© 2018 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 6/18 Das Verhältnis der Deutschen Bundesbank zur EZB Im Kontext einer Ausarbeitung zu Target2 Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 6/18 Seite 2 Das Verhältnis der Deutschen Bundesbank zur EZB Im Kontext einer Ausarbeitung zu Target2 Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 6/18 Abschluss der Arbeit: 1.3.2018 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 6/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Verhältnis der Bundesbank zur EZB 4 2.1. Kompetenzübertragung 4 2.2. Aufbau der EZB 5 2.3. Verhältnis der EZB zu den nationalen Zentralbanken 6 2.3.2. Weisungsbefugnis der EZB gegenüber den nationalen Zentralbanken 6 2.3.3. Einflussnahme der Zentralbanken im EZB-Rat 7 3. Übertragung der Vorgaben zum Beherrschungsvertrag auf das Verhältnis von Bundesbank und EZB? 7 3.1. Der Beherrschungsvertrag im deutschen Recht 8 3.2. Vorgaben zum Verhältnis von EZB und Bundesbank im Unionsrecht 9 3.2.1. Die Bundesbank als Bestandteil des ESZB 9 3.2.2. Weisungsbefugnis der EZB 10 3.2.3. Unionsrechtliche Handlungsmöglichkeiten der Bundesbank 10 3.2.3.1. Einflussnahme im EZB-Rat 10 3.2.3.2. Nichtigkeitsklage gegen Maßnahmen der EZB 10 3.2.3.3. Regressmöglichkeit 12 3.3. Übertragung des Beherrschungsvertrags auf das Verhältnis der Bundesbank zur EZB 13 3.4. Fazit 14 4. Ultra-vires-Kontrolle von Rechtsakten der EZB 14 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 6/18 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich ist gefragt worden, ob der Vorstand der Bundesbank verpflichtet sei, die Interessen der Bundesbank ggf. durch eine Weisungsverweigerung gegenüber der Europäischen Zentralbank (EZB) zu wahren, da die Regelungen zum Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) keinen Nachteilsausgleich im Sinne eines Beherrschungsvertrags enthielten. Daran anknüpfend ist um Auskunft gebeten worden, anhand welcher Kriterien der Vorstand der Bundesbank zu beurteilen habe, ob die Weisungen der EZB nachteilig und deren Ausführung zu verweigern seien. Nach einer Einführung in das Verhältnis der Deutschen Bundesbank zur EZB (2.) wird im Folgenden geprüft, ob die Vorgaben des deutschen Gesellschaftsrechts zum Beherrschungsvertrag zwischen zwei Unternehmen auf das Verhältnis der Bundesbank zur EZB übertragen werden können (3.). In diesem Rahmen werden die unionsrechtlichen Möglichkeiten der Bundesbank untersucht, gegen Weisungen der EZB vorzugehen und die Frage geklärt, unter welchen Voraussetzen die Bundesbank gegen Weisungen der EZB vor dem Gerichtshof der EU klagen kann. Abschließend wird kurz die verfassungsrechtliche Möglichkeit der Ultra-vires-Kontrolle von Rechtsakten der EU dargestellt (4.). Die Anfrage umfasst weitere Fragen zum ESZB, insbesondere zu den Verpflichtungen aus dem europäischen Zahlungssystem „Target2“ (Trans-European Automated Real-time Gross settlement Express Transfer system). Diese sind in Ausarbeitungen der Fachbereiche WD 4, PE 6 und PE 2 untersucht worden. 2. Verhältnis der Bundesbank zur EZB 2.1. Kompetenzübertragung Am 1. Januar 1999 begann die dritte Stufe der Europäischen Währungsunion, womit Zuständigkeit und Verantwortung für die Festlegung und Durchführung der gemeinschaftsinternen Währungspolitik auf das ESZB übergegangen sind.1 Die Mitgliedstaaten haben die nationalen Zentralbanken in das ESZB integriert und ihre geld- und währungspolitischen Kompetenzen weitgehend auf die EU übertragen.2 Der deutsche Verfassungsgeber schuf 1992 die Rahmenbedingungen für die Übertragung von Kompetenzen der Bundesbank auf die EZB, indem er Art. 88 Grundgesetz (GG) einen zweiten Satz hinzufügte. Dieser bestimmt, dass die Aufgaben und Befugnisse der Bundesbank im Rahmen der EU der unabhängigen und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichteten EZB übertragen werden können. Die verfassungsrechtliche Grundlage für die Übertragung der Währungshoheit auf die Unionsebene und die Einführung einer gemeinsamen europäischen 1 Weber, Das europäische System der Zentralbanken, WM 1998, S. 1465; Berger/Rübsamen, Bundesbankgesetz, 2. Aufl. 2014, Einleitung, Rn. 7. 2 Frenz, Handbuch Europarecht, Band 6: Institutionen und Politiken, 2011, Kapitel 8: Europäische Zentralbank und Europäische Investitionsbank, S. 394, Rn. 1467. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 6/18 Seite 5 Währung bilden die Art. 23 Abs. 1 und Art. 88 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Maastricht.3 2.2. Aufbau der EZB Vorgaben zum Aufbau und der Ausgestaltung von EZB und ESZB stehen im Protokoll über die Satzung des ESZB und der EZB (ESZB-Satzung)4, welches Bestandteil des europäischen Primärrechts ist.5 Die EZB hat drei Beschlussorgane: Den EZB-Rat, das Direktorium und den Erweiterten Rat. Das oberste Organ des ESZB, des Eurosystems und der EZB ist der EZB-Rat. Er erlässt nach Art. 12.1. ESZB-Satzung die Leitlinien und Entscheidungen, die notwendig sind, um die Erfüllung der dem ESZB übertragenen Aufgaben zu gewährleisten. Der EZB-Rat setzt sich gemäß Art. 283 Abs. 1 AEUV und Art. 10.1. ESZB-Satzung aus den Präsidenten der Zentralbanken der Staaten, die den Euro eingeführt haben, sowie den Mitgliedern des Direktoriums zusammen. Das EZB-Direktorium ist das Exekutivorgan der EZB und führt gemäß Art. 12.1. UAbs. 2 Satz 1 ESZB-Satzung die Entscheidungen des EZB-Rates aus.6 Es besteht aus dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten der EZB sowie vier weiteren Mitgliedern. Der Erweiterte Rat spielt bei der Erweiterung der Wirtschafts - und Währungsunion eine Rolle.7 Er setzt sich zusammen aus dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten der EZB sowie den Präsidenten der Zentralbanken aller Mitgliedstaaten der EU, also auch jenen, die den Euro noch nicht eingeführt haben. 3 BVerfGE 97, 350 (372) („Ob und inwieweit dieser hoheitlich angeordnete Währungsumtausch den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG berührt, bedarf hier keiner abschließenden Beurteilung. Er findet jedenfalls in Art. 88 Satz 2 GG sowie in der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat zum Maastricht-Vertrag gemäß Art. 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GG und deren Mitwirkung an Rechtsetzungsakten zu seinem Vollzug gemäß Art. 23 Abs. 2 ff. GG eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage. […] Als das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2086) der europäischen Integration in Art. 23 GG eine ausdrückliche Verfassungsgrundlage gegeben hat, stand dem verfassungsändernden Gesetzgeber als nächster Integrationsschritt die Entscheidung für eine Europäische Währungsunion vor Augen (BTDrucks 12/3338, S. 5). Art. 88 Satz 2 GG bringt den Willen des Verfassunggebers zum Ausdruck, eine Übertragung der Aufgaben und Befugnisse der Deutschen Bundesbank auf eine Europäische Zentralbank unter der Voraussetzung zuzulassen, daß die Europäische Zentralbank unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.“); s. hierzu auch: Berger/Rübsamen, Bundesbankgesetz, 2. Aufl. 2014, Einleitung, Rn. 6. 4 Protokoll Nr. 4 über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank , ABl.EU Nr. C 326/230 vom 26.10.2012, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/resource .html?uri=cellar:c382f65d-618a-4c72-9135-1e68087499fa.0004.02/DOC_4&format=PDF. 5 Heun, Die Europäische Zentralbank in der Europäischen Währungsunion, JZ 1998, S. 866 (866 f.). 6 Weber, WM 1998, S. 1465 (1467). 7 Papathanassiou, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 134 Das Europäische System der Zentralbanken und die Europäische Zentralbank, Rn. 49. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 6/18 Seite 6 2.3. Verhältnis der EZB zu den nationalen Zentralbanken 2.3.1. Wirtschaftliches Verhältnis der EZB und der nationalen Zentralbanken Aus wirtschaftlicher Perspektive ist die EZB ein gemeinsames Tochterunternehmen der nationalen Zentralbanken, denn diese sind alleinige Zeichner und Inhaber des Kapitals der EZB.8 2.3.2. Weisungsbefugnis der EZB gegenüber den nationalen Zentralbanken Gemäß Art. 14.3. ESZB-Satzung handeln die nationalen Zentralbanken, deren Währung der Euro ist, gemäß den Leitlinien und Weisungen der EZB. Leitlinien sind abstrakt-generell gefasste Rechtsinstrumente9, mit denen der EZB-Rat die Politik der EZB festlegt. Die EZB oder die nationalen Zentralbanken setzen die Leitlinien um, wodurch diese eine mittelbare Rechtswirkung nach außen entfalten.10 Das EZB-Direktorium hat gemäß Art. 12.1. UAbs. 2 Satz 2 ESZB-Satzung im Rahmen der Ausführung der Geldpolitik die Befugnis, den nationalen Zentralbanken der Staaten, die den Euro eingeführt haben, Weisungen zu erteilen.11 Weisungen sind konkret-individuelle Rechtsinstrumente und enthalten keine abstrakt-generellen Regelungen.12 Die nationalen Zentralbanken sind verpflichtet , den Weisungen des EZB-Direktoriums Folge zu leisten.13 Der Weisungsumfang wird durch den Grundsatz der Erforderlichkeit nach Art. 12.1. UAbs. 2 Satz 2 ESZB-Satzung beschränkt . Das EZB-Direktorium darf demnach nur die zur Umsetzung der geldpolitischen Grundentscheidungen und der sonstigen Ausführungsregelungen des EZB-Rates notwendigen Weisungen erteilen.14 Die EZB kann gemäß Art. 35.6. ESZB-Satzung vor dem Gerichtshof der EU (EuGH und EuG) gegen eine nationale Zentralbank Klage erheben, sofern diese eine Weisung der EZB nicht befolgt.15 8 Plewka, Rechtliche Grundlagen und organisatorischer Aufbau der EZB, in: Simmert/Welteke, Die Europäische Zentralbank, 1999, S. 49 (56). 9 Berger/Rübsamen, Bundesbankgesetz, 2. Aufl. 2014, § 3 BBankG, Rn. 7. 10 Schulte, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 132 AEUV, Rn. 28, 31. 11 Weber, WM 1998, S. 1465 (1467); Heun, JZ 1998, S. 866 (869). 12 Schulte, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 132 AEUV, Rn. 27; Berger/Rübsamen, Bundesbankgesetz, 2. Aufl. 2014, § 3 BBankG, Rn. 10. 13 Schulte, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 132 AEUV, Rn. 38. 14 Weber, Die Kompetenzverteilung im Europäischen System der Zentralbanken bei der Festlegung und Durchführung der Geldpolitik, 1995, S. 186 f.; Ohler/Schmidt-Wenzel, in: Siekmann, Kommentar zur Europäischen Währungsunion , 1. Aufl. 2013, Art. 132 AEUV, Rn. 64. 15 Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 271 AEUV, Rn. 5. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 6/18 Seite 7 Stellt der Gerichtshof fest, dass eine nationale Zentralbank gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat, so hat diese Bank gemäß Art. 271 lit. d AEUV die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil ergeben. In der Literatur wird aus der Weisungsbefugnis des Direktoriums ein hierarchischer Aufbau der EZB abgeleitet, in dem die nationalen Zentralbanken der EZB untergeordnet sind.16 2.3.3. Einflussnahme der Zentralbanken im EZB-Rat Der Einfluss der nationalen Zentralbanken im ESZB erfolgt über den EZB-Rat.17 Der Präsident der Deutschen Bundesbank wirkt mit Sitz und Stimme bei Entscheidungen im EZB-Rat mit. Er agiert dabei nicht als unabhängiger Sachwalter des Unionsinteresses, sondern als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland.18 Da die nationalen Zentralbanken durch ihre Mitgliedschaft im EZB-Rat Einfluss auf die Entscheidungen der EZB nehmen können, prägt diese wechselseitige Einflussnahme den Systemcharakter des ESZB.19 Die nationalen Zentralbanken sind jedoch nur durch jeweils eine Stimme im Rat vertreten , der in Regel mit einfacher Mehrheit entscheidet. Zudem hat der Präsident der Bundesbank nicht bei jeder Abstimmung ein Stimmrecht. Seit dem Beitritt Litauens zum Euro-Währungsgebiet im Jahr 2015 gilt im EZB-Rat bei Abstimmungen das Rotationsprinzip, um die Handlungsfähigkeit des EZB-Rates zu erhalten.20 Durch das Rotationsprinzip rotiert das Stimmrecht der Zentralbankpräsidenten im monatlichen Turnus, wodurch es Monate mit und ohne Stimmrecht für die Bundesbank gibt.21 3. Übertragung der Vorgaben zum Beherrschungsvertrag auf das Verhältnis von Bundesbank und EZB? Der Fachbereich ist gefragt worden, ob die Vorgaben zum Beherrschungsvertrag im Wege der Analogie auf das Verhältnis der EZB zu den Zentralbanken der Mitgliedstaaten übertragen werden können. 16 So etwa Häde, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 282 AEUV, Rn. 11; Berger/Rübsamen, Bundesbankgesetz , 2. Aufl. 2014, § 3 BBankG, Rn. 9. 17 Frenz, Handbuch Europarecht. Band 6: Institutionen und Politiken, 2011, Kapitel 8: Europäische Zentralbank und Europäische Investitionsbank, S. 390 ff. 18 Herdegen in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 60. EGL, Stand: Oktober 2010, Art. 88 GG, Rn. 83. 19 Seiler, Das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) als Verantwortungsverbund: Systemgebundene Aufgabenerfüllung durch eigenständige Kompetenzträger, EuR 2004, S. 52 (56 f.); Berger/Rübsamen, Bundesbankgesetz , 2. Aufl. 2014, § 3 BBankG, Rn. 9. 20 Bergmann, Handlexikon der EU, 5. Aufl. 2015, EZB, III. Organisationstruktur. 21 Generelle Informationen zum Rotationsprinzip und Stimmrecht der nationalen Zentralbanken stehen auf der Internetseite der EZB, abrufbar unter: https://www.ecb.europa.eu/explainers/tell-me-more/html/voting-rotation .de.html. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 6/18 Seite 8 Dafür soll zunächst das Modell des Beherrschungsvertrags im deutschen Gesellschaftsrecht erläutert werden (3.1.), anschließend erfolgt ein Überblick über die Vorgaben des Unionsrechts zum Verhältnis der nationalen Zentralbanken zur EZB (3.2.). Darauf aufbauend soll abschließend geklärt werden, ob die Vorgaben zum Beherrschungsvertrag auf das Verhältnis der Bundesbank zur EZB Anwendung finden können (3.3.). 3.1. Der Beherrschungsvertrag im deutschen Recht Gemäß § 291 Abs. 1 Satz 1 Aktiengesetz (im Folgenden: AktG) sind Verträge, durch die eine Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien die Leitung ihrer Gesellschaft einem anderen Unternehmen unterstellt, Beherrschungsverträge. Im deutschen Gesellschaftsrecht besteht mittlerweile Einigkeit, dass auch eine Gesellschaft mit begrenzter Haftung (GmbH) als herrschende oder beherrschte Gesellschaft an einem Beherrschungsvertrag beteiligt sein kann.22 Die wichtigste Wirkung eines Beherrschungsvertrags ist die Befugnis der herrschenden Gesellschaft gemäß § 308 AktG, der beherrschten Gesellschaft hinsichtlich der Leitung der Gesellschaft (auch nachteilige) Weisungen zu erteilen. Gemäß § 291 Abs. 3 AktG wird bei Vorliegen eines Beherrschungsvertrags auch die Vermögensbindung der beherrschten Gesellschaft gelockert. Die Kapitalerhaltungsregeln finden bei Abschluss eines Beherrschungsvertrags für die beherrschte Gesellschaft mithin keine Anwendung mehr.23 Als Kompensation dafür ist die herrschende Gesellschaft gemäß § 302 AktG zum Ausgleich der Jahresfehlbeträge der beherrschten Gesellschaft verpflichtet und muss den Gläubigern der beherrschten Gesellschaft bei Beendigung des Beherrschungsvertrags gemäß § 303 AktG Sicherheit leisten. Den außenstehenden Gesellschaftern der beherrschten Gesellschaft ist zudem gemäß § 304 Abs. 1 Satz 2 AktG ein angemessener Ausgleich zu gewähren. Zudem sind die außenstehenden Gesellschafter gemäß § 305 AktG zum Austritt gegen Abfindung berechtigt.24 Das in der Fragestellung erwähnte Recht der beherrschten Gesellschaft auf eigene Interessenwahrung und Weisungsverweigerung bei fehlender Verlustübernahme ist im AktG nicht ausdrücklich geregelt. § 308 Abs. 2 Satz 2 AktG bestimmt, dass der Vorstand der beherrschten Gesellschaft ausnahmsweise berechtigt ist, die Befolgung einer Weisung zu verweigern, weil sie offensichtlich nicht den Belangen des herrschenden Unternehmens oder des Konzerns dient. In der Literatur zum deutschen Gesellschaftsrecht gibt es jedoch Auffassungen, dass die Zulässigkeit nachteiliger Weisungen untrennbar mit dem kompensatorischen System des Verlustausgleichs verbunden sei. Ergeben sich bei der Geschäftsführung des beherrschten Unternehmens Zweifel an der Bonität 22 Servatius, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbH-Gesetz, 3. Aufl. 2017, Band 1, Systematische Darstellung 4, Rn. 30. 23 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, Art. 291 AktG, Rn. 77. 24 Servatius, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbH-Gesetz, 3. Aufl. 2017, Band 1, Systematische Darstellung 4, Rn. 30. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 6/18 Seite 9 des herrschenden Unternehmens, ist nach dieser Ansicht die Befolgung einer Weisung zu verweigern , da ein Verlustausgleich in diesen Fällen nicht mehr gewährleistet ist.25 Die Weisungen des herrschenden Unternehmens seien in diesem Fall rechtswidrig und mithin unwirksam.26 3.2. Vorgaben zum Verhältnis von EZB und Bundesbank im Unionsrecht 3.2.1. Die Bundesbank als Bestandteil des ESZB Die Bundesbank ist gemäß § 2 Satz 1 Bundesbankgesetz (BBankG) eine bundesunmittelbare juristische Person des öffentlichen Rechts und stellt bei einer formalen Betrachtung mithin eine Rechtsperson des deutschen Rechts dar, die in Bezug auf ihre Rechtsform und institutionelle Struktur der deutschen Rechtsordnung unterliegt.27 Wenn nationale Zentralbanken, wie die Bundesbank , ihre Aufgaben im Rahmen des Eurosystems wahrnehmen, handeln sie jedoch nicht als nationale Behörden, sondern als integrale Bestandteile des Eurosystems.28 Art. 1 ESZB-Satzung bestimmt: „Die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Zentralbanken bilden nach Art. 282 Abs. 1 AEUV das Europäische System der Zentralbanken (ESZB). Die EZB und die nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, bilden das Eurosystem. Das ESZB und die EZB nehmen ihre Aufgaben und ihre Tätigkeit nach Maßgabe der Verträge und dieser Satzung wahr.“ Gemäß Art. 271 lit. d AEUV ist der Gerichtshof der Europäischen Union zuständig in Streitsachen über die Erfüllung der sich aus den Verträgen und der ESZB-Satzung ergebenden Verpflichtungen durch die nationalen Zentralbanken. Eine entsprechende Vorgabe steht in Art. 35.6. ESZB-Satzung: „Der Gerichtshof ist für Streitsachen zuständig , die die Erfüllung der Verpflichtungen aus dieser Satzung durch eine nationale Zentralbank betreffen. Ist die EZB der Auffassung, dass eine nationale Zentralbank einer Verpflichtung aus dieser Satzung nicht nachgekommen ist, so legt sie in der betreffenden Sache eine mit Gründen versehene Stellungnahme vor, nachdem sie der nationalen Zentralbank Gelegenheit zur Vorlage von Bemerkungen gegeben hat. Entspricht die nationale Zentralbank nicht innerhalb der von der EZB gesetzten Frist deren Stellungnahme, so kann die EZB den Gerichtshof anrufen.“ Die Rechtsposition der Deutschen Bundesbank wird mithin nicht allein durch deutsches Recht (BBankG und Art. 88 GG) bestimmt, sondern auch durch das für das ESZB geltende Recht der EU (AEUV und ESZB-Satzung).29 25 Servatius, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbH-Gesetz, 3. Aufl. 2017, Band 1, Systematische Darstellung 4, Rn. 168. 26 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl, 2016, Art. 291 AktG, Rn. 77a. 27 Selmayr, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 282 AEUV, Rn. 22; Ludwigs/Sikora, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 42 EL, Stand: August 2017, A.II Institutioneller Aufbau der EU, Rn. 356. 28 Zilioli/Athanassiou, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 34. 29 Berger/Rübsamen, Bundesbankgesetz, 2. Aufl. 2014, Einleitung, Rn. 2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 6/18 Seite 10 3.2.2. Weisungsbefugnis der EZB Das Unionsrecht enthält – wie oben dargestellt – Vorgaben zur Weisungsbefugnis der EZB gegenüber den nationalen Zentralbanken. Gemäß Art. 129 Abs. 1 und Art. 282 Abs. 2 Satz 1 AEUV sowie Art. 8 ESZB-Satzung wird das ESZB von den Beschlussorganen der EZB, dem EZB-Rat und dem Direktorium, geleitet. Art. 9.2. ESZB-Satzung ordnet an, dass die EZB sicherzustellen hat, dass die dem ESZB durch das Unionsprimärrecht übertragenen Aufgaben „entweder durch ihre eigene Tätigkeit nach Maßgabe dieser Satzung oder durch die nationalen Zentralbanken nach den Artikeln 12.1 und 14 erfüllt werden“. Art. 12.1. UAbs. 2 Satz 2 der ESZB-Satzung sieht vor, dass das Direktorium den nationalen Zentralbanken der Euro-Teilnehmerstaaten bei der Ausführung der geldpolitischen Entscheidungen der EZB Weisungen erteilt. Gemäß Art. 14.3. Satz 2 ESZB-Satzung trifft der EZB-Rat die notwendigen Maßnahmen, um die Einhaltung der Leitlinien und Weisungen der EZB sicherzustellen. 3.2.3. Unionsrechtliche Handlungsmöglichkeiten der Bundesbank 3.2.3.1. Einflussnahme im EZB-Rat Die Bundesbank wird im EZB-Rat durch den Präsidenten der Bundesbank repräsentiert. Da der EZB-Rat die Leitentscheidungen der EZB trifft, welche das EZB-Direktorium ausführt, hat die Bundesbank durch ihren Präsidenten einen gewissen Einfluss darauf, welche Weisungen ihr (bei Durchführung der Entscheidungen des Rates durch das Direktorium) erteilt werden. Es ist zu beachten , dass das Weisungsrecht des Direktoriums sich auf die zur Durchsetzung der Grundentscheidungen und Ausführungsregelungen des EZB-Rates erforderlichen Weisungen beschränkt.30 Da die meisten Entscheidungen des EZB-Rates jedoch mit einfacher Mehrheit pro Kopf und nicht gemäß dem finanziellen Anteil der Mitgliedstaaten getroffen werden, ist dieser Einfluss der Bundesbank (1 Stimme von 21) relativ gering. Der Präsident der Bundesbank hat zudem, wie oben festgestellt, aufgrund des Rotationsprinzips nicht bei jeder Abstimmung ein Stimmrecht. Bei Entscheidungen über die Kapital- und Reserveeinbringung (Art. 2, 29 und 30 ESZB-Satzung) sowie über die Gewinn- und Verlustverteilung (Art 32, 33 und 51 ESZB-Satzung) werden die Stimmen gemäß Art. 10.3. ESZB-Satzung nach den Anteilen der nationalen Zentralbanken am gezeichneten Kapital der EZB gewogen. Die Stimmen der Mitglieder des Direktoriums haben bei Abstimmungen nach Art. 10.3. ESZB-Satzung kein Stimmgewicht. 3.2.3.2. Nichtigkeitsklage gegen Maßnahmen der EZB Gemäß Art. 35.1. ESZB-Satzung besteht die Möglichkeit, die Handlungen und Unterlassungen der EZB vom Gerichtshof gemäß den Vorgaben des AEUV überprüfen und auslegen zu lassen.31 30 Weber, Die Kompetenzverteilung im Europäischen System der Zentralbanken bei der Festlegung und Durchführung der Geldpolitik, 1995, S. 187. 31 Ausführlich zu der gesamten Thematik: Klagemöglichkeiten der Deutschen Bundesbank gegen die Europäische Zentralbank (EZB) vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, WD 11 – 3000 – 156/12, abrufbar unter: http://www.bundestag.de/blob/405714/fd1a1c28af752d2ad206e138d4e93646/wd-11-156-12-pdf-data.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 6/18 Seite 11 Art. 263 AEUV normiert die Nichtigkeitsklage vor dem Gerichtshof der EU. Der Gerichtshof überwacht gemäß Art. 263 Abs. 1 AEUV die Rechtmäßigkeit von Gesetzgebungsakten und Handlungen , soweit es sich nicht um Empfehlungen oder Stellungnahmen handelt, mithin von Maßnahmen , die rechtsverbindliche Wirkungen nach außen erzeugen bzw. dazu bestimmt sind.32 Rechtsverbindliche Maßnahmen der EZB können mithin im Rahmen einer Nichtigkeitsklage überprüft werden.33 Zur Nichtigkeitsklage berechtigt sind gemäß Art. 263 AEUV andere Unionsorgane, Mitgliedstaaten und (natürliche und juristische) Personen. Der Begriff der juristischen Person ist ein unionsautonomer Begriff, der alle selbstständigen Einheiten des öffentlichen und privaten Rechts, denen die Rechtsordnung, der sie unterstehen, den Status eines Rechtssubjekts verliehen hat, umfasst .34 Auch Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts unterfallen dem Begriff der juristischen Personen im Unionsrecht.35 Die Bundesbank ist als Einrichtung des öffentlichen Rechts im deutschen Recht rechtsfähig und im Rahmen einer Nichtigkeitsklage klageberechtigt.36 Für natürliche und juristische Personen gelten die strengen Voraussetzungen des Art. 263 Abs. 4 AEUV, wonach sie nur gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben können. Juristische und natürliche Personen können daher Maßnahmen der EZB angreifen, sofern diese an sie adressiert sind, sie unmittelbar und individuell betreffen oder es sich um Rechtsakte mit Verordnungscharakter handelt, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen. Gegen Verordnungen der EZB nach Art. 132 Abs. 1 AEUV i.V.m. Art. 34.1. ESZB-Satzung kommt eine Klage der Bundesbank zumeist nicht in Betracht, da es ihr in der Regel nicht gelingen wird, ihre unmittelbare und individuelle Betroffenheit, also ihre herausgehobene Stellung gegenüber anderen nationalen Zentralbanken, darzulegen.37 An die Bundesbank adressierte Beschlüsse der EZB nach Art. 132 Abs. 1 AEUV können hingegen unproblematisch im Wege der Nichtigkeitsklage angefochten werden, die unverbindlichen Empfehlungen und Stellungnahmen nach Art. 132 AEUV dagegen nicht. In der ESZB-Satzung werden Leitlinien und Weisungen als Maßnahmen der EZB gegenüber den Zentralbanken der Mitgliedstaaten normiert. In der Literatur ist umstritten, ob es sich bei diesen um Maßnahmen handelt, die rechtsverbindliche Wirkungen 32 Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 263 AEUV, Rn. 13. 33 Kramer/Hinrichsen, Die Europäische Zentralbank, JuS 2015, S. 673 (675). 34 Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 49. EL, Stand: November 2012, Art. 263 AEUV, Rn. 22; Manger-Nestler, Par(s) inter partes, 2008, S. 286. 35 Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 49. EL, Stand: November 2012, Art. 263 AEUV, Rn. 22; 36 Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 276. 37 Manger-Nestler, Par(s) inter partes, 2008, S. 289. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 6/18 Seite 12 nach außen erzeugen bzw. dazu bestimmt sind oder um „Binnenrecht“, das nicht vom Gerichtshof kontrolliert werden kann.38 Gemäß Art. 14.3. ESZB-Satzung sind die nationalen Zentralbanken an die Leitlinien des EZB-Rats gebunden. Entsprechend entfalten diese den Zentralbanken gegenüber unmittelbare und individuelle Rechtswirkung, so dass sie nach hiesiger Ansicht gerichtlich überprüfbar sein müssen.39 Das gleiche gilt für die Weisungen des Direktoriums.40 Nichtigkeitsklagen können gemäß Art. 263 Abs. 2 AEUV wegen Unzuständigkeit, der Verletzung wesentlicher Formvorschriften, einer Verletzung der Verträge bzw. einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder wegen Ermessensmissbrauchs erhoben werden. Bei der gerichtlichen Kontrolle von Maßnahmen der EZB ist allerdings zu berücksichtigen, dass die EZB Entscheidungen technischer Natur trifft und in diesem Rahmen komplexe Prognosen und Beurteilungen vornehmen muss.41 In den Vorschriften der ESZB-Satzung zur Währungspolitik wird der EZB nicht vorgegeben, wie genau sie die einheitliche Währungspolitik zu betreiben hat, stattdessen wird ihr ein breiter Ermessensspielraum eingeräumt.42 Folglich kann der Gerichtshof zwar die Einhaltung des rechtlich vorgegebenen Handlungsrahmens der EZB, das Handeln im Rahmen der ihr zugewiesenen währungspolitischen Aufgaben und Befugnisse und die Begründung der von ihr beschlossenen Maßnahmen überprüfen; die Gerichte können aber nicht ihre eigene Einschätzung an die Stelle der Einschätzungen oder Prognosen der EZB setzen.43 3.2.3.3. Regressmöglichkeit Art. 340 AEUV regelt die Haftung der EU. Gemäß Art. 340 Abs. 3 AEUV kann ein Anspruch nicht nur gegen die EU, sondern auch gegen die EZB selbst geltend gemacht werden. Eine Haftung der EZB setzt voraus, dass die EZB oder ihre Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit einen Rechtsverstoß begangen haben, der einen Schaden verursacht hat.44 Nationale Zentralbanken können nach Auffassung in der Literatur einen Schadensersatzanspruch gegen die EZB als Regressanspruch geltend machen, wenn sie selbst einer Schadensersatzforderung ausgesetzt sind. Ein solcher Fall liegt vor, wenn eine nationale Zentralbank in Anspruch genommen worden ist, 38 Zum Streitstand: Manger-Nestler, Par(s) inter partes, 2008, S. 290. 39 So auch: Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 277; Manger-Nestler, Par(s) inter partes, 2008, S. 291; Schulte, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 132 AEUV, Rn. 30. 40 Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 277; Schulte, in: von der Groeben/Schwarze/ Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 132 AEUV, Rn. 40. 41 EuGH, Urt. v. 16.6.2015, Rs. C-64/14 – Gauweiler, Rn. 68. 42 EuGH, Urt. v. 16.6.2015, Rs. C-64/14 – Gauweiler, Rn. 68. 43 Selmayr, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 282 AEUV, Rn. 113. 44 Jacob/Kottmann, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 55. EGL, Stand: Januar 2015, Art. 340, Rn. 134 und 69 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 6/18 Seite 13 weil sie eine inhaltlich rechtswidrige, für sie aber dennoch verbindliche Weisung der EZB vollzogen hat.45 3.3. Übertragung des Beherrschungsvertrags auf das Verhältnis der Bundesbank zur EZB Die Bundesbank ist, wie oben ausgeführt, eine bundesunmittelbare juristische Person des öffentlichen Rechts. Sie ist keine Aktiengesellschaft. Die Vorgaben des AktG zum Beherrschungsvertrag erfassen die Bundesbank demnach nicht und finden auf sie keine unmittelbare Anwendung. Speziell zur Anwendung des AktG auf die Bundesbank finden sich, soweit ersichtlich, in der Literatur keine Ausführungen. Es existieren jedoch Ausführungen in der Literatur, dass weder die Bundesbank noch die EZB in direkter Anwendung den Vorschriften des nationalen Rechts zur Finanzverfassung von Kapitalgesellschaften unterliegen.46 Es seien keine Kapitalschutzregelungen vorgesehen und es existierten auch keine Regelungen gesellschaftsrechtsähnlicher oder insolvenzrechtlicher Art für den Fall der Unterbilanzierung.47 Das Unionsrecht enthält, wie oben unter 3.2. dargestellt, Vorgaben für das Verhältnis von EZB und Bundesbank. Fraglich ist, ob trotz dieser Vorgaben des Unionsrechts Normen des nationalen Rechts, die inhaltlich andere Vorgaben enthalten, mittelbar oder unmittelbar auf das Verhältnis der Bundesbank zur EZB Anwendung finden können. In diesem Zusammenhang ist insbesondere das Verhältnis des Unionsrechts zum nationalen Recht von Bedeutung. Das Unionsrecht genießt einen Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht. Dies ist zuletzt in der Erklärung Nr. 17 zur Schlussakte der Regierungskonferenz zum Vertrag von Lissabon ausdrücklich festgehalten worden („Die Konferenz weist darauf hin, dass die Verträge und das von der Union auf der Grundlage der Verträge gesetzte Recht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unter den in dieser Rechtsprechung festgelegten Bedingungen Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten haben.“).48 Mit dem Unionsrecht kollidierendes mitgliedstaatliches Recht wird durch den Anwendungsvorrang unanwendbar.49 Dieser Anwendungsvorrang gilt auch für die Regelungen der ESZB-Satzung.50 45 Weber, WM 1998, S. 1465 (1473); Manger-Nestler, Par(s) inter partes, 2008, S. 299. 46 Binder, Drohende Zentralbankinsolvenz? – Haftungs- und Verlustszenarien im Europäischen System der Zentralbanken vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion, JZ 2015, S. 328 (330). 47 Binder, Drohende Zentralbankinsolvenz? – Haftungs- und Verlustszenarien im Europäischen System der Zentralbanken vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion, JZ 2015, S. 328 (330). 48 Erklärung Nr. 17 zum Vorrang zur Schlussakte der Regierungskonferenz, die den am 13. Dezember 2007 unterzeichneten Vertrag von Lissabon angenommen hat, ABl.EU Nr. C 326/337 vom 26.10.2012, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:c382f65d-618a-4c72-9135- 1e68087499fa.0004.02/DOC_6&format=PDF. 49 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 1 AEUV, Rn. 18. 50 Zilioli/Athanassiou, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 8; Urban, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 37 ESZB-Satzung, Rn. 5. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 6/18 Seite 14 Wenn schon direkt anwendbares nationales Recht durch vorrangiges Unionsrecht verdrängt wird, gilt das erst recht für nur analog anwendbares nationales Recht. Im vorliegenden Fall würden die Vorgaben aus dem AktG zum Beherrschungsvertrag mit den Vorgaben der ESZB-Satzung zum Verhältnis der EZB zu den nationalen Zentralbanken kollidieren . Art. 14.3. ESZB-Satzung bestimmt, dass die Nationalbanken gemäß den Leitlinien und Weisungen der EZB handeln. Die EZB kann gemäß Art. 35.6. ESZB-Satzung gerichtlich durchsetzen, dass die nationalen Zentralbanken ihren Weisungen folgen. Diese Regelungen würden mit einer Möglichkeit der Bundesbank, die Ausführung von Weisungen der EZB aus eigenem Ermessen heraus zu verweigern, kollidieren. Das Unionsrecht sieht eine Lösung von Konflikten zwischen der EZB und den nationalen Zentralbanken durch den Gerichtshof vor. 3.4. Fazit Die Regelungen aus dem deutschen AktG zum Beherrschungsvertrag können nicht auf das Verhältnis von Bundesbank und EZB angewandt werden. Soweit sich in der rechtswissenschaftlichen Literatur Ausführungen zu dieser Fragestellung finden, wird darin ausgeführt, dass die Vorschriften des nationalen Rechts zur Finanzverfassung von Kapitalgesellschaften auch nicht mittelbar auf die Bundesbank oder die EZB anwendbar sind.51 4. Ultra-vires-Kontrolle von Rechtsakten der EZB Eine Kontrollmöglichkeit für Maßnahmen der EZB auf nationaler Ebene bietet die sog. Ultra-vires -Kontrolle, welche vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unter dem Begriff des „ausbrechenden Rechtsakts“ bereits im Maastricht-Urteil angedacht und im Lissabon-Urteil als Kontrollvorbehalt etabliert worden ist.52 Im Rahmen der Ultra-vires-Kontrolle prüft das BVerfG, ob Rechtsakte der Unionsorgane, wie der EZB, sich in den Grenzen der ihnen im Wege der begrenzten Einzelermächtigung eingeräumten Hoheitsrechte halten.53 Rechtsakte, die sich außerhalb der der EU zugewiesenen Kompetenzen bewegen, verletzen als sog. Ultra-vires-Akte nicht nur Unionsrecht , sondern auch deutsches Verfassungsrecht und werden vom BVerfG für in Deutschland unanwendbar erklärt.54 Die Ultra-vires-Kontrolle ist bereits in Bezug auf Maßnahmen der EZB zur Anwendung gekommen . In der OMT-Entscheidung hat das BVerfG die Ankündigung der EZB zum Ankauf von Staatsanleihen (Outright-Monetary-Transactions – OMT) untersucht, ob es sich dabei um ein 51 Binder, Drohende Zentralbankinsolvenz? – Haftungs- und Verlustszenarien im Europäischen System der Zentralbanken vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion, JZ 2015, S. 328 (330). 52 Calliess, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 79. EL, Stand: Dezember 2016, Art. 24 GG, Rn. 202. 53 BVerfGE 123, 267 (353 f.) 54 BVerfGE 89, 155 (188). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 6/18 Seite 15 Ultra-vires-Handeln handelt, mit dem die EZB ihre Kompetenzen überschreitet.55 Das BVerfG hat dies nach einer Vorlage an den EuGH und unter Bezugnahme auf dessen Ausführungen im Ergebnis verneint.56 In Bezug auf das Anleihenkaufprogramm (Public Sector Purchase Programme – PSPP) der EZB hat das BVerfG erneut ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet und führt in seinem Vorlagebeschluss aus: „Ein Handeln der EZB außerhalb ihres geld- und währungspolitischen Mandats oder ein Verstoß gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung durch das PSPP wäre eine offensichtliche und strukturell bedeutsame Kompetenzüberschreitung .“57 Die Entscheidung des EuGH in dieser Sache steht noch aus. – Fachbereich Europa – 55 BVerfG, Beschluss v. 14.1. 2014, Rs. 2 BvR 2728/13, 2 BvR 2729/13, 2 BvR 2730/13, 2 BvR 2731/13, 2 BvE 13/13, Rn. 33, online abrufbar unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen /DE/2014/01/rs20140114_2bvr272813.html. 56 BVerfG, Urt. v. 21.6.2016, Rs. 2 BvR 2728/13, 2 BvR 2729/13, 2 BvR 2730/13, 2 BvR 2731/13, 2 BvE 13/13, Rn. 175 („In der vom Gerichtshof der Europäischen Union vorgenommenen Auslegung sind der Grundsatzbeschluss über die technischen Rahmenbedingungen des OMT-Programms und dessen mögliche Durchführung mit Blick auf Art. 119 und Art. 127 ff. AEUV sowie Art. 17 ff. ESZB-Satzung nicht als Ultra-vires-Maßnahmen zu qualifizieren . In dieser Auslegung, die das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich bindet (a), bestehen gegen den Grundsatzbeschluss des Rates der Europäischen Zentralbank über das OMT-Programm vom 6. September 2012 trotz gewichtiger Bedenken (b) letztlich keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Einwände (c).“), online abrufbar unter http://www.bverfg.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2016/06/rs20160621_2bvr272813.html. 57 BVerfG, Vorlagebeschluss v. 18.7.2017, Rs. 2 BvR 859/15, 2 BvR 1651/15, 2 BvR 2006/15, 2 BvR 980/16, Rn. 64, online abrufbar unter http://www.bverfg.de/SharedDocs/Entscheidungen /DE/2017/07/rs20170718_2bvr085915.html.