© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 4/16 Vorgaben des EU-Rechts zu Voraussetzungen und Grenzen von Aufenthaltsbeendigungen international Schutzberechtigter infolge von Straffälligkeit Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 2 Vorgaben des EU-Rechts zu Voraussetzungen und Grenzen von Aufenthaltsbeendigungen international Schutzberechtigter infolge von Straffälligkeitvon Aufenthaltsbeendigungen international Schutzberechtigter infolge von Straffälligkeit Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 4/16 Abschluss der Arbeit: 09.02.2016 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Fragestellung 5 2. Begriffsverständnis und Systematik des deutschen Ausländerrechts bezüglich der Aufenthaltsbeendigung 6 3. EU-rechtliche Vorgaben zu Voraussetzungen und Grenzen von Aufenthaltsbeendigungen 6 3.1. Qualifikationsrichtlinie 2011/95 7 3.1.1. Zurückweisung und Zurückweisungsschutz nach Art. 21 RL 2011/95 8 3.1.1.1. Voraussetzungen einer Zurückweisung 10 3.1.1.1.1. Positive Voraussetzungen einer Zurückweisung 10 3.1.1.1.2. Negative Voraussetzung: kein Zurückweisungsschutz 12 3.1.1.2. Zurückweisung und Aufenthaltstitel 13 3.1.1.3. Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen 14 3.1.2. Versagung von Aufenthaltstiteln nach Art. 24 RL 2011/95 15 3.1.2.1. Tatbestandliche Voraussetzungen 15 3.1.2.1.1. Schweregrad im Verhältnis zu Art. 21 Abs. 3 RL 2011/95 15 3.1.2.1.2. Tatbestandliche Voraussetzungen im Einzelnen 16 3.1.2.2. Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen 17 3.1.3. Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung der Eigenschaft als Flüchtling bzw. deren Nichtzuerkennung nach Art. 14 Abs. 4 bzw. 5 RL 2011/95 18 3.1.3.1. Tatbestandliche Voraussetzungen 18 3.1.3.2. Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen 19 3.1.4. Ausschluss von der Gewährung subsidiären Schutzes sowie die Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung dieser Eigenschaft bzw. deren Ausschluss nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. b) u. d) Var. 1 bzw. Art. 19 Abs. 3 Buchst. a) RL 2011/95 19 3.1.4.1. Tatbestandliche Voraussetzungen 20 3.1.4.1.1. Begehen einer schweren Straftat 20 3.1.4.1.2. Gefahr für die Allgemeinheit des Aufenthaltsmitgliedstaates 20 3.1.4.2. Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen 21 3.1.5. Zum Regelungsgehalt der Rückführungsrichtlinie 2008/115, ihrem Regelungszusammenhang mit der Qualifikationsrichtlinie und zur Anwendung nationalen Rechts 21 3.1.5.1. Regelungsgehalt 21 3.1.5.2. Regelungszusammenhang mit der Qualifikationsrichtlinie 22 3.1.5.3. Vorrangige Anwendung nationalen Rechts 23 3.1.5.3.1. Autonome Gewährleistung von Aufenthaltsrechten nach nationalem Recht 23 3.1.5.3.2. Anwendungsvorbehalt im Zusammenhang mit Strafrechtssanktionen 23 3.2. Art. 18 und 19 Abs. 2 EU-Grundrechte-Charta 24 3.2.1. Art. 18 EU-Grundrechte-Charta 24 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 4 3.2.2. Art. 19 Abs. 2 EU-Grundrechte-Charta 24 3.2.3. Bindung der Mitgliedstaaten: Art. 51 Abs. 1 EU-Grundrechte- Charta 25 3.3. Ergebnis 26 4. Vorschlag der Bundesregierung zur erleichterten Ausweisung von Straftätern im Lichte der EU-Vorgaben 27 4.1.1. Ausweisungserleichterungen 28 4.1.1.1. Geltende Rechtslage 28 4.1.1.2. Änderungsvorschläge 29 4.1.1.3. Einordnung der Änderungsvorschläge 30 4.1.1.4. Unionsrechtliche Beurteilung 31 4.1.2. Anerkennungsversagung 31 4.1.2.1. Geltende Rechtslage 32 4.1.2.2. Änderungsvorschlag 32 4.1.2.3. Einordnung des Änderungsvorschlags 32 4.1.2.4. Unionsrechtliche Beurteilung 33 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 5 1. Einleitung und Fragestellung Als Konsequenz aus den Übergriffen in Köln und anderen Städten in der Silvesternacht 2015/16 hat die Bundesregierung angekündigt, die Ausweisung krimineller Ausländer zu erleichtern.1 Die Bundesminister des Inneren (BMI) und der Justiz (BMJ) haben hierzu einen gemeinsamen Vorschlag (im Folgenden: BReg-Vorschlag) vorgelegt.2 Vor diesem Hintergrund wird der Fachbereich um die Beantwortung der folgenden Frage ersucht: „Welche Vorgaben machen internationales Recht und EU-Recht (unter Berücksichtigung von: Genfer Flüchtlingskonvention, Auslegungshinweise und Empfehlungen des UNHCR hierzu, EU- Grundrechte und EU-Asylrichtlinien, europäische und deutsche Rechtsprechung) zum Schutz von Flüchtlingen, subsidiär Schutzberechtigten und Asylsuchenden im Asylverfahren vor Ausweisung und Abschiebung nach Straftaten im Aufnahmeland, und inwieweit sind aktuelle Überlegungen , das geltende Ausweisungsrecht im Aufenthaltsgesetz zu verschärfen (etwa die Möglichkeit einer Ausweisung bereits nach Verurteilung zu einer einjährigen Freiheitsstrafe oder zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung) hiermit vereinbar?“ Die vorliegende Ausarbeitung beschränkt sich auf die EU-rechtlichen Maßstäbe vorstehender Fragen . Hinsichtlich der Rechtslage nach internationalem Recht wird auf die Ausarbeitung des Fachbereichs WD 2 vom 18. Januar 2016 (WD 2 - 3000 - 2/16) zum Thema „Völker- und menschenrechtliche Vorgaben für Abschiebung von straffällig gewordenen Flüchtlingen“ (im Folgenden: WD-2-Gutachten) verwiesen. Soweit die dortigen Ausführungen für die unionsrechtliche Bewertung des Gutachtenauftrags von Bedeutung sind, wird auf das WD-2-Gutachten verwiesen. Im Folgenden wird zunächst kurz auf die in der Gutachtenfrage verwandten Begriffe der Ausweisung und Abschiebung eingegangen und eine Einordnung in die allgemeine Systematik des deutschen Ausländerrechts zur Aufenthaltsbeendigung vorgenommen (siehe unter 2.). Sodann werden die einschlägigen EU-rechtlichen Vorgaben zu Voraussetzungen und Grenzen von Aufenthaltsbeendigungen infolge von Straffälligkeit dargestellt (siehe unter 3.). Hierbei werden dem Gutachtenauftrag sowie dem unionsrechtlichen Maßstab folgend nur Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte in den Blick genommen und damit ein engerer Personenkreis als er von dem BReg-Vorschlag insgesamt umfasst wird. Anschließend wird das Vorhaben der Bundesregierung auf Grundlage des gemeinsamen Vorschlags dargestellt und im Lichte der unionsrechtlichen Vorgaben bewertet (siehe unter 4.). 1 Siehe dazu auf den Seiten der Bundesregierung, online abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/Content /DE/Artikel/2016/01/2016-01-11-konsequenzen-nach-koeln.html (letztmaliger Abruf am 10.02.16). 2 Gemeinsamer Vorschlag von BMI und von BMJV zur erleichterten Ausweisung von Straftätern, online abrufbar auf den Seiten des BMI unter http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Nachrichten/Kurzmeldungen /bmi-und-bmjv-erleichterte-ausweisung-von-straftaetern.pdf;jsessionid =624CCB7475EB69AD5B80B151E3B60F8C.2_cid364?__blob=publicationFile (letztmaliger Abruf am 10.02.16). Vgl. dazu auch die Presseinformationen auf den Seiten des BMI unter http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2016/01/pk-de-maiziere-maas-verschaerfung-aufenthaltsrecht -und-sexualstrafrecht.html (letztmaliger Abruf am 10.02.16). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 6 2. Begriffsverständnis und Systematik des deutschen Ausländerrechts bezüglich der Aufenthaltsbeendigung Unter dem Begriff der Ausweisung, auf den die Gutachtenfrage Bezug nimmt, ist nach nationalem Ausländerrecht ein Verwaltungsakt zu verstehen, der in verschiedenen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) als Tatbestandsmerkmal für einschneidende Rechtsfolgen fungiert, insbesondere für das Erlöschen des Aufenthaltstitels nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG sowie für das daran anknüpfende Entstehen einer Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG.3 Bei der Abschiebung handelt es sich um die spezialgesetzlich geregelte Verwaltungsvollstreckung einer Ausreisepflicht in Form des unmittelbaren Zwangs, geregelt in §§ 58 ff. AufenthG.4 Beide Maßnahmen sind Teil der ausländerrechtlichen Vorschriften zur Aufenthaltsbeendigung, die vor allem in den §§ 50-62b AufenthG geregelt sind. Für die hier im Vordergrund stehenden Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigten bestehen darüber hinaus (Spezial-)Vorschriften, u. a. in §§ 34-43, 55, 67, 72-73c Asylgesetz (AsylG). Nach der dem AufenthG zugrunde liegenden Systematik setzt die Aufenthaltsbeendigung das Bestehen einer Ausreisepflicht voraus (vgl. §§ 50-56, insb. § 50 Abs. 1 AufenthG), die dann besteht, wenn kein Aufenthaltstitels (mehr) vorliegt (vgl. § 51 Abs. 1 AufenthG). Dabei stellt die Ausweisung nur eine der Möglichkeiten dar, die zum Verlust eines Aufenthaltstitels führen und damit eine Ausreiseplicht begründen (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG). Von Bedeutung für die hier im Raum stehenden Fragen sind darüber hinaus Konstellationen, in denen Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte aus Gründen der Straffälligkeit den an ihren Status geknüpften Aufenthaltstitel auf andere Weise verlieren, etwa weil ihnen die Gewährung des internationalen Schutzstatus versagt oder nachträglich entzogen wird. Kommt die betreffende Person der Ausreisepflicht nicht freiwillig nach, sehen die §§ 57-62b Aufenth G sodann Vorschriften zu deren Durchsetzung vor, wobei der Abschiebung nach §§ 58 ff. AufenthG eine zentrale Rolle zukommt. Hierbei sind jedoch die in § 60 AufenthG geregelten Abschiebungshindernisse zu beachten. Im Übrigen wird bezüglich der geltenden Rechtslage zum deutschen Ausländerrecht im Falle von straffällig gewordenen Ausländern auf die Ausarbeitung des Fachbereichs WD 3 vom 29. Oktober 2015 (WD 3 - 3000 - 255/15) zum Thema „Auswirkungen begangener Straftaten auf den Aufenthalt von Ausländern in der Bundesrepublik“ (im Folgenden: WD-3-Gutachten) hingewiesen, die dieser Ausarbeitung als Anlage beigefügt ist. 3. EU-rechtliche Vorgaben zu Voraussetzungen und Grenzen von Aufenthaltsbeendigungen Vorschriften mit Bezug zu Voraussetzungen und Grenzen von Aufenthaltsbeendigung in Bezug auf Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte finden sich in der sog. Qualifikationsrichtlinie 3 Vgl. Graßhof, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, 9. Edition, Stand: 01.11.2015 (im Folgenden: Beck’scher Online-Kommentar), Art. 53 AufenthG, Rn. 1. 4 Vgl. Kluth, in: Beck’scher Online-Kommentar (o. Fn. 3), Art. 58 AufenthG, Rn. 5 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 7 2011/955 (im Folgenden auch: RL 2011/95), die in dieser Hinsicht im Zusammenhang mit der sog. Rückführungsrichtlinie 2008/1156 (im Folgenden auch: RL 2008/115) zu sehen ist (siehe unter 3.2.). Auf primärrechtlicher Ebene sind schließlich die Grundrechte nach Art. 18 und 19 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta (GRC) relevant (siehe unter 3.3.). 3.1. Qualifikationsrichtlinie 2011/95 Die Qualifikationsrichtlinie regelt die Anerkennung, Aufnahme und Rechtsstellung von Flüchtlingen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)7 und subsidiär Schutzberechtigten, die zusammen als international Schutzberechtigte bezeichnet werden (vgl. Art. 1, 2 Buchst. a) RL 2011/95). In diesem Zusammenhang beinhaltet die Qualifikationsrichtlinie auch mehrere Regelungen , die einen Bezug zur Aufenthaltsbeendigung international Schutzberechtigter aufweisen. Im Folgenden werden die Voraussetzungen und Grenzen dieser Vorschriften dargestellt, die im Zusammenhang mit der Begehung von Straftaten im Aufnahmestaat stehen. Ausgenommen bleiben dabei solche Normen, die sich auf Verbrechen mit internationalem Charakter beziehen.8 Die engste Verbindung zu aufenthaltsbeendenden (nationalen) Maßnahmen weist dabei Art. 21 RL 2011/95 auf, der den Mitgliedstaaten die Möglichkeit der Zurückweisung eröffnet und zugleich den Schutz hiervor regelt (siehe unter 3.1.1.). Bezug zur Aufenthaltsbeendigung weisen darüber hinaus Vorschriften zum Entzug von Aufenthaltstiteln nach Art. 24 RL 2011/95 auf (siehe unter 3.1.2.). Gleiches gilt ferner für die Bestimmungen zur Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung der Eigenschaft als Flüchtling bzw. ihrer Nichtzuerkennung gemäß Art. 14 Abs. 4 Buchst. b) bzw. Abs. 5 RL 2011/95 (siehe unter 3.1.3.) sowie zum Ausschluss von der Gewährung subsidiären Schutzes sowie zur Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung dieser Eigenschaft nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. b) und d) Var. 1 bzw. Art. 19 Abs. 3 Buchst. a) RL 2011/95 (siehe unter 3.1.4.). 5 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ABl.EU 2011 L, 337/9, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011L0095&from=DE (letztmaliger Abruf am 10.02.16). 6 Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl.EU 2008 Nr. L 348/98, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32008L0115&qid=1454001920691&from=DE (letztmaliger Abruf am 10.02.16). 7 Online abrufbar unter bspw. auf den Seiten des UNCHR unter http://www.unhcr.de/fileadmin/user_upload/dokumente /03_profil_begriffe/genfer_fluechtlingskonvention/Genfer_Fluechtlingskonvention_und_New_Yorker _Protokoll.pdf (letztmaliger Abruf am 10.02.16). 8 Gemeint sind Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen nach Art. 1 F Buchst. a) bzw. Buchst. c) GFK, die in der Qualifikationsrichtlinie in Art. 12 Abs. 2 Buchst. a) und c) sowie Art. 17 Abs. 1 Buchst. a) und c) RL 2011/95 aufgegriffen werden. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 8 Bevor sogleich auf die genannten Vorschriften eingegangen wird, ist einleitend darauf hinzuweisen , dass die Qualifikationsrichtlinie für die beiden von ihr erfassten Personengruppen international Schutzberechtigter zum großen Teil unterschiedliche Vorschriften bzw. Vorgaben enthält. Deutlich wird dies bereits an dem Wortlaut in Art. 1 RL 2011/95 sowie dem Aufbau der Qualifikationsrichtlinie , die mit Ausnahme des Kapitels VII über den Inhalt des internationalen Schutzes (Art. 20-35 RL 2011/95) jeweils gesonderte Kapitel für die beiden Personengruppen international Schutzberechtigter vorsieht. Und selbst die Artikel im Kapitel VII sehen zum Teil Differenzierungen vor. Deutlich wird dies an Art. 20 Abs. 2 RL 2011/95, wonach die Artikel dieses Kapitel für beide Personengruppen nur unter dem Vorbehalt gelten, dass nichts anderes bestimmt wird. Grund hierfür dürfte nicht zuletzt der Umstand sein, dass sich die EU hinsichtlich der Behandlung von Flüchtlingen primärrechtlich an die Vorgaben der GFK gebunden hat (vgl. Art. 78 Abs. 1 S. 2 AEUV) und diese (Selbst-)Bindung auch der Qualifikationsrichtlinie zugrunde liegt (vgl. Erwägungsgründe Nr. 3, 4, 5, 23).9 Im Gegensatz hierzu geht der subsidiäre Schutzstatus nicht auf konkrete völkerrechtliche Vorgaben zurück, sondern beruht auf der unionalen Regelungsautonomie in diesem Bereich, die der EU auf Grundlage von Art. 78 Abs. 2 Buchst. b) AEUV eingeräumt wurde (vgl. auch Erwägungsgrund Nr. 6 der Qualifikationsrichtlinie). Das schließt eine rechtliche Ausgestaltung des subsidiären Schutzstatus in Anlehnung an die Vorgaben der GFK jedoch nicht aus, wie an einigen Stellen der Qualifikationsrichtlinie sichtbar wird. 3.1.1. Zurückweisung und Zurückweisungsschutz nach Art. 21 RL 2011/95 Art. 21 Abs. 2 RL 2011/95 bestimmt, dass die Mitgliedstaaten einen Flüchtling zurückweisen können, wenn es entweder stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass er eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält (Buchst. a), oder wenn er eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde (Buchst. b). Dies gilt allerdings nur, sofern die Zurückweisung nicht wegen des Grundsatzes der Nichtzurückweisung (sog. Refoulment-Verbot), den die Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen zu achten haben , untersagt ist (vgl. Art. 21 Abs. 1 und 2 RL 2011/95). Ist danach eine Zurückweisung möglich, können die Mitgliedstaaten einen Aufenthaltstitel, der einem Flüchtling erteilt wurde, widerrufen , beenden oder seine Verlängerung bzw. auch seine erstmalige Erteilung ablehnen (vgl. Art. 21 Abs. 3 RL 2011/95). Art. 21 Abs. 1 und 2 RL 2011/95 knüpfen mit ihrem Regelungsgehalt an die Vorgaben der GFK in Art. 33 zum Grundsatz der Nichtzurückweisung (sog. Refoulment-Verbot) und den hiervon bestehenden Ausnahmen an:10 Nach Art. 33 Abs. 1 GKF wird „[k]einer der vertragschließenden Staaten einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurück- 9 Vgl. insoweit auch EuGH, Urt. v. 09.11.2010, verb. Rs. C-57/09 u. C-101/09 (Bundesrepublik gegen B und D), Rn. 76 ff., wobei sich die Ausführungen auf die weitgehend inhaltsgleiche Vorgängerregelung der geltenden Qualifikationsrichtlinie , die Richtlinie 2004/83, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02004L0083-20041020&qid=1453392273443&from=DE (letztmaliger Abruf am 10.02.16), beziehen. 10 Vgl. auch EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 42 – mit Bezug auf die inhaltsgleichen Bestimmungen der Vorgängerregelung der geltenden Qualifikationsrichtlinie, der Richtlinie 2004/83 (o. Fn. 9). Dies gilt für alle Zitierungen dieser Rechtssache. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 9 weisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit . seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“ Art. 33 Abs. 2 GFK enthält die Ausnahme hierzu. Danach kann sich ein Flüchtling „[a]uf die Vergünstigung dieser Vorschrift […] nicht berufen[, wenn er] aus schwer wiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde.“ Diesen völkerrechtlichen Normgehalt hat der Unionsgesetzgeber in Art. 21 Abs. 1 und 2 RL 2011/95 in besonderer, im Ergebnis in differenzierter Form umgesetzt. Während er hinsichtlich des Grundsatzes der Nichtzurückweisung auf die völkervertraglichen Bindungen der Mitgliedstaaten verweist und insoweit in Absatz 1 (nur) eine unionale Achtungsverpflichtung statuiert, kleidet er die Ausnahme vom Refoulment-Verbot nach Art. 33 Abs. 2 GFK in Art. 21 Abs. 2 RL 2011/95 in eine unionsrechtliche Handlungsoption, die im Ermessen der Mitgliedstaaten steht. Diese Option stellt er in Anknüpfung an Art. 21 Abs. 1 RL 2011/95 sodann unter den Vorbehalt der zu beachtenden völkervertraglichen Bindungen der Mitgliedstaaten zum Grundsatz der Nichtzurückweisung. Von Bedeutung sind an dieser Stelle zwei Aspekte. Zum einen bezieht sich der Verweis auf die völkervertragliche Bindungen der Mitgliedstaaten in Art. 21 Abs. 1 RL 2011/95 vom Wortlaut her allgemein auf den Grundsatz der Nichtzurückweisung und ist daher nicht auf die GFK begrenzt . Die Mitgliedstaaten haben und können von Unionsrechts wegen somit auch andere völkervertragliche Vorgaben zum Grundsatz der Nichtzurückweisung beachten, insbesondere auf Grundlage der EMRK (dazu unten mehr). Zum anderen ist die Zurückweisungsoption in Art. 21 Abs. 2 RL 2011/95 dem Wortlaut nach – ebenso wie die GFK generell – nur auf Flüchtlinge anwendbar.11 Für subsidiär Schutzberechtigte gilt die Bestimmung somit nicht. Eine Vorschrift, die den Mitgliedstaaten eine Zurückweisungsoption im Hinblick auf subsidiär Schutzberechtigte einräumt, sieht die Qualifikationsrichtlinie nicht vor. Sie schließt eine Zurückweisung aber auch nicht ausdrücklich aus. Dessen ungeachtet bleiben die Mitgliedstaaten nach Art. 21 Abs. 1 RL 2011/95 verpflichtet, ihre völkervertraglichen Verpflichtungen bezüglich des Zurückweisungsschutzes auch hinsichtlich subsidiär Schutzberechtigter zu beachten. Soweit danach eine Zurückweisung Angehöriger dieser Personengruppe ausgeschlossen ist, unterliegen auch subsidiär Schutzberechtigte einem nach der Qualifikationsrichtlinie ausdrücklich gebotenem Zurückweisungsschutz. Im Folgenden werden zunächst die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift näher beschrieben (siehe unter 3.1.1.1.). Sodann ist zu klären, unter welchen Umständen ein Aufenthaltstitel auf Grundlage von Art. 21 Abs. 3 RL 2011/95 nachträglich entzogen bzw. erstmals versagt werden kann (siehe unter 3.1.1.2.). Abschließend sind die aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen des Art. 21 RL 2011/95 zu betrachten (siehe unter 3.1.1.3.). 11 Vgl. Battjes, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010 (im Folgenden: Hailbronner), Ch. IV.3., Art. 21, Rn. 1, bezogen auf die inhaltsgleiche Vorgängerregelung der geltenden Qualifikationsrichtlinie, der Richtlinie 2004/83 (o. Fn. 9). Dies gilt für alle nachfolgenden Zitierungen dieses Kommentars. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 10 3.1.1.1. Voraussetzungen einer Zurückweisung Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 lassen sich in positive (siehe unter 3.1.1.1.1.) und negative aufteilen (siehe unter 3.1.1.1.2.). 3.1.1.1.1. Positive Voraussetzungen einer Zurückweisung Die im vorliegenden Kontext allein relevante Konstellation in Art. 21 Abs. 2 Buchst. b) RL 2011/95 setzt hinsichtlich der Zurückweisung voraus, dass der hiervon betroffene Flüchtling „eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt, weil [er] wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.“ Unter welchen Voraussetzungen diese Tatbestandskonstellation als erfüllt anzusehen ist, lässt sich der Qualifikationsrichtlinie nicht entnehmen; entsprechende Begriffsdefinitionen enthält der Rechtsakt insoweit nicht. Soweit ersichtlich hat sich der EuGH zu der Zurückweisungsoption des Art. 21 Abs. 2 RL 2011/95 bisher (nur) wie folgt geäußert: „Die Zurückweisung eines Flüchtlings bildet, auch wenn sie durch die Ausnahmeregelung von Art. 21 Abs. 2 […] grundsätzlich zugelassen wird, nur die ultima ratio für einen Mitgliedstaat, wenn keine andere Maßnahme mehr möglich oder ausreichend ist, um der Gefahr entgegenzutreten, die von dem Flüchtling für die […] Allgemeinheit dieses Mitgliedstaates ausgeht. […] Die Folgen, die die Anwendung der in Art. 21 Abs. 2 […] vorgesehenen Ausnahme für den betroffenen Flüchtling hat, können […] äußerst einschneidend sein, denn er kann in ein Land zurückgeschickt werden, in dem er der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt sein könnte. Aus diesem Grund unterwirft diese Vorschrift eine Zurückweisung strengen Voraussetzungen , da insbesondere nur ein Flüchtling, der wegen einer „besonders schweren Straftat“ rechtskräftig verurteilt wurde, als eine ‚Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats‘ im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden kann. Selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, steht die Zurückweisung des betroffenen Flüchtlings überdies nur im Ermessen der Mitgliedstaaten, die darin frei bleiben, sich für andere, weniger einschneidende Optionen zu entscheiden.“12 Obgleich sich hieraus insbesondere keine weiteren Erläuterungen der Tatbestandskonstellation ergeben, lässt sich deutlich erkennen, dass der EuGH mit Blick auf die Konsequenzen einer Zurückweisung von einem im Allgemein sehr restriktiven Verständnis der Zurückweisungsoption ausgeht. 12 EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 71 f. (Hervorhebung im Urteil), in Bezug auf die inhaltsgleiche Vorgängerregelung in der Richtlinie 2004/83/EG (o. Fn. 9). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 11 Für eine konkretere Auslegung empfiehlt sich daher eine Anlehnung an die Ausnahmebestimmung in Art. 33 Abs. 2 GFK, der Art. 21 Abs. 2 RL 2011/95 fast wortgleich nachgebildet ist13.14 Dabei ist hinsichtlich des Begriffs der besonders schweren Straftat zu beachten, dass weder Art. 33 Abs. 2 GFK noch Art. 21 Abs. 2 Buchst. b) RL 2011/95 ein verbindliches Strafmaß vorsehen . Im Schrifttum findet sich unter Verweis auf die flüchtlingsrechtliche Literatur die Auffassung, dass die beiden Elemente der Tatbestandskonstellation in Art. 21 Abs. 2 Buchst. b) RL 2011/95 kumulativ zur Anwendung kommen müssen: Neben dem Vorliegen einer besonders schweren Straftat bedarf es zusätzlich der Vornahme einer in die Zukunft gerichteten Gefahrenprognose.15 Hieraus folgt, dass allein die Verurteilung zu einer besonders schweren Straftat noch keine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des Art. 21 Abs. 2 Buchst. b) RL 2011/95 begründet. Hinsichtlich des Begriffs der besonders schweren Straftat wird auf solche Taten verwiesen, die sich durch ein längeres Strafmaß auszeichnen wie etwa vorsätzliche Tötung, Vergewaltigung, bewaffneter Raub, Brandstiftung oder internationaler Terrorismus.16 Auch in der Rechtsprechung des BVerwG wird die kumulative Anwendung beider Elemente betont .17 Allerdings erfolgt dies mit Blick auf die Umsetzung im geltenden § 60 Abs. 8 S. 1 Aufenth G, der im Wortlaut an „Verbrechen oder besonders schwere Vergehen“ und eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren anknüpft. Im Zusammenhang mit dem Widerruf der Flüchtlingseigenschaft, die unter den gleichen (positiven) Voraussetzungen wie die Zurückweisung steht,18 führte das BVerwG aus, dass der Widerruf einer „[…] Flüchtlingsgewährung […] deshalb gegenüber kriminellen Flüchtlingen nur als ultima ratio in Betracht kommen [kann], wenn ihr kriminelles Verhalten die Schwelle der besonders schweren Strafbarkeit überschreitet […]. 13 Dies gilt jedenfalls für den englischen Originalwortlaut der GFK in Art. 33 Abs. 2 GK („particularly serious crime“), online abrufbar unter http://www.unhcr.org/3b66c2aa10.html (letztmaliger Abruf am 10.02.16). Anders dagegen die (nicht authentische) amtliche deutsche Übersetzung, in der die rechtskräftige Verurteilung wegen „eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens“ erfolgen muss. Diese Übersetzung als zumindest irreführend kritisiert Zimmermann, Bedeutung und Wirkung der Ausschlusstatbestände der Artikel 1 F und 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention für das deutsche Ausländerrecht, DVBl. 2006, S. 1478 (1486). 14 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H.T.), Rn. 42. Für eine allgemein bestehende Pflicht zur Auslegung in Übereinstimmung der GFK siehe EuGH, Urt. v. 09.11.2010, verb. Rs. C-57/09 u. C-101/09 (Bundesrepublik gegen B und D), Rn. 76 ff, insb. 78. Vgl. auch das WD-2-Gutachten, S. 7 f. 15 Vgl. Hailbronner, in: Hailbronner (o. Fn. 11), Ch. IV.3., Art. 14, Rn. 22 f., bezogen auf die inhaltsgleiche Vorgängerregelung der geltenden Qualifikationsrichtlinie, der Richtlinie 2004/83 (o. Fn. 9). 16 Vgl. Hailbronner, in: Hailbronner (o. Fn. 11), Ch. IV.3., Art. 14, Rn. 22 („[…] crimes which are subject to longterm prison sentences such as murder, rape, armed robbery, arson, international terrorism etc.”). 17 Kritisch zur Vorgabe eines Mindeststrafmaßes Zimmermann (o. Fn. 13), DVBl. 2006, S. 1478 (1486); Göbel-Zimmermann /Masuch, in: Huber, Aufenthaltsgesetz, 2010 (im Folgenden: Huber), § 60 AufenthG, Rn. 117. 18 Siehe dazu unter 3.1.1. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 12 Aus diesen Gründen kommt es nach der Konzeption des deutschen Rechts für die Anwendung des § 60 Abs. 8 AufenthG unabhängig davon, dass die Umsetzung der Mindestgewährleistung des Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG in nationales Recht durch die Mitgliedstaaten eine erhebliche Bandbreite aufweist […], im Übrigen auch nicht auf die abstrakte Strafdrohung, sondern auf die konkret verhängte Freiheitsstrafe an. Denn die Mindeststrafenregelung soll sicherstellen, dass der Entzug des Asyl- und Flüchtlingsstatus nur gegenüber besonders gefährlichen Tätern in Betracht kommt. Nur sie bedeuten eine Gefahr für die Allgemeinheit , die gegenüber dem Ziel des Flüchtlingsschutzes im Ausnahmefall überwiegen kann, nicht aber solche Täter, die sich zwar eines mit hoher Strafdrohung bewehrten Vergehens oder Verbrechens schuldig gemacht haben, dabei aber im unteren oder mittleren Bereich der Strafbarkeit geblieben sind, so dass sie eine Freiheitsstrafe von weniger als drei Jahren verwirkt haben. Ist ein Flüchtling rechtskräftig zu einer mindestens dreijährigen (Einzel-)Freiheitsstrafe verurteilt worden, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles weiter zu prüfen, ob diese Verurteilung die Annahme rechtfertigt, dass er tatsächlich eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG darstellt.“19 Versucht man aus den wenigen unionsgerichtlichen Rechtsprechungsvorgaben, den Literaturansichten sowie der Rechtsprechung des BVerwG Maßstäbe für die Auslegung des Art. 21 Abs. 2 Buchst. b) RL 2011/95 abzuleiten, so ist festzuhalten, dass insgesamt ein sehr restriktives Verständnis geboten ist. Hiervon ausgehend dürfte es nicht allein auf das Begehen einer besonders schweren Straftat ankommen. Kumulativ ist eine in die Zukunft weisende Gefahrenprognose anzustellen . Was den Begriff der besonders schweren Straftat angeht, lässt sich gut vertreten, dass es nicht allein auf die abstrakte Straftat ankommt, sondern zumindest auch auf das konkrete Strafmaß.20 Dabei dürften von vornherein Straftatbestände ausscheiden, die nur ein geringes Strafhöchstmaß vorsehen. Im Übrigen dürfte den Mitgliedstaaten ein nicht unerheblicher Umsetzungsspielraum verbleiben. Eine verbindliche Auslegung der Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Buchst. b) RL 2011/95 sowie die Beurteilung einer unionsrechtlich zulässigen Nutzung des mitgliedstaatlichen Umsetzungsspielraums bleibt jedoch dem EuGH vorbehalten. 3.1.1.1.2. Negative Voraussetzung: kein Zurückweisungsschutz Liegen die positiven Voraussetzungen für eine Zurückweisung vor, darf der Mitgliedstaat von dieser Option nach Art. 21 Abs. 2 RL 2011/95 nur Gebrauch machen, wenn dies nicht im Einzelfall aufgrund seiner völkervertraglichen Verpflichtungen zum Grundsatz der Nichtzurückweisung untersagt ist. 19 BVerwG, Urt. v. 31.01.2013, Az. 10 C 17.12, Rn. 13 f. (Hervorhebung durch Verfasser). 20 Vgl. auch in völkerrechtlicher Hinsicht das WD-2-Gutachten, S. 9. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 13 Zu den völkervertraglichen Refoulment-Verboten, an die die Mitgliedstaaten gebunden sind, zählt neben der flüchtlingsrechtlichen Ausprägung in Art. 33 Abs. 1 GFK vor allem die menschenrechtliche Ausgestaltung auf Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK.21 Da die Ausnahmen vom Refoulment-Schutz nach der GFK in Art. 33 Abs. 2 bereits als positive Voraussetzungen der Zurückweisungsoption in Art. 21 Abs. 2 Buchst. b) RL 2011/95 normiert sind, haben sie als negative Ausschlusskriterien in praktischer Hinsicht keine Bedeutung mehr bzw. können sie einer Zurückweisung nicht entgegenstehen. Anders verhält es sich im Hinblick auf den in der Menschenwürdegarantie wurzelnden Zurückweisungsschutz nach Art. 3 EMRK.22 Danach ist eine Zurückweisung von Menschen in Länder, in denen ihnen eine menschenunwürdige Behandlung droht oder von denen sie aus in solche Länder abgeschoben werden könnten (sog. Kettenausweisung), schlechthin ausgeschlossen.23 Diese absolute Gewährleistung überlagert den relativen Refoulment-Schutz der GFK jedenfalls insoweit , als die Bedingungen im Land der Verfolgung nach GFK zugleich als menschenunwürdig im Sinne des Art. 3 EMRK anzusehen sind. In diesem Umfang lässt der menschenrechtliche Zurückweisungsschutz nach Art. 3 EMRK die flüchtlingsrechtliche Zurückweisungsoption in Art. 21 Abs. 2 RL 2011/95 leerlaufen. 3.1.1.2. Zurückweisung und Aufenthaltstitel Nach Art. 21 Abs. 3 RL 2011/95 können die Mitgliedstaaten einen Aufenthaltstitel, der einem Flüchtling erteilt wurde, widerrufen, beenden oder seine Verlängerung bzw. die Erteilung eines Aufenthaltstitels ablehnen, wenn Art. 21 Abs. 2 RL 2011/95 auf die betreffende Person Anwendung findet. Insbesondere vor dem Hintergrund des Umstandes, dass eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 RL 2011/95 in der Regel an dem für die Mitgliedstaaten verbindlichen menschenrechtlichen Refoulment -Verbot nach EMRK scheitern dürfte, stellt sich die Frage, ob bereits bei Vorliegen der positiven Zurückweisungsvoraussetzungen eine nachträglich wirkende Entziehung oder die erstmalige Versagung eines Aufenthaltstitels nach Absatz 3 zulässig ist. Hiergegen dürfte das Urteil des EuGH in der Rs. H. T.24 sprechen. In dem deutschen Ausgangsverfahren , das diesem Vorabentscheidungsurteil zugrunde lag, erging zwar eine Ausweisungsverfügung , diese wurde aber u. a. mit Blick auf die Flüchtlingseigenschaft des Betroffenen, sein Dauer- 21 Vgl. hierzu auch WD 2-Gutachten, S. 5 ff. Siehe zu weiteren Abkommen Battjes, in: Hailbronner (o. Fn. 11), Ch. IV.3., Art. 21, Rn. 2. 22 Siehe bereits WD 2-Gutachten, S. 10 f. 23 Vgl. auch Battjes, in: Hailbronner (o. Fn. 11), Ch. IV.3., Art. 21, Rn. 2. 24 EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 44. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 14 aufenthaltsrecht, seine familiären Bindungen und sein in Art. 8 EMRK verankertes Recht auf Familienleben ausgesetzt.25 Der EuGH stellte in Anschluss an die Generalanwältin fest, dass „der Aufenthaltstitel eines Flüchtlings nicht gemäß Art. 21 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 widerrufen werden [kann], wenn ein Mitgliedstaat unter Umständen, wie sie im Ausgangsverfahren in Frage stehen, gegen einen Flüchtling ein Verfahren einleitet, aber ihn mangels Erfüllung der Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie nicht zurückweisen darf.“26 Zwar scheiterte die Zurückweisung hier nicht an dem Refoulment-Verbot des Art. 3 EMRK, sondern an anderen, negativ wirkenden Schutzgründen. Gleichwohl kann daraus geschlossen werden , dass ein auf Art. 21 Abs. 3 RL 2011/95 gestützter nachträglicher Entzug eines Aufenthaltstitels bzw. seine erstmalige Versagung nur möglich sind, wenn sowohl positive als auch negative Zurückweisungsvoraussetzungen nach Art. 21 Abs. 2 RL 2011/95 erfüllt sind und der Mitgliedstaat die Zurückweisungsoption auch in tatsächlicher Hinsicht wahrnimmt. Art. 21 Abs. 3 RL 2011/95 ist somit akzessorisch zur Zurückweisungsoption nach Art. 21 Abs. 2 RL 2011/95: ohne deren Nutzung kann von der Entzugsermächtigung in Art. 21 Abs. 3 RL 2011/95 kein Gebrauch gemacht werden. 3.1.1.3. Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen Hinsichtlich der aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen soll zunächst die Option einer Zurückweisung betrachtet werden und anschließend auf die sich aus dem Zurückweisungsschutz ergebenden Konsequenzen eingegangen werden. Der Begriff der Zurückweisung wird in der Qualifikationsrichtlinie nicht näher definiert. In Anknüpfung an den Grundsatz der Nichtzurückweisung, wie er vor allem in der GFK geregelt ist, steht dabei allein das Verbot im Vordergrund, den Flüchtling in ein sog. Verfolgerland zu verbringen . Dies schließt einen dieser Verbringung in der Regel vorangehenden Verwaltungsvorgang der Aufenthaltsbeendigung im Aufnahmestaat notwendigerweise mit ein. Unter diesem Blickwinkel lässt sich eine nach Art. 21 Abs. 1 und 2 RL 2011/95 zulässige Zurückweisung als besonderer Fall der Aufenthaltsbeendigung verstehen. Die Besonderheit bezieht sich dabei auf das Land, in welches die betreffende Person in Folge der Aufenthaltsbeendigung verbracht wird. Unterstrichen wird der aufenthaltsbeendende Charakter der Zurückweisungsoption in Art. 21 Abs. 2 RL 2011/95 durch die daran geknüpfte Ermächtigung in Art. 21 Abs. 3 RL 2011/95 bzgl. der Aufenthaltstitel . Wie oben dargestellt, steht der Zurückweisungsoption in der Regel das menschenrechtliche Refoulment -Verbot nach Art. 3 EMRK entgegen, so dass sie nur selten zur Anwendung gelangen dürfte. Vor diesem Hintergrund ist zu beachten, dass sowohl der flüchtlingsrechtliche als auch der menschrechtliche Grundsatz der Nichtzurückweisung nur solchen Aufenthaltsbeendigungen entgegenstehen, die zu einer Verbringung der betreffenden Person in Verfolgerländer bzw. in sol- 25 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 37; siehe auch die Schlussanträge zu dieser Rechtssache von GA Sharpston vom 11.09.2014, Rn. 40. 26 EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 44; vgl. auch die Schlussanträge von GA Sharpston, aaO., Rn. 62. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 15 che Länder führen, in dem ihm eine mit Art. 3 EMRK unvereinbare menschenunwürdige Behandlung droht. Die Zurückweisungsverbote stehen einer Verbringung von Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten dagegen in solche Drittstaaten nicht entgegen, in denen ihnen diese Gefahren nicht drohen.27 Ob und inwieweit die Verbringung in solche Staaten rechtlich und tatsächlich möglich und damit in praktischer Hinsicht relevant ist, lässt sich an dieser Stelle nicht beantworten. Hingewiesen wird insoweit auf die Ausführungen auf den Internetseiten des BMI im Zusammenhang mit dem BReg-Vorschlag, wonach daran gearbeitet werde, rechtliche und tatsächliche Abschiebehindernisse zu beseitigen.28 Im deutschen Recht ist Art. 21 Abs. 1 und 2 RL 2011/95 hinsichtlich seines GFK-Bezugs in § 60 Abs. 1 und Abs. 8 S. 1 AufenthG umgesetzt. Die aus der EMRK folgenden Zurückweisungsverbote finden sich in § 60 Abs. 5 AufenthG. 3.1.2. Versagung von Aufenthaltstiteln nach Art. 24 RL 2011/95 Nach Art. 24 RL 2011/95 haben die Mitgliedstaaten nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Absatz 1) bzw. des subsidiären Schutzstatus (Absatz 2) den betreffenden Personen sowie ihren Familienangehörigen einen Aufenthaltstitel zu erteilen. Die Erteilung können sie jedoch in beiden Fällen unter den gleichen materiellen Voraussetzungen verweigern, nämlich wenn „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.“ Nach der Rechtsprechung des EuGH gilt diese Option über ihren Wortlaut hinaus auch für Maßnahmen , die nachträglich zu einem Entzug des Aufenthaltstitels führen.29 Im Folgenden sollen zunächst die tatbestandlichen Voraussetzungen in den Blick genommen werden (3.1.2.1.). Anschließend sind die aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen dieser Option zu betrachten (siehe unter 3.1.2.2.). 3.1.2.1. Tatbestandliche Voraussetzungen Hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen sind zwei Ebenen zu berücksichtigen: der Schweregrad dieser Tatbestandsvariante im Verhältnis zu Art. 21 Abs. 3 RL 2011/95 (siehe unter 3.1.2.1.1) und seine tatbestandlichen Voraussetzungen im Einzelnen (siehe unter 3.1.2.1.2.). 3.1.2.1.1. Schweregrad im Verhältnis zu Art. 21 Abs. 3 RL 2011/95 Bezüglich der unterschiedlichen Rechtsfolgen und Formulierungen hat der EuGH im Hinblick auf das Verhältnis der beiden Entzugsoptionen in Art. 21 Abs. 3 RL 2011/95 einerseits und Art. 24 RL 2011/95 andererseits festgestellt, dass die Voraussetzungen der letztgenannten Vor- 27 Siehe auch EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-37 3/13 (H. T.), Rn. 43, zu den mitgliedstaatlichen Optionen bei Vorliegen der Zurückweisungsvoraussetzungen. 28 Vgl. http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2016/01/pk-de-maiziere-maas-verschaerfungaufenthaltsrecht -und-sexualstrafrecht.html (letztmaliger Abruf am 10.02.16) 29 So EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 45 ff., insb. Rn.51, 55. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 16 schrift weniger restriktiv zu verstehen sind als die für eine Zurückweisung notwendigen Anforderungen nach Art. 21 Abs. 2 RL 2011/95, auf die Art. 21 Abs. 3 RL 2011/95 verweist.30 Die Umstände , die zu einer Anwendung des Art. 24 RL 2011/95 führen, müssen daher nicht den Schweregrad aufweisen, wie es für Art. 21 Abs. 3 RL 2011/95 erforderlich ist.31 3.1.2.1.2. Tatbestandliche Voraussetzungen im Einzelnen Dieser Hintergrund ist bei der Auslegung der konkreten tatbestandlichen Voraussetzungen der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu berücksichtigen. Der EuGH knüpft dafür trotz unterschiedlichen Regelungszusammenhangs an das Verständnis der gleichlautenden Begriffe in der sog. Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38, die das Aufenthaltsrecht der Unionsbürger regelt, an.32 In dem hier vorliegenden Kontext sind insbesondere die zwingenden Gründe der öffentlichen Ordnung zu betrachten. Der Begriff der öffentlichen Ordnung wird vom EuGH somit auch im Rahmen des Art. 24 RL 2011/95 dahingehend ausgelegt, dass er jedenfalls voraussetzt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.33 Mit Blick auf die Ergänzung, wonach der Ausstellung eines Aufenthaltstitels zwingende Gründe der öffentlichen Ordnung entgegenstehen müssen, bedarf es ferner nicht nur einer einfachen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung; diese Beeinträchtigung muss vielmehr einen besonders hohen Schweregrad aufweisen.34 Wie eine Prüfung dieser tatbestandlichen Voraussetzungen im Fall einer Straffälligkeit aussieht, lässt sich dem Urteil in der Rs. H. T. dahingehend entnehmen, dass es zum einen auf die begangene Straftat sowie das konkrete Strafmaß ankommt.35 Zum anderen bedarf es der Prüfung, ob die bestrafte Person auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung über die Versagung des Aufenthaltstitels eine Gefahr für die öffentliche Ordnung begründet.36 30 EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 73 ff. 31 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 75. 32 EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 77. 33 EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 79, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 34 EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 78, allerdings im Hinblick auf die öffentliche Sicherheit. Nichts anderes dürfte jedoch für entsprechende Beeinträchtigungen der öffentlichen Ordnung gelten. 35 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 93 u. 92. 36 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 92. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 17 3.1.2.2. Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen Im Zusammenhang mit der Rechtsfolge, die sich aus einer Anwendung der Entzugs- bzw. Versagungsoption in Art. 24 Abs. 1 und 2 RL 2011/95 ergibt, weist der EuGH in der eben erwähnten Rechtssache darauf hin, dass der Verlust des unionsrechtlich determinierten Aufenthaltstitels auch dann eintritt, wenn es dem Betroffenen auf anderer (nationaler) Rechtsgrundlage gestattet ist, sich im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates aufzuhalten.37 Solange der Betroffene im Übrigen seine Eigenschaft als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter behält, stehen ihm auch weiterhin die Vergünstigungen zu, die die Qualifikationsrichtlinie in Kapitel VII allein an den Schutzstatus knüpft (vgl. Art. 21 bis 35 RL 2011/95, u. a. Wahrung des Familienverbands, Zugang zur Beschäftigung und Bildung, Sozialhilfeleistungen).38 Obgleich der EuGH in diesem Zusammenhang auf die aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen, die sich an den Verlust des Aufenthaltstitels knüpfen, nicht ausdrücklich eingeht, dürften die Mitgliedstaaten auch bei (Fort-)Bestehen des internationalen Schutzstatus gleichwohl berechtigt sein, weitere Rechtsfolgen im Hinblick auf eine Aufenthaltsbeendigung zu ergreifen.39 Zwar sieht das die Qualifikationsrichtlinie nicht ausdrücklich vor.40 Sie schließt Aufenthaltsbeendigungen aber auch nicht aus. Allein auf ihrer Grundlage haben die Mitgliedstaaten nach Art. 21 Abs. 1 RL 2011/95 lediglich den Zurückweisungsschutz zu beachten, an den sie aufgrund ihrer völkervertraglichen Verpflichtungen gebunden sind.41 Für die Möglichkeit einer Aufenthaltsbeendigung unterhalb der Schwelle der Zurückweisung spricht auch – jedenfalls im Hinblick auf die Personengruppe der Flüchtlinge – Art. 32 GFK, wonach ein Flüchtling (nur) aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Obgleich diese Vorschrift nicht ausdrücklich in die Qualifikationsrichtlinie übernommen wurde, scheint der Vorbehalt zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Art. 24 RL 2011/95 hieran zumindest angelehnt .42 Im Übrigen hätte diese Option anderenfalls keine eigenständige Bedeutung, soweit eine Aufenthaltsbeendigung nur in Verbindung mit einem Entzug bzw. einer Versagung des internationalen Schutzes möglich wäre. Da die Qualifikationsrichtlinie zur Aufenthaltsbeendigung unterhalb der Schwelle der Zurückweisung keine Vorschriften enthält, wird der insoweit bestehende Raum auf unionsrechtlicher 37 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 94. 38 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 95 ff. 39 Vgl. zu einer parallel gelagerten Konstellation auch VG Minden, Urt. v. 05.08.2015, Az. 7 K 122/13, Rn. 73 ff. (online abrufbar über juris). 40 Vgl. insoweit auch VG Minden, Urt. v. 05.08.2015, Az. 7 K 122/13, Rn. 87 (online abrufbar über juris). 41 Siehe oben unter 3.1.1.3, S. 14 f. 42 So Battjes, in: Hailbronner (o. Fn. 11), Ch. IV.3., Art. 24, Rn. 6. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 18 Ebene durch die Rückführungsrichtlinie ausgefüllt, soweit deren Anwendung nicht ausgeschlossen ist (dazu unten mehr).43 Ist das nicht der Fall, erfolgt die konkrete Durchführung einer Aufenthaltsbeendigung sodann auf Grundlage des nationalen Umsetzungsrechts, ansonsten auf Grundlage autonomen Ausländerrechts. In beiden Fällen dürfte es sich dabei um die Vorschriften der §§ 53 ff. AufenthG zur Ausweisung handeln, an die sich ggf. Fragen der Abschiebung nach §§ 58 ff. AufenthG anschließen, inklusive der in § 60 AufenthG geregelten Abschiebungsverbote. 3.1.3. Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung der Eigenschaft als Flüchtling bzw. deren Nichtzuerkennung nach Art. 14 Abs. 4 bzw. 5 RL 2011/95 Nach Art. 14 Abs. 4 RL 2011/95 können die Mitgliedstaaten einem Flüchtling die ihm zuerkannte Rechtsstellung aberkennen, diese beenden oder ihre Verlängerung ablehnen, wenn es entweder stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass er eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält (Buchst. a), oder, wenn er eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde (Buchst. b). In Verbindung mit Art. 14 Abs. 5 RL 2011/95 können die Mitgliedstaaten in diesen Fällen auch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verweigern, solange hierüber noch keine Entscheidung gefasst wurde. In der GFK sind diese beiden Tatbestandskonstellationen nur im Zusammenhang mit Art. 33 Abs. 2 GFK als Ausnahme vom Refoulment-Verbot geregelt.44 Der Unionsgesetzgeber hat sie über die Vorgaben der GFK hinaus in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b) RL 2011/95 zusätzlich für den (bloßen) Entzug der Flüchtlingseigenschaft fruchtbar gemacht.45 Im Folgenden werden zunächst die tatbestandlichen Voraussetzungen der Regelung kurz in den Blick genommen (siehe unter 3.1.3.1.), anschließend die aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen (siehe unter 3.1.3.2.). 3.1.3.1. Tatbestandliche Voraussetzungen Da Art. 14 Abs. 4 Buchst. b) RL 2011/95 ebenso wie Art. 21 Abs. 2 Buchst. b) RL 2011/95 an das Bestehen einer Gefahr für die Allgemeinheit des Aufenthaltsstaates aufgrund der rechtskräftigen 43 Siehe unten unter 3.1.5.3, S. 23. 44 Siehe oben unter 3.1.1.1.1., S. 10. 45 Ob und inwieweit dies mit der GFK vereinbar ist, soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden, zumal die EU selbst nicht Vertragspartei ist, sondern sich über Art. 78 Abs. 1 S. 2 AEUV selbst an die GFK gebunden hat. Für eine Zulässigkeit ließe sich anführen, dass eine mit Art. 33 Abs. 2 GFK vereinbare Zurückweisung die intensivste Maßnahme ist, gegenüber der eine Versagung oder Entziehung der Flüchtlingseigenschaft jedenfalls dann ein Weniger darstellt, wenn in der Konsequenz keine Zurückweisung erfolgt. Im Ergebnis ist dies allerdings umstritten , vgl. Hailbronner, in: Hailbronner (o. Fn. 11), Ch. IV.3., Art. 14, Rn. 14 f. Siehe ferner BVerwG, Urt. v. 31.01.2013, Az. 10 C 17.12, Rn. 42. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 19 Verurteilung wegen einer besonders schweren Straftat anknüpfen, kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. 46 Anders als in Art. 21 Abs. 2 RL 2011/95 finden die sich aus dem Zurückweisungsschutz ergebenden negativen Tatbestandsvoraussetzungen47 in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b) RL 2011/95 keine Erwähnung , so dass davon auszugehen ist, dass der Entzug der Flüchtlingseigenschaft auch dann möglich ist, wenn eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 RL 2011/95 wegen Verstoßes gegen das Refoulment-Verbot unzulässig wäre. 3.1.3.2. Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen Wird der Flüchtlingsstatus nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. b) bzw. i.V.m. Abs. 5 RL 2011/95 entzogen bzw. versagt, entfällt zugleich der Anspruch auf alle daran knüpfenden Rechtspositionen nach Kapitel VII, u.a. auf Erteilung bzw. Fortbestehen des Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 RL 2011/95. Obgleich die Achtungspflicht nach Art. 21 Abs. 1 RL 2011/95 bzgl. des Grundsatzes der Nichtzurückweisung in systematischer Hinsicht aufgrund der Verortung in Kapitel 7 über den Inhalt des internationalen Schutzes an dessen Bestehen knüpft, dürfte sie auch für diesen Fall gelten, in dem die Flüchtlingseigenschaft entzogen ist. Für die unterhalb der Schwelle der Zurückweisung fallende Aufenthaltsbeendigung greift dann grundsätzlich die Rückführungsrichtlinie bzw. nationales Recht, so dass auf die obigen Ausführungen zu den aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen im Falle des Art. 24 RL 2011 verwiesen werden kann.48 Bei den einschlägigen deutschen Vorschriften dürfte es sich dabei um § 34 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 AsylG handeln, an die sich ggf. Fragen der Abschiebung nach §§ 59 ff. AufenthG anschließen. Das (Nicht-)Bestehen der in § 60 AufenthG geregelten Abschiebungsverbote wird dabei bereits in § 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG aufgegriffen. 3.1.4. Ausschluss von der Gewährung subsidiären Schutzes sowie die Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung dieser Eigenschaft bzw. deren Ausschluss nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. b) u. d) Var. 1 bzw. Art. 19 Abs. 3 Buchst. a) RL 2011/95 Art. 17 RL 2011/95 enthält Tatbestände, bei deren Vorliegen die Gewährung des subsidiären Schutzes ausgeschlossen ist. Art. 19 Abs. 3 Buchst. a) RL 2011/95 verweist auf die in Art. 17 Abs. 1 und 2 RL 2011/95 geregelten Tatbestände und knüpft an diese die Möglichkeit der Aberkennung , Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung des subsidiären Schutzstatus. Von Bedeutung sind im vorliegenden Kontext die Tatbestandskonstellation in Art. 17 Abs. 1 Buchst. b) und Buchst. d) Var. 1 RL 2011/95: das Begehen einer schweren Straftat (Buchst. b) bzw. das Vorliegen einer Gefahr für die Allgemeinheit (Buchst. d) Var. 1). 46 Siehe oben unter 3.1.3.1., S. 7. 47 Siehe oben unter 3.1.1.1.2, S. 12. 48 Siehe oben unter 3.1.2.2., S. 16 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 20 Im Folgenden sollen auch hier zunächst die tatbestandlichen Voraussetzungen in den Blick genommen werden (siehe unter 3.1.4.1.). Anschließend sind die aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen zu betrachten (siehe unter 3.1.4.2.). 3.1.4.1. Tatbestandliche Voraussetzungen Soweit ersichtlich liegt weder zu der Variante des Begehens einer schweren Straftat (siehe unter 3.1.4.1.1.) noch zum Fall einer Gefahr für die Allgemeinheit des Mitgliedstaates (siehe unter 3.1.4.1.2.) unionsgerichtliche Rechtsprechung vor. 3.1.4.1.1. Begehen einer schweren Straftat Im Schrifttum wird zur Tatbestandsvariante der Begehung einer schweren Straftat die Auffassung vertreten, dass diese an den Ausschlussgrund in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b) RL 2011/95 (schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Aufnahmelandes) und damit an Art. 1 F Buchst. b) GFK angelehnt ist.49 Durch den Verzicht auf das Merkmal des Nichtpolitischen sowie auf die vorherige Begehung außerhalb des Aufnahmelandes ist die Reichweite dieser Tatbestandskonstellation jedoch erweitert worden. So sind nun auch solche Straftaten einbezogen, die erst im Aufnahmestaat verübt werden. Im Hinblick auf die Schwere der Straftat wird auf die Ausführungen im UNCHR-Handbuch zu schweren nichtpolitischen Straftaten nach Art. 1 F Buchst. b) GKF verwiesen.50 Vor diesem Hintergrund sollen schwere Straftaten Kapitalverbrechen und solche Straftaten sein, die eine höhere Strafandrohung aufweisen.51 Insgesamt dürfte die Schwelle jedenfalls niedriger liegen als bei den besonders schweren Straftaten im Sinne des Art. 21 Abs. 2 Buchst. b) und Art. 14 Abs. 4 Buchst. b) RL 2011/95. Wo genau die Grenze indes verlaufen wird, lässt sich mangels verbindlicher Auslegung durch den EuGH nicht abschließend bestimmen und dürfte ohnehin eine Frage des Einzelfalls sein. Im Gegensatz zu Art. 21 Abs. 2 Buchst. b) und Art. 14 Abs. 4 Buchst. b) RL 2011/95 kommt es nach dem Wortlaut in Art. 17 Abs. 1 Buchst. b) RL 2011/95 bzw. des Art. 19 Abs. 3 Buchst. a) RL 2011 nicht (zusätzlich) darauf an, dass eine Gefahr für die Allgemeinheit vorliegt. Es genügt das bloße Begehen einer schweren Straftat. 3.1.4.1.2. Gefahr für die Allgemeinheit des Aufenthaltsmitgliedstaates Die Tatbestandskonstellation des Vorliegens einer Gefahr für die Allgemeinheit des Aufenthaltsmitgliedstaates ist an Art. 21 Abs. 2 Buchst. b) RL 2011/95 angelehnt, verzichtet im Gegensatz zu dieser Vorschrift aber auf das Erfordernis der Begehung einer besonders schweren Straftat. Gleichwohl wird auch im Hinblick auf diese Tatbestandsvariante eine Orientierung an Art. 33 49 So Hailbronner, in: Hailbronner (o. Fn. 11), Ch. IV.3., Art. 17, Rn. 1, 8, 10. 50 Hailbronner, in: Hailbronner (o. Fn. 11), Ch. IV.3., Art. 17, Rn. 10. Siehe dazu auch die Ausführungen im WD-2- Gutachten, S. 7 f. Dort werden die einschlägigen Randnummern des UNCHR-Handbuches wiedergegeben. 51 Hailbronner, aaO. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 21 Abs. 2 GFK postuliert. Insgesamt dürfte allerdings auch hier ein deutlich niedrigerer Gefahrengrad genügen, ohne dass zudem die Notwendigkeit einer rechtskräftigen Verurteilung besteht. Ob und inwieweit diese Tatbestandsvariante durch die Begehung einer – ggf. auch nicht schweren – Straftat erfüllt werden kann, lässt sich mangels unionsgerichtlicher Rechtsprechung nicht verbindlich beantworten. 3.1.4.2. Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen Die sich an eine Maßnahme nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. b) oder d) Var. 1 RL 2011/95 allein oder in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 Buchst. a) RL 2011/95 anschließenden aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen gleichen denen, die sich beim Entzug bzw. der Versagung der Flüchtlingseigenschaft ergeben:52 Mangels subsidiärem Schutzstatus entfällt auch der Anspruch auf alle daran knüpfenden Rechtspositionen nach Kapitel VII, u. a. auf einen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 RL 2011/95. Unterhalb des nach der Qualifikationsrichtlinie auch insoweit zu beachtenden Zurückweisungsschutzes nach Art. 21 Abs. 1 RL 2011/95 richtet sich die Aufenthaltsbeendigung dann grundsätzlich nach der Rückführungsrichtlinie oder nationalem Recht, so dass auf die obigen Ausführungen zu den aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen im Falle des Art. 24 RL 2011 verwiesen werden kann.53 Bei den einschlägigen deutschen Vorschriften dürfte es sich dabei ebenfalls um § 34 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 AsylG handeln, an die sich ggf. Fragen der Abschiebung nach §§ 59 ff. AufenthG anschließen . Das (Nicht-)Bestehen der in § 60 AufenthG geregelten Abschiebungsverbote wird dabei bereits in § 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG aufgegriffen. 3.1.5. Zum Regelungsgehalt der Rückführungsrichtlinie 2008/115, ihrem Regelungszusammenhang mit der Qualifikationsrichtlinie und zur Anwendung nationalen Rechts Zur Erläuterung der Bezugnahmen auf die Rückführungsrichtlinie im Zusammenhang mit den aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen aus der Anwendung der Qualifikationsrichtlinie soll im Folgenden zunächst der Regelungsgehalt der Rückführungsrichtlinie (siehe unter 3.1.5.1.) sowie der oben erwähnte Regelungszusammenhang beschrieben werden (siehe unter 3.1.5.2.). Abschließend wird dargelegt, in welchen Fällen nationales Recht die Rückführungsrichtlinie verdrängt (siehe unter 3.1.5.3.). 3.1.5.1. Regelungsgehalt Die Rückführungsrichtlinie enthält einheitliche Vorschriften für die Rückführung von Drittstaatsangehörigen , die sich illegal in den Mitgliedstaaten aufhalten (vgl. Art. 1 RL 2008/115). Unter illegalem Aufenthalt ist nach der Legaldefinition in Art. 3 Nr. 2 RL 2008/115 die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen zu verstehen, die v. a. nicht oder nicht mehr die Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen. Die Gründe für die 52 Vgl. oben unter 3.1.3.2., S. 19 f. 53 Siehe oben unter 3.1.2.2., S. 16 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 22 Illegalität des Aufenthalts spielen keine Rolle.54 Umgekehrt kommt es auch nicht darauf an, aus welcher Rechtsgrundlage – einer unionsrechtlichen oder nationalen – sich die Legalität des Aufenthalts ergibt, die eine Anwendung der Rückführungsrichtlinie ausschließt.55 Materielles Kernstück dieses Rechtsaktes ist die in Art. 6 RL 2008/115 geregelte Rückkehrentscheidung . Darunter ist nach der Legaldefinition in Art. 3 Nr. 4 RL 2008/115 die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme zu verstehen, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Nach Art. 6 Abs. 1 RL 2008/115 sind die Mitgliedstaaten – vorbehaltlich der in Art. 6 Abs. 2 bis 5 RL 2008/115 bestehenden Ausnahmen – verpflichtet, gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Nach Art. 8 Abs. 1 RL 2008/115 haben die Mitgliedstaaten sodann alle erforderlichen Maßnahmen zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung zu treffen. Die damit gemeinte Abschiebung – die nach Art. 3 Nr. 5 RL 2008/115 auch als „tatsächliche Verbringung aus dem Mitgliedsstaat“ verstanden wird – ist nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) RL 2008/11556 aufzuschieben, wenn sie gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen würde. Hierdurch wird jedenfalls auf dessen flüchtlingsrechtliche Ausgestaltung in Art. 33 GFK und die menschenrechtliche Ausprägung in Art. 3 EMRK Bezug genommen57 und so ein Gleichlauf mit dem Zurückweisungsschutz nach der Qualifikationsrichtlinie hergestellt.58 Da Art. 1 RL 2008/115 zum Gegenstand der Rückführungsrichtlinie den Einklang ihrer Vorschriften mit den Unionsgrundrechten betont, lässt sich gut vertreten , den Verweis darüber hinaus auch auf die beiden einschlägigen Unionsgrundrechte in Art. 18 und 19 Abs. 2 GRC zu beziehen.59 Hinsichtlich der weiteren Vorschriften wird auf den Richtlinientext verwiesen. 3.1.5.2. Regelungszusammenhang mit der Qualifikationsrichtlinie Der oben in Bezug genommene Regelungszusammenhang von Qualifikations- und Rückführungsrichtlinie ergibt sich aus dem Umstand, dass der letztgenannte Rechtsakt für alle Fälle des illegalen Aufenthalts die sich daran knüpfenden aufenthaltsbeendenden Rechtsfolgen vorgibt. Erfasst werden somit auch diejenigen Konstellationen, in denen die Illegalität aus der Anwendung der oben beschriebenen Vorschriften der Qualifikationsrichtlinie folgt, also der Nichtgewährung bzw. dem Entzug eines internationalen Schutzstatus oder der Nichterteilung bzw. dem Entzug eines an 54 Vgl. Schieffer, Hailbronner (o. Fn. 11), Ch. V., Art. 1, Rn. 3. 55 Hörich, Die Rückführungsrichtlinie: Entstehungsgeschichte, Regelungsgehalt und Hauptprobleme, ZAR 2011, S. 281 (282). 56 Art, 9 Abs. 1 Buchst. b) RL 2008/115 knüpft an das Bestehen einer aufschiebenden Wirkung im Falle von Rechtsbehelfen nach Art. 13 Abs. 2 RL 2008/115. 57 So Schieffer, Hailbronner (o. Fn. 11), Ch. V., Art. 6, Rn. 3. 58 Siehe oben unter 3.1.1.1.2., S. 12 f. 59 Siehe hierzu unten unter 3.2., S. 24 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 23 diesen Status geknüpften Aufenthaltstitels.60 Die Rückführungsrichtlinie ergänzt die Qualifikationsrichtlinie folglich in systematischer Hinsicht um die für eine Aufenthaltsbeendigung notwendigen Rechtsfolgen. 3.1.5.3. Vorrangige Anwendung nationalen Rechts In zwei Konstellationen werden die Vorgaben der Rückführungslinie durch nationales Recht verdrängt : zum einen bei autonomer Gewährleistung von Aufenthaltsrechten nach nationalem Recht (siehe unter 3.1.5.3.1.) und zum anderen bei Nutzung des Anwendungsvorbehalts in Art. 2 Abs. 2 RL 2008/115 (siehe unter 3.1.5.3.2.). 3.1.5.3.1. Autonome Gewährleistung von Aufenthaltsrechten nach nationalem Recht Steht einem Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigten kein unionsrechtlich begründeter Aufenthaltstitel zu, so kann sich die Legalität seines Aufenthaltsrechts auch aus einer autonomen Anwendung des nationalen Rechts ergeben. In einem solchen Fall greift die Rückführungsrichtlinie nicht. Im vorliegenden Kontext kommt dieser Situation indes nur geringe Bedeutung zu, da die Änderungsvorschläge gerade darauf zielen, eine Ausweisung bzw. Abschiebung zu erleichtern . 3.1.5.3.2. Anwendungsvorbehalt im Zusammenhang mit Strafrechtssanktionen Von praktischer Relevanz ist hingegen einer der in der Rückführungsrichtlinie geregelten Anwendungsvorbehalte . Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b) RL 2008/115 können die Mitgliedstaaten beschließen , die Rückführungsrichtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, „die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind […].“61 Für die hier im Raum stehenden strafrechtsrelevanten Konstellationen könnte dieser Anwendungsvorbehalt zur Anwendung gelangen. Die sich an die Wahrnehmung der Handlungsoptionen nach der Qualifikationsrichtlinie anschließenden aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen wären dann von den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie freigestellt und das einschlägige Ausländerrecht autonom anzuwenden. Nach telefonischen Auskünften aus dem BMI hat die Bundesrepublik von dem Anwendungsvorbehalt nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b) RL 2008/115 zumindest punktuell Gebrauch gemacht. In welchem Umfang dies erfolgt ist und inwieweit dem Vorbehalt auch die Änderungen nach dem BReg-Vorschlag unterfallen und die Vorgaben der Rückführungsrichtlinie verdrängen könnten, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht ermitteln. Im Ergebnis dürften die eventuellen Auswir- 60 Vgl. Schieffer, Hailbronner (o. Fn. 11), Ch. V., Art. 1, Rn. 3. 61 Siehe zu diesem Anwendungsvorbehalt Franßende la Cerda, Die Vergemeinschaftung der Rückführungspolitikdas Inkrafttreten der EU-Rückführungsrichtlinie, ZAR 2008, S. 377 (379 f.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 24 kungen jedenfalls insoweit keine Bedeutung haben, als auch das autonome deutsche Ausländerrecht das Ziel einer Aufenthaltsbeendigung verfolgt. Der bereits nach der Qualifikationsrichtlinie bestehende Schutz vor Zurückweisung62 bleibt hiervon allerdings unberührt. 3.2. Art. 18 und 19 Abs. 2 EU-Grundrechte-Charta Art. 18 und 19 Abs. 2 GRC verankern den flüchtlings- bzw. den menschenrechtlich begründeten Grundsatz der Nichtzurückweisung auf der Ebene des primären Unionsrechts (siehe unter 3.2.1. bzw. 3.2.2.).63 Von den Mitgliedstaaten sind beide Grundrechtsgewährleistungen im Zusammenhang mit Aufenthaltsbeendigungen von international Schutzberechtigten allerdings nur dann zu beachten, wenn eine mitgliedstaatliche Bindung nach den Voraussetzungen des Art. 51 Abs. 1 GRC besteht (siehe unter 3.2.3.). 3.2.1. Art. 18 EU-Grundrechte-Charta Nach seinem Wortlaut gewährleistet Art. 18 GRC das Recht auf Asyl nach Maßgabe der GFK sowie nach Maßgabe der beiden EU-Verträge. Aufgrund dieses Wortlauts, der Verweisungen auf die genannten Rechtsquellen und seiner Entstehungsgeschichte ist der materielle Gehalt dieser Gewährleistung zwar umstritten.64 Nach der Rechtsprechung des EuGH steht jedoch fest, dass der grundrechtliche Gehalt des Art. 18 GRC jedenfalls den Grundsatz der Nichtzurückweisung umfasst .65 Obgleich sich der unionsgerichtlichen Rechtsprechung keine Hinweise zu seiner Ausgestaltung und Reichweite entnehmen lassen, dürfte mit Blick auf den GFK-Verweis eine an Art. 33 GFK orientierte Ausgestaltung in Bezug auf Schutzgehalt und Einschränkungsmöglichkeit wahrscheinlich sein.66 Insoweit geht Art. 18 GRC nicht über den Schutz vor Zurückweisung hinaus, der nach Art. 21 Abs. 1 und 2 RL 2011/95 besteht. 3.2.2. Art. 19 Abs. 2 EU-Grundrechte-Charta Der grundrechtliche Zurückweisungsschutz nach Art. 19 Abs. 2 GRC ist dem in der Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK entwickelten Refoulment-Verbot nachgebildet.67 Art. 52 Abs. 3 S. 1 GRC gibt für diese Fälle vor, dass die betreffenden GRC-Gewährleistungen die gleiche Bedeutung und Tragweite wie ihre EMRK-Pendants aufweisen müssen. Nach Art. 52 Abs. 3 S. 2 GRC darf die 62 Siehe oben unter 3.1.1.1.2., S. 12 f. 63 Siehe auch EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 65. 64 Siehe zu den Streitpunkten und den vertretenen Auffassungen Klatt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015 (im Folgenden: von der Groeben/Schwarze/Hatje), Art. 18 GRC, Rn. 2 f. 65 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 65. 66 Vgl. Klatt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 64), Art. 18 GRC, Rn. 10, 11. 67 Dies folgt aus den einschlägigen Erläuterungen zur GRC bzgl. Art. 19 Abs. 2 GRC. Diese Erläuterungen sind nach Art. 52 Abs. 7 GRC bei der Auslegung der Charta zu berücksichtigen. Veröffentlicht sind sie in ABl.EU 2007 Nr. C 303/17, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=OJ:C:2007:303:0017:0035:de:PDF (letztmaliger Abruf am 10.02.16). Vgl. auch Klatt, in: von der Groeben /Schwarze/Hatje (o. Fn. 64), Art. 19 GRC, Rn. 1. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 25 Union allerdings einen weitergehenden Schutz gewähren. Für den hier vorliegenden Kontext bedeutet dies insbesondere, dass der Zurückweisungsschutz nach Art. 19 Abs. 2 GRC jedenfalls ebenso absolut gilt wie nach Art. 3 EMRK68 – eine Rechtfertigung von Eingriffen in das menschenrechtliche Verbot der Zurückweisung kommt danach nicht in Betracht.69 Insoweit gewährleistet Art. 19 Abs. 2 GRC inhaltlich zwar keinen weitergehenden Schutz als er von den Mitgliedstaaten nach Art. 21 Abs. 1 und 2 RL 2011/95 entsprechend ihren völkervertraglichen Verpflichtungen in Bezug auf die EMRK ohnehin zu beachten ist. Aufgrund seiner unionsrechtlichen Provenienz genießt dieses EU-rechtlich vermittelte menschenrechtliche Refoulment- Verbot allerdings Vorrang gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht und ist hierdurch – jedenfalls aus der Perspektive des deutschen Rechts – wirkungsmächtiger als die im Rang von Bundesgesetzen und damit unterhalb der Verfassung stehende EMRK.70 3.2.3. Bindung der Mitgliedstaaten: Art. 51 Abs. 1 EU-Grundrechte-Charta Diese Wirkungsmacht kommt Unionsgrundrechten gegenüber den Mitgliedstaaten nur zu, wenn die Voraussetzungen von Art. 51 Abs. 1 GRC vorliegen. Danach gilt die GRC für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung von Unionsrecht. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird diese Vorgabe dahingehend verstanden, dass die Mitgliedstaaten EU-Grundrechte immer dann beachten müssen, wenn sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts tätig werden.71 Das ist etwa der Fall, wenn die Mitgliedstaaten Richtlinien umsetzen, und zwar auch dann, wenn ihnen der betreffende Rechtsakt Spielräume einräumt oder Ausnahmetatbestände vorgesehen sind, die von den Mitgliedstaaten ausgefüllt werden können.72 Allerdings lässt der Gerichtshof in Konstellationen, in denen das streitgegenständliche nationale Recht nicht vollständig durch das Unionsrecht bestimmt wird, eine Anwendung nationaler Grundrechte genügen, soweit hierdurch weder das Schutzniveau der GRC noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden.73 Im vorliegenden Kontext stehen die Handlungsoptionen nach der Qualifikationsrichtlinie zwar im Ermessen der Mitgliedstaaten, so dass eine Bindung insbesondere an Art. 19 Abs. 2 GRC nur 68 Siehe hierzu WD-2-Gutachten, S. 10. 69 Vgl. Bernsdorff, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Aufl. 2014 (im Folgenden: Meyer), Art. 19 GRC, Rn. 20. Andere Auffassungen, die eine Rechtfertigung zulassen, vgl. etwa Klatt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 64), Art. 19 GRC, Rn. 8, sind daher abzulehnen. 70 Siehe zu Einzelheiten der Bindungswirkung der EMRK bzw. der EGMR-Urteile Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl. 2011, Art. 46 EMRK, Rn. 22 ff. 71 EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10 (Åkerberg Fransson), Rn, 19; EuGH, Urt. v. 27.03.2014, Rs. C-265/13 (Marcos), Rn. 29 ff. Siehe hierzu allgemein Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 9. Aufl. 2014, Rn. 676 ff. 72 So Jarass, Charta der Grundrechte der Union, 2. Aufl. 2013, Art. 51 GRC, Rn. 18, mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 27.06.2006, Rs. C-540/03 (P/R), Rn. 22. 73 EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-399/11 (Melloni), Rn. 60; EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10 (Åkerberg Fransson), Rn. 29. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 26 insoweit in Betracht käme, als infolge einer Anwendung der nationalen (deutschen) Grundrechte das Schutzniveau der GRC, ihr Vorrang oder die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt würden. Blickt man hingegen auf die sich an die Anwendung der Qualifikationsrichtlinie anschließende Rückführungsrichtlinie und die dort geregelte Pflicht, im Falle der Illegalität eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sowie eine Abschiebung durchzuführen,74 wäre für die daraus folgenden aufenthaltsrechtlichen Folgemaßnahmen hingegen von einer vollständigen Determinierung des nationalen Rechts durch Unionsrecht auszugehen und damit von einer ausschließlichen Bindung an den EU-Grundrechtsschutz im Bereich des Refoulment-Verbots nach Art. 18 und 19 Abs. 2 GRC. Diese vollständige Determinierung könnte jedoch wieder – je nach Umfang seiner Geltendmachung – durch den Anwendungsvorbehalt nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b) RL 2008/11575 aufgehoben werden. 3.3. Ergebnis Fasst man die EU-Vorgaben zu den Voraussetzungen und Grenzen der Aufenthaltsbeendigung von international Schutzberechtigten im Falle von Straffälligkeit zusammen, so lässt sich Folgendes festhalten: Die entscheidenden materiellen Voraussetzungen einer Aufenthaltsbeendigung (nicht nur) für diese Fälle ergeben sich aus der Qualifikationsrichtlinie. Diese sieht zunächst verschiedene, allesamt jedoch in mitgliedstaatlichem Ermessen stehende Tatbestandskonstellationen vor, in denen Flüchtlinge sowie subsidiär Schutzberechtigte ihren Aufenthaltstitel entweder unmittelbar oder mittelbar infolge des Verlustes ihres Schutzstatus verlieren können. Während sich die Tatbestandsvoraussetzungen im ersten Fall gleichen (Art. 24 Abs. 1 und 2 RL 2011/95: zwingende Gründe der öffentlichen Ordnung), bestehen im zweiten Fall Unterschiede zwischen den beiden Personengruppen international Schutzberechtigter. Dabei unterliegen die Einwirkungen auf den Status der Flüchtlinge restriktiveren Voraussetzungen (Art. 14 Abs. 4 bzw. 5 RL 2011/95: Gefahr für die Allgemeinheit wegen rechtskräftiger Verurteilung zu einer besonders schweren Straftat) als im Falle der subsidiär Schutzberechtigten [Art. 17 Abs. 1 Buchst. b) u. Buchst, d) Var. 1 bzw. Art. 19 Abs. 3 Buchst. a) RL 2011/95: Begehen einer schweren Straftat bzw. Gefahr für die Allgemeinheit ]. Eine Zurückweisungsoption, die ebenfalls im Ermessen der Mitgliedstaaten steht, sieht die Qualifikationsrichtlinie nur für Flüchtlinge vor. Der hier einschlägige Art. 21 Abs. 2 Buchst. b) RL 2011/95 knüpft sie in positiver Hinsicht ebenfalls an das Bestehen einer Gefahr für die Allgemeinheit wegen rechtskräftiger Verurteilung zu einer besonders schweren Straftat. Darüber hinaus darf die Zurückweisung nicht gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen , den die Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen zu achten haben (vgl. Art. 21 Abs. 2 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 RL 2011/95). Der damit angesprochene Zurückweisungsschutz stellt zugleich die generelle Grenze einer Aufenthaltsbeendigung von Flüchtlingen und international Schutzberechtigten dar. Sekundärrechtlich folgt er aus der Achtungsverpflichtung bzgl. der insoweit bestehenden mitgliedstaatlichen 74 Siehe oben unter 3.1.5.1. sowie 3.1.5.2, S. 21 ff. 75 Siehe oben unter 3.1.5.3.2., S. 23. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 27 Bindung an einschlägiges Völkervertragsrecht nach Art. 21 Abs. 1 RL 2011/95. Hierbei kommt dem menschenrechtlichen Refoulment-Verbot nach Art. 3 EMRK die größte praktische Bedeutung zu, da er im Gegensatz zum flüchtlingsrechtlichen Zurückweisungsschutz nach Art. 33 GFK absolut und für jedermann gilt. Primärrechtlich ergibt sich der Grundsatz der Nichtzurückweisung aus Art. 18 sowie Art. 19 Abs. 2 GRC. Während er im ersten Fall den gleichen Gehalt aufweist wie das relative Refoulment-Verbot nach Art. 33 GFK, entspricht er im zweiten Fall dem absoluten Zurückweisungsschutz nach Art. 3 EMRK. Allerdings bindet der unionsgrundrechtlich vermittelte Grundsatz der Nichtzurückweisung die Mitgliedstaaten nur in den Grenzen des Art. 51 Abs. 1 GRC. Dessen Voraussetzungen sind im vorliegenden Kontext nach unionsrechtlichen Vorgaben erfüllt. Nicht hinreichend klar ist allenfalls, ob Art. 18 sowie Art. 19 Abs. 2 GRC unter Ausschluss nationaler Grundrechte oder nur ergänzend zur Anwendung gelangen, soweit infolge der Anwendung nationaler Grundrechte das Schutzniveau der GRC, ihr Vorrang oder die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt würden. Das danach bestehende Refoulment-Verbot schließt jedoch nur die Verbringung von international Schutzberechtigten in Verfolgerländer oder solche Länder aus, in denen den Betroffenen eine menschenunwürdige Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. Art. 19 Abs. 2 GRC droht. Darüber hinaus dürfen sie nicht in Länder abgeschoben werden, von denen eine Verbringung in Gefahrenländer droht (sog. Kettenabschiebung). Einer Abschiebung in sichere Drittstaaten steht der Zurückweisungsschutz nicht entgegen. Die (materiellen) Handlungsoptionen auf Grundlage der Qualifikationsrichtlinie zur Aufenthaltsbeendigung werden sodann auf unionsrechtlicher Ebene durch die Vorgaben der Rückführungsrichtlinie ergänzt. Bei Illegalität des Aufenthaltes eines Drittstaatsangehörigen verpflichtet dieser Rechtsakt die Mitgliedstaaten zum Erlass einer Rückkehrentscheidung sowie zu einer daran sich anschließenden Abschiebung, soweit dies rechtlich und tatsächlich möglich ist und nicht gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstößt. Für die hier relevanten Fälle, in denen sich die Rückkehrpflicht aufgrund oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion ergibt, können die Mitgliedstaaten allerdings von der Anwendung der Rückführungsrichtlinie absehen (vgl. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b) RL 2008/115), so dass autonomes mitgliedstaatliches Ausländerrecht greift. 4. Vorschlag der Bundesregierung zur erleichterten Ausweisung von Straftätern im Lichte der EU-Vorgaben Der BReg-Vorschlag beruht auf drei Elementen: erstens Änderungsvorschlägen in Bezug auf die Bestimmungen des AufenthG zur Ausweisung in §§ 53 und 54 AufenthG, die sich allgemein auf straffällig gewordene Ausländer beziehen, zweitens einem Änderungsvorschlag in Bezug auf die Versagung der Anerkennung als Flüchtling nach § 60 Abs. 8 AufenthG sowie drittens der Ankündigung , den Gesetzesentwurf zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung zü- Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 28 gig im Kabinett zu beschließen und hierdurch weitere Handlungen gegen die sexuelle Selbstbestimmung unter Strafe zu stellen.76 Ein viertes Element findet sich hingegen nur in einer Mitteilung des BMI. Danach werde auch daran gearbeitet, die rechtlichen und tatsächlichen Abschiebehindernisse zu beseitigen.77 Für die hier im Raum stehende Gutachtenfrage sind die beiden ersten Elemente zur Ausweisung (siehe unter 4.1.1.) bzw. zum Anerkennungsversagung (siehe unter 4.1.2.) von Bedeutung. Nur sie werden im Folgenden dargestellt und im Lichte der unter 2. dargestellten EU-rechtlichen Vorgaben betrachtet. Im Zusammenhang mit der Ankündigung, tatsächliche und rechtliche Abschiebehindernisse zu beseitigen, wurden keine konkreten Maßnahmen vorgeschlagen, so dass hierzu in dieser Ausarbeitung keine Stellung genommen werden kann. 4.1.1. Ausweisungserleichterungen Die Ausweisungserleichterungen nach dem BReg-Vorschlag betreffen die §§ 53 ff. AufenthG. Das darin geregelte Ausweisungsrecht wurde erst kürzlich grundlegend neugefasst und gilt erst seit dem 20. Oktober 2015. Grund hierfür war eine weitgehende Unvereinbarkeit der bisherigen Rechtslage mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die auf entsprechende Entscheidungen des EGMR und des BVerfG zurückging.78 Im Folgenden wird die neue Rechtslage kurz dargestellt (siehe 4.1.1.1.), um die Änderungsvorschläge erläutern (siehe 4.1.1.2.) und einordnen zu können (siehe unter 4.1.1.3.). Anschließend erfolgt dann die unionsrechtliche Beurteilung (siehe unter 4.1.1.4). 4.1.1.1. Geltende Rechtslage § 53 AufenthG regelt die Ausweisung, die nach Absatz 1 nun eine umfassende und ergebnisoffene Abwägungsentscheidung voraussetzt.79 Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. § 53 Abs. 2 AufenthG enthält eine Aufzählung der insbesondere in die Abwägung einzustellenden Einzelfallumstände. Neben diesen sind in die Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG sog. vertypte Ausweisungsinteressen einzubeziehen, die in § 54 AufenthG geregelt sind. Unterschieden werden insoweit besonders 76 Vgl. Vorschlag (o. Fn. 2), I.-III. 77 Vgl. http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2016/01/pk-de-maiziere-maas-verschaerfungaufenthaltsrecht -und-sexualstrafrecht.html (letztmaliger Abruf am 10.02.16) 78 Vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49 (Einleitung zu Nummer 29). Diese Drucksache ist online abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/040/1804097.pdf (letztmaliger Abruf am 10.02.16). Siehe auch Marx, Zur Reform des Ausweisungsrechts, ZAR 2015, S. 245 ff. 79 Siehe hierzu Cziersk-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016 (im Folgenden: Hofmann), § 53 Aufenth G, Rn. 20 ff. Vgl. Rn. 29 zu den dabei insgesamt vorzunehmenden Schritten. Vgl. ferner Marx (o. Fn. 78), ZAR 2015, S. 245 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 29 schwer wiegende Ausweisungsinteressen nach § 54 Abs. 1 AufenthG und lediglich schwer wiegende Ausweisungsinteressen nach § 54 Abs. 2 AufenthG. Ihnen stehen die in § 55 AufenthG ebenfalls neu eingeführten besonders schwer wiegenden Bleibeinteressen in Absatz 1 und die lediglich schwer wiegenden Bleibeinteressen in Absatz 2 gegenüber, die ebenfalls in die umfassende Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG einzubeziehen sind. Ein besonderer Abwägungsmaßstab gilt nach § 53 Abs. 3 AufenthG für die dort aufgezählten Personengruppen . Zu diesen zählen u. a. Flüchtlinge nach der GFK, nicht aber subsidiär Schutzberechtigte .80 Für Flüchtlinge sowie für die anderen in § 53 Abs. 3 AufenthG aufgezählten Statusgruppen 81 gilt, dass sie nur ausgewiesen werden dürfen, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.82 Nach der Gesetzesbegründung ist „auch im Rahmen des [§ 53] Absatzes 3 – mit dem geänderten Maßstab – eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach [§ 53] Absatz 1 vorzunehmen.“83 Ob hierbei jedoch auch die Ausweisungs - und Bleibeinteressen nach §§ 54 und 55 AufenthG einzustellen sind, ist unklar.84 4.1.1.2. Änderungsvorschläge Die Änderungsvorschläge betreffen zum einen Fallkonstellationen, in denen ein besonders schweres bzw. schweres Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 Nr. 1 Aufenth G vorliegt. Zum anderen betreffen sie die Aufzählung der insbesondere in die Abwägung einzustellenden Einzelfallumstände nach § 53 Abs. 2 AufenthG.85 Der Fall des besonders schweren Ausweisungsinteresses der rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG soll dahingehend ergänzt werden, dass das besonders schwere Ausweisungsinteresse für bestimmte Straftaten auch schon dann besteht, wenn eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr 80 Vgl. Cziersk-Reis, in: Hofmann (o. Fn. 79), § 53 AufenthG, Rn. 41. 81 Das sind u. a. Asylberechtigte im Sinne des Art. 16a GG, Aufenthaltsberechtigte nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei oder Personen mit der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU. 82 Vgl. zu den Unterschieden zwischen der Prüfung nach § 53 Abs. 1 AufenthG und der Prüfung nach dem Maßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG, Marx (o. Fn. 78), ZAR 2015, S. 245 (248 f., 250 f.). 83 BT-Drs. 18/4097, S. 50 zu Absatz 3. 84 Gegen eine Anwendung Cziersk-Reis, in: Hofmann (o. Fn. 79), § 53 AufenthG, Rn. 37, wonach an deren Stelle die Vorgaben des § 53 Abs. 3 AufenthG treten. Hierbei beruft sich der Autor auf die unter Fn. 78 zitierte Gesetzesbegründung , der sich das allerdings nicht ausdrücklich entnehmen lässt. Gegen eine Einbeziehung im Falle von Flüchtlingen im Sinne der GFK spricht, dass deren Status kein vertyptes Bleibeinteresse nach § 55 Aufenth G darstellt. Anders verhält es sich hingegen im Fall der subsidiär Schutzberechtigten, deren Status als besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG anerkannt ist. 85 Vgl. Vorschlag (o. Fn. 2), I. 1)-3). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 30 vorliegt, unabhängig davon, ob diese Strafe zur Bewährung ausgesetzt ist oder nicht.86 Zu diesen bestimmten Straftaten zählen nach dem BReg-Vorschlag solche gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, sofern sie mit Gewalt oder unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit einer List begangen wurden. Für seriell begangene Straftaten gegen das Eigentum gilt dies unabhängig davon, ob diese mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung oder mit List begangen wurden. In der gleichen Weise soll der Fall des schweren Ausweisungsinteresses der rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG dahingehend ergänzt werden, dass bereits eine rechtskräftige Verurteilung wegen der soeben beschriebenen bestimmten Straftaten zu einer zeitlich nicht weiter bestimmten Freiheits- oder Jugendstrafe genügt, unabhängig davon, ob sie zur Bewährung ausgesetzt ist oder nicht.87 Bei Aufzählung der in die Abwägung einzustellenden Einzelfallumstände nach § 53 Abs. 2 Aufenth G soll schließlich auch die Tatsache berücksichtigt werden, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.88 4.1.1.3. Einordnung der Änderungsvorschläge Hinsichtlich der Einordnung der beschriebenen Änderungsvorschläge zu den Ausweisungserleichterungen erscheinen drei Gesichtspunkte für die unionsrechtliche Beurteilung von Bedeutung : Der erste betrifft die personelle Reichweite der Änderungsvorschläge. Ist § 53 Abs. 3 AufenthG dahingehend zu verstehen, dass er eine Anwendung des (zu ändernden) § 54 AufenthG sowie des § 55 AufenthG zu den Bleibeinteressen ausschließt, so betrifft dieser Vorschlag nur subsidiär Schutzberechtigte und sonstige Drittstaatsangehörige, nicht aber Flüchtlinge im Sinne der GFK. Unklar ist allerdings, ob dies dann auch für die Ergänzung um das Element der Rechtstreue des Ausländers in § 53 Abs. 2 AufenthG gilt. Diese wäre dann ggf. bei einer Abwägung nach § 53 Abs. 3 AufenthG jedenfalls nicht ausdrücklich nicht zu beachten. Der zweite Gesichtspunkt betrifft die materielle Einordnung der Änderungsvorschläge. In allen drei Punkten handelt es sich um Elemente, die zwar bisher nicht, in Zukunft jedoch zugunsten einer Ausweisung in die umfassende und offene Abwägungsentscheidung einzustellen sind. Das Ergebnis dieser Entscheidung hängt am Ende allerdings weiterhin von einer Abwägung aller für und gegen die Ausweisung sprechenden Umstände und der (entscheidenden) Frage ab, ob das öffentliche Interesse an der Ausreise letztlich überwiegt. Insbesondere bei subsidiär Schutzberechtigten wäre das sich aus deren Status ergebende schwer wiegende Bleibeinteresse nach § 55 86 Vgl. Vorschlag (o. Fn. 2). I. 2). 87 Vgl. Vorschlag (o. Fn. 2). I. 1). 88 Vgl. Vorschlag (o. Fn. 2). I. 3). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 31 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG zu beachten. Mit anderen Worten würde allein die rechtskräftige Verurteilung in den durch den BReg-Vorschlag beschriebenen Konstellationen Fällen nicht zu einer Ausweisung führen. Drittens lassen diese Änderungsvorschläge den Regelungskomplex der Abschiebung sowie insbesondere die in § 60 AufenthG geregelten Abschiebungsverbote unberührt. 4.1.1.4. Unionsrechtliche Beurteilung Als unionsrechtlicher Maßstab kommt vorliegend allein Art. 24 RL 2011/95 in Betracht, wonach die Mitgliedstaaten (auch nur) schutzstatusbedingte Aufenthaltstitel aus zwingenden Gründen der öffentlichen Ordnung entziehen können, ohne zugleich auf den Schutzstatus entziehend einzuwirken .89 Diese Handlungsoption gilt sowohl für Flüchtlinge als auch für subsidiär Schutzberechtigte , so dass die hier vorliegenden Zweifel über den personellen Anwendungsbereich der Änderungen keine Rolle spielen. Im Lichte der danach bestehenden Vorgaben ist nicht ersichtlich, dass die Änderungen nach dem BReg-Vorschlag unionsrechtswidrig wären. Zunächst bestehen insoweit keine ausdrücklichen unionsrechtlichen Anforderungen in Bezug auf Straftat und Strafhöhe. Aus der Rechtsprechung des EuGH lässt sich zudem schließen, dass die Begehung von Straftaten im Rahmen der Beurteilung , ob zwingende Gründe der öffentlichen Ordnung einen Widerruf des Aufenthaltstitels begründen können, eine Rolle spielen kann.90 Darüber hinaus haben die Änderungen nicht zur Folge, dass eine rechtskräftige Verurteilung in den vorgeschlagenen Fällen zwingend zu einer Ausweisung führt. Nach dem System der geltenden Ausweisungsvorschriften in §§ 53 ff. Aufenth G handelt es sich weiterhin nur um ein Element, das als besonders schwer wiegendes oder nur schwer wiegendes Ausweisungsinteresse zusammen mit anderen Ausweisung- und Bleibeinteressen in eine umfassende Gesamtabwägung einzubeziehen ist. Führt diese im Ergebnis dazu, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt, so dürfte zugleich auch dem Maßstab zwingender Gründe der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 24 RL 2011/95 entsprochen worden sein. 4.1.2. Anerkennungsversagung Der Änderungsvorschlag zur Anerkennungsversagung bezieht sich auf § 60 AufenthG, der die Abschiebungsverbote regelt. Die geplante Ergänzung des Absatzes 8 Satz 1 dieser Vorschrift ist im Zusammenhang mit § 60 Abs. 1 AufenthG und § 3 Abs. 4 Asylgesetz (AsylG) zu sehen. Auch hier wird im Folgenden zuerst die geltende Rechtslage kurz dargestellt (siehe 4.1.2.1.), um die Änderungsvorschläge erläutern (siehe 4.1.2.2.) und einordnen zu können (siehe unter 4.1.2.3.). Anschließend erfolgt dann die unionsrechtliche Beurteilung (siehe unter 4.1.2.4.). 89 Siehe oben unter 3.1.2., S. 15 ff. 90 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.06.2015, Rs. C-373/13 (H. T.), Rn. 92. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 32 4.1.2.1. Geltende Rechtslage § 60 Abs. 1 AufenthG knüpft ausdrücklich an die GFK und implizit an das Refoulment-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK an, wodurch das flüchtlingsrechtliche Zurückweisungsverbot unmittelbar im Aufenthaltsgesetz verankert wird. Der Bundesgesetzgeber erstreckt den Anwendungsbereich dieser Regelung zudem über die GFK hinaus auf alle Ausländer (vgl. § 60 Abs. 1 S. 1 Aufenth G). Die in Art. 33 Abs. 2 GFK geregelte Ausnahme vom Refoulment-Verbot bzw. deren bundesgesetzliche Umsetzung findet sich in § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG. Danach findet § 60 Abs. 1 AufenthG keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist.91 Diese Vorschrift setzt Art. 21 Abs. 2 Buchst. b) RL 2011/95 um und konkretisiert die Vorgaben in Anknüpfung an das StGB um Art und Mindesthöhe der Verurteilung. Über einen Verweis in § 3 Abs. 4 AsylG kommt § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG zudem im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach dem AsylG zur Anwendung. Danach steht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG unter dem Vorbehalt, dass die in § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG geregelten Umstände nicht vorliegen. Mit dieser Verweiskonstruktion wird die Vorschrift in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b) in Verbindung mit Abs. 5 RL 2011/95 umgesetzt. Bei rechtskräftiger Verurteilung im Sinne des § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG ist nach deutschem Recht – jedenfalls dem Wortlaut nach – die Flüchtlingsanerkennung zu verweigern. 4.1.2.2. Änderungsvorschlag Nach dem Änderungsvorschlag soll § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG dahingehend ergänzt werden, dass bei Begehung bestimmter Straftaten auch eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von einem Jahr genügt, und zwar unabhängig davon, ob diese zur Bewährung ausgesetzt wird. Bei den bestimmten Straftaten handelt es sich um die gleichen wie im Fall der vorgeschlagenen Ausweisungserleichterungen. Diese Änderung soll sodann (ebenfalls) sowohl als Ausnahme vom Refoulment-Verbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG als auch als Verweigerungsgrund für die Flüchtlingsanerkennung zur Anwendung gelangen. 4.1.2.3. Einordnung des Änderungsvorschlags Hinsichtlich der Einordnung des Änderungsvorschlags erscheinen drei Gesichtspunkte für die unionsrechtliche Beurteilung von Bedeutung. 91 Zu der umstrittenen Frage nach der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift im Lichte des GG, vgl. Möller/Stiegeler , in: Hofmann (o. Fn. 79), § 60 AufenthG, Rn. 38. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 33 Zunächst erfasst der Vorschlag in personeller Hinsicht nur Flüchtlinge. Subsidiär Schutzberechtigte werden nur insoweit erfasst, soweit sie in einen Staat ausgewiesen werden sollen, in denen ihnen politische Verfolgung im Sinne der GFK drohen würde.92 Der zweite Gesichtspunkt betrifft die materielle Ebene des Änderungsvorschlags. Im Vergleich zur geltenden Rechtslage führt er zu einer Verschärfung der Ausnahme vom Refoulment-Verbot und zu einer Verschärfung hinsichtlich der Möglichkeiten, die Flüchtlingsanerkennung zu versagen . Letzteres hat sodann zur Folge, dass die betreffenden Drittstaatsangehörigen mangels Flüchtlingseigenschaft auch von den oben dargestellten Änderungsvorschlägen zur Ausweisungserleichterung erfasst würden. Drittens ist darauf hinzuweisen, dass die anderen in § 60 AufenthG geregelten weiteren Abschiebungsverbote von dem Änderungsvorschlag unberührt und daher für Flüchtlinge im Sinne der GFK auch dann anwendbar bleiben, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG sowie seiner geplanten Ergänzung vorliegen.93 Das gilt insbesondere für § 60 Abs. 5 AufenthG, der die Abschiebehindernisse nach der EMRK in Bezug nimmt und damit u. a. auch das auf Art. 3 EMRK gestützte menschenrechtliche Zurückweisungsverbot, welches absolut gilt. 4.1.2.4. Unionsrechtliche Beurteilung Maßstab für die unionsrechtliche Zulässigkeit dieser Änderung ist das Tatbestandsmerkmal der besonders schweren Straftat, welches sowohl in Art. 21 Abs. 2 Buchst. b) als positive Voraussetzung der Zurückweisungsoption94 als auch in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b) i.V.m. Abs. 5 RL 2011/95 als Teil des Versagungstatbestandes für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geregelt ist.95 Nach der Rechtsprechung des EuGH ist hinsichtlich dieser Tatbestandskonstellation, die zudem noch eine Gefahr für die Allgemeinheit erfordert, insgesamt ein sehr restriktives Verständnis geboten . Gleichwohl dürfte den Mitgliedstaaten ein gewisser Spielraum zukommen. Blickt man vor diesem Hintergrund zunächst auf die vom Vorschlag erfassten Straftaten, so begegnen sie jedenfalls insoweit keinen Bedenken, als es um das Rechtsgut Leben geht. Da die Straftaten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit und der sexuellen Selbstbestimmung jedenfalls Begehungsmodalitäten erfassen, die Gewalt oder eine Drohung mit Gefahr für Leib und Leben beinhalten, könnten sie in abstrakter Hinsicht unter Umständen noch als besonders schwere Straftaten anzusehen sein. Problematisch erscheint eine solche Einschätzung jedoch im Hinblick auf die Begehungsmodalität der List sowie bezüglich reiner (auch seriell begangener) Eigentumsdelikte. Gleiches gilt im Hinblick auf den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, 92 Vgl. Möller/Stiegeler, in: Hofmann (o. Fn. 79), § 60 AufenthG, Rn. 6 und 7. 93 Vgl. Möller/Stiegeler, in: Hofmann (o. Fn. 79), § 60 AufenthG, Rn. 37, die zum Nachweis auf die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 15/420, S. 91, verweisen. 94 Siehe oben unter 3.1.1.1.1., S. 10 ff. 95 Siehe oben unter 3.1.3.1., S. 18. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 4/16 Seite 34 dessen Tatbestand z. T. auch bei bestimmten Formen passiver Verweigerung der Mitwirkung bejaht wird.96 Besondere Zweifel weckt in jedem Fall die Herabsenkung des konkreten Mindeststrafmaßes für alle der genannten Straftaten auf ein Jahr Freiheits- oder Jugendstrafe, die auch zur Bewährung ausgesetzt sein kann. Erfasst wären danach bereits Begehungen, die sich im unteren Bereich der Strafbarkeit bewegen. Dies dürfte sich mit dem Verständnis einer besonders schweren Straftat kaum decken und vom mitgliedstaatlichen Umsetzungsspielraum nicht mehr erfasst sein. Mangels konkreter unionsgerichtlicher Vorgaben ist eine abschließende Beurteilung an dieser Stelle jedoch nicht möglich. – Fachbereich Europa – 96 Vgl. hierzu die Übersicht bei Dallmeyer, in: v. Heintschel-Heinegg, Beck'scher Online Kommentar StGB, 19. Edition , Stand: 01.12.2015, § 113 StGB, Rn. 7.