© 2021 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 002/21 Zur Vereinbarkeit des Vertrags über die Entwicklung, den Aufbau und den Betrieb eines Systems für die Erhebung der Infrastrukturabgabe ("Betreibervertrag") vom 30. Dezember 2018 mit dem Europäischen Beihilfenrecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 2 Zur Vereinbarkeit des Vertrags über die Entwicklung, den Aufbau und den Betrieb eines Systems für die Erhebung der Infrastrukturabgabe ("Betreibervertrag") vom 30. Dezember 2018 mit dem Europäischen Beihilfenrecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 002/21 Abschluss der Arbeit: 26.02.2021 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Frage 1 4 2. Fragen 2.a und 2.b 4 2.1. Überblick über das EU-Beihilfenrecht 6 2.1.1. Materielles EU-Beihilfenrecht 6 2.1.2. Formelles EU-Beihilfenrecht 7 2.1.2.1. Vorabnotifizierung 7 2.1.2.2. Freistellung von der Notifizierungspflicht und ex-post-Kontrolle 8 2.2. Beihilfenrechtliche Bewertung der in Frage stehenden Entschädigung 9 2.2.1. Die Tatbestandsmerkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV 9 2.2.1.1. Begünstigung 9 2.2.1.2. Aus staatlichen Mitteln 27 2.2.1.3. Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige (Selektivität) 27 2.2.1.4. Wettbewerbsbeschränkung und Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels 27 2.2.1.5. Zwischenergebnis 28 3. Frage 3 28 4. Frage 4 29 5. Frage 5 32 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 4 An den Fachbereich wurden Fragen zur Vereinbarkeit der im Betreibervertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der autoTicket GmbH, der CTS Eventim AG & Co. KGaA und der Kapsch TrafficCom AG1 in Ziff. 26.3.4. v) vereinbarten Kündigung durch den Auftraggeber aus ordnungspolitischen Gründen, der für diesen Fall vorgesehenen Entschädigung mit dem europäischen Beihilfenrecht und zu damit verbundenen Folgen gerichtet. 1. Frage 1 Stellt das Urteil des EuGH vom 18.6.2019 in Rs. C-591/17 nur die Unionsrechtswidrigkeit und (wegen des Vorrangs von Unionsrecht gegenüber nationalem Recht) damit Unanwendbarkeit des 2. VerkStÄnd fest? Oder erstreckt sich diese Feststellung auch auf das InfraAG? Nach vorstehender Entscheidung des EuGH hat die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 18, 34, 56 und 92 AEUV verstoßen, dass sie die Infrastrukturabgabe für Personenkraftwagen eingeführt und gleichzeitig eine Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer zugunsten der Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen in einer Höhe vorgesehen hat, die mindestens dem Betrag der entrichteten Abgabe entspricht. Der EuGH überprüft nicht die Unionsrechtkonformität des Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen (nachfolgend: InfrAG) und des novellierten Kraftfahrzeugsteuergesetzes (nachfolgend: KraftStG) jeweils für sich, sondern diese werden zusammen beurteilt, und dies auch nur mit Blick auf die von diesen Vorschriften in der Gesamtschau hervorvorgerufene (diskriminierende) Wirkung. Soweit Regeln der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung mit Unionsrecht unvereinbar sind, sind diese unanwendbar2, ohne dass dies deren Geltung im Übrigen selbst berührt. Das Urteil des EuGH folgert lediglich die Verletzung von Unionsrecht aus der gleichzeitigen Einführung der Infrastrukturabgabe für Personenkraftwagen und einer Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer in einer Höhe, die mindestens dem Betrag der zu entrichteten Infrastrukturabgabe entspricht, soweit nur Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen von dieser Verrechnung profitieren. Nur soweit das InfrAG und das KraftStG in ihrem Zusammenwirken diese Wirkung erzeugen, sind diese, ohne dass dadurch ihre Geltung im Übrigen berührt wäre, unanwendbar. 2. Fragen 2.a und 2.b 2. Soweit eine staatliche Stelle einen langfristigen Vertrag mit einem privaten Bieter schließt, der nach einem entsprechenden, EU-weit ausgeschriebenen Vergabeverfahren den Zuschlag erhielt: 1 Veröffentlicht vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, abrufbar unter: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/K/Maut-Vertrag.html. 2 EuGH, Urt. v. 15.7.1964, Rs. 6/64 (Costa/ENEL), S. 1269 f.; EuGH, verb. Rs. C-10/97 bis C-22/97 (IN.CO.GE.), Rn. 21. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 5 a. Kann dann eine Regelung, wonach die staatliche Stelle - im Falle einer durch sie ausgesprochenen Kündigung des Vertrages - dem Vertragspartner unabhängig vom Zeitpunkt der Kündigung eine Entschädigung i.H. aller Vergütungszahlungen zugesagt hat, welche die staatliche Stelle während der Gesamtlaufzeit des Vertrages dem Vertragspartner gewährt hätte, eine Begünstigung und damit eine staatliche Beihilfe i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV begründen? Gilt dies auch dann, wenn die Kündigung eines langfristigen Vertrages schon nach wenigen Monaten erfolgt ? Spielt dabei auch eine Rolle, ob die staatliche Stelle zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem die Kündigung auslösenden Ereignis binnen weniger Monate rechnen musste? b. Spielt es für die in Ziff. 2.a genannte Marktüblichkeit eine Rolle, wie viele Bieter in der finalen Phase des Vergabeverfahrens ein Angebot abgegeben haben, und ob das Vergabeverfahren vergaberechtlich fehlerhaft war? Die Fragen 2.a und 2.b werden gemeinsam erörtert, da diese in einem untrennbaren Zusammenhang stehen. Der im Rahmen des Vergabeverfahrens „Entwicklung, Aufbau und Betrieb eines Systems für die Erhebung der Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen (Infrastrukturabgabenerhebungssystem ) – Betreibervertrag“ (nachfolgend: Betreibervertrag)3 abgeschlossene Betreibervertrag sieht unter Ziff. 26.3.4. folgende Kündigungsregelung vor: 26.3.4 Kündigung durch den Auftraggeber Ein wichtiger Grund für die Kündigung durch den Auftraggeber liegt insbesondere vor, wenn: v) ordnungspolitische Gründe eintreten, insbesondere die Änderung oder Aufhebung des InfrAG, Entscheidungen nationaler oder europäischer Gerichte oder Rechtssetzungsakte der Europäischen Union bzw. ihrer Organe, die eine Kündigung durch den Auftraggeber (ganz oder teilweise) erforderlich oder dem Auftraggeber die Weiterführung des Vertrages in der bestehenden Form unzumutbar machen, auch soweit eine solche Änderung, Aufhebung , Entscheidung oder solch ein Rechtssetzungsakt bereits zum heutigen Tage geplant oder absehbar ist. Ein ordnungspolitischer Grund in diesem Sinne ist insbesondere die Einführung einer streckenbezogenen Abgabe aufgrund von Rechtssetzungsakten der Europäischen Union bzw. ihrer Organe. Der in diesem Falle auf dem Bruttounternehmenswert4 basierende Schadensersatzanspruch ist in Ziffer 30.5.4. des Betreibervertrags geregelt. 3 Das Vergabeverfahren zu dem Auftrag „Planung, Entwicklung, Errichtung, Betrieb und Unterhaltung des automatischen ISA-Kontrolleinrichtungssystems“ wird nachfolgend nicht behandelt. Dazu das Gutachten Chatham Partners: PKW-Maut. Vorhersehbarkeit des EuGH-Urteils und angemessene Berücksichtigung in den vergebenen Aufträgen, 23.8.2019, S. 9. 4 Betreibervertrag Anlage 29.5.1 Kaufpreis und Ersatzansprüche Aktiva-Erwerb. Zur näheren Bestimmung des Bruttounternehmenswertes vgl. Neumann, Schmeer und Partner, Rechtliches Kurzgutachten zur Risikovorsorge im PKW-Maut-Betreibervertrag vom 30.12.2018 für den Fall der Europarechtswidrigkeit der deutschen PKW- Maut-Gesetzgebung, 2.9.2019, S. 18 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 6 (i) Kündigt der Auftraggeber den Vertrag gemäß Ziffer 26.3.4e), Ziffer 26.3.4s), sofern es sich bei dem Kontrollwechsel um einen Unvermeidbaren Kontrollwechsel (wie in Anlage 28.4.1 Teil B definiert) handelt, oder Ziffer 26.3.4v), jeweils ohne dass auch ein anderer Kündigungsgrund gemäß Ziffer 26.3.4 erfüllt ist, oder erklärt der Auftraggeber die Kündigung des Vertrages im Fall einer Vermeintlichen Kündigung oder kündigen die Betreiberparteien den Vertrag berechtigt gemäß Ziffer 26.3.5 und (ii) handelt es sich dabei jeweils um einen Fall der Beendigung ohne Übernahme (einschließlich aufgrund Vermeintlicher Kündigung), hat der Betreiber Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises, wie er sich auf Basis der Anlage 29.5.1 ergeben würde, wenn ein Angebot Dritterwerb Aktiva angenommen worden wäre; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was die Betreiberparteien infolge der Beendigung des Vertrages an Aufwendungen ersparen oder durch anderweitige Verwendung von Arbeitskräften und sonstigen Ressourcen (einschließlich der Verwendung in Verbundenen Unternehmen) erwerben oder zu erwerben böswillig unterlassen. Außerdem gilt Ziffer 20.9.1e) entsprechend. Der Betreiber hat detailliert dazu vorzutragen und zu beziffern, was er sich anrechnen lässt und was nicht und jegliche Nichtanrechnung detailliert zu begründen. Darüberhinausgehende Ansprüche der Betreiberparteien sind ausgeschlossen, soweit dieser Vertrag nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt oder vorsätzliches Handeln des Auftraggebers den Anspruch begründet. In anderen Fällen der Beendigung ohne Übernahme (einschließlich aufgrund Vermeintlicher Kündigung) haben die Betreiberparteien keine Schadensersatzoder sonstigen Ansprüche gegen den Auftraggeber. (Hervorhebung v. Verf.) ANLAGE 29.5.1 KAUFPREIS UND ERSATZANSPRÜCHE AKTIVA-ERWERB […] b) im Falle der Kündigung des Auftraggebers aufgrund des Kündigungsgrundes […] (ii) in Ziffer 26.3.4v) (ordnungspolitische Gründe) […], jeweils ohne dass auch ein anderer Kündigungsgrund gemäß Ziffer 26.3.4 vorliegt, der Bruttounternehmenswert; […]. Vor dem Hintergrund des EU-Beihilfenrechts (2.1.) wird dargelegt, ob diese Kündigungsregelung verbunden mit der dafür vorgesehenen Entschädigung die Voraussetzungen einer verbotenen Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt (2.2.). 2.1. Überblick über das EU-Beihilfenrecht Die Regelungen über staatliche Beihilfen in den Art. 107-109 AEUV sind Teil der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln. Das Primärrecht sieht sowohl materielle als auch formelle Voraussetzungen für die unionsrechtskonforme Durchführung von Beihilfen durch die Mitgliedstaaten vor. 2.1.1. Materielles EU-Beihilfenrecht Den Kern des EU-Beihilfenrechts bildet das an die Mitgliedstaaten gerichtete grundsätzliche Verbot staatlicher Beihilfen. Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Fehlt Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 7 eines dieser Merkmale, so liegt keine Beihilfe vor und die Vorgaben des Art. 107 ff. AEUV finden keine Anwendung.5 Sind die Merkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV hingegen erfüllt, so ist dies nicht gleichbedeutend mit einer Unionsrechtswidrigkeit der betreffenden nationalen Maßnahme. Denn das in dieser Vertragsvorschrift geregelte Beihilfeverbot gilt nicht absolut, sondern nur insoweit, als in den Verträgen nichts anderes bestimmt ist. Zu diesen anderen Bestimmungen zählen zunächst Art. 107 Abs. 2, 3 AEUV, unter deren Voraussetzungen Beihilfen als mit dem Binnenmarkt vereinbar gelten bzw. als mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden können. 2.1.2. Formelles EU-Beihilfenrecht Der Vollzug des EU-Beihilfenrechts obliegt auf Grundlage von Art. 108 AEUV der Europäischen Kommission.6 In verfahrenstechnischer Hinsicht sind dabei die primärrechtlich geregelte ex-ante-Prüfung und die sekundärrechtlich geprägte ex-post-Kontrolle zu unterscheiden. 2.1.2.1. Vorabnotifizierung Nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV sowie der sekundärrechtlichen Konkretisierung dieser Bestimmungen in Gestalt der Beihilfenverfahrensordnung (Beihilfe-VerfO)7 sind mitgliedstaatliche Vorhaben zum einen vorab (präventiv) zu überprüfen. Verfahrensrechtlicher Ausgangspunkt ist hierbei die Pflicht der Mitgliedstaaten, Beihilfen vor ihrer Einführung bei der Kommission anzumelden (Notifizierungspflicht, vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV, Art. 2 Abs. 1 Beihilfe-VerfO). Diese prüft sodann, ob eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt und – wenn das der Fall ist – ob sie gerechtfertigt werden kann.8 Bis zum Abschluss des Verfahrens darf der betreffende Mitgliedstaat die Beihilfe nicht durchführen (sog. Durchführungsverbot, vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV).9 5 EuGH, Urt. v. 24.7.2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans) Rn. 74. 6 Zu den wenigen, zum Teil auf Ausnahmesituationen beschränkten Kompetenzen des Rates im EU-Beihilfenrecht nach Art. 107 Abs. 3 lit. e, Art. 108 Abs. 2 UAbs. 3 sowie Art. 109 AEUV, vgl. allgemein, Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3: Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1224 ff. 7 Verordnung (EU) Nr. 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 AEUV, ABl. L 248/9. 8 Art. 4, 6, 7 Beihilfe-VerfO. 9 Vgl. auch Art. 3 Beihilfe-VerfO. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 8 Verstöße hiergegen können zur Aussetzung oder zur vorläufigen Rückforderung bereits gewährter Beihilfen führen, und zwar unabhängig von der (noch festzustellenden) materiellen Rechtmäßigkeit der betreffenden Maßnahme.10 Ist eine Beihilfe materiell nicht rechtfertigungsfähig, ist sie endgültig zurückzufordern.11 2.1.2.2. Freistellung von der Notifizierungspflicht und ex-post-Kontrolle Neben der primärrechtlich vorgegebenen (präventiven) ex-ante Kontrolle eröffnet das Primärrecht die Möglichkeit, Beihilfen auch ohne vorherige Anmeldung und Kommissionsüberprüfung zu gewähren, soweit bestimmte, vorab bekannte materielle und formale Anforderungen eingehalten werden. Dieser Bereich des Beihilfenrechts wurde im Zuge der 2014 durchgeführten Beihilfenrechtsreform („State Aid Modernisation“) ausgebaut.12 Diese Anforderungen ergeben sich v. a. aus sog. Freistellungsverordnungen, die die Kommission u. a. auf Grundlage von Art. 108 Abs. 4 AEUV in Verbindung mit einer Ermächtigungsverordnung des Rates auf Grundlage des Art. 109 AEUV erlassen kann.13 Bei Einhaltung der jeweiligen Vorgaben werden die Mitgliedstaaten von der Pflicht zur (vorherigen ) Notifizierung des Beihilfevorhabens und seiner Vorab-Kontrolle nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV freigestellt. Die Kommission kann die ihr gleichwohl anzuzeigende Gewährung solcher Beihilfen jedoch nachträglich kontrollieren. Die derzeit geltende Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) fasst verschiedene Freistellungstatbestände zusammen.14 Diese gilt allerdings nur für sog. transparente Beihilfen, d.h. (Zins-)Zuschüsse, Darlehen, Bürgschaften, rückzahlbare Vorschüsse und Steuererleichterungen. 10 Vgl. Art. 13 Beihilfe-VerfO. 11 vgl. Art. 16 Beihilfe-VerfO. 12 vgl. Soltész, Das neue europäische Beihilfenrecht, NJW 2014, S. 3128 (3130). 13 Bei der Verordnung des Rates auf Grundlage von Art. 109 AEUV handelt es sich um die Verordnung (EU) 2015/1588 des Rates vom 13. Juli 2015 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen, ABl. L 248/1. 14 Siehe hierzu Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. L 187/1, letzte konsolidierte Fassung vom 10.7.2017. Vgl. dort die Art. 52 ff. zu den Infrastrukturfreistellungstatbeständen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 9 2.2. Beihilfenrechtliche Bewertung der in Frage stehenden Entschädigung 2.2.1. Die Tatbestandsmerkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV Eine Regelung, wonach die staatliche Stelle – im Falle einer durch sie ausgesprochenen Kündigung des Vertrages – dem Vertragspartner Schadensersatzleistungen nach Maßgabe der Ziff. 30.5.4. des Betreibervertrags zugesagt hat, würde als Beihilfe i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV gelten, wenn hierdurch alle Merkmale des dort definierten Beihilfetatbestandes erfüllt wären. Für den Beihilfebegriff kennzeichnend ist neben einer aus staatlichen Mitteln (2.2.1.2.) gewährten Begünstigung (2.2.1.1.) die Selektivität, d.h. die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige (2.2.1.3.) sowie die hierdurch hervorgerufene Wettbewerbsverfälschung und Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels (2.2.1.4.).15 Die bei der Prüfung dieser Merkmale gewonnenen Erkenntnisse werden in einem Zwischenergebnis (2.2.1.5.) festgehalten. 2.2.1.1. Begünstigung Bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige werden beihilferelevant begünstigt, wenn diesen staatlicherseits ein finanzieller Vorteil gewährt wird, dem keine angemessene Gegenleistung gegenübersteht und die das empfangene Unternehmen oder der Produktionszweig unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte.16 Eine Begünstigung kann in Form eines geldwerten Vorteils oder einer Minderung einer Belastung bestehen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist der Begriff der Beihilfe […] weiter als der Begriff der Subventionen. [Dieser]…erfasst auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen mindern, welche ein Unternehmen normaler Weise zu tragen hat.17 Keine Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse Nach dem Altmark-Urteil aus dem Jahr 200318 hat der EuGH Leitlinien zu der Frage entworfen, wann Ausgleichsleistungen der öffentlichen Hand an einen Privaten für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) nicht als Vorteil nach dem Beihilfetatbestand des Art. 107 AEUV anzusehen sind. Diese Rechtsprechung dürfte vorliegend 15 Dazu näher Derksen, EuZW 2020, S. 919 m.w.N. 16 EuGH, Urt. v. 11.7.1996, Rs. C-39/94 (SFEI ua/La Poste) Rn. 60; EuGH, Urt. v. 29.4.1999, Rs. C-342/96 (Spanien /Kommission) Rn. 41. 17 EuGH, Urt. v. 23.2.1961, Rs. 30/59 (De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg/Hohe Behörde) Rn. 3, 43; Urt. v. 15.3.1994, Rs. C-387/92 (Banco de Crédito) Rn. 13. 18 EuGH, Urt. v. 24. 7. 2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans) Rn. 87; dazu näher Haubner, EuZW 2013, S. 816 (817 f.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 10 allerdings keine Anwendung finden, da die von den Auftragnehmern zu erbringenden Leistungen nicht als DAWI anzusehen sein dürften. Weder das Primär- noch das Sekundärrecht enthalten eine allgemeine Definition für DAWI. Die Kommission versteht hierunter marktbezogene Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Mitgliedstaaten mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden können wie typischerweise Energieversorgung, Verkehrsleistungen, Telekommunikation , Postdienste, Rundfunk, Wasserversorgung und Abfallentsorgung und unterscheidet hiervon Leistungen der Daseinsvorsorge.19 Die von den Auftragnehmern zu erbringenden Leistungen – die Entwicklung, der Aufbau und der Betrieb eines Systems für die Erhebung der Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen 20 – sind allerdings nicht als Verkehrsdienstleistungen anzusehen und dienen daher nicht der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen wie etwa in Gestalt der Bereitstellung und der Funktionstüchtigkeit der Verkehrsinfrastruktur, sondern rein fiskalischen Zwecken. Begünstigung infolge Diskrepanz zwischen staatlicher Leistung und Gegenleistung eines Unternehmens Im Rahmen eines Austauschverhältnisses staatlicher Leistungen und der dafür erbrachten Gegenleistungen entscheidet sich das Vorliegen einer beihilferelevanten Begünstigung daran, ob diese Gegenleistungen marktüblich sind oder ob sie es nicht sind.21 Eine staatliche Maßnahme stellt nur dann eine Beihilfe dar, wenn das begünstigte Unternehmen eine wirtschaftliche Vergünstigung erhält, die diesem unter normalen Marktbedingungen nicht gewährt worden wäre. Um beurteilen zu können, ob eine staatliche Maßnahme eine Beihilfe darstellt, ist daher zu bestimmen, ob das begünstigte Unternehmen eine wirtschaftliche Vergünstigung erhält, die es unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte. [] Im Rahmen dieser Prüfung hat das nationale Gericht die normale Vergütung für die betreffenden Leistungen zu bestimmen. Eine solche Bewertung setzt eine wirtschaftliche 19 Zur näheren Bestimmung von DAWI vgl. Beschluss der Kommission vom 20.12.2011 über die Anwendung von Artikel 106 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen zugunsten bestimmter Unternehmen, die mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, ABl L 7/3, zu DAWI vgl. auch Wernicke, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (Stand: Januar 2014), Art. 14 AEUV Rn. 26. 20 Ziff. 5.1.1 Betreibervertrag. 21 Zu diesem Kriterium Schardt, Öffentliche Aufträge und das Beihilferegime des Gemeinschaftsrechts, 2002, S. 119 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 11 Analyse voraus, die allen Faktoren Rechnung trägt, die ein unter normalen Marktbedingungen tätiges Unternehmen bei der Festsetzung des Entgelts für die erbrachten Dienstleistungen hätte berücksichtigen müssen.22 Bei der Beurteilung der Angemessenheit des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung würde das Beihilfemerkmal der Begünstigung und damit die Beihilfe bei Bestehen eines marktgängigen Synallagmas entfallen.23 Eine beihilferelevante Begünstigung liegt demgemäß vor, wenn ein Gut oder eine Dienstleistung über Marktwert eingekauft wird.24 Anwendung der Beihilferegeln auf das öffentliche Beschaffungswesen Soweit Güter oder Dienstleistungen vergaberechtlich beschafft werden, stellt sich die Frage, ob das Beihilfenrecht neben dem unionsrechtlichen Vergaberecht Anwendung findet. Soweit dies der Fall ist bedarf es der Klärung, welche Rechtswirkung ein regelkonform durchgeführtes oder ein unionsrechtlichen Vorgaben nicht entsprechendes Vergabeverfahren für den in Art. 107 Abs. 1 AEUV normierten Beihilfetatbestand erzeugt, insb., ob das unionsrechtliche Vergaberecht präjudiziell für das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Beihilfe ist oder ob das Vergaberecht und Beihilfenrecht voneinander unabhängig anzuwenden sind. Das Beihilfenrecht findet nach dem heutigen Stand der Rechtsprechung grundsätzlich neben den unionsrechtlichen Vorgaben des öffentlichen Auftragsrechts Anwendung.25 Auch das öffentliche Beschaffungswesen soll sich an dem Prinzip vom marktwirtschaftlich handelnden Wirtschaftsteilnehmer orientieren. Das EuG stellte in seiner Entscheidung vom 28. Januar 1999 in der Rechtssache Bretagne Angleterre Irlande (BAI)26 fest, dass nicht nur dann, wenn der Staat als Investor, Verkäufer oder Kreditgeber handele, die von ihm verfolgten kulturellen und sozialen Ziele für Zwecke der Anwendung des beihilfenrechtlichen Verbots außer Betracht bleiben müssten, sondern auch dann, wenn das allgemeine Beschaffungsverhalten der öffentlichen Hand betroffen sei. 22 EuGH, Urt. v. 11.7.1996, Rs. C-39/94 (SFEI ua/La Poste) Rn. 60 f.; ähnlich auch EuGH, Urt. v. 29.3.1999, Rs. C-342/96 (Spanien/Kommission) Rn. 41. 23 EuG, Urt. v. 17.10.2002, Rs. 98/00 (Linde/Kommission) Rn. 35. 24 EuG, Urt. v. 13.1.2004, Rs. T-158/99 (Thermenhotel Stoiser Franz u.a.) Rn. 108. 25 Dazu näher dazu näher Schardt, Öffentliche Aufträge und das Beihilferegime des Gemeinschaftsrechts, 2002, S. 81 ff., S. 232 ff. 26 EuG, Urt. v. 28.1.1999, Rs. T-14/96 (Bretagne Angleterre Irland/Kommission); dazu näher Schardt, Öffentliche Aufträge und das Beihilferegime des Gemeinschaftsrechts, 2002, S. 232 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 12 …eine zugunsten eines Unternehmens getroffene staatliche Maßnahme in Form eines Vertrages über den Erwerb von Reisegutscheinen [kann] nicht allein deshalb von vornherein vom Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne von Artikel 92 des Vertrages ausgenommen werden, weil sich die Vertragsparteien zu gegenseitigen Leistungen verpflichten.27 […] Zudem ist darauf hinzuweisen, daß die kulturellen und sozialen Ziele, die die spanischen Behörden möglicherweise verfolgen, bei der Qualifizierung der Vereinbarung von 1995 im Hinblick auf Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages keine Rolle spielen. Denn nach ständiger Rechtsprechung unterscheidet Artikel 92 Absatz 1 nicht nach den Gründen und Zielen der staatlichen Maßnahmen, sondern bestimmt diese nach ihren Wirkungen.28 Mit dieser Entscheidung dürfte geklärt sein, dass auch das allgemeine Beschaffungsverhalten der öffentlichen Hand, im konkreten Fall die Vergabe eines Dienstleistungsauftrages, nicht nur nach den EU-Vergaberechtsrichtlinien zu beurteilen ist, sondern zusätzlich nach Art. 107 AEUV. Die Überprüfbarkeit vergaberechtlicher Beschaffungen von Gütern oder Dienstleistungen am Maßstab des EU-Beihilfenrechts folgt bereits aus der Vorrangstellung des primärrechtlich statuierten Beihilfenrechts in der Normenhierarchie gegenüber den sekundärrechtlichen Vergaberichtlinien . Die öffentliche Auftragsvergabe ist daher auch anhand beihilfenrechtlicher Kriterien überprüfbar . Dies gilt selbst für abgeschlossene Beschaffungsvorgänge.29 Die Einhaltung vergaberechtlicher Vorschriften führt daher nicht automatisch dazu, dass eine Beschaffung dann auch in Übereinstimmung mit dem Beihilfenrecht steht. Das Beihilfenrecht kann zudem über vergaberechtliche Vorgaben hinaus besondere, bereits bei der Gestaltung des Vergabeverfahrens zu beachtende Anforderungen stellen wie die Marktüblichkeit der gegenseitigen Vertragspflichten.30 Ein öffentlicher Beschaffungsvertrag kann als Begünstigung i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV qualifiziert werden, wenn die Vergütung der von der öffentlichen Hand eingekauften Leistungen oberhalb des handelsüblichen Preises liegt, oder wenn Auftragnehmer ohne wirtschaftlich nachvollziehbaren Grund in anderer Weise begünstigt werden.31 Das Spannungsverhältnis von Beihilfe- und Vergaberecht löst die Kommission in der Weise auf, dass sie im Grundsatz davon ausgeht, dass die Wahrung vergaberechtlicher Vorgaben zur Vermu- 27 EuG, Urt. v. 28.1.1999, Rs. T-14/96 (Bretagne Angleterre Irland/Kommission) Rn. 71. 28 EuG, Urt. v. 28.1.1999, Rs. T-14/96 (Bretagne Angleterre Irland/Kommission) Rn. 81. 29 Lübbig, EuZW 1999, S. 672. 30 Arhold, in Münchener Kommentar, Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht Bd 5, 2. Aufl. 2018, Art. 107 AEUV Rn. 291. 31 Lübbig, EuZW 1999, S. 672. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 13 tung der Beihilfefreiheit dann führt, wenn Vergabevorschriften ein offenes Verfahren voraussetzen , dieses in einem wettbewerblichen, transparenten, diskriminierungsfreien und bedingungsfreien Ausschreibungsverfahren erfolgt.32 Die Kommission geht davon aus, dass ein regelkonform durchgeführtes Vergabeverfahren eine Überkompensation vermeidet. Ein regelkonformes Vergabeverfahren schaffe einen transparenten Markt, reduziere die Risiken nicht marktkonformer Preisbildung und sei ein Indiz für die Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung. Dieser Ansatz der Kommission, die regelkonforme Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens als Indiz für die Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung zu werten, findet ihre Bestätigung in der Rechtsprechung des EuGH.33 Vor diesem Hintergrund ist zu vermuten, dass Aufträge unter marktüblichen Bedingungen vergeben werden, wenn das Vergabeverfahren nach den einschlägigen Richtlinien über das öffentliche Auftragswesen durchgeführt wird.34 In diesem Fall geht die Kommission i.d.R. davon aus, dass keine Beihilfe vorliegt. In particular, the Commission considers that when these types of infrastructure arrangements are concluded after the observance of an open, transparent and non-discriminatory procedure, it is, in principle, presumed that the level of any public sector support can be regarded as representing the market price for the execution of a project. This conclusion should lead to the assumption that, in principle, no State aid is involved.35 Grundlage dieser Vermutung ist ein offenes, transparentes und diskriminierungsfreies Ausschreibungsverfahren . Die Marktkonformität einer Transaktion kann bei Fehlen transparenter Marktpreise durch das Verfahren indiziert sein, in dem die Gegenleistung ermittelt wird. Wird die Gegenleistung in einem offenen, transparenten, hinreichend bekanntgemachten, diskriminierungsfreien und bedingungsfreien Ausschreibungsverfahren im Einklang mit den Grundsätzen der Vergaberichtlinien ermittelt, so wird deren Marktkonformität vermutet. […] Wenn der Verkauf und Kauf von Vermögenswerten, Waren und Dienstleistungen (oder andere vergleichbare Transaktionen […] in einem wettbewerblichen […], transparenten, 32 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (nachfolgend: Beihilfemitteilung), ABl. C 262/1 vom 19. Juli 2016, Rn. 89. 33 EuGH, Urt. v. 20.9.2001, Rs. C-390/98 (Banks) Rn. 77; Urt. v. 24.7.2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans) Rn. 93. Es wird auch in der Literatur vielfach befürwortet, so Kühling, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Rn. 36; Cremer , in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 107 AEUV Rn. 14. 34 von Wallenberg/Schütte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (Stand: Januar 2016), Art. 107 AEUV Rn. 92. 35 Europäische Kommission, Entscheidung Beihilfe N 264/2002 - State aid No N 264/2002 – United Kingdom, London Underground Public Private Partnership Rn. 79. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 14 diskriminierungsfreien und bedingungsfreien Ausschreibungsverfahren erfolgt, das mit den Vorschriften des AEUV zum öffentlichen Beschaffungswesen im Einklang steht […], kann davon ausgegangen werden, dass diese Transaktionen den Marktbedingungen entsprechen , sofern die unter den Randnummern 95 und 96 genannten einschlägigen Kriterien zur Auswahl des Käufers bzw. Verkäufers angewendet worden sind.36 Diese Vermutung soll nachfolgend bei Vorliegen besonderer Umstände wie folgt eingeschränkt werden: […] Für die Einhaltung der obigen Anforderungen kann es als ausreichend angesehen werden, wenn die in den Vergaberichtlinien […] vorgesehenen Verfahren angewandt und eingehalten werden, sofern alle Voraussetzungen für die Anwendung des jeweiligen Verfahrens erfüllt sind. Dies gilt nicht bei Vorliegen besonderer Umstände, die die Ermittlung eines Marktpreises unmöglich machen, wie etwa beim Rückgriff auf das Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung. Wenn nur ein einziges Angebot abgegeben wird, ist das Verfahren in der Regel nicht ausreichend, um einen Marktpreis zu erhalten, außer wenn i) bei der Ausgestaltung des Verfahrens besonders strenge Vorkehrungen getroffen wurden, um echten und wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten, und nicht offensichtlich ist, dass realistisch betrachtet nur ein einziger Wirtschaftsbeteiligter in der Lage sein dürfte, ein glaubwürdiges Angebot einzureichen, oder ii) sich die Behörden durch zusätzliche Maßnahmen vergewissern, dass das Ergebnis dem Marktpreis entspricht .37 Soweit das nicht der Fall ist, soll auf ein Benchmarking oder andere anerkannte Bewertungsmethoden – allgemein anerkannte Standard-Bewertungsmethoden – zurückgegriffen werden.38 In dem für das Vergabeverfahren Betreibervertrag zwar nicht einschlägigen, für das Verhältnis von Beihilfeverfahren und Vermutung der Beihilfefreiheit von Vergabeverfahren aufschlussreich ist der Unionsrahmen für staatliche Beihilfen für Forschung, Entwicklung und Innovation.39 Unter Ziff. 32 und 33 präzisiert die Kommission Grund und Grenzen vorstehender Vermutungsregel : 32. Wird die öffentliche Vergabe im Wege eines offenen Ausschreibungsverfahrens im Einklang mit den geltenden Richtlinien durchgeführt […], geht die Kommission in der Regel davon aus, dass die Unternehmen, die die betreffenden Dienstleistungen erbringen, keine staatlichen Beihilfen im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 AEUV erhalten. 36 Beihilfemitteilung Rn. 89. 37 Beihilfemitteilung Rn. 93. 38 Beihilfemitteilung Rn. 97, 101. 39 ABl. 2014 C 1 Kap. 2.3. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 15 33. In allen anderen Fällen einschließlich der vorkommerziellen Auftragsvergabe geht die Kommission davon aus, dass keine staatlichen Beihilfen für die betreffenden Unternehmen vorliegen, wenn der für die einschlägigen Dienstleistungen gezahlte Preis vollständig dem Marktwert des von dem öffentlichen Auftraggeber erzielten Nutzens und den Risiken der beteiligten Anbieter entspricht; dies ist insbesondere dann der Fall, wenn alle der folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: a) Das Auswahlverfahren ist offen, transparent und diskriminierungsfrei und stützt sich auf vorab festgelegte objektive Auswahl- und Zuschlagskriterien. b) Die geplanten vertraglichen Vereinbarungen, in denen alle Rechte und Pflichten der Vertragspartner – u. a. hinsichtlich der Rechte des geistigen Eigentums – festgelegt sind, werden allen interessierten Bietern vor Beginn des Ausschreibungsverfahrens zur Verfügung gestellt. c) Bei der Auftragsvergabe wird den beteiligten Anbietern bei der in kommerziellem Umfang erfolgenden Bereitstellung der Endprodukte oder der Enddienstleistungen für einen öffentlichen Auftraggeber in dem jeweiligen Mitgliedstaat keine Vorzugsbehandlung zuteil . Nach Auffassung der Kommission soll ein wirtschaftlicher Vorteil für den Betreiber insbesondere dann auszuschließen sein, wenn die Konzession für den Betrieb einer Infrastruktur (bzw. von Teilen einer Infrastruktur) im Wege eines Ausschreibungsverfahrens zu einem positiven Preis vergeben wird, soweit die übrigen, soeben dargestellten Voraussetzungen für diese Vermutungsregel erfüllt sind.40 Auch für diesen Sonderfall gilt, dass die Vermutungsregel für das Fehlen eines beihilferelevanten Vorteils Anwendung findet, soweit ein regelkonformes, allen Anforderungen der Beihilfemitteilung Rn. 89 ff. entsprechendes Beihilfeverfahren durchgeführt wird. Die Vermutungsregel, dass in offenen, transparenten und diskriminierungsfreien Ausschreibungsverfahren erfolgende Vergaben beihilfefrei sind, gilt auch für das in Art. 29 Richtlinie 2014/24 über die öffentliche Auftragsvergabe41 vorgesehene und nach diesen Grundsätzen durchgeführte Verhandlungsverfahren. Wenn aufgrund des Auftragsgegenstands die Wahl des Verhandlungsverfahrens gerechtfertigt ist, ist dieses grundsätzlich auch zum Nachweis der Beihilfefreiheit geeignet.42 Das sich mit der Üblichkeit und Angemessenheit der Kündigungsregelungen im Betreibervertrag vor dem Hintergrund des Urteils des EuGH zur PkW-Maut befassende Gutachten von Linklaters 40 Beihilfemitteilung Rn. 223. 41 Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG, ABl. L 94/65. 42 Kommission, Entscheidung Staatliche Beihilfe N110/2008 – Deutschland Hafeninfrastruktur – öffentliche Finanzierung des Projekts JadeWeserPort Rn. 72 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 16 vom 23.10.201943 verweist darauf, dass die in Frage stehende Kündigungs- und Entschädigungsregelung im Rahmen der Verhandlungen mit den ausgewählten vier Bietern aufgenommen und deren Ausgestaltung daher wettbewerblich ermittelt worden sei. Die in Frage stehende Regelung zur Kündigung sei im Anschluss an die Verhandlungen überarbeitet und im Vorfeld der Aufforderung zur Abgabe des finalen Angebots in den Betreibervertrag eingeführt worden. Die Entschädigungsregelung sei somit bereits vor der entsprechenden Angebotsabgabe in das Verfahren eingeführt worden. Wäre das Vergabeverfahren so abgelaufen, wäre letztlich gleichwohl nur ein Angebot abgegeben worden.44 Dann ist aber fraglich, ob sich auf das tatsächlich durchgeführte Vergabeverfahren die Vermutung stützen ließe, dass hierbei marktkonforme Vertragsbedingungen zustande gekommen sind. Die Grenzen der Vermutungswirkung eines vergaberechtskonformen Beschaffungsverfahrens für die Einhaltung der Vorgaben des Beihilfenrechts skizziert die Kommission in ihrer Beihilfemitteilung in Rn. 93: Wenn nur ein einziges Angebot abgegeben wird, ist das Verfahren in der Regel nicht ausreichend , um einen Marktpreis zu erhalten, außer wenn i) bei der Ausgestaltung des Verfahrens besonders strenge Vorkehrungen getroffen wurden, um echten und wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten, und nicht offensichtlich ist, dass realistisch betrachtet nur ein einziger Wirtschaftsbeteiligter in der Lage sein dürfte, ein glaubwürdiges Angebot einzureichen , oder ii) sich die Behörden durch zusätzliche Maßnahmen vergewissern, dass das Ergebnis dem Marktpreis entspricht. Ob bei der Ausgestaltung des Vergabeverfahrens zum Betreibervertrag besondere Vorkehrungen getroffen wurden, um einen echten und wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten, lässt sich auf Grundlage der vorliegenden Informationen nicht abschließend entscheiden.45 Da Verhandlungen mit mehreren Bietern geführt wurden, dürfte wenig dafür sprechen, dass nur ein einziger Wirtschaftsbeteiligter in der Lage war, ein glaubwürdiges Angebot einzureichen. Soweit die Entschädigungsregelung durch Verhandlung mit den vier Bietern zustande gekommen ist und der Bieter, der als einziger ein Angebot abgegeben hatte, nicht wusste, dass die anderen 43 Gutachterliche Stellungnahme zur Üblichkeit und Angemessenheit der Kündigungsregelungen im Betreibervertrag vor dem Hintergrund des Urteils des EuGH zu PKW-Maut vom 23. Oktober 2019, S. 56. 44 Im Schrifttum wird allerdings angezweifelt, ob das BMVI das in Frage stehende Vergabeverfahren regelkonform durchgeführt hat; vgl. le Belle/Paraschiakos/Schulze, Infrastruktur Recht: Energie, Verkehr, Abfall, Wasser, 2020, S. 129 (131), die bei diesem Verfahren eine Verstoß gegen Art. 29 Abs. 3 Richtlinie 2014/24 EU ausmachen. 45 Ähnlich auch die Einschätzung von le Belle/Paraschiakos/Schulze, Infrastruktur Recht: Energie, Verkehr, Abfall , Wasser, 2020, S. 129 (131). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 17 ursprünglichen Bieter keine finalen Angebote abgegeben hatten46, wäre eine Vorkehrung dafür getroffen worden, bei der Ausgestaltung des Verfahrens in einem gewissen Umfang Wettbewerb zu gewährleisten. Darüber hinaus ist nicht erkennbar, welche zusätzlichen Vorkehrungen im Übrigen im Rahmen des Vergabeverfahrens zur Gewährleistung des Zustandekommens von Vertragsbedingungen im echten und wirksamen Wettbewerb getroffen wurden. Solche Vorkehrungen waren deshalb angezeigt, weil eine wesentliche Vertragsbedingung des Vergabeverfahrens – die in Frage stehende Kündigungs- und Entschädigungsregelung – erst in der Verhandlungsphase finalisiert wurde, diese mithin nicht Teil der ursprünglichen Ausschreibung war. Nach der Entscheidung der Kommission vom 2.10.2002 N 264/2002 United Kingdom London Underground Public Private Partnership hängt die Reichweite der von einem vergaberechtskonformen Vergabeverfahren in Gestalt eines Verhandlungsverfahrens ausgehenden Vermutung der Marktkonformität davon ab, ob nach der Auswahl des Bieters wesentliche Änderungen vorgenommen wurden.47 In Übereinstimmung mit dem Unionsrecht können danach zwar die Vertragsdetails nach der Auswahl der bevorzugten Bieter geändert werden, ohne dass dies automatisch die Vermutung entkräftet, dass die Vertragskonditionen den Marktbedingungen entsprechen. Dies soll nach Ansicht der Kommission aber voraussetzen, dass nach der Auswahl der Bieter keine wesentlichen Veränderungen gegenüber der ursprünglichen Ausschreibung mehr vorgenommen werden. Maßstab dafür, ob veränderte Vertragskonditionen wesentlich sind, soll sein, ob die Änderungen für potentielle Bieter, die ursprünglich kein Angebot abgegeben hatten, nunmehr einen Anreiz zur Angebotsabgabe geben oder ob von diesen ein solcher Anreiz nicht ausgeht. Moreover, the Commission considers that the modifications after the selection of the bidders are of a degree which is acceptable under EC legislation, and that they are not so substantial , individually or collectively, as to be likely to have attracted prospective tenderers which did not consider tendering following publication of the original OJEC Notices.48 Dies lässt sich an dieser Stelle auf Grundlage der verfügbaren Informationen nicht abschließend beantworten. Eine Entschädigung auf der Grundlage des Bruttounternehmenswertes49 nach Abzug ersparter Aufwendungen und anderweitiger Erwerbsmöglichkeiten als Entschädigung für die ausgebliebene Vollamortisierung der getätigten Investitionen erscheint mit Blick auf die Risikoübernahme 46 So der Hinweis in Linklaters LLP, gutachterliche Stellungnahme zur Üblichkeit und Angemessenheit der Kündigungsregelungen im Betreibervertrag vor dem Hintergrund des Urteils des EuGH zur Pkw-Maut v. 23. Oktober 2019, S. 57. 47 Europäische Kommission, Entscheidung State aid No N 264/2002 – United Kingdom London Underground Public Private Partnership Rn. 87 bis 89. 48 Europäische Kommission, Entscheidung State aid No N 264/2002 – United Kingdom London Underground Public Private Partnership Rn. 89. 49 Vgl. oben S. 5 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 18 des Auftraggebers für den Ausgang der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch ausstehenden Entscheidung des EuGH zur PKW-Maut eine durchaus attraktive Kündigungsregel, die aus wirtschaftlicher Sicht im Falle einer Neuausschreibung vermutlich für weitere Wettbewerber einen Anreiz schaffen könnte, ihrerseits Angebote abzugeben und so Chancen für einen erneuten Eintritt in den Wettbewerb zu eröffnen. Es dürfte vor diesem Hintergrund einiges dafür sprechen, dass ausgehend von den Vorgaben der Kommission das Vergabeverfahren Betreibervertrag – auch im Falle seines regelkonformen Verlaufes – nicht die Vermutung der Beihilfefreiheit hinreichend begründete. Abschließend kann diese Frage auf Grundlage der vorliegenden Informationen nicht beantwortet werden. Soweit nach den Vorgaben der Kommission vorstehende Vermutung der Beihilfefreiheit regelkonform durchgeführter Beihilfeverfahren keine Anwendung findet, würde nach der Beihilfemitteilung der Kommission ein durchgeführtes Vergabeverfahren noch nicht den direkten und spezifischen Nachweis für die Marktkonformität des Betreibervertrags erbringen.50 Die Einhaltung der Marktbedingungen wäre dann anhand von Benchmarking oder anderer Bewertungsmethoden zu ermitteln.51 Benchmarking Die Überprüfung der Marktkonformität von Austauschgeschäften kann mit einem als Benchmarking bezeichneten Vergleichsverfahren festgestellt werden. Um festzustellen, ob eine Transaktion die Marktbedingungen erfüllt, kann sie anhand der Bedingungen geprüft werden, zu denen vergleichbare Transaktionen von vergleichbaren privaten Wirtschaftsbeteiligten in einer vergleichbaren Lage vorgenommen wurden (Benchmarking).52 Bei diesem Verfahren sollen schematische Feststellungen anhand von vorgegebenen Indikatoren vermieden werden. Vielmehr müssen die verfügbaren Marktbenchmarks gegebenenfalls an die Besonderheiten der staatlichen Transaktion […] angepasst werden.53 Die Rechtsprechung verlangt dabei, dass ein standardisierter Vergleichsmaßstab die Kommission nicht von ihrer Pflicht entbindet, alle maßgeblichen Aspekte des streitigen Vorgangs und seinen Kontext, einschließlich 50 Beihilfemitteilung Rn. 97. 51 Beihilfemitteilung Rn. 97. 52 Beihilfemitteilung Rn. 98. 53 Beihilfemitteilung Rn. 99. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 19 der Lage des begünstigten Unternehmens und des betroffenen Marktes, zu prüfen, um festzustellen , ob das begünstigte Unternehmen eine wirtschaftliche Vergünstigung erhält, die es unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte.54 Daran wird bereits deutlich, dass sich das Vorliegen einer den Tatbestand der Beihilfe erfüllenden Begünstigung im Wege des Benchmarking letztlich nur von der Kommission im Rahmen eines Beihilfeverfahrens feststellen lässt. Beim Benchmarking bietet es sich an, die in Frage stehende Kündigungs- und Entschädigungsregelung mit denen in anderen Infrastrukturverträgen bzw. vergleichbaren Verträgen bei ÖPP-Projekten zu vergleichen.55 Als Tendenz, ohne dies abschließend mangels Kenntnis aller einschlägigen Verträge beurteilen zu können, dürfte dabei auszumachen sein, dass im Grundsatz der Gläubiger einer Sachleistung auch ihr Verwendungs- und Verfügbarkeitsrisiko trägt, dieser Grundsatz allerdings nicht ohne Weiteres gelten soll, wenn von einer Risikobeteiligung des Schuldners – etwa durch Teilhabe am Verwendungszweck durch erhöhte Gegenleistung oder Beteiligung am Umsatz des Gläubigers – auszugehen ist.56 Ein klares Leitbild für die Risikoverteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer ist bei ÖPP-Projekten nicht ohne Weiteres auszumachen.57 In Verträgen zur Realisierung von Infrastrukturvorhaben erfüllen Risikoregelungen die Funktion, Risikokosten zu minimieren, um so das Projekt möglichst kostengünstig verwirklichen zu können . Diese Funktion erfüllen nur solche Haftungsregelungen, die Risikoallokationen nach den 54 EuG, Urt. v. 6.3.2003, verb. Rs. T-228/99 und T-233/99 (Westdeutsche Landesbank Girozentrale und Land Nordrhein -Westfalen/Kommission) Rn. 251. 55 Die typischen Kündigungsfolgen in ausgewählten Muster-Infrastrukturverträgen erfasst das Gutachten von Chatham Partners (oben Fn. 3) tabellarisch dort in der Anlage 4; die in dem Gutachten von Linklaters LLP (oben Fn. 44) auf S. 28 ff. angeführten Beispiele von ÖPP Verträgen bzw. Musterverträgen, die eine Risikoverteilung bei Rechtsänderungen regeln, scheinen nichts anderes zu belegen, soweit die bei Vertragsschluss absehbaren Rechtsänderungen von den Auftragnehmern zu tragen sind. Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, weshalb die Musterverträge der staatlichen Vergabestellen des Vereinigten Königreichs für Infrastrukturprojekte, ÖPP-Verträge in anderen europäischen Ländern oder gar der Planungskommission der indischen Regierung die Marktüblichkeit der in deutschen ÖPP-Projekten typischerweise vorgenommenen Risikozuordnung bestätigen sollen. 56 Finkenauer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 313 BGB Rn. 255 f., Roth, NZBau 2006, S. 84 (85 f.). 57 Roth, NZBau 2006, S. 84 (86) spricht in diesem Zusammenhang von einer ergebnisoffenen Risikoverteilung bei ÖPP: le Belle/Paraschiakos/Schulze, Infrastruktur Recht: Energie, Verkehr, Abfall, Wasser, 2020, S. 129 (131) verweisen darauf, dass die vereinbarte Entschädigungsfolge einer Kündigung aus ordnungspolitischen Gründen nicht der Vergabepraxis bei vergleichbaren ÖPP-Projekten in Deutschland entspreche. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 20 von den Vertragspartnern beeinflussbaren Umständen vornehmen.58 Eine andersartige Risikoverteilung kann zu unwirtschaftlichen Ergebnissen führen.59 Eine derartige Steuerungsfunktion nach dem Grundsatz der Beherrschbarkeit von Risiken kann von der vorliegend untersuchten Kündigungs - und Entschädigungsregelung nicht ausgehen, da keine der Vertragsparteien auf die nach Abschluss des Betreibervertrags noch ausstehende EuGH-Entscheidung zur PKW-Maut Einfluss hatte. Unter dem Aspekt der Risikoallokation schafft diese Regelung für den Auftragnehmer keinen Anreiz, „Risikokosten“ zu minimieren, da dieser von dem Risiko der rechtlichen Durchführbarkeit des Projekts von vornherein freigestellt ist. Diese Regelung bietet mithin keine Grundlage für die Annahme, dass diese als marktgerecht anzusehen bzw. dass insgesamt von einem angemessenen Leistungs-Gegenleistungsverhältnis des Vertragsverhältnisses auszugehen ist. Welche Vertragspartei die Folgen einer Kündigung zu tragen hat, wird vielfach davon abhängig gemacht, wer von diesen den Kündigungsgrund zu vertreten hat oder ob keine Partei den Kündigungsgrund zu vertreten hat.60 Im Übrigen wird in den Erläuterungswerken zu ÖPP-Verträgen darauf hingewiesen, dass sich allgemein gültige Standards für die Risikoverteilung in derartigen Verträgen noch nicht herausgebildet hätten. Da die Vergabeverfahren zu ÖPP-Vorhaben in der Regel als Verhandlungsverfahren durchgeführt würden, käme es in den Vertragsverhandlungen in einem nicht unerheblichen Umfang zudem zur Anpassung von Vertragsklauseln.61 Vielfach sind rechtliche Aspekte wie die Risikoverteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer Gegenstand des wettbewerblichen Dialogs.62 Vor diesem Hintergrund ließe sich nicht ohne Weiteres feststellen, dass die in Frage stehende Kündigungs- und Entschädigungsregelung des Betreibervertrags einer dazu geübten Vertragspraxis bei Infrastrukturverträgen bzw. vergleichbaren Verträgen bei ÖPP-Projekten entspräche. Im Rahmen des Benchmarking ließe sich auch auf die gesetzlich normierten Kündigungsregeln abstellen, die eine Leitbildfunktion erfüllen und zur Anwendung kämen, falls ein Infrastrukturvertrag keine Kündigungsregelung enthielte. Soweit die Kündigungsregelung im Betreibervertrag Teil eines als öffentlich-rechtlich zu beurteilenden Vertragsverhältnisses wäre, wäre diese mit den im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) 58 Schede/Benighaus in: Weber/Schäfer/Hausmann, Praxishandbuch Public Private Partnership, 2. Auflage 2018, S. 299; Pfnür/Schetter/Schöbener, Risikomanagement bei Public Private Partnerships, 2010, S. 43 ff.; Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung/Finanzgruppe Deutscher Sparkassen- und Giroverband, PPP- Handbuch, 2. Aufl. 2009, S. 81. 59 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung/Finanzgruppe Deutscher Sparkassen- und Giroverband , PPP-Handbuch, 2. Aufl. 2009, S. 80. 60 Roquette/Scherer-Leydecker in: Roquette/Otto, Vertragsbuch Privates Baurecht, 2. Auflage 2011, Öffentlich-Private Partnerschaften, Rn. 410. 61 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung/Finanzgruppe Deutscher Sparkassen- und Giroverband , PPP-Handbuch, 2. Aufl. 2009, S. 259. 62 Huber, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, VgV § 18 Rn. 13; Europäische Kommission , Generaldirektion Binnenmarkt- und Dienstleistungen. Vergabewesen. Erläuterungen – Wettbewerblicher Dialog – Klassische Richtlinie vom 16.2.2016 Ziff. 3.2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 21 vorgesehenen Kündigungsregeln zu vergleichen. Ein Sonderkündigungsrecht für Behörden sieht § 60 Abs. 1 Satz 2 VwVfG zur Vermeidung und Beseitigung schwerer Nachteile für das Gemeinwohl vor.63 Das VwVfG normiert allerdings im Falle einer wirksamen Kündigung keine eigenständigen Rechtsfolgen.64 Nach den ergänzend zur Anwendung kommenden privatrechtlichen Grundsätzen soll ein Ausgleich für in der Vergangenheit erbrachte Leistungen dann stattfinden, wenn die Vertragspartner ihre Leistungspflichten in unterschiedlichem Umfang erfüllt haben und es der vorleistenden Partei wegen einer erheblichen Äquivalenzstörung nicht zugemutet werden kann, nach einer Beendigung des Vertrags ohne Ausgleich zu bleiben, wofür die Umstände des Einzelfalls maßgebend sein sollen.65 Im Übrigen verweist § 62 Satz 2 VwVfG ergänzend auf die Vorschriften des BGB. Mit den im Falle einer Kündigung nach dem Betreibervertrag nach Ziff. 26.3.4. aus ordnungspolitischen Gründen ausgelösten Rechtsfolgen vergleichbar sind die in § 648 BGB vorgesehenen Folgen . Nach § 648 Abs. 1 BGB kann der Besteller bis zur Vollendung des Werkes jederzeit den Vertrag ohne Vorliegen von Kündigungsgründen kündigen. Der Besteller kann dann die vereinbarte Vergütung beanspruchen, muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt (§ 648 Abs. 1 S. 2 BGB). Diese Regelung könnte als Vergleichsmaßstab für die vorliegend untersuchte Kündigungs- und Entschädigungsregelung in Betracht kommen, da von den gesetzlich typisierten Verträgen die vorliegend untersuchten Teile des Betreibervertrags wohl am ehesten dem eines Werkvertrags entsprechen dürfte.66 § 648 BGB ist allerdings nur hinsichtlich der hierin vorgesehenen Rechtsfolgen mit den durch eine Kündigung nach dem Betreibervertrag Ziff. 26.3.4. verbundenen Kündigungsfolgen vergleichbar .67 Bei ersterer Vorschrift dient die Zuerkennung des Vergütungsanspruchs der Kompensation nur für den Sonderfall des freien Kündigungsrechts nach § 648 Abs. 1 Satz 1 BGB.68 Die in § 648 Abs. 1 Satz 2 BGB vorgesehene umfassende Verpflichtung zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung findet bereits für den Bauträgervertrag keine Anwendung bei Kündigung des werkver- 63 Vgl. § 60 Abs. 1 Satz 1 VwVfG und § 62 Satz 2 VwVfG i.V.m. § 314 BGB. 64 Bonk/Neumann/Siegel, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 60 Rn. 39. 65 Bonk/Neumann/Siegel, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 60 Rn. 39. 66 Zu den einzelnen gesetzlich vorgesehenen Vertragstypen, denen die komplexe Ausgestaltung des Betreibervertrages entspricht, vgl. Neumann, Schmeer und Partner, Rechtliches Kurzgutachten zur Risikovorsorge im PKW- Maut-Betreibervertrag vom 30.12.2018 für den Fall der Europarechtswidrigkeit der deutschen PKW-Maut-Gesetzgebung , 2.9.2019, S. 24 f. 67 So auch Neumann, Schmeer und Partner, Rechtliches Kurzgutachten zur Risikovorsorge im PKW-Maut-Betreibervertrag vom 30.12.2018 für den Fall der Europarechtswidrigkeit der deutschen PKW-Maut-Gesetzgebung, 2.9.2019, S. 32.. 68 Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 648 BGB Rn. 2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 22 traglichen Vertragsteils (§ 650u Abs. 2 BGB). Eine umfassende Entrichtung der vereinbarten Vergütung ist nicht für Kündigungen vorgesehen, die einen Sachgrund voraussetzen. Erfolgt die Kündigung etwa nach § 648a Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund, ist der Unternehmer nur berechtigt , die Vergütung zu verlangen, die auf den bis zur Kündigung erbrachten Teil des Werks entfällt (§ 648a Abs. 5 BGB). Ist die Durchführung eines Werkvertrages rechtlich unmöglich geworden, entfällt nach § 326 Abs. 1 BGB im Grundsatz die Gegenleistung. Etwas anderes gilt nur, wenn der Gläubiger die Unmöglichkeit zu vertreten hat (§ 326 Abs. 2 S. 1 BGB).69 Die von den Auftragnehmern geschuldeten Leistungen – die Errichtung der technischen Infrastruktur zur Mauterhebung und die Erhebung der Infrastrukturabgabe durch diesen – ließen sich zwar durchführen und waren daher zwar möglich, die Verwendung in dem vorgesehenen Sinne einer Vereinnahmung der Infrastrukturabgabe durch den Bund bei gleichzeitiger steuerlicher Entlastung inländischer KfZ-Halter wäre hingegen aufgrund der Entscheidung des EuGH zur PKW- Maut unionsrechtswidrig. Dies ließe den Schluss zu, dass die Erhebung der Infrastrukturabgabe insgesamt rechtlich unmöglich ist.70 Die Gegenleistungspflicht – die Vergütung des Betreibers – bliebe bestehen, wenn der Auftraggeber für den zur Unmöglichkeit führenden Umstand allein oder weit überwiegend verantwortlich ist (§ 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB). Davon kann nicht ohne Weiteres ausgegangen werden, da der Auftraggeber auf die ausstehende EuGH-Entscheidung keinen Einfluss hatte und diese als Ausfluss judikativer Gewalt eines Unionsgerichts außerhalb des Verantwortungsbereichs der Bundesregierung lag und auch die Auftragnehmer diese Risikolage kannten. Es ist zwar rechtlich möglich, dass der Auftraggeber ein Leistungshindernis übernimmt und dann auch für den Vergütungsanspruch nach § 326 Abs. 2 S. 1 Alt 1 BGB einzustehen haben.71 Dies würde dann allerdings nicht mehr dem Leitbild für die Verteilung von Haftungsrisiken im Rahmen des Werkvertrags entsprechen und damit keinen Maßstab für die Marktüblichkeit eines entsprechenden Austauschverhältnisses bilden. Die Marktkonformität der Kündigungsregelung in Ziff. 26.3. v) des Betreibervertrags und der dafür vorgesehenen Entschädigung für den Betreiber dürfte in einem Vergleichsverfahren nicht ohne Weiteres feststellbar sein. Vorstehende Erwägungen, die sich vermutlich nicht auf alle Quellen stützen können, legen dies zumindest nicht nahe. Im Schrifttum wird darauf verwiesen, dass diese Regelung nicht der deutschen Vergabepraxis bei vergleichbaren ÖPP-Projekten in 69 Wolf/Eckert/Denz/Gerking/Holze/Künnen/Kurth, JA 2020, S. 401 (403), die m.w.N. den Fortfall des mit einem Werkvertrag verfolgten Zweck als Fall der Unmöglichkeit abhandeln. 70 Zu diesem Ergebnis kommt auch das Gutachten von Linklaters LLP (oben Fn. 44) S. 35 f. 71 BGH, Urt. v. 13.1.2011, III ZR 87/10. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 23 Deutschland entspreche.72 Es wäre Aufgabe der Kommission, dies in einem förmlichen Beihilfeverfahren aufzuklären. Feststellung von Marktbedingungen nach anerkannten Standard-Bewertungsmethoden Ob ein Austauschverhältnis den Marktbedingungen entspricht, kann auch mittels allgemein anerkannter Standard-Bewertungsmethoden festgestellt werden. Die Beihilfemitteilung trifft hierzu folgende Festlegungen: Ob eine Transaktion mit den Marktbedingungen im Einklang steht, kann auch anhand einer allgemein anerkannten Standard-Bewertungsmethode festgestellt werden […]. Eine solche Methode muss auf den verfügbaren objektiven, überprüfbaren und zuverlässigen Daten […] beruhen, die hinreichend detailliert sein müssen und unter Berücksichtigung der Höhe des Risikos und der Erwartungen für die Zukunft […] die wirtschaftliche Lage zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Transaktion widerspiegeln sollten. Je nach dem Wert der Transaktion sollte die Belastbarkeit der Bewertung in der Regel durch eine Sensitivitätsanalyse bestätigt werden, bei der verschiedene Geschäftsszenarios geprüft, Notfallpläne ausgearbeitet und die Ergebnisse mit alternativen Bewertungsmethoden verglichen werden. Eine neue (Ex-ante-)Bewertung kann erforderlich sein, wenn die Transaktion sich verzögert und den jüngsten Veränderungen der Marktbedingungen Rechnung getragen werden muss.73 Auch dieses Verfahren dient der Feststellung des für das Vorliegen einer beihilferelevanten Begünstigung maßgebenden Kriteriums eines angemessenen Leistungs-Gegenleistungsverhältnisses, wofür es wiederum darauf ankommt, ob ein Unternehmen eine Begünstigung erhält, die es unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte. Um beurteilen zu können, ob eine staatliche Maßnahme eine Beihilfe darstellt, ist daher zu bestimmen, ob das begünstigte Unternehmen eine wirtschaftliche Vergünstigung erhält, die es unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte. […] Im Rahmen dieser Prüfung hat das nationale Gericht die normale Vergütung für die betreffenden Leistungen zu bestimmen. Eine solche Bewertung setzt eine wirtschaftliche Analyse voraus, die allen Faktoren Rechnung trägt, die ein unter normalen Marktbedingungen tätiges Unternehmen bei der Festsetzung des Entgelts für die erbrachten Dienstleistungen hätte berücksichtigen müssen.74 72 Vgl. le Belle/Paraschiakos/Schulze, Infrastruktur Recht: Energie, Verkehr, Abfall, Wasser, 2020, S. 129 (131). 73 Beihilfemitteilung Rn. 101. 74 EuGH, Urt. v. 11.7.1996 Rs. C-39/94 (La Poste) Rn. 60 f.; Urt. v. 29.4.1999, Rs. C-342/96 (Spanien/Kommission) Rn. 41. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 24 Dem Staat kommt dabei keine privilegierte Stellung dergestalt zu, dass er sich bei Investitionsentscheidungen nicht primär von wirtschaftlichen Zielsetzungen leiten müsste. Staatliche Investitionsentscheidungen werden hinsichtlich der Frage, ob ein mit ihm in einem Austauschverhältnis stehendes Unternehmen eine wirtschaftliche Vergünstigung erhält, die es unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte, mit dem Verhalten eines privaten Investors verglichen.75 Das EuG fasst in seiner Entscheidung vom 16. März 2016 in der Rechtssache T-103/1476 diese in der Rechtsprechung entwickelte Leitlinie wie folgt zusammen: Die Voraussetzungen, die eine Maßnahme erfüllen muss, um unter den Begriff „Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 AEUV zu fallen, sind jedoch nicht erfüllt, wenn das begünstigte Unternehmen denselben Vorteil, der ihm aus Staatsmitteln gewährt wurde, unter Umständen , die normalen Marktbedingungen entsprechen, hätte erhalten können […]. Diese Beurteilung erfolgt grundsätzlich unter Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers, wenn ein öffentlicher Gläubiger Zahlungserleichterungen für eine ihm von einem Unternehmen geschuldete Forderung gewährt. Dieses Kriterium gehört nämlich, wenn es anwendbar ist, zu den Merkmalen, die von der Kommission zu berücksichtigen sind, um das Vorliegen einer solchen Beihilfe festzustellen […]. Auch soweit der Staat Güter und Dienstleistungen auf dem Markt beschafft, hat er sich marktgerecht zu verhalten. Beschaffen sich staatliche Stellen Güter oder Dienstleistungen über den Marktwert, kann dies als beihilfenrechtlich relevante Begünstigung zu werten sein.77 Entsprechende Feststellungen sind zu treffen, soweit die Vermutung der Marktgerechtheit der Beschaffung bei Durchführung eines offenen, transparenten und diskriminierungsfreien Vergabeverfahrens nicht bereits zu diesem Ergebnis führt.78 Maßstab für das Vorliegen einer beihilferelevanten Begünstigung ist mithin, ob ein privates Unternehmen von vergleichbarer Größe wie die staatliche Einrichtung in vergleichbarer Lage hätte veranlasst werden können, die entsprechende Leistung zu diesen Konditionen zu gewähren (sog. Market Economy Operator Test – MEOT).79 75 Urt. v. 29.4.1999 Rs. C-342/96 (Spanien/Kommission) Rn. 46. 76 EuG Urt. v. 16.3.2016, Rs. T-103/14 (Košice a.s /Kommission) Rn. 93 f. 77 Arhold, in: Münchener Kommentar, Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2018, Art. 107 AEUV Rn. 288 m.w.N. 78 Zu dem Verhältnis der vergaberechtlichen Beschaffung zu den mittels anerkannter Standard-Bewertungsmethoden ermittelten Marktbedingungen der beschafften Güter und Dienstleistungen vgl. Arhold, in; Münchener Kommentar, Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2018, Art. 107 AEUV Rn. 290 f. 79 Vgl. dazu Beihilfemitteilung Rn. 73 ff,; EuGH, Urt. v. 11.7.1996 Rs. C-39/94 (La Poste) Rn. 60; Urt. v. 29.4.1999 Rs. C-342/96 (Spanien/Kommission) Rn. 41. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 25 Eine staatliche Beschaffung würde nach diesem Maßstab nicht als den Tatbestand der Beihilfe erfüllende Begünstigung gelten, soweit diese hinsichtlich der Relation von Leistung und Gegenleistung den Anforderungen eines normalen Handelsgeschäfts erfüllte. Diesen Maßstab legen die europäischen Gerichte ihren Entscheidungen zugrunde: Um festzustellen, ob eine solche Maßnahme den Charakter einer staatlichen Beihilfe hat, ist zu prüfen, ob ein unter normalen marktwirtschaftlichen Bedingungen handelnder privater Kapitalgeber [..] von vergleichbarer Größe wie die Verwaltungseinrichtungen des öffentlichen Sektors unter den entsprechenden Umständen zur Vornahme der fraglichen Kapitalzufuhr hätte bewegt werden können. […] Schließlich ist das Verhalten eines öffentlichen Kapitalgebers mit dem eines privaten im Hinblick darauf zu vergleichen, wie sich ein privater Kapitalgeber bei dem fraglichen Vorgang angesichts der zum entsprechenden Zeitpunkt verfügbaren Informationen und vorhersehbaren Entwicklungen verhalten hätte […].80 Zweitens ist die vorstehend beschriebene umfassende Vereinbarung als ein normales Handelsgeschäft anzusehen, in dessen Rahmen sich […] als marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftsteilnehmer verhalten haben. Offenkundig haben sich diese Beteiligten vor allem von kaufmännischen Erwägungen unter Ausschluss wirtschafts- oder sozialpolitischer Ziele leiten lassen.81 Transaktionen entsprechen nach der Beihilfemitteilung den Marktbedingungen, wenn diese zu gleichen Bedingungen – mit gleich hohen Risiken und Erträgen – von öffentlichen Stellen und privaten Wirtschaftsbeteiligten, die sich in einer vergleichbaren Lage befinden, durchgeführt wird (Pari-passu-Transaktion).82 Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass in dem Betreibervertrag eine marktübliche Risikoverteilung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Betreiberparteien vereinbart wurde. Die Annahme, dass der Abschluss der Vereinbarung einer Kündigungsregel im Betreibervertrag aus „ordnungspolitischen Gründen“, die einen auf dem Bruttounternehmenswert basierenden Schadensersatzanspruch auslöst, vor der in absehbarer Zeit zu erwartenden höchstgerichtlichen Klärung der Frage, ob das Projekt PKW-Maut in vorliegender Form rechtlich durchführbar ist, noch als ein normales Handelsgeschäft anzusehen ist, in dessen Rahmen sich Staat und Vertragspartner als marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftsteilnehmer verhalten und nicht andere Zielsetzungen verfolgen, drängt sich nicht unbedingt auf, kann diesseits allerdings nicht abschließend beurteilt werden und wäre im Rahmen eines von der Kommission geführten Beihilfeverfahrens in einer Gesamtschau aller – auch der derzeit noch nicht bekannten – Umstände zu klären. 80 EuG, Urt. v. 6.3.2003, verb. Rs. T-228/99 und T-233/99 (WesLB) Rn. 245 f. 81 EuG, Urt. v. 17.10.2002, Rs. T-98/00 (Linde/Kommission) Rn. 49. 82 Beihilfemitteilung Rn. 86. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 26 Für das Vorliegen einer beihilferelevanten Begünstigung dürfte die Verteilung der Risiken im Betreibervertrag maßgebend sein. Hierbei ist weder ersichtlich noch für sich allein maßgebend, dass das Risiko von Änderungen rechtlicher oder politischer Rahmenbedingungen der Risikosphäre des staatlichen Auftraggebers zuzuweisen ist83, sondern vielmehr entscheidend, ob ein sich von kaufmännischen Erwägungen leitendes Unternehmen – namentlich dann, wenn die rechtliche Durchführbarkeit dieses Vorhabens sich in einem überschaubaren Zeitraum klärt – die vertraglichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland übernommen hätte. Für die Frage, ob eine beihilferelevante Begünstigung vorliegt, dürfte in diesem Zusammenhang der streitige Sachverhalt von Bedeutung sein, ob die Auftragnehmer im Herbst 2018 angeboten hatten, mit der Vertragsunterzeichnung bis nach dem EuGH-Urteil zur PKW-Maut zu warten.84 Aufklärungspflichten der Kommission/Darlegungslasten der Mitgliedstaaten Die Kommission hat im Rahmen eines Beihilfeverfahrens eine umfassende, maßgebend von den Unionsgerichten vorgegebene Aufklärungspflicht. Sie muss sich eine umfassende Kenntnis aller für den Beihilfefall relevanten Gesichtspunkten verschaffen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Prüfungsphase nach Art. 88 Abs. 2 EG es der Kommission ermöglichen soll, sich umfassende Kenntnis von allen Gesichtspunkten eines Falles zu verschaffen […]. Demzufolge ist die Kommission verpflichtet, alle erforderlichen Stellungnahmen einzuholen, um vor Erlass ihrer Entscheidung umfassend über alle Gesichtspunkte des Falles unterrichtet zu sein […].85 Zudem haben bei wirtschaftlich komplexen Entscheidungen die Mitgliedstaaten eine umfassende Darlegungslast. Sie müssen im Zweifelsfall eindeutig anhand objektiver und nachprüfbarer Nachweise belegen, dass sie eine durchgeführte Maßnahme als marktwirtschaftlich handelnder Wirtschaftsteilnehmer getroffen haben.86 Es können Nachweise erforderlich werden, die belegen, dass die Entscheidung auf der Grundlage wirtschaftlicher Bewertungen der künftigen Rentabilität der Maßnahme getroffen wurde, wie sie auch ein rationaler privater Wirtschaftsbeteiligter in vergleichbarer Lage zugrunde gelegt hätte.87 83 So die Argumentation in Linklater LLP, Gutachterliche Stellungnahme zur Üblichkeit und Angemessenheit der Kündigungsregelungen im Betreibervertrag vor dem Hintergrund des Urteils des EuGH zur PKW-Maut S. 54 f. 84 Vgl. dazu die Berichterstattung in: FAZ, Ausg. v. 28.1.2021 und 2.10.2020, Die Welt, Ausg. v. 26.1.2021, SüddZ, Ausg v. 6.10.2020 und v. 28.1.2021, Die Tageszeitung, Ausg. v. 28.1.2021, Bild am Sonntag, Ausg. v. 4.10.2020. 85 EuGH, Urt. v. 29.3.2007, Rs. T-366/00 (Scott/Kommission) Rn. 135. 86 EuGH, Urt. v. 5.6.2012, Rs. C-124/10 P (Kommission/EDF) Rn. 82 ; Urt. v. 24.10.2013, verb. Rs. C-214/12 P, C-215/12 P und C-223/12 P (Land Burgenland/Kommission) Rn. 57. 87 EuGH, Urt. v. 5.6.2012, Rs. C-124/10 P (Kommission/EDF) Rn. 84; Urt. v. 24.10.2013, verb. Rs. C-214/12 P, C-215/12 P und C-223/12 P (Land Burgenland/Kommission) Rn. 59. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 27 2.2.1.2. Aus staatlichen Mitteln Als Beihilfen im Sinne des Art. 107 Absatz 1 AEUV gelten nur solche Vorteile, die unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden.88 Soweit die Kündigungsregel nach Ziff. 26.3.4. des Betreibervertrags aus ordnungspolitischen Gründen und die davon ausgelöste Entschädigungsregelung das Beihilfemerkmal der Begünstigung i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllten , wären diese naturgemäß dem Vertragspartner der Auftragnehmer, der Bundesrepublik Deutschland, zurechenbar. Da der Auftraggeber hierfür einzustehen hätte, erfolgte diese Begünstigung auch aus staatlichen Mitteln. 2.2.1.3. Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige (Selektivität) Soweit die Kündigungsregel nach Ziff. 26.3.4. des Betreibervertrags aus ordnungspolitischen Gründen und die davon ausgelöste Entschädigungsregelung das Beihilfemerkmal der Begünstigung i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllten, wäre auch vom Vorliegen des Beihilfemerkmals der Selektivität eines Vorteils auszugehen, da dieser Vorteil bestimmten Unternehmen – die Betreiberparteien des Betreibervertrags – gewährt würde. 2.2.1.4. Wettbewerbsbeschränkung und Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels Das Beihilfemerkmal der Wettbewerbsbeeinträchtigung wird von den Unionsgerichten in ständiger Rechtsprechung weit ausgelegt. Es soll bereits erfüllt sein, wenn eine gewährte Vergünstigung die Stellung des Beihilfeempfängers im Verhältnis zu anderen Unternehmen stärkt89 bzw. sich die Wettbewerbsposition eines Unternehmens aufgrund der gewährten Vergünstigung im Vergleich zu seinen Wettbewerbern stärkt.90 Dafür soll es genügen, daß die betreffenden Beihilfen geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, und den Wettbewerb zu verfälschen drohen, ohne daß es erforderlich wäre, den Markt abzugrenzen und seine Struktur und die hieraus folgenden Wettbewerbsbeziehungen zu prüfen […].91 Die Feststellung einer tatsächlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs soll insbesondere dann nicht erforderlich sein, wenn eine Beihilfe ohne vorherige Notifizierung gewährt wird. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Kommission im Übrigen nicht gehalten, die tatsächliche Wirkung der rechtswidrigen Beihilfen auf den Wettbewerb und den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu belegen. Eine solche Beweispflicht der Kommission würde nämlich die Mitgliedstaaten, die Beihilfen unter Verletzung der Notifizierungspflicht des Artikels 93 Absatz 3 EG-Vertrag gewähren , zum Nachteil derjenigen begünstigen, die Beihilfen bereits als Projekt notifizieren [..].92 88 EuGH, Urt. v. 23.4.2009, Rs. C-460/07 (Puffer) Rn. 70. 89 EuGH, Urt. v. 17.9.1980, Rs. C-730/79 (Philip Morris/Kommission) Rn. 11. 90 EuGH, Urt. v. 19.9.2000, Rs. C-156/98 (Deutschland/Kommission) Rn. 33. 91 EuG, Urt. v. 15.6.2000, Rs. T-298/97 u.a. (Alzeta u.a.) Rn. 26. 92 EuG, Urt. v. 30.1.2002, Rs. T-35/99 (Keller Meccanica/Kommission) Rn. 85. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 28 Das Beihilfemerkmal der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels wird in der unionsgerichtlichen Rechtsprechungspraxis angenommen, wenn zukünftige Auswirkungen einer staatlicherseits gewährten Vergünstigung auf den zwischenstaatlichen Wettbewerb als möglich erscheinen .93 Bei europaweit ausgeschriebenen Infrastrukturprojekten dürfte hiervon regelmäßig auszugehen sein, zumal zur Erfüllung des Beihilfetatbestandsmerkmals der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels der Nachweis der Eignung dieser Wirkung genügen soll.94 2.2.1.5. Zwischenergebnis Ob die Schadensersatzregelung nach Ziff. 30.5.4. des Betreibervertrags für den Fall einer Kündigung nach Ziff. 26.3.4 v) des Betreibervertrags als Begünstigung i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV zu werten ist, wofür auch bedeutsam ist, wie viele Bieter in der finalen Phase des Vergabeverfahrens ein Angebot abgegeben haben und ob das Vergabeverfahren zum Betreibervertrag vergaberechtlich unionsrechtskonform oder fehlerhaft durchgeführt wurde, lässt sich nicht abschließend beantworten . Die vorliegender Ausarbeitung zugrundliegenden Erkenntnisse dürften der Kommission hinreichend nahelegen, dies in einem förmlichen Beihilfeverfahren aufzuklären. Die übrigen Merkmale des Beihilfetatbestands des Art. 107 Abs. 1 AEUV würden nach hiesiger Einschätzung erfüllt sein. Dies in einem förmlichen Beihilfeverfahren festzustellen, bleibt allerdings der Kommission vorbehalten. 3. Frage 3 Für den Fall, dass ein EuGH-Urteil ein Gesetz nicht für unionsrechtswidrig erklärt, zu dessen Durchführung ein Vertrag mit einem Bieter geschlossen wurde: Kann dann die gleichwohl mit diesem Urteil begründete Kündigung dieses Vertrages durch eine staatliche Stelle - weil objektiv nicht "erforderlich" und weil zur Auslösung der in Ziff. 2.a genannten Entschädigungsregelung führend - selbst eine Beihilfe darstellen? Eine Entschädigung nach Ziffer 30.5.4. des Betreibervertrags setzt eine Kündigung aus den in 30.5.4. (i) aufgeführten Kündigungsgründen voraus. Eine Kündigung unter Bezugnahme auf die EuGH-Entscheidung zur PKW-Maut ließe sich wohl nur auf Ziffer 26.3.4. v) stützen. Einen Schadensersatzanspruch nach Ziff. 30.4. (i) Betreibervertrag löste auch eine Vermeintliche Kündigung aus, die nach 30.5.1. als Kündigung definiert ist, deren Voraussetzungen nicht vorliegen. Die diesseits bekannten Infrastrukturverträge, insb. ÖPP Verträge, sehen im Regelfall eine Schadensersatzpflicht des Auftraggebers im Falle einer Kündigung aus wichtigem Grund vor, der auf objektive Umstände, insb. Leistungshindernisse, nicht aber deren vermeintliches Vorliegen zu stützen ist.95 93 EuGH, Urt. v. 17.9.1980, Rs. C-730/79 (Philip Morris/Kommission) Rn. 11. 94 EuG, Urt. v. 4.4.2001, Rs. T-288/97 (Regione Friuli Venezia Giulia/Kommission). 95 Vgl. Horn/Peters, Vertragsgestaltung bei Public Private Partnership (PPP)-Projekte, BB 2005, S. 2421; Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung „PPP-Mustervertrag Inhabermodell“, abrufbar unter: http://docplayer.org/9071370-Ppp-mustervertrag-inhabermodell.html § 18. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 29 Eine Vermeintliche Kündigung – verstanden als Kündigung, deren Voraussetzungen nicht vorliegen , – wäre nach den gesetzlichen Regeln vergleichbar mit dem freien Kündigungsrechts nach § 648 Abs. 1 Satz 1 BGB. Eine Kündigung, ohne dass die Voraussetzungen einer Kündigung aus wichtigem Grund vorliegen müssen, dürfte zudem der Risikosphäre des Kündigenden zuzurechnen sein, was dafür sprechen könnte, in dieser Kündigungs- und Schadensersatzregelung des Betreibervertrags keine beihilferelevante Begünstigung zu sehen. 4. Frage 4 Für den Fall, dass die in Ziff. 2.a genannte Entschädigungsregelung möglicherweise eine staatliche Beihilfe darstellt: Ist dann der Bund haushalts- oder beihilfenrechtlich verpflichtet, diese Maßnahme gem. Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV bei der Kommission zu notifizieren, um die Auszahlung dieser Entschädigung aus Haushaltsmitteln von einer entsprechenden Genehmigung der Kommission abhängig zu machen? Vor ihrer Genehmigung durch die Kommission unterliegt eine vor ihrer Einführung notifizierte Beihilfe sowie solche Beihilfen, die Gegenstand eines Prüfverfahrens nach Art. 108 Abs. 2 AEUV sind, dem Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 AEUV, Art. 3 Beihilfe-VerfO. Diese dürfen nicht gewährt werden. Wäre die Entschädigungsregelung in Ziffer 30.5.4. des Betreibervertrags als Beihilfe i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV zu werten, hätte diese – da die Gruppenfreistellungsverordnung96 und die De-Minimis-Verordnung97 hiervon nicht freistellen – nach Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV, Art. 2 Abs. 1 Beihilfe-VerfO vorab – d.h. vor ihrer Gewährung – bei der Kommission notifiziert werden müssen. In diesem Falle hätte bereits diese Klausel vor ihrer beihilfenrechtlichen Genehmigung nicht oder nur vorbehaltlich ihrer beihilfenrechtlichen Genehmigung durch die Kommission verbindlich vereinbart werden dürfen. Ein Mitgliedstaat kann eine Beihilfe auch nach ihrer Gewährung der Kommission anzeigen, würde damit aber seiner Notifizierungspflicht nicht entsprechen. Die Kommission überprüft angemeldete , aber bereits durchgeführte Beihilfen nach dem Verfahren bei rechtswidrigen Beihilfen .98 Zur Gewährleistung der Anmeldepflicht und des Durchführungsverbots sollte die Kommission alle rechtswidrigen Beihilfen überprüfen (Erwägungsgrund 22 Satz 1 Beihilfe-VerfO). Diese 96 Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. L 187/1. 97 Vgl. Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Art. 107 und 108 AEUV auf De-minimis-Beihilfen, ABl. L 352/1 (nachfolgend: De-Minimis-Verordnung). 98 Art. 12 ff. Beihilfe-VerfO; vgl. Mederer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 108 AEUV Rn. 25. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 30 ist mithin grundsätzlich verpflichtet, alle rechtswidrigen Beihilfen nach Amtsermittlungsgrundsätzen zu überprüfen.99 Auch für nicht angezeigte Beihilfen soll das Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 gelten.100 In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof klargestellt, dass das in Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV angeordnete Verbot der Durchführung von Beihilfevorhaben unmittelbare Wirkung hat und dass die unmittelbare Anwendbarkeit des in dieser Bestimmung enthaltenen Durchführungsverbots jede Beihilfemaßnahme betrifft, die durchgeführt wird, ohne dass sie angezeigt worden ist […].101 Nach dieser weiten Auslegung des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV durch den EuGH sind die staatlichen Stellen hiernach verpflichtet, aus eigener Initiative eine Beihilfe zurückzufordern, wenn diese feststellen, dass die Voraussetzungen für deren Gewährung nicht erfüllt waren.102 Unabhängig von einer Notifizierung ist die Kommission auch bei einem Verstoß gegen die Notifizierungspflicht verpflichtet, die Vereinbarkeit der formell rechtswidrigen Maßnahme mit dem Binnenmarkt zu prüfen.103 Sie kann nach Art. 12 Beihilfe-VerfO von Amts wegen mutmaßliche rechtswidrige Beihilfen prüfen, dazu von den Mitgliedstaaten Auskünfte verlangen und hierzu ein förmliches Prüfungsverfahren einleiten. Nicht notifizierte, aber notifizierungspflichtige Beihilfen gelten als rechtswidrige Beihilfen.104 Die Kommission kann nach Art. 13 Abs. 1 Beihilfe- VerfO, nachdem sie dem betreffenden Mitgliedstaat Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat, einen Beschluss erlassen, mit dem dem Mitgliedstaat aufgegeben wird, alle rechtswidrigen Beihilfen so lange auszusetzen, bis die Kommission einen Beschluss über die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Binnenmarkt erlassen hat, sofern dafür die in § 13 Abs. 2 Satz 1 unter a) bis c) Beihilfeverfahrens -VO aufgeführten Kriterien erfüllt sind. 99 Köster, in: Münchener Kommentar, Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, Band 5 Beihilfenrecht, 2. Aufl. 2018, VO (EU) 2015/1589 Art. 12 Rn. 1. 100 Schardt, Öffentliche Aufträge und das Beihilferegime des Gemeinschaftsrechts, 2002, S. 381 f.; Lefevre, Staatliche Ausfuhrförderung und das Verbot wettbewerbsverfälschender Beihilfen im EWG-Vertrag, 1977, S. 138 f. 101 EuGH, Urt. v. 5.3.2019, Rs. C-349/17 (Eesti Pagar AS) Rn. 88; so auch Urt. v. 21.11.2013, Rs. C-284/12 (Deutsche Lufthansa AG) Rn. 29, Urt. v. 21.11.1991, Rs. C-354/90 (Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires) Rn. 11; Urt. v. 5.10.2006, Rs. C-368/04 (Transalpine Ölleitung in Österreich) Rn. 40 f. 102 EuGH, Urt. v. 5.3.2019, Rs. C-349/17 (Eesti Pagar AS) Leitsatz 2, Rn. 92 ff. 103 EuGH, Urt. v. 14.2.1990, Rs. C-301/87 (Französische Republik/Kommission) Rn. 17 ff.; Finck/Gurlit, JURA 2011, S. 87 (88). 104 Nach Art. 1 f) Beihilfe-VO sind rechtswidrige Beihilfen neue Beihilfen, die unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz 3 AEUV eingeführt werden. Dazu auch Mitteilung der Kommission, Bekanntmachung der Kommission über die Rückforderung rechtswidriger und mit dem Binnenmarkt unvereinbarer staatlicher Beihilfen vom 23.7.2019 (2019/C 247/01) Rn. 13. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 31 Kommt die Kommission in einem förmlichen Prüfverfahren zu dem Ergebnis, dass die Beihilfe mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist, erlässt sie nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 9 Abs. 5 Beihilfe-VerfO einen Negativbeschluss, nach dem diese Beihilfe nicht eingeführt werden darf. Die Kommission ist zum Erlass eines Rückforderungsbeschlusses verpflichtet, soweit sie nicht damit gegen einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts – insb. die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit – verstoßen würde (Art. 16 Abs. 1 Beihilfe-VerfO).105 Dies dürfte nach der Rechtsprechung der Unionsgerichte aber selten der Fall sein, da die Anforderungen – wie die nachfolgend auszugsweise wiedergegebene Entscheidung des EuG in der Rechtssache T-309/12106 unter Hinweis auf die dazu in der europäischen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze verdeutlicht – außerordentlich hoch sind: …die Aufhebung einer rechtswidrig gewährten staatlichen Beihilfe durch Rückforderung [ist] die logische Folge der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit […]. Außerdem dürfen beihilfebegünstigte Unternehmen nach ständiger Rechtsprechung auf die Ordnungsmäßigkeit der Beihilfe grundsätzlich nur dann vertrauen, wenn diese unter Einhaltung des im AEU- Vertrag vorgesehenen Verfahrens gewährt wurde […].107 Zwar ist nicht auszuschließen, dass sich der Begünstigte einer rechtswidrigen Beihilfe ausnahmsweise auf Umstände berufen kann, die sein Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit der Beihilfe begründen und folglich einer Rückforderung der Beihilfe entgegenstehen. Es obliegt jedoch dem Begünstigten, diese Umstände vor den nationalen Behörden oder einem nationalen Gericht geltend zu machen, indem er den nationalen Rückforderungsbescheid anficht, mit dem diese Behörden den Beschluss der Kommission durchführen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, so es befasst wird, gegebenenfalls nach Vorlage von Auslegungsfragen an den Gerichtshof alle Umstände zu würdigen […].108 Jedenfalls kann das unionsrechtswidrige Verhalten einer für die Anwendung des Unionsrechts zuständigen nationalen Stelle kein berechtigtes Vertrauen eines Wirtschaftsteilnehmers darauf begründen, in den Genuss einer unionsrechtswidrigen Behandlung zu kommen […].109 Außerdem ist, wenn die Kommission in Anwendung von Art. 108 Abs. 3 AEUV das in Abs. 2 dieses Artikels vorgesehene förmliche Prüfverfahren hinsichtlich einer in der Durchführung begriffenen nicht angemeldeten Maßnahme eröffnet hat, ein mit einem Antrag auf Unterlassung der Durchführung dieser Maßnahme und auf Rückforderung bereits 105 EuG, Urt. v. 16.7.2014, Rs. T-309/12 (Zweckverband Tierkörperbeseitigung /Kommission). Die Grenzen der Rückforderungspflicht werden mit Blick auf die einschlägige Rechtsprechung der Unionsgerichte in Abschnitt 2.4. der Mitteilung der Kommission, Bekanntmachung der Kommission über die Rückforderung rechtswidriger und mit dem Binnenmarkt unvereinbarer staatlicher Beihilfen vom 23.7.2019 (2019/C 247/01) wiedergegeben. 106 EuG, Urt. v. 16.7.2014, Rs. T-309/12 (Zweckverband Tierkörperbeseitigung /Kommission) Rn. 236 ff. 107 EuG, Urt. v. 16.7.2014, Rs. T-309/12 (Zweckverband Tierkörperbeseitigung /Kommission) Rn. 236. 108 EuG, Urt. v. 16.7.2014, Rs. T-309/12 (Zweckverband Tierkörperbeseitigung /Kommission) Rn. 237. 109 EuG, Urt. v. 16.7.2014, Rs. T-309/12 (Zweckverband Tierkörperbeseitigung /Kommission) Rn. 238. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 32 geleisteter Zahlungen befasstes nationales Gericht verpflichtet, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Konsequenzen aus einem eventuellen Verstoß gegen die Pflicht zur Aussetzung der Durchführung dieser Maßnahme zu ziehen […].110 Mit Blick darauf, dass ausschließlich die Kommission, die dabei der Kontrolle des Unionsrichters unterliegt, für die Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfenmaßnahmen oder einer Beihilferegelung mit dem Binnenmarkt zuständig ist111, würde selbst eine rechtskräftige Entscheidung eines nationalen Gerichts einer Rückforderungsentscheidung nicht entgegen stehen.112 5. Frage 5 Soweit die Kommission nach Durchführung eines beihilfenrechtlichen Prüfverfahrens i.R.e. Eröffnungsbeschlusses oder eines Negativbeschlusses zu dem Ergebnis kommt, dass eine vertragliche Entschädigungsregelung eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe darstellt: Bindet dieser Beschluss der Kommission einen EU-Mitgliedstaat auch dann, wenn die Entschädigungsregelung Gegenstand eines gleichzeitig stattfindenden Schiedsverfahrens ist? Führt ein solcher Beschluss dazu, dass dem Mitgliedstaat die Auszahlung dieser Entschädigung untersagt ist - und gilt dies auch dann, wenn das Schiedsgericht zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt? Ein Mitgliedstaat darf eine der beihilfenrechtlichen Prüfung durch die Kommission unterliegende Maßnahme nicht durchführen, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat (Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV). Das in Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV angeordnete Verbot der Durchführung von Beihilfevorhaben hat unmittelbare Wirkung. Die unmittelbare Anwendbarkeit des in dieser Bestimmung enthaltenen Durchführungsverbots gilt zunächst für notifizierte Beihilfemaßnahmen. Dieses findet – obgleich nicht explizit in Art. 108 AEUV geregelt – auch Anwendung für solche Beihilfen, die nicht angezeigt worden sind, jedoch Gegenstand eines beihilfenrechtlichen Prüfverfahrens sind.113 Nach der Rechtsprechung des EuGH sind die staatlichen Stellen zudem verpflichtet, aus eigener Initiative eine Beihilfe zurückzufordern, wenn diese feststellen, dass die beihilferechtlichen Voraussetzungen für deren Gewährung nicht erfüllt waren.114 110 EuG, Urt. v. 16.7.2014, Rs. T-309/12 (Zweckverband Tierkörperbeseitigung /Kommission) Rn. 240. 111 EuG, Urt. v. 16.7.2014, Rs. T-309/12 (Zweckverband Tierkörperbeseitigung /Kommission) Rn. 246. 112 EuG, Urt. v. 16.7.2014, Rs. T-309/12 (Zweckverband Tierkörperbeseitigung /Kommission) Rn. 241. 113 EuGH, Urt. v. 5.3.2019, Rs. C-349/17 (Eesti Pagar AS) Rn. 88; so auch Urt. v. 21.11.2013, Rs. C-284/12 (Deutsche Lufthansa AG) Rn. 29, Urt. v. 21.11.1991, Rs. C-354/90 (Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires) Rn. 11; Kühling/Rüchardt, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 108 AEUV Rn. 24; Cremer, in Callies/ Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 108 AEUV Rn. 12. 114 EuGH, Urt. v. 5.3.2019, Rs. C-349/17 (Eesti Pagar AS) Leitsatz 2, Rn. 92 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 33 Dem Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV widersprechende Rechtsakte haben keine Gültigkeit, begründen zumindest keine damit unvereinbare Rechtspflichten und dürfen nicht ausgeführt werden.115 Soweit vertragliche Regelungen als europarechtlich unzulässige Beihilfen gelten, könnte bereits ihrem rechtsverbindlichen Abschluss das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV entgegenstehen. Als verbotene Beihilfen gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV geltende vertragliche Regelungen müssten dann bereits als Entwurf notifiziert werden.116 Nach Ansicht des BGH sind gegen das Durchführungsverbot verstoßende beihilfegewährende Verträge im Grundsatz nach § 134 BGB117 nichtig118 bzw. nur insoweit als nichtig anzusehen, soweit durch diese eine Beihilfe gewährt wird.119 In seiner Entscheidung vom 5.12.2012 zur CEPS- Pipeline führte der BGH dazu unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH zum Durchführungsverbot aus: Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hat ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot die Unwirksamkeit der betreffenden Beihilfemaßnahme zur Folge. Auch eine spätere Entscheidung der Kommission, mit der die Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt für vereinbar erklärt wird, führt nicht zur Heilung der ungültigen Rechtsakte […] Davon ausgehend hat der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung angenommen, dass ein Vertrag, durch den unter Verletzung des Beihilfenrechtlichen Durchführungsverbots eine Beihilfe gewährt worden ist, gegen ein gesetzliches Verbot verstößt und daher gemäß § 134 BGB nichtig ist […] Denn Zweck des Durchführungsverbots ist nicht nur, das System der präventiven Beihilfenkontrolle durch die Europäische Kommission zu sichern, sondern auch Wettbewerbsvorteile des Einzelnen zu verhindern, die er aus einer nicht auf dem vorgesehenen Weg gewährten Beihilfe ziehen könnte. Unter Bezug auf die Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in den Fällen FNCE […] 115 EuGH, Urt. v. 21.11.1991, Rs. C-354/90 (Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires) Rn. 12. 116 EuGH, Urt. v. 27.3.1984, Rs. 169/82 (Kommission/Italien) Rn. 11. 117 Da der Gesetzesbegriff des Art. 2 EGBGB nicht nur deutsches Recht, sondern auch das unmittelbar anwendbare Unionsrechts umfasst, erfüllt Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV die Voraussetzungen für ein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB; vgl. BGH, Urt. v. 5.7.2007, IX ZR 221/05. 118 BGH, Urt. v. 5. 12. 2012, I ZR 92/11 Rn. 48. 119 BGH, Urt. v. 4.4.2003, V ZR 314/02 Rn. 12 ff.; Urt. v. 20.01.2004, XI ZR 53/03 Rn. 17. In seiner Entscheidung vom 5.12.2012, I ZR 92/11 neigt der BGH allerdings zu einer differenzierten Position zu dieser Rechtsfrage, was dieser im 2. Leitsatz wie folgt verdeutlicht: Ein Verstoß gegen das Beihilfenrechtliche Durchführungsverbot führt weder nach Unionsrecht noch nach deutschem Recht zwingend zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrags, durch den eine Beihilfe gewährt wird. Ist Beihilfeelement ein zu niedriger Kaufpreis, reicht es zur Beseitigung des rechtswidrig erlangten Wettbewerbsvorteils aus, wenn vom Beihilfeempfänger die Zahlung des Unterschiedsbetrags zwischen dem vereinbarten und dem höheren beihilfefreien Preis zuzüglich des bis zur Rückforderung entstandenen Zinsvorteils verlangt wird […] . Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 002/21 Seite 34 und SFEI […] hat der Bundesgerichtshof angenommen, dieser Zweck des Durchführungsverbots lasse sich nur durch Annullierung der rechtsgeschäftlichen Regelung erreichen, die es verletzt (BGHZ 173, 129 Rn. 34).120 Alle Träger öffentlicher Gewalt der Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass das Durchführungsverbot Beachtung findet und sämtliche Konsequenzen aus einer Verletzung von Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV ziehen.121 Ein nach Ziffer 35.4. des Betreibervertrags anstelle eines staatlichen Gerichts für Streitigkeiten zu dem Betreibervertrag eingesetztes Schiedsgericht bindet122, da dieses keine hoheitliche Gewalt ausübt, das Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV nicht. Andererseits ist die höchstrichterliche deutsche Rechtsprechung zur Unanwendbarkeit bzw. Nichtigkeit von mit dem Durchführungsverbot unvereinbaren vertraglichen Regelungen Teil des auch von dem Schiedsgericht zu beachtenden deutschen Zivilrechts. Entscheidungen dieses Schiedsgerichts dürften die Träger der öffentlichen Gewalt nicht beachten , wenn dies dem Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV, insb. einem Negativbeschluss der Kommission nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 9 Abs. 5 Beihilfe-VerfO widerspräche . Dies folgt letztlich aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten und insb. daraus, dass für die Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfen mit dem Binnenmarkt allein die Kommission zuständig ist.123 Das Durchführungsverbot bewirkte für die hieran gebundenen Hoheitsträger, dass Vertragsbestimmungen, die nach Art. 107 Abs. 1 AEUV als verbotene Beihilfen gelten, für sie keine Wirkungen erzeugten, diese für sie mithin weder Zahlungsverpflichtungen begründeten noch sie zu einer Zahlung berechtigten. - Fachbereich Europa - 120 BGH, Urt. v. 5.12.2012, I ZR 92/11 Rn. 34. 121 EuGH, Urt. v. 5.3.2019, Rs. C-349/17 (Eesti Pagar AS) Rn. 89 f. 122 Der Betreibervertrag begrenzt – soweit ersichtlich – in Ziffer 36.2. das für das Schiedsgericht anwendbare Recht wie folgt: Der Vertrag und alle sich für die Parteien aus ihm ergebenden Rechtsbeziehungen unterliegen materiellem deutschem Recht unter Ausschluss der Regelungen des internationalen Privatrechts sowie des UN-Kaufrechts / CISG, sieht mithin die Anwendung des EU-Rechts explizit nicht vor. Ein Gericht der Mitgliedstaaten hingegen müsste das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV beachten. Mit Blick auf das Prüfungsmonopol der Kommission, ob eine Beihilfe vorliegt, müsste ein nationales Gericht, nachdem es die Merkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV geprüft hat und die Verletzung der Notifizierungspflicht festgestellt hat, die Kommission um Erläuterungen zum Beihilfetatbestand bitten oder diese Frage dem EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren vorlegen (dazu näher SoltésZ, EuZW 2001, S. 202 (204) m.w.N.). 123 EuG, Urt. v. 16.7.2014, Rs. T-309/12 (Zweckverband Tierkörperbeseitigung /Kommission) Rn. 246.