© 2014 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 2 /14 Ausarbeitung Mindestlohnvorschriften mit Ausnahmeregelungen für bestimmte Personengruppen Vereinbarkeit mit dem Europarecht Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 2 PE 6 - 3000 - 2/14 Mindestlohnvorschriften mit Ausnahmeregelungen für bestimmte Personengruppen Vereinbarkeit mit dem Europarecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 2/14 Abschluss der Arbeit: 10.01.2014 Fachbereich: PE 6: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 3 PE 6 - 3000 - 2/14 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Überblick über europarechtliche Regelungen im Zusammenhang mit Mindestlohn 4 2.1. Dienstleistungsfreiheit 5 2.2. Entsenderichtlinie (Richtlinie 96/71/EG) 7 2.3. Vergabekoordinierungsrichtlinie (Richtlinie 2004/18/EG) 8 2.4. Europäische Grundrechte 8 2.4.1. Eröffnung des Anwendungsbereichs der Grundrechte-Charta 8 2.4.1.1. Durchführung von EU-Recht 9 2.4.1.2. Bindung an die Grundrechte-Charta wegen Einschränkungen von Grundfreiheiten? 10 2.4.1.3. Zwischenergebnis 11 2.4.2. Verletzung von Charta-Grundrechten: 11 2.5. Europäische Sozialcharta 12 2.6. Zwischenergebnis 13 3. Vereinbarkeit von Ausnahmen vom Mindestlohn für bestimmte Personengruppen mit dem Europarecht 13 3.1. Grundsatz der Entgeltgleichheit 13 3.2. Verbot der Altersdiskriminierung 14 3.3. Europäische Grundrechte-Charta 15 3.3.1. Mütter und Väter mit einer Nebentätigkeit im Rahmen ihrer Elternzeit 15 3.3.2. Rentnerinnen und Rentner 16 3.3.3. Studierende und Saisonarbeitskräfte 17 4. Zusammenfassung der Ergebnisse 17 Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 4 PE 6 - 3000 - 2/14 1 . E i n l e i t u n g Gegenstand dieser Ausarbeitung ist die Frage, inwiefern es aus europarechtlicher Sicht möglich ist, im Falle der Einführung eines (gesetzlichen) Mindestlohnes bestimmte Personengruppen von diesem auszunehmen. Gedacht wird dabei insbesondere an solche Personen, die (zusätzlich) einen anderen „sozialen Status“ als den eines Arbeitnehmers/einer Arbeitnehmerin haben, wie z.B. Studierende, Rentnerinnen und Rentner oder im Rahmen einer Nebenbeschäftigung beschäftigte Mütter und Väter während der Elternzeit und an sogenannte Saisonarbeitskräfte. Unter Personen mit einem „anderen sozialen Status“ werden dabei solche verstanden, die auf Grund ihres Status und damit verbundenen Einkünften bereits „sozial abgesichert sind“ und die daher nicht von dem im konkreten Arbeitsverhältnis erzielten Einkommen „leben müssen“. Zum besseren Verständnis wird zunächst ein kurzer Überblick über europarechtliche Regelungen , die im Zusammenhang mit einem Mindestlohn1 als Prüfungsmaßstab in Betracht kommen, gegeben. In einem zweiten Schritt wird dann untersucht, ob europarechtliche Vorschriften der Regelung von Ausnahmevorschriften, wie sie oben beschriebenen wurden, entgegenstehen. Es sei darauf hingewiesen, dass mangels konkreter Regelungen bzw. Regelungsvorschläge im Hinblick auf die beschriebenen Ausnahmevorschriften – einziger Anhaltspunkt sind die im Koalitionsvertrag unter „Punkt 2.2. Gute Arbeit“ getroffenen Vereinbarungen2 – eine detaillierte Prüfung nicht erfolgen kann. Die verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte der Fragestellung werden gesondert vom Fachbereich WD 6 (Arbeit und Soziales) beantwortet. 2. Überblick über europarechtliche Regelungen im Zusammenhang mit Mindestlohn Das Unionsrecht enthält keine Vorschriften, die den Mitgliedstaaten die Zahlung eines Mindestlohns vorschreiben. Es enthält aber an verschiedener Stelle Grenzen, die von den Mitgliedstaaten bei der Einführung von Mindestlohnregelungen zu beachten sind. So haben bereits verschiedene mitgliedstaatliche Mindestlohnvorschriften den EuGH beschäftigt.3 Gegenstand der Prüfung war dabei regelmäßig die Frage, inwiefern mitgliedstaatliche Mindestlohnvorschriften mit den Grundfreiheiten und dem sie ausgestaltenden Sekundärrecht – insbesondere der Entsenderichtlinie (Richtlinie 96/71/EG) und der Vergabekoordinierungsrichtlinie (Richtlinie 2004/18/EG) – 1 Einen Überblick über verschiedene Mindestlohnmodelle und deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede bieten Riechert/Stomps, Mindestlohnkonzepte - Mehr sachliche Orientierung, NJW 2013, 1050 und Sittard, Im Dschungel der Mindestlöhne - ein Versuch der Systematisierung, RdA 2013, 301. 2 Dort heißt es u.a.. dass das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, welches tariflich vereinbarte Branchenmindestlöhne gestattet, über die bereits dort genannten Bereiche hinaus für alle Branchen geöffnet werden soll, dass Allgemeinverbindlichkeitserklärungen nach dem Tarifvertragsgesetz angepasst und erleichtert werden sollen und dass ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 € brutto/h für das ganze Bundesgebiet gesetzlich eingeführt werden soll. Ebenso heißt es , das bei der Erarbeitung des Gesetzes etwaige Probleme z.B. bei der Saisonarbeit berücksichtigt werden sollen. Eine wirkliche geplante Ausnahme findet sich für ehrenamtliche Tätigkeiten , die im Rahmen der Minijobregelung vergütet werden – für diese soll die Mindestlohnregelung nicht gelten , da diese in aller Regel nicht den Charakter abhängiger und weisungsgebundener Beschäftigung haben. (Deutschlands Zukunft gestalten, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSE und SPD, 18. Legislaturperiode). 3 Vgl. etwa EuGH Rs. C-164/99 (Portugaia Construções), Urteil vom 24. Januar 2002 ;Rs. C-341/05 (Laval), Urteil vom 18. Dezember 2007; Rs. C-346/06 (Rüffert), Urteil vom 3. April 2008; C-522/12 (Tevfik Isbir), Urteil vom 7. November 2013. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 5 PE 6 - 3000 - 2/14 im Einklang stehen. Grundsätzlich genießt das primärrechtskonforme Sekundärrecht als speziellerer Rechtssatz Vorrang und verdrängt die ebenfalls einschlägigen Grundfreiheiten. Nationale Regelungen, die in einem Bereich getroffen werden, der auf Unionsebene abschließend harmonisiert ist, sind anhand der sekundärrechtlichen Harmonisierungsmaßnahme und nicht des primären Unionsrechts zu beurteilen. Das Sekundärrecht ist aber stets im Lichte des Primärrechts auszulegen . Trifft das Sekundärrecht hingegen keine abschließende Regelung, gelangen die Grundfreiheiten unmittelbar zur Anwendung.4 Die genannten Richtlinien regeln im Zusammenhang mit Mindestlöhnen jeweils nur Teilbereiche , so dass die Grundfreiheiten außerhalb ihrer Anwendungsbereiche unmittelbarer Rechtmäßigkeitsmaßstab für Mindestlohnregelungen sind. Angesichts der Tatsache, dass ein konkreter gesetzlicher Regelungsvorschlag über die Einführung eines Mindestlohnes nicht vorliegt, welche auf ihre Europarechtmäßigkeit überprüft werden könnte, kann auch nicht beurteilt werden, ob die genannten Richtlinien vorrangig heranzuziehen wären. Insofern wird im Folgenden abstrakt die Vereinbarkeit von Mindestlohnregelungen mit den europäischen Grundfreiheiten , insbesondere mit der Dienstleistungsfreiheit, und erst im Anschluss mit dem diese konkretisierenden Sekundärrecht (Entsende- und VergabekoordinierungsRL) geprüft.5 Zudem wird erörtert, inwiefern europäische Grundrechte und die Europäische Sozialcharta Rechtmäßigkeitsmaßstab für Mindestlohnregelungen sein können. 2.1. Dienstleistungsfreiheit Dadurch, dass eine nationale Regelung (auch) ausländische Dienstleister verpflichtet, ihren Arbeitnehmern mindestens das am Ort der Ausführung der Dienstleistung verpflichtend vorgesehene Mindestentgelt zu zahlen – und das ist regelmäßig der Fall, kann sie als eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit, gewährt durch Art. 56 AEUV6, die der Rechtfertigung bedarf, zu qualifizieren sein. Art. 56 AEUV verlangt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH7 nicht nur die Beseitigung von Diskriminierungen des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist 4 Zum Ganzen vgl. statt vieler Glaser/Kahl, Zur Europarechtskonformität kombinierter Tariftreue- und Mindestlohnklauseln in Landesvergabegesetzen, ZHR 2013, 643, 648 m.w.N. 5 Würde eine konkrete Mindestlohnregelung auf ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht geprüft, wäre in einem ersten Schritt zu klären, ob die konkrete Vorschrift in den Anwendungsbereich der EntsendeRL fällt. In einem zweiten Schritt käme es darauf an, ob (auch) die Vergabekoordinierungsrichtlinie heranzuziehen ist (d.h. der relevante Schwellenwert erreicht wird), oder ob Rechtmäßigkeitsmaßstab allein die Dienstleistungsfreiheit ist. Vgl. dazu im Einzelnen Glaser/Kahl, Zur Europarechtskonformität kombinierter Tariftreue- und Mindestlohnklauseln in Landesvergabegesetzen, ZHR 2013, 643, 653 f. 6 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, konsolidierte Fassung (2012), ABl. C 326 vom 26. Oktober 2012, S. 47ff (online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/JOHtml.do?uri=OJ:C:2012:326:SOM:DE:HTML, zuletzt abgerufen am 9.1.14). 7 Vgl. statt vieler EuGH, Rs. C-490/04 (Kommission ./. Deutschland), Urteil vom 18. Juli 2007, Rn. 63 m.w.N. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 6 PE 6 - 3000 - 2/14 und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Dies gilt selbst dann, wenn die Beschränkung unterschiedslos für inländische Dienstleistende und für solche aus anderen Mitgliedstaaten gilt. Ebenso ist durch den Gerichtshof geklärt, dass nationale Regelungen, die zusätzliche administrative und wirtschaftliche Kosten und Belastungen verursachen – wie das im Zusammenhang mit einem verpflichtenden Mindestlohn der Fall wäre8 – Beschränkungen in diesem Sinne darstellen.9 Entsprechend lassen sich mitgliedstaatliche verpflichtende Mindestlohnregelungen grundsätzlich als Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit im Sinne einer jedenfalls potentiellen zusätzlichen wirtschaftlichen Belastung einordnen. Unterschiedslos anwendbare, d.h. nicht aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminierende, Mindestlohnvorschriften, können jedoch gerechtfertigt sein, - wenn sie auf zwingenden Gründen des Allgemeininteresses beruhen, - soweit diese Interessen nicht bereits durch Vorschriften geschützt werden, denen der Dienstleistende in dem Mitgliedstaat unterliegt, in dem er ansässig ist, und - sofern sie geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten , ohne über das hinauszugehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.10 Als Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen u.a.11 das Ziel des Arbeitnehmerschutzes12, bei tarifvertraglich geregelten Mindestlöhnen der Schutz der autonomen Ordnung des Arbeitslebens durch Koalitionen und schließlich das Ziel der finanziellen Stabilität der sozialen Versicherungssysteme 13. Jedenfalls nicht zur Rechtfertigung herangezogen werden, können Ziele wirtschaftlicher Art wie etwa der Schutz der inländischen Unternehmen vor Konkurrenz aus anderen Mitgliedstaaten. Entscheidend ist, ob die konkrete mitgliedstaatliche Regelung bei objektiver Betrachtung einem legitimen Zweck wie etwa dem Schutz der Arbeitnehmer dient, oder ob sie nicht eigentlich andere Ziele verfolgt. Soziale Schutzerwägungen vermögen die Dienstleistungs- 8 Ausdrücklich bejaht hat der EuGH eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit etwa durch eine nationale Regelung des Vergaberechts, nach der die Zuschlagsempfänger und mittelbar deren Nachunternehmer verpflichtet werden, ein tarifvertraglich vorgesehenes Mindestentgelt zu zahlen. (EuGH, Rs. C-346/06 (Rüffert), Urteil vom 3. April 2008, Rn. 37 ff. 9 Vgl. EuGH, Rs. C-60/03 (Wolff & Müller), Urteil vom 12. Oktober 2004, Rn. 32 m.w.N. 10 EuGH, Rs. C-346/06 (Rüffert), Schlussanträge des Generalanwalt Bot vom 20. September 2007, Rn. 105 m.w.N., denen sich der EuGH in seinem Urteil in Rn. 38 insoweit angeschlossen hat, als dass die grundsätzliche Rechtfertigungsmöglichkeit anerkannt wurde – im konkreten Fall eine Rechtfertigung der streitgegenständlichen Regelung aber auf Grund ihrer fehlenden Allgemeinverbindlichkeit und ihrer Nichtanwendbarkeit auf die Vergabe privater Aufträge aber abgelehnt wurde (Rn. 38 ff. des Urteils). Zur Rechtfertigung von Mindestlohnregelungen vgl. auch Mair, Mindestlohn und Gemeinschaftsrecht, § 7 AVRAG im Kraftfeld der Binnenmarktfreiheiten, Juristische Blätter 2009, 86, 93 ff. oder Glaser/Kahl, Zur Europarechtskonformität kombinierter Tariftreue- und Mindestlohnklauseln in Landesvergabegesetzen, ZHR 2013, 643, 661 ff. 11 Für weitere denkbarer Rechtfertigungsgründe vgl. Schlussanträge des GA Bot in der Rs. C-346/06 (a.a.O.), Rn. 108 ff.: Verhinderung unlauteren Wettbewerbs seitens der Unternehmen, Verhinderung von Sozialdumping, 12 EuGH, Rs. C-60/03 (Wolff & Müller), a.a.O., Rn. 35 m.w.N. 13 Vgl. u.a. EuGH, Rs. C-372/04 (Watts), Urteil vom 16. Mai 2006, Rn. 103 m.w.N. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 7 PE 6 - 3000 - 2/14 freiheit beschränkende Mindestlohnregelungen nach der Rechtsprechung des EuGH14 nur zu rechtfertigen, wenn dem Schutz der Arbeitnehmer nicht bereits durch solche Vorschriften Rechnung getragen wird, denen der Dienstleistungserbringer in seinem Niederlassungsstaat unterliegt. Der EuGH verlangt konkret, dass die Mindestlohnregelung des Empfängerstaates bei objektiver Betrachtung den Schutz der Arbeitnehmer fördert bzw. den betroffenen Arbeitnehmern einen tatsächlichen Vorteil verschafft, der deutlich zu ihrem sozialen Schutz beiträgt.15 Ob eine mitgliedstaatliche Mindestlohnregelung diesen Anforderungen entspricht, lässt sich nur anhand der konkreten Regelung und im Einzelfall beurteilen. Wenn aber eine mitgliedstaatliche Mindestlohnvorschrift ein legitimes Ziel in diesem Sinne verfolgt , dann muss sie zudem auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen, d.h. sie muss zur Erreichung des Ziels geeignet und erforderlich sein.16 Es darf keine weniger einschneidenden Maßnahmen geben, die gleichsam der Erreichung des verfolgten Zieles dienen. Auch diesbezüglich hängt es von der konkreten Ausgestaltung der nationalen Regelungen ab, ob sie sich als verhältnismäßiger Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit darstellte. 2.2. Entsenderichtlinie (Richtlinie 96/71/EG) Für den Fall, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen im Rahmen der Erbringung einer Dienstleistung vorübergehend Arbeitnehmer in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates entsendet, hat der Unionsgesetzgeber die Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (EntsendeRL)17 erlassen. In ihrem Anwendungsbereich müssen sich die Mitgliedstaaten zur Umsetzung von Arbeitnehmerschutzmaßnahmen für in ihr Hoheitsgebiet entsandte Arbeitskräfte der in der EntsendeRL vorgegebenen Mittel bedienen. Art. 3 der EntsendeRL verpflichtet die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass die Unternehmen den in das Hoheitsgebiet des jeweiligen Staates entsandten Arbeitnehmern bestimmte Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen garantieren. Danach sind bindende Vorgaben von Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen wie etwa von gesetzlichen Mindestlöhnen (vgl. Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 erster und zweiter Gedankenstricht Buchstabe c EntsendeRL) dann statthaft, wenn die Beschäftigungsbedingungen durch Rechts- oder Verwaltungsvorschrift und/oder im Bereich von Bauleistungen durch allgemein verbindliche Tarifverträge oder Schiedssprüche festgelegt werden. Ob eine nationale Vorschrift zur Festlegung eines Mindestlohnes diesen Anforderungen der EntsendeRL genügt, wäre wiederum im konkreten Einzelfall zu überprüfen. Die EntsendeRL verlangt zum Schutz von Arbeitnehmerbelangen jedenfalls allgemeingültige Rechtsgrundlagen , welche zwar durchaus branchenspezifisch sein dürfen, die aber auf jeden Fall alle Arbeitnehmer 14 Ständige Rechtsprechung, vgl. EuGH, Rs. C-319/06 (Kommission ./. Luxemburg), Rn. 42 f. m.w.N. 15 Vgl. EuGH, Rs. C-49/98 (Finalarte), Urteil vom 25. Oktober 2001, Rn. 42 f. 16 Mair, Mindestlohn und Gemeinschaftsrecht, § 7 AVRAG im Kraftfeld der Binnenmarktfreiheiten, Juristische Blätter 2009, 86, 97 m.w.N. 17 Online abrufbar unter http://new.eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31996L0071&qid=1389187120375&from=DE, zuletzt abgerufen am 8.1.14. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 8 PE 6 - 3000 - 2/14 erreichen müssen. Jedenfalls ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn dürfte i.d.R. die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 EntsendeRL erfüllen. Bleibt aber zu bedenken, dass die EntsendeRL im Lichte der Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV auszulegen ist.18 Entsprechend dem oben Gesagten muss also zusätzlich zum Erfordernis der Regelung durch eine allgemeingültige Rechtsgrundlage i.S.d. Art. 3 EntsendeRL die durch eine Mindestlohnregelung gegebene Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit gerechtfertigt sein. 2.3. Vergabekoordinierungsrichtlinie (Richtlinie 2004/18/EG) Soweit eine Regelung in den Anwendungsbereich der Richtlinie über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (VergabekoordinierungsRL)19 fiele, wäre zu prüfen, ob die jeweilige Mindestlohnklausel sich als Bedingung für die Auftragsdurchführung im Sinne von Art. 26 der Richtlinie darstellte, als solche soziale Aspekte i.S.d. Art. 26 Abs. 2 der Richtlinie beträfe und ob es sich bei der fraglichen Mindestlohnklausel um ein gemäß Art. 53 Abs. 1 lit. a VergabekoordinierungsRL grundsätzlich geeignetes Zuschlagskriterium handelte. Die VergabekoordinierungsRL steht jedenfalls einer Mindestlohnklausel nicht grundsätzlich entgegen. Vielmehr ermöglicht sie den Mitgliedstaaten, soziale Aspekte bei der Vergabe öffentlicher Aufträge einzubeziehen. Das entsprechende nationale Recht steht aber wiederum unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit der Dienstleistungsfreiheit .20 Insofern gilt das oben Gesagte entsprechend. 2.4. Europäische Grundrechte Möglicherweise sind auch die in der Europäischen Grundrechte-Charta (GrCh) kodifizierten europäischen Grundrechte Prüfungsmaßstab für mitgliedstaatliche Mindestlohnregelungen. 2.4.1. Eröffnung des Anwendungsbereichs der Grundrechte-Charta Das wäre nur dann der Fall, wenn der Anwendungsbereich der GrCh eröffnet wäre. Im Falle mitgliedstaatlicher Mindestlohnvorschriften handeln nicht Organe der EU, sondern die Mitgliedstaaten selbst. Gemäß Art. 51 Abs. 1 GrCh ist ihr Anwendungsbereich entsprechend nur dann eröffnet, wenn die Mitgliedstaaten EU-Recht durchführen. Vorliegend ist bereits zweifelhaft, ob 18 EuGH, Rs. C-346/06 (Rüffert), a.a.O., Rn. 36. Vgl. zum Ganzen Csaki/Freundt, Europarechtskonformität von vergabegesetzlichen Mindestlöhnen, KommJur 2012, 246 2012, 248ff. 19 Online abrufbar unter http://new.eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02004L0018- 20041101&qid=1389280340791&from=DE, zuletzt abgerufen am 9.1.2014. 20 Vgl. Glaser/Kahl, Zur Europarechtskonformität kombinierter Tariftreue- und Mindestlohnklauseln in Landesvergabegesetzen, ZHR 2013, 643, 659 Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 9 PE 6 - 3000 - 2/14 in der Einführung eines Mindestlohnes durch einen Mitgliedstaat ein Fall der Durchführung von Unionsrecht gesehen werden kann.21 2.4.1.1. Durchführung von EU-Recht Nach der Rechtsprechung des (Europäischen) Gerichtshofs liegt eine Durchführung von Unionsrecht immer dann vor, wenn das nationale Handeln, welches am Maßstab der Grundrechte- Charta geprüft werden soll, in den Anwendungsbereich des Unionsrecht fällt.22 Feststehende Formeln, unter welchen Voraussetzungen der Anwendungsbereich des Unionsrechts eröffnet ist, lassen sich der Rechtsprechung nicht entnehmen. Es sind jedoch bestimmte Fallgruppen anerkannt, in denen von einer Eröffnung des Anwendungsbereichs auszugehen ist.23 Hierzu gehören vor allem der Vollzug von Verordnungen und die Umsetzung von Richtlinien.24 Eine weitere Fallgruppe betrifft die Einschränkung von Grundfreiheiten.25 Insgesamt betrachtet, lässt sich der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Tendenz entnehmen, den Anwendungsbereich des Unionsrecht weit zu verstehen und auch Konstellationen einzubeziehen , in denen das Unionsrecht das nationale Recht zwar inhaltlich nicht vollständig determiniert , aber gleichwohl Anknüpfungspunkte zum EU-Recht bestehen.26 Hiervon ausgehend lässt sich zunächst festhalten, dass mitgliedstaatliche Mindestlohnvorschriften weder der Umsetzung von Richtlinien noch dem Vollzug von Verordnungen dienen. Wie oben dargestellt, kann jedoch ein Fall der der Einschränkung von Grundfreiheiten vorliegen.27 21 Die Folgenden Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf Teilen der Ausarbeitung A-92/13 „Durchsuchungsund Vernichtungsaktion bei der britischen Tageszeitung „The Guardian“, Verstoß gegen die Europäische Grundrechte -Charta? . 22 EuGH, Urt. vom 16.02.2013, Rs. C-617/10, noch nicht in amtl. Slg. veröffentlicht, Rn. 19 ff. – Åkerberg Fransson. Alle Entscheidungen sind online abrufbar unter Angabe der. Rs.-Nr. unter http://curia.europa.eu/juris/recherche.jsf?language=de. Vgl. zum Begriff der Durchführung auch die Erläuterung zur Grundrechte-Charta zu Art. 51 GRCh, die nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 EUV. 23 Siehe den Überblick bei Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Aufl. 2013, Art. 51, Rn. 16 ff. 24 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 51 GRCh, Rn. 8. 25 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Aufl. 2013, Art. 51 GRCh, Rn. 21. 26 EuGH, Rs. C-617/10 (Åkerberg Fransson), Urteil vom 16.02.2013, Rn. 29. Diese Entwicklung wird nicht nur im Schrifttum zum Teil kritisiert. Auch das BVerfG hat in seinem Urteil zur Anti-Terror-Datei eine zurückhaltende Auslegung des Art. 51 Abs. 1 GRCh im Hinblick auf die mitgliedstaatliche Bindung angemahnt (vgl. 1 BvR 1215/07, Rn. 88ff.). 27 Vgl. oben 2.1. Dienstleistungsfreiheit, S. 5. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 10 PE 6 - 3000 - 2/14 2.4.1.2. Bindung an die Grundrechte-Charta wegen Einschränkungen von Grundfreiheiten? Entsprechend stellt sich die Frage, ob dies genügt, um die Grundrechte-Charta als eigenständigen Prüfungsmaßstab für das betreffende mitgliedsstaatliche Handeln zu aktivieren. Denn im Rahmen dieser Fallgruppe kamen die Charta-Grundrechte bislang in der Regel nur als ein die mitgliedsstaatliche Rechtfertigung begrenzender Aspekt zur Anwendung (Grundrecht als sog. Schranken-Schranke).28 Nach den einschlägigen EuGH-Entscheidungen bedeutet dies, dass der von den Mitgliedstaaten geltend gemachte Rechtfertigungsgrund im Lichte der EU-Grundrechte auszulegen ist.29 Ob und inwieweit auf Grundlage dieser Fallgruppe auch eine eigenständige EU- Grundrechteprüfung möglich ist, ist in der Rechtsprechung und in der Literatur bislang ungeklärt . Hierfür könnte sprechen, dass eine Auslegung im Lichte der Grundrechte nur dann in Betracht kommt, wenn diese in materieller Hinsicht betroffen sind. Entsprechend prüft der Gerichtshof etwa im Urteil Familia Press30 kurz eine Beeinträchtigung des in Bezug genommenen Grundrechts an. Eine weitere eigenständie Prüfung nur des Grundrechts erfolgt sodann in dieser Entscheidung aber nicht.31 Unklar ist in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung des Urteils in der Rechtssache Karner32. Auch hier unternahm der Gerichtshof im Zusammenhang mit der Untersuchung eines Grundfreiheitsverstoßes eine Grundrechtsprüfung. Anders als in den Leitentscheidungen zur Fallgruppe der Einschränkung von Grundfreiheiten, ließ der Gerichtshof hierfür genügen, dass lediglich der Anwendungsbereich der einschlägigen Warenverkehrsfreiheit eröffnet war, da er das Vorliegen eines Eingriff abgelehnt hatte.33 Dementsprechend erfolgte die anschließende Grundrechtsprüfung ohne Einbettung in die Rechtfertigung des Grundfreiheitsverstoßes.34 Ob diese Rechtssache jedoch verallgemeinerungsfähig ist, erscheint zweifelhaft. Soweit ersichtlich, besteht keine Folgerechtsprechung, in der dieser Ansatz bestätigt wurde. Im Schrifttum wird dieser Ansatz zudem kritisiert, da sich hieraus aufgrund des weiten Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten bei gleichzeitigem Verzicht auf das Vorliegen eines Eingriffs eine sehr weitgehende Bindung der Mitgliedstaaten an die EU-Grundrechte ergeben würde. 28 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Aufl. 2013, Art. 51 GRCh, Rn. 21. 29 Siehe EuGH, Rs. C-260/89 (ERT), Urteil vom 18. Juni 1991, Rn. 43 ff.; EuGH, Rs. C-368/95 (Familia Press), Urteil vom 26. Juni 1997, Rn. 24. 30 EuGH, Rs. C-368/95 (Familia Press), Rn. 26. 31 EuGH, Rs. C-368/95 (Familia Press), Rn. 27 ff. 32 EuGH, Rs. C-71/02 Karner, Urteil vom 25. März 2004, Rn. 48 ff. 33 EuGH, Rs. C-71/02 (Karner), Rn. 43 ff.. 34 EuGH, Rs. C-71/02 (Karner), Rn. 50 ff.. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 11 PE 6 - 3000 - 2/14 2.4.1.3. Zwischenergebnis Nach alledem ist äußerst zweifelhaft, ob vorliegend der Anwendungsbereich der Grundrechte- Charta eröffnet wäre. Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass hier ein Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit vorläge und dadurch die Grundrechte-Charta zur Anwendung kommen könnte, ist weiter zweifelhaft, ob die mitgliedstaatlichen Maßnahmen dann einer Grundrechtsprüfung zu unterziehen sind, oder ob nicht allenfalls im Rahmen der Rechtfertigung des Eingriffs in die Dienstleistungsfreiheit die Grundrechte-Charta heranzuziehen wäre. Es ist angesichts der Praxis des EuGH, den Anwendungsbereich eher weit auszulegen, jedoch nicht ganz ausgeschlossen, dass mitgliedstaatliche Mindestlohnvorschriften auch an der Grundrechte -Charta zu messen wären. Daher wird im folgenden kurz geprüft, welche verbrieften Grundrechte verletzt sein könnten. 2.4.2. Verletzung von Charta-Grundrechten: Als unionsgrundrechtlicher Prüfungsmaßstab kämen die Berufsfreiheit bzw. die speziellere unternehmerische Freiheit (Art. 15, 16 GrCh) in Betracht.35 Die Berufsfreiheit in Art. 15 und die Unternehmerfreiheit in Art. 16 GrCh gewährleisten sowohl die selbständige als auch die unselbständige berufliche Tätigkeit im Sinne einer umfassenden wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit.36 Zu deren Schutzbereich zählen auch die Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben , die Vertragsfreiheit und der freie Wettbewerb. Die Bindung an feste Lohngrenzen determiniert wesentliche Vertragsinhalte von Arbeitsverträgen und kann dadurch jedenfalls mittelbar die Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit beeinträchtigen . Dieser Eingriff kann aber gerechtfertigt sein. Gemäß Art. 52 Abs. 1 GrCh ist das der Fall, wenn das betroffene Grundrecht nicht in seinem Wesensgehalt angetastet wird und insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Hier gelten dieselben Maßstäbe wie bei der Rechtfertigung von Eingriffen in die Grundfreiheiten.37 Entsprechend wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.38 35 Für die parallele Prüfung einer Verletzung von Grundrechten des Grundgesetzes vgl. Lakies, Gesetzlicher Mindestlohn: Zur Legitimation der Staatsintervention gegen Niedriglöhne, Arbeit und Recht 2013, 69. 36 Ruffert, in: Calliess, Christan/Ruffert, Matthias, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 3. Auflage 2007, Art. 15 GRCh, Rn. 4 mit Hinweis auf EuGH, Verb. Rs. 63/84 und 147/84 (Finsider), Rn. 23. 37 Glaser/Kahl, Zur Europarechtskonformität kombinierter Tariftreue- und Mindestlohnklauseln in Landesvergabegesetzen, ZHR 2013, 643, 675 m.w.N. 38 Siehe oben 2.1 Dienstleistungsfreiheit, S. 5ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 12 PE 6 - 3000 - 2/14 Eingriffe in weitere Chartagrundrechte sind nicht ersichtlich.39 2.5. Europäische Sozialcharta Die Europäische Sozialcharta von 1962 ist zwar kein Europarecht im engeren Sinne, sondern vielmehr ein neben dem Europarecht stehender völkerrechtlicher Vertrag europäischer Staaten. Der Vollständigkeit halber soll aber an dieser Stelle kurz auf die Relevanz ihrer Regelungen eingegangen werden, zumal anerkannt ist, dass die Regelungen der Europäischen Sozialcharta als Auslegungshilfe für das Unionsrecht heranzuziehen sind40. Die ESC wurde 1964 durch Zustimmungsgesetz in deutsches Recht umgesetzt41 und gilt innerstaatlich im Range eines einfachen nationalen Gesetzes (vgl. Art. 59 Abs. 2 GG). Nicht geklärt ist, ob diese Vorschrift im deutschen Recht unmittelbar anwendbar ist, d.h. ob ihre Anwendung vom Erlass von Durchführungsvorschriften abhängig ist und ob innerstaatliche Stellen aus ihr Rechtsfolgen für den Einzelfall ableiten dürfen.42 Selbst wenn die unmittelbare Anwendbarkeit verneint würde, entfaltete die Vorschrift wegen ihrer Transformation in deutsches Recht durch das Zustimmungsgesetz dennoch innerstaatliche Geltung und ist insofern jedenfalls als Rechtssetzungsauftrag zu verstehen.43 Außerdem kann der Regelungsgehalt der Vorschrift als Auslegungshilfe für das Unionsrecht heranzuziehen sein und insofern im Rahmen der Rechtfertigung des Eingriffs in die Dienstleistungsfreiheit Berücksichtigung finden.44 Art. 4 Ziff. 1 und 2 ESC sehen das Recht auf ein gerechtes Arbeitsentgelt vor. Diese Vorschrift soll eine Lebensstandardsicherung durch eigene Arbeit ermöglichen und verpflichtet den Staat insofern, dafür zu sorgen, dass entsprechend hohe Entgelte gezahlt werden. Art. 4 ESC lässt aber 39 Auf verfassungsrechtlicher Ebene wird im Zusammenhang mit der Frage nach der Rechtmäßigkeit eines gesetzlichen Mindestlohnes geprüft, ob die Regelung sich als Eingriff in die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG darstellt (vgl. Lakies, Gesetzlicher Mindestlohn: Zur Legitimation der Staatsintervention gegen Niedriglöhne, Arbeit und Recht 2013, 69, 70 f.). Auch die Grundrechtecharta enthält ein Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen (vgl. Art. 28 GrCh). Dieses Recht beinhaltet aber nicht das Recht das Tarifparteien bei der Aufstellung von Mindestlöhnen beteiligt zu werden. Geschützt werden allein die Handlungen, die mit dem Aushandeln und dem Abschluss von Tarifverträgen u.ä. zusammenhängen Jarass in: Jarass (Hrsg.), Charta der EU-Grundrechte, 2. Aufl. 2013, Art. 28 GrCh, Rn. 8). Das wird von der Einführung eines (gesetzlichen) Mindestlohnes nicht berührt. 40 Vgl. z.B. EuGH, Rs. 24/86 (Blaizot), Urteil vom 22. Februar 1988, Rn. 17. 41 BGBl II 1964, BGBL Jahr 1964 Artikel II Seite 1262; Zwar hat die Bundesrepublik die zum 1.7.1999 in Kraft getretene revidierte Sozialcharta nicht ratifiziert, aber an der Regelung zum Entgelt in Art. Artikel 4 hat sich nichts geändert, so dass die mangelnde Ratifikation der revidierten Fassung für die vorliegende Fragestellung keine Rolle spielt. (Zum aktuellen Ratifikationsstand siehe die Webseite des Vertragsbüros des Europarates, abrufbar unter http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/QueVoulezVous.asp?NT=163&CM=7&DF=7/2/2009&CL=GER, zuletzt abgerufen am9.1.14. 42 Dazu vgl. Körner, Mindestlohnanforderungen im internationalen Arbeitsrecht, NZW 2011, 425, 428 43 Körner, Mindestlohnanforderungen im internationalen Arbeitsrecht, NZW 2011, 425, 429 m.w.N. 44 Vgl. oben 2.1. Dienstleistungsfreiheit, S. 5. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 13 PE 6 - 3000 - 2/14 den Weg zu einem angemessenen Entgelt offen, so dass der Vorschrift nicht etwa eine Pflicht zur Einführung oder zur Gewährung eines gesetzlichen Mindestlohns zu entnehmen ist.45 Das Ziel, eines gerechten Arbeitsentgelts wird aber angesichts der Regelung in der ESC jedenfalls als legitimer Zweck von staatlichen Mindestmaßnahmen anzusehen sein. 2.6. Zwischenergebnis Im Ergebnis stehen weder das unionale Primärrecht noch dieses konkretisierende Sekundärrecht grundsätzlich der Einführung nationaler Mindestlohnregelungen entgegen. Bei der Ausgestaltung von Mindestlohnvorschriften bedarf es jedoch der Beachtung der Anforderungen der Entsende- RL, ggfls. der VergabekoordinierungsRL und v.a. des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Hinblick auf den zu rechtfertigenden Eingriff in Dienstleistungs- und unternehmerische Freiheit. Die Europäische Sozialcharta kann aber im Rahmen der Rechtfertigung insofern Berücksichtigung finden, als dass sie ein Recht auf ein gerechtes Arbeitsentgelt enthält und somit die Legitimität des Zweckes hinter staatlichen Mindestlohnvorschriften wohl anzuerkennen ist. 3. Vereinbarkeit von Ausnahmen vom Mindestlohn für bestimmte Personengruppen mit dem Europarecht Auch wenn das Europarecht der Schaffung von mitgliedstaatlichen Mindestlohnvorschriften nicht grundsätzlich entgegensteht und andererseits die Einführung von Mindestlohnregelungen nicht fordert, kann eine Ausgestaltung in der Art, dass bestimmte Personengruppen keinen Anspruch auf einen Mindestlohn haben sollen, gegen das Unionsrecht verstoßen. Das Unionsrecht selbst schreibt keine Mindestlohnregelungen vor. Insofern findet sich auch keine ausdrückliche Regelung dazu, ob Ausnahmen für bestimmte Personengruppen geschaffen werden können. Möglicherweise stehen andere primärrechtliche Vorschriften der Schaffung solcher Ausnahmetatbestände entgegen. 3.1. Grundsatz der Entgeltgleichheit In Betracht kommt etwa ein Verstoß gegen den in Art. 157 AEUV gewährten Grundsatz der Entgeltgleichheit . Diese Vorschrift gewährt als unmittelbar anwendbare Vorschrift das Recht auf gleiches Entgelt für gleiche Arbeit für Männer und Frauen und fordert so die Gleichheit des Arbeitsentgelts ohne Diskriminierung auf Grund des Geschlechts. Ein Verstoß gegen diesen Grundsatz wäre anzunehmen, wenn die fragliche Ausnahmeregelung zu einer Mindestlohnvorschrift Frauen und Männer aufgrund ihres Geschlechts unterschiedlich behandelte (unmittelbare Diskriminierung) oder ein Fall der mittelbaren Diskriminierung gegeben wäre. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn die Regelung nicht unmittelbar an das Geschlecht anknüpft, sondern geschlechtsun- 45 Körner, Mindestlohnanforderungen im internationalen Arbeitsrecht, NZW 2011, 425, 428 In Bezug auf Deutschland hat der ESC-Ausschuss in seinem letzten Bericht von 2007 festgestellt, dass die Rechtslage in Deutschland nicht mit Art. 4 ESC vereinbar ist [vgl. Conclusions XVIII-2 (Germany), S. 12, www.coe.int]. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 14 PE 6 - 3000 - 2/14 spezifisch formuliert ist, sie aber erheblich mehr Angehörige eines Geschlechts betrifft und nicht gerechtfertigt ist.46 Im vorliegenden Zusammenhang wäre also zu prüfen, ob etwaige Mindestlohnausnahmevorschriften , die zwar nicht an das Geschlecht anknüpfen, sich jedoch erheblich mehr auf Angehörige eines Geschlechts auswirken. Denkbar erscheint, dass insbesondere eine Ausnahmeregelung zu Lasten von Eltern, die sich in Elternzeit befinden und nebenbei abhängig beschäftigt sind, erheblich mehr Frauen als Männer betrifft, so dass von einer mittelbaren Diskriminierung ausgegangen werden könnte. Für eine solche Annahme bedürfte es aber des tatsächlichen (statistischen ) Nachweises, dass die Vorschrift erheblich mehr Frauen als Männer betreffen würde.47 Gelänge der Nachweis einer mittelbaren Diskriminierung, wäre weiter zu prüfen, ob diese ggfls. gerechtfertigt sein kann. Als Rechtfertigungsgrund kommen u.a. notwendige Ziele der mitgliedstaatlichen Sozialpolitik in Betracht.48 Entscheidend für eine Rechtfertigung wäre auch in diesem Zusammenhang, ob die mitgliedstaatliche Maßnahme verhältnismäßig wäre.49 3.2. Verbot der Altersdiskriminierung Das Verbot der Altersdiskriminierung findet sich zwar nicht ausdrücklich im europäischen Primärrecht . Der EuGH hat dieses aber als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts (Art. 6 Abs. 3 EUV) und damit im Range des Primärrechts anerkannt.50 Denkbar erscheint es, in der Schaffung von Ausnahmeregelungen für Rentnerinnen und Rentner eine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters zu erkennen, welche aber in ähnlicher Weise wie mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts gerechtfertigt sein kann. Entscheidend ist mithin wiederum zum einen der (statistische) Nachweis einer mittelbaren Diskriminierung und zum anderen, ob die konkrete Ausnahmeregelung einen legitimen Zweck verfolgt und zur Erreichung desselben verhältnismäßig ist. 46 Krebber, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 157 AEUV, Rn. 40 m.w.N. 47 Im Einzelnen dazu vgl. Krebber, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 157 AEUV, Rn. 50ff. 48 Vgl. etwa EuGH, Rs. 171/88 (Rinner-Kühn); Urteil vom 13. Juli 1989, Rn. 14; Rs. C-196/02 (Nikoloudi), Urteil vom 10, März 2005, Rn. 53f. 49 Vgl. oben S. 7. 50 Dazu EuGH, Rs. C-144/04 (Mangold), Urteil vom 22. November 2005, Rn. 75; Rs. C-555/07 (Kücükdeveci), Urteil vom 19. Januar 2010, Rn. 27f. Vgl. zum Verbot der Altersdiskriminierung im Hinblick auf die bestehenden sekundärrechtlichen Regelungen (Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf) das kontroverse Schrifttum im Anschluss an die Entscheidung in der Rechtssache Mangold: u.a. Gas, Mangold und die Folgen, EuZW 2007, 713; Preis Verbot der Altersdiskriminierung als Gemeinschaftsgrundrecht - Der Fall „Mangold ” und die Folgen, NZA 2006, 401; Seifert, Mangold und kein Ende – die Entscheidung der Großen Kammer des EuGH v. 19. 1. 2010 in der Rechtssache Kücükdeveci; EuR 2010, 802 u.v.a. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 15 PE 6 - 3000 - 2/14 3.3. Europäische Grundrechte-Charta Als Rechtmäßigkeitsmaßstab für Ausnahmevorschriften in der beschriebenen Art kommen wiederum die in der GrCh verankerten europäische Grundrechte im Allgemeinen und die Gleichheitsgrundrechte im Besonderen in Betracht. Auch in diesem Zusammenhang stellt sich die oben aufgeworfene Frage nach der Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte im Falle von Ausnahmeregelungen für besondere Personengruppen in mitgliedstaatlichen Mindestlohnvorschriften . Insofern wird auf die obigen Ausführungen verwiesen (vgl. 2.4.1 Eröffnung des Anwendungsbereichs der Grundrechte-Charta, S. 8ff.). Auch eine Mindestlohnvorschrift, die Ausnahmeregelungen für bestimmte Personengruppen enthält, kann ggfls. in der oben beschriebenen Weise die Dienstleistungsfreiheit beschränken (2.1. Dienstleistungsfreiheit, S. 5ff.): Dies gilt insbesondere dann, wenn die den Ausnahmetatbestand erfüllenden Personengruppen typischerweise Staatsangehörige des Empfängerstaates sind, so dass ausländische Dienstleister, die ihre Arbeitnehmer entsenden, regelmäßig nicht in den „Genuss“ der Möglichkeit kommen, von der Pflicht zur Zahlung eines Mindestlohnes befreit zu sein. Insofern erscheint es mit den oben zitierten Auffassungen51 denkbar, den Anwendungsbereich der Grundrechtecharte entweder im Rahmen der Rechtfertigung des Eingriffs in die Dienstleistungsfreiheit oder gar als eigenständigen Prüfungsmaßstab heranzuziehen. Würde von einer solchen Anwendbarkeit ausgegangen, bliebe zu prüfen, welche Unionsgrundrechte durch entsprechende Ausnahmevorschriften gegebenenfalls verletzt sein könnten. Die Grundrechtecharta enthält kein Grundrecht auf Zahlung eines Mindestlohnes. Insbesondere erfasst das Grundrecht auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen (Art. 31 GrCh) nicht das Entgelt.52 Entsprechend bliebe als europarechtlicher Prüfungsmaßstab für Ausnahmevorschriften zu Mindestlohnregelungen allenfalls ein Verstoß gegen besondere oder den allgemeinen Gleichheitssatz (Gleichheit von Frauen und Männern - Art. 23 GrCh; Engeltgleichheit – Art. 23 Abs. 2 GrCh; Nichtdiskriminierung – Art. 21 GrCh). Im Folgenden wird für die einzelnen beschriebenen Gruppen geprüft, ob ein Verstoß gegen Gleichheitssätze in Betracht kommt. 3.3.1. Mütter und Väter mit einer Nebentätigkeit im Rahmen ihrer Elternzeit Möglicherweise könnte eine Ausnahmevorschrift zu Lasten von Müttern oder Vätern, die während ihrer Elternzeit einer Nebentätigkeit nachgehen, das Grundrecht auf Gleichbehandlung von Männern und Frauen aus Art. 23 Abs. 1 GrCh verletzen.53 51 2.4.1. Eröffnung des Anwendungsbereichs der Grundrechte-Charta, S. 8ff. 52 Jarass, in: ders. (Hrsg.), Charta der EU-Grundrechte, 2. Aufl. 2013, Art. 31 GrCh, Rn. 6 m.w.N.; Riedel in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2003, Art. 31, Rn. 1 m.w.N. 53 Zu der Frage, es sich bei Art. 23 GrCH um ein Grundrecht oder einen Grundsatz handelt vgl. Jarass in: Jarass (Hrsg.), Charta der EU-Grundrechte, 2. Aufl. 2013, Art. 23 GrCh, Rn. 1ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 16 PE 6 - 3000 - 2/14 Träger des Grundrechts sind natürliche Personen, unabhängig von ihrem Alter.54 Eine Beeinträchtigung setzt zunächst voraus, dass die fragliche Mindestlohn-Ausnahmevorschrift an die Eigenschaft als Frau oder Mann anknüpft und damit unterschiedliche Folgen verbindet (unmittelbare bzw. offene Ungleichbehandlung). Das wäre bei einer Anknüpfung an Elternschaft und Elternzeit wohl nicht der Fall. Darüber hinaus läge eine Beeinträchtigung auch vor, wenn die Vorschrift zwar an ein anderes Kriterium anknüpft (wie etwa das Elternsein bzw. die Tatsache, dass sich Eltern in Elternzeit befinden), jedoch tatsächlich prozentual erheblich mehr Frauen als Männer benachteiligt oder umgekehrt (mittelbare oder versteckte Diskriminierung). Ob eine solche geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung vorläge, ist objektiv zu beurteilen. Es bedürfte also des Nachweises, dass von einer Ausnahmevorschrift zu Lasten von Eltern in Elternzeit tatsächlich erheblich mehr Frauen als Männer betroffen wären. Wäre das der Fall, müsste weiter nachgewiesen werden, dass diese mittelbare Ungleichbehandlung zu einem Nachteil führt. Hier wäre zu prüfen, ob der fehlende Anspruch auf Zahlung eines Mindestlohnes für die betroffenen Mütter tatsächlich einen Nachteil darstellte – wenn Sie wie geschildert auf Grund der Elternzeitregelungen hinreichend „sozial abgesichert wären und auf die Zahlung eines Mindestlohnes zur Existenzsicherung nicht angewiesen wären.“ Im Ergebnis wird wohl davon auszugehen sein, dass allein die geringere Entlohnung bereits einen hinreichenden Nachteil darstellt. Diese Beeinträchtigung könnte jedoch gerechtfertigt sein, wenn die Ungleichbehandlung ein legitimes Ziel verfolgt, „das nichts mit der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht zu tun hat“55. Zudem muss die Ungleichbehandlung verhältnismäßig sein. Insofern wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. 3.3.2. Rentnerinnen und Rentner In einer Ausnahmevorschrift für Rentner könnte ggfls. eine Diskriminierung wegen des Alters, die gemäß Art. 21 Abs. 1 GrCh verboten ist, liegen.56 Träger auch dieses Grundrechts sind alle natürlichen Personen, unabhängig von Alter und Staatsangehörigkeit. Vorausgesetzt wird, dass die sich auf das Grundrecht berufende Person das fragliche personenbezogene Merkmal aufweist. Wie auch im Rahmen von Art. 23 GrCh stellen im Bezug auf die Altersdiskriminierung nach Art. 21 GrCh sowohl eine unmittelbare Ungleichbehandlung (Ausnahmeregelung knüpft ausdrücklich an das Alter der Lohnempfänger an) als auch eine mittelbare Ungleichbehandlung (Ausnahmeregelung knüpft zwar nicht an das Alter an, sie läuft aber im Ergebnis immer oder in den weitaus meisten Fällen auf eine Verwendung des Merkmals „Alter“ hinaus) eine Beeinträchtigung des Grundrechts dar, die zu rechtfertigen ist. Entsprechend bedürfte es auch in diesem Kontext zunächst des Nachweises einer jedenfalls mittelbaren Ungleichbehandlung durch eine Ausnahmevorschrift zu Lasten von Rentnerinnen und Rentnern und der Prüfung, ob die jeweilige konkrete Vorschrift ein legitimes Ziel verfolgt und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt. 54 Jarass in: Jarass (Hrsg.), Charta der EU-Grundrechte, 2. Aufl. 2013, Art. 23 GrCh, Rn. 9. 55 EuGH, Rs. 236/98 (Jämställdhetsombudsmannen/Örebro läns landsting), Urteil vom 30. März 2000, Rn. 50. 56 Zu Art. 21 GrCh vgl. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Aufl. 2013, Art. 21, Rn. 1 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 17 PE 6 - 3000 - 2/14 3.3.3. Studierende und Saisonarbeitskräfte Im Hinblick auf Ausnahmevorschriften für Studierende und Saisonarbeitskräfte ist die Einschlägigkeit besonderer Gleichheitssätze nicht ersichtlich. Insofern käme als Prüfungsmaßstab allein der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 20 GrCh in Betracht. Auch dieses Grundrecht schützt alle natürlichen Personen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit . Eine Beeinträchtigung setzt voraus, dass vergleichbare Sachverhalte in unterschiedlicher Weise behandelt werden, dass es also zu einer Differenzierung kommt, dass diese Differenzierung gleichen Ursprungs ist, d.h. von der gleichen Stelle herrührt, und dass die Ungleichbehandlung zu einer Benachteiligung des Grundrechtträgers führt.57 Wenn eine konkrete Mindestlohnausnahmeregelung als Beeinträchtigung in diesem Sinne zu qualifizieren wäre – und es spricht einiges dafür, dass eine Anknüpfung an einen Status als Student oder Saisonarbeitskraft für die Zahlung eines geringeren Lohnes diese Voraussetzungen erfüllte – käme es wiederum darauf an, ob diese gerechtfertigt sein kann. Ausreichend wäre in diesem Zusammenhang, dass die Ausnahmevorschrift berechtigte Ziele verfolgt – anders als bei der Rechtfertigung von Grundfreiheitsbeeinträchtigungen bedarf es nicht des Vorliegens zwingender Gründe des Allgemeinwohls . Der Gesetzgeber dürfte insoweit zur Rechtfertigung von allgemeinen Ungleichbehandlungen kaum Einschränkungen unterliegen, sofern er nicht in sonstiger Weise gegen Unionsrecht verstößt .58 Schließlich muss auch eine Ungleichbehandlung in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten berechtigten Ziel stehen. Eine abschließende Prüfung kann auch hier mangels einer konkret zu überprüfenden Regelung nicht erfolgen. 4. Zusammenfassung der Ergebnisse Das Unionsrecht schreibt weder die Einführung von verbindlichen Mindestlohnvorschriften vor, noch verbietet es grundsätzlich derartige mitgliedstaatliche Vorhaben oder Regelungen. Bei der Einführung von Mindestlohnvorschriften sind die Regelungen der Entsende- und der VergabekoordinierungsRL zu beachten, die Anforderungen an die Art der Regelung von Mindestlöhnen stellen. Zudem kann sich die Einführung eines Mindestlohns als Beschränkung der europäischen Dienstleistungsfreiheit darstellen und bedarf als solche der Rechtfertigung. Mindestlohnvorschriften müssen daher einen legitimen Zweck verfolgen und verhältnismäßig sein. Dies gilt auch für Ausnahmeregelungen für bestimmte Personengruppen. Diese können (mittelbare ) Ungleichbehandlungen auf Grund des Geschlechts oder des Alters oder ganz allgemein Ungleichbehandlungen i.S.d. allgemeinen Gleichheitssatzes darstellen, welche der Rechtfertigung bedürfen. Auch insofern kommt es darauf an, dass die konkrete Regelung einen legitimen Zweck verfolgt und verhältnismäßig ist. Nicht entschieden ist dabei, ob Rechtmäßigkeitsmaßstab die Unionsgrundrechte (entweder im Rahmen der Rechtfertigung eines etwaigen Eingriffs in Grundfreiheiten oder im Rahmen einer eigenständigen Grundrechteprüfung) sind oder ob allein auf das 57 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Aufl. 2013, Art. 20, Rn. 1 ff. 58 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Aufl. 2013, Art. 20 Rn. 13 m.w.N. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 18 PE 6 - 3000 - 2/14 primärrechtliche Gebot der Entgeltgleichheit und das Verbot der Altersdiskriminierung rekurriert werden muss. Eine abschließende Bewertung kann mangels tatsächlich vorliegender Regelungsvorschläge für Ausnahmen zu einem Mindestlohn nicht erfolgen. - Fachbereich Europa -