© 2017 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 1/17 Erstreckung der Preisbindung für RX-Arzneimittel aus EU-ausländische Versandapotheken durch Neuregelung von § 129 SGB V Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 1/17 Seite 2 Erstreckung der Preisbindung für RX-Arzneimittel aus EU-ausländische Versandapotheken durch Neuregelung von § 129 SGB V Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 1/17 Abschluss der Arbeit: 19. Januar 2017 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 1/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Hintergründe des Vorschlags zu einer Neugestaltung der Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel 4 3. Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Ausgestaltung mit dem Unionsrecht 5 3.1. Anwendbarkeit unionsrechtlicher Maßstäbe 5 3.2. Eingriff in den Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit 6 3.2.1. Sachlicher Schutzbereich 6 3.2.2. Eingriff 7 3.3. Rechtfertigung des Eingriffs 8 3.3.1. Maßstäbe 8 3.3.2. Rechtfertigung gemäß Art. 36 AEUV 8 3.3.3. Schutz der Systeme sozialer Sicherheit als Rechtfertigungsgrund 9 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 1/17 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung geht im Überblick auf die Frage ein, ob die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimitteln (RX-Arzneimittel) mit Blick auf die Entscheidung des EuGH vom 19. Oktober 2016 in der Rs. C-148/15 durch eine Neuregelung von § 129 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V)1 auf EU-ausländische Versandhandels- und Offizinapotheken erstreckt werden kann. 2. Hintergründe des Vorschlags zu einer Neugestaltung der Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel Hintergrund der Fragestellung bildet ein Vorschlag zur Reform des § 129 SGB V zur Preisbindung für RX-Arzneimittel, der an den Rahmenvertrag2 nach § 129 Abs. 2 SGB V anknüpft. Es wird u.a. vorgeschlagen, § 129 SGB V dahingehend zu ändern, dass in § 129 Abs. 1 SGB V3, wonach die Apotheken bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach § 129 Abs. 2 SGB V zu bestimmten Handlungen verpflichtet sind, durch Einfügung einer neuen Nr. 5 mit folgendem Wortlaut ergänzt wird: „Zur Einhaltung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises einschließlich der Erhebung gesetzlicher Zuzahlungen.“ Zur Begründung wird ausgeführt, dass durch die Ergänzung in § 129 Abs. 1 Nr. 5 SGB V klargestellt werde, dass die Apotheken, die im Rahmen des Rahmenvertrages Verschreibungen beliefern , sich hier an die sich aus dem Arzneimittelpreisrecht ergebenden Festpreise halten müssen. Die Klarstellung sei erforderlich, da zwar aktuell bereits eine entsprechende Regelung im Arzneimittelliefervertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V enthalten sei (§ 2b), dem die ausländischen Versandapotheken , so sie denn an der Versorgung deutscher Versicherter teilhaben wollen, beitreten müssten, jedoch hier nicht abschließend geklärt sei, ob diese Regelung bereits ausreichend sei, um eine Verpflichtung einheitlicher Preise zu gewährleisten. Darüber hinaus wird die Ergänzung von § 129 Abs. 1 SGB V um einen neuen S. 8 mit folgendem Wortlaut vorgeschlagen: „Sofern die Parteien vereinbaren, dass von Satz 1 Nummer 5 abgewichen werden kann, ist die Abweichung auf 1,00 EUR pro Packung zu beschränken. Es ist sicherzustellen, dass diese Abweichung gegenüber dem Patienten entsprechend ausgewiesen wird.“ Zur Begründung wird ausgeführt, dass diese Änderung den Vertragsparteien eine Vereinbarung ermögliche, auf welchen Betrag die Apotheken bei der Einlösung verzichten können. Soweit die Vertragsparteien im Rahmen der Vereinbarung nach § 129 Abs. 2 SGB V vereinbarten, dass die 1 Fünfte Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung, BGBl. I 1988 S. 2477, 2482, geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 23. Dezember 2016, BGBl. I 2016 S. 3234. 2 Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Absatz 2 SGB V in der redaktionellen Fassung vom 30. September 2016. 3 Der Vorschlag stellt auf S. 8 insoweit unzutreffend auf § 129 Abs. 5 SGB V ab. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 1/17 Seite 5 Apotheken berechtigt sind, auf Teile der Arzneimittelvergütung zugunsten des Wettbewerbs zu verzichten, sei sicherzustellen, dass dieser Betrag nicht zu einem ruinösen Preiswettbewerb zwischen den Apotheken führe. Daher sei es zielführend, den Betrag, den die Parteien vereinbaren können, gesetzlich zu beschränken. Für die weiteren Einzelheiten des Vorschlags und seiner Begründung wird auf den dem Fachbereich vorliegenden Gesetzentwurf verwiesen. 3. Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Ausgestaltung mit dem Unionsrecht Die vorgeschlagene Erstreckung der Preisbindung auch auf EU-ausländische Versandapotheken zur Reaktion auf eine bestimmte Gestaltung eines grenzüberschreitenden Arzneimittelhandels muss – sofern Unionsrecht vorliegend anwendbar ist – insbesondere mit der primärrechtlichen Warenverkehrsfreiheit vereinbar sein. 3.1. Anwendbarkeit unionsrechtlicher Maßstäbe In dem Vorschlag wird mit Verweis auf Art. 168 Abs. 7 AEUV ausgeführt, dass die „Regelungen als SGB V unter die alleinige Zuständigkeit der Nationalstaaten [fallen], sodass europarechtliche Implikationen nicht gegeben sind.“ Im Bereich dieser nationalen Kompetenz sei lediglich sicherzustellen , dass die Regelungen für alle Marktteilnehmer in gleicher Weise gelten. Dieses Vorbringen ist insoweit zutreffend, als dass das Unionsrecht die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt lässt; Art. 168 AEUV begründet keine diesbezügliche Zuständigkeit der Union.4 Vielmehr besitzt der nationale Gesetzgeber im Bereich der Ausgestaltung der Systeme sozialer Sicherheit einen weiten Gestaltungsspielraum .5 Jedoch müssen die Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Unionsrechts ihre fortbestehenden Zuständigkeiten unter Beachtung und Wahrung des Unionsrechts ausüben.6 Dementsprechend haben die Mitgliedstaaten trotz ihrer Gestaltungsfreiheit im Bereich der sozialen Sicherungssysteme bei der Ausübung ihrer Befugnisse das Unionsrecht zu beachten und dürfen sich 4 Vgl. Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 168 AEUV, Rn. 2 ff. 5 Vgl. EuGH, Rs. 238/82 (Duphar u. a.), Rn. 16; EuGH, Rs. C-4/95 und C-5/95 (Stöber und Piosa Pereira), Rn. 36; EuGH, Rs. C-70/95 (Sodemare u. a.), Rn. 27; EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll), Rn. 17 f.; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms), Rn. 44 f. Zu den verfassungsrechtlichen Bedeutung der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als „eine Gemeinwohlaufgabe, welche der Gesetzgeber nicht nur verfolgen darf, sondern der es sich nicht einmal entziehen dürfte“ vgl. BVerfGE 68, 193 (218); 70, 1 (30), 82 (209 (230) sowie insbesondere BVerfGE 130, 172 (184 f.): „Soll die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung mit Hilfe eines Sozialversicherungssystems erreicht werden, stellt auch dessen Finanzierung einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang dar, von dem sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Systems und bei der damit verbundenen Steuerung des Verhaltens der Leistungserbringer leiten lassen darf.“ 6 EuGH, Rs. C-466/98 (Vereinigtes Königreich/Kommission), Rn. 41; EuGH, Rs. C-546/07 (Kommission/Deutschland ), Rn. 43; EuGH, Rs. C-55/00 (Gottardo), Rn. 32 f.; EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 69, 91 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 1/17 Seite 6 nicht darüber hinwegsetzen.7 Staatliche Maßnahmen zur Ausgestaltung der Systeme sozialer Sicherheit müssen mit dem Unionsrecht und insbesondere den unionsrechtlich garantierten Grundfreiheiten vereinbar sein. Folglich muss auch die vorgeschlagene Reform des § 129 SGB V mit den Maßstäben der unionsrechtlichen Warenverkehrsfreiheit vereinbar sein. 3.2. Eingriff in den Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit 3.2.1. Sachlicher Schutzbereich Der sachliche Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit ergibt sich aus ihrer Funktion, den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten im Binnenmarkt zugunsten der Marktteilnehmer gegen einzelstaatliche Beschränkungen rechtsförmig zu sichern und mit dieser Öffnung und Offenhaltung der mitgliedstaatlichen Marktgrenzen zugleich auch die Möglichkeit zum grenzüberschreitenden und binnenmarktweiten Wettbewerb zu eröffnen und zu gewährleisten.8 Erforderlich ist demnach ein grenzüberschreitendes Element. Daher ist Art. 34 AEUV auf die Herstellung und den Vertrieb inländischer Waren nicht anwendbar. Vielmehr ist das Verbot von Einfuhrbeschränkungen auf Waren „aus den Mitgliedstaaten“ sowie aus Drittstaaten anwendbar, die sich in den Mitgliedstaaten in freiem Verkehr befinden. Dementsprechend bezieht sich das Verbot sowohl auf eingeführte Waren als auch auf die zwangläufig mit der Einfuhr verknüpfte Durchfuhr von Waren. Für das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Elements sind potentielle Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel ausreichend, so dass Art. 34 AEUV auch dann Anwendung findet, wenn durch die Maßnahme zumindest auch eingeführte Waren behindert werden , die sich in der gleichen Situation wie inländische Produkte befinden.9 Vor diesem Hintergrund erfasst die Warenverkehrsfreiheit sowohl die freie Ein- und Ausfuhr als auch Reimporte, d.h. die Wiedereinfuhr von Waren, die im jeweiligen Bestimmungsland hergestellt und zunächst exportiert worden sind und die Vorteile des Binnenmarktes in Anspruch nehmen.10 Dementsprechend eröffnet die Warenverkehrsfreiheit die Möglichkeit, aus einem Staat exportierte Waren aufzukaufen und sie sodann in diesen Staat zurück zu exportieren, etwa um zwischenstaatliche Preisgefälle auszunutzen.11 7 St. Rspr., vgl. EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll), Rn. 17; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits u. Peerbooms); EuGH, Rs. C-385/99 (Müller-Fauré u. van Riet), Rn. 37 ff. sowie dementsprechend BT-Drs. 15/1525, S. 80 f. 8 Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 34 AEUV, Rn. 2. 9 Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 34 AEUV, Rn. 21 m.w.N. 10 Vgl. EuGH, Rs. 104/75 (de Peijper), Rn. 12/13; EuGH, Rs. 102/77 (Hoffmann-La Roche/Centrafarm), Rn. 6 ff.; EuGH, Rs. 229/83 (Leclerc), Rn. 26; EuGH, Rs. C-240/95 (Schmit), Rn. 10. 11 Vgl. Europäische Kommission, Mitteilung über den Binnenmarkt für Arzneimittel, KOM(1998) 588 endg., S. 6 f., abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:51998DC0588&qid=1483957353869&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 1/17 Seite 7 3.2.2. Eingriff In seiner Entscheidung in der Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) hat der EuGH festgestellt, dass die gesetzliche Festlegung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises (§ 78 Abs. 1 S. 4 AMG,12 §§ 1 und 3 AMPreisV13) in den Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit eingreift. Nach Ansicht des Gerichtshofes ist sie als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Art. 34 AEUV anzusehen. Das Verbot des Art. 34 AEUV erfasst jede Maßnahme der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, die Einfuhren zwischen Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern.14 Die Preisbindung gilt zwar für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gleichermaßen, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben. Jedoch berührt sie die Abgabe von Arzneimitteln durch im Inland ansässige Apotheken und die Abgabe von Arzneimitteln durch in anderen Mitgliedstaaten ansässige Apotheken nicht in gleicher Weise.15 Nach Ansicht des Gerichtshofes ist der Preiswettbewerb für Versandapotheken aufgrund ihres eingeschränkten Leistungsangebots ein wichtigerer Wettbewerbsfaktor als für traditionelle Apotheken, weil es von ihm abhänge, ob Versandapotheken einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt finden und auf diesem konkurrenzfähig bleiben.16 Die Erwägungen des EuGH in der Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) legen den Schluss nahe, dass die vorgeschlagene Erstreckung der Preisbindung auf in- und ausländische Wirtschaftsteilnehmer für den Verkauf von in Deutschland zugelassenen Arzneimitteln17 bei einem Beitritt zum Rahmenvertrag gemäß § 129 Abs. 2 SGB V mit Blick auf ihre marktzugangsbehindernde Wirkung 18 als Maßnahme gleicher Wirkung und somit als ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in den Schutzbereich von Art. 34 AEUV zu bewerten ist. Bei der vorgeschlagenen Änderung von § 12 Arzneimittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005, BGBl. I S. 3394, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. November 2016, BGBl. I S. 2623. 13 Arzneimittelpreisverordnung v.14. November 1980, BGBl. I S. 2147, zuletzt geändert durch Art. 2b 14. SGB V- ÄnderungsG vom 27. 3. 2014, BGBl. I S. 261. 14 EuGH, Rs. C-141/07 (Kommission/Deutschland), Rn. 28. 15 Zu diesen Kriterien vgl. EuGH, verb. Rs. C-267/91 und C-268/91 (Keck und Mithouard), Rn. 16. 16 EuGH, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson), Rn. 24. 17 § 73 Abs. 1 AMG, vgl. auch Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl. L 311 vom 28.11.2001, S. 67, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02001L0083-20121116&qid=1477472412639&from=DE. 18 Zur Relevanz des Kriteriums der Marktzugangsbehinderung gegenüber der Qualifizierung als Produkt- oder Verkaufsmodalität zur Feststellung eines Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit bei unterschiedslos anwendbaren Regelungen vgl. im Überblick Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 34 AEUV, Rn. 183 ff.; Dietz/Streinz, Das Marktzugangskriterium in der Dogmatik der Grundfreiheiten , EuR 2015, S. 50 ff.; Purnhagen, JZ 2012, S. 742 ff.; zur Preisbindung als Markzugangsbeschränkung vgl. Mittwoch, Nationale Preisbindung auf dem Prüfstand, EuZW 2016, S. 936 (937 ff.); Brigola, Die Preisbindung für Arzneimittel in der Falle des freien Warenverkehrs, NJW 2016, S. 3761 (3762 f.); zur Abgrenzung zwischen Produkt- oder Verkaufsmodalität vgl. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2016, Art. 34-36 AEUV, Rn. 155 ff.; Streinz, Das Verbot des Apothekenversandhandels mit Arzneimitteln, Eine „Verkaufsmodalität “ im Sinne der Keck-Rechtsprechung, EuZW 2003, S. 37 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 1/17 Seite 8 129 Abs. 1 SGB V ergibt sich die Preisbindung unmittelbar aus den gesetzlichen Vorgaben für die Ausgestaltung des Rahmenvertrages gemäß § 129 Abs. 2 SGB V und somit unmittelbar aus staatlichem Handeln. Daher bedarf es vorliegend keiner Beurteilung, ob sich ein Eingriff angesichts des spezifischen Charakters des Rahmenvertrags19 auch unmittelbar aus der rahmenvertraglichen Verpflichtung ergeben kann20 oder ob die für unionsrechtswidrig erklärte Preisbindung des AMG einer rein rahmenvertraglichen Erstreckung21 der Preisbindung auch auf EU-ausländischen Versandapotheken entgegensteht. 3.3. Rechtfertigung des Eingriffs 3.3.1. Maßstäbe Fraglich ist, ob der vorstehend beschriebene Eingriff objektiv gerechtfertigt werden kann. Die fragliche Maßnahme muss dazu geeignet sein, die Verwirklichung des verfolgten legitimen Ziels in kohärenter und systematischer Weise zu gewährleisten, und sie darf nicht über das hinausgehen , was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.22 Eine nationale Regelung ist dann nicht erforderlich , wenn das legitime Ziel genauso wirksam mit Maßnahmen verwirklicht werden kann, die den Handelsverkehr in der Union weniger beschränken.23 Zudem müssen die Rechtfertigungsgründe , auf die sich ein Mitgliedstaat berufen kann, von einer Untersuchung zur Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der von diesem Mitgliedstaat erlassenen Maßnahme sowie von genauen Angaben zur Stützung seines Vorbringens begleitet sein.24 3.3.2. Rechtfertigung gemäß Art. 36 AEUV In dem vorliegenden Vorschlag wird insbesondere auf die Steuerungs- und Lenkungsfunktion des Arzneimittelpreisrechts sowie allgemein auf weitere Zwecke verwiesen.25 Aus dem Vorschlag ergeben sich keine Anhaltspunkte für zwingende Gründe, die für eine Rechtfertigung des Eingriffs in Betracht kommen. 19 Vgl. hierzu bspw. Spickhoff/Barth, SGB V, § 129, Rn. 1 ff. 20 Vgl. EuGH, Rs. C-415/93 (Bosman), Rn. 83 ff. 21 Vgl. § 2b Abs. 2 S. 2 Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Absatz 2 SGB V in der redaktionellen Fassung vom 30. September 2016. 22 EuGH, Rs. C-28/09 (Kommission/Österreich), Rn. 126; EuGH, verb. Rs. C-171/07 und C-172/07 (Apothekerkammer des Saarlandes u. a.), Rn. 42; EuGH, Rs. C-333/14 (The Scotch Whisky Association u. a.), Rn. 54 ff. 23 EuGH, Rs. C-215/87 (Schumacher), ECLI:EU:C:1989:111, Rn. 17 f. 24 EuGH, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson), Rn. 35 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-333/14 (The Scotch Whisky Association u. a.), Rn. 54. 25 S. 4 f. des Vorschlags. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 1/17 Seite 9 Mit Blick auf den Regelungszweck des Vorschlags erscheint vorliegend eine auf den Schutz der Gesundheit oder des Lebens von Menschen gestützte Rechtfertigung gemäß Art. 36 AEUV26 – insbesondere im Hinblick auf die Notwendigkeit der Gewährleistung einer flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in ganz Deutschland,27 die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung der Bevölkerung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln28 und die Verhinderung der Gefahren sowohl eines ruinösen Preis- und Verdrängungswettbewerbs unter Apotheken29 als auch für die menschliche Gesundheit durch Fehl- oder Mehrgebrauchs von Arzneimitteln und einer Überforderung der Patienten30 – nicht einschlägig. Mit dem Beitritt zum Rahmenvertrag erhalten auch EU-ausländische Apotheken die Möglichkeit, mit Krankenkassen im Wege des Sachleistungsprinzips (vgl. § 2 Abs. 2 SGB V) abzurechnen. Der Beitritt zum Rahmenvertrag und dessen Ausgestaltung entsprechend den gesetzlichen Vorschriften hat keinen direkten Bezug zum Produkt, sondern betrifft lediglich die konkreten Modalitäten der Abrechnung beim Verkauf von Arzneimitteln.31 3.3.3. Schutz der Systeme sozialer Sicherheit als Rechtfertigungsgrund Vorliegend könnte der Regelungszweck von § 129 SGB V, die finanzielle Stabilität des deutschen Krankenversicherungssystems zu gewährleisten,32 als Rechtfertigungsgrund in Betracht kommen. Zwar können nach ständiger Rechtsprechung des EuGH rein wirtschaftliche Erwägungen nicht als Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen der Grundfreiheiten anerkannt werden, jedoch kann die Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit eine solche Beschränkung rechtfertigen, soweit Auswirkungen auf das Gesamtniveau des Schutzes der öffentlichen Gesundheit möglich sind.33 Dementsprechend hat der EuGH in einer früheren Entscheidung 34 zum Versandhandels mit RX-Arzneimitteln mit Blick auf die Festpreisregelung als Teil des deutschen Gesundheitswesens festgestellt, dass jedenfalls nicht ausgeschlossen werden könne, „dass eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozia- 26 Vgl. hierzu EuGH, Rs. C-215/87 (Schumacher), Rn. 17; EuGH, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson), Rn. 24 ff. 27 EuGH, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson), Rn. 37-38. 28 EuGH, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson), Rn. 39. 29 EuGH, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson), Rn. 40, 43; EuGH, Rs. C-322/01 (Deutscher Apothekerverband), Rn. 106. 30 EuGH, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson), Rn. 42. 31 Vgl. Koenig/Klahn, Der Beitritt von Apotheken anderer EG-Mitgliedstaaten zum Rahmenvertrag, GesR 2006, S. 58 (63). 32 Vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 79 ff. 33 Vgl. EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll), Rn. 41; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits/Peerbooms), Rn. 72; EuGH, Rs. C-385/99 (Müller-Fauré u. van Riet), Rn. 72 f. 34 EuGH, Rs. C-322/01 (Deutscher Apothekerverband), Rn. 117. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 1/17 Seite 10 len Sicherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann, der eine derartige Beschränkung rechtfertigen kann.“35 In diesem Verfahren konnte der EuGH jedoch mangels eines dementsprechenden, substantiierten Vortrags nicht feststellen, dass das Versandhandelsverbot durch Gründe des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit oder der Intaktheit des nationalen Gesundheitswesens tatsächlich gerechtfertigt werden kann.36 Auch in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2016 in der Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) traf der EuGH keine Feststellungen zu der Frage, ob die Festpreisbindung für RX-Arzneimittel durch die Sicherung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit als zwingender Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein kann.37 Eine dementsprechende Rechtfertigung des Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit EU-ausländischer Versandhandelsapotheken, der sich potenziell aus der Umsetzung des Vorschlags ergeben würde, erscheint zweifelhaft: Die Sachverhaltsdarstellungen in den Rs. C-322/01 (Deutscher Apothekerverband ) und C-148/15 (Deutsche Parkinson) lassen darauf schließen, dass der Vertrieb von RX-Arzneimitteln durch EU-ausländische Apotheken zur Folge hat, dass die Versicherten in diesem Fall das verschriebene RX-Arzneimittel zu einem günstigeren Preis als zu dem deutschen Festpreis erwerben können. Dabei verringert sich der durch die vertragsärztliche Verordnung konkretisierte Vergütungsanspruch eines EU-ausländischen Apothekers gegen eine Krankenkasse , wenn er zu deren Lasten ein RX-Arzneimittel an einen ihrer Versicherten zu Preisen abgibt , die unter den deutschen Festpreisen liegen.38 Vor diesem Hintergrund erscheint bereits fraglich , ob die Regelung das Ziel erreichen könnte, das finanzielle Gleichgewicht des Krankenversicherungssystems zu erhalten. Vielmehr scheint die Möglichkeit niedrigerer Vergütungsansprüchen prima facie – vorbehaltlich einer weitergehenden Prüfung der Sach- und Rechtslage – dem § 129 SGB V u.a. zugrundeliegenden Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 SGB V) zu entsprechen. Ergänzend ist anzumerken, dass nur diejenigen Apotheken erstattungsberechtigt sind, die nach dem Regime des § 129 SGB V an der GKV-Arzneimittelversorgung teilnehmen. Eine EU-ausländische Apotheke kann sich bei einem Vertrieb an deutsche Versicherte diesem System anschließen und damit die Rechtsstellung erwerben, um an den Erstattungs- und Herstellerrabattregeln gemäß § 129 SGB V teilnehmen zu können. Sie kann sich jedoch auch dafür entscheiden, individuelle vertragliche Vereinbarungen mit einzelnen Krankenkassen zu schließen (§ 140e SGB V) oder an der Gesundheitsversorgung auf Grundlage des Kostenerstattungsprinzips nach Maßgabe von SGB V und SGB IX teilzunehmen. - Fachbereich Europa - 35 EuGH, Rs. C-322/01 (Deutscher Apothekerverband), Rn. 122, vgl. auch EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll), Rn. 41 ff.; EuGH, Rs. C-157/99 (Smits/Peerbooms), Rn. 72 ff. 36 EuGH, Rs. C-322/01 (Deutscher Apothekerverband), Rn. 123, vgl. hierzu Mand, Anmerkungen zu EuGH: DocMorris, MMR 2004, S. 149, 157 sowie EuGH, Rs. C-141/07 (Kommission/Deutschland), Rn. 22, 60 f.; EuGH, verb. Rs. C-171/07 und C-172/07 (Apothekenkammer des Saarlandes u.a.), Rn. 33 ff. 37 Vgl. Generalanwalt Szpunar, Schlussanträge zu Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson), Rn. 41 f. 38 Zu den einzelnen Rechtsverhältnissen vgl. BSG, Urt. V. 17.12.2009, B 3 KR 13/08 R; BSG, Urt. V. 28.9.2010, B 1 KR 3/10 R.