© 2017 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 7/17 Verhältnis von Kommission und EFSA Zulässigkeit der Erhöhung von Rückstandhöchstgehalten Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 2 Verhältnis von Kommission und EFSA Zulässigkeit der Erhöhung von Rückstandhöchstgehalten Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 7/17 Abschluss der Arbeit: 24.3.2017 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Fragestellung 4 2. Hintergrund und Verfahrensablauf 4 2.1. Erlass der Verordnung (EU) 2016/1003 4 2.2. Hintergrund der Widersprüche 7 Bestimmung der akuten Referenzdosis 7 Bestimmung des Rückstandhöchstgehalts 9 3. Rechtmäßigkeit der Verordnung (EU) 2016/1003 10 3.1. Inhaltliche Widersprüche 10 3.2. Rechtliche Bewertung der Widersprüche 11 Abweichung von der Stellungnahme der EFSA 11 Rechtmäßigkeit der abweichenden Bewertung durch die Kommission 13 Begründungspflicht der Kommission 16 (Irreführende) Bezugnahme auf die Stellungnahme 17 3.3. Zwischenergebnis 19 4. Verhältnis von EFSA und Kommission 19 4.1. Das Verhältnis von EFSA und der Kommission in der Theorie 19 4.2. Das Verhältnis von EFSA und der Kommission in der Praxis 20 Restriktivere Entscheidungen der Kommission 20 Großzügigere Entscheidungen der Kommission 21 4.3. Zwischenergebnis 22 5. Vorsorgeprinzip bei Risikomanagemententscheidungen 22 5.1. Inhalt des Vorsorgeprinzips 22 5.2. Das Vorsorgeprinzip im Hinblick auf Rückstandhöchstgehalte 23 5.3. Konsequenzen des Vorsorgeprinzips 23 Anwendungsspielraum für das Vorsorgeprinzip 23 Verpflichtungswirkung des Vorsorgeprinzips 24 Verpflichtung zur Übernahme der Risikobewertung der EFSA 26 5.4. Gerichtliche Kontrolle der Beachtung des Vorsorgeprinzips 27 5.5. Zwischenergebnis 29 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 4 1. Einleitung und Fragestellung Gegenstand der nachfolgenden Ausarbeitung ist die Rechtmäßigkeit der Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohlen durch die Verordnung (EU) 2016/10031. Die Verordnung (EU) 2016/1003 weicht diesbezüglich von der Stellungnahme der EFSA (European Food Safety Authority – Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) zum Rückstandhöchstgehalt von Acetamiprid bei Blattkohlen ab.2 Es wird zunächst das Verfahren zur Bestimmung von Rückstandhöchstgehalten und die besonderen Umstände der Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohlen dargestellt (2.). Vor diesem Hintergrund wird geprüft, ob die Anhebung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohl gegen die Verordnung (EG) Nr. 396/2005 verstößt, welche die rechtlichen Grundlagen der Bestimmung des Höchstgehalts an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln festlegt. (3.) Anschließend wird untersucht, ob es Fälle gibt, in denen die Kommission konträr zu Stellungnahmen der EFSA entschieden hat und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen dies möglich ist (4.). Zuletzt soll geprüft werden, ob die EU-Institutionen an Empfehlungen der EFSA zur Absenkung toxikologischer Grenzwerte gebunden sind und welche Rolle dem Vorsorgeprinzip in diesem Kontext zukommt (5.). 2. Hintergrund und Verfahrensablauf 2.1. Erlass der Verordnung (EU) 2016/1003 Die Festlegung der Rückstandhöchstgehalte (maximum residue level – MRL bzw. RHG) von Pestiziden auf Lebens- oder Futtermitteln ist in der Verordnung (EG) Nr. 396/20053 geregelt. Gemäß Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 bewertet die EFSA die Anträge auf Festlegung bestimmter Rückstandhöchstgehalte und gibt eine mit Gründen versehene Stellungnahme insbesondere zu den Risiken für Verbraucher und gegebenenfalls Tiere im Zusammenhang mit der Festlegung, Änderung oder Streichung eines Rückstandhöchstgehalts ab. Hinsichtlich des Antrags auf Festlegung eines erhöhten Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohlen 1 Verordnung (EU) 2016/1003 der Kommission vom 17. Juni 2016 zur Änderung der Anhänge II und III der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Höchstgehalte an Rückständen von Abamectin, Acequinocyl, Acetamiprid, Benzovindiflupyr, Bromoxynil, Fludioxonil, Fluopicolid, Fosetyl, Mepiquat, Proquinazid, Propamocarb, Prohexadion und Tebuconazol in oder auf bestimmten Erzeugnissen , ABl. 2016, L 167/46, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32016R1003&from=DE. 2 EFSA, reasoned opinion – Modification of the existing maximum residue levels for acetamiprid in leafy brassicas , EFSA Journal 2015;13(10):4229, abrufbar unter http://onlinelibrary .wiley.com/doi/10.2903/j.efsa.2015.4229/epdf. 3 Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Februar 2005 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs und zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG des Rates, ABl. 2005, L 70/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32005R0396&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 5 kam die EFSA in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme zu dem Ergebnis: „EFSA proposes to maintain the existing MRLs at the LOQ value of 0.01 mg/kg.“4 Die Bewertung der EFSA entsprach nicht dem Antrag des Herstellers, den Rückstandhöchstgehalt von Acetamiprid bei Blattkohl auf 1,5 mg/kg heraufzusetzen, da nach Ansicht der EFSA Bedenken hinsichtlich der akuten Aufnahme für Verbraucher nicht ausgeschlossen werden konnten.5 Die Entscheidung über Anträge auf die Festlegung von Rückstandhöchstgehalten wird nach Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 von der Kommission getroffen. Nach Eingang der Stellungnahme der EFSA wird von der Kommission unter Berücksichtigung dieser Stellungnahme ein Rechtsakt zur Festlegung, Änderung oder Streichung eines Rückstandhöchstgehalts ausgearbeitet . Die Kommission entschied mit der Verordnung (EU) 2016/10036, unter Bezugnahme auf die mit Gründen versehene Stellungnahme der EFSA, den Rückstandhöchstgehalt von Acetamiprid bei Blattkohl auf 1,5 mg/kg anzuheben. In Erwägungsgrund 10 der Verordnung (EU) 2016/1003 steht dazu: „Hinsichtlich aller anderen Anträge [dazu zählt auch der bezüglich des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid] gelangt die Behörde [EFSA] zu dem Schluss, dass sämtliche Anforderungen in Bezug auf Daten erfüllt sind und die von den Antragstellern gewünschten RHG-Änderungen im Hinblick auf die Verbrauchersicherheit, basierend auf einer Bewertung der Verbraucherexposition für 27 spezifische europäische Verbrauchergruppen, akzeptiert werden können.“ Gemäß Art. 14 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 wird der Rechtsakt der Kommission zur Festlegung von Rückstandhöchstgehalten nach dem in Art. 45 Abs. 4 der Verordnung genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. Art. 45 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 verweist auf Art. 5a und 7 des Beschlusses 1999/468/EG7. Der Beschluss 4 EFSA, reasoned opinion – Modification of the existing maximum residue levels for acetamiprid in leafy brassicas , EFSA Journal 2015;13(10):4229, abrufbar unter http://onlinelibrary .wiley.com/doi/10.2903/j.efsa.2015.4229/epdf. 5 EFSA, reasoned opinion – Modification of the existing maximum residue levels for acetamiprid in leafy brassicas , EFSA Journal 2015;13(10):4229, abrufbar unter http://onlinelibrary .wiley.com/doi/10.2903/j.efsa.2015.4229/epdf („Consequently, EFSA does not recommend changing the MRL for leafy brassicas (Chinese cabbage and kales) since an acute intake concern cannot be excluded for consumers .”). 6 Verordnung (EU) 2016/1003 der Kommission vom 17. Juni 2016 zur Änderung der Anhänge II und III der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Höchstgehalte an Rückständen von Abamectin, Acequinocyl, Acetamiprid, Benzovindiflupyr, Bromoxynil, Fludioxonil, Fluopicolid, Fosetyl, Mepiquat, Proquinazid, Propamocarb, Prohexadion und Tebuconazol in oder auf bestimmten Erzeugnissen , ABl. 2016, L 167/46, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32016R1003&from=DE. 7 Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. 1999, L 184/23, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:01999D0468-20060723&from=EN. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 6 1999/468/EG ist mittlerweile durch die Verordnung (EU) Nr. 182/20118 aufgehoben bzw. ersetzt worden. Erwägungsgrund 21 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 hält fest, dass grundsätzlich jede Bezugnahme in bestehenden Vorschriften auf in dem Beschluss vorgesehene Verfahren als Bezugnahme auf die entsprechenden Verfahren der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 gelten soll. Eine Ausnahme gilt aber für das Regelungsverfahren mit Kontrolle im Sinne von Art. 5a des Beschlusses 1999/468/EG. Art. 5a des Beschlusses 1999/468/EG soll für die Zwecke bestehender Basisrechtsakte , in denen auf jenen Artikel verwiesen wird, vorläufig weiterhin seine Wirkung entfalten .9 Nach Art. 5a des Beschlusses 1999/468/EG unterbreitet der Vertreter der Kommission im Rahmen des Regelungsverfahrens mit Kontrolle dem zuständigen Ausschuss einen Entwurf der zu ergreifenden Maßnahmen. Der Ausschuss gibt eine Stellungnahme zu diesem Entwurf ab. Stimmt der Ausschuss der Maßnahme zu, wird der Entwurf an den Rat und das Parlament zur Prüfung weitergeleitet. Das Parlament kann mit der Mehrheit seiner Mitglieder und der Rat mit qualifizierter Mehrheit den Vorschlag ablehnen, soweit er über die im Basisrechtsakt vorgesehenen Durchführungsbefugnisse hinausgeht oder mit dem Ziel und Inhalt des Basisrechtsakts unvereinbar ist oder gegen die Grundsätze der Subsidiarität oder Verhältnismäßigkeit verstößt. Der zuständige Ständige Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (Standing Committee on plants, animals, food and feed – SCPAFF) gab eine positive Stellungnahme zu dem Entwurf der Verordnung (EU) 2016/1003 der Kommission ab, wobei sich zwei Mitgliedstaaten kritisch zu dem Verordnungsentwurf äußerten.10 Erwägungsgrund 14 der Verordnung (EU) 2016/1003 hält fest, dass die Verordnung der Kommission im Einklang mit der Stellungnahme des zuständigen Ausschusses steht. Nach der positiven Stellungnahme des SCPAFF wurde der Verordnungsentwurf dem Rat und dem Europäischen Parlament zugeleitet. Die Gruppe der Agrarreferenten und –attachés ist im Wege eines informellen schriftlichen Verfahrens zu dem Schluss gelangt, dass es für den Rat keinen Grund gibt, den Erlass der Verordnung abzulehnen.11 Soweit ersichtlich, hat auch das Europäische Parlament den Verordnungsvorschlag nicht abgelehnt . Die Verordnung ist von der Kommission am 17. Juni 2016 erlassen worden. 8 Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, ABl. 2011 L, 55/13, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011R0182&qid=1439389878015&from=DE. 9 Ein Kommissionsvorschlag zur Neuregelung des Regelungsverfahrens mit Kontrolle – der allerdings ohnehin nicht für die Verordnung (EG) Nr. 396/2005 gelten soll – ist noch nicht verabschiedet, s. Kommission, Proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council adapting a number of legal acts providing for the use of the regulatory procedure with scrutiny to Articles 290 and 291 of the Treaty on the Functioning of the European Union, COM(2016) 799 final, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar :a70d9b93-c1ef-11e6-a6db-01aa75ed71a1.0001.02/DOC_1&format=PDF. 10 SCPAFF – Phytopharmaceuticals Pesticides residues, Summary report of the SCPAFF held in Brussels on 22 February 2016 – 23 February 2016, sante.ddg2.g.5(2016)2061075, abrufbar unter https://ec.europa .eu/food/sites/food/files/plant/docs/sc_phyto_20160222_ppr_sum.pdf. 11 Rat, I/A-Punkt-Vermerk vom 26.4.2016, 8304/16, AGRILEG 53, abrufbar unter http://eudoxap01.bundestag .btg:8080/eudox/dokumentInhalt?id=162121&latestVersion=true&type=5 und Mitteilung vom 29.4.2016, CM 2517/16, OJ CRP 1. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 7 2.2. Hintergrund der Widersprüche Kommission und EFSA gelangen zu unterschiedlichen Bewertungen hinsichtlich des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohlen. EFSA möchte den Rückstandhöchstgehalt bei 0,01 mg/kg belassen, die Kommission hat ihn auf 1,5 mg/kg angehoben. Die gegensätzlichen Bewertungsergebnisse von Kommission und EFSA sind auf die unterschiedlichen Bewertungsgrundlagen , namentlich den Wert der akuten Referenzdosis, zurückzuführen, mit denen die beiden Einrichtungen arbeiten. Bestimmung der akuten Referenzdosis Die EFSA stellt in ihrer Stellungnahme entscheidend auf die akute Referenzdosis (ARfD) ab,12 welche das EFSA PPR (Panel on Plant Protection Products and their Residues – Gremium für Pflanzenschutzmittel und ihre Rückstände) 2013 in einem wissenschaftlichen Gutachten gemäß Art. 29 der Verordnung (EG) Nr. 178/200213 für Acetamiprid vorgeschlagen hat.14 Bei Anwendung einer akuten Referenzdosis von 0,025 mg/kg Körpergewicht, wie sie das EFSA PPR vorgeschlagen hat, konnten laut EFSA Bedenken hinsichtlich der akuten Aufnahme bei einer Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohlen nicht ausgeschlossen werden. Bei Anwendung einer akuten Referenzdosis von 0,1 mg/kg Körpergewicht, welche 2004 von der Kommission mit Zustimmung des zuständigen Ausschusses festgelegt worden ist15, wurde von EFSA 12 EFSA, reasoned opinion – Modification of the existing maximum residue levels for acetamiprid in leafy brassicas , EFSA Journal 2015;13(10):4229, abrufbar unter http://onlinelibrary .wiley.com/doi/10.2903/j.efsa.2015.4229/epdf (“The toxicological profile of acetamiprid was assessed in the framework of the peer review under Directive 91/414/EEC and the data were sufficient to derive an acceptable daily intake (ADI) of 0.07 mg/kg bw per day and an acute reference dose (ARfD) of 0.1 mg/kg bw. However, in 2013, based on additional information on the developmental neurotoxicity potential, the EFSA PPR Panel recommended to lower the ADI and ARfD to a value of 0.025 mg/kg bw per day.”). 13 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit, ABl. 2002, L 31/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02002R0178-20140630&from=EN. 14 EFSA PPR Panel, Scientific Opinion on the developmental neurotoxicity potential of acetamiprid and imidacloprid , EFSA Journal 2013;11(12):3471, abrufbar unter http://onlinelibrary .wiley.com/doi/10.2903/j.efsa.2013.3471/epdf. 15 Kommission, Review report for the active substance acetamiprid – finalised in the Standing Committee on the Food Chain and Animal Health at its meeting on 29 June 2004 in view of the inclusion of acetamiprid in Annex I of Council Directive 91/414/EEC, SANCO/1392/2001-final. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 8 hingegen auch bei erhöhten Rückstandshöchstgehalten keine Überschreitung der akuten Referenzdosis festgestellt.16 Die EFSA kommt in ihrer begründeten Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass aufgrund der Überschreitung der von EFSA PPR vorgeschlagenen akuten Referenzdosis, eine Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohl nicht zu empfehlen sei. Die Vorschläge des EFSA PPR für eine Absenkung der erlaubten Tagesdosis (acceptable daily intake – ADI) und der akuten Referenzdosis (ARfD) für Acetamiprid auf 0,025 mg/kg Körpergewicht werden mit den Indikationen der verfügbaren Studien zur Entwicklungsneurotoxizität von Acetamiprid und den damit verbundenen Unsicherheiten bei der Festlegung der entsprechenden sog. NOAELs (No Observed Adverse Effect Level) begründet, welche die Grundlage zur Bestimmung der ADI und ARfD sind. Das EFSA PPR kommt zu der Auffassung, dass die derzeitigen Werte der ADI und ARfD für Acetamiprid im Hinblick auf die mögliche Neurotoxizität von Acetamiprid nicht schützend genug sein könnten. Es schlägt daher vor, die Werte für ADI und ARfD abzusenken, bis weitere Daten zur Entwicklungsneurotoxizität von Acetamiprid vorliegen.17 Die Vorschläge des EFSA PPR sind bereits kurz nach ihrer Veröffentlichung im SCPAFF in der Sektion Phytopharmaceuticals – Plant Protection Products – Legislation erörtert worden.18 Bei einem Treffen der Sektion im Dezember 2014 führte die Kommission aus, dass eine Entscheidung bezüglich der neuen Referenzwerte, die das EFSA PPR in seinem Gutachten vorgeschlagen habe, getroffen werden müsste. Wenn sich der SCPAFF auf diese neuen Werte verständige, würde dies 16 EFSA, reasoned opinion – Modification of the existing maximum residue levels for acetamiprid in leafy brassicas , EFSA Journal 2015;13(10):4229, abrufbar unter http://onlinelibrary .wiley.com/doi/10.2903/j.efsa.2015.4229/epdf (“Scenario 1: ADI 0.07 mg/kg bw per day; ARfD: 0.1 mg/kg bw (EC, 2004) […] No exceedance of ARfD was identified in relation to the MRL proposal for leafy brassicas, since the maximum acute exposure was calculated to be 49 % of the ARfD (NL diet). Scenario 2: ADI 0.025 mg/kg bw per day; ARfD: 0.025 mg/kg bw (EFSA PPR Panel, 2013) […] Considering the highest residue level of 0.73 mg/kg observed in the submitted residue trials and the ARfD value recommended by EFSA in its 2013 evaluation , acute intake concerns cannot be excluded for the following crops: Kale: 197 % of the ARfD (NL, diet) [and] Chinese cabbage: 108 % of the ARfD (NL, diet) Therefore, EFSA would not recommend the setting of MRL of 1.5 mg/kg on kale and Chinese cabbage.”). 17 EFSA PPR Panel, Scientific Opinion on the developmental neurotoxicity potential of acetamiprid and imidacloprid , EFSA Journal 2013;11(36):3471, abrufbar unter http://onlinelibrary .wiley.com/doi/10.2903/j.efsa.2013.3471/epdf. (“Based on the indications provided by the available DNT studies and the associated uncertainties in establishment of the corresponding NOAELs, the Panel considers that the current ARfDs may not be protective enough for the possible developmental neurotoxicity of acetamiprid and imidacloprid. […]The PPR Panel recommends that a more conservative NOAEL of 2.5 mg/kg bw per day for ACE should be used as a point of departure for the derivation of ADI, ARfD and AOELs, which thus should be set at 0.025 mg/kg bw (per day). When new and more reliable DNT data are available, the point of departure can be revised.”). 18 SCPAFF – Phytopharmaceuticals Legislation, Summary report of the SCPAFF held in Brussels on 19 March 2014 – 20 March 2014, SANCO G g.dir(2014)2877778, abrufbar unter https://ec.europa .eu/food/sites/food/files/plant/docs/sc_phytopharmaceuticals_sum_2014031920_pppl_en.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 9 einen Einfluss auf die Bestimmung von Rückstandhöchstgehalten haben.19 Bei seinem Treffen im Januar 2016 entschied der Ständige Ausschuss in der Sektion Phytopharmaceuticals Legislation, die vom EFSA PPR in dem wissenschaftlichen Gutachten vorgeschlagenen Werte nicht anzuerkennen .20 Die Frage solle bei der Prüfung der Genehmigungserneuerung von Acetamiprid als Wirkstoff unter Berücksichtigung aller in diesem Rahmen vorgelegten Daten geprüft werden. Bestimmung des Rückstandhöchstgehalts Über die Erhöhung von Rückstandhöchstgehalten hat nicht die Sektion Phytopharmaceuticals Legislation des SCPAFF zu entscheiden, sondern die Sektion Phytopharmaceuticals Pesticides Residues. Die Sektion Phytopharmaceuticals Pesticides Residues des SCPAFF befasste sich im November 2015 mit der Ansicht von EFSA zu den ADI und ARfD für Acetamiprid und der Stellungnahme von EFSA zur Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohlen. In der Zusammenfassung des Treffens steht: „On the specific case of acetamiprid, Member States were invited to share their views on the need to endorse the lowered toxicological reference values with the Commission by 8 January 2016 taking into account all the relevant information on the matter. If the experts of the residues and legislation Committee would agree to endorsing the lowered values, those could be noted in the Legislation committee in January 2016.”21 Auf dem Treffen am 22. und 23. Februar 2016 der Sektion Phytopharmaceuticals Pesticides Residues des SCPAFF legte die Kommission den Vertretern der Mitgliedstaaten im Ausschuss den Entwurf der Verordnung (EU) 2016/1003 zur Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohl vor. Die Zusammenfassung des Treffens hält dazu fest, dass die Sektion Phytopharmaceuticals Legislation des SCPAFF die Beibehaltung der bisherigen ADI und ARfD-Werte für Acetamiprid befürwortet hätte und auf dieser Grundlage keine Bedenken für die Gesundheit 19 SCPAFF – Phytopharmaceuticals Legislation, Summary report of the SCPAFF held in Brussels on 11 December 2014 – 12 December 2014, sante.ddg2.g.001(2015)1219194, abrufbar unter https://ec.europa .eu/food/sites/food/files/plant/docs/sc_phytopharmaceuticals_sum_2014121112_pppr_en.pdf (“The Commission clarified that a decision will need to be taken as regards the new reference values proposed by EFSA in their Opinion. In case these new reference values are agreed upon within this standing Committee, they will have an impact also on MRLs.”). 20 SCPAFF – Phytopharmaceuticals Legislation, Summary report of the SCPAFF held in Brussels on 28 January 2016 – 29 January 2016, sante.ddg2.g.5(2016)3041112, abrufbar unter https://ec.europa .eu/food/sites/food/files/plant/docs/sc_phyto_20160128_pppl_sum.pdf (“The Committee formally agreed not to consider the toxicological values that were derived by EFSA in the framework of the Scientific Opinion on the developmental neurotoxicity potential of acetamiprid and imidaclprid.”). 21 SCPAFF – Phytopharmaceuticals Pesticides residues, Summary report of the SCPAFF held in Brussels on 30 November 2015 – 1 December 2015, sante.ddg2.g.001(2015)6458193, abrufbar unter https://ec.europa .eu/food/sites/food/files/plant/docs/sc_phytopharmaceuticals_sum_20151130_ppr_en.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 10 der Verbraucher bestünden.22 Der Ausschuss gab eine positive Stellungnahme zu dem Verordnungsentwurf ab, wobei sich allerdings zwei Mitgliedstaaten kritisch zu dem Verordnungsentwurf äußerten. Ein Mitgliedstaat führte ausweislich der Zusammenfassung des Treffens aus, dass eine Entscheidung über die Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts hätte aufgeschoben werden sollen, bis die verschiedenen Ansichten des EFSA PPR und der Sektion Phytopharmaceuticals Legislation des SCPAFF über die Referenzwerte von Acetamiprid aufgeklärt seien. Er könne keine Erhöhung unterstützen, wenn EFSA diesbezüglich aufgrund von durch EFSA vorgeschlagenen Werten Bedenken hinsichtlich der Verbraucher geäußert habe. Zudem äußerte der Mitgliedstaat die Ansicht, dass ein Erwägungsgrund der Verordnung die Ergebnisse der Stellungnahme von EFSA besser ausdrücken sollte als in dem Entwurf geschehen.23 Diese Ansicht wurde ausweislich der Zusammenfassung von einem weiteren Mitgliedstaat geteilt, der die Erhöhung hinsichtlich des Verbraucherschutzes kritisch sah und ebenfalls die Ansicht äußerte, dass ein Erwägungsgrund der Verordnung die Ergebnisse der Stellungnahme von EFSA besser darstellen sollte als in dem Entwurf geschehen.24 3. Rechtmäßigkeit der Verordnung (EU) 2016/1003 3.1. Inhaltliche Widersprüche In der offiziellen Zusammenfassung („summary“) der begründeten Stellungnahme von EFSA steht: „The submitted supervised residue trials would be sufficient to derive an MRL proposal of 1.5 mg/kg on leafy brassica, however since an acute risk for the consumers cannot be excluded, EFSA does not recommend changing of the MRL for the crops under consideration.” EFSA kommt in der Stellungnahme mithin zu dem Ergebnis, dass eine Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid auf 1,5 mg/kg für die untersuchten Pflanzen nicht zu empfehlen sei, da 22 SCPAFF – Phytopharmaceuticals Pesticides residues, Summary report of the SCPAFF held in Brussels on 22 February 2016 – 23 February 2016, sante.ddg2.g.5(2016)2061075, abrufbar unter https://ec.europa .eu/food/sites/food/files/plant/docs/sc_phyto_20160222_ppr_sum.pdf (“For acetamiprid, the Committee’s section on PPP Legislation endorsed maintaining the current toxicological reference values. On that basis, there are no concerns on consumer health identified for the proposed MRLs on leafy brassica.”). 23 SCPAFF – Phytopharmaceuticals Pesticides residues, Summary report of the SCPAFF held in Brussels on 22 February 2016 – 23 February 2016, sante.ddg2.g.5(2016)2061075 (“One Member State motivated its abstention by stating that the MRL proposal for acetamiprid in the commodity group “leafy Brassicas” should have been put on hold until the different views of EFSA and the Standing Committee regarding the acute reference dose (ARfD) have been clarified. Meanwhile it could not support any MRL recommendation where EFSA identified intake concerns for European consumers on the basis of the toxicological reference values proposed by EFSA. In addition to this, it also considered that one of the recitals of the proposal should better reflect the conclusions of EFSA's reasoned opinion.”). 24 SCPAFF – Phytopharmaceuticals Pesticides residues, Summary report of the SCPAFF held in Brussels on 22 February 2016 – 23 February 2016, sante.ddg2.g.5(2016)2061075 (“Another Member State motivated its vote against the proposal by stating that it did not find the proposed MRLs for acetamiprid in leafy brassica - Chinese cabbage and kale - sufficiently protective for the consumers. It did not support the establishment of new MRLs exceeding the ARfD proposed by EFSA as the latter may be reduced in relation to the upcoming review of acetamiprid . In addition, it also considered that one of the recitals of the proposal should better reflect the conclusions of EFSA's reasoned opinion.”). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 11 Bedenken hinsichtlich der akuten Aufnahme für Verbraucher nicht ausgeschlossen werden können . In der Stellungnahme von EFSA wird unter dem Punkt 4 („consumer risk assessment“) deutlich, dass es zwei verschiedene ADI und ARfD für Acetamiprid gibt. Zum einen wurden diese Werte 2004 von der Kommission im Rahmen der Genehmigung des Wirkstoffs Acetamiprid mit Zustimmung des zuständigen Ausschusses festgelegt25, zum anderen hat das EFSA PPR in einem wissenschaftlichen Gutachten 2013 für Acetamiprid eine niedrigere Tagesdosis und akute Referenzdosis vorgeschlagen.26 Gestützt auf die vom EFSA PPR vorgeschlagenen Werte kommt die EFSA in ihrer Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass eine Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts auf 1,5 mg/kg für Blattkohl nicht zu empfehlen sei. Die Kommission hingegen hebt in der Verordnung (EU) 2016/1003 den Rückstandhöchstgehalt von Acetamiprid bei Blattkohl auf 1,5 mg/kg an und weicht damit von der Empfehlung der EFSA in ihrer begründeten Stellungnahme ab. Dabei nimmt die Kommission ausdrücklich auf diese Stellungnahme Bezug und betont in Erwägungsgrund 10 der Verordnung, dass EFSA zu dem Schluss gelangt sei, „dass sämtliche Anforderungen in Bezug auf Daten erfüllt sind und die von den Antragstellern gewünschten RHG-Änderungen im Hinblick auf die Verbrauchersicherheit, basierend auf einer Bewertung der Verbraucherexposition für 27 spezifische europäische Verbrauchergruppen , akzeptiert werden können.“ Tatsächlich hat EFSA in der Stellungnahme festgehalten , dass die Datenanforderungen erfüllt seien und ausreichen würden, um die von den Antragstellern gewünschte Erhöhung der Höchstrückstandsmengen herzuleiten. Allerdings hat die EFSA im abschließenden Ergebnis festgehalten, dass sie aufgrund des nicht ausgeschlossenen akuten Risikos für Verbraucher keine Anhebung empfiehlt. Diese Ausführung wird in der Verordnung (EU) 2016/1003 nicht weiter erwähnt. 3.2. Rechtliche Bewertung der Widersprüche Abweichung von der Stellungnahme der EFSA Zunächst soll geklärt werden, ob und inwieweit die Kommission (und der zuständige Ausschuss) bei Erlass einer Durchführungsverordnung zur Festlegung von Rückstandhöchstgehalten von der diesbezüglichen Stellungnahme des EFSA abweichen und gegebenenfalls eigene Risikobewertungen vornehmen dürfen. Nach Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 muss die Kommission die begründete Stellungnahme der EFSA „berücksichtigen“. Dem Wortlaut nach fordert Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 nur, dass die Kommission die Stellungnahme der EFSA beachtet. Eine Pflicht zur 25 Kommission, Review report for the active substance acetamiprid – finalised in the Standing Committee on the Food Chain and Animal Health at its meeting on 29 June 2004 in view of the inclusion of acetamiprid in Annex I of Council Directive 91/414/EEC, SANCO/1392/2001-final. 26 EFSA PPR Panel, Scientific Opinion on the developmental neurotoxicity potential of acetamiprid and imidacloprid , EFSA Journal 2013;11(12):3471, abrufbar unter http://onlinelibrary .wiley.com/doi/10.2903/j.efsa.2013.3471/epdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 12 Berücksichtigung ist nicht gleichbedeutend mit einer Bindung oder einer Pflicht, die Stellungnahme für die eigene Entscheidung zu übernehmen. Der Wortlaut spricht mithin für eine Abweichungsbefugnis der Kommission. Nach Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 kann die Kommission Entscheidungen oder Unterlassungen der Behörde im Rahmen der ihr mit dieser Verordnung übertragenen Befugnisse aus eigener Initiative oder auf Ersuchen eines Mitgliedstaats oder einer unmittelbar und individuell betroffenen Person überprüfen. Diese Regelung macht deutlich, dass die Kommission sich über die Entscheidungen der EFSA hinwegsetzen kann, indem sie diese überprüft und ändert. Auch das spricht für eine Abweichungsbefugnis. Ausweislich der Begründung des Entwurfs der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 ist die Kommission für das Risikomanagement zuständig und entscheidet auf der Grundlage der EFSA-Stellungnahme über die Festsetzung von Rückstandhöchstgehalten. Die Entwurfsbegründung hält ausdrücklich fest: „Dies bedeutet nicht, dass sie sich automatisch und vollständig auf die Beurteilung durch die EFSA stützt. Die Kommission hat die Risikobewertung und die EFSA-Stellungnahme eigenverantwortlich zu prüfen.“27 Der Gerichtshof der EU (EuGH) hat bisher noch nicht über die Bindungswirkung von EFSA-Stellungnahmen im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 entschieden. Es gibt jedoch Beschlüsse des Gerichts der EU (EuG) zur Bindungswirkung von EFSA-Stellungnahmen, u. a. im Rahmen der Genehmigung von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen. In diesem Kontext entschied das EuG, allein die Tatsache, dass die Kommission vor ihrer Entscheidung eine Stellungnahme 27 Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Höchstwerte für Pestizidrückstände in Erzeugnissen pflanzlichen und tierischen Ursprungs, KOM(2003) 117 endgültig, S. 15, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52003PC0117&qid=1486571086821&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 13 der EFSA einholen müsse, lasse nicht den Rückschluss zu, dass die Kommission an diese Stellungnahme gebunden sei.28 Diese Würdigung lässt sich auf die Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 übertragen. Die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 lässt nach hiesiger Ansicht daher den Schluss zu, dass die Kommission bei ihrer Entscheidung befugt ist, von der begründeten Stellungnahme der EFSA abzuweichen. Allein die Tatsache, dass die Kommission zu einem anderen Ergebnis als die EFSA hinsichtlich der Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohl gelangt ist, führt folglich noch nicht zur Rechtswidrigkeit der Verordnung (EU) 2016/1003. Rechtmäßigkeit der abweichenden Bewertung durch die Kommission Wie vorgehend dargestellt, sprechen überzeugende Gründe dafür, dass die Kommission von der Risikobewertung der EFSA abweichen darf und eine eigene Bewertung vornehmen kann. Die Kommission muss nach Ansicht der Literatur allerdings legitime Gründe dafür haben, von der Risikobewertung der EFSA abzuweichen.29 Dies folgt auch aus der Rechtsprechung des EuGH und des EuG. Das Gericht führte beispielsweise zu einer Entscheidung der Kommission in Abweichung von der Risikobewertung eines wissenschaftlichen Gutachtens aus, die Kommission müsse „darlegen, aus welchen Gründen es von dem Gutachten abweicht“30 und gab damit inzident vor, dass es legitimer Gründe bedarf, um eine Abweichung zu rechtfertigen. Dieselbe Schlussfolgerung lässt auch ein Urteil des EuGH zu, in welchem sich zu der Frage, ob die Kommission von einer wissenschaftlichen Stellungnahme des Tierarzneimittelausschusses abweichen darf, der folgende Abschnitt findet: „Die Kommission war […] keineswegs verpflichtet, nur die Stellungnahme des Tierarzneimittelausschusses zu berücksichtigen, […] sondern durfte sich auf 28 EuG, Beschluss v. 17. Juni 2008, Rs. T-311/06, ECLI:EU:T:2008:205 – FMC Chemical und Arysta Lifesciences / EFSA, Rn. 52-56 („Second, the applicants’ argument that the contested measure produces binding legal effects must also be rejected. […] Although, admittedly, the Commission adopts its decision not to include, or to include , the substance in question in Annex I to Directive 91/414 after obtaining the opinion of EFSA, note must be taken of the fact that there is nothing in Regulation No 451/2000 to suggest that the Commission is obliged to comply with EFSA opinions in substantive terms and therefore has no discretion. As regards the parallel argument of ECPA relating to the wording of Article 8(8) of Regulation No 451/2000, and also of Article 5 and Article 8(2) of Directive 91/414, this too must be rejected. […] it must be noted, in the first place, that Article 8(8) of Regulation No 451/2000 provides that, after receiving the EFSA opinion, the Commission is to draw up a draft review report and that, on the basis of the finalised review report, it is to submit a draft directive or decision to the Committee. It does not follow from that provision that the Commission is bound by the EFSA opinion. In the second place, contrary to ECPA’s contention, Article 5 of Directive 91/414 merely describes the conditions to be fulfilled in order for an active substance to be included in Annex I to Directive 91/414 and does not contain any indication that would support the conclusion that the Commission may not depart from the EFSA opinion. Similarly , and in the third place, Article 8(2) of Directive 91/414 merely confirms that, in order for a substance to be included in Annex I, it must fulfil the conditions of Article 5. It does not follow from Article 8(2) of Directive 91/414 that the Commission must adhere to the EFSA opinion.”); bestätigt in EuG, Urt. v. 9 September 2011, Rs. T-475/07, ECLI:EU:T:2011:445 – Dow AgroSciences/Kommission, Rn. 87 und EuG, Urt. v. 16. März 2016, Rs. T‑100/15, ECLI:EU:T:2016:150 – Dextro Energy/Kommission, Rn. 25. 29 Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, 2009, S. 253 ff.; Rademacher, Realakte im Rechtsschutzsystem der Europäischen Union, 2014, S. 82 ff. 30 EuG, Urt. v. 11. September 2002, Rs. T-13/99, ECLI:EU:T:2002:209 – Pfizer Animal Health, Rn. 199. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 14 andere wissenschaftliche Informationen und Prüfungen […] stützen.“31 Diese anderen Informationen waren nach Ansicht des EuGH ein Argument dafür, dass die Entscheidung der Kommission trotz Widerspruchs zu der wissenschaftlichen Stellungnahme des Tierarzneimittelausschusses rechtmäßig war. Es bedarf mithin legitimer Gründe für die Kommissionsentscheidung. Die Bewertung der Risiken, die sich aus einer Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohlen ergeben würden, beruht auf der Höhe der akuten Referenzdosis. Die Kommission hat für die akute Referenzdosis den Wert aus 2004 von 0,1 mg/kg Körpergewicht angenommen . Die EFSA hat in ihrer Stellungnahme festgestellt, dass bei Zugrundelegung der akuten Referenzdosis von 0,1 mg/kg Körpergewicht aus 2004 für Acetamiprid keine Bedenken gegen eine Erhöhung der Rückstandhöchstgehalte bei Blattkohlen bestünden. Im Rahmen der Diskussion der Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts im zuständigen Ausschuss wurde die Befürwortung der bisherigen akuten Referenzwerte für Acetamiprid aus 2004 durch die Sektion Phytopharmaceuticals Legislation des SCPAFF thematisiert und festgehalten, dass auf dieser Grundlage keine Bedenken für die Gesundheit der Verbraucher bestünden.32 Die EFSA hat in ihrer Stellungnahme hingegen der neuen akuten Referenzdosis von 0,025 mg/kg Körpergewicht, welche das EFSA PPR 2013 vorgeschlagen hat, entscheidende Bedeutung zugemessen. Die materielle Rechtmäßigkeit der Verordnung (EU) 1003/2016 hängt somit von der Frage ab, welche akuten Referenzwerte zur Grundlage der Risikobewertung gemacht werden konnten bzw. ob es zulässig war, auf die akute Referenzdosis von 0,1 mg/kg Körpergewicht, wie sie 2004 festgelegt worden ist, abzustellen. Gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 umfasst die Stellungnahme der EFSA zu Anträgen auf Erhöhung oder Änderung von Rückstandhöchstgehalten eine Bewertung des Risikos, dass die vertretbare Tagesdosis oder die akute Referenzdosis infolge der Änderung des Rückstandhöchstgehalts überschritten wird. Die Verordnung erklärt nicht, von wem bzw. wie die akute Referenzdosis zu bestimmen ist. Die akute Referenzdosis eines Pflanzenschutzmittels wird zumeist bei der Genehmigung eines Pflanzenschutzmittelwirkstoffs wie Acetamiprid festgelegt. Die Verordnung (EG) Nr. 1107/200933 hält zur akuten Referenzdosis in ihrem Anhang II unter Punkt 3.1. fest: „Das gemäß Art. 7 Abs. 1 vorgelegte Dossier [zu einem Wirkstoff im Genehmigungsverfahren] muss die notwendigen Angaben enthalten, um gegebenenfalls die annehmbare Tagesdosis (ADI), die annehmbare Anwender- 31 EuGH, Urt. v. 17. Juli 2008, Rs. C-488/06, ECLI:EU:C:2008:418 – cp-Pharma/Deutschland, Rn. 37. 32 SCPAFF – Phytopharmaceuticals Pesticides residues, Summary report of the SCPAFF held in Brussels on 22 February 2016 – 23 February 2016, sante.ddg2.g.5(2016)2061075, abrufbar unter https://ec.europa .eu/food/sites/food/files/plant/docs/sc_phyto_20160222_ppr_sum.pdf (“For acetamiprid, the Committee’s section on PPP Legislation endorsed maintaining the current toxicological reference values. On that basis, there are no concerns on consumer health identified for the proposed MRLs on leafy brassica.”). 33 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates, ABl. 2009, L 309/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02009R1107-20140630&from=EN. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 15 exposition (AOEL) und die akute Referenzdosis (ARfD) zu bestimmen.“ Im Rahmen der Genehmigung des Wirkstoffs Acetamiprid durch die Richtlinie 2004/99/EG34 ist in deren Anhang I festgehalten worden: „Bei der Anwendung der einheitlichen Grundsätze gemäß Anhang VI sind die Schlussfolgerungen des vom Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit am 29. Juni 2004 abgeschlossenen Beurteilungsbericht für Acetamiprid und insbesondere dessen Anlagen I und II zu berücksichtigen.“ In diesem Beurteilungsbericht des Ausschusses ist eine akute Referenzdosis von 0.1 mg/kg Körpergewicht für Acetamiprid festgelegt worden.35 In einem wissenschaftlichen Gutachten schlug das EFSA PPR 2013 eine akute Referenzdosis von 0.025 mg/kg Körpergerwicht für Acetamiprid vor. Dieser Vorschlag erfolgte in Form eines wissenschaftlichen Gutachtens gemäß Art. 29 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. Gemäß Art. 22 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ist es Aufgabe der EFSA, die wissenschaftliche Beratung sowie die wissenschaftliche und technische Unterstützung für die Rechtsetzung und Politik der Gemeinschaft in allen Bereichen, die sich unmittelbar oder mittelbar auf die Lebensmittelund Futtermittelsicherheit auswirken. EFSA soll unabhängige Informationen über alle Fragen in diesen Bereichen bereitstellen und auf Risiken aufmerksam machen. Gemäß Art. 22 Abs. 6 erstellt EFSA Gutachten, die als wissenschaftliche Grundlage für die Ausarbeitung und den Erlass von Gemeinschaftsmaßnahmen in den Bereichen ihres Auftrags dienen. Die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 postuliert keine Rechtswirkung der EFSA-Gutachten und keine Verpflichtung der Kommission, mit ihren Maßnahmen den wissenschaftlichen Gutachten der EFSA zu folgen. Es gibt im Unionsrecht keine konkreten gesetzlichen Vorgaben zur verbindlichen Bestimmung der akuten Referenzdosis. Die Systematik des Unionsrechts in diesem Bereich spricht aber dafür, dass allein die von Kommission und Ausschuss festgelegte akute Referenzdosis Bindungswirkung entfaltet. Die EFSA kann eine Änderung der akuten Referenzdosis anregen. Verbindlichkeit entfaltet der Wert jedoch erst, wenn er von der Kommission und dem Ausschuss als den politischen Entscheidungsträgern anerkannt worden ist.36 Demnach genießt die akute Referenzdosis von 2004 Vorrang vor der akuten Referenzdosis, welche das EFSA PPR 2013 in einer Stellungnahme postuliert hat, die aber von der Kommission und der Sektion Phytopharmaceuticals Legislation des SCPAFF abgelehnt worden ist. Diese Annahme wird gestützt durch die Zusammenfassung des Treffens der Sektion Phytopharmaceuticals Pesticides Residues des SCPAFF am 22. und 23. Februar 2016. In der Zusammenfassung des Treffens steht: „Following comments by several Member states, the Commission referred to the established procedure where the section on PPP 34 Richtlinie 2004/99/EG der Kommission vom 1. Oktober 2004 zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG des Rates zwecks Aufnahme der Wirkstoffe Acetamiprid und Thiacloprid, ABl. 2004, L 309/6, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32004L0099&from=en. 35 Kommission, Review report for the active substance acetamiprid – finalised in the Standing Committee on the Food Chain and Animal Health at its meeting on 29 June 2004 in view of the inclusion of acetamiprid in Annex I of Council Directive 91/414/EEC, SANCO/1392/2001-final. 36 So auch: Rademacher, Realakte im Rechtsschutzsystem der Europäischen Union, 2014, S. 86. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 16 legislation is responsible for setting the toxicological reference value and that the work within the section on Pesticide Residues must reflect those decisions.”37 Diese Erwägungen stützen die Annahme, dass es keine rechtswidrige Vorgehensweise darstellt, wenn die Kommission bzw. der SCPAFF die Entscheidung über die Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohlen auf den akuten Referenzwert stützt, der 2004 von den politischen Entscheidungsträgern festgesetzt worden ist und nach dem Willen der zuständigen Sektion des SCPAFF vorerst beibehalten werden soll.38 Begründungspflicht der Kommission Wenn die Kommission von der Stellungnahme der EFSA abweichen darf, ist zu klären, ob eine solche Abweichung einer gesonderten Begründung bedarf. Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 postuliert keine Pflicht der Kommission, gesondert zu begründen, wieso sie von der Stellungnahme der EFSA abweicht. In anderen Verordnungen hingegen ist eine solche Pflicht der Kommission ausdrücklich festgehalten. Gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1829/200339 über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel legt die Kommission dem zuständigen Ausschuss innerhalb von drei Monaten nach Erhalt der Stellungnahme der EFSA einen Entwurf für eine Entscheidung über den Zulassungsantrag vor, wobei die Stellungnahme der EFSA, die einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts und andere legitime Faktoren berücksichtigt werden, die für den jeweils zu prüfenden Sachverhalt relevant sind. Stimmt der Entscheidungsentwurf nicht mit der Stellungnahme der EFSA überein, erläutert die Kommission gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 die betreffenden Unterschiede. Die Tatsache, dass die Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 eine solche Begründungspflicht ausdrücklich anordnet, könnte zu dem Umkehrschluss führen, dass eine Abweichung von der EFSA-Stellungnahme bei einer Kommissionsentscheidung im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 nicht gesondert zu erläutern ist, denn die Verordnung (EG) Nr. 396/2005 normiert eben keine ausdrückliche Begründungspflicht hinsichtlich der Abweichung . Eine andere Sichtweise vertritt jedoch das EuG. In der Rechtssache Pfizer entschied das EuG über die Rechtmäßigkeit einer Verordnung, mit welcher die Zulassung des Antibiotikums Virginiamycin als Futtermittel widerrufen wurde – entgegen dem Gutachten des Wissenschaftlichen Futtermittelausschusses . Das EuG führte hinsichtlich der Notwendigkeit einer auch in diesem Fall gesetzlich nicht vorgegebenen Begründungspflicht bei Differenzen zwischen der Verordnung und 37 SCPAFF – Phytopharmaceuticals Pesticides residues, Summary report of the SCPAFF held in Brussels on 22 February 2016 – 23 February 2016, sante.ddg2.g.5(2016)2061075, abrufbar unter https://ec.europa .eu/food/sites/food/files/plant/docs/sc_phyto_20160222_ppr_sum.pdf. 38 Die Frage, ob die Beibehaltung der bisherigen Werte für ADI und ARfD trotz einer anders lautenden Empfehlung der EFSA rechtmäßig ist, kann in Rahmen des vorliegenden Gutachtens nicht geprüft werden. 39 Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, ABl. 2003, L 268/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02003R1829-20080410&from=EN. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 17 dem wissenschaftlichen Gutachten aus: „Will das Gemeinschaftsorgan von dem Gutachten abweichen , so muss es seine Beurteilung gegenüber der im Gutachten enthaltenen Beurteilung besonders begründen und dabei darlegen, aus welchen Gründen es von dem Gutachten abweicht. Das wissenschaftliche Niveau dieser Begründung muss dem des fraglichen Gutachtens zumindest ebenbürtig sein.“40 An späterer Stelle heißt es: „Das bedeutet auch, dass die Gemeinschaftsorgane nur dann von den Schlussfolgerungen des Gutachtens des zuständigen wissenschaftlichen Ausschusses abweichen dürfen, wenn sie sich auf eine angemessene sowie sorgfältig und unparteiisch durchgeführte Analyse aller relevanten Gesichtspunkte des betreffenden Falles stützen können , zu denen die Argumentation zählt, die zu den Schlussfolgerungen des wissenschaftlichen Gutachtens dieses Ausschusses geführt hat.“41 (Irreführende) Bezugnahme auf die Stellungnahme Auch wenn die Kommission befugt ist, von der Risikobewertung durch die EFSA abzuweichen und dies mangels entsprechender Rechtsvorgaben nicht gesondert begründen muss (das EuG argumentiert allerdings für eine derartige Begründungspflicht), stellt sich die Frage, ob die Verordnung (EU) 2016/1003 rechtswidrig ist, da in ihrer Begründung auf eine Stellungnahme der EFSA Bezug genommen wird, die zu einem anderen Ergebnis kommt. Fraglich ist, ob die Ausführungen der Kommission in den Erwägungsgründen der Verordnung (EU) 2016/1003 gegen EU-Recht verstoßen , da sie irreführend sind. Die Rechtsprechung des EuGH differenziert diesbezüglich zwischen fehlerhaften und falschen Begründungen. Eine Begründung, die im Widerspruch zum Inhalt des Rechtsakts steht, ist fehlerhaft .42 In einem Urteil zum Kartellsanktionsrecht hat der EuGH entschieden, dass die Begründung eines Rechtsakts folgerichtig sein muss und keine inneren Widersprüche aufweisen darf, die das Verständnis der Gründe, die dem Rechtsakt zugrunde liegen, erschweren.43 Eine falsche 40 EuG, Urt. v. 11. September 2002, Rs. T-13/99, ECLI:EU:T:2002:209 – Pfizer Animal Health, Rn. 199. 41 EuG, Urt. v. 11. September 2002, Rs. T-13/99, ECLI:EU:T:2002:209 – Pfizer Animal Health, Rn. 203. 42 Geismann, in: Von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 296 AEUV, Rn. 11. 43 EuGH, Urt. v. 29. September 2011, Rs. C‑521/09 P, ECLI:EU:C:2011:620 – Elf Aquitaine/Kommission, Rn. 151; EuGH, Urt. v. 10. Juli 2008, Rs. C-413/06 P, ECLI:EU:C:2008:392 – Bertelsmann und Sony/Impala, Rn. 169; EuGH, Urt. v. 17. Mai 1988, Rs. 28/87, ECLI:EU:C:1988:244 – Arendt/Parlament, Rn. 7 und 8. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 18 Begründung, die inhaltlich falsch ist, aber formal korrekt, stellt hingegen keinen Formfehler, sondern einen materiellen Fehler des Ermessensmissbrauchs dar.44 Das EuG hat zur Bedeutung der Erwägungsgründe und eines Verweises auf EFSA-Stellungnahmen in den Erwägungsgründen entschieden, „dass die Kommission dadurch, dass sie ihre Beschlüsse auf die Stellungnahmen einer wissenschaftlichen Behörde stützt, den Tenor dieser Stellungnahmen in die zur Annahme dieser Beschlüsse führende Beurteilung und in die Begründung dieser Beschlüsse einfließen lässt.“45 Wenn die Kommission angibt, sich auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse der EFSA zu stützen, und in einem Erwägungsgrund auf diese Erkenntnisse verweist, stellt der Inhalt der EFSA-Stellungnahme nach Ansicht des EuG einen Bestandteil der Begründung des fraglichen Rechtsaktes dar.46 Vor diesem Hintergrund scheint bei der Begründung der Verordnung (EU) 2016/1003 der pauschale Verweis auf die EFSA-Stellungnahme problematisch. In den Erwägungsgründen der Verordnung (EU) 2016/1003 erfolgt keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem EFSA-Gutachten, es wird lediglich mittels Fußnote auf dieses verwiesen. Inhaltlich gibt es jedoch Unterschiede zwischen der EFSA-Stellungnahme und der Verordnung (EU) 2016/1003. Zwar kommt die EFSA unter Heranziehung der akuten Referenzdosis von 0,1 mg/kg Körpergewicht, wie sie 2004 festgelegt worden ist, zu demselben Ergebnis wie die Kommission bezüglich der Zulässigkeit der Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts auf 1,5 mg/kg. Insofern ist ein Verweis in der Verordnung auf die Stellungnahme der EFSA möglich. Jedoch hat die EFSA in ihrer Stellungnahme auch die akute Referenzdosis von 0,025 mg/kg Körpergewicht, welche das EFSA PPR 2013 als neuen Wert vorgeschlagen hat, berücksichtigt und ist auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis gekommen, eine Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohl abzulehnen. Aus diesem Grund ist ein Verweis in der Verordnungsbegründung auf die Stellungnahme der EFSA missverständlich , insbesondere da sich der Verweis nicht näher mit den Aussagen der Stellungnahme befasst und daher den Eindruck vermittelt, die EFSA hätte eine Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohlen positiv bewertet. Die Begründung könnte mithin als fehlerhaft angesehen werden, da sie das Verständnis der Gründe, welche der Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohlen zugrunde liegen, erschwert bzw. nicht ersichtlich werden lässt und durch den pauschalen Verweis 44 Krajewski/Rösslein, in. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 45. EgL August 2011, Art. 296 AEUV, Rn. 39; s. zu dieser Abgrenzung auch: EuG, Urt. v. 15. Dezember 2016, Rs. T-177/13, ECLI:EU:T:2016:736 – TestBioTech/Kommission, Rn. 129 („In so far as the first applicant submits that the first contested decision was vitiated by a failure to state reasons, it should be borne in mind that, according to the case-law, the plea alleging infringement of the second paragraph of Article 296 TFEU is a separate plea from the one alleging a manifest error of assessment. While the former, which alleges absence of reasons or inadequacy of the reasons stated, goes to an issue of infringement of essential procedural requirements within the meaning of Article 263 TFEU […] the latter, which goes to the substantive legality of a decision, is concerned with the infringement of a rule of law relating to the application of the Treaty, again within the meaning of Article 263 TFEU, and can be examined by the European Union judicature only if it is raised by the applicant.”). 45 EuG, Urt. v. 13. Dezember 2013, Rs. T‑240/10, ECLI:EU:T:2013:645 – Ungarn/Kommission, Rn. 91. 46 EuG, Urt. v. 13. Dezember 2013, Rs. T‑240/10, ECLI:EU:T:2013:645 – Ungarn/Kommission, Rn. 91; EuG, Urt. v. 18. Dezember 2003, Rs. T‑326/99, ECLI:EU:T:2003:351 – Fern Olivieri/Kommission und EMEA, Rn. 55. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 19 auf die EFSA-Stellungnahme für Missverständnisse sorgt. Sie ist aber nicht inhaltlich falsch, da – wie oben bereits geprüft – die akute Referenzdosis für Acetamiprid aus 2004 zur Bestimmung des zulässigen Rückstandhöchstgehalts herangezogen werden kann und die EFSA in ihrer Stellungnahme diesbezüglich zum Ergebnis gekommen ist, dass eine Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts keine Gefahr für den Verbraucher darstelle. Fraglich ist, ob eine fehlerhafte Begründung die Verordnung (EU) 2016/1003 anfechtbar werden lässt. Diesbezüglich fehlt es an eindeutigen Vorgaben der europäischen Rechtsprechung. Der EuGH hat bei geringfügigen Begründungsmängeln von Rechtsakten zuweilen die dagegen gerichteten Nichtigkeitsklagen abgewiesen.47 3.3. Zwischenergebnis Nach hiesiger Ansicht gibt die Verordnung (EG) Nr. 396/2005 keine Bindung der Kommission an die Risikobewertung der EFSA vor. Auch durften die Kommission und der zuständige Ausschuss die akute Referenzdosis, wie sie 2004 festgelegt worden ist, der Risikobewertung der Erhöhung des Rückstandhöchstgehalt zugrunde legen. Die Verordnung (EG) Nr. 396/2005 normiert im Gegensatz zu anderen Regelungen keine gesonderte Begründungspflicht der Kommission, wenn diese von der Stellungnahme der EFSA abweicht . Nach der Rechtsprechung des EuG obliegt der Kommission allerdings eine Begründungspflicht , wenn sie von den Bewertungen der EFSA in einer wissenschaftlichen Stellungnahme abweicht . Überdies muss nach der Rechtsprechung des EuGH die Begründung eines Rechtsakts folgerichtig sein. Das ist im Fall der Verordnung (EU) 2016/1003 nicht der Fall, da der pauschale Verweis in Erwägungsgrund 10 der Verordnung auf die Stellungnahme der EFSA, welche die Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid ablehnt, widersprüchlich und damit fehlerhaft ist. 4. Verhältnis von EFSA und Kommission Im Rahmen dieses Gutachtens soll über die Rechtmäßigkeit der Verordnung (EU) 2016/1003 hinaus geklärt werden, ob die Kommission bei der Bestimmung von Rückstandhöchstgehalten an die Stellungnahmen der EFSA gebunden ist bzw. in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen die Kommission anders als die EFSA entscheiden darf. 4.1. Das Verhältnis von EFSA und der Kommission in der Theorie Grundsätzlich ist die EFSA verantwortlich für die wissenschaftliche Risikobewertung, das politische Risikomanagement hingegen obliegt der Kommission und dem zuständigen Ausschuss, welcher den Durchführungsverordnungen der Kommission im Bereich der Pflanzenschutzmittel zu- 47 S. dazu: Krajewski/Rösslein, in. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 45. EgL August 2011, Art. 296 AEUV, Rn. 42; Geismann, in: Von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 296 AEUV, Rn. 21 und beispielsweise EuGH, Urt. v. 20. Oktober 1987, Rs. 119/86, ECLI:EU:C:1987:446 – Spanien/Rat und Kommission, Rn. 48 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 20 stimmen muss. Nach Ansicht der Literatur ist die EFSA verantwortlich für die wissenschaftlichen Grundlagen der durch die Kommission zu treffenden Entscheidungen.48 Die EFSA hat mithin keine regulatorische Kompetenz, diese liegt allein bei der Kommission und den Mitgliedstaaten .49 Grundsätzlich besteht nach Ansicht der Literatur keine Bindung der Kommission an die wissenschaftlichen Stellungnahmen der EFSA.50 Die Kommission kann zusammen mit dem zuständigen Ausschuss im Rahmen des Risikomanagements eine andere Entscheidung treffen, als sie EFSA im Rahmen der Risikobewertung vorgeschlagen hat. Auch das EuG vertritt die Ansicht, dass die Kommission bei ihren Risikomanagement-Entscheidungen über einen Beurteilungsspielraum verfügt , der sie zu anderen Bewertungen als den Risikobewertungen der EFSA ermächtigt.51 Allerdings ist die Kommission nach der Rechtsprechung des EuG verpflichtet, Gründe dafür anzugeben , warum sie von der Bewertung der EFSA abweicht.52 4.2. Das Verhältnis von EFSA und der Kommission in der Praxis Im nachfolgenden Abschnitt wird aufgezeigt, dass die Kommission in weiteren Fällen – neben dem hier untersuchten Fall des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohl – von den Stellungnahmen der EFSA abweichende Entscheidungen getroffen hat. Dabei wird differenziert zwischen Fällen, in denen die Kommission restriktiver als die EFSA in ihren Gutachten entscheidet und Fällen, in denen die Kommission (zu Gunsten der Antragsteller) großzügiger, als von der EFSA vorgeschlagen, entscheidet. Restriktivere Entscheidungen der Kommission Ein (unionsgerichtlich abgesichertes) Beispiel für eine Entscheidung, in welcher die rechtsverbindliche Entscheidung der Kommission restriktiver ausfiel als die Stellungnahme der EFSA, fällt in den Bereich der Zulassung gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel. Die EFSA kam in ihren wissenschaftlichen Stellungnahmen in Bezug auf vier gesundheitsbezogene Angaben zu dem Ergebnis, dass sich die behaupteten Wirkungen auf den Beitrag von Glucose zum Energiegewinnungsstoffwechsel bezögen, der bereits mit positivem Ergebnis bewertet worden sein. Mit Zustimmung des zuständigen Ausschusses erließ die Kommission jedoch eine 48 Klintman/Kronsell, Challenges to legitimacy in food safety governance? The case of the European Food Safety Authority (EFSA), Journal of European Integration 32 (2010), S. 309 (311). 49 Kanska, Wolves in the clothing of sheep? The case of the European Food Safety Authority, European Law Review 2004, S. 711. 50 Kanska, Wolves in the clothing of sheep? The case of the European Food Safety Authority, European Law Review 2004, S. 711 (712). 51 EuG, Urt. v. 16. März 2016, Rs. T‑100/15, ECLI:EU:T:2016:150 – Dextro Energy/Kommission, Rn. 30. 52 Kanska, Wolves in the clothing of sheep? The case of the European Food Safety Authority, European Law Review 2004, S. 711 (712); s. dazu auch EuG, Urt. v. 11. September 2002, Rs. T-13/99, ECLI:EU:T:2002:209 – Pfizer Animal Health, Rn. 199 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 21 Verordnung über die Nichtzulassung der von der Klägerin beantragten gesundheitsbezogenen Angaben. Diese erhob daraufhin Klage und verwies auf die positiven wissenschaftlichen Stellungnahmen der EFSA. Das EuG erklärte im Rahmen seiner Entscheidung, „dass die Kommission nach Art. 18 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1924/2006 bei der Entscheidung über den Antrag außer der Stellungnahme der EFSA alle einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts und sonstige für die betreffende Angelegenheit relevante legitime Faktoren zu berücksichtigen hat. Wie aus dem 30. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1924/2006, der in den dritten Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung übernommen wurde, hervorgeht, kann in einigen Fällen eine wissenschaftliche Risikobewertung allein nicht alle Informationen liefern, auf die eine Risikomanagemententscheidung gegründet werden sollte; daher sollten auch andere legitime Faktoren berücksichtigt werden, die für den jeweils zu prüfenden Sachverhalt relevant sind. Demnach ist der Kommission in einem Bereich, in dem von ihr politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen verlangt werden und in dem sie komplexe Prüfungen durchführen muss, ein weites Ermessen zuzubilligen.“53 Das EuG wies die Klage ab. Großzügigere Entscheidungen der Kommission Es gibt neben der Verordnung (EU) 2016/1003 weitere Fälle, in denen die Bewertung der Kommission von der begründeten Stellungnahme der EFSA zugunsten der Antragsteller abgewichen ist, die eine Erhöhung des Rückstandhöchstgehalts beantragt haben. Im Fall der Bestimmung der Rückstandhöchstgehalte von Cyromazin in Feldsalat und in frischen Kräutern beispielsweise hat die EFSA eine Absenkung der Höchstwerte von 15 mg/kg auf 3 mg/kg vorgeschlagen und im letzten Fall ausgeführt: „Since GAPs and trials have not been submitted and MRL not proposed for herbs under the Article 12 MRL review, EFSA would recommend to decrease the MRL for herbs to 3 mg/kg, considering the GAPs and residue trials submitted on open leaf lettuce in the framework of this MRL application.“54 Die Kommission entschied in ihrer Durchführungsverordnung jedoch, den Rückstandhöchstgehalt von 15 mg/kg beizubehalten . Sie ging in Erwägungsgrund 8 der Verordnung allerdings ausdrücklich auf die anderes lautende Stellungnahme der EFSA ein und führte diesbezüglich aus: „Hinsichtlich der Anwendung von Cyromazin bei Feldsalat und frischen Kräutern, […] stützen die vorgelegten Daten eine Senkung der geltenden RHG. Da jedoch überprüft werden muss, ob diese niedrigeren RHG die in der EU übliche gute landwirtschaftliche Praxis angemessen widerspiegeln, und da die geltenden RHG für die Verbraucher sicher sind, sollten die geltenden RHG nicht im Rahmen der derzeitigen 53 EuG, Urt. v. 16. März 2016, Rs. T‑100/15, ECLI:EU:T:2016:150 – Dextro Energy/Kommission, Rn. 30. 54 EFSA, reasoned opinion – Reasoned opinion on the modification of the existing MRLs for cyromazine in various leaf vegetables and fresh herbs, EFSA Journal 2015;13(1):4004, S. 14, abrufbar unter http://onlinelibrary .wiley.com/doi/10.2903/j.efsa.2015.4004/epdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 22 Verordnung gesenkt werden; stattdessen sollten die aus den vorgelegten Daten gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen der Überprüfung aller geltenden RHG für diese Stoffe Berücksichtigung finden.“55 4.3. Zwischenergebnis Die Verordnung (EU) 2016/1003 ist kein Einzelfall. Es gibt weitere Entscheidungen im Bereich des Rückstandhöchstgehalts von Pestiziden, in denen die Entscheidung der Kommission und des zuständigen Ausschusses von der Stellungnahme der EFSA abweichen. Diese Praxis unterstützend herrscht in der Literatur die Ansicht vor, dass die Kommission grundsätzlich befugt ist, von der Risikobewertung der EFSA abzuweichen.56 5. Vorsorgeprinzip bei Risikomanagemententscheidungen Zuletzt soll untersucht werden, ob Kommission und Ausschuss aufgrund des Vorsorgeprinzips an die Risikobewertung der EFSA gebunden sind. 5.1. Inhalt des Vorsorgeprinzips Nach der Rechtsprechung des EuGH folgt aus dem Vorsorgeprinzip, „dass bei Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens oder des Umfangs von Risiken für die menschliche Gesundheit Schutzmaßnahmen getroffen werden können, ohne dass abgewartet werden müsste, dass das Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig dargelegt werden.“57 Solche Schutzmaßnahmen setzen eine umfassende Bewertung des Gesundheitsrisikos auf der Grundlage der zuverlässigsten verfügbaren wissenschaftlichen Daten und der neuesten Ergebnisse der internationalen Forschung voraus.58 Wenn diese Bewertung es nicht ermöglicht, „das Bestehen oder den Umfang des behaupteten Risikos mit Sicherheit festzustellen, weil die Ergebnisse der durchgeführten Studien unzureichend, nicht schlüssig oder ungenau sind, die Wahrscheinlichkeit eines tatsächli- 55 Verordnung (EU) 2016/1 der Kommission vom 3. Dezember 2015 zur Änderung der Anhänge II und III der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Höchstgehalte an Rückständen von Bifenazat, Boscalid, Cyazofamid, Cyromazin, […] in oder auf bestimmten Erzeugnissen, ABl. 2016, L 2/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32016R0001&from=DE. 56 Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, 2009, S. 253; Rademacher, Realakte im Rechtsschutzsystem der Europäischen Union, 2014, S. 82 ff. 57 EuGH, Urt. v. 5. Mai 1998, Rs. C-157/96, ECLI:EU:C:1998:191 – National Farmers' Union, Rn. 63; EuGH, Urt. v. 5. Mai 1998, Rs. C-180/96, ECLI:EU:C:1998:192 – Vereinigtes Königreich/Kommission, Rn. 99; EuGH, Urt. v. 9. September 2003, Rs. C-236/01, ECLI:EU:C:2003:431 – Monsanto, Rn. 111; EuGH, Urt. v. 9. Juni 2016 , Rs. C‑78/16 und C‑79/16, ECLI:EU:C:2016:428 – Pesce, Rn. 47. 58 EuGH, Urt. v. 22. Dezember 2010, Rs. C-77/09, ECLI:EU:C:2010:803 – Gowan Comércio Internacional e Serviços, Rn. 75; ähnlich: EuGH, Urt. v. 28. Januar 2010, Rs. C-333/08, ECLI:EU:C:2010:44 – Kommission/Frankreich, Rn. 92. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 23 chen Schadens für die öffentliche Gesundheit jedoch fortbesteht, falls das Risiko eintritt, rechtfertigt das Vorsorgeprinzip den Erlass beschränkender Maßnahmen, wenn sie objektiv und nicht diskriminierend sind.“59 Das Vorsorgeprinzip ermöglicht es Behörden somit nicht, aufgrund einer bloßen Risikobehauptung und rein hypothetischen Erwägungen tätig zu werden. Ein Einschreiten der Behörden unter Berufung auf das Vorsorgeprinzip setzt voraus, dass aus wissenschaftlicher Sicht eine Wahrscheinlichkeit für ein gewisses Risiko besteht. 60 Unter Risiko ist nach dem EuG „eine Funktion der Wahrscheinlichkeit nachteiliger Wirkungen für das von der Rechtsordnung geschützte Gut aufgrund der Verwendung eines Produktes oder Verfahrens“61 zu verstehen. 5.2. Das Vorsorgeprinzip im Hinblick auf Rückstandhöchstgehalte Die Verordnung (EG) Nr. 396/2005 enthält keine Ausführungen zum Vorsorgeprinzip im Rahmen der Bestimmung von Höchstgehalten an Pestizidrückständen. Jedoch findet sich eine Bezugnahme auf das Vorsorgeprinzip in der Grundverordnung (EG) Nr. 178/2002, mit welcher die EFSA geschaffen worden ist. Gemäß Art. 6 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ist beim Risikomanagement den Ergebnissen der Risikobewertung, insbesondere den Gutachten der EFSA, anderen angesichts des betreffenden Sachverhalts berücksichtigenswerten Faktoren sowie – falls die in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 dargelegten Umstände vorliegen – dem Vorsorgeprinzip Rechnung zu tragen. Art. 7 Abs. 1 der Verordnung bestimmt, dass in Fällen, in denen nach einer Auswertung der verfügbaren Informationen die Möglichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen festgestellt wird, wissenschaftlich aber noch Unsicherheit besteht, vorläufige Risikomanagementmaßnahmen zur Sicherstellung des in der Gemeinschaft gewählten hohen Gesundheitsschutzniveaus getroffen werden können, bis weitere wissenschaftliche Informationen für eine umfassendere Risikobewertung vorliegen. 5.3. Konsequenzen des Vorsorgeprinzips Anwendungsspielraum für das Vorsorgeprinzip Fraglich ist im vorliegenden Kontext, ob die Kommission und der zuständige Ausschuss aufgrund des Vorsorgeprinzips verpflichtet sind, den Änderungsvorschlägen des EFSA PPR zur akuten Referenzdosis von Acetamiprid Folge zu leisten und daran anknüpfend die hier zu klärende Frage, ob die Kommission und der zuständige Ausschuss bei der Festlegung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohlen aufgrund des Vorsorgeprinzips an die diesbezüglichen Wertungen der EFSA gebunden sind. 59 EuGH, Urt. v. 22. Dezember 2010, Rs. C-77/09, ECLI:EU:C:2010:803 – Gowan Comércio Internacional e Serviços, Rn. 76; ähnlich: EuGH, Urt. v. 28. Januar 2010, Rs. C-333/08, ECLI:EU:C:2010:44 – Kommission/Frankreich, Rn. 93. 60 EuGH, Urt.v. 5. Februar 2004, Rs. C-95/01, ECLI:EU:C:2004:71 – Greenham und Abel, Rn. 43. 61 EuG, Urt. v. 11. September 2002, Rs. T-13/99, ECLI:EU:T:2002:209 – Pfizer Animal Health, Rn. 147; EuG, Urt. v. 12. April 2013, T-31/07, ECLI:EU:T:2013:167 – Du Pont de Nemours (France), Rn. 144. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 24 Wissenschaftliche Unsicherheit besteht ausweislich der Ausführungen des EFSA PPR hinsichtlich des Entwicklungsneurotoxizität-Potentials von Acetamiprid. In der Zusammenfassung seiner Stellungnahme führt das EFSA PPR aus, dass in Anbetracht der verfügbaren Studien zur Entwicklungsneurotoxizität für Acetamiprid nach wie vor wichtige Unsicherheiten bestünden und weitere In-vivo-Studien nach der OECD-Testrichtlinie (TG) 426 erforderlich seien, um das Entwicklungsneurotoxizität -Potential und die Dosis-Wirkungs-Beziehungen solide charakterisieren zu können.62 Aufgrund dieser Unsicherheiten schlägt das EFSA PPR eine Absenkung der akuten Referenzdosis für Acetamiprid vor. Unsicherheit besteht daran anknüpfend auch hinsichtlich der Bestimmung des Rückstandhöchstgehalts von Acetamiprid bei Blattkohl. Diesbezüglich kam die EFSA in ihrer Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass die beabsichtigte Verwendung von Acetamiprid auf Blattkohl durch Rückstandsdaten hinreichend unterstützt wird. Die EFSA empfiehlt aber keine Erhöhung der Rückstandhöchstgehalte , da Bedenken hinsichtlich der akuten Referenzdosis diesbezüglich nicht ausgeschlossen werden können.63 Die wissenschaftliche Unsicherheit besteht hinsichtlich der Entwicklungsneurotoxizität von Acetamiprid, welche sich auf die akute Referenzdosis und in der Konsequenz die Bestimmung des Rückstandhöchstgehalts auswirkt. Das führt zu der Frage, ob das Vorsorgeprinzip die Hoheitsträger, in diesem Fall die Kommission und den zuständigen Ausschuss, aufgrund der wissenschaftlichen Unsicherheit bezüglich der Entwicklungsneurotoxizität von Acetamiprid verpflichtet, einen – wie von der EFSA vorgeschlagen – sehr niedrigen Wert für die akute Referenzdosis und entsprechend für den Rückstandhöchstgehalt zu bestimmen, oder ob das Vorsorgeprinzip die Hoheitsträger lediglich dazu ermächtigt , bei wissenschaftlichen Unsicherheiten einen sehr niedrigen Wert für die akute Referenzdosis und entsprechend für den Rückstandhöchstgehalt zu bestimmen. Verpflichtungswirkung des Vorsorgeprinzips Es gibt nur eine beschränkte Anzahl von Fällen, in denen aufgrund des Vorsorgeprinzips von der europäischen Rechtsprechung eine Handlungspflicht angenommen worden ist. In einem Fall ging es dabei um die Pflicht der zuständigen Behörde aufgrund des Vorsorgeprinzips, einen Wirkstoff nicht zu genehmigen. In den anderen Verfahren klagten Unternehmen gegen Genehmi- 62 EFSA PPR Panel, Scientific Opinion on the developmental neurotoxicity potential of acetamiprid and imidacloprid , EFSA Journal 2013;11(12):3471, abrufbar unter http://onlinelibrary .wiley.com/doi/10.2903/j.efsa.2013.3471/epdf (“Considering the available DNT studies for imidacloprid and acetamiprid, important uncertainties still remain and further in vivo studies following OECD test guideline (TG) 426 are required to robustly characterise a DNT potential and dose-response relationships, particularly for acetamiprid.”). 63 EFSA, reasoned opinion – Modification of the existing maximum residue levels for acetamiprid in leafy brassicas , EFSA Journal 2015;13(10):4229, abrufbar unter http://onlinelibrary .wiley.com/doi/10.2903/j.efsa.2015.4229/epdf („The intended use on leafy brassica is adequately supported by residue data but no MRL is recommended by EFSA since an acute consumer intake concern cannot be excluded when considering the acute reference dose for acetamiprid proposed by the EFSA PPR panel in a previous assessment.”). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 25 gungsverweigerungen und machten diesbezüglich eine fehlerhafte Anwendung des Vorsorgeprinzips geltend. In diesem Zusammenhang hat sich das EuG dann zuweilen auch über eine „Pflicht“ der Behörden geäußert. In der Rechtssache Pfizer entschied das EuG, dass nach dem Vorsorgegrundsatz eine „öffentliche Stelle verpflichtet sein kann, zu handeln, noch bevor nachteilige Wirkungen eingetreten sind.“64 Es benannte die Voraussetzungen einer solchen Handlungspflicht aber nicht näher. In der Rechtssache Artegodan stellte das EuG fest, dass der Versorgungsgrundsatz „die zuständigen Behörden verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, um bestimmte potenzielle Risiken für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt auszuschließen, indem sie den mit dem Schutz dieser Interessen verbundenen Erfordernissen Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einräumen.“65 Auch hier benannte das Gericht die Voraussetzungen für eine Handlungspflicht nicht näher. Aufschluss diesbezüglich gibt das Urteil des EuG in der Rechtssache Schweden /Kommission. In diesem Verfahren klagte Schweden gegen die Richtlinie, mit welcher die Kommission den Wirkstoff Paraquat (unter bestimmten Beschränkungen) genehmigt hatte. Schweden sah in der Genehmigung einen Verstoß u.a. gegen das Vorsorgeprinzip. Das EuG entschied , dass aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 in Verbindung mit dem Vorsorgegrundsatz folgt, „dass, wenn es um die menschliche Gesundheit geht, das Vorliegen ernsthafter Anhaltspunkte , die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit eines Stoffes erlauben, der Aufnahme dieses Stoffes in Anhang I der Richtlinie 91/414 grundsätzlich entgegensteht“ und erklärte die Richtlinie im Ergebnis für nichtig.66 Diese Wertung wiederholte das EuG in den Rechtssachen Cheminova67 und Denka International BV68, in denen es allerdings nicht um eine Pflicht der Kommission zur Genehmigungsverweigerung ging, sondern um Klagen von Unternehmen, deren Wirkstoffe von der Kommission nicht genehmigt worden waren. In der Rechtssache Du Pont de Nemours ergänzte bzw. beschränkte das Gericht seine Ausführungen aus der Rechtssache Schweden/Kommission.69 In dem Verfahren hatte das Unternehmen Du Pont de Nemours gegen die Beschränkungen geklagt, welche die Kommission im Rahmen der Richtlinie festgelegt hatte, mit welcher der Wirkstoff Flusilazole für 18 Monate genehmigt wurde. Das Gericht urteilte, dass zwar in der Rechtssache Schweden/Kommission entschieden worden sei, dass das Vorliegen ernsthafter Anhaltspunkte, die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit eines Stoffes erlauben, der Aufnahme 64 EuG, Urt. v. 11. September 2002, Rs. T-13/99, ECLI:EU:T:2002:209 – Pfizer Animal Health, Rn. 444. 65 EuG, Urt. v. 26. November 2002, verb. Rs. T-74/00, T-76/00, T-83/00 bis T-85/00, T-132/00, T-137/00 und T-141/00, ECLI:EU:T:2002:283 – Artegodan, Rn. 184. 66 EuG, Urt. v. 11. Juli 2007, Rs. T-229/04, ECLI:EU:T:2007:217 – Schweden/Kommission, insbesondere Rn. 161. 67 EuG, Urt. v. 3. September 2009, Rs. T‑326/07, ECLI:EU:T:2009:299 – Cheminova, Rn. 166. 68 EuG, Urt. v. 19. November 2009, Rs. T‑334/07, ECLI:EU:T:2009:453 – Denka International, Rn. 180. 69 EuG, Urt. v. 12. April 2013, T-31/07, ECLI:EU:T:2013:167 – Du Pont de Nemours (France), Rn. 153. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 26 dieses Stoffes in Anhang I der (alten) Pflanzenschutzmittelrichtlinie 91/414 grundsätzlich entgegensteht . Es folge aber aus einer systematischen Interpretation der Richtlinie 91/414, dass Stoffe, an deren Unbedenklichkeit Zweifel bestehen, durch Beschränkungen genehmigungsfähig werden können.70 Die Möglichkeit einer Verwendungsbeschränkung begrenzt damit nach Ansicht des EuG den Anwendungsbereich der Genehmigungsverweigerung. Die Möglichkeit einer Verwendungsbeschränkung ist aber selbst im Lichte des Vorsorgeprinzips auszulegen. Aufgrund des Vorsorgeprinzips muss daher vor der Genehmigung eines Wirkstoffes zweifelsfrei bewiesen werden, dass die Verwendungsbeschränkungen seine Genehmigungsfähigkeit sicherstellen.71 Der EuGH hat zu der Frage einer Handlungspflicht der Behörden aufgrund des Vorsorgeprinzips, soweit ersichtlich, noch kein Urteil erlassen. Verpflichtung zur Übernahme der Risikobewertung der EFSA Es gibt, soweit ersichtlich, keine Urteile speziell zu der Frage, ob das Vorsorgeprinzip die Kommission und ggf. den zuständigen Ausschuss verpflichtet, die Risikobewertung der EFSA in ihrer Entscheidung zu übernehmen. Es gibt ein Urteil des EuG zu den Grenzwerten von chemischen Stoffen in Spielzeug, in dem am Rande auf die Frage eingegangen wird, ob das Vorsorgeprinzip eine Bindung an die Risikobewertung der EFSA vorgibt bzw. eine weniger strenge Risikoeinschätzung untersagt. Dem Urteil liegt ein Rechtsstreit zwischen der Kommission und der Bundesrepublik Deutschland zu Grunde, da Letztere niedrigere nationale Bioverfügbarkeitsgrenzwerte für bestimmte Chemikalien , u. a. Arsen, in Spielsachen festlegen wollte als durch den Anhang II der Richtlinie 70 EuG, Urt. v. 12. April 2013, T-31/07, ECLI:EU:T:2013:167 – Du Pont de Nemours (France), Rn. 152 (“It has been held that it followed from Article 5(1) of Directive 91/414, interpreted in combination with the precautionary principle, that, in the domain of human health, the existence of solid evidence which, while not resolving scientific uncertainty, may reasonably raise doubts as to the safety of a substance, justified, in principle, the refusal to include that substance in Annex I thereto (Sweden v Commission, cited in paragraph 140 above, paragraph 161). Nevertheless, the case-law also makes it clear, following a systematic interpretation of Articles 4 and 5 of Directive 91/414, that the effect of Article 5(4) thereof, which provides that inclusion of an active substance in Annex I thereto may be subject to restrictions on use, is to permit inclusion of active substances which do not fulfil the requirements of Article 5(1) thereof but subject to certain restrictions which exclude problematic uses of the substance involved [...]”). 71 EuG, Urt. v. 12. April 2013, T-31/07, ECLI:EU:T:2013:167 – Du Pont de Nemours (France), Rn. 152 f. (“[…]Nevertheless , the case-law also makes it clear, following a systematic interpretation of Articles 4 and 5 of Directive 91/414, that the effect of Article 5(4) thereof, which provides that inclusion of an active substance in Annex I thereto may be subject to restrictions on use, is to permit inclusion of active substances which do not fulfil the requirements of Article 5(1) thereof but subject to certain restrictions which exclude problematic uses of the substance involved. Since Article 5(4) of Directive 91/414 is to be regarded as a limitation on Article 5(1) thereof, it must be interpreted in the light of the precautionary principle. Consequently, before including a substance in Annex I to Directive 91/414, it must be established beyond any reasonable doubt that the restrictions on the use of the substance involved make it possible to ensure that use of that substance will be in accordance with the requirements laid down in Article 5(1) thereof.”). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 27 2009/48/EG72 auf Unionsebene vorgegeben. Die Bundesrepublik berief sich für ihr Ansinnen auf die Stellungnahme der EFSA zu Arsen, in welcher die EFSA zu dem Ergebnis gekommen war, dass für Arsen überhaupt keine Dosis ohne gesundheitliches Risikos abgeleitet werden könne. Die Richtlinie 2009/48/EG geht für Arsen hingegen von einer täglich duldbaren Aufnahmemenge von 1 µg je kg Körpergewicht aus. Die Bundesrepublik argumentierte, dieser Widerspruch zwischen der EFSA-Stellungnahme und der Richtlinie zeige, dass beim Erlass der Richtlinie dem Vorsorgeprinzip nicht hinreichend Rechnung getragen worden sei.73 Dieses Argument wurde von der Kommission zurückgewiesen. Das EuG hat den Vorwurf, unter Heranziehung der entsprechenden Ausführungen der Kommission, ebenfalls zurückgewiesen. Die Kommission führte aus, dass der zuständige Ausschuss „Gesundheits- und Umweltrisiken“ – anders als die EFSA – zum Schluss gelangt sei, dass die tägliche Exposition des Menschen gegenüber Arsen rund 1 µg pro kg Körpergewicht und Tag betrage und die Tumorinzidenz nicht erhöhe. Dieser Wert entspreche auch der vom RIVM (Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu – niederländisches Institut für Volksgesundheit und Umwelt) empfohlenen duldbaren täglichen Aufnahmemenge.74 Das EuG urteilt, dass sich die Bundesrepublik „um nachzuweisen, dass dem Vorsorgegrundsatz nicht hinreichend Rechnung getragen worden ist, nicht darauf beschränken [könne], auf die Grenzwerte der Richtlinie 2009/48 für Antimon, Arsen und Quecksilber zu verweisen.“75 Dem Urteil lässt sich entnehmen, dass nach Ansicht des EuG allein ein Unterschied zwischen der Risikobewertung durch die EFSA und der Risikomanagemententscheidung der Kommission und ggf. dem zuständigen Ausschuss noch keine Verletzung des Vorsorgeprinzips statuiert. 5.4. Gerichtliche Kontrolle der Beachtung des Vorsorgeprinzips Die Möglichkeiten einer juristischen und gerichtlichen Kontrolle sowohl des Vorsorgeprinzips als auch der aus dem Vorsorgeprinzip folgenden Handlungspflicht sind begrenzt.76 Das Vorsorgeprinzip gilt für Situationen, die durch Ungewissheit geprägt sind und bei denen es um wissenschaftliche Fragen geht, so dass Richter in diesem Bereich lediglich eine Evidenzkontrolle vornehmen können und den politischen Organen ein weites Ermessen zuzugestehen ist.77 Diese Ansicht teilt der EuGH, welcher der Kommission ein weites Ermessen hinsichtlich ihrer Risikomaßnahmen zubilligt: „Dieser Bereich impliziert nämlich insbesondere politische Entscheidungen 72 Richtlinie 2009/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über die Sicherheit von Spielzeug, ABl. 2009, L 170/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02009L0048-20140721&from=EN. 73 EuG, Urt. v. 14 Mai 2014, Rs. T-198/12, ECLI:EU:T:2014:251 – Deutschland/Kommission, Rn. 85. 74 EuG, Urt. v. 14 Mai 2014, Rs. T-198/12, ECLI:EU:T:2014:251 – Deutschland/Kommission, Rn. 87. 75 EuG, Urt. v. 14 Mai 2014, Rs. T-198/12, ECLI:EU:T:2014:251 – Deutschland/Kommission, Rn. 88. 76 Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, S. 169. 77 GA Mischo, Schlussanträge v. 2. Juli 2002, Rs. C-241/01, ECLI:EU:C:2002:415 – National Farmers‘ Union, Rn. 74 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 28 und komplexe Beurteilungen. Eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme ist nur dann rechtswidrig , wenn sie offensichtlich ungeeignet ist.“78 In einem anderen Urteil aus 2016 entschied das EuG: „In diesem Zusammenhang muss sich nach ständiger Rechtsprechung, da die Unionsbehörden über ein weites Ermessen insbesondere in Bezug auf die Beurteilung von hoch komplexen wissenschaftlichen und technischen tatsächlichen Umständen bei der Festlegung von Art und Umfang der von ihnen erlassenen Maßnahmen verfügen, die Kontrolle durch den Unionsrichter auf die Prüfung beschränken, ob die Ausübung dieses Ermessens nicht offensichtlich fehlerhaft ist, einen Ermessensmissbrauch darstellt oder die Behörden die Grenzen ihres Ermessens offensichtlich überschritten haben. In einem solchen Kontext darf der Unionsrichter nämlich nicht seine Beurteilung der tatsächlichen Umstände wissenschaftlicher und technischer Art an die Stelle derjenigen der Organe setzen, denen allein der AEU-Vertrag diese Aufgabe anvertraut hat.“79 Nach Ansicht des EuGH erfordert die Anwendung des Vorsorgeprinzips zunächst eine wissenschaftliche Bewertung der verschiedenen Studien zu dem potentiellen Risiko des fraglichen Stoffes für die menschliche Gesundheit. Wenn nicht mit abschließender Sicherheit ein Risiko für die Gesundheit festgestellt werden kann, schließt sich eine politische Risikoabwägung zu der Frage an, ob und mit welchen Maßnahmen die zuständige Behörde gegen den Stoff vorgeht. Diese Risikoabwägung ist dann primär eine politische Entscheidung. Die europäische Rechtsprechung besitzt im Hinblick auf die wissenschaftliche Bewertung wie auch auf die anschließende Risikoabwägung nur einen reduzierten Prüfungsumfang. Das EuG hat in der Rechtssache Schweden/Kommission zwar die wissenschaftliche Bewertung der verschiedenen Studien und die politische Risikoabwägung der Kommission nachgeprüft. Es hat dadurch den Ermessensspielraum der Kommission verengt und eine Pflicht der zuständigen Behörde zu einer Genehmigungsverweigerung angenommen. Dabei handelte es sich jedoch um eine Einzelfallentscheidung.80 Grundsätzlich nimmt die europäische Rechtsprechung einen relativ weiten Ermessensspielraum der zuständigen Behörde im Bereich des Vorsorgeprinzips an.81 78 EuGH, Urt. v. 22. Dezember 2010, Rs. C-77/09, ECLI:EU:C:2010:803 – Gowan Comércio Internacional e Serviços Lda, Rn. 82; s. dazu auch EuGH, Urt. v. 9. Juni 2016, Rs. C‑78/16 und C‑79/16, ECLI:EU:C:2016:428 – Pesce, Rn. 49. 79 EuG, Urt. v. 16. März 2016, Rs. T‑100/15, ECLI:EU:T:2016:150 – Dextro Energy/Kommission, Rn. 31. 80 Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, S. 262. 81 EuG, Urt. v. 11. September 2002, Rs. T-13/99, ECLI:EU:T:2002:209 – Pfizer Animal Health SA, Rn. 166 ff. („Was den Umfang der gerichtlichen Kontrolle betrifft, so ist daran zu erinnern, dass die Gemeinschaftsorgane nach ständiger Rechtsprechung im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik über ein weites Ermessen hinsichtlich der Definition der verfolgten Ziele und der Wahl des für ihr Vorgehen geeigneten Instrumentariums verfügen. […] Daraus folgt, dass die Gemeinschaftsorgane im vorliegenden Fall insbesondere bei der Bestimmung des für die Gesellschaft für nicht hinnehmbar gehaltenen Risikograds über ein weites Ermessen verfügten. Darüber hinaus bezieht sich nach ständiger Rechtsprechung, wenn eine Gemeinschaftsbehörde im Rahmen ihrer Aufgabe komplexe Prüfungen vorzunehmen hat, das Ermessen, über das sie insoweit verfügt, in bestimmtem Umfang auch auf die Feststellung der ihrem Vorgehen zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände.“). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 7/17 Seite 29 5.5. Zwischenergebnis Gemäß dem Vorsorgeprinzip können bei Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens oder des Umfangs von Risiken für die menschliche Gesundheit Schutzmaßnahmen getroffen werden, ohne dass abgewartet werden müsste, dass das Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig dargelegt werden.82 Es ist bisher allerdings nur in Ausnahmefällen aufgrund des Vorsorgeprinzips eine Pflicht von Hoheitsträgern angenommen worden, Schutzmaßnahmen zu treffen. Es existiert auch keine europäische Rechtsprechung, der zufolge das Vorsorgeprinzip die verantwortlichen EU-Institutionen verpflichtet, der Risikobewertung der EFSA Folge zu leisten. Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass die Entscheidung der Kommission und des SCPAFF, den Rückstandhöchstgehalt von Acetamiprid bei Blattkohlen entgegen der Risikobewertung der EFSA- Stellungnahme anzuheben, nach Ansicht der europäischen Rechtsprechung keinen Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip darstellt. – Fachbereich Europa – 82 EuGH, Urt. v. 5. Mai 1998, Rs. C-157/96, ECLI:EU:C:1998:191 – National Farmers' Union, Rn. 63; EuGH, Urt. v. 5. Mai 1998, Rs. C-180/96, ECLI:EU:C:1998:192 – Vereinigtes Königreich/Kommission, Rn. 99; EuGH, Urt. v. 9. September 2003, Rs. C-236/01, ECLI:EU:C:2003:431 – Monsanto, Rn. 111; EuGH, Urt. v. 9. Juni 2016, Rs. C‑78/16 und C‑79/16, ECLI:EU:C:2016:428 – Pesce, Rn. 47.