PE 6 - 3000 - 003/20 (30.01.2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Der Fachbereich Europa ist beauftragt worden, zu prüfen, ob eine Zurückweisung von Schutzsuchenden , die einem Wiedereinreiseverbot unterliegen, bei Kontrollen an den EU-Binnengrenzen oder nach einem Aufgriff in Grenznähe im Rahmen der sogenannten Schleierfahndung mit Unionsrecht vereinbar ist. Zur Frage der unionsrechtlichen Zulässigkeit von Zurückweisungen von Asylsuchenden mit Einreise - und Aufenthaltsverbot an den EU-Binnengrenzen wird auf die Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 98/18; WD 2 – 3000 – 90/18 verwiesen.1 Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die in der o. g. Ausarbeitung aufgeworfene Frage, ob auf Personen mit Einreisesperren, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU bereits internationalen Schutz beantragt haben oder als asylsuchend registriert sind, die Vorgaben des Art. 20 der Dublin-III-Verordnung2 Anwendung finden können, durch den EuGH bisher nicht beantwortet wurde. Inhaltlich geht es insoweit um die Frage, ob es sich aufgrund der Formulierung in Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung „sobald in einem Mitgliedstaat erstmals3 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird“ für dessen Anwendbarkeit um den erstmaligen Antrag in diesem Mitgliedstaat oder generell den ersten Antrag auf internationalen Schutz in der EU handeln muss.4 Davon abhängig sind die Verfahrenszuständigkeit und die Möglichkeit der Zurückweisung.5 1 PE 6 – 3000 – 98/18; WD 2 – 3000 – 90/18 „Grenzkontrollen und Zurückweisungen an den EU-Binnengrenzen – Vorgaben des Unionsrechts und des Völkerrechts“, Seite 10 ff.; vgl. ferner WD 3 – 3000 – 243/18 „Wiedereinführung von Grenzkontrollen und Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze aus nationaler Perspektive “, Seite 5 ff. 2 PE 6 – 3000 – 98/18; WD 2 – 3000 – 90/18 (Fn. 1), Seite 10 f.. 3 Hervorhebung v. Verf. 4 PE 6 – 3000 – 98/18; WD 2 – 3000 – 90/18 (Fn. 1), Seite 11. 5 PE 6 – 3000 – 98/18; WD 2 – 3000 – 90/18 (Fn. 1), Seite 11. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Kurzinformation Zurückweisung von Schutzsuchenden an EU-Binnengrenzen und Unionsrecht Kurzinformation Zurückweisung von Schutzsuchenden an EU- Binnengrenzen und Unionsrecht Fachbereich Europa (PE 6) Seite 2 Auch in der Literatur ist diese Frage weiterhin umstritten.6 Für eine Anwendung des Art. 20 Dublin -III-Verordnung auch in den Fällen, in denen bereits ein Antrag auf internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat gestellt worden ist, spräche die Systematik dieses Kapitels der Dublin -III-Verordnung.7 Erfolgt der Aufgriff eines einer Einreisesperre unterliegenden Schutzsuchenden im Rahmen der sog. Schleierfahndung8 auf dem Staatsgebiet eines Mitgliedstaats, stellt sich ebenso die Frage der Anwendbarkeit der Vorgaben von Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung, sofern der Schutzsuchende bereits einen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat. Auch insoweit kommt es darauf an, ob es sich aufgrund des Wortlauts von Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung um den erstmaligen Antrag in diesem Mitgliedstaat oder generell den ersten Antrag auf internationalen Schutz in der EU handeln muss. Soweit Art. 20 Dublin-III-Verordnung auch bei einer erneuten Antragstellung in einem anderen Mitgliedstaat und mithin auch in Bezug auf Wiederaufnahmeverfahren zur Anwendung käme, stellte sich wiederum die Frage nach den Konsequenzen des Art. 20 Dublin-III-Verordnung für eine Antragstellung an der Grenze bzw. nach einem Aufgriff in Grenznähe. Die Frage, ob Zurückweisungen an der Grenze bzw. im Rahmen der Schleierfahndung von Personen mit Einreisesperren , die in einem anderen Mitgliedstaat der EU bereits Asyl beantragt haben oder als asylsuchend registriert sind, mit dem Unionsrecht vereinbar ist, kann daher vorliegend mangels höchstrichterlicher Klärung nicht abschließend beantwortet werden.9 - Fachbereich Europa - 6 Für eine Anwendbarkeit des Art. 20 Dublin-III-VO in Wiederaufnahmeverfahren: Koehler, Praxiskommentar zum Europäischen Asylzuständigkeitssystem, 2018, Art. 20 Dublin-III-VO, Rn. 5; a. A. Filzwieser/Sprung, Dublin-III-Verordnung, 2014, Art. 20 Dublin-III-VO, Rn. K5; vgl. zur Diskussion PE 6 – 3000 – 98/18; WD 2 – 3000 – 90/18, Seite 11 (Fn. 1); vgl. dazu auch Thym, NJW 2018, 2353, 2353. 7 Siehe hierzu im Einzelnen PE 6 – 3000 – 98/18; WD 2 – 3000 – 90/18 (Fn. 1), Seite 11. 8 Zur Vereinbarkeit der Schleierfahndung mit Unionsrecht Michl, DÖV 2018, 50. 9 Zu den völkerrechtlichen Vorgaben bei Zurückweisungen vgl. PE 6 – 3000 – 98/18; WD 2 – 3000 – 90/18 (Fn. 1), Seite 11 ff..