rn. 40. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 6 2.1.2. Anspruchsvoraussetzungen Bei den Anspruchsvoraussetzungen für die monatliche Zahlung von Kindergeld ist zwischen den in der Person des Berechtigten und den in der Person des zu berücksichtigenden Kindes zu unterscheiden . Die Anspruchsvoraussetzungen für die Person des Berechtigten sind in § 62 EStG geregelt. Nach Absatz 1 Nr. 1 dieser Vorschrift haben diejenigen Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG, die (lediglich) entweder einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Diejenigen , bei denen das nicht der Fall ist, sind nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bzw. b EStG anspruchsberechtigt , wenn sie entweder nach § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind oder als unbeschränkt einkommenssteuerpflichtig nach § 1 Abs. 3 EStG behandelt werden. Den dabei in Bezug genommenen Tatbeständen nach § 1 Abs. 2 und 3 EStG ist gemeinsam , dass in beiden Fällen im Inland Einkünfte erzielt werden. § 62 Abs. 1 EStG enthält keine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit. Eine Sonderregelung für Ausländer mit weiteren, zusätzlichen Voraussetzungen für den Kindergeldanspruch findet sich jedoch in § 62 Abs. 2 EStG. Diese gilt allerdings nur für „nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer“. Ausgenommen von dieser Sonderregelung sind somit freizügigkeitsberechtigte Ausländer im Sinne des § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizüg G/EU).8 Das FreizügG/EU dient der Umsetzung der sog. Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG.9 Diese erfasst sämtliche, sich aus dem primären EU-Recht ergebenden Aufenthalts- und Bewegungsrechte und erstreckt diese zudem auf Familienangehörige der freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger.10 Soweit also EU-Ausländer und ihre Familienangehörigen der Freizügigkeitsrichtlinie und damit im Ergebnis auch dem FreizügG/EU unterliegen, müssen sie nach deutschem Recht nur die Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 Abs. 1 EStG erfüllen. Die Anspruchsvoraussetzungen in der Person des Kindes sind in § 63 Abs. 1 EStG geregelt. Dieser bestimmt, u. a. unter Verweis auf § 32 EStG, welche Kinder und unter welchen Voraussetzungen diese für den Anspruch auf Kindergeld berücksichtigt werden. Erfasst werden in erster Linie leibliche Kinder (vgl. § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Diese müssen nicht mit dem Berechtigten zusammenleben. Da Kindergeld für jedes Kind nach § 64 Abs. 1 EStG nur einem Berechtigten gezahlt wird, sehen § 64 Abs. 2 und 3 EStG Regeln für den Fall vor, dass es mehrere Berechtigte gibt. § 64 Abs. 2 EStG etwa enthält das Prinzip der Haushaltsaufnahme. Im Übrigen sieht das EStG Einschränkungen hinsichtlich des Aufenthaltsortes nur für Kinder vor, die weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem EWR-Staat haben. Diese werden nach § 63 Abs. 1 S. 3 EStG grund- 8 Vgl. auch Wendl, in: Kirchhof (Hrsg.), Einkommenssteuergesetz 12. Aufl. 2013, § 62 EStG, Rn. 11. 9 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten , […], ABl.EU 2004 Nr. L 158/77 (konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:2004L0038:20110616:DE:PDF – letztmaliger Abruf am 25.03.14). 10 Vgl. Erwägungsgründe Nr. 4 und 5 der Freizügigkeitsrichtlinie (siehe Fn. 9). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 7 sätzlich nicht berücksichtigt. In allen anderen Fällen, also bei Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, einem anderen EU- oder EWR-Staat, sind die Anspruchsvoraussetzung, jedenfalls im Hinblick auf den Aufenthaltsort, gegeben und zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Kindes bzw. der Eltern. 2.1.3. Ermittlung des Existenzminimums eines Kindes und Höhe des Kindergeldes Von Bedeutung für die hier behandelte Fragestellung ist schließlich die Ermittlung des Existenzminimums eines Kindes. Maßgeblich hierfür ist nach der Rechtsprechung des BVerfG der existenznotwendige Bedarf des Kindes, der sich typisierend am Sozialhilferecht orientiert.11 Dabei darf das steuerliche Existenzminimum das nach sozialrechtlichen Kriterien ermittelte nicht unterschreiten.12 Einschlägig für die Ermittlung des maßstabsgebenden sozialhilferechtlichen Bedarfs sind die Regelungen in §§ 27 ff. Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch (SGB XII). Hierbei sind im Ergebnis die bundesdeutschen Wirtschafts- und Lebensverhältnisse maßgeblich (vgl. §§ 27 a Abs. 1 und 2 sowie § 28 Abs. 1 und 2 SGB XII).13 Dies gilt somit entsprechend auch für das steuerrechtliche Existenzminimum der Kinder. Zwar können die wirtschaftlichen Verhältnisse des jeweiligen Wohnsitzstaates nach § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG (mindernd) berücksichtigt werden.14 Von dieser Möglichkeit wird im Hinblick auf Kinder mit Wohnsitz im EU-/EWR-Ausland jedoch kein Gebrauch gemacht.15 Die Höhe des (monatlichen) Kindergeldes ist in § 66 Abs. 1 EStG gesetzlich festgelegt, und zwar nach Anzahl und Reihenfolge der Geburten gestaffelt.16 Derzeit werden für die ersten beiden Kinder jeweils 184 € gezahlt, für das dritte Kind 190 € und für das vierte und jedes weitere jeweils 215 €. Für die Höhe des Kindergeldes einerseits und des freizustellenden Existenzminimums anderseits ist Folgendes zu beachten: Soweit es um das Kindergeld als Sozialleistung geht, hat der Gesetzgeber nach Rechtsprechung des BVerfG einen weiteren Gestaltungsspielraum als dies bei der 11 Vgl. etwa BVerfGE 87, 153, Leitsätze 1-3, S. 169 bis 171. (Alle zitierten Entscheidungen des BVerfG sind online abrufbar unter Angabe des Entscheidungsbandes oder des Aktenzeichens unter www.juris.de). 12 BVerfGE 99, 246 (Leitsatz 1a). 13 Vgl. dazu auch allgemein den 9. Existenzminimumbericht der Bundesregierung, abrufbar unter http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2012/11/2012-11-07- PM74-anlage.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (letzter Abruf am 25.03.14). 14 Vgl. Vogel, Europarechtliche Anforderungen an das Einkommenssteuerrecht im Hinblick auf Kinder im Ausland und deren Umsetzung in ausgewählten Mitgliedstaaten, EWS 2012, 226 (229). 15 Vogel, EWS 2012, 226 (229), mit entsprechenden Nachweisen in Fn. 29. 16 Felix, in: Maydell/Ruland/Becker (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch, 5. Aufl. 2012, § 30, Rn. 30. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 8 steuerlichen Freistellung des Existenzminimums des Kindes der Fall ist.17 Im Hinblick auf das Kindergeld als Sozialleistung besteht keine Pflicht des Gesetzgebers auf Gewährung in einer bestimmten Höhe.18 Trägt der Gesetzgeber der Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit allerdings durch Sozialleistungen Rechnung, so müssen diese so bemessen sein, dass eine vergleichbare Entlastung eintritt.19 2.2. Kindergeld nach dem BKGG Bei dem Kindergeld nach dem BKGG handelt es sich materiell und formell ausschließlich um eine Leistung des Sozialrechts. Es setzt § 6 Abs. 1 SGB I um, wonach demjenigen, der Kindern Unterhalt zu leisten hat oder leistet, ein Recht auf Minderung der dadurch entstehenden wirtschaftlichen Belastungen zusteht.20 Nach § 68 Nr. 9 SGB I gilt das BKGG als besonderer Teil des SGB I. Das BKGG-Kindergeld kann nach § 25 Abs. 1 S. 1 SGB I nur in Anspruch genommen werden, wenn der Familienleistungsausgleich nach § 31 EStG nicht zur Anwendung gelangt. Hieraus erklärt sich auch der kleine Adressatenkreis des BKGG und seine nur geringe praktische Bedeutung : Erfasst werden nach § 1 Abs. 1 BKGG vor allem Personen, die im Inland nicht unbeschränkt steuerpflichtig sind oder nicht nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden und die die in § 1 Abs.1 Nr. 1 bis 4 BKGG genannten Voraussetzungen erfüllen . Im Ergebnis sind dies – mit Ausnahme der Vollwaisen nach § 1 Abs. 2 BKGG – vor allem Personen, die keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, gleichwohl aber eine gewisse „Verwurzelung mit dem Inland“ aufweisen.21 Weitere persönliche Voraussetzungen nach § 1 Abs. 3 BKGG gelten nur für „nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer“, so dass auch beim Kindergeld nach dem BKGG insoweit nicht zwischen deutschen Staatsangehörigen und EU-/EWR-Ausländern unterschieden wird.22 Weitgehend parallel laufen zudem die Anspruchsvoraussetzungen hinsichtlich der zu berücksichtigenden Kinder.23 Eine Abweichung besteht jedoch hinsichtlich des Aufenthaltsortes der 17 So Selder, in: Heuermann/Brandis, Blümich (Fn. 9), § 31 EStG, Rn. 24; Felix, in: Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch (Fn. 16), § 30, Rn. 30, jeweils mit Nachweisen aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung . Vgl. dazu BVerfGE, Beschluss vom 29.05.1990, 1 BvL 20/84, LS 2. 18 BVerfGE, Beschluss vom 29.05.1990, 1 BvL 20/84, Rn. 83, 88. 19 Vgl. BVerfGE, Beschluss vom 29.05.1990, 1 BvL 20/84, Leitsatz 2, UAbs. 2. 20 Felix, in: Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch (Fn. 16), § 30, Rn. 71. 21 Vgl. Felix, in: Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch (Fn. 16), § 30, Rn. 72: Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit oder Versicherungsfreiheit nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III; Tätigkeit als Entwicklungshelfer etc., Beamtentätigkeit bei einer Einrichtung außerhalb Deutschlands (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BKGG). 22 Siehe zur Bedeutung des wortgleichen § 62 Abs. 2 EStG, oben unter 2.1.2, S. 6. 23 Felix, in: Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch (Fn. 16), § 30, Rn. 75; Seewald, in: Leitherer, Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht (Fn. 2), § 6 SGB I, Rn. 17. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 9 Kinder. Nach § 2 Abs. 5 BKGG werden Kinder ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland grundsätzlich gar nicht berücksichtigt, es sei denn, sie sind im Haushalt der nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BKGG Berechtigten aufgenommen. Diese gilt aber für EU-Ausländer in gleicher Weise wie für deutsche Staatsangehörige, die auf Grundlage des BKGG anspruchsberechtigt sind. Im Übrigen wird Kindergeld nach dem BKGG ebenfalls monatlich und in der gleichen Höhe gezahlt wie das steuerrechtliche Kindergeld (vgl. §§ 5 und 6 BKGG und § 66 EStG). Entsprechend der Konzeption als Sozialleistung spielen steuerrechtliche Fragen und die Höhe des Existenzminimums hier keine Rolle. 2.3. Zusammenfassung Fasst man die Ausführungen unter 2.1. und 2.2. zusammen, so kann festgehalten werden, dass sich die geltende Rechtslage zum Kindergeld durch eine fehlende Differenzierung zwischen deutschen Staatsangehörigen einerseits und EU-Ausländern andererseits kennzeichnet. Es bestehen insoweit sowohl auf Grundlage des EStG als auch des BKGG keine Unterschiede hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen für den Kreis der Berechtigten und für die zu berücksichtigenden Kinder einschließlich der Frage ihres Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes, solange sich dieser in der EU befindet. Differenzierungen bestehen auch nicht in Bezug auf die Höhe des Kindergeldes und des nach EStG freizustellenden steuerlichen Existenzminimums des Kindes.24 3. Kindergeld und EU-Recht Für die Wechselwirkungen von Kindergeld nach deutschem Recht einerseits und dem EU-Recht andererseits ist zunächst die Doppelnatur des Kindergeldrechts von Bedeutung: neben seiner (einkommens-)steuerrechtlichen Verankerung weist es eine sozialrechtliche Natur auf. Die Ausgestaltung beider Bereiche – der sozialen Sicherheit zum einen und der direkten Steuern zum anderen – liegt in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.25 Hieraus folgt jedoch keine Freistellung von unionsrechtlichen Vorgaben. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH müssen die Mitgliedstaaten auch bei Ausübung der ihnen (verbliebenen) Zuständigkeiten das Unionsrecht beachten.26 Zu den dabei einzuhaltenden Unionsvorschriften gehören insbesondere die Grundfreiheiten und das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit nach Art. 18 Abs. 1 AEUV. 24 Die Regelung in § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG, wonach bei der Bestimmung des freizustellenden steuerlichen Existenzminimums nach EStG die wirtschaftlichen Verhältnisse anderer Wohnsitzstaaten berücksichtigt werden, findet insoweit keine Anwendung. Vgl. oben 2.1.3., S. 7 f. 25 Für den Bereich der sozialen Sicherheit vgl. etwa EuGH, Rs. C-70/95 (Sodemare u.a.), Slg. 1997, I-3395, Rn. 27, jeweils mit weiten Nachweisen. Für den Bereich der direkten Steuern, siehe bspw. EuGH, Rs. C-446/03 (Marks&Spencer), Slg. 2005, I-10837; Rn. 29, ebenfalls mit weiteren Nachweisen. (Alle zitierten Entscheidungen des Gerichtshofs der EU sind unter Angabe der Rs.-Nummer online abrufbar unter http://curia.europa.eu/juris/recherche.jsf?language=de). 26 Siehe die unter Fn. 25 angeführten Rechtsprechungsnachweise. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 10 Soweit diese primärrechtlichen Bestimmungen eine sekundärrechtliche Konkretisierung erfahren haben, sind die einschlägigen Bestimmungen der betreffenden Rechtsakte grundsätzlich vorrangig in der Anwendung.27 Vor allem als unionsrechtliche Prüfungsmaßstäbe für nationales Recht gehen sie dann den primärrechtlichen Bestimmungen vor. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die sekundärrechtliche Ausgestaltung der grundfreiheitlichen Diskriminierungsverbote oder des allgemeinen Inländergleichbehandlungsgebots in Art. 18 Abs. 1 AEUV.28 Für den hier zu erörternden Vorschlag über eine Begrenzung des Kindergeldes sind zwei Sekundärrechtsakte von Bedeutung, die den Grundfreiheiten und insbesondere der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV gegenüber vorrangig zur Anwendung gelangen: Zum einen die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (im Folgenden : VO 883/2004 – siehe sogleich unter 3.1.)29 und zum anderen die Verordnung (EU) Nr. 492/2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (im Folgenden: VO 492/2011 – siehe unter 3.2.).30 Nachfolgend werden kurz die Regelungsanliegen beider Rechtsakte dargestellt. Zugleich wird erörtert, ob und inwieweit das Kindergeld nach deutschem Recht von ihnen Anwendungsbereichen erfasst wird. 3.1. Koordinierungsverordnung Nr. 883/2004 Die VO 883/2004 ist der geltende Rechtsakt, mit dem die EU im Sinne des Art. 48 Abs. 1 AEUV die Herstellung der Freizügigkeit für Arbeitnehmer und Selbständige auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit gewährleistet.31 Regelungsanliegen der Verordnung ist nicht eine Vereinheitlichung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit, sondern deren Koordinierung.32 27 Vgl. Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. 2012, Rn. 789. 28 Husmann, Diskriminierungsverbot und Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 VO 1408/717 und der Art. 4 und 5 VO 883/2004, ZESAR 2010, S. 97 (98); Dern, in: Schreiber/Wunder/Dern (Hrsg.), VO (EG) Nr. 883/2004, 2012, Art. 4 VO 883/2004, Rn. 1. 29 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl.EU 2004 Nr. L 166/1 (konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:2004R0883:20130701:DE:PDF – letztmaliger Abruf am 25.03.14). 30 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011, ABl.EU 2011 Nr. L 141/1 (online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:141:0001:0012:DE:PDF – letztmaliger Abruf am 25.03.14). 31 Die Erweiterung der vormals in Art. 42 EG/Nizza enthaltenen Rechtssetzungskompetenz von Arbeitnehmern um Selbständige erfolgte erst durch den Vertrag von Lissabon, vgl. hierzu in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 51. EL, 2013, Art. 48 AEUV, Rn. 1 (wenngleich dort noch auf die Vorgängerregelung der VO 883/2004, die VO 1408/71, abgestellt wird). 32 EuGH, Rs. C-140/12 (Brey), noch nicht in amtl. Slg., Rn. 43. Allgemein zu dem im EU-Recht nicht näher definierten Begriff der Koordinierung, insbesondere in Abgrenzung zur sog. Harmonisierung, vgl. etwa Schulte, in: Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch (Fn. 16), § 33, Rn. 31; Schreiber, in: Schreiber/Wunder/Dern, VO 883/2004 (Fn. 28), Einleitung, Rn. 2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 11 Die VO 883/2004 hat die bis dahin einschlägige und im Jahr 1971 erlassene Koordinierungsverordnung 1408/71 aufgehoben (vgl. Art. 90 Abs. 1 VO 883/2004) 33, allerdings erst mit Wirkung zum 1. Mai 2010.34 Entsprechend liegen bisher nur wenige Urteile des EuGH zu den Bestimmungen der VO 883/2004 vor. Das Gros der Entscheidungen ist zur Vorgängerregelung und deren Auslegung ergangen. Da beide Rechtsakte das gleiche Regelungsanliegen kennzeichnet und beide zum Teil auch gleichlautende Bestimmungen enthalten, lassen sich Urteilsaussagen sowie einschlägiges Schrifttum zum alten Recht auf den neuen Rechtsakt weitgehend übertragen. Der sachliche Anwendungsbereich der VO 883/2004 ist abschließend in ihrem Art. 3 VO geregelt und umfasst die klassischen Zweige der sozialen Sicherung mit ihren typischen Risiken (u.a. Leistungen bei Krankheit, Alter, Invalidität, etc.).35 Dazu gehören nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. j) VO 883/2004 auch Familienleistungen. Nach der Legaldefinition in Art. 1 Buchst. z) VO 883/2004 sind darunter grundsätzlich alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten zu verstehen. Hierzu zählt unter anderem auch das Kindergeld nach deutschem Recht und zwar sowohl in seiner sozialrechtlichen als auch in seiner steuerrechtlichen Ausgestaltung.36 In persönlicher Hinsicht erfasst die VO 883/2004 u. a. alle Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten , für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten. Das Koordinierungsanliegen erreicht die VO 883/2004 vor allem durch die Bestimmung des in diesem Bereich anwendbaren mitgliedstaatlichen (Sozial-)Rechts (vgl. Art. 11 ff. VO 883/2004). Hierdurch sollen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zum einen die gleichzeitige Anwendung von Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten und die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten vermieden werden; zum anderen soll verhindert werden, dass Personen der Schutz im Bereich der sozialen Sicherheit vorenthalten wird, weil gar keine Rechtsvorschriften auf sie anwendbar sind.37 Vorbehaltlich von Sonderregelungen bestimmen die in Art. 11 Abs. 3 Buchst. a) 33 Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ABl.EG 1971 Nr. L 149/2 (letzte konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1971R1408:20080707:DE:PDF – letztmalig am 25.03.14). 34 Grund hierfür war, dass die Aufhebung der VO 1408/71 an den Zeitpunkt des Beginns der Anwendung der VO 883/2004 gebunden gewesen ist, der wiederrum nach Art. 91 Abs. 2 VO 883/2004 an den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Durchführungsverordnung zur VO 883/2004 gekoppelt war. Diese Durchführungsverordnung, die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl.EU 2009 Nr. L 284/1 (konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:2009R0987:20130108:DE:PDF – letztmaliger Abruf am 25.03.14), trat erst am 1. Mai 2010 in Kraft. Siehe zur Entstehungsgeschichte Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, 6. Aufl. 2013, Einf., Rn. 38. 35 Dern, in: Schreiber/Wunder/Dern, VO 883/2004 (Fn. 28), Art. 3, Rn. 1. 36 EuGH, Rs. C-16/09 (Schwemmer), Slg. 2010, I-9717, Rn. 33; BFH, Urt. v. 13.08.2002, VIII R 70/99, Leitsatz 1; Treiber, in: Heuermann/Brandis, Blümich (Fn. 9), § 62 EStG, Rn. 18; Dern, in: Schreiber/Wunder/Dern, VO 883/2004 (Fn. 28), Art. 1, Rn. 74. 37 Vgl. EuGH, Rs. C-140/12 (Brey), noch nicht in amtl. Slg., Rn. 40, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung . Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 12 bis e) VO 883/2004 enthaltenen Kollisionsnormen38, welches mitgliedstaatliche (Sozial-)Recht zu Anwendung gelangt: Danach unterliegen Arbeitnehmer und Selbständige grundsätzlich dem Recht des Beschäftigungsstaates (Buchst. a), wirtschaftlich nicht aktive Personen dagegen überwiegend den Vorschriften des Wohnmitgliedstaates (vgl. Buchst. c und e).39 Weitere Koordinierungsinstrumente der Verordnung sind die Beseitigung von Wohnortklauseln (vgl. Art. 67 VO 883/2004 für Familienleistungen sowie allgemein Art. 7 VO 883/2004), der Grundsatz der Sicherstellung von Anwartschaften (vgl. Art. 6 VO 883/2004) sowie das auf den Anwendungsbereich der Verordnung bezogene Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (vgl. Art. 4 VO 883/2004). 3.2. Freizügigkeitsverordnung Nr. 492/2011 Mit der VO 492/2011 konkretisiert der Unionsgesetzgeber vor allem die in Art. 45 AEUV enthaltenen Einzelgewährleistungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die aus dem Gebot der Inländergleichbehandlung folgen.40 Im Einzelnen geht es um die Rechte EU-ausländischer Arbeitnehmer auf gleichen Zugang zur Beschäftigung und auf Gleichbehandlung bei der Ausübung einer Beschäftigung . Inhaltlich geht dieser Rechtsakt im Wesentlichen auf die bereits 1968 erlassene erste Freizügigkeitsverordnung Nr. 1612/68 zurück, die in der Folgezeit mehrfach und erheblich geändert wurde.41 Anders als die VO 883/2004 ist die VO 492/2011 in persönlicher Hinsicht enger gefasst42 und bezieht nur die Art. 45 AEUV unterliegenden Personen ein, insbesondere Arbeitnehmer , sowie ihre Familienangehörigen. Für die hier relevante Frage ist Art. 7 Abs. 2 VO 492/2011 einschlägig. Danach genießt der EUausländische Arbeitnehmer im Beschäftigungsstaat u. a. die gleichen sozialen Vergünstigungen wie inländische Arbeitnehmer. Der Begriff der sozialen Vergünstigung wird durch den EuGH weit ausgelegt und erfasst nach dessen ständiger Rechtsprechung „alle Vergünstigungen, die – ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht – den inländischen Arbeitnehmern hauptsächlich wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres gewöhnlichen Wohnsitzes im Inland gewährt werden und deren Erstreckung auf Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten deshalb geeignet erscheint, ihre Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern “.43 38 Zum Begriff siehe Schulte, in: Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch (Fn. 16), § 33, Rn. 75. 39 Zu beiden Grundregeln finden sich in den Art. 12 ff. VO 883/2004 Ausnahmen für besondere Fallkonstellationen . 40 Vgl. Erwägungsgründe Nr. 2 und 3 der VO 492/2011 (Fn. 30). Siehe auch EuGH, Rs. C-287/05 (Hendrix), Slg. 2007, I-6909, Rn. 53. 41 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 1 der VO 492/2011 (Fn. 30). 42 Vgl. EuGH, Rs. C-111/91 (Kommission/Luxemburg), Slg. 1993, I-840, Rn. 20. 43 Siehe etwa EuGH, Rs. C-297/07 (Kommission/Deutschland), Slg. 2009, I-7811, Rn. 39, mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 13 Unter diese weite Begriffsdefinition fällt auch das deutsche Kindergeld, da es sich hierbei um eine Vergünstigung handelt, die zum einen inländischen Arbeitnehmern bereits aufgrund ihres Wohnsitzes gewährt wird. Zum anderen erscheint deren Erstreckung auf EU-ausländische Arbeitnehmer geeignet, deren Mobilität innerhalb der EU zu fördern. Ein entsprechendes EuGH- Urteil zu dieser Frage liegt – soweit ersichtlich – bisher allerdings noch nicht vor.44 In der Literatur wird unter Berufung auf den Grundsatz der Spezialität zum Teil die Ansicht vertreten, dass die Anwendung des Art. 7 Abs. 2 VO 492/2011 ausgeschlossen ist, wenn die von dieser Vorschrift erfasste Leistung – wie im Fall des Kindergeldes – zugleich der VO 883/2004 unterliegt.45 Der EuGH hat sich dieser Auffassung jedoch nicht angeschlossen. Nach dessen Rechtsprechung können beide Rechtsakte bei Überschneidung ihrer sachlichen Anwendungsbereiche parallel zur Anwendung kommen.46 Hierbei sind jedoch die in der VO 883/2004 zum Ausdruck kommenden Wertungen zu beachten.47 4. Zur Unionsrechtmäßigkeit des Begrenzungsvorschlags 4.1. Zum Inhalt des Begrenzungsvorschlags Der im Folgenden im Lichte der beiden EU-Verordnungen zu prüfende Vorschlag geht dahin, die Auszahlung des Kindergeldes für im EU-Ausland verbleibende Kinder von anspruchsberechtigten EU-Ausländern dergestalt zu begrenzen, dass allein ein existenzsicherndes Minimum auf Basis des Kostenniveaus des jeweiligen EU-ausländischen Mitgliedstaates gewährleistet wird.48 Dabei wird davon ausgegangen, dass die Auszahlung auf dem Kostenniveau des Herkunftslandes in der Regel zu einer Absenkung des Kindergeldes im Vergleich zu den für in Deutschland lebende Kinder geleisteten Beträgen führen würde. Regelungstechnisch zielt dieser Ansatz vor allem auf eine Änderung der Kindergeldbestimmungen nach dem EStG ab, da es nur in diesem Zusammenhang auf das Existenzminimum des Kindes ankommt.49 Wie ein solcher Vorschlag im derzeitigen System des Familienleistungsausgleich nach § 31 EStG, bei dem das Kindergeld in Abhängigkeit von der Einkommenshöhe sowohl Steu- 44 Als soziale Vergünstigungen anerkannt wurden bisher Familienleistungen wie Erziehungsgeld oder Fahrpreisermäßigung für kinderreiche Familien, vgl. die Nachweise aus der Rechtsprechung bei Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (Fn. 31), Art. 45 AEUV, Rn. 269. 45 So aber Schulte, in: Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch (Fn. 16), § 33, Rn. 141; Steinmeyer, in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht (Fn. 34), Art. 7 VO 492/2011, Rn. 9. 46 EuGH, Rs. C-111/91 (Kommission/Luxemburg), Slg. 1993, I-840, Rn. 21; EuGH, Rs. C-85/96 (Martínez Sala), Slg. 1998, I-2691, Rn. 27. Vgl. auch Husmann, ZESAR 2010, 97 (98). 47 Vgl. EuGH, Rs. C-287/05 (Hendrix), Slg. 2007, I-6909, Rn. 55; siehe dazu Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (Fn. 31), Art. 45 AEUV, Rn. 291. 48 Vgl. etwa den Bericht in der Wirtschaftswoche vom 11.01.2014, online abrufbar unter http://www.wiwo.de/politik/europa/bundestag-kindergeldanspruch-fuer-eu-auslaender-bestaetigt/9317908.html (letztmaliger Abruf am 25.03.14), in welchem der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Pätzold zitiert wird. 49 Vgl. oben unter 2.1.1., S. 4. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 14 ervergütung als auch Sozialleistung zugleich sein kann, regelungstechnisch im Einzelnen umgesetzt werden könnte, soll an dieser Stelle dahinstehen. Verwirklichen ließe er sich jedenfalls im Ergebnis durch eine Verringerung des für den Freibetrag maßgeblichen Existenzminimums des Kindes.50 Möglich wäre auch, ggf. zusätzlich, die Höhe des monatlichen Kindergeldes herabzusenken . Eine solche Lösung ließe sich auch für das BKGG erwägen, obgleich es sich bei diesem Kindergeld ausschließlich um eine Sozialleistung handelt. Von einer derartigen Umsetzung soll im Folgenden ausgegangen werden. 4.2. Prüfung am Maßstab der Koordinierungsverordnung VO 883/2004 Wie bereits oben dargestellt, ist das deutsche Kindergeld eine Familienleistung im Sinne der VO 883/2004. Für die folgende Prüfung des Begrenzungsvorschlags wird unterstellt, dass eine Konstellation vorliegt, in der für diese Art der Leistung nach den Kollisionsvorschriften der VO 883/2004 (zumindest auch)51 das deutsche Recht maßgeblich ist.52 Als Prüfungsmaßstab für den Begrenzungsvorschlag kommen drei Vorschriften der VO 883/2004 in Betracht: die speziell auf Familienleistungen bezogene Regelung in Art. 67 S. 1 VO 883/2004 zu Wohnortklauseln (siehe unter 4.2.1.), die allgemeine Vorschrift zur Beseitigung von Wohnortklauseln in Art. 7 VO 883/2004 (siehe unter 4.2.2.) und das Diskriminierungsverbot in Art. 4 VO 883/2004 (siehe unter 4.2.3.). Für das Verhältnis der drei Prüfungsmaßstäbe zueinander gilt der allgemein anerkannte Grundsatz , wonach die speziellere Norm der allgemeineren in der Anwendung vorrangig ist. Dies betrifft zum einen die Relation der beiden Bestimmungen zu Wohnortklauseln in Art. 67 S. 1 und Art. 7 VO 883/2004.53 Zum anderen lassen sich diese beiden Artikel auch als Konkretisierung des Diskriminierungsverbots in Art. 4 VO/883 verstehen, so dass dieses wiederum im Verhältnis zu 50 Vgl. bereits den nicht auf EU-Ausländer angewendeten § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG (siehe dazu oben unter 2.1.3., S. 7, sowie den Nachweis in Fn. 15). 51 Nach Art. 11 Abs. 1 VO 883/2004 sollen Personen grundsätzlich den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates unterliegen. Insbesondere bei Familienleistungen und verschiedenen mitgliedstaatlichen Aufenthaltsorten der Familienangehörigen sind Kumulierungen von Ansprüchen möglich. Siehe dazu sogleich unten unter 4.2.1.,S. 15 f. 52 Nach der Terminologie der VO 882/2004 würde man von den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaates sprechen, vgl. etwa Art. 67 S. 1 VO 883/2004. 53 Vor diesem Hintergrund zumindest missverständlich sind Aussagen im Schrifttum, wonach Art. 67 VO 883/2004 angesichts der allgemeinen Bestimmung zur Beseitigung von Wohnortklauseln in Art. 7 VO 883/2004 und der in Art. 5 VO 883/2004 normierten Tatbestandsgleichstellung kein eigenständiger Regelungsgehalt zukomme , so etwa Dern, in: Schreiber/Wunder/Dern, VO 883/2004 (Fn. 28), Art. 67 VO 883/2004, Rn. 1; Devetzi, in: Eichenhofer (Hrsg.), 50 Jahre nach ihrem Beginn - Neue Regeln für die Koordinierung sozialer Sicherheit, 2009, S. 294. Selbst wenn dies zutreffen sollte, so kann hieraus jedenfalls nicht der Schluss gezogen werden, dass Art. 67 S. 1 VO 883/2004 als Prüfungsmaßstab für nationales Recht gegenüber Art. 5 und 7 VO 883/2004 zurückzutreten hat. Denn dies würde den Grundsatz der Spezialität gerade umkehren. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 15 beiden Vorschriften zurücktreten müsste. 54 Aus Gründen der Vollständigkeit soll der Begrenzungsvorschlag im Folgenden an allen drei Artikeln gemessen werden. 4.2.1. Art. 67 S. 1 VO 883/2004 Nach Art. 67 S. 1 VO 883/2004 haben Personen auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates, so als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Anders formuliert gebietet diese Vorschrift, dass ein EU-ausländischer Wohnsitz der Familienangehörigen für die Gewährung von Familienleistungen keine Rolle spielen darf.55 Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Vorgängerbestimmung in Art. 73 VO 1408/71 sollte diese vor allem verhindern, „dass ein Mitgliedstaat die Gewährung oder die Höhe von Familienleistungen davon abhängig machen kann, dass die Familienangehörigen […] in dem die Leistung erbringenden Mitgliedstaat wohnen“.56 Erfasst wurde somit nicht nur der Ausschluss einer Familienleistung aufgrund des Wohnsitzes, sondern auch Änderungen der Höhe. Zwar steht die Bestätigung dieser Rechtsprechung für Art. 67 S. 1 VO 883/2004 noch aus. Angesichts des nahezu gleichen Wortlauts57 ist eine Übertragbarkeit auf die neue Rechtslage anzunehmen. Hiervon ausgehend ist der Begrenzungsvorschlag mit Art. 67 S. 1 VO 883/2004 unvereinbar, weil er für im EU-Ausland lebende Kinder entweder von einer Reduktion des anzusetzenden Existenzminimums oder einer Kürzung des Kindergeldes ausgeht. Der Vollständigkeit halber ist in diesem Zusammenhang auf die Prioritätsregel des Art. 68 VO 883/2004 hinzuweisen. Leben der Ehegatte und – wie hier – Familienangehörige im EU-Ausland, bestehen nicht selten auch nach dem Recht des Wohnsitzmitgliedstaates Ansprüche auf Familienleistungen . Um ungerechtfertigte Doppelleistungen zu vermeiden (vgl. Erwägungsgrund Nr. 35 VO 883/2004), sieht Art. 68 Abs. 1 VO 883/2004 im Fall der Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen aus verschiedenen Mitgliedstaaten Regeln vor, die festlegen, welcher der 54 So Husmann, ZESAR 2010, 97 (102) für die alte Rechtslage mit Verweis auf EuGH-Rechtsprechung, u. a. in EuGH, Rs. C-321/93 (Imbernon Martínez), Slg. 1995, I-2836, Rn. 21 ff; EuGH, verb. Rs. C-245/94 u. C-312/94 (Hoever und Zachow), Slg. 1996, I-4926, Rn. 34 ff., in der Wohnortklauseln im Zusammenhang mit Familienleistungen allein am Maßstab des Art. 73 VO 1408/71 gemessen wurden und nicht am Maßstab des in Art. 3 VO 1408/71 verankerten Diskriminierungsverbots. Vgl. für die neue Rechtslage im Verhältnis von Art. 4 VO 883/2004 und dem Tatbestandsgleichstellung in Art. 5 VO 883/2004 Bokeloh, Die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen in der Europäischen Sozialrechtskoordinierung, ZESAR 2013, 398 (404). Anders hingegen Schuler, in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht (Fn. 34), Art. 7 VO 883/2004, Rn. 2, sofern der Regelung keine Differenzierung nach dem Wohnort, sondern unmittelbar nach Staatsangehörigkeit zugrunde liege. 55 Vgl. Dern, in: Schreiber/Wunder/Dern, VO 883/2004 (Fn. 28), Art. 67 VO 883/2004, Rn. 1. 56 EuGH, Rs. C-321/93 (Imbernon Martínez), Slg. 1995, I-2836, Rn. 21; EuGH, verb. Rs. C-245/94 u. C-312/94 (Hoever und Zachow), Slg. 1996, I-4926, Rn. 34. 57 Art. 73 VO 1408/71 lautete: Ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, hat, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten. Geändert hat sich nach neuem Recht im Wesentlichen nur der Kreis der Berechtigten. Der Regelungsgehalt in Bezug auf den EUausländischen Wohnsitz ist hingegen der Gleiche. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 16 Staat vorrangig zuständig ist. Wie mit den Ansprüchen nach dem Recht des nachrangigen Mitgliedstaates zu verfahren ist, bestimmt dann Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004. Nach dem in S. 1 dieser Bestimmung enthaltenen Grundsatz sind die nachrangigen Ansprüche bis zur Höhe der vorrangigen Ansprüche auszusetzen, wobei erforderlichenfalls ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistung zu gewähren ist.58 Im Fall des Zusammentreffens von Kindergeldansprüchen aus verschiedenen Mitgliedstaaten können sich somit in Anwendung und nach Maßgabe des Art. 68 VO 883/2004 Kürzungen eines Kindergeldanspruchs ergeben. Diese sind allerdings unionsrechtlich vorgegeben und orientieren sich nicht – anders als dem Begrenzungsvorschlag zugrunde liegend – am Kostenniveau des jeweils als nachrangig anzusehenden Mitgliedstaates. 4.2.2. Art. 7 VO 883/2004 Art. 7 VO 883/2004 beinhaltet das allgemeine und umfassende Gebot zur Beseitigung von Wohnortklauseln . Danach dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen , in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat. Dies gilt allerdings nur, sofern in der Verordnung nichts anderes bestimmt ist. In anderen Worten enthält Art. 7 VO 883/2004 das grundsätzliche Gebot, Geldleistungen ohne Rücksicht auf den Wohnort des Leistungsberechtigten oder seiner Familienangehörigen zu erbringen (sog. Grundsatz der Exportierbarkeit von Leistungen59).60 Ausweislich des Wortlauts ist nach Art. 7 VO 883/2004 nicht nur der Leistungsentzug mit Verweis auf einen EU-ausländischen Wohnsitz verboten, sondern auch die Kürzung oder Änderung der Leistung. Soweit der Grundsatz der Exportierbarkeit auch für Familienleistungen gilt bzw. die VO 883/2004 nicht etwas anderes bestimmt, wäre der Begrenzungsvorschlag auch mit Art. 7 VO 883/2004 unvereinbar. Abweichende Vorschriften sieht die VO 883/2004 vor allem für Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach Art. 64 und 65 VO 883/2004 sowie für sog. beitragsunabhängige Geldleistungen nach Art. 70 VO 883/2007 vor.61 Für Familienleistungen sind lediglich die oben beschriebenen Prioritäts- 58 Eine Ausnahme für die Gewährung des Unterschiedsbetrags enthält Art. 68 Abs. 2 S. 2 VO 883/2004. Danach muss ein solcher Betrag nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird. 59 Dern, in: Schreiber/Wunder/Dern, VO 883/2004 (Fn. 28), Art. 7 VO 883/2004, Rn. 1. 60 Vgl. etwa Schuler, in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht (Fn. 34), Art. 7 VO883/2004, Rn. 3. 61 Siehe dazu Dern, in: Schreiber/Wunder/Dern, VO 883/2004 (Fn. 28), Art. 7 VO 883/2004, Rn. 10, 13; Devetzi, Auswirkungen der Wohnsitzverlegung auf den sozialrechtlichen Leistungsexport in Europa, ZESAR 2009, 63 (64). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 17 regeln des Art. 68 VO 883/2004 zu beachten.62 Diese könnten im Einzelfall zu einer Einschränkung führen.63 Hieraus folgt, dass der Begrenzungsvorschlag, der undifferenziert auf eine Absenkung des Existenzminimums bzw. eine Kürzung des Kindergeldes bei EU-ausländischem Wohnsitz zielt, jedenfalls in dieser Pauschalität mit Art. 7 VO 883/2004 unvereinbar ist. Eine Möglichkeit, den im Begrenzungsvorschlag enthaltenen Verstoß gegen Art. 7 VO 883/2004 zu rechtfertigen, besteht nach Ansicht des Verfassers nicht. Im Schrifttum finden sich zwar Bezugnahmen auf EuGH-Rechtsprechung, wonach eine Versagung der Leistungsexports immer rechtfertigungsbedürftig ist.64 Dies impliziert jedoch nicht, dass Abweichungen stets rechtfertigungsfähig sind. Ein solcher Schluss lässt sich der zitierten Rechtsprechung gerade nicht entnehmen : Betrachtet man die EuGH-Urteile, in denen die Rechtfertigung einer Nicht-Exportierbarkeit erörtert wurde, so ging es zum einen um Konstellationen, in denen das koordinierende EU- Sozialrecht ein Gebot des Leistungsexports für die in Streit stehende Sozialleistung gerade nicht enthielt.65 In diesen Fällen wurde das nationale Recht, welches einer Exportierbarkeit entgegenstand , entsprechend nicht an der Koordinierungsverordnung gemessen, sondern direkt am Maßstab der primärrechtlichen Gewährleistung, insbesondere der Arbeitnehmerfreizügigkeit oder – bei wirtschaftlicher Inaktivität – an der unionsbürgerlichen Freizügigkeit.66 Beide Bestimmungen verbieten nur solche Eingriffe, die nicht gerechtfertigt sind.67 Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, da Art. 7 VO 883/2004 Familienleistungen erfasst und Abweichungen nur auf Grundlage des Art. 68 VO 883/2004 zulässt. Soweit die VO 883/2004 in sachlicher und persönlicher Hinsicht reicht, ist der Begrenzungsvorschlag allein an ihrem Maßstab zu messen. Raum für eine Anwendung der Grundfreiheiten und damit für eine Rechtfertigungsprüfung besteht insoweit nicht. Zum anderen ging es um einen Fall, in dem das koordinierende Sozialrecht selbst Ausnahmen von der Exportierbarkeit statuierte. Hier unterzog der EuGH die entsprechenden sekundärrechtlichen Bestimmungen einer Rechtfertigungsprüfung.68 Auch diese Konstellation ist hier nicht einschlägig , da es hier nicht um eine auf die VO 883/2004 gestützte Abweichung von dem Grund- 62 Siehe oben unter 4.2.1., S. 15. 63 Schuler, in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht (Fn. 34), Art. 7 VO 883/2004, Rn. 13. 64 So etwa Devetzi, ZESAR 2009, 63 (68); Dern, in: Schreiber/Wunder/Dern, VO 883/2004 (Fn. 28), Art. 7 VO 883/2004, Rn. 9. 65 Vgl. EuGH, Rs. C-406/04 (De Cuyper), Slg. 2006, I-6947, Rn. 37; EuGH, Rs. C-228/07 (Petersen), Slg. 2008, I- 6989, Rn. 38 ff. 66 Siehe die in Fn. 65 aufgeführten Urteile, Rn. 35, 39 ff. bzw. Rn. 42 ff. 67 Vgl. zur dogmatischen Struktur beider Gewährleistungen etwa Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht (Fn. 27), Rn. 788 ff., insb. 809 bzw. 738 ff. 68 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-396/05, C-419/05 u. C-450/05 (Habelt u.a.), Slg. 2007, I-11895 , Rn. 86 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 18 satz der Exportierbarkeit geht, sondern um den Vorschlag einer nationalen Maßnahme im Anwendungsbereich der VO 883/2004. Ein Möglichkeit, den in dem Begrenzungsvorschlag enthaltenen Verstoß gegen Art. 7 VO 883/2004 zu rechtfertigen, besteht somit nicht. 4.2.3. Art. 4 VO 883/2004 Der Begrenzungsvorschlag könnte schließlich gegen Art. 4 VO 883/2004 verstoßen. Diese Bestimmung enthält das im Anwendungsbereich der VO 883/2004 geltende Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung haben – sofern die Verordnung nichts anderes bestimmt – Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Ebenso wie die primärrechtlichen Diskriminierungsverbote verbietet auch Art. 4 VO 883/2004 in seinem Anwendungsbereich offene und versteckte Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit .69 Eine offene Diskriminierung liegt vor, wenn die betreffende Rechtsvorschrift eine Ungleichbehandlung ausdrücklich an die Staatsangehörigkeit knüpft.70 Eine versteckte Diskriminierung ist dagegen dadurch gekennzeichnet, dass die fragliche Rechtsvorschrift eine unterschiedliche Behandlung an ein anderes, scheinbar neutrales Kriterium knüpft, im Ergebnis aber überwiegend EU-Ausländer hiervon betroffen sind.71 Voraussetzung in beiden Fällen ist zudem, dass die ungleich behandelten Personengruppen bzw. Sachverhalte vergleichbar sind.72 Ferner darf die Ungleichbehandlung nicht durch objektive, von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer unabhängige Erwägungen gerechtfertigt sein und muss in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck stehen, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt wird.73 Betrachtet man den Begrenzungsvorschlag in diesem Licht, kommen – je nach konkreter Ausgestaltung – beide Diskriminierungsformen in Betracht. Dabei soll zuerst die Art der Ungleichbehandlung untersucht werden (siehe unter 4.2.3.1. und 4.2.3.2.) und im Anschluss hieran die Vergleichbarkeit (siehe unter 4.2.3.3.) sowie die Rechtfertigung (siehe unter 4.2.3.4.). 69 Siehe etwa EuGH, Rs. C-124/99 (Borawitz), Slg. 2001, I-2261, Rn. 23 f. Ob man die Rechtfertigung aus objektiven Erwägungen als Tatbestandsmerkmal der Diskriminierung ansieht, wie dies im zitierten Urteil wohl der Fall ist, oder als Element der Rechtfertigung einer Diskriminierung, ist vorliegend im Ergebnis nicht von Bedeutung. 70 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht (Fn. 27), Rn. 716, 795, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 71 Siehe den Nachweis in Fn. 70. 72 EuGH, Rs. C-279/93 (Schumacker), Slg. 1995, I- 249, Rn. 29 ff. 73 EuGH, Rs. C-124/99 (Borawitz), Slg. 2001, I-2261, Rn.26. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 19 4.2.3.1. Offene Ungleichbehandlung Soweit der Begrenzungsvorschlag nur für EU-Ausländer gelten soll, ein EU-ausländischer Wohnsitz von Kindern deutscher Staatsangehöriger entsprechend nicht zu einer Kürzung führen würde , wäre von einer „offenen“ Ungleichbehandlung auszugehen. Denn diese würde im Hinblick auf die Höhe des zu berücksichtigenden Existenzminimums bzw. des Kindergeldes direkt an die Staatsangehörigkeit anknüpfen und ausschließlich EU-ausländische Kindergeldberechtigte, deren Kinder im EU-Ausland leben, benachteiligen. 4.2.3.2. Versteckte Ungleichbehandlung Soweit der Begrenzungsvorschlag hingegen für alle anspruchsberechtigten Personen zur Anwendung gelangen soll, deren zu berücksichtigende Kinder im EU-Ausland leben, würde ein Fall „versteckter“ Ungleichbehandlung vorliegen. Unterscheidungskriterium wäre hier nicht die Staatsangehörigkeit der Kindergeldbezieher, sondern das scheinbar neutrale Kriterium des Wohnortes des zu berücksichtigenden Kindes. Ein Wohnsitzerfordernis ist jedoch das wohl klassische Beispiel für den Fall einer mittelbaren Diskriminierung.74 Gerade mit Blick auf die hier vorliegende Konstellation liegt es auf der Hand, dass weit überwiegend Kinder von EU-Ausländern einen EU-ausländischen Wohnsitz haben. Die Begrenzung würde vornehmlich deren Eltern und nicht deutsche Staatsangehörige treffen. 4.2.3.3. Vergleichbarkeit Das Merkmal der Vergleichbarkeit von Personengruppen bzw. Sachverhaltskonstellationen wird vom EuGH im Zusammenhang mit dem Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit nur selten gesondert geprüft, weil Inländer und EU-Ausländer bereits nach dem Telos dieses Diskriminierungsverbots im Grundsatz als vergleichbar anzusehen sind.75 Ausnahmsweise kann hiervon jedoch abgewichen werden. So hat der EuGH etwa im Zusammenhang mit der Beurteilung von Regelungen des Einkommenssteuerrechts, die zwischen Gebietsansässigen und Gebietsfremden unterschieden, eine Vergleichbarkeit beider Personengruppen und damit letztlich auch eine (mittelbare) Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit grundsätzlich abgelehnt.76 Betrachtet man den Begrenzungsvorschlag in beiden Ausgestaltungsvarianten unter dem Gesichtspunkt der Vergleichbarkeit, so könnte erwogen werden, diese unter Verweis auf die verschiedenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Lebenshaltungskosten in den einzelnen EU-Wohnsitzstaaten der Kinder abzulehnen. 74 Vgl. etwa Husmann, ZESAR 2010, 97 (103); Fuchs, in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht (Fn. 34), Art. 4 VO 883/2004, Rn. 2. Allgemein siehe Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht (Fn. 27), Rn. 716, 795; jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 75 Vgl. hierzu allgemein von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (Fn. 31), Art. 18 AEUV, Rn. 1. 76 Siehe aber EuGH, Rs. C-279/93 (Schumacker), Slg. 1995, I- 249, Rn. 30. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 20 Hiergegen spricht jedoch, dass die Verordnung selbst in dem hier relevanten Bereich der Familienleistungen – ungeachtet der unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zwischen den Mitgliedstaaten – Wohnortklauseln grundsätzlich verbietet. Der Unionsgesetzgeber gibt in Art. 67 und 7 VO 883/2004 gerade vor, dass es nicht darauf ankommen darf, wo Familienangehörige ihren Wohnsitz haben. Dies gilt zwar nicht absolut, sondern nur insoweit, als die Verordnung nicht selbst Abweichungen vorsieht. Für Familienleistungen bestehen – mit Ausnahme der Prioritätsregeln in Art. 68 VO 883/2004 – aber keine Abweichungen. Diese gesetzgeberische Wertung bestimmt auch die Auslegung des Diskriminierungsverbots in Art. 4 VO 883/2004. Ungeachtet möglicher wirtschaftlicher Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten ist somit von einer Vergleichbarkeit der im Inland und im EU-Ausland wohnhaften Kinder, die beim Kindergeldanspruch zu berücksichtigen sind, auszugehen. 4.2.3.4. Rechtfertigung Weder für die direkt an die Staatsangehörigkeit noch die daran mittelbar über die Wohnsitzanforderung anknüpfende Ungleichbehandlung lassen sich dem Begrenzungsvorschlag objektive, von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Personen unabhängige Erwägungen entnehmen. Es ist zudem fraglich, ob sich hierfür überhaupt Sachgründe finden lassen, die eine derartige Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich auch eine Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der bei Vorliegen einer zulässigen objektiven Erwägung zu beachten gewesen wäre. Ausgehend von einem Fehlen entsprechender Rechtfertigungsgründe ist der Begrenzungsvorschlag somit auch mit Art. 4 VO 883/2004 unvereinbar. 4.2.4. Zwischenergebnis Der Begrenzungsvorschlag ist mit dem oben genannten Inhalt mit der Vorschrift in Art. 67 S. 1 VO 883/2004 zu Wohnortklauseln bei Familienleistungen, mit der allgemeinen Bestimmung zur Beseitigung von Wohnortklauseln in Art. 7 VO 883/2004 sowie mit dem Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit nach Art. 4 VO 883/2004 nicht vereinbar. 4.3. Prüfung am Maßstab von Art. 7 Abs. 2 der Freizügigkeitsverordnung VO 492/2011 Wie oben bereits dargestellt wurde, gewährt Art. 7 Abs. 2 VO 492/2011 einen Anspruch u.a. auf die gleichen sozialen Vergünstigungen wie sie für inländische Arbeitnehmer bestehen.77 Darunter fällt auch das Kindergeld nach deutschem Recht. Das in dieser Bestimmung enthaltene Diskriminierungsverbot verbietet als Konkretisierung des Art. 45 Abs. 2 AEUV – ebenso wie Art. 4 VO 883/2004 – offene und versteckte Diskriminierungen.78 Auch hier gilt, dass die unterschiedlich behandelten Personengruppen/Sachverhalte vergleichbar sein müssen. Ebenso ist eine 77 Siehe oben unter 3.2., S. 12f. 78 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (Fn. 31), Art. 45 AEUV, Rn. 290. Vgl. aus der Rechtsprechung für die inhaltsgleiche Vorgängerregelung in Art. 7 Abs. 2 VO 1612/68, EuGH, Rs. C- 237/94 (O’Flynn), Slg. 1996, I-2617, Rn. 17; EuGH, Rs. C-57/96 (Meints), Slg. 1997, I-6689, Rn. 44. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 21 Rechtfertigung möglich, soweit die Ungleichbehandlung durch objektive, von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer unabhängige Erwägungen gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck steht, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt wird.79 Für die Prüfung des Begrenzungsvorschlags kann daher entsprechend auf die obigen Ausführungen zum Diskriminierungsverbot nach Art. 4 VO 883/2004 verwiesen werden.80 Nach der Rechtsprechung sind zudem die im Anwendungsbereich der VO 883/2004 vorgenommenen Wertungen im Rahmen des Diskriminierungsverbots gemäß Art. 7 Abs. 2 VO 492/2011 zu beachten81, so dass auch hier von einer Vergleichbarkeit der betroffenen Personengruppen auszugehen ist. Fraglich ist, ob im Rahmen des Art. 7 Abs. 2 VO 492/2011 auf der Ebene der Rechtfertigung geltend gemacht werden könnte, dass eine besondere Bindung der betreffenden Kinder zur Gesellschaft des leistungsgewährenden Staates anhand des Wohnortes nachzuweisen ist. 82 Dieser Ansatz greift jedoch vorliegend im Ergebnis nicht durch. Denn zum einen ließ der EuGH in den einschlägigen Urteilen, in denen eine darauf abstellende Rechtfertigung im Zusammenhang mit dem deutschen Elterngeld vorgetragen wurde, Zweifel erkennen, ob das Wohnsitzkriterium überhaupt als alleiniges Merkmal zur Feststellung der hinreichenden Bindung zulässig sein könnte.83 Zum anderen betonte er, dass das streitige nationale Recht auch andere Kriterien vorsah, die eine solche Bindung zum Ausdruck bringen können, wie etwa eine (nicht nur geringfügige) Erwerbstätigkeit im Inland.84 Da die VO 492/2011 in persönlicher Hinsicht nur Arbeitnehmer erfasst, würde in der Regel – unabhängig vom Wohnsitz des anspruchsberechtigten Arbeitnehmers – eine inländische Erwerbstätigkeit vorliegen. Im Übrigen knüpft der Begrenzungsvorschlag nicht an den Wohnsitz des Kindergeldberechtigten an, sondern an den seiner Kinder. Ferner zielt er bloß auf eine Reduktion des Kindergelds ab. Hierfür erscheint der Rechtfertigungsansatz des Bindungsnachweises zur Gesellschaft des leistungsgewährenden Mitgliedstaates als generell nicht geeignet und zwar unabhängig von dem Wohnsitzkriterium. Denn in diesen Fällen kann es allenfalls um das Bestehen oder Nichtbestehen der Bindung und damit um den Zugang zur Leistung als solcher gehen, nicht aber um graduelle Abstufungen im Hinblick auf die Leistungshöhe. Eine Rechtfertigung der möglichen Un- 79 Vgl. für die inhaltsgleiche Vorgängerregelung in Art. 7 Abs. 2 VO 1612/68, EuGH, Rs. C-237/94 (O’Flynn), Slg. 1996, I-2617, Rn. 19; EuGH, Rs. C-57/96 (Meints), Slg. 1997, I-6689, Rn. 45. 80 Siehe oben unter 4.2.3., S. 18 f. 81 Siehe oben unter 3.2., S. 12, Fn. 47. 82 So der Vortrag Deutschlands in zwei Verfahren zur Vorgängerregelung des Art. 7 Abs. 2 VO 492/2011, siehe EuGH, Rs. C-212/05 (Hartmann), Slg. 2007, I-6303, Rn. 32 ff., sowie in EuGH, Rs. 213/05 (Geven), Slg. 2007, I- 6347, Rn. 22 f. Siehe hierzu auch Devetzi, ZESAR 2009, 63 (67f.) 83 EuGH, Rs. C-212/05 (Hartmann), Slg. 2007, I-6303, Rn. 34, sowie in EuGH, Rs. 213/05 (Geven), Slg. 2007, I-6347, Rn. 23. 84 Vgl. EuGH, Rs. C-212/05 (Hartmann), Slg. 2007, I-6303, Rn. 36, sowie in EuGH, Rs. 213/05 (Geven), Slg. 2007, I- 6347, Rn. 25 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 22 gleichbehandlungen kommt daher auch im Rahmen des Art. 7 Abs. 2 VO 492/2011 nicht in Betracht . Folglich verstößt der Begrenzungsvorschlag ebenso gegen Art. 7 Abs. 2 VO 492/2011. 5. Rechtsschutzmöglichkeiten Betroffener Sollte der Begrenzungsvorschlag geltendes Recht werden und entsprechend im EStG und/oder im BKGG umgesetzt werden, könnten sich Betroffene, deren zu berücksichtigende Kinder in anderen Mitgliedstaaten wohnhaft sind, mit den Rechtsbehelfen des innerstaatlichen Rechts dagegen zu Wehr setzen. Im Einzelnen ist zwischen Kindergeld nach EStG und nach BKGG zu unterscheiden . Im Fall einer Änderung des EStG-Kindergeldes ist nach Abschluss des behördlichen Einspruchsverfahrens gegen die Festsetzung des Kindergeldes vor den zuständigen Familienkassen (vgl. § 347 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO; § 367 Abs. 1 S. 1 AO, § 70 Abs. 1 EStG) der Rechtsweg zu den Finanzgerichten gegeben, da es sich beim Kindergeld nach dem EStG um eine Abgabenangelegenheit im Sinne des § 33 Abs. 1 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) handelt.85 Im Fall einer Änderung des BKGG-Kindergeldes besteht nach Abschluss des behördlichen Widerspruchsverfahrens gegen die Festsetzung des Kindergeldes vor den zuständigen Familienkassen der Rechtsweg zu den Sozialgerichten, §§ 15 BKGG, 51 Abs. 1 Nr. 10, 78 ff. Sozialgerichtsbarkeitsgesetz (SGG).86 Die angerufenen nationalen Finanz- oder Sozialgerichte können die Kindergeldfestsetzungen sowie ihre Rechtsgrundlagen im EStG bzw. BKGG direkt am Maßstab der oben angeführten Bestimmungen in der VO 883/2004 sowie der VO 492/2011 auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen. Verordnungen sind nach Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV in allen ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Haben die Gerichte Zweifel an der Auslegung der einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften als Prüfungsmaßstab für das nationale Recht, können sie entsprechende Fragen an den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 1 Buchst. b) Var. 2 AEUV, Abs. 2 AEUV richten und die nationalen Rechtsstreitigkeiten solange aussetzen.87 Ein Verstoß gegen die Bestimmungen der VO 883/2004 bzw. der VO 492/2011 würde aufgrund des unionalen Anwendungsvorrangs zur Unanwendbarkeit der entsprechenden Gesetzesvorschriften im EStG bzw. BKGG88 und zur Aufhebung der darauf gestützten Kindergeldfestsetzungen führen. 85 Siehe im Einzelnen Felix, in: Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch (Fn. 16), § 30, Rn. 56. 86 Siehe im Einzelnen Felix, in: Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch (Fn. 16), § 30, Rn. 116. 87 Handelt es sich um ein letztinstanzliches Gericht, so besteht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV eine Vorlagepflicht an den EuGH. Vgl. hierzu Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht (Fn. 27), Rn. 562 ff. 88 Der unionale Anwendungsvorrang führt nicht zur Nichtigkeit/Ungültigkeit des betreffenden Gesetzes, vgl. dazu allgemein Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht (Fn. 27), Rn. 178 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 08/14 Seite 23 In materieller Hinsicht wäre zu beachten, dass sich – bei Ausgestaltung des Begrenzungsvorschlags als versteckte Diskriminierung89 – betroffene deutsche Staatsangehörige in einer Rechtstreitigkeit um eine Kindergeldfestsetzung nicht auf die Diskriminierungsverbote in Art. 4 VO 883/2004 bzw. Art. 7 Abs. 2 VO 492/2011 berufen könnten, da diese nur EU-Ausländer vor Benachteiligungen schützen, nicht aber Inländer.90 Dies ist jedoch im Ergebnis unschädlich, da die als Prüfungsmaßstäbe vorrangig zur Anwendung gelangenden Art. 67 S. 1 und 7 VO 883/2004 Wohnortklauseln unabhängig von der Staatsangehörigkeit verbieten. Neben den nationalen Rechtsbehelfen bestünde für Betroffene die Möglichkeit, sich mit einer Beschwerde an die EU-Kommission zu wenden.91 In deren politischem Ermessen stünde sodann die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland nach Art. 258 AEUV wegen Verstoßes gegen die einschlägigen Verordnungsbestimmungen der VO 883/2004 bzw. VO 492/2011. 6. Zusammenfassung Der Vorschlag, die Auszahlung des Kindergeldes für im EU-Ausland verbleibende Kinder von anspruchsberechtigten EU-Ausländern dergestalt zu begrenzen, dass allein ein existenzsicherndes Minimum auf Basis des Kostenniveaus des jeweiligen EU-ausländischen Mitgliedstaates gewährleistet wird, ist mit Unionsrecht unvereinbar. Er verstößt gegen die Bestimmung in Art. 67 S. 1 VO 883/2004 zu Wohnortklauseln bei Familienleistungen, gegen die allgemeine Bestimmung zur Beseitigung von Wohnortklauseln in Art. 7 VO 883/2004 und gegen das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit in Art. 4 VO 883/2004. Des Weiteren liegt ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Zusammenhang mit sozialen Vergünstigungen in Art. 7 Abs. 2 VO 492/2011 vor. Die genannten Verordnungsvorschriften gelangen gegenüber den primärrechtlich verankerten Grundfreiheiten vorrangig zur Anwendung. Sollte der Vorschlag in geltendes Recht umgesetzt werden, könnten Betroffene, insbesondere EU- Ausländer, hiergegen nach Durchführung des behördlichen Vorverfahrens vor innerstaatlichen Gerichten vorgehen und einen Verstoß gegen die genannten, unmittelbar anwendbaren Verordnungsbestimmungen geltend machen. Das den Vorschlag umsetzende nationale Gesetz wäre unanwendbar und die darauf beruhenden Kindergeldfestsetzungen aufzuheben. - Fachbereich Europa - 89 Siehe oben unter 4.2.3.2., S. 19. 90 Allgemein zur (Nicht-)Anwendung des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit auf Inländer , Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht (Fn. 27), Rn. 710, 717. 91 Siehe hierzu Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (Fn. 31), Art. 258 AEUV, Rn. 15 f. Vgl. auch Mitteilung der Kommission – Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts durch einen Mitgliedstaat: Standardformular zwecks Einreichung einer Beschwerde bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, ABl.EU 1999 Nr. L C 119/5 (online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:1999:119:0005:0007:DE:PDF – letztmaliger Abruf am 25.03.14).