© 2018 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 – 007/18 Rechtsgrundlage und Subsidiarität des Vorschlags der Europäischen Kommission zur Überführung des Europäischen Stabilitätsmechanismus in einen Europäischen Währungsfonds Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 2 Rechtsgrundlage und Subsidiarität des Vorschlags der Europäischen Kommission zur Überführung des Europäischen Stabilitätsmechanismus in einen Europäischen Währungsfonds Aktenzeichen: PE 6 - 3000 – 007/18 Abschluss der Arbeit: 25. Januar 2018 Fachbereich: PE 6 – Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 1.1. Hintergründe 4 1.2. Fragestellung 5 2. Art. 352 AEUV als Rechtsgrundlage für den Vorschlag in COM(2017) 827 final 5 2.1. Anwendungsvoraussetzungen von Art. 352 AEUV 5 2.2. Fehlen spezieller Befugnisse zum Handeln 6 2.2.1. Fehlende Befugnis für Wahrnehmung der Aufgaben des ESM 7 2.2.1.1. Handlungsbefugnis der Union zur Gewährung von Stabilitätshilfen an Euro-Mitgliedstaaten zur Gewährleistung der Finanzstabilität im Euro-Währungsgebiet 7 2.2.1.1.1. Art. 122 AEUV 8 2.2.1.1.2. Art. 143 AEUV 8 2.2.1.1.3. Art. 133 AEUV 8 2.2.1.1.4. Art. 136 AEUV 9 2.2.1.2. Präjudizierung der Anwendbarkeit von Art. 352 AEUV 10 2.2.1.3. Kompetenzielle Grenzen 11 2.2.1.3.1. Maßstäbe 12 2.2.1.3.2. Zuständigkeit 13 2.2.1.3.3. Folgerungen 15 2.2.2. Fehlende Befugnis für die Unterstützung des SRB 16 2.2.2.1. Hintergrund der projektierten Unterstützung des SRB durch den EWF 16 2.2.2.2. Maßstäbe und Anwendungsbereich von Art. 114 AEUV 17 2.2.2.3. Folgerungen 17 2.3. Handeln zur Verwirklichung der Ziele der Verträge 18 2.4. Handeln im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche 20 2.5. Erforderlichkeit des Handelns 20 2.5.1. Maßstab 20 2.5.2. Rechtliche Überprüfbarkeit der Kommissionsbegründung 21 2.5.3. Begründung des Erfordernisses der Einrichtung eines EWF 22 2.5.3.1. Einheit 23 2.5.3.2. Effizienz 25 2.5.3.3. Demokratische Rechenschaftspflicht 27 2.6. Zusammenfassung 30 3. Fragen der Subsidiarität – Einbeziehung nationaler Parlamente 30 3.1. Subsidiaritätsrüge 30 3.2. Weitere Beteiligungsrechte des Bundestages 32 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 4 1. Einleitung 1.1. Hintergründe Die Europäische Kommission hat am 6. Dezember 2017 einen Fahrplan und mehrere Vorschläge für eine Weiterentwicklung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion vorgestellt.1 Die Vorschläge der Kommission, die an verschiedene Vorarbeiten und Initiativen wie bspw. einer Initiative der Bundesregierung,2 den Bericht der fünf Präsidenten,3 das Weißbuch zur Zukunft Europas,4 ein Reflexionspapier zur Zukunft der EU-Finanzen,5 ein Reflexionspapier zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion6 sowie zuletzt an die sog. Agenda der EU-Führungsspitzen 7 anknüpfen, umfassen auch einen Vorschlag für eine Verordnung (COM(2017) 827 final)8 zur Errichtung eines im EU-Rechtsrahmen verankerten Europäischen Währungsfonds (EWF). Der Verordnungsvorschlag zielt auf eine Überführung des bislang intergouvernemental ausgestalteten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)9 in den Unionsrechtsrahmen ab und wird von der Kommission auf Art. 352 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gestützt . Der Vorschlag der Kommission besteht aus einer Verordnung über die Errichtung eines Europäischen Währungsfonds (EWF-VO-E) sowie im Anhang zu dieser Verordnung einem Entwurf für die Satzung des EWF (EWF-Satzung-E). Die EWF-VO-E sieht die Errichtung des EWF und dessen politische Steuerung durch den Gouverneursrat und Rat sowie Rechenschaftspflichten gegenüber 1 Vgl. hierzu http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-5005_de.htm; http://europa.eu/rapid/press-release _MEMO-17-5006_de.htm sowie https://ec.europa.eu/commission/publications/completing-europes-economic -and-monetary-union-factsheets_de. 2 Vgl. hierzu http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/griechenland-schaeuble-denkt-an-europaeischen -waehrungsfonds-1950681.html sowie http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel /Ministerium/Geschaeftsbereich/Wissenschaftlicher_Beirat/Gutachten_und_Stellungnahmen/Ausgewaehlte _Texte/02-03-2012-Eurozone-Anlage.pdf?__blob=publicationFile&v=5 3 Abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/publications/five-presidents-report-completing-europes-economic -and-monetary-union_de. 4 Abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/white-paper-future-europe-reflections-and-scenarios-eu27_de; zum Referenzrahmen des Vorschlags vgl. Calliess, Bausteine einer erneuerten Europäischen Union, NVwZ 2018, S. 1 ff.; Schorkopf, „Europas neue Ordnung“ – eine plurale Union, NVwZ 2018, S. 9 ff. 5 Abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/publications/reflection-paper-future-eu-finances_de. 6 Abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/reflection-paper-emu_de.pdf. 7 Abrufbar unter http://www.consilium.europa.eu/de/policies/tallinn-leaders-agenda/. 8 Abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52017PC0827&qid=1516094801809&from=DE. 9 Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, vgl. hierzu das Gesetz vom 13. September 2012, BGBl. II 2012, S. 981, die Bekanntmachung vom 1. Oktober 2012, BGBl. II 2012, S. 1086 sowie BT-Drs 17/9045 (Gesetzentwurf), BT-Drs 17/10126 (Beschlussempfehlung), BT-Drs 17/10172 (Bericht ). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 5 dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten vor. Der Vorschlag für eine EWF- Satzung-E im Anhang des Verordnungsvorschlags legt in struktureller Parallele zum Vertrag über den ESM (ESMV)10 die Einzelheiten zum Aufbau, zur Finanzierung und zur Tätigkeit des EWF fest. Darüber hinaus enthält er als neues Instrument Regelungen zur Schaffung einer Letztsicherung für das Einheitliche Aufsichtsgremium (Single Resolution Board, SRB) als Teil des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM).11 1.2. Fragestellung Die vorliegende Ausarbeitung setzt sich mit der Frage auseinander, ob der von der Kommission angeführte Art. 352 AEUV den Verordnungsvorschlag aus unionsrechtlicher Sicht als Rechtsgrundlage trägt. Ergänzend wird anschließend darauf eingegangen, ob die Nennung einer unzutreffenden Rechtsgrundlage in einem Rechtsetzungsvorschlag eine ausreichende Begründung für eine Subsidiaritätsrüge nach Art. 6 des Protokolls (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze und der Verhältnismäßigkeit darstellen kann. 2. Art. 352 AEUV als Rechtsgrundlage für den Vorschlag in COM(2017) 827 final 2.1. Anwendungsvoraussetzungen von Art. 352 AEUV Gemäß Art. 352 Abs. 1 AEUV kann der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments die geeigneten Vorschriften erlassen, wenn ein Tätigwerden der Union im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche erforderlich erscheint , um eines der Ziele der Verträge zu verwirklichen, und wenn in den Verträgen die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen sind. Art. 352 AEUV soll einen Ausgleich in Fällen schaffen, in denen den Unionsorganen durch spezifische Bestimmungen des Vertrags ausdrücklich oder implizit verliehene Befugnisse fehlen, die gleichwohl erforderlich erscheinen, damit die Union ihre Aufgaben im Hinblick auf die Erreichung eines der von den Verträgen festgelegten Ziele wahrnehmen kann.12 Dementsprechend sollen Diskrepanzen zwischen den Zielen der Union und den Befugnissen ihrer Organe überbrückt werden.13 Damit kommt Art. 352 AEUV im System der begrenzten Einzelermächtigungen als zielbezogener Kompetenznorm die Funktion 10 Konsolidierte Fassung abrufbar unter https://www.esm.europa.eu/sites/default/files/20150203_-_esm_treaty_- _de.pdf. 11 Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010, ABl. L 225 vom 30.7.2014, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R0806&qid=1516209861932&from=DE. 12 Zu den Vorgängerbestimmungen vgl. EuGH, Gutachten 2/94 (EMRK I), Rn. 29; EuGH, verb. Rs. C-402/05 P und C-415/05 P (Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission), Rn. 211; EuGH, Rs. C-166/07 (Internationaler Fonds für Irland), Rn. 41. 13 Vgl. Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 352, Rn. 6. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 6 zu, durch eine vertragsimmanente Fortentwicklung des Unionsrechts Lücken zu schließen, ohne die Kompetenzen der EU an sich zu erweitern.14 Ausgehend von dem Telos und der Systematik des Art. 352 AEUV wird im Folgenden untersucht , ob der Vorschlag der Kommission in COM(2017) 827 final zutreffend auf Art. 352 AEUV als Rechtsgrundlage gestützt werden kann. Hierfür ist zu prüfen, ob die folgenden Voraussetzungen für die Anwendung des Art. 352 AEUV vorliegen, die kumulativ erfüllt sein müssen: Fehlen einer speziellen Befugnis zum Handeln (hierzu 2.2.), Handeln zur Verwirklichung der Ziele der Verträge (hierzu 2.3.), Handeln im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche (hierzu 2.4.) sowie die Erforderlichkeit eines Handelns der EU (hierzu 2.5.). Die Frage nach der richtigen Rechtsgrundlage knüpft an den Umstand an, dass die Union gemäß dem in Art. 5 Abs. 2 EUV verankerten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig wird, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH hat die Wahl der geeigneten Rechtsgrundlage demnach verfassungsrechtliche Bedeutung , da die Union, die nur über begrenzte Einzelermächtigungen verfügt, die Rechtsakte, die sie erlässt, mit den Bestimmungen des AEUV verknüpfen muss, die sie tatsächlich hierzu ermächtigen .15 Dabei muss sich die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts im Rahmen des Zuständigkeitssystems der Union auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände stützen, zu denen insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören.16 Ohne Bedeutung sind insofern der Wunsch eines Organs, am Erlass eines bestimmten Rechtsakts intensiver beteiligt zu werden, die aus anderen Gründen bereits erfolgende Betätigung auf dem betreffenden Gebiet oder der Kontext , in dem der Rechtsakt erlassen wird.17 Demnach ist anhand der eingangs genannten Kriterien zu prüfen, ob, wie von der Kommission in COM(2017) 827 final vorgeschlagen, Art. 352 AEUV eine geeignete Rechtsgrundlage für den Erlass der Verordnung darstellt und ob diese daher auf dieser Rechtsgrundlage erlassen werden kann. 2.2. Fehlen spezieller Befugnisse zum Handeln Die Inanspruchnahme von Art. 352 AEUV als Rechtsgrundlage eines Rechtsakts setzt voraus, dass keine andere Bestimmung der Verträge den Unionsorganen die erforderliche Befugnis zum 14 Vgl. Schröder, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), 7. Aufl. 2015, Art. 352 AEUV, Rn. 9 ff.; Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 352, Rn. 6 ff. 15 EuGH, Rs. C-687/15 (Kommission/Rat), Rn. 48 f.; EuGH, Gutachten 1/15 (PNR-Abkommen EU-Kanada), Rn. 71. 16 Vgl. EuGH, Rs. C-42/97 (Parlament/Rat), Rn. 36; EuGH, Rs. C-338/01 (Kommission/Rat), Rn. 54; EuGH, Gutachten 2/00 (Cartagena Protokoll), Rn. 22 mwN. 17 EuGH, Rs. C-269/97 (Kommission/Rat), Rn. 43 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 7 Erlass des jeweiligen Rechtsakts verleiht.18 Die Kompetenznorm des Art. 352 AEUV ist mithin subsidiär gegenüber den in den Verträgen enthaltenen Kompetenzen.19 Deckt eine gegenüber Art. 352 AEUV speziellere Kompetenznorm den zu erfassenden Regelungsbereich materiell nicht gänzlich ab oder sieht sie das erforderliche Handlungsinstrument wegen ausdrücklicher Limitierung nicht vor, so ist eine Maßnahme kumulativ auf die Spezialermächtigung und Art. 352 AEUV zu stützen.20 2.2.1. Fehlende Befugnis für Wahrnehmung der Aufgaben des ESM 2.2.1.1. Handlungsbefugnis der Union zur Gewährung von Stabilitätshilfen an Euro-Mitgliedstaaten zur Gewährleistung der Finanzstabilität im Euro-Währungsgebiet Die Kommission führt in ihrem Vorschlag zum Kriterium der fehlenden Befugnis der Union zutreffend aus: „Im wirtschaftspolitischen Rahmen der Union, der durch Titel VIII „Die Wirtschaftsund Währungspolitik“ des dritten Teils des AEUV abgesteckt wird, werden der Union nicht die notwendigen Befugnisse zur Schaffung einer Unionseinrichtung übertragen, die Finanzhilfe leistet, um die Finanzstabilität im Euro-Währungsgebiet zu gewährleisten.“21 Diese Aussage stützt sich auf die Entscheidung des EuGH vom 27. November 2012 in der Rs. C-370/12 (Pringle). In diesem Urteil hat der EuGH im Hinblick auf den Beschluss 2011/199 des Europäischen Rates festgestellt, dass das Primärrecht keine speziellen Befugnisse zur Wahrnehmung der Aufgaben des ESM durch die EU enthält. Vor diesem Hintergrund scheiden insbesondere die folgenden Bestimmungen als Rechtsgrundlage für die Umsetzung des Kommissionsvorschlags aus. 18 EuGH, Rs. C-84/94 (Vereinigtes Königreich/Rat), Rn. 48; EuGH, Rs. C-22/96 (Parlament/Rat), Rn. 22; EuGH, Rs. C-436/03 (Parlament/Rat), Rn. 36. Die Frage nach der Rechtsgrundlage zur Errichtung des EWF ist von den Grundlagen für seine potenzielle Fortentwicklung abzugrenzen. Im Hinblick auf die Entwicklungsoptionen des EWF verweist die Kommission in ihrem Vorschlag darauf, dass Art. 352 AEUV auch genutzt werden könnte, „um dem ESM nach seiner Einbindung in den Unionsrahmen weitere Aufgaben zu übertragen“ (COM(2017) 827 final, S. 13). Nach Ansicht der Kommission besteht die Möglichkeit, „dass der Europäische Währungsfonds neue Finanzinstrumente entwickeln kann. Im Laufe der Zeit könnten solche Instrumente andere Finanzinstrumente und Programme der EU ergänzen oder unterstützen. Solche Synergien könnten sich als besonders nützlich erweisen, wenn der Europäische Währungsfonds eine Rolle bei der Unterstützung einer möglichen Stabilisierungsfunktion in der Zukunft spielen würde“ (COM(2017) 827 final, S. 8). Gemäß dem 71. Erwägungsgrund der EWF-VO-E „könnte dem EWF auch die Entwicklung neuer Finanzinstrumente übertragen werden, z. B. um politische Initiativen in Verbindung mit der Schaffung einer Stabilisierungsfunktion zu unterstützen“. Insofern ist anzumerken, dass sich die Übertragung weiterer Aufgaben nicht auf Art. 352 AEUV als Rechtsgrundlage beschränken muss. Wählt der Unionsgesetzgeber für die Gründung einer Einrichtung der Union eine bestimmte Rechtsgrundlage, wird er hierdurch nicht daran gehindert, gestützt auf eine andere Rechtsgrundlage weitere Aufgaben auf diese Einrichtung zu übertragen. Ob diese andere Rechtsgrundlage geeignet ist, hängt von den der Einrichtung zugewiesenen neuen Aufgaben und Befugnissen ab; die zur Gründung der Einrichtung herangezogene Rechtsgrundlage ist hierfür ohne Belang (vgl. Schlussanträge GA Jääskinen vom 20. November 2014 zu EuGH, Rs. C-507/13 (Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat), Rn. 63). 19 Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 352, Rn. 8. 20 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-402/05 P und C-415/05 P (Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission ), Rn. 211; EuGH, Rs. C-166/07 (Internationaler Fonds für Irland), Rn. 41. 21 COM(2013) 520 final, S. 12. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 8 2.2.1.1.1. Art. 122 AEUV Art. 122 AEUV stellt keine geeignete Rechtsgrundlage für einen etwaigen finanziellen Beistand der Union durch Einführung eines Finanzierungsmechanismus für Mitgliedstaaten dar, die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen. Zwar zielt Art. 122 AEUV auf einen von der Union und nicht von den Mitgliedstaaten gewährten finanziellen Beistand ab.22 Die von Art. 122 Abs. 1 AEUV in den Blick genommenen und vom Rat zu beschließenden Maßnahmen sind situativ begrenzt. Art. 122 Abs. 2 AEUV verleiht der Union die Zuständigkeit für die Gewährung eines punktuellen finanziellen Beistands für einen Mitgliedstaat , der aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht ist. Auch diese Befugnis ist situativ begrenzt und kann nicht die Einrichtung eines allgemeinen und ständigen Hilfsmechanismus begründen.23 2.2.1.1.2. Art. 143 AEUV In Bezug auf Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung (Art. 139 AEUV) gestattet Art. 143 Abs. 2 AEUV dem Rat unter bestimmten, von ihm festzulegenden Bedingungen, solchen Mitgliedstaaten gegenseitigen Beistand zu gewähren.24 Demnach scheidet diese Bestimmung als Grundlage für einen auf Dauer angelegten Mechanismus zur Gewährleistung von Stabilitätshilfen an Euro-Mitgliedstaaten aus. 2.2.1.1.3. Art. 133 AEUV Der sachliche Anwendungsbereich von Art. 133 AEUV ist begrenzt auf die Maßnahmen, die für die Verwendung des Euro als einheitliche Währung erforderlich sind (Art. 133 S. 1 AEUV) bzw. Maßnahmen bezüglich der Verwendung des Euro (Art. 139 Abs. 2 UAbs. 1 lit. f AEUV) und bildet damit eine allgemeine Rechtsgrundlage für das Euro-Währungsrecht.25 22 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 41. 23 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 65, 104, 115 ff., 131; vgl. auch EuGH, Rs. C-589/15 P (Anagnostakis/Kommission ), Rn. 75 sowie Hufeld, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, EnzEuR Bd. 4, 2015, § 22, Rn. 111 ff. zu der auf Art. 122 Abs. 2 AEUV gestützten Verordnung (EU) Nr. 407/2010 des Rates vom 11. Mai 2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus, ABl. L 118 vom 12.5.2010, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32010R0407&qid=1516716281506&from=DE. 24 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 66; vgl. hierzu den auf Art. 352 AEUV gestützten Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates zur Schaffung einer Fazilität des finanziellen Beistands für Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist, COM(2012) 336 final, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52012PC0336&qid=1516720976949&from=DE sowie im Überblick Hufeld, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, EnzEuR Bd. 4, 2015, § 22, Rn. 109 ff. 25 Vgl. Selmayr, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 133 AEUV, Rn. 7 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 9 Im Hinblick auf den Beschluss 2011/199 des Europäischen Rates hat der EuGH festgestellt, dass der hierin vorgesehene und später im ESMV intergouvernemental vereinbarte Stabilitätsmechanismus seinen Zielen und den hierfür vorgesehen Mitteln nach nicht unter die Währungspolitik im Sinne der Art. 3 Abs. 1 lit. c) AEUV und Art. 127 AEUV fällt.26 Vielmehr sei aus den Zielen des in Art. 1 des Beschlusses 2011/199 ins Auge gefassten Stabilitätsmechanismus, den zu ihrer Erreichung vorgesehenen Mitteln und der engen Verbindung zwischen diesem Mechanismus und den Bestimmungen des AEUV über die Wirtschaftspolitik sowie dem Regelungsrahmen für die Verstärkung der wirtschaftspolitischen Steuerung der Union zu schließen, dass die Einrichtung dieses Mechanismus zum Bereich der Wirtschaftspolitik zählt.27 Zählt mithin die Gewährung einer Finanzhilfe für einen Mitgliedstaat nicht zur Währungspolitik, kann die Einrichtung eines entsprechenden Mechanismus im Unionsrechtsrahmen nicht auf Art. 133 AEUV gestützt werden. 2.2.1.1.4. Art. 136 AEUV Schließlich ergeben sich auch aus Art. 136 AEUV keine Anhaltspunkte für eine spezielle Handlungsbefugnis der Union zur Schaffung eines Unionsmechanismus zur Gewährung von Stabilitätshilfen an Euro-Mitgliedstaaten, um die Finanzstabilität im Euro-Währungsgebiet zu gewährleisten . Gemäß Art. 136 Abs. 1 AEUV erlässt der Rat „[i]m Hinblick auf das reibungslose Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion […]“ für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, Maßnahmen nach den einschlägigen Bestimmungen der Verträge und dem entsprechenden Verfahren unter den in den Art. 121 AEUV und 126 AEUV genannten Verfahren, mit Ausnahme des in Art. 126 Abs. 14 AEUV genannten Verfahrens, um „die Koordinierung und Überwachung ihrer Haushaltsdisziplin zu verstärken“ (Art. 136 Abs. 1 lit. a) AEUV) und „für diese Staaten Grundzüge der Wirtschaftspolitik auszuarbeiten, wobei darauf zu achten ist, dass diese mit den für die gesamte Union angenommenen Grundzügen der Wirtschaftspolitik vereinbar sind, und ihre Einhaltung zu überwachen“ (Art. 136 Abs. 1 lit. b) AEUV). Beide Handlungsalternativen sind ausgerichtet auf eine verstärkte Zusammenarbeit der Euro-Mitgliedstaaten bezüglich der wirtschaftspolitischen Steuerung und Koordinierung im Euro-Währungsgebiet;28 als Maßnahmen der (präventiven) wirtschaftspolitischen Steuerung sind diese Befugnisse damit abzugrenzen von Stabilitätsmechanismen zur Bewältigung von Krisen, die trotz getroffener präventiver Maßnahmen eintreten könnten.29 Auch Art. 136 Abs. 3 AEUV bildet keine Rechtsgrundlage für ein Handeln der Union. Die Norm adressiert ausdrücklich nur die Euro-Mitgliedstaaten. Einerseits bestätigt Art. 136 Abs. 3 AEUV das Vorliegen einer Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Einrichtung eines Stabilitätsmechanismus ; andererseits soll er durch die Vorgabe, dass die Gewährung aller Finanzhilfen im Rahmen dieses Mechanismus strengen Auflagen unterliegen wird, gewährleisten, dass bei seinem 26 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 55 ff. 27 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 60. 28 Vgl. Palm, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 54. EL September 2014, Art. 136 AEUV, Rn. 15 ff. 29 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 59. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 10 Einsatz das Unionsrecht beachtet wird.30 Mit der Einführung von Art. 136 Abs. 3 AEUV wurden der Union weder neue Zuständigkeit übertragen, noch eine Rechtsgrundlage geschaffen, die es der Union ermöglicht, eine Handlung vorzunehmen, die vor dem Inkrafttreten der Änderung des AEUV nicht möglich war.31 2.2.1.2. Präjudizierung der Anwendbarkeit von Art. 352 AEUV Ergänzend ist anzumerken, dass die Kommission darauf verweist, dass auch in der Vergangenheit Entscheidungen auf dem Weg zur Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion auf Art. 352 AEUV bzw. dessen Vorläuferregeln gestützt worden sind.32 Zu den in der Vergangenheit auf Art. 352 AEUV bzw. dessen Vorläuferregelungen gestützten Maßnahmen im Rahmen der Wirtschafts - und Währungsunion zählen u.a. Regelungen zur Stützung der Zahlungsbilanzen der Mitgliedstaaten ,33 zum Europäischen Währungssystem34 sowie Programme zum Schutz des Euro gegen Geldfälschungen.35 Diese Maßnahmen präjudizieren jedoch nicht die Anwendbarkeit von Art. 352 AEUV zur Einrichtung des vorgeschlagenen EWF. Insbesondere Maßnahmen zum 30 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 72. 31 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 73 ff. 32 COM(2017) 827 final, S. 6. 33 Verordnung (EG) Nr. 332/2002 des Rates vom 18. Februar 2002 zur Einführung einer Fazilität des mittelfristigen finanziellen Beistands zur Stützung der Zahlungsbilanzen der Mitgliedstaaten, ABl. L 53 vom 23.2.2002, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32002R0332&qid=1516901233819&from=DE. 34 Verordnung (EG) Nr. 640/2006 des Rates vom 10. April 2006 zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 3181/78 und (EWG) Nr. 1736/79 im Bereich des Europäischen Währungssystems, ABl. L 115 vom 28.4.2006, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32006R0640&qid=1516900562573&from=DE. 35 Entscheidung 2003/862/EG des Rates vom 8. Dezember 2003 zur Ausdehnung der Entscheidung 2003/861/EG betreffend die Analyse und die Zusammenarbeit in Bezug auf gefälschte Münzen auf die Mitgliedstaaten, die den Euro nicht als einheitliche Währung eingeführt haben, ABl. L 325 vom 12.12.2003, S. 45, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32003D0862&qid=1516900562573&from=DE; Verordnung (EG) Nr. 2183/2004 des Rates vom 6. Dezember 2004 zur Ausdehnung der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 2182/2004 über Medaillen und Münzstücke mit ähnlichen Merkmalen wie Euro-Münzen auf die nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten, ABl. L 373 vom 21.12.2004, S. 7, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32004R2183&qid=1516900562573&from=DE; Beschluss 2001/924/EG des Rates vom 17. Dezember 2001 über die Ausdehnung des Beschlusses über ein Aktionsprogramm in den Bereichen Austausch, Unterstützung und Ausbildung zum Schutz des Euro gegen Geldfälschung (Pericles-Programm) auf die Mitgliedstaaten, die den Euro nicht als einheitliche Währung eingeführt haben, ABl. L 339 vom 21.12.2001, S. 55, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32001D0924&qid=1516901233819&from=DE sowie in diesem Rahmen zuletzt die Verordnung (EU) 2015/768 des Rates vom 11. Mai 2015 zur Ausdehnung der Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 331/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Aktionsprogramm in den Bereichen Austausch, Unterstützung und Ausbildung zum Schutz des Euro gegen Geldfälschung (Programm „Pericles 2020“) auf die nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten, ABl. L 121 vom 14.5.2015, S. 1, abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015R0768&qid=1516900425414&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 11 Schutz des Euro, die zuvor auf Art. 352 AEUV bzw. dessen Vorläuferregeln gestützt werden konnten, werden nunmehr von der spezielleren Regelung des Art. 133 AEUV erfasst.36 Darüber hinaus führt die Kommission zur Begründung ihres Vorschlags aus, dass der EuGH in seiner Entscheidung in der Rs. C-370/12 (Pringle) „bereits die Möglichkeit ins Auge gefasst [habe], Artikel 352 zur Schaffung einer Unionseinrichtung heranzuziehen, die zur Gewährleistung der Stabilität des Euro-Währungsgebiets finanzielle Unterstützung bereitstellt“.37 In der Passage des Urteils, auf die die Kommission verweist, führt der EuGH aus: „Zu der Frage, ob die Union auf der Grundlage von Art. 352 AEUV einen Stabilitätsmechanismus schaffen könnte, der dem durch den Beschluss 2011/199 ins Auge gefassten Mechanismus entspricht, genügt die Feststellung , dass die Union ihre Zuständigkeit nach diesem Artikel nicht ausgeübt hat und dass die genannte Bestimmung ihr jedenfalls keine Pflicht zum Tätigwerden auferlegt“. Vor diesem Hintergrund erscheint die von der Kommission gewählte Bewertung der Urteilspassage jedenfalls insoweit nicht zwingend, als diese als Hinweis auf die Realisierbarkeit eines Stabilitätsmechanismus im Unionsrechtsrahmen auf Grundlage von Art. 352 AEUV verstanden werden kann. Vielmehr lässt sich der Gehalt der Aussage des EuGH auch dahingehend verstehen, dass die Union ihre Zuständigkeit nach Art. 352 AEUV nicht ausgeübt hat und hierzu auch nicht verpflichtet war. Mit Blick auf den Vortrag des Klägers im Ausgangsverfahren, der eine Handlungsbefugnis der Mitgliedstaaten zur Einrichtung eines Stabilitätsmechanismus aufgrund der unionsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung bestritten hat, liegt ein Verständnis der Feststellungen des EuGH nahe, wonach jedenfalls keine Sperrwirkung für ein mitgliedstaatliches Handeln gemäß Art. 2 Abs. 2 AEUV besteht und die Mitgliedstaaten dementsprechend nicht daran gehindert waren, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten einen Stabilitätsmechanismus im Wege einer sondervertraglichen Vereinbarung einzurichten.38 Hieraus ergibt sich nicht zwingend die Schlussfolgerung , dass eine unionsrechtsinterne Einrichtung eines Stabilitätsmechanismus auch tatsächlich mit den Prämissen des Art. 352 AEUV und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung vereinbar wäre. 2.2.1.3. Kompetenzielle Grenzen Ausgehend von der Feststellung, dass das Primärrecht keine spezielle Befugnis der Union zur Schaffung eines dauerhaften Stabilitätsmechanismus vorsieht, stellt sich die Frage, ob sich aus der Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion, insbesondere aus der primärrechtlichen Systematik der Zuständigkeitsverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten und dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung, Restriktionen für einen Rückgriff auf die Flexibilitätsklausel des Art. 352 AEUV bzw. Handlungsgrenzen zum Erlass von Regelungen gemäß Art. 352 Abs. 1 AEUV ergeben. 36 Vgl. Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 133 AEUV, Rn. 15. 37 COM(2017) 827 final, S. 6 Fn. 18. 38 Vgl. Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 352, Rn. 39, 44. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 12 2.2.1.3.1. Maßstäbe Ausgangspunkt dieser Frage ist der in Art. 5 Abs. 1 und 2 EUV verankerte Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung, wonach die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig wird, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Demnach könnte eine Anwendung von Art. 352 AEUV auch beim Fehlen einer spezifischen Befugnis der Union dann ausgeschlossen sein, wenn Bestimmungen des Primärrechts die Zuständigkeitsverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten abschließend festlegen. Zu den dementsprechenden Grenzen hat der EuGH in seinem Gutachten 2/94 vom 28. März 1996 zu Art. 235 EWGV als Vorgängerbestimmung des heutigen Art. 352 AEUV ausgeführt: „Als integrierender Bestandteil einer auf dem Grundsatz der begrenzten Ermächtigung beruhenden institutionellen Ordnung kann diese Bestimmung keine Grundlage dafür bieten, den Bereich der Gemeinschaftsbefugnisse über den allgemeinen Rahmen hinaus auszudehnen, der sich aus der Gesamtheit der Vertragsbestimmungen und insbesondere denjenigen ergibt, die die Aufgaben und Tätigkeiten der Gemeinschaft festlegen. Sie kann jedenfalls nicht als Rechtsgrundlage für den Erlass von Bestimmungen dienen, die der Sache nach, gemessen an ihren Folgen, auf eine Vertragsänderung ohne Einhaltung des hierfür vom Vertrag vorgesehenen Verfahrens hinausliefen.“ Der Fortbestand dieses restriktiven Verständnisses39 auch im Hinblick auf Art. 352 AEUV wird zunächst durch die Erklärung Nr. 42 der Schlussakte zum Vertrag von Lissabon unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH und insbesondere das Gutachten 2/94 bekräftigt, wonach Art. 352 AEUV nicht als Rechtsgrundlage für Bestimmungen dienen kann, die der Sache nach auf eine Vertragsänderung hinauslaufen.40 Dieses Verständnis wird zudem bestätigt durch das Gutachten 2/13 des EuGH vom 18. Dezember 2014 und den an das Gutachten 2/94 anknüpfenden Feststellungen , dass der EMRK-Beitritt „eine wesentliche Änderung des bestehenden Gemeinschaftssystems zum Schutz der Menschenrechte zur Folge gehabt [hätte] […]. Eine solche Änderung des Systems zum Schutz der Menschenrechte in der Gemeinschaft, die grundlegende institutionelle Auswirkungen sowohl auf die Gemeinschaft als auch auf die Mitgliedstaaten gehabt hätte, wäre von verfassungsrechtlicher Dimension gewesen und daher ihrem Wesen nach über die Grenzen des Art. 235 EG-Vertrag (später Art. 308 EG), einer nunmehr in Art. 352 Abs. 1 AEUV zu findenden Bestimmung, hinausgegangen und hätte nur im Wege einer Vertragsänderung vorgenommen werden können.“41 39 Beide Entscheidungen betrafen die Öffnung der Unionsrechtsordnung für den Beitritt zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und die damit verbundene Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem EuGH und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Zur Bewertung der Rechtsprechung vgl. Breuer, „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ Das zweite Gutachten des EuGH zum EMRK-Beitritt der Europäischen Union, EuR 2015, S. 330 ff.; Wendel, Der EMRK-Beitritt als Unionsrechtsverstoß , NJW 2015, S. 921 ff.; von Bogdandy/Bast/Arndt, Handlungsformen im Unionsrecht - Empirische Analysen und dogmatische Strukturen in einem vermeintlichen Dschungel, ZaöRV 2002, S. 77 (147). 40 Vgl. auch BVerfGE 123, 267 (393 ff.). 41 EuGH, Gutachten 2/13 (EMRK II), Rn. 38, vgl. dementsprechend EuGH, Rs. C-50/00 P (Unión de Pequeños Agricultores /Rat), Rn. 45. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 13 Vor diesem Hintergrund ist der Anwendungsbereich von Art. 352 AEUV teleologisch sowie in systematischer Abgrenzung zu Vertragsänderungen gemäß Art. 48 EUV auf vertragsimmanente Vertragsergänzungen bzw. -fortentwicklungen zu begrenzen. Die Feststellungen des EuGH lassen darauf schließen, dass sich Anhaltspunkte zur Bestimmung der Grenze zwischen einer vertragsimmanenten Fortentwicklung und einer Vertragsänderung aus den Folgen der betreffenden Regelung ergeben, insbesondere im Hinblick auf Auswirkungen auf das institutionelle System und deren verfassungsrechtliche Dimension.42 2.2.1.3.2. Zuständigkeit Auf Grundlage der vorstehenden Maßstäbe stellt sich die Frage, ob mit Wahrnehmung der ESM- Aufgaben durch die EU auf Grundlage der EWF-VO-E eine Kompetenzausweitung der EU im System der WWU verbunden ist. Hierfür ist insbesondere auf den Inhalt und das Hauptziel der von der Kommission vorgeschlagenen Regelungen abzustellen.43 Nach den Vorschlägen der Kommission soll der EWF als eigenständige juristische Person nach dem Unionsrecht gegründet und Rechtsnachfolger des ESM werden, dessen derzeitige finanzielle und institutionelle Strukturen im Wesentlichen erhalten bleiben sollen. Das betrifft u.a. das Ziel, Stabilitätshilfe an Euro-Mitgliedstaaten zu gewähren, wenn dies unabdingbar ist, um die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets oder seiner Mitgliedstaaten zu wahren.44 Auch das EWF-Stammkapital soll entsprechend der ESM-Mittelausstattung auf Beiträgen der Euro- Mitgliedstaaten als EWF-Mitglieder beruhen. Abweichungen zwischen dem EWF und dem ESM betreffen u.a. institutionelle Aspekte, die Unterstützung des SRB als neue Aufgabe, Änderungen der Ziele und Grundsätze des EWF sowie Rechenschaftspflichten gegenüber dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten.45 Der Charakter des EWF als neue Einrichtung der Union und die damit verbundene Zuständigkeitsverlagerung von den derzeitigen ESM- Mitgliedern auf die EU kommt insbesondere in den Verfahren der Beschlussfassung im EWF und dem Verhältnis zwischen Gouverneursrat und dem Rat zum Ausdruck: Der aus Vertretern der EWF-Mitgliedern bestehende Gouverneursrat trifft – wie bislang der ESM-Gouverneursrat – die wesentlichen Entscheidungen im EWF (Art. 4 f. EWF-Satzung-E). Soweit der EWF-Gouverneursrat bei der Beschlussfassung ein weites Ermessen besitzt, bedürfen seine diskretionären Entscheidungen entsprechend der sog. Meroni-Doktrin46 der Billigung bzw. Genehmigung durch den Rat. 42 Zu den Maßstäben für die Grenzbestimmung vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2015, Art. 352 AEUV, Rn. 75 sowie Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 352, Rn. 13, wonach hypothetisch zu prüfen sei, ob sich die Folgen einer projektierten, auf Art. 352 AEUV gestützten Maßnahme noch im Einklang mit den von den Mitgliedstaaten übertragenen Befugnissen befinden oder ob es zur demokratischen Legitimation dieser Auswirkungen der weiteren Übertragung von Hoheitsbefugnissen in Form einer Vertragsänderung bedarf. 43 Vgl. EuGH, Rs. C-436/03 (Parlament/Rat), Rn. 35; EuGH, Rs. C-166/07 (Parlament/Rat), Rn. 59. 44 14. Erwägungsgrund EWF-VO-E. 45 COM(2017) 827 final, S. 8 ff. 46 EuGH, verb. Rs. 9/56 und 10/56 (Meroni/Hohe Behörde), 1957/1958, Slg. S. 133; vgl. hierzu EuGH, Rs. C-270/12 (Vereinigtes Königreich/EP und Rat), Rn. 41 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 14 Durch das grundsätzlich vorgesehene Erfordernis der Einstimmigkeit im Rat behalten zwar die den Rat besetzenden (vgl. Art. 16 Abs. 2 EUV) Mitgliedstaaten die Kontrolle über die Entscheidungen des EWF, nicht aber die Letztentscheidungskompetenz über Handlungen im bzw. des EWF als solche, da der Rat ein Unionsorgan ist. Mit Blick auf die Errichtung des EWF als neue Einrichtung der Union ist zunächst festzustellen, dass Art. 352 AEUV grundsätzlich zur Schaffung neuer, unionsrechtlich determinierter Rechtsinstitute oder Rechtsformen herangezogen werden kann, sofern keine andere Vertragsbestimmung den Unionsorganen die zum Erlass dieses Rechtsakts erforderliche Befugnis verleiht.47 Dabei knüpfen die bislang vom EuGH entschiedenen Fälle zur Zuständigkeit der EU gemäß Art. 352 AEUV bzw. seiner Vorgängerbestimmungen an die zwischen der EU und den Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeiten an.48 Vor dem Hintergrund, dass keine Bestimmung des Primärrechts der Union eine spezielle Zuständigkeit für die Einrichtung eines permanenten Stabilitätsmechanismus wie des ESM einräumt, stellt sich die Frage, an welchen kompetenziellen Rahmen die Wahrnehmung der ESM-Aufgaben durch den vorgeschlagenen EWF anknüpfen kann. Mit Blick auf das Ziel des EWF, durch die Gewährung von Stabilitätshilfe an Euro-Mitgliedstaaten zur Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets oder seiner Mitgliedstaaten beizutragen (Art. 3 Abs. 1 EWF-Satzung-E) kommen vorliegend insbesondere die Zuständigkeiten der Union im Bereich der Kapitel 1 und 4 des Titels VIII AEUV in Betracht, d.h. die Zuständigkeit der Union im Bereich der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten . Diesbezüglich hat der EuGH mit Blick auf die Errichtung des ESM festgestellt, dass sich der ESM insofern von den Regelungen zur wirtschaftspolitischen Steuerung sowie den Bestimmungen des Kapitels 1 des Titels VIII AEUV über die Wirtschaftspolitik, insbesondere die Art. 123 AEUV und 125 AEUV, unterscheide, als diese Bestimmungen präventiver Art sind, um die Gefahr von Staatsverschuldungskrisen so weit wie möglich zu verringern, während der ESM zur Bewältigung von Finanzkrisen diene, die trotz getroffener präventiver Maßnahmen eintreten könnten.49 Gleichwohl ergänze der ESM den Regelungsrahmen der wirtschaftspolitischen Steuerung der Union und gehöre nach seinen Zielen, den zu ihrer Erreichung vorgesehenen Mitteln und wegen der engen Verbindung zwischen diesem Mechanismus und den Bestimmungen des AEUV über die Wirtschaftspolitik sowie dem Regelungsrahmen für die Verstärkung der wirtschaftspolitischen Steuerung der Union zum Bereich der Wirtschaftspolitik.50 47 EuGH, Rs. C-436/03 (Parlament/Rat), Rn. 37. 48 Vgl. EuGH, Rs. C-436/03 (Parlament/Rat), Rn. 35 ff. zu der geteilten Zuständigkeit für den Binnenmarkt (Art. 4 Abs. 2 lit. a) AEUV); EuGH, Rs. C-166/07 (Parlament/Rat), Rn. 66 ff. zu der geteilten Zuständigkeit für den wirtschaftlichen , sozialen und territorialen Zusammenhalt (Art. 4 Abs. 2 lit. c) AEUV). 49 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 58 f. 50 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 58, 60. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 15 Für die Rolle der Union im Bereich der Wirtschaftspolitik hat der EuGH festgestellt, dass sie durch die Art. 2 Abs. 3 und 5 Abs. 1 AEUV auf den Erlass von Koordinierungsmaßnahmen beschränkt werde, so dass der Union durch die Bestimmungen des Primärrechts keine spezielle Zuständigkeit für die Schaffung eines Stabilitätsmechanismus wie des ESM verliehen werde.51 Auch bei einem weiten Verständnis der Koordinierungszuständigkeit der Union erscheint fraglich , ob hierunter auch die derzeit vom ESM wahrgenommenen Aufgaben fallen. Dies lässt sich auf die Feststellungen des EuGH stützen, wonach der ESM zwar in den Bereich der Wirtschaftspolitik fällt, nicht aber die Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten zum Gegenstand habe. Vielmehr stelle der ESM einen Finanzierungsmechanismus dar, um Finanzmittel zu mobilisieren und ESM-Mitgliedern, die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen, eine Hilfe zur Finanzstabilität bereitzustellen.52 Auch die für die Gewährung einer Finanzhilfe vorgesehenen strengen, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen stellen auch in Form eines makroökonomischen Anpassungsprogramms kein Instrument zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten dar, sondern sollen die Vereinbarkeit der Tätigkeiten des ESM insbesondere mit Art. 125 AEUV und den von der Union getroffenen Koordinierungsmaßnahmen gewährleisten.53 2.2.1.3.3. Folgerungen Auf Grundlage der vorstehenden Erwägungen erscheint aus hiesiger Sicht zweifelhaft, dass der Vorschlag der Kommission in COM(2017) 827 final im Hinblick auf die Übertragung der ESM- Aufgaben auf Art. 352 AEUV gestützt werden kann.54 Der Inhalt und das Hauptziel des Kommissionsvorschlags legen vielmehr nahe, dass mit der Errichtung des EWF auf Grundlage von Art. 352 AEUV die Grenze einer vertragsimmanenten Fortentwicklung überschritten würde.55 Die Errichtung des projektierten EWF hätte zur Folge, dass die Zuständigkeiten der Euro-Mitgliedstaaten zur Absicherung der Finanzstabilität im Euro-Währungsgebiet, die diese derzeit im Rahmen des ESM ausüben, von der EU wahrgenommen würden. Dies betrifft insbesondere den Übergang der 51 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 64. 52 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 110. 53 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 111; vgl. hierzu dementsprechend KOM(2012)777, S. 41, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52012DC0777&qid=1516142077679&from=DE: „Der ESM ist nicht zuletzt deshalb mit den Verträgen vereinbar, weil sein Ziel nicht in einer solchen Koordinierung besteht, sondern in der Bereitstellung eines Finanzierungsmechanismus und weil er ausdrückliche Bestimmungen enthält, denen zufolge die Konditionalität, die im ESM-Vertrag vorgesehen ist (der ESM-Vertrag ist kein Instrument der wirtschaftspolitischen Koordinierung), sicherstellt, dass die Aktivitäten des ESM mit dem EU- Recht und den Koordinierungsmaßnahmen der EU vereinbar sind.“ 54 Ergänzend stellt sich die Frage, ob und unter welchen Prämissen der Anwendungsbereich einer auf Art. 352 AEUV gestützten Regelung personell auf einen bestimmten Teilnehmerkreis beschränkt werden kann, wie dies bspw. in Art. 3 Abs. 4 EWF-VO-E, Art. 2 EWF-Satzung-E und dem 35. Erwägungsgrund EWF-VO-E vorgesehen ist. Für eine dementsprechende Anwendung des Verfahrens der verstärkten Zusammenarbeit gemäß Art. 20 EUV, Art. 326 ff. AEUV vgl. Selmayr, Die „Euro-Rettung“ und das Primärrecht, ZÖR 2013, S. 259 (306). 55 A.A. Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 136 AEUV, Rn. 20 m.w.N. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 16 Zuständigkeit für die Entscheidung über die von den Euro-Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellten Finanzmittel.56 Hierdurch würden die in Kapitel 1 und 4 des Titels VIII AEUV angelegten Koordinierungszuständigkeiten der EU für die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten materiell um Entscheidungs- und Vollzugszuständigkeiten betreffend die Gewährung von Stabilitätshilfen erweitert . Vor dem Hintergrund der oben genannten Rechtsprechung des EuGH scheint diese Erweiterung über die Feststellungen des EuGH zur zulässigen Anwendung von Art. 352 AEUV bzw. seiner Vorgängerbestimmungen im Bereich der zwischen der EU und den Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeiten hinauszugehen und den vom EuGH herausgearbeiteten Restriktionen betreffend den EMRK-Beitritt zu entsprechen. Dies legt die Annahme nahe, dass die Übertragung der ESM-Aufgaben auf den vorgeschlagenen EWF als Unionseinrichtung gemessen an den damit verbundenen Folgen über den auch für Handlungen auf Grundlage von Art. 352 AEUV maßgeblichen Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 2 EUV) hinausgeht. Danach wird die Union zur Verwirklichung der primärrechtlich niedergelegten Ziele nur innerhalb der Grenzen der ihr von den Mitgliedstaaten unionsvertraglich übertragenen Zuständigkeiten tätig. 2.2.2. Fehlende Befugnis für die Unterstützung des SRB 2.2.2.1. Hintergrund der projektierten Unterstützung des SRB durch den EWF Die Tätigkeit des EWF soll – in Ergänzung der gegenwärtigen Aufgaben des ESM – das Instrument umfassen, mit Kreditlinien oder Garantien die Handlungen des SRB abzusichern.57 Dadurch soll der EWF das System der Finanzierung von Abwicklungen in der Bankenunion ergänzen. Die entsprechende Haftungskaskade sieht primär eine Lastentragung durch die Gläubiger und Anteilseigner vor.58 Als zweite Absicherungsebene dient der Einheitliche Abwicklungsfonds (Single Resolution Fund, SRF),59 der durch Bankenabgaben60 finanziert wird und seit 2016 größtenteils die nationalen Abwicklungsfonds ersetzt. Das vorgeschlagene EWF-Instrument implementiert die in Art. 74 Verordnung (EU) Nr. 806/2014 vorgesehene Möglichkeiten des SRB. Danach kann das SRB für den Fall, dass die im Voraus oder außerordentlichen nachträglich erhobenen Beiträge nicht ausreichen, damit der SRF seine Verpflichtungen erfüllen kann, vertragliche Vereinbarungen über Finanzierungskonstruktionen ein- 56 Zur Finanzierung eines EWF auf Grundlage eines geänderten Eigenmittelbeschlusses vgl. Selmayr, Die „Euro- Rettung“ und das Primärrecht, ZÖR 2013, S. 259 (307 ff.). 57 COM(2017) 827 final, S. 4 f., 7, 17, sowie Erwägungsgründe 27 ff der EWF-VO-E. 58 Zur Haftungskaskade im Überblick vgl. https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt /BA/mb_haftungskaskade_bankenabwicklung.html. 59 Vgl. http://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2015/11/30/banking-union-single-resolutionfund -for-1-january-2016/ sowie das Übereinkommen über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwicklungsfonds und über die gemeinsame Nutzung dieser Beiträge, Rats-Dok. 8457/14, abrufbar unter http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-8457-2014-INIT/de/pdf. 60 Vgl. https://www.bafin.de/DE/Aufsicht/BankenFinanzdienstleister/Bankenabwicklung/Bankenabgabe/Bankenabgabe _node.html. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 17 schließlich öffentlicher Finanzierungskonstruktionen treffen, damit unmittelbar zusätzliche Finanzmittel für eine Verwendung gemäß Art. 76 Verordnung (EU) Nr. 806/2014 zur Verfügung stehen . 2.2.2.2. Maßstäbe und Anwendungsbereich von Art. 114 AEUV Vor dem Hintergrund, dass der SRM insgesamt und mithin auch die Elemente SRB und SRF mit der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 auf Art. 114 AEUV gestützt worden sind und Art. 74 Verordnung (EU) Nr. 806/2014 die Möglichkeit des SRB für vertragliche Vereinbarungen über Finanzierungskonstruktionen eröffnet, stellt sich die Frage, ob auch die unionsrechtliche Absicherung des SRF im Rahmen der EWF-VO-E bzw. der EWF-Satzung-E auf Art. 114 AEUV gestützt werden kann, so dass aufgrund des Bestehens einer Handlungsbefugnis kein Raum für eine Anwendung von Art. 352 AEUV verbleibt. Dementsprechend hat der EuGH festgestellt, dass ein Rückgriff auf Art. 352 AEUV als Rechtsgrundlage ausgeschlossen ist, „wenn der fragliche Gemeinschaftsrechtsakt nicht die Schaffung eines neuen Schutzrechts auf Gemeinschaftsebene vorsieht, sondern nur die im Recht der Mitgliedstaaten vorgesehenen Regelungen über die Erteilung und den Schutz des entsprechenden Rechts harmonisiert“.61 Rechtsakte können nur dann auf Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage gestützt werden, wenn sie die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben. Gemäß Art. 114 Abs. 1 AEUV muss die betreffende Regelung eine Maßnahmen zur Rechtsangleichung sein, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand hat. Die fraglichen Maßnahmen müssen dieses Ziel in der Weise verfolgen, dass sie zur Beseitigung von Hemmnissen für den freien Waren- oder Dienstleistungsverkehr oder aber von Wettbewerbsverzerrungen beitragen.62 Das ist insbesondere dann gegeben, wenn der fragliche Rechtsakt Unterschiede zwischen den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten beseitigen oder vermindern würde, die geeignet sind, die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen und sich auf diese Weise unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken.63 Dafür eröffnet Art. 114 AEUV die Befugnis zur Angleichung der mitgliedstaatlichen Rechtssysteme einschließlich einer möglichen Vereinheitlichung im betreffenden Politikbereich. 2.2.2.3. Folgerungen Vor diesem Hintergrund liegt die Annahme nahe, dass sich die projektierte Aufgabe des EWF zur Unterstützung des SRB jedenfalls mittelbar auch auf das Funktionieren des Binnenmarkts im Sinne von Art. 114 AEUV bezieht, indem die Bereitstellung einer Letztsicherung durch den EWF 61 EuGH, Rs. C-436/03 (Parlament/Rat), Rn. 37 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-377/98 (Niederlande/Parlament und Rat), Rn. 25. 62 Vgl. EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Rn. 60, 74; EuGH, Rs. C-547/14 (Philip Morris Brands u.a.), Rn. 57 ff. 63 Vgl. EuGH, Rs. C-376/98 (Deutschland/Parlament und Rat), Rn. 84, 95; EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Rn. 59 f.; EuGH, Rs. C-434/02 (Arnold André), Rn. 30; EuGH, Rs. C-210/03 (Swedish Match), Rn. 29; EuGH, Rs. C-58/08 (Vodafone u. a.), Rn. 32. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 18 das Funktionieren des SRM absichert.64 Jedoch erscheint fraglich, ob dies auch einer Maßnahme der Rechtsangleichung im Sinne von Art. 114 AEUV entspricht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Unionsgesetzgeber nach Maßgabe des allgemeinen Kontexts und der speziellen Umstände der zu harmonisierenden Materie einen Ermessensspielraum hinsichtlich der zur Erreichung des angestrebten Ergebnisses am besten geeigneten Angleichungstechnik besitzt.65 Dabei kann der Unionsgesetzgeber aufgrund seiner Sachwürdigung auch die Schaffung einer Unionseinrichtung für notwendig erachten, deren Aufgabe es ist, zur Verwirklichung des Harmonisierungsprozesses beizutragen.66 Inhalt und Ziel der EWF-VO-E und insbesondere der Regelungen der Art. 22 bis 24 EWF-Satzung -E lassen darauf schließen, dass mit dem EWF-Instrument zur finanziellen Unterstützung des SRB eine neue Finanzierungskonstruktion geschaffen werden soll, deren Finanzmittel neben die durch die Verordnung (EU) Nr. 806/2014 harmonisierte Haftungskaskade treten und diese als Letztsicherung ergänzen sollen. Diese neue Form der Absicherung des SRM wird durch die Art. 22 bis 24 EWF-Satzung-E definiert und bezieht sich nicht auf bestehendes Recht in den Mitgliedstaaten bzw. den dort bestehenden Abwicklungsfonds. Da die Bestimmungen über die SRB- Unterstützung somit nicht die Angleichung von Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, sondern vielmehr die Schaffung einer neuen Unterstützungsform bezwecken, kommt Art. 114 AEUV nicht als speziellere Rechtsgrundlage für die betreffenden Regelungen des Kommissionsvorschlags in Betracht. Dementsprechend ist der Anwendungsbereich des Art. 352 AEUV als Rechtsgrundlage für die Bestimmungen des Kommissionsvorschlags über die SRB-Unterstützung durch einen EWF nicht gesperrt. 2.3. Handeln zur Verwirklichung der Ziele der Verträge Handlungen auf Grundlage von Art. 352 AEUV müssen der Verwirklichung eines der Ziele der Verträge dienen. Damit wird die Handlungsbefugnis des Art. 352 Abs. 1 AEUV funktional durch den Zweck der Zielverwirklichung beschränkt. Zu den Zielen der Union zählen gemäß Art. 3 EUV u.a. die Errichtung eines Binnenmarkts (Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 1 EUV), das Hinwirken der Union „auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität“ (Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 EUV) sowie die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion (Art. 3 Abs. 4 EUV) einschließlich der damit verbundenen Ziele gemäß Art. 119, 120 AEUV zur Ausrichtung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten .67 In der 41. Erklärung zum Vertrag von Lissabon betonen die Vertragstaaten, dass Art. 3 64 Für das binnenmarktbezogene Ziel des SRM vgl. KOM(2013)520, S. 6 ff. 65 EuGH, Rs. C-66/04 (Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat), Rn. 45; EuGH, Rs. C-270/12 (Vereinigtes Königreich /Parlament und Rat), 102. 66 EuGH, Rs. C-217/04 (Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat), Rn. 44; EuGH, Rs. C-270/12 (Vereinigtes Königreich /Parlament und Rat), 104. 67 Zu den Unionszielen vgl. im Überblick Müller-Graff, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), EU-Wirtschaftsrecht, 31. EL Juli 2012, A.I, Rn. 114 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 19 Abs. 1 EUV für sich alleine keine Ziele im Sinne des Art. 352 Abs. 1 AEUV entnommen werden könne.68 Im Hinblick auf die Übernahme der ESM-Aufgaben durch den EWF verweist die Kommission auf das der Errichtung des ESM zugrundeliegende Ziel, die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets oder seiner Mitgliedstaaten zu wahren (14. Erwägungsgrund EWF-VO-E). Gemäß dem 15. Erwägungsgrund der EWF-VO-E soll mit der Errichtung des EWF im Unionsrechtsrahmen das Ziel erreicht werden, „gemäß Artikel 3 Absatz 4 EUV eine Wirtschafts- und Währungsunion zu errichten, deren Währung der Euro ist, und um gemäß Artikel 3 Absatz 3 EUV auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität und eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft hinzuwirken, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt. Konkreter gesagt, zielt die Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets, der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, und der Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist, die aber an der Bankenunion teilnehmen, darauf ab, eine vertiefte, fairere und widerstandsfähigere Wirtschafts- und Währungsunion zu verwirklichen.“ Die Schaffung einer Letztsicherung für den SRF im Rahmen des SRM wird mit dem Ziel der Wahrung der Finanzstabilität der Euro-Mitgliedstaaten verbunden. Der Vorschlag zur Errichtung des SRM wurde wiederum mit dem Ziel begründet, die Integrität des Binnenmarkts zu wahren und sein Funktionieren zu verbessern.69 Zur Verknüpfung des EWF mit dem SRB führt die Kommission aus, „[…] dass die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets und der einheitlichen Währung selbst in entscheidendem Maße von der finanziellen Solidität nicht nur der Staaten, sondern auch der systemrelevanten Banken abhängt. So ist es nur folgerichtig, dass der vorliegende Vorschlag die Verbindung zwischen der Tätigkeit des SRB und des EWF herstellt, und zwar in Form eines Instruments, das entweder eine Kreditlinie oder Garantien für den SRB als Absicherung für dessen Tätigkeit ermöglicht.“70 Mit Blick auf das übergreifende Ziel, mit der Einrichtung des EWF die Finanzstabilität der Mitgliedstaaten der Union zu erhalten,71 erscheint die Annahme naheliegend, dass mit dem auf Art. 352 AEUV gestützten Vorschlag insgesamt Ziele verfolgt werden, die sich im Rahmen der in Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 EUV genannten Ziele bewegen. 68 Zu impliziten Zielen vgl. Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 352, Rn. 29. 69 COM(2013) 520 final, S. 6. 70 COM(2017) 827 final, S. 4 f. 71 Zur wirtschaftspolitischen Natur von Maßnahmen zur Gewährung von Stabilitätshilfen vgl. EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 55 ff.; EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 64. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 20 2.4. Handeln im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche Als weiteres kompetenzbeschränkendes Kriterium72 muss die Verwirklichung der Ziele der Verträge durch die EU auf Grundlage von Art. 352 Abs. 1 AEUV im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche erfolgen. Erforderlich ist demnach ein Bezug zu einem der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche. Mit Blick auf die Übertragung der ESM-Aufgaben auf den EWF verweist die Kommission auf die Entscheidung des EuGH vom 27. November 2012 in der Rs. C-370/12 (Pringle). In dem Urteil stellt der EuGH im Hinblick auf den Beschluss 2011/199/EU des Europäischen Rates73 fest, dass der hierin vorgesehene und später im ESMV intergouvernemental vereinbarte Stabilitätsmechanismus seinen Zielen und den hierfür vorgesehen Mitteln nach nicht unter die Währungspolitik im Sinne der Art. 3 Abs. 1 lit. c) AEUV und Art. 127 AEUV fällt.74 Vielmehr falle ein solcher in den Bereich der Wirtschaftspolitik.75 Im Hinblick auf den Vorschlag zur Schaffung einer Letztsicherung für den SRB gemäß der EWF- VO-E kann auf die Begründungen der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 zur Einrichtung des SRM verwiesen werden. Sie wird gestützt auf Art. 114 AEUV und dient allgemein dem Funktionieren des Binnenmarkts.76 Dies lässt darauf schließen, dass sich die diesbezüglich im EWF-VO-E bzw. der EWF-Satzung-E vorgesehenen Regelungen im Bereich des Binnenmarkts und mithin in einem Politikbereich der EU im Sinne von Art. 352 Abs. 1 AEUV bewegen.77 2.5. Erforderlichkeit des Handelns 2.5.1. Maßstab Das Tätigwerden der Union muss zur Zielverwirklichung erforderlich erscheinen, wobei die Formulierung „erscheint“ auf den weiten Beurteilungsspielraum des Unionsgesetzgebers verweist. Der Maßstab der Erforderlichkeit, die Funktion des Tatbestandsmerkmals als kompetenzbegrün- 72 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-402/05 P und C-415/05 P (Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission ), Rn. 200, 229 ff. 73 Beschluss 2011/199/EU des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten , deren Währung der Euro ist, ABl. L 91 vom 6.4.2011, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011D0199&qid=1516274145556&from=DE. 74 Zum Folgenden EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 55 ff. 75 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 60. 76 Vgl. bspw. Erwägungsgründe 18 (gleiche Wettbewerbsbedingungen im gesamten Binnenmarkt), 35 (Stärkung der Konvergenz der Aufsichts- und Abwicklungsverfahren in der Union), 58 (Sicherstellung der Kontinuität wesentlicher Finanzdienstleistungen und die Aufrechterhaltung der Stabilität des Finanzsystems) der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 77 Zur Anwendung von Art. 114 AEUV siehe oben 2.2.2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 21 dendes oder kompetenzbegrenzendes Kriterium sowie das Verhältnis des Erforderlichkeitskriteriums des Art. 352 Abs. 1 AEUV zu den Kompetenzausübungsschranken der Erforderlichkeit gemäß Art. 5 Abs. 3 EUV (Subsidiarität) und Art. 5 Abs. 4 EUV (Verhältnismäßigkeit) sind gerichtlich nicht abschließend geklärt und in der rechtswissenschaftlichen Literatur umstritten. Betrachtet man das Kriterium der Erforderlichkeit gemäß Art. 352 AEUV als ein kompetenzbegründendes Merkmal, zu dem die Kompetenzausübungsschranken des Art. 5 Abs. 3 und 4 EUV hinzutreten, so kann ein Handeln insbesondere dann erforderlich erscheinen, wenn eine Diskrepanz zwischen einem Ziel der Verträge und seiner Verwirklichung besteht, die zur Erreichung der Ziele überwunden werden muss.78 Bei der Bewertung und Feststellung der Erforderlichkeit besitzt der Unionsgesetzgeber einen weiten Beurteilungsspielraum. Im Hinblick auf das Kriterium der Erforderlichkeit wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur zudem diskutiert, ob die Erforderlichkeit eines Tätigwerdens auf Unionsebene entfällt, wenn die Mitgliedstaaten gemeinsam durch den Abschluss völkerrechtlicher Verträge auf dem betreffenden Gebiet Regelungen getroffen haben.79 Teilweise wird vertreten, dass in einem solchen Fall eine Diskrepanz zwischen Ziel und Zielverwirklichung nicht mehr bestehe, so dass ein Handeln der EU nicht (mehr) erforderlich ist. Nach anderer Ansicht ist ein sondervertragliches Handeln der Mitgliedstaaten gerade ein Indiz für die Erforderlichkeit einer einheitlich geltenden Regelung zur Verwirklichung eines Ziels der Verträge.80 Diese Diskussion ist noch nicht abgeschlossen und zwingt nicht zu einer bestimmten Bewertung im Hinblick auf die Erforderlichkeit einer auf Art. 352 AEUV gestützten Regelung bei gleichzeitigem Vorliegen einer sondervertraglichen Kooperation der Mitgliedstaaten. Die Feststellungen des EuGH in der Rs. C-370/12 (Pringle) legen jedoch zumindest die Annahme nahe, dass weder die potenzielle Möglichkeit der Inanspruchnahme der Kompetenz gemäß Art. 352 AEUV den Abschluss einer sondervertraglichen Kooperation durch die Mitgliedstaaten ausschließt, noch dass der Abschluss einer solchen Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten das Erfordernis einer auf Art. 352 AEUV gestützten unionsrechtlichen Regelung per se ausschließt.81 2.5.2. Rechtliche Überprüfbarkeit der Kommissionsbegründung Angesichts der offenen, gerichtlich ungeklärten und in der rechtswissenschaftlichen Literatur umstrittenen Maßstäbe des Erforderlichkeitskriteriums sowie des diesbezüglich weiten Beurteilungsspielraums des Unionsgesetzgebers bei der Ausübung seiner Zuständigkeit gemäß Art. 352 78 Vgl. Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 352, Rn. 37; Rossi, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 352 AEUV, Rn. 44. 79 Zur Diskussion und den nachfolgend genannten Argumenten vgl. Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 352, Rn. 38. 80 Vgl. Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 352, Rn. 38 mit Verweis auf die divergierende Wirkung von Unionsrecht und völkerrechtlichen Regelungen. 81 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 67 f.; zur sondervertraglichen Einrichtung des ESM vgl. 6. Erwägungsgrund KOM(2011) 70 endg., abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52011DC0070&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 22 AEUV stellt sich die Frage nach der rechtlichen Überprüfbarkeit der Begründung der Kommission zur Erforderlichkeit ihres Vorschlags. Dies betrifft einerseits die Begründung zur materiellen Rechtmäßigkeit des Vorschlags anhand der vorstehend genannten Kriterien. Hiervon abzugrenzen ist die Pflicht zur Begründung des Vorschlags als wesentliches Formerfordernis.82 Diesbezüglich sind die Vorgaben des Art. 296 Abs. 2 AEUV zu beachten, wonach Rechtsakte mit einer Begründung zu versehen sind, welche die Überlegungen des Urhebers dieses Rechtsakts so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die getroffene Maßnahme entnehmen können und der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben kann.83 Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem Inhalt des Rechtsakts und der Art der geltend gemachten Gründe, zu beurteilen, wobei neben dem Wortlaut auch der Kontext des Rechtsakts sowie sämtliche Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet zu berücksichtigen sind.84 Vor diesem Hintergrund sowie unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des Vorschlags ,85 der primärrechtlichen Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion sowie der Einrichtung des ESM einschließlich der Einführung von Art. 136 Abs. 3 AEUV erscheint, wie im Folgenden ausgeführt wird, aus hiesiger Sicht die von der Kommission vorgetragene materielle Begründung der Erforderlichkeit eines Unionshandelns jedenfalls im Hinblick auf die Überführung des ESM in einen EWF nicht zwingend. Mit Blick auf den weiten Beurteilungsspielraum des Unionsgesetzgebers und mangels Konkretisierungen durch den EuGH ist zu betonen, dass die nachfolgenden Ausführungen lediglich Argumentationslinien aufzeigen, nicht aber eine abschließende Bewertung der Begründung des Erforderlichkeitskriteriums durch die Kommission vornehmen kann. 2.5.3. Begründung des Erfordernisses der Einrichtung eines EWF Entsprechend den Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 352 AEUV verweist die Kommission in ihrem Vorschlag darauf, dass das Tätigwerden der Union notwendig86 sein muss, um eines der Ziele der Verträge zu verwirklichen. Zur Begründung führt die Kommission aus: „Die Notwendigkeit, eine Einrichtung wie den ESM zu schaffen, um die Finanzstabilität des Euro- Währungsgebiets zu erhalten, erwächst aus faktischen Elementen und wird durch Artikel 136 Absatz 3 AEUV sowie den zweiten Erwägungsgrund des ESM-Vertrags bestätigt […]. Die 82 EuGH, Rs. C-413/06 P (Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala), Rn. 166, 181. 83 EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u.a.), Rn. 70. 84 Vgl. EuGH, Rs. C-589/15 P (Anagnostakis/Kommission), Rn. 29; EuGH, Rs. C-63/12 (Kommission/Rat), Rn. 98 f. 85 Siehe oben 1. 86 Die Kommissionsbegründung ersetzt das im deutschen Wortlaut des Art. 352 Abs. 1 AEUV vorgesehene Kriterium „erforderlich erscheint“ durch den Ausdruck „notwendig sein muss“ (Englisch: „the necessity to attain ”; Französisch: „la nécessité d’atteindre”) und stützt auch ihre folgende Begründung auf den letztgenannten Begriff. Mit Blick auf den englischen („should prove necessary“) und französischen („paraît nécessaire“) Wortlaut des Art. 352 AEUV erscheinen sich hieraus – ungeachtet des an sich divergierenden Bedeutungsgehalts der Wörter „erforderlich“ und „notwendig“ – vorliegend jedoch keine abweichenden Anforderungen an die Begründung eines auf Art. 352 AEUV gestützten Handelns der Union zu ergeben. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 23 Einrichtung des EWF ist notwendig, um zum Erhalt der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt, der Euro-Mitgliedstaaten und der Nicht-Euro-Mitgliedstaaten, die sich auf Basis einer engen Zusammenarbeit mit der EZB gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates an der Bankenunion beteiligen, beizutragen.“87 Mit Blick auf die Erforderlichkeit der Errichtung des vorgeschlagenen EWF im Unionsrechtsrahmen verweist die Kommission darauf, dass „die Strukturen die es braucht, damit Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets Stabilitätshilfen erhalten können,“ aus Gründen der Einheit, Effizient und demokratischen Rechenschaftspflicht am besten im EU-Rechtsrahmen und bei einer eigens dafür geschaffenen EU-Einrichtung aufgehoben seien.88 Versteht man das Kriterium der Erforderlichkeit nach den oben unter 2.5.1. genannten Maßstäben als kompetenzbegründendes Merkmal, so stellt sich die Frage, welche Diskrepanzen zwischen einem Ziel der Verträge und seiner Verwirklichung bestehen, die zur Erreichung der Vertragsziele nach Ansicht der Kommission durch ihren Vorschlag überwunden werden sollen. Diesbezüglich ist zunächst festzustellen, dass der Kommissionsvorschlag keine Anhaltspunkte für eine Begründung der „faktischen Elemente“ enthält, aus der sich die Notwendigkeit der Errichtung des EWF erschließt. Daher beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die von der Kommission zur Begründung angeführten Aspekte der Einheit (hierzu 2.5.3.1.), Effizienz (hierzu 2.5.3.2.) und demokratischen Rechenschaftspflicht (hierzu 2.5.3.3.), die von der Kommission als bestehende Diskrepanzen zwischen einem Ziel der Verträge und seiner Verwirklichung identifiziert werden und nun durch die unionsrechtliche Errichtung des EWF überwunden werden sollen. 2.5.3.1. Einheit Die Ausführungen der Kommission lassen darauf schließen, dass der Grund für die Notwendigkeit der unionsrechtlichen Errichtung des EWF aus der Diskrepanz zwischen der Verwirklichung eines einheitlichen Rechtsschutzes und dem Ziel der Gewährleistung von Finanzstabilität im Euro-Währungsgebiet resultiert. Diesbezüglich führt die Kommission aus, dass „das Nebeneinander von EU-Institutionen und einem ständigen zwischenstaatlichen Mechanismus wie dem ESM komplexe Verhältnisse [bewirkt], bei denen Rechtsschutz, Achtung der Grundrechte und demokratische Rechenschaftspflicht zerspalten und uneinheitlich durchgesetzt werden.“89 Infolge einer Überführung der ESM-Aufgaben in den Unionsrechtsrahmen unterlägen die Entscheidungen des EWF als Einrichtung nach dem Unionsrecht und insbesondere die Genehmigungen gemäß Art. 3 EWF-VO-E durch den Rat umfassend den unionsrechtlichen Bindungen und der Kontrolle des EuGH. Nach einer Überführung der ESM-Aufgaben auf den EWF bestünde keine Diskrepanz zwischen dem Vertragsziel der Sicherung der Stabilität im Euro- Währungsgebiet und der Anwendung bzw. Durchsetzbarkeit des Unionsrechts auf diesbezügliche Entscheidungen. Insofern besteht ein Unterschied zu der gegenwärtigen Anwendung und 87 COM(2017) 827 final, S. 13. 88 COM(2017) 827 final, S. 4. 89 COM(2017) 827 final, S. 3. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 24 Durchsetzung des Unionsrechts bei Entscheidungen im bzw. des ESM. In diesem Rahmen findet das Unionsrecht zwar insoweit Anwendung, als sich die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeiten zur Einrichtung des ESM nicht über die Beachtung des Unionsrechts hinwegsetzen dürfen.90 Auch müssen die in einem Memorandum of Understanding (MoU, vgl. Art. 13 Abs. 3 ESMV sowie dementsprechend Art. 13 Abs. 3 EWF-Satzung-E) festzulegenden strengen Auflagen zur Gewährung einer ESM-Finanzhilfefazilität gewährleisten, dass hierbei das Unionsrecht , einschließlich der von der Union im Rahmen der Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen, beachtet wird (Art. 13 Abs. 3 UAbs. 2 ESMV). Abweichungen zur Bindung des EWF bestehen jedoch insoweit, als nicht die Union und deren Organe, sondern vielmehr der ESM als internationale Finanzinstitution auf der Grundlage eines internationalen Übereinkommens zwischen den Euro-Mitgliedstaaten die handelnde Person ist. Die der Kommission und der EZB durch den ESMV übertragenen Aufgaben im Zusammenhang mit der Umsetzung der Ziele des ESMV umfassen keine Entscheidungsbefugnis im eigentlichen Sinn, und die Tätigkeiten dieser beiden Organe im Rahmen des ESMV verpflichten nur den ESM.91 Der Umstand, dass ein oder mehrere Organe der Union im Rahmen des ESM eine bestimmte Rolle spielen können, lässt die Natur des Handelns des ESM, das außerhalb der Unionsrechtsordnung steht, unberührt.92 Insbesondere mit Blick auf die der Kommission gemäß Art. 13 Abs. 3 und 4 ESMV übertragene Aufgabe, über die Vereinbarkeit der vom ESM geschlossenen MoU mit dem Unionsrecht zu wachen, und die unverfälscht fortbestehende Verpflichtung der Kommission aus Art. 17 Abs. 1 EUV, die allgemeinen Interessen der Union zu fördern und die Anwendung des Unionsrechts zu überwachen,93 behält die Kommission auch bei einem Tätigwerden im Rahmen des EMSV „ihre Rolle als Hüterin der Verträge, wie sie sich aus Art. 17 Abs. 1 EUV ergibt, so dass sie davon Abstand nehmen müsste, ein MoU zu unterzeichnen, dessen Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht sie bezweifelt.“94 Bezüglich der Anwendung der Charta der Grundrechte der EU (GRCh) bedeutet dies, dass zwar die im ESM handelnden Mitgliedstaaten nicht in Durchführung des Unionsrechts im Sinne von Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh handeln.95 Jedoch gilt die GRCh für die Unionsorgane auch dann, wenn sie außerhalb des unionsrechtlichen Rahmens handeln.96 Dementsprechend muss die Kommission im Rahmen der Annahme eines MoU sowohl nach Art. 17 Abs. 1 EUV als auch nach Art. 13 Abs. 3 und 4 ESMV sicherstellen, dass ein solches MoU mit den in der GRCh verbürgten Grundrechten vereinbar ist.97 Vor diesem Hintergrund lässt sich eine Diskrepanz insoweit ausmachen, als diese gerichtliche Kontrolle im Falle des ESM nur mittelbar über das Handeln insbesondere der Kommission auf Handlungen 90 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 69. 91 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 161. 92 EuGH, verb. Rs. C-8/15 P bis C-10/15 P (Ledra Advertising u.a.), Rn. 54. 93 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 162 ff. 94 EuGH, verb. Rs. C-8/15 P bis C-10/15 P (Ledra Advertising u.a.), Rn. 59. 95 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 178 ff. 96 EuGH, verb. Rs. C-8/15 P bis C-10/15 P (Ledra Advertising u.a.), Rn. 67. 97 EuGH, verb. Rs. C-8/15 P bis C-10/15 P (Ledra Advertising u.a.), Rn. 67. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 25 des ESM wirkt, während sie bei der Errichtung des EWF im Rahmen der Unionsrechtsordnung auf Handlungen des EWF und seiner Organe an sich wirken könnte. Diese Diskrepanz wird jedoch dadurch relativiert, bereits im gegenwärtigen Rechtsrahmen des ESMV eine unionsgerichtliche Prüfung der Handlungen des ESM und insbesondere der im MoU zu vereinbarenden politischen Auflagen am Maßstab des Unionsrechts möglich sind.98 2.5.3.2. Effizienz Die Ausführungen der Kommission lassen darauf schließen, dass ein weiterer Grund für die Notwendigkeit bzw. das Erfordernis der unionsrechtlichen Errichtung des EWF in einer Diskrepanz zwischen dem Ziel der Gewährleistung von Finanzstabilität im Euro-Währungsgebiet und der Effizienz der Governance und Beschlussfassung im ESM als zwischenstaatlicher Vereinbarung gesehen wird, die bei einer unionsrechtsinternen Ausgestaltung gestärkt würde.99 In diesem Rahmen führt die Kommission beispielsweise aus, dass „die Beschlussfassung bei der intergouvernementalen Methode üblicherweise mühsame nationale Verfahren voraussetzt und daher oft nur schwer mit dem erforderlichen Tempo für ein wirksames Krisenmanagement zu vereinbaren ist.“ Zur Begründung verweist die Kommission auf die Nutzung der EFSM im Juli 2015 als Brückenfinanzierung für eine ESM-Hilfe an Griechenland. Nach Ansicht der Kommission verdeutliche dieser Fall, „dass es in der Praxis schneller machbar war, eine EU- Verordnung zu ändern und ihre Inanspruchnahme zu beschließen, als eine reguläre ESM- Auszahlung zu beschließen.“100 Mit Blick auf den Begriff „reguläre ESM-Auszahlung“ ist zunächst anzumerken, dass die Ausführungen der Kommission offenbar die ESM-vertragliche Unterscheidung zwischen der Entscheidung über die Auszahlung von ESM-Stabilitätshilfen einerseits und der vorgelagerten Grundentscheidung über die Gewährung von ESM-Stabilitätshilfen andererseits vermengen. Die Kommissionsbegründung vermittelt zudem ein unvollständiges Bild, indem sie die tatsächlichen Umstände der Inanspruchnahme der EFSM und der Entscheidungen über ESM-Stabilitätshilfen im Sommer 2015 außer acht lässt. Diese lassen sich wie folgt skizzieren: Seit der zweiten Verlängerung des zweiten EFSF-Hilfsprogramms für Griechenland („Griechenland II“) am 27. Februar 2015101 haben Vertreter der Eurozone sowie der Europäischen Kommission, des IWF und der EZB 98 Ergänzend besteht eine Zuständigkeit des EuGH gemäß Art. 37 Abs. 3 ESMV iVm Art. 273 AEUV zur Entscheidung über Streitigkeiten zwischen den ESM-Vertragstaaten und über die Auslegung und Anwendung des ESMV. 99 COM(2017) 827 final, S. 3. 100 COM(2017) 827 final, S. 3. Die von der Kommission angesprochene Änderung einer EU-Verordnung bezieht sich auf die Änderung der Verordnung (EU) Nr. 407/2010 des Rates vom 11. Mai 2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (ABl. L 118 vom 12.5.2010, S. 1) durch die Verordnung (EU) 2015/1360 des Rates vom 4. August 2015 (ABl. L 210 vom 7.8.2015, S. 1). Hierdurch wurde u.a. ein finanzieller Ausgleich für Nicht-Eurostaaten für den Fall eingeführt, dass von der EFSM ein finanzieller Beistand an einen Euro-Mitgliedstaat gewährt wird. Die von der Kommission am 22. Juli 2015 vorgeschlagene Änderung (COM(2015) 372 final) wurde vom Rat am 4. August 2015 angenommen und ist am 8. August 2015 in Kraft getreten , vgl. http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/HIS/?uri=uriserv:OJ.L_.2015.210.01.0001.01.DEU. 101 Vgl. BT-Drs. 18/4079. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 26 (sog. Troika/Institutionen) mit der griechischen Regierung über den Abschluss dieses Hilfsprogramms und potenziell weitere Hilfen verhandelt. Das „Griechenland II“-Programm lief am 30. Juni 2015 aus. Nach intensiven innerstaatlichen Diskussionen hat Griechenland am 8. Juli 2015 den gemäß Art. 13 Abs. 1 ESMV erforderlichen Antrag auf Stabilitätshilfe des ESM in Form eines ESM-Darlehens gestellt. Auf dieser Grundlage konnten die Verhandlungen über ein ESM-Hilfsprogramm („Griechenland III“) nach dem Verfahren gemäß Art. 13 ESMV beginnen. Dieses wurde am 8. Juli 2015 in Form eines Ersuchens des ESM gemäß Art. 13 Abs. 1 ESMV an die Kommission eingeleitet.102 Für die Dauer der Verhandlungen wurde von den Institutionen ein dringender Kapitalbedarf Griechenlands festgestellt, der bis zum Abschluss des neuen Hilfsprogramms im Wege einer Zwischen- oder Brückenfinanzierung gedeckt werden sollte, wobei verschiedene Instrumente zur Gewährleistung bzw. Absicherung einer Brückenfinanzierung zur Diskussion standen .103 Der Abschluss des neuen Hilfsprogramms, auch auf Grundlage der innerstaatlichen Zustimmungsverfahren , erfolgte schließlich am 18. August 2015.104 Das vorstehend skizzierte Verfahren zum Abschluss des ESM-Programms für Griechenland im Sommer 2015 legt nahe, dass die Kommission in ihrer Begründung sowohl die Funktion der damaligen Inanspruchnahme des EFSM und den Ablauf des Verfahrens für die Gewährung von ESM-Stabilitätshilfen zumindest verkürzend darstellt. Zudem begründet sie nicht die Effizienzgewinne , die – bei einem im Übrigen unveränderten Verfahren zur Gewährung von Stabilitätshilfen – aus der Überführung der ESM-Aufgaben in einen EWF resultieren und das Kriterium der Erforderlichkeit gemäß Art. 352 Abs. 1 AEUV begründen sollen. Als weiteren Nachweis für eine effizientere Verwirklichung der ESM-Aufgaben im Rahmen des Unionsrechts führt die Kommission an, dass die Beschlussfassung bei der intergouvernementalen Methode üblicherweise mühsame nationale Verfahren auch dann voraussetze, wenn Maßnahmen an neue Umstände angepasst werden müssten: „Da selbst geringfügige Änderungen von allen Vertragsparteien auf höchster politischer Ebene unterzeichnet werden, erfordern sie unter Umständen die Zustimmung der nationalen Parlamente. Diese Verfahren sind zeitraubend und können dazu führen, dass Maßnahmen nicht rechtzeitig getroffen werden.“ Demgegenüber biete der Unionsrechtsrahmen „zur Änderung bestehender Rechtsakte verschiedene Methoden, deren Komplexität sich danach richtet, wie schwerwiegend die betreffende Angelegenheit ist und welche Art von Rechtsakt verabschiedet werden soll. Würde der Beschlussfassungsrahmen des 102 Vgl. Schlussfolgerungen des Euro-Gipfels vom 12.7.2015, SN 4070/15, abrufbar unter https://www.esm.europa .eu/sites/default/files/2015-07-12_euro_summit_statement_on_greece.pdf; zum erforderlichen Grundsatzbeschluss gemäß Art. 13 Abs. 2 ESMV und die hierfür gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 ESMFinG erforderliche Zustimmung des Bundestages vgl. BT-Drs. 18/5590 sowie BT-PlPr. 18/117, S. 11352A - 11396C. 103 Vgl. BT-Drs. 18/5590, Anlagen 11 und 12. 104 https://www.esm.europa.eu/press-releases/esm-board-governors-approves-esm-programme-greece; vgl. hierzu den Beschluss des Bundestages vom 19. August 2015 auf Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf den BT-Drs. 18/5780 und 18/5788, eine Vereinbarung über eine Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazilität mit Griechenland nach Art. 13 Abs. 3 S. 3 ESMV anzunehmen sowie einem entsprechenden Memorandum of Understanding zwischen Griechenland und dem ESM nach Art. 13 Abs. 4 ESMV zuzustimmen, BT-PlPr. 18/118, S. 11455B - 11489D. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 27 EU-Rechts angewandt, könnten die maßgeblichen Vorschriften gegebenenfalls rascher angepasst werden.“ Aus den Erwägungen der Kommission erschließt sich nicht, was unter „selbst geringfügigen Änderungen“ zu verstehen ist. Insofern liegt die Annahme nahe, dass die Funktionsweise des ESM im Kommissionsvorschlag nicht vollständig erfasst wird. Die Regelungen des ESMV über die Geschäftsführung des ESM (Art. 4 bis 7 ASMV) sehen ein abgestuftes System der Beschlussfassung vor, wonach grundlegende Entscheidungen im bzw. betreffend den ESM vom Gouverneursrat zu treffen sind. Dies umfasst beispielsweise auch Änderungen der Liste der Finanzhilfeinstrumente gemäß Art. 19 ESMV.105 Zudem erscheint die Begründung der Kommission, dass potenzielle Zustimmungserfordernisse der nationalen Parlamente zeitraubend und somit ein Hindernis für ein rechtzeitiges Ergreifen von Maßnahmen sein können,106 inkonsistent mit der von der Kommission postulierten Notwendigkeit demokratischer Kontrolle und Rechenschaftspflicht. Dies betrifft allgemein die Verbindung zwischen Effizienzererwägungen und dem Erfordernis der Gewährleistung demokratischer Legitimationzusammenhänge. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die von der Kommission angeführten Effizienzgewinne, die das Erfordernis der Überführung des ESM in den Unionsrechtsrahmen im Sinne von Art. 352 Abs. 1 AEUV begründen sollen, in tatsächlicher Hinsicht unvollständig und inhaltlich nicht überzeugend erscheinen. 2.5.3.3. Demokratische Rechenschaftspflicht Die Ausführungen der Kommission legen schließlich nahe, dass ein weiterer Grund für die Notwendigkeit bzw. das Erfordernis der unionsrechtlichen Errichtung des EWF in einer Diskrepanz zwischen dem Ziel der Gewährleistung von Finanzstabilität im Euro-Währungsgebiet und der demokratischen Rechenschaftspflicht des ESM als zwischenstaatlicher Vereinbarung gesehen wird, die bei einer unionsrechtsinternen Ausgestaltung gestärkt würde.107 In der Begründung ihres Vorschlags führt die Kommission aus, dass die „Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion […] auch mehr politische Verantwortung und Transparenz in der Frage [bedeutet], wer was wann und auf welcher Ebene entscheidet. Zu diesem Zweck [müssen] sowohl die nationalen Parlamente als auch das Europäische Parlament in Bezug auf die Durchführung der wirtschaftspolitischen Steuerung der EU mehr Kontrollrechte erhalten.“108 Mit Blick auf den zentralen Aspekt der demokratischen Rechenschaftspflicht könne die Umwandlung des ESM in einen EWF dazu genutzt werden, „seine Funktionsweise im belastbaren Rechenschaftsrahmen der Union zu verankern […] So würde insbesondere die 105 Vgl. BT-Drs. 18/3082 sowie das Gesetz zur Änderung der Finanzhilfeinstrumente nach Artikel 19 des Vertrags vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, BGBl. I 2014, S. 1821. 106 COM(2017) 827 final, S. 3. 107 Zum Folgenden vgl. COM(2017) 827 final, S. 3. 108 COM(2017) 827 final, S. 4. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 28 Einbindung des Europäischen Parlaments die demokratische Kontrolle stärken, während die Rolle der nationalen Parlamente uneingeschränkt gewahrt bliebe, was die hohen mitgliedstaatlichen Beiträge zum EMF [sic] gebieten würden.“109 Der EWF soll dem Europäischen Parlament und dem Rat gegenüber rechenschaftspflichtig sein. Zur demokratischen Kontrolle durch das Europäische Parlament sieht die EWF-VO-E spezielle Rechenschaftspflichten des EWF vor.110 Aus Gründen der Transparenz und der demokratischen Kontrolle sollten auch spezielle Rechenschaftspflichten des EWF gegenüber den nationalen Parlamenten bestehen.111 Bezüglich der Mitwirkung der nationalen Parlamente verweist die Kommission darauf, dass „die Verordnung im Vergleich zum aktuellen ESM-Vertrag auch explizitere Kontrollrechte für die nationalen Parlamente vor[sieht]. Da die Beschlüsse des EWF Auswirkungen für die Bürgerinnen und Bürger seiner Mitgliedstaaten haben werden, sind diese Kontrollrechte gerechtfertigt.“112 Die Erwägungen der Kommission zum Erfordernis einer stärkeren demokratischen Rechenschaftspflicht gegenüber dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten bei der Gewährung von Stabilitätshilfen verdeutlichen nicht hinreichend, dass die für den ESM nicht vorgesehene Einbindung des Europäischen Parlaments aus der intergouvernementalen Struktur des Stabilitätsmechanismus resultiert. Die Legitimationszusammenhänge des ESM beruhen auf der völkervertraglichen Einigung der ESM-Vertragstaaten, die ebenso wie die Entscheidungen im ESM-Vertragsvollzug demokratisch an die nationalen Parlamente rückgebunden sind. Die demokratische Rechenschaftspflicht gegenüber dem Europäischen Parlament muss hingegen grundsätzlich für alle auf EU-Ebene getroffenen Entscheidungen sichergestellt sein. Das rechtliche Erfordernis einer stärkeren demokratischen Rechenschaftspflicht gegenüber dem Europäischen Parlament resultiert mithin nicht bereits aus dem (unionsrechtlich zulässigen) Abschluss bzw. Bestehen einer sondervertraglichen Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten, sondern ist vielmehr das Ergebnis einer Einbindung des ESM in den Unionsrechtsrahmen, wie er von der Kommission vorgeschlagen wird. Dieses Verständnis legt auch die Formulierung im 9. Erwägungsgrund EWF-VO-E nahe, wonach die Einbindung des ESM aufgrund seiner besonderen Bedeutung in den Unionsrahmen gerechtfertigt sei, um „ein höheres Maß an demokratischer Rechenschaftspflicht und Legitimität bei den Beschlussverfahren der Union zu gewährleisten.“ Ohne eine solche Einbindung gäbe es jedoch gar kein Beschlussverfahren der Union bei der Gewährung von Stabilitätshilfen, auf die sich die demokratische Rechenschaftspflicht gegenüber dem Europäischen Parlament beziehen könnte. Darüber hinaus erscheint die von der Kommission angenommene Diskrepanz zwischen dem Handeln des ESM und seinen demokratischen Rechenschaftspflichten den Aufbau und die Funktionsweise des ESM nicht vollständig zu erfassen. Der ESM beruht auf fiskalischer Staatsressourcenpolitik der ESM-Vertragstaaten, um durch die solidarische und konditionierte Gewährung von Stabilitätshilfen die Finanzstabilität im Euro-Währungsgebiet insgesamt zu 109 COM(2017) 827 final, S. 4. 110 9. und 10. Erwägungsgrund sowie Art. 5 EWF-VO-E. 111 11. Erwägungsgrund sowie Art. 6 EWF-VO-E. 112 COM(2017) 827 final, S. 15. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 29 sichern (Art. 3 ESMV).113 Im ESM tragen die von den ESM-Vertragstaaten benannten Mitglieder des Gouverneursrates die Verantwortung für die Verwendung der ESM-Ressourcen, insbesondere durch die Gewährung von Finanzhilfen und die damit verbundenen wirtschaftspolitischen Auflagen (Art. 5 Abs. 6 lit. f) ESMV). Als Regierungsmitglieder der jeweiligen ESM-Vertragstaaten sind die Mitglieder des Gouverneursrates wiederum über die nationalen Rechtsordnungen demokratisch rückgebunden. Jedenfalls in Deutschland besteht darüber hinaus eine zwingende haushaltsverfassungsrechtliche Rückbindung des deutschen Vertreters im ESM an den Bundestag; die von Verfassung wegen erforderliche Mitwirkung bzw. Zustimmung des Bundestages im Rahmen seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung wird durch die im ESM-Vertragsgesetz 114 und ESMFinG115 festgelegten Mechanismen konkretisiert. Damit wird zugleich ein Gleichlauf zwischen den haushaltspolitisch wirksamen Verpflichtungen (Art. 8 ff. ESMV) bzw. der staatlichen Haftung (Art. 8 Abs. 5 ESMV) einerseits und der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages andererseits gewährleistet.116 Insofern ist keine Diskrepanz ersichtlich, die das rechtliche Erfordernis einer demokratischen Rechenschaftspflicht des ESM gegenüber dem Europäischen Parlament begründet. Die vorstehenden Legitimationserfordernisse bestehen auch im Rahmen des vorgeschlagenen EWF fort. Der EWF soll ebenso wie der ESM auf staatlichen Finanzmitteln der Mitgliedstaaten aufbauen, indem die ESM-Vertragstaaten das Kapital des ESM auf den EWF übertragen bzw. das Kapital des EWF von den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets gezeichnet werden soll (Art. 8 bis 11 sowie Tabelle I und II EWF-Satzung-E).117 Während jedes EWF-Mitglied im Umfang seines Anteils am genehmigten Stammkapital zum Ausgabekurs haftet, wird eine Haftung des Unionshaushalts für Ausgaben oder Verluste des EWF ausgeschlossen (Art. 8 Abs. 4 und 5 EWF- Satzung-E). Bleiben somit die Euro-Mitgliedstaaten in der Verantwortung für die Kapitalausstattung des EWF, wirken auch etwaige verfassungsrechtliche Anforderungen an die innerstaatlich-demokratische Rückbindung von Entscheidungen der Mitglieder des ESM- Gouverneursrates auf die Entscheidungen der Mitglieder des EWF-Gouverneursrates bzw. der Verteter der Mitgliedstaaten im Rat fort. Insoweit sind die fortbestehenden Kontrollrechte der nationalen Parlamente nicht lediglich geboten bzw. gerechtfertigt,118 sondern – jedenfalls aus 113 Hufeld, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, EnzEuR Bd. 4, 2015, § 22, Rn. 151, 165 ff. 114 Gesetz zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, BGBl. II S. 981. 115 ESM-Finanzierungsgesetz vom 13. September 2012, BGBl. I S. 1918, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 29. November 2014, BGBl. I S. 1821, 2193. 116 Vgl. BVerfGE 129, 124 (179 ff.); 131, 195 (239 ff.); 135, 317 (400 ff.). 117 COM(2017) 827 final, S. 13, 15. 118 COM(2017) 827 final, S. 4, 14. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 30 Sicht des deutschen Verfassungsrechts119 – zwingend erforderlich, um einen Gleichlauf zwischen Haftung und demokratischer Verantwortung für die eingesetzten Finanzmittel dauerhaft zu gewährleisten.120 Schließlich erscheint es schwer vertretbar, dass die im Kommissionsvorschlag vorgesehenen demokratischen Rechenschaftspflichten des EWF gegenüber dem Europäischen Parlament (Art. 5 EWF-VO-E) und den nationalen Parlamenten (Art. 6 EWF-VO-E) nicht deckungsgleich ausgestaltet sind. Ausgehend von dem Erfordernis eines Gleichlaufs von haushaltspolitischer Verantwortung und Haftung, ungeachtet der Frage nach dem Erfordernis einer demokratischen Rechenschaftspflicht bezüglich der Verwendung der projektierten EWF-Mittel auch auf EU- Ebene, muss sich die Ausgestaltung demokratischer Rechenschaftspflichten primär an der demokratischen Verantwortungsübernahme für die Finanzierung und Haftung des EWF orientieren. Diesbezüglich ergibt sich aus dem Vorschlag der Kommission, dass mit den auf mitgliedstaatlicher Ebene parlamentarisch zu verantwortetenden Finanzierungs- und Haftrungsentscheidungen keine Haftungs- und Finanzierungübernahmen auf EU-Ebene korrespondieren sollen. 2.6. Zusammenfassung Auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH zu den Anforderungen und Grenzen der Anwendung von Art. 352 AEUV bzw. dessen Vorgängerbestimmungen liegt aus hiesiger Sicht die Annahme nahe, dass der Vorschlag der Kommission zur Errichtung eines EWF im Hinblick auf die Übertragung und Wahrnehmung der Aufgaben des ESM die Grenzen des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung überschreitet und dementsprechend nicht auf Art. 352 AEUV gestützt werden kann. Unbeschadet des weiten Beurteilungsspielraums des Unionsgesetzgebers legen zudem die von der Kommission dargelegten Aspekte betreffend die Einheit, Effizienz und demokratische Rechenschaftspflicht nicht überzeugend Diskrepanzen zwischen den Zielen der Verträge und seiner Verwirklichung dar, die die Erforderlichkeit eines Handelns auf Grundlage von Art. 352 AEUV indiziert. Ergänzend ist anzumerken, dass die vorstehenden Erwägungen nicht die Frage nach alternativen Wegen zur Verwirklichung des Regelungsziels des Kommissionsvorschlags präjudizieren. 3. Fragen der Subsidiarität – Einbeziehung nationaler Parlamente 3.1. Subsidiaritätsrüge Art. 352 Abs. 2 AEUV sieht vor, dass die Kommission die nationalen Parlamente im Rahmen des Verfahrens zur Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips nach Art. 5 Abs. 3 EUV auf 119 Für die verfassungsrechtlichen Erfordernisse in anderen Euro-Mitgliedstaaten vgl. für Österreich die Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs vom 16. März 2013, SV 2/12-18, Ziff. 4.1.2., Rn 66 ff.; für Estland die Entscheidung des estnischen Riigikohus (Supreme Court) vom 12. Juli 2012, 3-4-1-6-12, Rn. 126 ff. sowie im Überblick Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 106 ff. 120 Vgl. COM(2012) 777 final, S. 46. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 31 Vorschläge aufmerksam zu machen hat.121 Im Rahmen des sog. Frühwarnsystems können die mitgliedstaatlichen Parlamente gemäß Art. 6 des Protokolls (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze und der Verhältnismäßigkeit innerhalb einer Frist von acht Wochen ab dem Zeitpunkt der Übermittlung des Entwurfs eines Gesetzgebungsakts in allen Amtssprachen der EU begründete Stellungnahmen zur Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 3 EUV) zu einem Rechtsetzungsvorhaben der EU einreichen. Hierbei ist bei Rechtsetzungsvorhaben der EU zu prüfen, ob die von der Europäischen Kommission oder dem Rat angegebene Kompetenznorm den vorgeschlagenen Rechtsakt tatsächlich trägt. Prüfungsmaßstab ist das in Art. 5 EUV verankerte Subsidiaritätsprinzip im weiteren Sinne, welches die Grundsätze der begrenzten Einzelermächtigung (Abs. 1 und 2), der Subsidiarität im engeren Sinne (Abs. 3) und der Verhältnismäßigkeit (Abs. 4) umfasst.122 Zwar ist in der Wissenschaft und in der politischen Diskussion umstritten, ob die Subsidiaritätsprüfung durch die nationalen Parlamente auf das Subsidiaritätsprinzip im engeren Sinne beschränkt ist oder sich auch auf die Tragfähigkeit der Rechtsgrundlage und das Verhältnismäßigkeitsprinzip erstreckt.123 In der Praxis berücksichtigt die Kommission aber nicht nur Subsidiaritätsrügen, in denen eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips im engeren Sinne geltend gemacht wird, sondern auch solche, die auf eine mangelnde Tragfähigkeit der Rechtsgrundlage oder eine Missachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gestützt sind. Auch der Bundestag und eine Reihe anderer nationaler Parlamente haben bei ihren Subsidiaritätsrügen das Subsidiaritätsprinzip im weiteren Sinne als Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt.124 Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung verbleiben alle der EU nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten bei den Mitgliedstaaten. Das bedeutet, dass es keinen EU-Gesetzgebungsakt ohne eine ausreichende Rechtsgrundlage geben darf. Das Subsidiaritätsprinzip im engeren Sinne findet in Art. 5 Abs. 3 EUV seine primärrechtliche Grundlage und wird durch das Protokoll (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit konkretisiert. Gemäß dieser Kompetenzausübungsschranke darf die EU nur tätig werden, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden und daher wegen ihres Umfangs und ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.125 Fehlt es bereits an einer Rechtsgrundlage, liegt ein Verstoß gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 EUV vor; zugleich kann das betreffende Gesetzgebungsvorhaben mangels kompetenzieller Grundlage gar nicht und mithin auch nicht besser im Sinne von Art. 5 Abs. 3 EUV auf Unionsebene verwirklicht werden. 121 Zur Diskussion über das Verhältnis zwischen der Erforderlichkeit im Sinne von Art. 352 Abs. 1 AEUV und der Erforderlichkeit gemäß Art. 5 Abs. 4 EUV vgl. Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 352, Rn. 37; Winkler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der EU, 46. EL Oktober 2011, Art. 352 AEUV, Rn. 68 f. 122 Vgl. BT-Drs. 18/12260, S. 9 f. 123 BT-Drs. 18/12260, S. 10. 124 BT-Drs. 18/12260, S. 16 ff. 125 Zu den Maßstäben für die Prüfung der negativen und positiven Subsidiaritätskriterien vgl. die Kontrollfragen in Anlage 8 zu § 74 Abs. 1 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 – 007/18 Seite 32 Vor diesem Hintergrund kann festgestellt werden, dass eine Subsidiaritätsrüge gemäß Art. 6 des Protokolls (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze und der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf den Vorschlag zur Einrichtung eines EWF gemäß COM(2017) 827 final auch damit begründet werden kann, dass der Vorschlag nicht, wie von der Kommission dargelegt, auf die geteilte Zuständigkeit gemäß Art. 352 AEUV gestützt werden kann. 3.2. Weitere Beteiligungsrechte des Bundestages Der Deutsche Bundestag kann seine Auffassung nicht nur im Rahmen des unionsrechtlich determinierten Subsidiaritätsverfahrens, sondern auch auf Grundlage seiner verfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte in EU-Angelegenheiten gemäß Art. 23 GG zum Ausdruck bringen. Entsprechend seiner Verantwortung für die europäische Integration Deutschlands hat der Deutsche Bundestag das Recht auf informierte Mitwirkung in EU-Angelegenheiten (Art. 23 Abs. 2 GG). Er kann insbesondere durch Stellungnahmen (Art. 23 Abs. 3 GG i.V.m. § 8 EUZBBG) an der gemeinsamen Willensbildung des Bundes bezüglich der deutschen Beteiligung in den EU-Rechtsetzungsverfahren mitwirken. Darüber hinaus erfordert die Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat zu einem auf Art. 352 AEUV gestützten Gesetzgebungsvorhaben eine vorherige Zustimmung des Bundestages durch Gesetz. Gemäß Art. 23 Abs. 1 GG i.V.m. § 8 IntVG126 darf der deutsche Vertreter im Rat dem Erlass der auf Art. 352 AEUV gestützten Verordnung nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem hierzu ein Gesetz gemäß Art. 23 Abs. 1 GG in Kraft getreten ist. Ohne ein solches Gesetz muss der deutsche Vertreter im Rat den Vorschlag zum Erlass von Vorschriften, die auf Art. 352 AEUV gestützt werden, ablehnen.127 Weitere parlamentarische Mitwirkungs- und Zustimmungserfordernisse können sich aus der Notwendigkeit einer dauerhaften Gewährleistung der von Verfassung wegen erforderlichen Mitwirkungsrechten des Bundestages im Rahmen seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung ergeben, wie sie derzeit insbesondere im StabMechG,128 ESM-Vertragsgesetz129 und ESMFinG130 zum Ausdruck kommen .131 – Fachbereich Europa – 126 Integrationsverantwortungsgesetz vom 22. September 2009, BGBl. I S. 3022, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 1. Dezember 2009, BGBl. I S. 3822. 127 Vgl. hierzu Rathke, in: von Arnauld/Hufeld (Hrsg.), SK-Lissabon, 2. Aufl. 2018, § 7 Rn. 189 ff. 128 Stabilisierungsmechanismusgesetz vom 22. Mai 2010, BGBl. I S. 627, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Mai 2012, BGBl. I S. 1166; vgl. hierzu zuletzt BT-Drs. 19/39. 129 Gesetz zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, BGBl. II S. 981. 130 ESM-Finanzierungsgesetz vom 13. September 2012, BGBl. I S. 1918, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 29. November 2014, BGBl. I S. 1821, 2193. 131 Vgl. BVerfGE 129, 124 (167 ff.); 130, 318 (342 ff.); 131, 152 (205f.). 132, 195 (238 ff.); 135, 317 (399 ff.).