PE 6 - 3000 - 005/20 (27. Januar 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Der Fachbereich Europa wird um die Beantwortung mehrerer Fragen im Zusammenhang mit der „beihilferechtlichen Konformität der Zahlung von Finanzmitteln im Rahmen des Strukturstärkungsgesetzes “ ersucht. Das noch im Gesetzgebungsverfahren befindliche Legislativvorhaben1 dient der Umsetzung von Maßnahmen, die auf den Abschlussbericht der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung “ zurückgehen und darin zur Begleitung des Strukturwandels in den vom Ausstieg aus der Kohleverstromung betroffenen Revieren vorgeschlagen wurden.2 Zur beihilferechtlichen Beurteilung des Abschlussberichts, auch als „Kohlekompromiss“ bezeichnet, wird auf ein dieser Kurzinformation als Anlage beigefügtes Gutachten des Fachbereichs Europa verwiesen.3 Hauptgegenstand des nun vorgeschlagenen Artikelgesetzes ist das in Art. 1 geregelte Investitionsgesetz Kohleregionen (InvKG-E). Die Art. 2 und 3 des geplanten Strukturstärkungsgesetzes enthalten Änderungen des Bundesfernstraßen- und des Allgemeinen Eisenbahngesetzes, die im vorliegenden Kontext keine eigenständige Bedeutung haben, Art. 4 regelt das Inkrafttreten. Eine Untersuchung des InvKG-E auf seine Beihilfekonformität setzt voraus, dass die dort geregelten Maßnahmen die Merkmale des Beihilfetatbestandes nach Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen.4 Danach muss es sich um (wirtschaftliche/finanzielle) Begünstigungen handeln, die staatlicher Natur sind oder aus staatlichen Mitteln gewährt werden, bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigen und hierdurch den Wettbewerb verfälschen und den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen. Liegen diese Merkmale vor, so sind die Maßnahmen verboten, soweit sie insbesondere nicht nach Art. 107 Abs. 3 AEUV zulässig sind. Das einschlägige Verfahren hierfür 1 BT-Drs. 19/13398. 2 Online abrufbar bspw. auf den Seiten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. 3 Fachbereich Europa „Der sog. Kohlekompromiss der Kommission ‚Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung ‘ und das EU-Beihilferecht“, PE 6 - 3000 -117/19 v. 22.1.2020 (im Folgenden: PE-6-Ausarbeitung). 4 Siehe hierzu PE-6-Ausarbeitung (Fn. 3), Pkt. 2.1., S. 4 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Kurzinformation Zur EU-Beihilferelevanz des Entwurfs eines Strukturstärkungsgesetzes Kurzinformation Zur EU-Beihilferelevanz des Entwurfs eines Strukturstärkungsgesetzes Fachbereich Europa (PE 6) Seite 2 ist primärrechtlich in Art. 108 AEUV geregelt und liegt weitgehend in der Zuständigkeit der EU- Kommission.5 Grundsätzlich sind neue Beihilfen der Kommission nach Art. 108 Abs. 3 AEUV zu notifizieren und dürfen vor einer abschließenden Entscheidung von den Mitgliedstaaten nicht durchgeführt werden. Betrachtet man die Vorschriften des InvKG-E im Lichte des Beihilfetatbestandes, so ist festzustellen , dass diese – soweit sie einen Einsatz von Finanzmitteln regeln – selbst keine Begünstigungen von (bestimmten) Unternehmen oder Produktionszweigen gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV vorsehen bzw. hierfür keine Rechtsgrundlage darstellen. Zwar dürfte einer Vielzahl der aus den Mitteln des InvKG-E zukünftig zu finanzierenden Maßnahmen Beihilfequalität im Sinne der genannten Vertragsvorschrift zukommen,6 dies führt vorliegend aber nicht dazu, dass die einschlägigen Vorschriften dieses Gesetzesvorhabens als Beihilfen bzw. als Rechtsgrundlage für solche anzusehen sind: So regelt Kapitel 1 des InvKG-E „Finanzhilfen zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft und zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums in den Braunkohlerevieren nach Art. 104b des Grundgesetzes“ (§§ 1 bis 10). Hierbei handelt es sich um Finanzhilfen des Bundes für die betroffenen Bundesländer (vgl. § 1 Abs. 1 InvKG-E), mit denen bestimmte, dort gelegene Fördergebiete unterstützt werden sollen (vgl. § 2 InvKG-E). Die Finanzhilfen werden den Ländern „zur eigenen Bewirtschaftung zur Verfügung“ gestellt und diesen obliegt dann (erst) die „Auswahl der Investitionsvorhaben“ (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 bzw. Abs. 3 S. 1 InvKG-E). Die Zurverfügungstellung der Finanzmittel an die Länder stellt eine beihilferechtlich irrelevante Mittelverschiebung zwischen staatlichen Hoheitsträgern dar. Erst den daraus zu finanzierenden Maßnahmen der Länder können bei entsprechender Ausgestaltung und Zielsetzung (staatliche) Begünstigungen bestimmter Unternehmen und damit Beihilfen nach Art. 107 Abs. 1 AEUV zugrunde liegen.7 Gleiches gilt im Grundsatz für Kapital 2 des InvKG-E zu den „Strukturhilfen für strukturschwache Standorte von Steinkohlekraftwerken und das ehemalige Braunkohlerevier Helmstedt“ (§§ 11 bis 13). Auch hier geht es um eine Unterstützung einzelner Bundesländer (vgl. § 10 Abs. 1 S. 1 InvKG-E) in Bezug auf näher bezeichnete Gemeinden und Gemeindeverbände (vgl. § 12 InvKG- E). Nach der Gesetzesbegründung fallen unter den Begriff der Strukturhilfen zunächst – wie nach Kapitel 1 – Finanzhilfen im Sinne des Art. 104b GG; die Strukturhilfen können aber auch in „Zuschüssen und Zuwendungen an juristische Personen des privaten oder öffentlichen Rechts“ bestehen .8 Da das InvKG-E in Bezug auf solche Begünstigte aber keine Vorschriften enthält oder Vorgaben macht und in der Gesetzesbegründung insoweit auf die nach § 13 InvKG-E zu treffende Verwaltungsvereinbarung verwiesen wird, in der „Einzelheiten zur Gewährung der Strukturhilfen […] geregelt“ werden, ändert diese Möglichkeit nichts an dem Umstand, dass das InvKG-E 5 Siehe hierzu PE-6-Ausarbeitung (Fn. 3), Pkt. 2.2., S. 5 ff., siehe dort auch zu den beiden unterschiedlichen Verfahrensansätzen : vorherige Notifizierung sowie Prüfung einerseits und Freistellung und ex-ante-Kontrolle andererseits . 6 Siehe hierzu PE-6-Ausarbeitung (Fn. 3), Pkt. 3, S. 7 ff. 7 Siehe auch Heun/Thiele, in: Dreier, Grundgesetzkommentar, 3. Aufl. 2018, § 104b GG, Rn. 5. 8 BT-Drs. 19/13398, S. 36. Kurzinformation Zur EU-Beihilferelevanz des Entwurfs eines Strukturstärkungsgesetzes Fachbereich Europa (PE 6) Seite 3 selbst eine Begünstigung bestimmter Unternehmen mit staatlichen Mitteln nicht vorsieht bzw. hierfür keine Rechtsgrundlage darstellt. Kapitel 3 enthält „weitere Maßnahmen des Bundes“ (§§ 14 bis 19 InvKG-E). Soweit es sich dabei um die Ansiedlung von Forschungseinrichtungen oder Bundesbehörden handelt (vgl. § 16 u. 18 InvKG-E), sind diese Maßnahmen mangels Unternehmensbegünstigung schon nicht beihilferelevant .9 Anders verhält es sich hingegen mit den Vorschriften über finanzielle Förderung in den §§ 14, 15 und 17 InvKG-E. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um Selbstverpflichtungen des Bundes, die betreffende Förderung zukünftig ins Werk zu setzen, etwa durch Auflegen eines Bundesförderprogramms „Zukunft Revier“ (vgl. § 15 InvKG-E) oder durch Einrichtung, Ausweitung oder Aufstockung bestehender oder neuer Fördermaßnahmen (vgl. § 17 InvKG-E). Erst diese könnten – bei Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV – Beihilfen darstellen bzw. Rechtsgrundlagen für deren Gewährung enthalten und wären dann bei der Kommission vor dem jeweiligen Inkrafttreten zu notifizieren. Auch bei den in Kapital 4 geregelten „[z]usätzliche[n] Investitionen in die Bundesfernstraßen und Bundesschienenwege zur Förderung der Gebiete nach § 2“ (§§ 20 bis 23 InvKG-E) handelt es sich lediglich um Selbstverpflichtungen des Bundes in Bezug auf die genannten Bereiche, die ungeachtet der Änderungen in den in Bezug genommenen Gesetzen erst noch durch weitere Maßnahmen umgesetzt werden müssen. Soweit es sich dabei um den Ausbau von Bundesfernstraßen handelt (vgl. §§ 20, 22 Abs. 1 InvKG-E), wird es bei der späteren Umsetzung an der Beihilferelevanz fehlen, da die Finanzierung und Errichtung von Straßeninfrastruktur nicht als Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV angesehen wird.10 Bei der Finanzierung und Errichtung von kommerziell genutzter Eisenbahninfrastruktur gilt dies nur insoweit, als diese potentiellen Nutzern zu gleichen und diskriminierungsfreien Bedingungen zur Verfügung gestellt wird,11 wovon in Deutschland nach den gesetzlichen Vorgaben auszugehen ist. Das fünfte und letzte Kapitel sieht die Einrichtung eines Bund-Länder-Koordinierungsgremiums (§ 26 InvKG-E), Vorgaben zur Evaluierung der Vorschriften des Gesetzes und ihrer Auswirkungen auf die wirtschaftliche Dynamik in den betroffenen Revieren (§ 25 InvKG-E) sowie Vorgaben zur Finanzierung der Maßnahmen nach den Kapiteln 1 bis 4 aus Haushaltsmitteln (§ 26 InvKG) und damit Bestimmungen vor, die schon dem Grunde nach keine Beihilferelevanz aufweisen. Die Vorschriften des InvKG-E selbst erfüllen somit allesamt nicht den Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV. Sie stellen zum einen lediglich die bundesrechtliche Rechtsgrundlage für die finanzielle Ausstattung der Länder mit Bundesmitteln dar, aus denen die Länder dann Fördermaßnahmen eigenverantwortlich finanzieren (Kapitel 1 und 2), und beinhalten zum anderen die Ankündigung und Selbstverpflichtung des Bundes, eigene Maßnahmen zur Förderung oder Begleitung des Strukturwandels zu treffen (Kapitel 3 und 4). Erst dieses Tätigwerden der Länder 9 Vgl. auch PE-6-Ausarbeitung (Fn. 3), Pkt. 3.1.3.1., S. 11 ff. 10 Siehe hierzu PE-6-Ausarbeitung (Fn. 3), Pkt. 3.1.3.1., S. 12 f. 11 Siehe hierzu PE-6-Ausarbeitung (Fn. 3), Pkt. 3.1.3.1., S. 12 f. Kurzinformation Zur EU-Beihilferelevanz des Entwurfs eines Strukturstärkungsgesetzes Fachbereich Europa (PE 6) Seite 4 bzw. des Bundes kommt für eine Prüfung der EU-Beihilferechtskonformität in Betracht und erfordert – sofern keine Freistellungstatbestände zur Anwendung gelangen – eine vorherige Notifizierung bei der Kommission nach Art. 108 Abs. 3 AEUV. – Fachbereich Europa –