© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 2/16 Stilllegung von Braunkohlekraftwerken nach dem Entwurf des Strommarktgesetzes im Lichte des EU-Beihilferechts Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 2/16 Seite 2 Stilllegung von Braunkohlekraftwerken nach dem Entwurf des Strommarktgesetzes im Lichte des EU-Beihilferechts Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 2/16 Abschluss der Arbeit: 07.01.2016 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 2/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Fragestellung 4 2. Stilllegung von Braunkohlekraftwerken und Errichtung einer Sicherheitsbereitschaft nach dem Entwurf eines Strommarktgesetzes 4 3. Beihilferechtliche Bewertung 8 3.1. Verfahrensrechtliche Aspekte 8 3.2. Materielle Erwägungen 9 3.2.1. Beihilfe nach Art. 107 AEUV 9 3.2.2. Rechtfertigung 10 4. Fazit 10 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 2/16 Seite 4 1. Einleitung und Fragestellung Am 4. November 2015 beschloss die Bundesregierung den Entwurf des Gesetzes zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz)1 - im Folgenden als Strommarktgesetz-E bezeichnet . Dieses regelt u. a. die schrittweise erfolgende, endgültige Stilllegung bestimmter Braunkohlekraftwerke aus Gründen des Klimaschutzes und deren bis dahin geplanten Einsatz in der sog. Sicherheitsbereitschaft . Vor diesem Hintergrund wird der Fachbereich in Anknüpfung an die Ausarbeitung PE 6-3000- 88/15 vom 23.07.20152 um die Fortschreibung der beihilferechtlichen Einschätzung ersucht. Gegenstand der Ausarbeitung PE 6-3000-88/15 vom 23.07.20153 war eine beihilferechtliche Bewertung der sog. Kapazitätsreserve, deren Einführung im Grün- und Weißbuch des BMWi „Ein Strommarkt für die Energiewende“ vorgeschlagen wurde.4 Untersucht wurde ferner die Einbeziehung von Braunkohlekraftwerken in die Kapazitätsreserve. Dieser Vorschlag war u. a. Gegenstand der politischen Vereinbarung der Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD über Eckpunkte der Energiewende vom 1. Juli 2015 (im Folgenden: politische Vereinbarung).5 Im Folgenden werden zunächst die Umsetzung des letztgenannten Vorschlags und dabei insbesondere Unterschiede bzw. Konkretisierungen im Verhältnis zur politischen Vereinbarung beschrieben (siehe unter 2.). Anschließend erfolgt die beihilferechtliche Würdigung unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Ausarbeitung PE 6-3000-88/15 (siehe unter 3.). 2. Stilllegung von Braunkohlekraftwerken und Errichtung einer Sicherheitsbereitschaft nach dem Entwurf eines Strommarktgesetzes Die politische Vereinbarung sah im Zusammenhang mit dem Beitrag der Braunkohleindustrie zur CO2-Minderung u. a. vor, dass Braunkohlekraftwerke mit einer Leistung im Umfang von 2,7 Gigawatt schrittweise über einen Zeitraum von vier Jahren stillgelegt und währenddessen auf vertraglicher Basis in die Kapazitätsreserve einbezogen werden.6 Hierfür sollen die betreffenden Kraft- 1 Online abrufbar unter https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/E/entwurf-eines-gesetzes-zur-weiterentwicklung -des-strommarktes,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf (letztmaliger Abruf am 17.03.16). 2 Die Ausarbeitung PE 6 3000-88/15 ist dem Gutachten als Anlage beigefügt. 3 Die Ausarbeitung PE 6 3000-88/15 ist dem Gutachten als Anlage beigefügt. 4 Online abrufbar unter http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/Publikationen/weissbuch,property=pdf,bereich =bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf (letztmaliger Abruf am 17.03.16), S. 58 und 82 f. 5 „Eckpunkte für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende – Politische Vereinbarung der Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD vom 1. Juli 2015“, online aufrufbar auf den Seiten des BMWi unter http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/E/eckpunkte-energiewende,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache =de,rwb=true.pdf (letztmaliger Abruf am 17.03.16), S. 7, erster Bulletpoint. 6 Siehe oben Fn. 5, S. 7, erster Bulletpoint. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 2/16 Seite 5 werksbetreiber eine kostenbasierte Vergütung erhalten, wobei die Details zunächst mit den Betreibern vertraglich geregelt und dann gesetzlich umgesetzt werden sollten.7 Dadurch sollten im Ergebnis 11,0 Mio. Tonnen CO2 eingespart werden. Die Bundesregierung sollte mit der EU-Kommission klären, wie die konkrete Umsetzung beihilferechtskonform ausgestaltet werden kann.8 Die Umsetzung dieser Vereinbarung soll im Wesentlichen auf Gesetzes- und zu einem kleinen Teil auch auf Verordnungsebene durch Änderung der Elektrizitätssicherungsverordnung (EltSV) erfolgen. Dieser normativen Ausgestaltung ist eine (politische) Verständigung zwischen der Bundesregierung und den Betreibern der betroffenen Kraftwerke vorausgegangen,9 die nach Abschluss des Gesetzes- und des unionsrechtlichen Beihilfeverfahrens durch vertragliche Vereinbarungen ergänzt werden soll. Im Folgenden werden die geplanten neuen Rechtsvorschriften dargestellt . Ausgangspunkt auf gesetzlicher Ebene ist der durch das Strommarktgesetz-E neu einzuführende § 13g EnWG (im Folgenden: § 13g EnWG-E).10 Dessen Absatz 1 EnWG-E benennt die als „Beitrag zur Erreichung der nationalen und europäischen Klimaschutzziele“ schrittweise innerhalb von vier Jahren stillzulegenden Kraftwerksanlagen und enthält die zeitlichen Vorgaben, im Rahmen derer dieser gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen ist.11 Nach der Gesetzesbegründung verfügen die aufgezählten Anlagen über eine „installierte Nettonennleistung von 2,7 Gigawatt“ und sollen durch Stilllegung voraussichtlich 12,5 Mio. Tonnen CO2 einsparen.12 § 13g Abs. 2 EnWG-E regelt, wie mit den stillzulegenden Kraftwerksblöcken während der vier Jahre zu verfahren ist: von dem Zeitpunkt der nach Abs. 1 vorgegebenen vorläufigen Stilllegung bis zur endgültigen Stilllegung werden sie in die sog. Sicherheitsbereitschaft einbezogen. Hierbei handelt es sich um die – soweit ersichtlich – einzige Abweichung zur politischen Vereinbarung, nach der die betroffenen Anlagen (besonderer) Bestandteil der Kapazitätsreserve werden sollten. 7 Siehe oben Fn. 5, S. 7, erster Bulletpoint. 8 Siehe oben Fn. 5, S. 7, dritter Bulletpoint. 9 Online abrufbar unter http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/V/verstaendigung-braunkohle,property =pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf (letztmaliger Abruf am 17.03.16). Die Verständigungen wurden jeweils individuell mit den drei Betreibern der erfassten Kraftwerksanlagen getroffen: der Mibrag, RWE und Vattenfall, vgl. dazu auch die Gesetzesbegründung zum Strommarktgesetz-E (o. Fn. 1), S. 124, in der auch die Kriterien für die Auswahl der Anlagen beschrieben sind. Nach Abschluss des Gesetzes- und des Beihilfeverfahrens sollen dann konkrete vertragliche Vereinbarungen geschlossen werden. Siehe dazu etwa die Verständigung mit der Mirag (o. Fn. 9), I. Einleitung, S. 2. 10 Vgl. Art. 1 Nr. 9 Strommarktgesetz-E (o. Fn. 1), S. 13, wonach die bisherigen §§ 13 bis 13c EnWG durch die neuen §§ 13 bis 13j EnWG ersetzt werden sollen. Der neue § 13g EnWG findet sich auf S. 23 ff. des Gesetzesentwurfs . Diese Begründung zu dieser Vorschrift findet sich auf den Seiten 123 ff. 11 Sonderregelungen zu einer früheren endgültigen Stilllegung der betreffenden Anlagen finden sich in § 13g Abs. 6 EnWG-E. 12 Strommarktgesetz-E (o. Fn. 1), S. 123. Siehe § 13g Abs. 8 EnWG-E für den Fall, dass dieses Volumen nicht erreicht wird. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 2/16 Seite 6 Was unter der Sicherheitsbereitschaft zu verstehen ist, soll sich aus der Änderung der bereits erwähnten Elektrizitätssicherungsverordnung (EltSV)13 ergeben, auf die in § 13g Abs. 2 EnWG-E ausdrücklich verwiesen wird. Der durch das Strommarktgesetz-E neu einzuführende § 1 Abs. 6 EltSV lautet „Zur Deckung des lebenswichtigen Bedarfs an Elektrizität […] sind die Betreiber von Übertragungsnetzen berechtigt und verpflichtet, die Gefährdung oder Störung nach Maßgabe des § 13g Absatz 2 [EnWG] durch den Abruf von stillzulegenden Anlagen während der Sicherheitsbereitschaft der stillzulegenden Anlagen zu beseitigen, soweit der Lastenverteiler keine gegenteilige Verfügung erlassen hat.“14 Hierdurch wird an eine Kategorie aus dem Energiesicherheitsgesetz15 angeknüpft, auf deren Grundlage die EltSV 1982 erlassen wurde. Das Energiesicherheitsgesetz selbst wurde im Jahr 1975 unter dem Eindruck der Ölkrise von 1973 verabschiedet und sieht (weiterhin) Maßnahmen für eine plötzliche Krisen- oder Mangelsituation vor.16 Diese sind allerdings nicht nur auf Erdöl, Erdölerzeugnisse und Erdgas bezogen, sondern erfassen auch elektrische Energie und sonstige Energien. Ein Bezug zur Sicherheitskategorie des EnWG ergibt sich erst aus der Gesetzesbegründung zu § 13g Abs. 2 EnWG-E. Danach kommt ein Einsatz der stillzulegenden Anlagen nur in Betracht, wenn hierdurch „eine Gefährdung oder Störung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungsystems beseitigt und der lebenswichtige Bedarf an Elektrizität gedeckt werden kann.“17 Die erstgenannte Sicherheitskategorie ist jetzt und auch zukünftig in § 13 EnWG geregelt . In der Neufassung durch das Strommarktgesetz-E ermächtigt diese Vorschrift in Absatz 1 die Übertragungsnetzbetreiber, die Gefährdung oder Störung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungsystems durch netzbezogene Maßnahmen, insbesondere durch Netzschaltungen (Nr. 1), und marktbezogene Maßnahmen, wie insbesondere den Einsatz von Regelenergie, vertraglich vereinbarte abschaltbare und zuschaltbare Lasten, Information über Engpässe und Management von Engpässen (Nr. 2) sowie zusätzliche Reserven, insbesondere Netzreserve nach § 13d und die Kapazitätsreserve nach § 13e (Nr. 3), zu beseitigen. Des Weiteren findet sich der Hinweis, dass die in die Sicherheitsbereitschaft einbezogenen Anlagen „für die Gewährleistung der Systemstabilität als ultima ratio eingesetzt werden dürfen, wenn keine anderen Maßnahmen zur Verfügung stehen, um die Extremsituation zu bewältigen.“18 In welchem Verhältnis die Sicherheitskategorien nach EnWG und Energiesicherheitsgesetz zueinander stehen, ob sie sich 13 Online abrufbar unter http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/eltsv/gesamt.pdf (letztmaliger Abruf unter 17.03.16). 14 Art. 7 Strommarktgesetz-E (o. Fn. 1), S. 58. 15 Online abrufbar unter http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/ensig_1975/gesamt.pdf (letztmaliger Abruf unter 17.03.16). 16 Näheres hierzu bei Tettinger, Zum Thema „Sicherheit“ im Energierecht, RdE 2002, S. 225 (230). 17 Strommarktgesetz-E (o. Fn. 1), S. 125 (Hervorhebung durch Verfasser). Vgl. auch die Begründung zu Art. 7 Strommarktgesetz-E, S. 180. 18 Strommarktgesetz-E (o. Fn. 1), S. 125. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 2/16 Seite 7 überschneiden und ob die Ausführungen in der Gesetzbegründung genügen, um die Sicherheitsbereitschaft auch im Rahmen des EnWG nach Art. 13 Abs. 1 einzusetzen, soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Vorliegend ist vielmehr von Bedeutung, dass die Gesetzeserläuterungen eine Begründung für den Verzicht auf die ursprünglich geplante Einbeziehung in die Kapazitätsreserve ebenso wenig enthalten wie für die Schaffung dieser weiteren „Reserve“ in Gestalt der Sicherheitsbereitschaft, die ausschließlich für Braunkohlekraftwerke bestimmt ist. Zur Sicherung des Strommarktes 2.0 wird hierdurch – um in der Wortwahl des BMWi zu bleiben – quasi nach der Kapazitätsreserve ein zweiter Hosenträger zum Gürtel geschaffen.19 Dieser dürfte – als ultima ratio geplant – zudem kaum zu Einsatz kommen. Sein Existenz mag allerdings beihilferechtlich motiviert gewesen sein (dazu unten mehr). An der Grundkonzeption der politischen Vereinbarung ändert sich hierdurch jedoch nichts, da nun die Sicherheitsbereitschaft als neue Reservekategorie den Anknüpfungspunkt bildet für die Vergütung, die die Anlagenbetreiber als Gegenleistung erhalten. Geregelt ist das in § 13g Abs. 5 und Abs. 7 EnWG-E in Verbindung mit einer Anlage zu dieser Vorschrift, aus der sich die genaue Formel ergibt, nach deren Maßgabe die Bundesnetzagentur die Höhe der jeweiligen Vergütung festlegt.20 Deutlicher als noch in der politischen Vereinbarung wird in § 13g Abs. 5 S. 1 EnWG-E allerdings klargestellt, dass diese Vergütung nicht nur für die Einbeziehung in diese Reserve gezahlt wird, sondern auch für die Stilllegung der Anlagen. Darüber hinaus gilt auch weiterhin, dass die im Rahmen eines (kaum zu erwartenden) Einsatzes in der Sicherheitsbereitschaft erzeugten Strommengen nicht auf den Strommärkten veräußert werden dürfen (vgl. Art. 13g Abs. 4 S. 2 EnWG-E). Ebenso wie bei der Kapazitätsreserve ist eine Markttätigkeit der erfassten Anlagen somit ausgeschlossen. Schließlich enthält § 13g Abs. 7 S. 7 u. 8 EnWG-E eine Konkretisierung hinsichtlich der Finanzierung der für die Sicherheitsbereitschaft und Stilllegung zu entrichtenden Vergütung. Danach können die Übertragungsnetzbetreiber als Schuldner des Vergütungsanspruches die Kosten „[…] über die Netzentgelte geltend machen“, die sämtliche Nutzer der Übertragungsnetze und somit letztlich die stromverbrauchenden Endkunden für die Netznutzung zu zahlen haben.21 19 Vgl. die Pressemitteilung des BMWi vom 03.07.2015 „Staatssekretär Baake: Strommarkt 2.0 gewährleistet Versorgungssicherheit “, online abrufbar unter http://www.bmwi.de/DE/Presse/pressemitteilungen ,did=718294.html (letztmaliger Abruf am 17.03.16), erster Absatz („Die Kapazitätsreserve sichert den Strommarkt 2.0 ab, wie der Hosenträger einen Gürtel […].“). 20 Strommarktgesetz-E (o. Fn. 1), S. 46 ff. 21 Vgl. § 17 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 2 S. 2 der Verordnung über die Anreizregulierung der Energieversorgungsnetze (ARegV) i. V. m. § 17, § 3 Abs. 2 der Verordnung über die Entgelte für den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen (StromNEV). Die ARegV ist online abrufbar unter online abrufbar unter http://www.gesetze-im-internet .de/bundesrecht/aregv/gesamt.pdf (letztmaliger Abruf am 17.03.16), die StromNEV unter http://www.gesetze -im-internet.de/bundesrecht/stromnev/gesamt.pdf (letztmaliger Abruf am 17.03.16). Das Strommarktgesetz- E (o. Fn. 1), S. 51, sieht in Art. 5 Nr. 3 lit. b) eine entsprechende Änderung der ARegV vor. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 2/16 Seite 8 Weitere Einzelheiten der gesetzlichen Regelung erscheinen für die beihilferechtliche Bewertung nicht von Bedeutung, so dass insoweit auf den Gesetzesentwurf verwiesen werden kann. 3. Beihilferechtliche Bewertung Hinsichtlich der beihilferechtlichen Bewertung ist zunächst kurz auf verfahrensrechtliche Aspekte (siehe unter 3.1.) und sodann auf materielle Fragen einzugehen (siehe unter 3.2.). 3.1. Verfahrensrechtliche Aspekte In den jeweiligen Verständigungen zwischen Bundesregierung und Betreibern, deren Kraftwerksanlagen von der Sicherheitsbereitschaft betroffen sind, wird ausgeführt, dass § 13g EnWG-E zeitgleich mit der Einbringung des Strommarktgesetzes-E in den Bundestag und Bundesrat bei der Europäischen Kommission beihilferechtlich notifiziert wird.22 Darüber hinaus lässt sich den Verständigungen entnehmen, dass davon ausgegangen wird, dass das Beihilfeverfahren spätestens im Lauf des zweiten Quartals 2016 mit positivem Ausgang abgeschlossen sein wird. Daraus lässt sich schließen, dass die Bundesregierung bereits vorab mit der Kommission sog. Vorgespräche über die Beihilfekonformität der Sicherheitsbereitschaft geführt hat. Anderenfalls wäre die Annahme einer nur wenige Monate langen Gesamtverfahrensdauer kaum realistisch. Zugleich folgt hieraus, dass die Bundesregierung offenbar davon ausgeht, dass die Kommission über das Vorhaben bereits in der Phase der sog. vorläufigen Prüfung abschließend positiv entscheiden will.23 Diese (erste) Verfahrensstufe schließt sich unmittelbar an die Notfizierung der Beihilfe an und dauert grundsätzlich zwei Monate.24 Sie beendet das Beihilfeverfahren nur dann, wenn die Kommission nach der vorläufigen Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass keine Beihilfe vorliegt oder, dass eine solche mit Unionsrecht vereinbar ist.25 Von einer solchen Entscheidung scheint die Bundesregierung – wahrscheinlich aufgrund entsprechend positiver Signale aus Brüssel – auszugehen. Denn bei Zweifeln an der notifizierten Maßnahme ist die Kommission verpflichtet, die zweite Verfahrensstufe, das förmliche Prüfverfahren, einzuleiten, für welches eine Soll-Frist von 18 Monaten vorgegeben ist.26 22 Vgl. etwa die Verständigung mit der Mirag (o. Fn. 9), I. Einleitung, S. 2. 23 Vgl. Art. 4 Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags [im Folgenden: Beihilfeverfahrensordnung), ABl.EU 1999 Nr. L 83/1 (konsolidierte Fassung online abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/?qid=1417182877791&uri=CELEX:01999R0659-20130820 (letztmaliger Abruf am 17.03.16). 24 Vgl. Art. 4 Abs. 1 u. 5 i.V.m. Art. 2 Beihilfeverfahrensordnung (o. Fn. 23). 25 Vgl. Art. 4 Abs. 2 u. 3 Beihilfeverfahrensordnung (o. Fn. 23). 26 Vgl. Art. 4 Abs. 4 i.V.m. Art. 6 Beihilfeverfahrensordnung (o. Fn. 23). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 2/16 Seite 9 3.2. Materielle Erwägungen Bei den materiellen Erwägungen ist in Anknüpfung an die Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 88/15 zur Kapazitätsreserve (im Folgenden: Ausarbeitung zur Kapazitätsreserve) zwischen dem Beihilfetatbestand nach Art. 107 Abs. 1 AEUV (siehe unter 3.2.1.) und der Rechtfertigungsebene zu unterscheiden (siehe unter 3.2.2.).27 3.2.1. Beihilfe nach Art. 107 AEUV Hinsichtlich der Frage nach dem Vorliegen einer Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV kann zunächst auf die Ausführungen in der Ausarbeitung zur Kapazitätsreserve verwiesen werden .28 Neben dem Problem der weiterhin fehlenden Ausschreibung für die Auswahl der Kraftwerksanlagen im Zusammenhang mit der Erfüllung der Altmark-Trans-Kriterien besteht auch hinsichtlich der Sicherheitsbereitschaft die Frage, ob und inwieweit diese sowie die anschließenden Stilllegungen als angemessene Gegenleistungen für die Betreibervergütung anzusehen sind und ggf. das Vorliegen einer Begünstigungswirkung ausschließen können. Dies hätte zur Folge, dass bereits das Vorliegen einer Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu verneinen wäre. Insgesamt sprechen insoweit allerdings die besseren Argumente – wie schon in der Ausarbeitung zur Kapazitätsreserve ausgeführt – für die Annahme einer Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV. Diese Einschätzung wird zudem durch einige Aspekte der Umsetzung in § 13g EnWG-E noch verstärkt . So wirft die Einrichtung einer Sicherheitsbereitschaft zusätzlich zu der Einführung einer Kapazitätsreserve sowie die ultima-ratio-Funktion der erstgenannten, die einen tatsächlichen Einsatz fraglich erscheinen lässt, darüber hinaus die Frage auf, ob insoweit noch von einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ausgegangen werden kann. Denn das eigentliche Anliegen, welches den Stilllegungen nach § 13g Abs. 1 EnWG-E ausdrücklich zugrunde liegt, ist der Klimaschutz und nicht die – quasi bei Gelegenheit eingerichtete – Sicherheitsbereitschaft . Auch die Konkretisierung der Finanzierung für die an die Betreiber zu zahlende Vergütung spricht für die Bejahung des Beihilfetatbestandes. Durch die Umlagefinanzierung über die Netzentgelte wird auf eine Konstruktion zurückgegriffen, die nach der Rechtsprechung das Merkmal der Staatlichkeit der Mittel erfüllt.29 Die Kommission hat dieses Merkmal im Hinblick auf die Netzentgelte in ihrem Beschluss zur Netzentgelt-Befreiung sogar im konkreten Fall bejaht.30 27 Vgl. Ausarbeitung zur Kapazitätsreserve (Anlage), 3.2.1., S. 9 ff. sowie 3.2.2., S. 14 ff.; ferner 3.3.1., S. 18 ff. sowie 3.3.2., S. 20 ff. 28 Vgl. Ausarbeitung zur Kapazitätsreserve (Anlage), 3.3.1., S. 18 ff. 29 Vgl. Ausarbeitung zur Kapazitätsreserve (Anlage), 3.2.1.2.1., S. 12, insbesondere Fn. 34. 30 Vgl. Kommission, Beschluss SA.34045 (Netzentgeltbefreiung), Rn. 37 ff., online abrufbar unter der Beschlussnummer unter http://ec.europa.eu/competition/elojade/isef/index.cfm?clear=1&policy_area_id=3 (letztmaliger Abruf am 17.03.16). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 2/16 Seite 10 3.2.2. Rechtfertigung Vor diesem Hintergrund dürfte der Ebene der Rechtfertigung die entscheidende Bedeutung für die Vereinbarkeit des § 13g EnWG-E mit Art. 107 AEUV zukommen. Wie in der Ausarbeitung zur Kapazitätsreserve beschrieben, war eine Rechtfertigung am Maßstab der Energiebeihilfeleitlinien im Hinblick auf die Einbeziehung von Braunkohleanlagen in die Kapazitätsreserve als problematisch anzusehen.31 Grund hierfür war die Nichtbeachtung der Leitlinienvorgaben im Hinblick auf Technologieneutralität und das Gebot der Ausschreibung als Grundlage für die Auswahl der einzubeziehenden Anlagen sowie bezüglich der Bevorzugung kohlenstoffarmer Stromerzeuger. An diesen Punkten hat die Umsetzung in § 13g EnWG zwar nichts geändert. Durch die Herauslösung der Braunkohleanlagen aus der Kapazitätsreserve, deren Verortung in der neu geschaffenen Reservekategorie der Sicherheitsbereitschaft und die klare Betonung des Klimaschutzes als Ziel der schrittweisen Stilllegung könnte der Weg frei gemacht worden sein, um eine Rechtfertigung zu ermöglichen. Denn aufgrund dieser Änderungen lässt sich das Vorhaben losgelöst von der eigentlichen Kapazitätsreserve beurteilen, die die oben genannten Vorgaben der Energiebeihilfeleitlinien nach damaligen Stand im Wesentlichen erfüllte.32 Soweit die Energiebeihilfeleitlinien nämlich keinen Raum für eine positive Beurteilung belassen, ist die Konstruktion der Sicherheitsbereitschaft ggf. ein geeigneterer Weg, um die Energiebeihilfeleitlinien als Rechtfertigungsmaßstab ggf. gänzlich aufzugeben. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn die Braunkohleanlagen Bestandteil der Kapazitätsreserve geblieben wären. So kann das Vorhaben direkt am Maßstab des Art. 107 Abs. 3 Buchst. c) AEUV gemessen und eine (unmittelbare) Rechtfertigung aus Gründen der Klima- und damit des Umweltschutzes erwogen werden.33 Auf dieser Ebene besitzt die Kommission zudem ein weitaus größeres (wirtschaftspolitisches) Ermessen als im Rahmen der Energiebeihilfeleitlinien, die sich im Vergleich mit dem Primärrecht nicht nur durch engere und konkrete Vorgaben auszeichnen, sondern zugleich eine Selbstbindung der Kommission begründen , von der sie sich – auch im Hinblick auf zukünftige Fallgestaltungen – kaum wird lösen wollen . Offen bleibt allerdings auch hier die Frage nach der Kohärenz mit dem System der EU-Emissionshandelsrichtlinie , wonach die Kosten für die Ermessensreduktion von den Emittenten – hier den Braunkohleanlagenbetreibern – mittels Emissionszertifikaten zu tragen sind und nicht von den Stromendverbrauchern, wie dies in § 13g Abs. 7 S. 7 u. 8 EnWG-E in Gestalt der Netzentgelte vorgesehen ist. 4. Fazit Die Schaffung einer klimapolitisch motivierten neuen Reservekategorie für Braunkohleanlagen in Gestalt der Sicherheitsbereitschaft in Abweichung von der politischen Einigung sowie die von der Bunderegierung erwartete schnelle beihilfeverfahrensrechtliche Entscheidung lassen darauf 31 Ausarbeitung zur Kapazitätsreserve (Anlage), 3.3.2.1., S. 20 f. 32 Vgl. Ausarbeitung zur Kapazitätsreserve (Anlage), 3.2.2., S. 14 ff. Eine Beurteilung der entsprechenden Umsetzung im Strommarktgesetz-E wurde in diesem Rahmen nicht vorgenommen. 33 Siehe zu dieser Möglichkeit bereits die Ausarbeitung zur Kapazitätsreserve (Anlage), 3.3.2.2., S. 21. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 2/16 Seite 11 schließen, dass die materielle Ausgestaltung in § 13g EnWG-E mit der Kommission vorab entsprechend erörtert und von dieser im Grundsatz als beihilfekonform befunden wurde. Rechtliche Klarheit in dieser Frage ist allerdings erst mit einer (abschließenden) Verfahrensentscheidung der Kommission zu erwarten. – Fachbereich Europa –