© 2019 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 001/19 Der Entwurf des ungarischen Gesetzes über die Änderung einzelner Gesetze zur Arbeitszeitgestaltung und zu Mindestgebühren für Arbeitskräfteüberlassung Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Inhaltliche Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht 6 4.1. Richtlinien auf der Grundlage von Art. 153 Abs. 2 lit. b AEUV 6 4.1.1. Arbeitszeitrichtlinie 6 4.1.2. Leiharbeitsrichtlinie 8 4.2. Sonstiges Unionsrecht 9 4.3. Ergebnis 10 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 001/19 Seite 4 1. Fragestellung und Hintergrund Der Fachbereich Europa ist beauftragt worden, zu untersuchen, ob der Entwurf des ungarischen Gesetzes über die Änderung einzelner Gesetze zur Arbeitszeitgestaltung und zu Mindestgebühren für Arbeitskräfteüberlassung vom 20. November 2018 (im Folgenden: Gesetzentwurf) mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Das entsprechende Änderungsgesetz ist laut Presseangaben am 12. Dezember 2018 im ungarischen Parlament verabschiedet worden1 und am 1. Januar 2019 in Kraft getreten2. Gegenstand der Ausarbeitung ist die unverbindliche deutsche Übersetzung des Gesetzesentwurfs durch den Sprachendienst des Deutschen Bundestages. Im Anschluss an die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts des Gesetzesentwurfs (2.) wird erörtert , wie sich die Zuständigkeitsverteilung zwischen der Europäischen Union (EU) und den Mitgliedstaaten auf den von dem Gesetzesentwurf betroffenen Gebieten gestaltet (3.). Sodann erfolgt die Untersuchung der inhaltlichen Vereinbarkeit dieser Regelungen mit dem Unionsrecht (4.). 2. Wesentlicher Inhalt des Gesetzentwurfs Der Gesetzentwurf enthält Neuerungen in den Bereichen der Arbeitszeitregelung, der Arbeitnehmerüberlassung und der Überstunden. Nach § 2 des Gesetzentwurfs erhöht die maximale Geltungsdauer eines tariflich vereinbarten Arbeitszeitrahmens nach § 94 Abs. 3 des ungarischen Arbeitsgesetzbuches (im Folgenden: uAGB-E) auf 36 Monate, wodurch sich auch mittelbar die, sich am Ablauf des Arbeitszeitrahmens orientierende , Frist verlängert, innerhalb der nach § 156 Abs. 3 uAGB die Bezahlung von geleisteten Überstunden erfolgen muss. Durch § 3 Gesetzentwurf werden einzelne Vorschriften hinsichtlich der Art und Weise der wöchentlichen Arbeitszeiteinteilung durch den Arbeitgeber, insbesondere die Anforderungen an deren Mitteilung durch diesen (§ 97 Abs. 4 uAGB-E3) und deren nachträgliche Änderung (§ 97 Abs. 5 uAGB-E), ersetzt. Gemäß § 97 Abs. 3 uAGB-E ist unter Umständen eine ungleichmäßige Arbeitszeiteinteilung zulässig. 1 Proteste gegen Viktor Orbán gehen weiter, ZEIT ONLINE vom 17. Dezember 2018 (zul. abgerufen am 15. Januar 2019); Ungarns Opposition protestiert gegen neues „Sklavengesetz“, KarriereSPIEGEL vom 12. Dezember 2018 (zul. abgerufen am 15. Januar 2019); siehe auch Änderungen im ungarischen Arbeitsrecht, Information der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer (DUIHK), Stand: 23. Dezember 2018, S. 1 (zul. abgerufen am 15. Januar 2019). 2 Vgl. Tausende demonstrieren wieder gegen den „Viktator“, SZ.de vom 22. Dezember 2018 (zul. abgerufen am 9. Januar 2019); siehe auch Änderungen im ungarischen Arbeitsrecht, Information der DUIHK, Stand: 23. Dezember 2018, S. 1 (zul. abgerufen am 15. Januar 2019). 3 Ob es im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens Änderungen des Gesetzentwurfs, der der hier geprüften deutschen Übersetzung zugrunde liegt, gegeben hat, ist nicht bekannt. Im Folgenden wird daher unterstellt, dass die im Gesetzesentwurf vorgesehenen Änderungen auch so in Kraft getreten sind. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 001/19 Seite 5 Nach dem durch § 6 Gesetzesentwurf neu gefassten § 105 uAGB-E sind grundsätzlich wöchentlich zwei Ruhetage einzuplanen (Abs. 1 S. 1), die auch ungleichmäßig eingeteilt werden können (Abs. 1 S. 2). Bei ungleichmäßiger Arbeitszeiteinteilung ist nach § 105 Abs. 2 uAGB-E die Einplanung mindestens eines wöchentlichen Ruhetags nach sechs Arbeitstagen in Folge erforderlich . Außerdem muss gemäß § 105 Abs. 3 uAGB-E für die in dieser Vorschrift genannten Arbeitnehmer monatlich mindestens ein wöchentlicher Ruhetag eingeteilt werden. Dieser muss i. d. R. monatlich mindestens einmal auf einen Sonntag fallen (§ 105 Abs. 4 uAGB-E). Als Alternative zu den o. g. Ruhetagen regelt § 7 Gesetzesentwurf die sog. wöchentliche Ruhezeit in § 106 uAGB-E: eine mindestens achtundvierzig Stunden lange wöchentliche Ruhezeit ohne Unterbrechung vom Ende der Tagesarbeitszeit an bis zum Beginn der folgenden Tagesarbeitszeit (§ 106 Abs. 1 uAGB-E). Diese kann ungleichmäßig eingeplant werden, wobei dann eine wöchentliche Ruhezeit mit der Dauer von mindestens 40 Stunden eingeteilt werden muss, die einen Kalendertag umfasst (§ 106 Abs. 2 uAGB-E). I. d. R. muss die Ruhezeit monatlich mindestens einmal sonntags sein (§ 106 Abs. 3 uAGB-E). Durch § 10 Gesetzentwurf wird § 298 Abs. 5 uAGB ersetzt, sodass die Regierung zum Erlass von Verordnungen bzgl. Arbeitnehmerüberlassungen auch zur Festlegung einer Mindestgebühr für die Überlassung ermächtigt ist. In diesem Zusammenhang kann die Regierung das Vorliegen finanzieller Sicherheiten anordnen. § 11 Gesetzentwurf erhöht die maximale außerordentliche Arbeitszeit nach § 109 Abs. 1 uAGB-E auf 400 Stunden pro Jahr. 3. Zuständigkeitsverteilung im Bereich des Arbeitsrechts Zu klären ist zunächst die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten in den hier betroffenen Bereichen des Arbeitsrechts. Die Mitgliedstaaten haben ihre entsprechenden Kompetenzen möglicherweise im Rahmen der europäischen Integration auf die EU übertragen. Auf dem Gebiet des Arbeitsrechts besteht gemäß Art. 4 Abs. 1, 2 lit. b i. V. m. Art. 153 AEUV4 eine zwischen der EU und den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit.5 Nach Art. 2 Abs. 2 AEUV können in einem solchen Kompetenzbereich sowohl Union als auch Mitgliedstaaten gesetzgeberisch tätig werden; allerdings nehmen die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeiten grundsätzlich nur wahr, sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeiten nicht ausgeübt hat. Die hier einzig in Betracht kommende primärrechtliche Kompetenzvorschrift der EU für arbeitsrechtliche Regelungen der Art, wie sie Gegenstand des Gesetzentwurfs sind, bildet jedoch Art. 153 Abs. 2 lit. b AEUV, der die EU lediglich zum Erlass von Mindestvorschriften durch Richtlinien in den in Art. 153 Abs. 1 lit. a bis i AEUV genannten Bereichen ermächtigt. Bereits 4 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Konsolidierte Fassung), ABl. C 202 vom 26. Oktober 2012, S. 47. 5 Vgl. Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 4 AEUV, Rn. 4. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 001/19 Seite 6 aus dem Wortlaut des Art. 153 Abs. 1 AEUV („unterstützt und ergänzt die Union die Tätigkeit der Mitgliedstaaten“) ergibt sich, dass die primäre Zuständigkeit auf diesen Gebieten bei den Mitgliedstaaten verbleibt.6 Die EU darf insoweit lediglich Mindestvorschriften erlassen (Art. 153 Abs. 2 lit. b, Abs. 4 AEUV). Gemäß Art. 153 Abs. 5 AEUV ist selbst dies in den Bereichen des Arbeitsentgeltes , des Koalitionsrechts, des Streikrechts und des Aussperrungsrechts ausgeschlossen . Ungarn ist mithin für den Erlass der Vorschriften des Gesetzesentwurfs ungeachtet dessen zuständig , dass der Staat insoweit das bestehende Unionsrecht zu beachten hat. 4. Inhaltliche Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht Zu prüfen ist daher im Folgenden, ob die o. g. Vorschriften im Übrigen mit dem Unionsrecht vereinbar sind. 4.1. Richtlinien auf der Grundlage von Art. 153 Abs. 2 lit. b AEUV Es stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit die EU Regelungen auf der Grundlage von Art. 153 Abs. 2 lit. b AEUV erlassen hat und ob die Vorschriften des Gesetzesentwurfs mit diesen vereinbar sind. Auf den oben unter 2. dargelegten Regelungsgebieten des Gesetzesentwurfs hat die EU zwei Richtlinien erlassen: die Richtlinie 2003/88/EG7 (im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie) auf der Grundlage von Art. 153 Abs. 2 lit. b i. V. m. Abs. 1 lit. a AEUV und die Richtlinie 2008/104/EG8 (im Folgenden: Leiharbeitsrichtlinie) auf der Grundlage von Art. 153 Abs. 2 lit. b i. V. m. Abs. 1 lit. b AEUV. Wie bereits unter 3. dargelegt, ist zu beachten, dass diese Richtlinien, insoweit sie den Mitgliedstaaten überhaupt Vorgaben machen, lediglich Mindestvorschriften darstellen, von denen die Mitgliedstaaten – wenn auch nur zugunsten eines strengeren Arbeitnehmerschutzes – abweichen können (Art. 153 Abs. 2 lit. b, Abs. 4 AEUV).9 4.1.1. Arbeitszeitrichtlinie Inhalt der Arbeitszeitrichtlinie sind Bestimmungen über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Gestaltung der Arbeitszeit (vgl. Art. 1 Abs. 1 Arbeitszeitrichtlinie ). 6 Krebber, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 153 AEUV, Rn. 3. 7 Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. L 299 vom 18.11.2003, S. 9. 8 Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit, ABl. L 327 vom 5.12.2008, S. 9. 9 Siehe auch Art. 15 Arbeitszeitrichtlinie bzw. Art. 9 Abs. 1 Leiharbeitsrichtlinie. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 001/19 Seite 7 Die Arbeitszeitrichtlinie trifft hinsichtlich der maximalen Geltungsdauer eines tariflich vereinbarten Arbeitszeitrahmens, der Vergütung (abgesehen von Art. 7 Abs. 1 Arbeitszeitrichtlinie, der den vorliegend nicht relevanten besonderen Fall des bezahlten Jahresurlaubs regelt), der maximalen außerordentlichen Arbeitszeit pro Jahr sowie der Arbeitnehmerüberlassungen keine Regelungen . Sie sieht auch keine Vorschriften bezüglich der Art und Weise der wöchentlichen Arbeitszeiteinteilung durch den Arbeitgeber vor wie sie in § 3 Gesetzesentwurf vorgesehen sind. Für die Prüfung der Vereinbarkeit des Gesetzesentwurfs mit dem Unionsrecht ist allein Art. 5 Abs. 1 Arbeitszeitrichtlinie von Bedeutung. Danach muss „jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden“ i. S. d. Art. 3 Arbeitszeitrichtlinie gewährt werden. Zwar erfüllen sowohl die Ruhetage nach § 105 uAGB-E als auch die wöchentliche Ruhezeit gemäß § 106 uAGB-E die Voraussetzungen der Gewährleistung einer wöchentlichen Ruhezeit von mindestens 24 Stunden zuzüglich der elf-stündigen täglichen Ruhezeit.10 Die Ruhetage und Ruhezeiten nach den §§ 6 und 7 des Gesetzentwurfs können aber ungleichmäßig eingeteilt werden und im Gegensatz zu mindestens einem wöchentlichen Ruhetag ist nach sechs zusammenhängenden Arbeitstagen keine wöchentliche Ruhezeit erforderlich. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Art. 5 Abs. 1 Arbeitszeitrichtlinie gerade nicht verlangt, dass die kontinuierliche Mindestruhezeit spätestens nach sechs Arbeitstagen in Folge gewährt werden muss;11 ebenso wenig werde durch diese Norm ein Zeitpunkt festgelegt, zu welchem die Mindestruhezeit zu gewähren ist.12 Nach Auffassung des EuGH steht den Mitgliedstaaten insoweit ein Gestaltungsspielraum zu.13 Etwas anderes ergibt sich nach europäischer Rechtsprechung auch nicht aus einer grundrechtskonformen Auslegung der Vorschrift unter Heranziehung des Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh): Denn dieser gewährt den Arbeitnehmern keinen weitergehenden Schutz als es die Arbeitszeitrichtlinie tut.14 Daraus folgt, dass Art. 5 Abs. 1 Arbeitszeitrichtlinie auch eine ungleichmäßige Einplanung der Mindestruhezeit innerhalb eines Siebentageszeitraums zulässt. Insoweit dürfte viel dafür sprechen , dass die §§ 6 und 7 Gesetzentwurf mit der Arbeitszeitrichtlinie vereinbar sind. 10 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang § 104 Abs. 1 uAGB, der in Übereinstimmung mit Art. 3 Arbeitszeitrichtlinie die tägliche Ruhezeit auf grundsätzlich mindestens elf Stunden festlegt. 11 EuGH, Rs. C-306/16 (Maio Marques da Rosa), Rn. 48, 51. 12 EuGH, Rs. C-306/16 (Maio Marques da Rosa), Rn. 39, 44, 48. 13 EuGH, Rs. C-306/16 (Maio Marques da Rosa), Rn. 39, 48. 14 Vgl. EuGH, Rs. C-306/16 (Maio Marques da Rosa), Rn. 50; vgl. ebenso GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge vom 21. Juni 2017 zu EuGH, Rs. C-306/16 (Maio Marques da Rosa), Nr. 44. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 001/19 Seite 8 4.1.2. Leiharbeitsrichtlinie Durch die Leiharbeitsrichtlinie wird die Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer mit den bei dem entleihenden Unternehmen für die gleiche Arbeit unmittelbar angestellten Arbeitnehmern im Hinblick auf die wesentlichen Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, bspw. das Arbeitsentgelt , sichergestellt (vgl. Erwägungsgrund 14 sowie Art. 2 und 5 Leiharbeitsrichtlinie). Für die Überprüfung der Europarechtskonformität des Gesetzentwurfs dürfte lediglich Art. 4 Abs. 1 Leiharbeitsrichtlinie relevant, nach dem die Rechtfertigung von Einschränkungen und Verboten des Einsatzes von Leiharbeit ausschließlich aus Gründen des Allgemeininteresses möglich ist. Zu diesen Gründen gehören gemäß der nach ihrem Wortlaut beispielhaften Auflistung des Art. 4 Abs. 1 Leiharbeitsrichtlinie u. a. der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Verhütung eventuellen Missbrauchs und die Gewährleistung eines funktionierenden Arbeitsmarktes. § 10 des Gesetzentwurfs erweitert die Verordnungsermächtigung der Regierung gemäß § 298 Abs. 5 uAGB-E auf solche Verordnungen, mit denen eine von dem Entleiher zu zahlende Mindestgebühr für die Arbeitnehmerüberlassung festgelegt wird. Aus § 10 der Begründung zu dem Gesetzentwurf 15 ergibt sich, dass die Einführung der Möglichkeit, auf Grundlage von § 298 Abs. 5 uAGB-E eine Mindestgebühr für die Arbeitnehmerüberlassung festzulegen, die Ziele verfolgt, Steuervermeidung abzumildern, den Mindestlohn zu gewährleisten und ein garantiertes Lohnminimum sicherzustellen. Diese Motive dürften als Gründe des Allgemeininteresses i. S. d. Art. 4 Abs. 1 Leiharbeitsrichtlinie anzusehen sein. Dafür, dass eine solche Regelung, die diesen Zwecken dient, mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar ist, sind keine Anhaltspunkte erkennbar. Die in § 10 Gesetzentwurf geregelte Verordnungsermächtigung dürfte daher nach Art. 4 Abs.1 Leiharbeitsrichtlinie gerechtfertigt sein und daher im Einklang mit dieser Vorschrift stehen. Die Fragen, ob die einzelnen, auf der Grundlage von § 298 Abs. 5 uAGB-E geschaffenen Verordnungen Ziele i. S. d. Art. 4 Abs. 1 Leiharbeitsrichtlinie verfolgen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren, sodass sie mit Art. 4 Abs. 1 Leiharbeitsrichtlinie vereinbar sind, können an dieser Stelle mangels zugänglicher Informationen zu diesen Verordnungen nicht beantwortet werden. Anhaltspunkte dafür, dass die anderen Vorschriften des Gesetzentwurfs mit der Leiharbeitsrichtlinie unvereinbar sind, sind nicht ersichtlich. Der Ergänzung halber wird an dieser Stelle hinsichtlich der Rechtsfolgen eines etwaigen Verstoßes gegen Art. 4 Abs. 1 Leiharbeitsrichtlinie auf das Urteil des EuGH „AKT“ vom 17. März 201516 15 Bezugnahme allein auf die unverbindliche deutsche Übersetzung der Begründung zu dem Gesetzesentwurfs durch den Sprachendienst des Deutschen Bundestages, die der Fragesteller gemeinsam mit dem Auftrag übersandt hat. 16 EuGH, Rs. C-533/13 (AKT). Siehe dazu bspw. die Anmerkungen von Albers, ZESAR 2015, S. 347-351; Forst, EWiR 2015, S. 393-394 sowie Sittard, EuZW 2015, S. 386-387. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 001/19 Seite 9 verwiesen. Darin entschied der EuGH, dass Art. 4 Abs. 1 Leiharbeitsrichtlinie i. V. m. den anderen Absätzen dieses Artikels zunächst nur den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten die Pflicht auferlegt, die nationalen Vorschriften bis zu einem bestimmten Datum am Maßstab des Art. 4 Abs. 1 Leiharbeitsrichtlinie zu überprüfen.17 Eine Verpflichtung der nationalen Gerichte, Regelungen, welche den Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 1 Leiharbeitsrichtlinie widersprechen, unangewendet zu lassen, kann der Norm – ungeachtet der Pflicht der Mitgliedstaaten, die betreffenden Vorschriften an die Maßgaben von Art. 4 Abs. 1 Leiharbeitsrichtlinie anzupassen –18 nach Auffassung des EuGH nicht entnommen werden.19 4.2. Sonstiges Unionsrecht Soweit ersichtlich, stehen dem Gesetzentwurf auch keine anderen primär- oder sekundärrechtlichen Bestimmungen des Unionsrechts entgegen. Dies gilt insbesondere für die Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV. Zwar erfasst der Gesetzentwurf grenzüberschreitende Sachverhalte und fällt in den Anwendungsbereich des Art. 45 AEUV. Dessen unterschiedslos anwendbaren und damit nicht-diskriminierenden Vorschriften beeinflussen aber nicht den Zugang des Arbeitnehmers zum Arbeitsmarkt,20 weshalb auch keine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit i. S. d. Art. 45 Abs. 2 AEUV gegeben sein dürfte und somit ein Verstoß gegen Art. 45 AEUV bereits mangels eines Eingriffs in diese Grundfreiheit ausscheiden dürfte. Hinsichtlich der für die Prüfung der Unionsrechtsmäßigkeit des Gesetzentwurfs allein relevanten Unionsgrundrechte der Arbeitnehmer aus Art. 31 Abs. 2 GRCh auf die Begrenzung der Höchstarbeitszeit , bezahlten Jahresurlaub und auf sowohl wöchentliche als auch tägliche Ruhezeiten ist bereits fraglich, ob diese Unionsgrundrechte überhaupt auf die Vorschriften des Gesetzentwurfs anwendbar sind. Mangels eines Eingriffs in die Arbeitnehmerfreizügigkeit dürfte jedenfalls insoweit der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte nicht eröffnet sein. Denkbar wäre aber eine Anwendbarkeit des Art. 31 Abs. 2 GRCh auf einzelne Vorschriften des Gesetzentwurfs gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GRCh. Dafür ist jedoch erforderlich, dass diese Regelungen Unionsrecht im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GRCh durchführen. Letztlich kann die Frage nach der Anwendbarkeit des Art. 31 Abs. 2 GRCh auf die Vorschriften des Gesetzentwurfs aber dahinstehen, da Art. 31 Abs. 2 GRCh den Arbeitnehmern keinen weitergehenden Schutz gewährt als die Arbeitszeitrichtlinie.21 Mithin dürfte von der Vereinbarkeit des 17 EuGH, Rs. C-533/13 (AKT), Rn. 28, 32. 18 Vgl. EuGH, Rs. C-533/13 (AKT), Rn. 30. 19 EuGH, Rs. C-533/13 (AKT), Rn. 32. 20 Vgl. zu dieser Voraussetzung für das Vorliegen einer Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit EuGH, Rs. C- 190/98 (Graf), Rn. 23 sowie Kreuschitz, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 45 AEUV, Rn. 32. 21 Vgl. EuGH, Rs. C-306/16 (Maio Marques da Rosa), Rn. 50; vgl. GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge vom 21. Juni 2017 zu EuGH, Rs. C-306/16 (Maio Marques da Rosa), Nr. 44. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 001/19 Seite 10 Gesetzentwurfs mit der Arbeitszeitrichtlinie auf dessen Vereinbarkeit mit Art. 31 Abs. 2 GRCh geschlossen werden können. 4.3. Ergebnis Im Ergebnis ist folglich festzuhalten, dass die Regelungen des Gesetzentwurfs, insbesondere die §§ 6 und 7 des Gesetzentwurfs, keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Arbeitszeitrichtlinie erkennen lassen. Ebenso wenig sind Anhaltpunkte dafür ersichtlich, dass diesen Vorschriften , insbesondere § 10 des Gesetzentwurfs, die Leiharbeitsrichtlinie entgegensteht. Soweit ersichtlich , dürfte der Gesetzentwurf auch im Übrigen unionsrechtskonform, insbesondere auch mit den Grundfreiheiten und den Unionsgrundrechten vereinbar sein. – Fachbereich Europa –